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Bruder

von
Koautor:  YoungMasterWei

Vorwort zu diesem Kapitel:
Frohe Weihnachten! :) Ich hoffe, das Update kann ein paar Leuten eine kleine Freude machen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Weil ich ab morgen unterwegs bin, kommt das wöchentliche Update diesmal ein bisschen früher. ;) Guten Rutsch/ Frohes neues Jahr allerseits! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Im letzten regulären Kapitel der Geschichte wird Wei Wuxians Hunde-Phobie noch mal eine zentrale Rolle einnehmen. So witzig wie das von außen gesehen auch ist - für ihn selbst muss es furchtbar sein. Ängste sind ja irrational und lassen sich mit Logik allein nicht bändigen. Und die ein oder andere tief sitzende Abneigung hat wohl jeder von uns. Mir geht es mit Spinnen ein bisschen so. Die goßen jedenfalls. Wenn ich mir vorstelle, bei meinem (fiktiven ;) )besten Freund und Gudrun, seiner handtellergroßen Tarantel, in einem Zimmer zu sitzen, besagtes Spinnenvieh zwei Meter Luftlinie von mir entfernt auf seiner Hand. Da kann er mir noch so sehr erzählen, dass seine "Gudi" ganz brav ist und noch nie gebissen hat und jetzt sowieso grad schläft. Ich würde trotzdem entweder stehenden Fußes abklappen oder schreiend das Weite suchen. Daher: Wer sich in Wei Wuxians Hunde-Phobie nicht so recht reinversetzen kann, der möge sich hier einfach eine Tarantel, einen Skorpion, eine Schlange, eine Kakerlake oder sonstiges vorstellen, was ihm die Nackenhaare zu Berge stehen und am ganzen Körper eine Gänsehaut bekommen lässt. ;)
Und nun viel Spaß! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Wie angekündigt ist hier das erste von insgesamt drei Bonus-Kapiteln (die anderen sind aber noch nicht geschrieben). Es erzählt Kap. 8, "Bruder", aus Jiang Chengs Sicht. Der Anfang des Kapitels ist genau gleich (war ja ursprünglich schon aus Jiang Chengs Perspektive), deshalb denke ich, dass ihr nicht noch mal zurückblättern müsst, sondern gleich hier starten könnt. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Sooooooo, es ist endlich geschafft! :D Tut mir leid, dass ich euch für den Epilog etwas warten lassen musste. Dafür ist es allerdings ein Batzen Text geworden, der für die Verhältnisse dieser FF komplett den Rahmen sprengt. Es hätte sich aber einfach nicht angeboten, den Epilog noch mal zu teilen. Einerseits soll alles, was noch hier kommt, die Handlung insgesamt abrunden, andererseits sind zwei Handlungsstränge ineinander verflochten, so dass man da einfach keinen guten Cut setzen kann. Und alles läuft im Grunde auf das gleiche Thema hinaus, nämlich "Heilung", wie bereits der Titel ankündigt.

Bevor ich euch nun loslesen lasse, muss ich noch ein paar Disclaimer und Erklärungen loswerden:
1) Ich habe mir hier einige Namen von anderen Stellen geborgt. Die Bingzhou Peng-Sekte stammt aus Kap. 16 der FF "Lose the Beard" von Invincible_Mel (https://archiveofourown.org/works/19796680/chapters/49999553). Wer Englisch kann: Ihr MDZS Post-Canon Happiness Network ist auch sehr schön zu lesen. Ich mag besonders den neuesten Teil "Peony Lotus Seal". :).
Der "Dritte Älteste Wang" ist angelehnt an einen chinesischen Gelehrten der Han-Dynasite, Wang Chong (https://de.wikipedia.org/wiki/Wang_Chong).
Zhi Yao ist ebenfalls eine historische Persönlichkeit, ein Staatsmann zur Zeit der streitenden Reiche (https://en.wikipedia.org/wiki/Battle_of_Jinyang).
2) Relativ zu Beginn der Rückblende ist ein chinesisches Sprichwort eingebaut: 猫教老虎―留一手. Es bedeutet: Die Katze lehrt den Tiger, behält sich aber einige Tricks für sich selbst vor. Es meint also, dass man jemandem nicht alles vermitteln soll, was man weiß, um nicht notfalls unterlegen zu sein, falls ein Schüler sich einmal gegen dich wenden sollte. Den tollen Tipp mit dem Sprichwort habe ich von YoungMasterWei bekommen, die sich mit dem chinesischen Kontext super auskennt. :D
3) Für die, die Mo Dao Zu Shi gar nicht kennen oder es lange nicht mehr gelesen/gesehen haben und mit den vielen Namen langsam durcheinander kommen. Lan Xichen ist der große Bruder von Lan Wangji. Lan Xichen ist sein offizieller Name. Darüber hinaus hat er auch einen Ehrennamen, Zewu-jun. Wei Wuxian hat ebenfalls noch einen Beinamen, der von seinen früheren Taten herrührt, und zwar "Yiling Patriarch". Er selbst benutzt den für sich nicht (und hat er auch nie), aber andere bezeichnen ihn bisweilen noch so. Aber inzwischen ist "Yiling Patriarch" mehr eine Hülle der Vergangenheit.

So, und nun viel Spaß! :) Komplett anzeigen

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Vergangenheit

“Wei Ying.”

Lan Wangjis Stimme sickerte mit Verzögerung in Wei Wuxians in Watte gepackten Kopf. Er hatte gewusst, dass seine erste Rückkehr an diesen Ort ihn empfindlich treffen würde. Deshalb hatte er sie so lange hinausgezögert. Aber wenigstens zum Totenfest musste er einfach hier sein.

“Wei Ying”, erklang Lan Wangjis sanfte Stimme erneut.

Ich weiß.

Es war Zeit zu gehen. Sie hatten die Gräber gesäubert, Räucherstäbchen angezündet und Totengeld verbrannt. Wei Wuxian hatte in die Stille hineingebetet, wissend, dass seine Gedanken niemanden mehr erreichten, und es ließ ihn verloren zurück, riss kaum geschlossene Wunden wieder auf. Die Seelen der verstorbenen Wen, seines kleinen Dorfes, das ihm kostbare Momente der Normalität geschenkt hatte in der schwersten Zeit seines Lebens, waren in den Kreislauf der Wiedergeburt zurückgekehrt. Er wusste, dass sie ihm nichts nachtrugen, dass sie ihm dankbar dafür waren, dass er sie aus der Unterdrückung der Jin gerettet und ihnen eine neue Chance auf Leben gegeben hatte.

Dennoch hatte er sie im Stich gelassen. Sein Hochmut war ihr aller Untergang geworden. Er hatte ihnen nie sagen können, wie leid es ihm tat, und er würde es auch niemals können.

Eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter, erdete sein aufgewühltes Gemüt. Wei Wuxian ließ sich an Lan Wangjis Brust ziehen, schöpfte Kraft aus dem stillen Trost.

Er schluckte schwer.

Die Brust, auf der das Mal der Sonne prangte, das Lan Wangji sich im Schmerz des Verlusts selbst eingebrannt haben musste. Dreiunddreißig Peitschenhiebe. Drei Jahre lang war er bewegungsunfähig gewesen. Welch unsäglichen Schmerz musste er dreizehn endlose Jahre lang erlitten haben.

Wei Wuxian griff nach dem Arm, der sich um seinen Bauch geschlungen hatte.

“Ich bin so blind gewesen.” Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern.

“Dein Herz ist nie vom Weg abgekommen. Du hast dein Bestes gegeben.”

“Es hätte besser sein müssen.”

“Jetzt ist es besser.” Lan Wangjis linker Arm glitt von Wei Wuxians Schulter, strich zärtlich den Oberarm hinab, schlängelte sich unter der Hand hindurch und umfasste Wei Wuxians Brust, zog ihn enger an sich.

Wei Wuxian wusste nicht, ob Lan Wangji von den Wen oder von ihm oder von sich selbst sprach. Vielleicht alles irgendwie. Wären ihre Rollen vertauscht, würde er genauso denken. So, wie er auch den Verlust seines goldenen Kerns hinter sich gelassen hatte und Jiang Cheng nur bitten konnte, ebenfalls loszulassen. Doch solange die Schuldgefühle ihn begleiteten wie ein Schatten, ging diese Rechnung nicht auf und keine noch so gut gemeinten Worte konnten etwas daran ändern. Wohin mit dieser Last, wenn niemand sie sehen wollte?

Ob er es Jiang Cheng am Ende nur schwerer gemacht hatte mit seiner Bitte, die Vergangenheit hinter sich zu lassen? Jiang Cheng hatte sich oft genug darüber aufgeregt, er hätte einen Heldenkomplex. Allmählich hatte Wei Wuxian das Gefühl, er verstand, was dieser gemeint hatte.

Versprechen

Jiang Cheng durchbrach die letzte Barriere wilder Zombies, seine Arme längst bleiern und taub vom stundenlangen Niedermähen dämonischer Kreaturen, Sandus grelles violettes Leuchten unter den zahllosen Schichten an Schmutz, Schleim und Hautfetzen kaum noch zu erahnen. Erschöpft lehnte er sich für einen Augenblick an den Eingang der Höhle, die die letzte Bastion des Yiling-Patriarchen darstellte, zwang seine Atmung in einen ruhigeren Rhythmus. Irgendwo inmitten dieses Chaos hinter ihm kämpften noch immer die Mitglieder seines Clans zusammen mit ihren Verbündeten, den Lin und Nie. Er hatte längst alle aus dem Auge verloren.

Was für ein mieser Clanführer ich bin.

Aber jetzt war nicht die Zeit, um zu reflektieren oder Schwäche zu zeigen. Er musste diesem Terror ein Ende bereiten! Sobald die Wurzel allen Übels aus der Welt geschafft war, würde das Toben auf den Grabhügeln enden. Das war der einzige Weg, und er führte direkt hinunter in den schwarzen Schlund, aus dem beständig feine Schwaden diabolischer Yin-Energie strömten.

Jiang Cheng erneuerte den Griff um sein Schwert, stützte sich von der Höhlenwand ab und hiefte sich weiter. Es war nicht nur die Verantwortung für seinen Clan, die ihm ungeahnte Kräfte verlieh. Seine Lippen pressten sich mit grimmiger Genugtuung zu einem blutleeren Schlitz zusammen.

Er war der Erste hier. Er würde diesem Bastard den Todesstoß versetzen. Er würde ihm heimzahlen, ihm Yanli, seine geliebte Schwester geraubt zu haben!

Wei Wuxian!!

Dort saß er, der Dämonenfürst, umhüllt von tiefschwarzen Schwaden, die Augen leuchtend in diesem irren Rot, welches der Welt der Kultivatoren das Fürchten gelehrt hatte, gebeugt über ein kaum handtellergroßes, pulsierend leuchtendes Objekt, dem er beständig schwarze Energie einflößte. Als ob Jiang Cheng ihn mit dem verfluchten Yin-Tiger-Amulett noch mehr Schaden anrichten lassen würde!

Jiang Cheng stürmte voran, riss Sandu hoch und durchbrach das letzte Siegel, das ihn von seiner Nemesis trennte. Mit einem Knall, der die Höhlenwände erzittern ließ, zerbarst die Barriere, und erst jetzt bemerkte der Dämonenfürst in ihrem Zentrum den Eindringling. Wei Wuxians rechter Arm schnellte hoch, mit einem donnernden “NEIN!!” jagte er dunkle Energie in Jiang Chengs Richtung. Doch die Tentakel kamen nicht weit. Wellen schwärzester Energie pulsierten aus dem Tiger-Amulett, erfüllten die Höhle, durchdrangen Jiang Chengs Körper und raubten ihm den Atem.

Wei Wuxians Tentakel schlugen einen Haken, attackierten nun das immer greller aufleuchtende Siegel, doch offenbar ohne Wirkung. Der Yiling Patriarch warf sich darüber,  riss erneut den Kopf hoch und brüllte, schrill, die Augen panisch aus den Sockeln tretend: “VERSCHWINDE!!”

Die negative Energie wurde zurück in das Amulett gesogen, zusammen mit Wei Wuxians eigenem Qi, komprimierte sich zu einem gleißenden Strahlen, so durchdringend, dass es selbst den Körper seines Schöpfers durchleuchtete -

um sich im nächsten Augenblick in einer ohrenbetäubenden Detonation zu entladen.

 

“WUXIAN!!!”

Jiang Chengs donnernde Stimme riss den Traum in Fetzen, doch seine schattenhaften Krallen hielten ihn eisig umklammert. Sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb, sein gesamter Körper zitterte und war von kaltem Schweiß überzogen. Und noch immer sah er nichts anderes als diesen panischen Blick, hallte dieser letzte verzweifelte Schrei in seinen Trommelfellen wider und wider. Der Moment, als das Siegel außer Kontrolle geriet und seinen Meister in so kleine Teilchen zersetzte, dass nicht einmal ein Haar übrig geblieben war, war unbarmherzig in seinen Geist gebrannt. Jiang Cheng schloss die Augen, bedeckte Mund und Nase mit einer Hand und konzentrierte sich darauf, die Übelkeit niederzukämpfen.

Es war nur ein Traum. Doch die Eindrücke waren so real wie in jener Nacht, und statt zu verblassen, wurden sie mit jedem Mal intensiver.

Er schwang die Beine aus dem Bett, warf sich einen einfachen Umhang über und wie von selbst führten ihn seine Schritte zu den Gemächern seiner Geschwister. Egal, wie lange sie schon fort waren - Jiang Cheng hatte es nie über sich gebracht, die Zimmer für neue Zwecke umbauen zu lassen. Dabei war gerade das von Wei Wuxian nichts als eine Farce. Die alten Bilder, seine Basteleien, die Kritzeleien an seinem Bett waren ohnehin längst fort, den Flammen zum Opfer gefallen, als sein Clan den Wens in die Hände gefallen war. Alles, was danach kam, war eher steril geblieben. Wei Wuxian war nicht mehr derselbe gewesen. Keine Kritzeleien mehr, keine Spiele, keine schmutzigen Heftchen. Er hatte sich einzig in seinen skurrilen Experimenten vergraben und alles mitgenommen, als er ihm und dem Clan den Rücken gekehrt hatte. Den kläglichen Rest, der zurückgeblieben war, hatte Jiang Cheng persönlich zu Kleinholz verarbeitet, nachdem Yanli seinem Leichtsinn und seiner Überheblichkeit zum Opfer gefallen war. Und erst vor fünf Monaten wieder aufbauen lassen, nachdem sich der Staub vom Vorfall im Guanyin-Tempel etwas gesetzt hatte. Wuxians Zimmer? Was für ein heuchlerischer Witz!

Lange Zeit war Chenqing das einzige Überbleibsel seines früheren Bruders gewesen. Nun war die Geisterflöte zurück bei ihrem Besitzer und das Schwert Suibian hatte ihren Platz eingenommen. Jenes durchbohrte er nun mit hasserfüllten Blicken, die Hände auf seinen Oberschenkeln zu Fäusten geballt, vor Zorn bebend.

“Bastard!”, zischte er durch zusammengebissene Zähne. “Warum verfolgt mich dein verdammter Schatten immer noch?”

Warum ausgerechnet dein goldener Kern? Und dann verschwindest du mit so 'ner Ansage, dass das alles nicht mehr von Bedeutung ist?!

Am liebsten würde er ihm seine Faust ins Gesicht rammen, doch in Ermangelung des eigentlichen Zieles seiner Wut diese an Suibian auszulassen, machte selbst in seiner jetzigen Rage wenig Sinn.

“Wie mickrig soll ich mich neben dir eigentlich noch fühlen? Du mit deinem arroganten Heldensyndrom! Ich hab nie darum gebeten, deinen verfickten Kern zu bekommen!”

Wie jede Nacht lieferte er sich einen erbitterten Kampf mit den Tränen. Er hasste sie. Hasste die Sentimentalität, die Schwäche, die sie verrieten. Hasste Wei Wuxian dafür, ihn in solch einen miserablen Zustand zu versetzen.

Die Explosion am Grabhügel hatte ihn zerbrochen. Die Panik, als er von Nie Mingjue, Jin Guangshan und den Anhängern ihrer Clans umringt war, stand jener verhängnisvollen Nacht, in der er seine Mutter, seinen Vater, seinen Clan, seine Heimat - sein gesamtes Leben verloren hatte, in nichts nach. Der Schock war erstickend.

“Zerfetzt. Von seinen eigenen Dämonen”, bekam er schließlich herausgewürgt, als er das Bewusstsein wiedererlangte und die Fragen nach den Geschehnissen in der Höhle auf ihn niederprasselten. Zahllose Hände versorgten mit heilendem Qi seine Wunden, beruhigten seine Atmung und stabilisierten seinen goldenen Kern. Er wäre beinah einer Qi-Entartung erlegen.

Er hatte es nicht ertragen. Es konnte nicht wahr sein. Es DURFTE nicht! Und so tat er das Einzige, wozu er in diesem Zustand totaler Verlorenheit fähig gewesen war: die ganze Sache neu zu interpretieren. Wei Wuxian hatte die Macht des Amuletts auf ihn losgelassen. Sie war ihm außer Kontrolle geraten und im letzten Moment hatte er sich über das dämonische Artefakt geworfen, um ihn mit sich in die Hölle zu reißen. Der panische Blick? Der verzweifelte Schrei? Alles Einbildung. Ein Trick seines schwachen Herzens, das offenbar immer noch nicht akzeptieren wollte, dass Wei Wuxian der dämonischen Macht doch verfallen war, diese ihn über seinen Hochmut in solch ein Monster verwandelt hatte. Dreitausend Kultivatoren hatte er hingerichtet in der Nachtlosen Stadt, kaum mehr von einem wilden Zombie zu unterscheiden, blutüberströmt, schreiend, jaulend, mit blanken Händen Berge von Flüchtenden und Toten in Stücke reißend. Das war es, was aus Wei Wuxian geworden war. Mit dieser Überzeugung war endlich Ruhe eingekehrt in sein Gemüt und er hatte Wei Wuxian dreizehn Jahre lang aus ganzem Herzen hassen können für all das, was dieser Bastard ihm genommen hatte.

Bis er wieder aufgetaucht war und sein penibel zurechtgelegtes Weltbild aus den Fugen brachte. Mit seiner immerwährenden dämlichen Angst vor Hunden, seiner Sorge um Jin Ling. Der erneuten Eskalation am Grabhügel und seiner dummen Aktion mit dem Geister-anziehenden Talisman als der ewige Märtyrer, der er war.

Und als wäre dem nicht schon genug, tauchte diese Pest von einem Wen mit Suibian auf und schleuderte ihm die Wahrheit über den goldenen Kern seines einstigen Bruders ins Gesicht.

Es hatte die ganze verfickte Welt auf den Kopf gestellt! Jiang Cheng wusste nicht mehr, was er tun oder auch nur denken sollte. Er wollte sich diesen Frust von der Seele schreien. Seine Hände um eine Kehle schließen, bis all der Zorn aus ihm geblutet wäre. Nur um wessen? Wen Nings? Hanguang Juns? Wei Wuxians? Für die Albträume, die dieser Bastard ihm bescherte? Seit einem halben Jahr hatte Jiang Cheng keine ruhige Nacht mehr verbracht, Übelkeit und Herzrasen waren seine ständigen Begleiter.

“Und dann besitzt du auch noch die Dreistigkeit, einfach deines Weges zu gehen. Und ich? Was soll ich bitteschön tun? Egoistischer Bastard!”

Doch Suibian blieb so stumm wie eh und je. Langsam verebbte Jiang Chengs Zorn und ihm wurde wieder klar, wie lächerlich er sich benahm. Zum Glück schlief der Lotus-Pier um diese Zeit, und die gesamte Jiang-Residenz sowieso.

“Wasser-Ghouls greifen an!”, schallte es plötzlich durch die Nacht.

“Wo ist Clanführer Jiang?”

Sofort entwickelte sich ein ganzes Chaos aufgeregter Stimmen.

“In seinen Gemächern habe ich ihn nicht gefunden!”

“Sucht weiter!”

Jiang Chengs rechte Augenbraue zuckte.

Wasser-Ghouls?

Solch ein Aufstand wegen ein paar Wasser-Ghouls? Wofür trainierten sie eigentlich, wenn wegen jeder Lappalie nach ihm geschrien wurde?!

Unfähiges Pack! Ab morgen wird das Trainingsprogramm verdoppelt!

Ruckartig stand er auf, drauf und dran, in sein Zimmer zurückzustürmen, um sich Sandu zu schnappen. Doch nach dem ersten Schritt hielt er inne. Zögerlich warf er einen Blick über die Schulter zurück, wo Suibian  auf seinem Ständer ruhte und Wei Wuxians Stimme ihm einladend zuflüsterte: ‘In Zukunft wirst du der Clanführer sein und ich bin dein Untergebener. So wie Gusu Lan seine zwei Jadeprinzen hat, hat der Yunmeng Jiang-Clan seine zwei stolzen Helden!’

Jiang Cheng schnalzte brüsk mit der Zunge.

Wird Zeit, dass du dein Versprechen einlöst, Bastard.

In einer fließenden Bewegung ergriff er das Schwert und stürmte nach draußen, um der nächtlichen Störung ein Ende zu bereiten.

Langya

“Sizhui? Bist du liebeskrank? Trinkst du heimlich Emperor’s Smile?”, neckte Wei Wuxian seinen Schüler lautstark, als er die Tür zum geschäftigen Studierzimmer aufriss, und genoss es, wie sein Ziehsohn schlagartig die Farbe einer gekochten Garnele annahm.

“N-nein! Verehrter Senior Wei, bitte verzeiht diesem unnützen Schüler, dass der Abschlussbericht immer noch nicht fertig ist.”

Hastig sortierte Lan Sizhui die Blätter neu, die er bei Wei Wuxians effektvollem Eintritt durcheinandergewirbelt hatte. Bei seinem Studium zum Gruppenführer machte er gute Fortschritte, weshalb er seit neuestem für die Zusammenfassung der Erkundungsberichte der jüngeren Kultivierer verantwortlich war. Von der Neugier gepackt, spähte Wei Wuxian über die zahlreichen Zettel. Mit so vielen Berichten hätte er gar nicht gerechnet.

“Was hält dich denn so lange auf?”

“Vielleicht bin ich nur übermäßig nervös, aber irgendetwas stimmt nicht”, erklärte sein Schüler, dankbar für den Themenwechsel. “Bei Guangling wurde ein Massengrab geschändet.”

Wei Wuxian zog eine Augenbraue hoch, forderte Sizhui stumm auf fortzufahren. Dieser reichte ihm eines der Blätter und erklärte: “Es gibt dort nichts zu plündern. Keiner der Toten hat Angehörige, nicht einmal ein anständiges Grab. Es ist ein Friedhof für Heimatlose, Ausgestoßene und Verbrecher. Einzig Kultivatoren, wenn sie entsprechend entlohnt werden, betreten gelegentlich den Friedhof, um die negative Energie ein Stück weit zu neutralisieren. Sonst wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sie Zombies, Monster oder Yao hervorbringt. Aber seit der Plünderung ist die gesamte dunkle Energie wie weggefegt. Es heißt, das Qi sei dort im Moment so rein wie bei unseren Gräbern.”

“Oho!” Wei Wuxians zweite Augenbraue wanderte ebenfalls in die Höhe. Er stützte sich auf seinen rechten Ellbogen, machte es sich bequem. Das hier könnte eine längere Unterhaltung werden.

“Dann das hier.” Sizhui reichte ihm zwei weitere Blätter. Während Wei Wuxian sie überflog, hörte er mit einem Ohr den Ausführungen seines Schülers zu.

“In den Wäldern um Lanling wurden seltsame Tierkadaver gefunden.”

“Inwiefern seltsam?”

“Vögel, Nagetiere, zwei Marderhunde und ein Reh. Ein ziemlich junges sogar, und gesund. Die Todesursache aller Tiere ist unklar. Das Reh hatte eine Bisswunde am Hals, aber nicht lebensbedrohlich. Das kommt in der Natur bei Revierkämpfen oder Fressfeinden öfter vor. Darüber hinaus gibt es keinerlei Anzeichen, woran die Tiere gestorben sein könnten. Aber sie alle wirkten … ausgezehrt. Vertrocknet. Und auch sie strahlten keinerlei negative Energie aus.”

“Interessant!” Wei Wuxians Feuer war entfacht. “Körper, die eines unnatürlichen Todes gestorben sind, strahlen normalerweise besonders viel negative Energie ab, da die Todesumstände mit viel Leid, oft auch Rachegelüsten verbunden sind. Tiere sind da nicht anders als Menschen. Du vermutest also, das hängt mit dem Friedhof zusammen?”

Sizhui nickte fest.

“Ein Friedhof, auf dem es nichts zu plündern gibt, gesunde Tiere, die ohne ersichtliche Verletzung sterben. Und alle strahlen Yang aus. Das kann kein Zufall sein. Also habe ich nachgeforscht. Aber es gibt keinerlei Berichte, dass in den letzten Wochen oder Monaten Kultivatoren diese Gegenden bereist und das Tierreich geläutert hätten.”

“Kultivatoren könnten das negative Qi reinigen”, stimmte Wei Wuxian seinem Schüler zu. “Aber wozu sollte sich irgendjemand mit Kleintieren aufhalten? Und von einem weiteren Heiland wie unserem Lan Zhan hätten wir gehört.” 

Sizhui nickte. “Solange diese Tiere keine Bedrohung für Menschen darstellen, wird niemand nach einem Kultivator schicken. Es ist erstaunlich, dass sie den einfachen Menschen überhaupt aufgefallen sind.”

“Wer hat sie denn entdeckt?”

“Dorfbewohner, die in der Nähe der verendeten Tiere leben. Jingyi hat auf einer Patrouille mit einem Mann gesprochen, dessen Sohn die toten Vögel eingesammelt hatte. Der Junge hatte die Tiere wohl als Spieltrophäe mit nach Hause gebracht, aber dem Vater war der unerklärliche Tod unheimlich. Sie haben die Tiere dann auf den Misthaufen geworfen, wo Jingyi sie inspizieren konnte und die fehlende negative Energie festgestellt hat.”

“Einen Kultivator können wir also wahrscheinlich ausschließen. Hast du noch andere Vermutungen?”, nahm Wei Wuxian den vorherigen Faden der Unterhaltung wieder auf. Sizhui zögerte.

“Vielleicht …”

“Hm?”

“Vielleicht gab es aber doch einen Kultivator, der sich um die Tiere gekümmert hat”, setzte Sizhui schließlich zögerlich fort. “Aber das Massengrab …” Er schüttelte den Kopf. “Es ergibt keinen Sinn. Warum sollte ein Kultivator einen Friedhof für Verbrecher aufgraben, bevor er den dortig angestauten Groll neutralisiert?”

Wieder blickte Sizhui auf seine Unterlagen, biss sich in angestrengtem Nachdenken auf die Unterlippe.

“Wenn ich es gewesen wäre, hätte ich euch mitgenommen!”, scherzte Wei Wuxian.

“Ich weiß”, antwortete Sizhui unverändert ernst. “Der Kultivator - wahrscheinlich war es ein Kultivator - ist auch längst tot.”

Er überreichte Wei Wuxian ein weiteres Dokument.

“Nahe Shangqiu wurde ein menschlicher Leichnam gefunden. Gleiche Umstände wie die Tiere in der Ostregion. Zum Zeitpunkt der Entdeckung war der Körper bereits bis zur Unkenntlichkeit verrottet, die Kleidung war kaum noch zu erkennen. Aber an den Rändern der Ärmel waren Ansätze eines Wolkenmusters zu erkennen und der Gürtel hatte eine dunkle Farbe, möglicherweise violett. Es könnte sich um einen Kultivator der Moling Su-Sekte gehandelt haben.”

“Habt ihr schon dort nachgefragt?”, hakte Wei Wuxian nach.

“Vorgestern, ja. Offenbar wird tatsächlich ein Clanmitglied vermisst. Und sie haben uns beschuldigt, dafür verantwortlich zu sein.”

Ein frustriertes Seufzen folgte, das in einen gequälten Ausdruck überging.

“Verehrter Senior Wei, ich fürchte, ich habe ein Hornissennest aufgestochen.”

Doch Wei Wuxian machte eine abtuende Handbewegung.

“Gegen Leute, die nur Streit suchen, keine Gerechtigkeit, ist kein Kraut gewachsen. Irgendeinen Anlass finden die immer. Diskussionen bringen dich hier nicht weiter, also konzentriere dich einfach auf das, was du tun kannst. Wenn es dir gelingt, diesen Fall aufzuklären, verlieren sie ohnehin ihre Angriffsgrundlage.”

Sizhui nickte, die Funken seines Eifers erneut geschürt.

“Also diese Person ist ebenfalls gestorben, ebenfalls ohne einen Rest von Groll, und der Reaktion der Moling Su-Sekte nach muss es sich um einen ihrer Kultivatoren gehandelt haben”, fasste er noch einmal zusammen. “Ein Problem ist, dass alle bisher gefundenen Kadaver bereits so gealtert waren, dass sich nicht konstruieren lässt, in welcher Reihenfolge sie gestorben sind, welche Route dieses Unheil eingeschlagen hat. Ich kann nur das ungefähre Gebiet eingrenzen, und das erstreckt sich von Moling über Shangqui bis nach Langya.”

“Was habt ihr denn in Langya gefunden?”

Langya lag unmittelbar vor Langling - direkt vor Jin Lings Haustür. Sein Neffe hatte es unter den claninternen Machtkämpfen und Jin Guangyaos Skandalen schwer genug. Wei Wuxian wollte ungern eine weitere Sorge in Jin Lings Umgebung wissen.

“Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, ob Langya mit diesen Vorfällen zusammenhängt”, begann Sizhui. “Über einen Kadaver ohne negative Energie wurde dort noch nicht berichtet. Aber ein riesenhaftes Wildschwein hat wohl den örtlichen Friedhof zerstört und auch in der Stadt gewütet. Die Residenz der Kaufmannsgilde wurde zerstört, und ein Freudenhaus.”

“Geiz, unglückliche Frauen und niederträchtige Freier”, griff Wei Wuxian Sizhuis Gedankengang auf, woraufhin dieser nickte. “Orte mit starker Negativität.”

“Gab es Opfer?”, hakte Wei Wuxian nach.

“Über zwanzig. Fünf Wachposten, die die Gilde gesichert hatten, acht Händler sowie neun Frauen und Männer des Freudenhauses. Dann traf wohl Verstärkung vom Langling Jin-Clan ein, aber das Wildschwein hat sie ebenfalls verletzt und konnte fliehen. Später sind die beiden Kultivatoren ihren Verletzungen erlegen.”

Die Aufzählung wischte den Schalk aus Wei Wuxians Gesicht. “Das ist ein beträchtlicher Schaden.”

Seine Gedanken waren bei Jin Ling, seinem Neffen, und den zahlreichen Gefahren, in denen er jedes Mal nur um Haaresbreite mit dem Leben davongekommen war. Im Kampf gegen die göttliche Statue auf dem Berg Dafan. Im Säbelgrab des Nie-Clans. In der Geisterstadt Yi. Im Guanyin-Tempel. Jin Ling hatte einen äußerst ungesunden Drang, sich beweisen zu müssen, und überschätzte sich dabei regelmäßig. Jetzt, wo das Amt des Clanführers auf seinen Schultern lastete und die Schmach seines Vorgängers und Onkels Jin Guangyao zu einem vernichtenden Schwund an Mitgliedern geführt hatte, konnte diese Angewohnheit nur schlimmer geworden sein. Und Hilfe? Selbst wenn Jin Ling nicht zu hochmütig wäre, sie zu erbitten, würde niemand diesem Clan, der zum Gespött der gesamten Kultivatorenwelt geworden war, zu Hilfe eilen.

“Du hast recht, dass die Hinweise zu dünn sind, um sie zweifelsfrei mit dem fehlenden negativen Qi in Zusammenhang zu bringen. Aber ich würde mir dieses Wildschwein trotzdem gern ansehen.”

Wei Wuxian erhob sich und mit dieser fließenden Bewegung kehrte auch das übermütige Grinsen in sein Gesicht zurück. “Lust, einen Freund zu besuchen?”

Sizhui erwiderte den Blick mit einem aufrichtigen Lächeln. “Er wird nicht begeistert sein.”

“Hält dich das davon ab?”

Sizhui gluckste. “Nein. Ich gebe Jingyi Bescheid. Aber Onkel Ning lassen wir diesmal lieber zu Hause. Ich möchte ihn ungern in der Nähe wissen, falls sich dort doch das Groll fressende Monster herumtreibt.”

Hilferuf

Langya bot einen wahrlich bemitleidenswerten Anblick. Der Trümmerhaufen, welcher einst die Residenz der Kaufmannsgilde gewesen war, wirkte eher, als sei sie vom Xuanwu des Gemetzels niedergetrampelt worden als von einem Wildschwein. Wie groß muss dieses Tier gewesen sein? Das Bordell sah kaum besser aus. Und zahlreiche weitere Schäden wie knöcheltiefe Furchen in der Straße, niedergerissene Zäune, eingeknickte Balken und Dächer und Dellen in Häuserwänden zeugten von dem Weg, den das Ungetüm durch die Stadt genommen hatte. Vor dem Krankenlager stapelten sich die Verletzten, obdachlos Gewordene bettelten um eine Schüssel Reisbrei. Kinder weinten, den Alten stand noch immer das Grauen ins Gesicht geschrieben.

“Ich kann kaum in Worte fassen, wie viel uns Euer Erscheinen in unserem unbedeutenden, ärmlichen Ort bedeutet. Es ist mir äußerst unangenehm, den hochverehrten Gusu Lan-Clan um Hilfe zu bitten, ohne eine angemessene Belohnung in Aussicht stellen zu können.”

Ohne Unterlass verbeugte sich das Stadtoberhaupt, während er Wei Wuxian, Lan Wangji, Lan Sizhui und Lan Jingyi zu den Schauplätzen des Unglücks führte. Wei Wuxian blieb vor dem zerstörten Tor der Kaufmanns-Residenz stehen und fuhr mit den Fingerspitzen die tiefen Kerben im Holz nach. Sie passten zweifelsfrei zu den Hauern eines Ebers, waren aber weit tiefer als gewöhnlich und in Hüfthöhe, nicht wie zu erwarten zwischen seinen Knöcheln und Schienbeinen. Das Tier musste mindestens doppelt so groß sein wie seine Artgenossen.

“Überlasst dieses Wildschwein Lan Zhan und mir”, wies Wei Wuxian seine beiden Schüler an. Sowohl die physische Konstitution als auch der Grad der Kultivierung der beiden waren nicht zu unterschätzen, doch beim Anblick dieser Schäden und der Erinnerung daran, dass bereits zwei Kultivatoren ihr Leben an dieses Wesen verloren hatten, kam er nicht umhin, ein flaues Gefühl in der Magengegend zu verspüren. Jingyi wirkte alles andere als begeistert und holte bereits Luft, um zu protestieren, doch Sizhui trat mit einem schnellen Schritt vor ihn und verbeugte sich vor den beiden Älteren.

“Das Dorf braucht Hilfe. Ich werde mich im Lazarett erkundigen, wie ich mich nützlich machen kann.”

Lan Wangji deutete ein Nicken an. “Gute Entscheidung.”

Damit war Jingyi der Wind aus den Segeln genommen. Schmollend, aber zumindest seinen Protest einstellend, fügte er hinzu: “... Ich helfe beim Wiederaufbau.”

Wei Wuxian grinste und wuschelte beiden, sehr zu deren Verdruss, durch die Haare.

“Macht Gusu Lan stolz!”

Kaum dass ihre Schüler verschwunden waren, wandte Wei Wuxian sich voller Vorfreude an seinen Liebsten. Sein Herz schlug höher bei der Aussicht auf eine gemeinsame Jagd - nur sie allein. Wie lange waren sie nicht mehr in diesen Genuss gekommen? Er wollte gerade den Mund öffnen, als am Himmel über dem Wald eine riesige goldene Pfingstrose aufleuchtete.

Das Notsignal des Lanling Jin-Clans!

Jin Ling!

“Lan Zhan!”

Erschrocken griff Wei Wuxian nach der Hand seines Partners, doch dieser blieb stehen.

“Wei Ying.”

Einen Augenblick spiegelte sich Verwirrung in Wei Wuxians Blick, doch dann begriff er. Sie wussten zu wenig über die Situation. Sie wussten nicht, ob Jin Ling an dieses Wildschwein geraten war oder ob diese Notsituation anderer Natur war. Das Wildschwein könnte sich weiterhin in der Nähe des Dorfes aufhalten. Ebenso wenig war auszuschließen, dass es die einzige Bedrohung in der Umgebung war. Sie konnten Langya nicht unbewacht zurücklassen.

Wei Wuxian nickte.

“Ich verfolge das Notsignal, du bewachst die Stadt.”

Lan Zhans Blick zeigte Zuneigung und einen Hauch Sorge.

Pass auf dich auf.

Mittlerweile verstand Wei Wuxian Lan Wangjis subtile Mimik genug, um nicht mehr auf die Übersetzungen von dessen Bruder Lan Xichen angewiesen zu sein. Er streckte sich nach vorn, hauchte seinem Partner einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und stürmte los.

Gefahr

Der Wald war totenstill. Als hätte sich sämtliches Leben versteckt vor der Gefahr, die ihn heimsuchte. Das völlige Ausbleiben von Kampfgeräuschen ließ Wei Wuxian das Schlimmste befürchten. Hektisch tasteten seine Blicke den Waldboden ab, während er in schwindelerregender Höhe im Zickzack durch das Geäst sprang.

Wo war nur Jin Ling?!

Wei Wuxian konnte ihn unmöglich übersehen haben und er musste dem Ausgangspunkt des Signals sehr nah sein.

Da!

Einige hundert Meter entfernt entdeckte er rechter Hand auf einer felsigen Lichtung einen reglosen Körper. Wei Wuxians Herz setzte aus. Ein ersticktes “Jin Ling!”entkam seiner Kehle, und mit einem letzten halsbrecherischen Sprint war er an seinem Ziel. Er ergriff den regungslosen  Arm - und taumelte vor Erleichterung, als er den stabilen Puls und den ruhigen Fluss des Qi unter seinen Fingern spürte. Auch Jin Lings Atmung war ruhig und gleichmäßig.

“Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein, Junge.”

Wei Wuxian inspizierte Jin Lings Erscheinung. Sein Hanfu war an einigen Stellen schmutzig und zerrissen, auch die rechte Schulter und der linke Unterarm trugen Kratzer davon. Sie waren angefüllt mit negativer Energie, die sich langsam, aber stetig in Jin Lings Körper vortastete. Sein Torso war unversehrt geblieben, aber sein rechtes Bein wies ebenfalls verseuchte Kratzer auf. Suihua lag gezogen neben seinem rechten Arm. Irgendetwas hatte Jin Ling angegriffen, doch er hatte sein Leben verteidigt und den Angreifer in die Flucht geschlagen. Die Verletzungen, die er bei dem Aufeinandertreffen davongetragen hatte, waren vergleichsweise milde und konnten mit einer Reisbrei-Kompresse gut behandelt werden. Einzig um Jin Lings Kopf machte Wei Wuxian sich Sorgen. Möglicherweise hatte er sich bei seinem Sturz verletzt.

Vorsichtig tastete er sich an Jin Lings Schläfe entlang, schob erst Finger, dann die Handfläche seiner rechten Hand unter den Hinterkopf, inspizierte mit seiner linken Hand den Nacken. Er erspürte eine kleine Platzwunde und ließ heilendes Qi durch seine Finger fließen. Die leichten Bewegungen schienen bereits genug Reiz zu sein, um den Jungen erwachen zu lassen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, bildeten tiefe Furchen zwischen den Augen, die sich, begleitet von einem benommenen Stöhnen, flatternd öffneten. Kurz irrte sein Blick hin und her, doch dann sah er Wei Wuxian, erkannte ihn. Überraschung schlug in Verzweiflung um, Tränen brachen ungehemmt an die Oberfläche, Hände krallten sich in Wei Wuxians Hanfu.

“ONKEL!”

Wie Eiswasser ergoss sich das Wort über ihn.

Was?

“Hilf ihr! BITTE! Ich- OHMEINGOTT-”

“Beruhige dich, Jin Ling!”, unterbrach Wei Wuxian ruhig, aber eindringlich das zusammenhanglose Gestotter. “Wer braucht Hilfe?”

“Fairy!”, heulte Jin Ling auf. Seine in Wei Wuxians Kragen gekrallten Fäuste bebten, seine Atmung wurde stockend, flach, doch noch immer überschlug sich seine Stimme. “Verletzt! Ich habe- Ich- ICH WOLLTE NICHT-!”

Wei Wuxian spürte, wie die negative Energie an Jin Lings Wunden erwachte, mit Eifer an seinem geschwächten Wirt zu zehren begann.

Nicht gut.

Jin Lings bisher recht stabiler Zustand schlug ins Bedrohliche um. Mit einem gezielten Schlag in den Nacken beförderte Wei Wuxian ihn zurück in die Bewusstlosigkeit. Eine andere Möglichkeit, seinen Geist augenblicklich in einen ruhigen Zustand zurückzuversetzen, sah er nicht. Doch statt sich wieder zu beruhigen, wurde die negative Energie nur noch unruhiger.

Was zum-?!

Sie fing an, nach Wei Wuxians Qi zu lecken! Wei Wuxian hatte noch nie solch eine aktive, ja, regelrecht lebendige Form von negativer Energie erlebt. Vielleicht konnte er sie aus Jin Lings Körper herauslocken? Er konzentrierte einen Teil seines Qi in seiner Handfläche und tatsächlich, die negative Energie in Jin Ling begann, sich nach dieser Quelle auszurichten. Jedoch weigerte sie sich, den Körper des Jungen zu verlassen und griff erneut die Energie des Jungen an, wenn er sich zu weit wegbewegte. Offenbar war sie sehr vorsichtig. Dann blieb ihm im Moment nur eines. Er legte sein eigenes negatives Qi über die Wunden, band es an diese peripheren Regionen und versah es mit genügend Intensität, dass es nicht von dieser fremden Macht überwältigt werden würde. So konnte er diese seltsame Energie in Jin Ling zumindest in Schach halten, bis sie zurück in Langya waren.

Wei Wuxian richtete sich auf und ordnete die wenigen Informationen, die er hatte. Dem Hund war etwas zugestoßen. Ausgerechnet dem Hund. Wei Wuxian war zum Heulen zumute. Ausgerechnet Jin Lings Hund. An jede andere dieser Bestien hätte er keinen weiteren Gedanken verschwendet, aber ihm war klar, dass dieser spirituelle Hund Jin Lings einziger Rückhalt in Langling war, wenn Jiang Cheng ihn nicht gerade besuchte. Und das konnte wahrlich nicht oft der Fall sein. Als Clanführer besaß Jiang Cheng ebenso wenig wie Jin Ling die Freiheit, zu kommen und zu gehen, wie ihm beliebte. Und wie sollte er Jin Lings gebrochenen Anblick ertragen, sollte dem Hund etwas zugestoßen sein?

Mit zittrigen Beinen und klopfendem Herzen wandte Wei Wuxian sich um. Aus dem Felsen, der in die kleine Lichtung hineinragte, gähnte ihm ein dunkler Höhlenschlund entgegen. Die Spur negativer Energie, die in ihn hineinführte, ließ keinen Zweifel daran zu, wo er die Gefahr und Jin Lings Hund finden würde.

Er schluckte hart. Chenqing fest umklammernd, zwang er seine Beine, sich in Bewegung zu setzen.

Wie sehr er es bereute, Lan Zhan in Langya zurückgelassen zu haben!

Sorge

Als die Nachricht vom Angriff auf Langya Jiang Cheng erreichte, versteinerte seine Miene.

Jin Ling.

Er wollte nicht wie eine Glucke wirken. Aber wann immer Jin Ling in Gefahr geraten könnte, umkrallte eine unbeschreibliche Ohnmacht sein Herz und sein Kopf malte sich die wildesten Horrorszenarien aus, wie er auch das letzte Mitglied seiner Familie verlor - den Jungen, den er zur Hälfte selbst aufgezogen hatte.

Konnte er nach Lanling reisen? Es würde seinen Clan verletzlich machen. Der Yunmeng Jiang-Clan hatte in den letzten Jahren ganz guten Zulauf erhalten, jüngst nicht zuletzt durch den Fall des Lanling Jin-Clans, doch seit die Zeiten mehr oder minder friedlich geworden waren, waren die Mitglieder einfach nicht mehr aus demselben Holz geschnitzt wie früher. Sie hatten keine höheren Ambitionen. Sie hängten sich nicht mehr so ins Training rein. Sie machten kaum Fortschritte. Und sie waren unselbstständig. Gut, für die paar Tage, die er in Lanling sein würde, konnte er den Clan getrost seiner rechten Hand, Shou Duanhai, und Dan Xiandan, dem ältesten Schüler überlassen. Aber was ihm am meisten Kopfzerbrechen bereitete, war der Besuch des Runan Wang-Clans, der in drei Tagen bevorstand. Es würde schwierig werden, rechtzeitig zurück zu Hause zu sein.

Und schließlich war da noch Jin Ling. Wie machte er seinem Neffen den plötzlichen Besuch, noch dazu gerade während dieser brenzlichen Zeit, klar, ohne wie eine besorgte Mutter zu klingen?

“Clan-Führer Jiang, Ihr solltet nach dem Rechten sehen. Wir werden schon auf den Pier und Yunmeng aufpassen”, ermutigte ihn Shou Duanhai, der ihm die Nachricht überbracht hatte. Jiang Cheng maß ihn mit einem abschätzigen Blick.

“Das hast du nicht zu entscheiden.”

Er wedelte mit seiner Hand, um seinem Bediensteten zu signalisieren, dass dieser sich nun entfernen könne. Es gefiel Jiang Cheng nicht, dass Shou Duanhai ihm seine Gedanken so leicht am Gesicht ablesen konnte. Aber er war ein fähiger Mann, der ihn noch dazu schon lange kannte - länger als jeder andere des Clans. Er stammte aus Yunmeng, hatte die Zerstörung durch die Wen vor vierzehn Jahren aus nächster Nähe miterlebt und sich als einer der ersten gemeldet, um beim Wiederaufbau zu helfen und das Kultivieren zu lernen. Seine spirituellen Fähigkeiten waren nicht herausragend, aber er kompensierte es mit Erfahrung und einer guten Beobachtungsgabe. Es war wohl kein Wunder, dass ihm Jiang Chengs Gedanken nicht verborgen geblieben waren. Und vielleicht hatte er ja recht. Er würde bei Rulan Wang anfragen, ob sich deren Besuch um zwei Tage verschieben ließe. Und sollte das nicht gehen, so müssten Shou Duanhai und Dan Xiandan ihre Gäste die Anfangszeit bewirten. Es wäre vielleicht eine gute Gelegenheit für die Jüngeren, um neue Erfahrungen zu sammeln.

Jiang Cheng machte sich auf den Weg in seine Residenz, Vorbereitungen treffen. Auf dem Weg dahin gab er Anweisungen an die Bediensteten.

“Sendet eine Mitteilung nach Lanling, dass ich in zwei Tagen in der Nähe sein werde. Morgen breche ich auf. Verstärkt die Verteidigungsanlagen. Bereitet die Quartiere für die Ankunft des Rulan Wang-Clans vor. Ich bin in ein paar Tagen zurück. Und sollte ich irgendjemanden erwischen, der sein Training vernachlässigt hat, breche ich ihm die Beine!”

“Zu Befehl, Clanführer Jiang!”

Die Bediensteten stoben auseinander.

Jiang Cheng erreichte sein Zimmer. Aus dem Schrank suchte er einen unbenutzten Geister-Beutel und einen Speicher-Beutel, dazu ein kleines Säckchen für Heilkräuter. Seinen Talisman-Vorrat musste er auch aufstocken. Aber zuerst war das Schreiben an den Rulan Wang-Clan aufzusetzen. Und … Sein Blick glitt über Suibian.

Das Schwert sollte er wohl polieren. Die Gespräche, die er mit Wei Wuxian geführt hatte, hallten in seinen Ohren wider. Wei Wuxian hatte seine Penibilität bei der Schwertpflege stets belächelt.

‘Wie oft polierst du dein Schwert denn noch?’

‘Dreimal am Tag. Und du? Wann hast du dein Schwert das letzte Mal poliert?’

Das vertraut gewordene schlechte Gewissen schnürte ihm die Brust ein.

Suibian war wie ein Teil seines Körpers! Und er hat keine Gelegenheit für einen Zweikampf ausgelassen. Warum bin ich nicht skeptisch geworden, als er so plötzlich vorgab, jegliches Interesse verloren zu haben?

Doch die Gewissensbisse bezogen sich nicht allein auf Wei Wuxian. Sein Blick wanderte weiter, auf den dahinterliegenden Schwertständer, den eigentlichen Herrn dieses Hauses: Sandu. Wie ein Beschützer ragte Suibian vor ihm auf, ein Vasall, der keine Gefahr zu seinem Herrn hindurch lassen würde. Dafür war aus der ehemals gefürchteten Klinge ein betagter, träger Mönch geworden, der kaum noch das Tageslicht erblickte.

‘Ich hab es in mein Zimmer geworfen. Einmal im Monat reicht’, hallte der Rest ihres Arguments zur Schwertpflege in Jiang Chengs Ohren nach.

Mit einer tiefen Verbeugung entschuldigte sich Jiang Cheng bei seiner Klinge - und seinem Vater, der sie ihm geschenkt hatte. Er würde heute beide Schwerter polieren. Das war das Mindeste, was er tun konnte, wenn er es momentan schon nicht fertig brachte, sein eigenes Schwert mit sich zu führen.

 

Jiang Cheng war geradewegs zu Goldschuppenplateau geflogen, nur um unverrichteter Dinge wieder umzukehren. Der Clanführer sei nicht zu Hause, hieß es. Jagte derzeit ein mutiertes Wildschwein.

Nun zog Jiang Cheng Kreise über den Baumwipfeln und hielt Ausschau nach seinem Neffen. Wo steckte dieser Bengel nur?

Etwas Dunkles erregte seine Aufmerksamkeit. Suibian beschrieb einen Bogen und steuerte auf den großen zottigen Kadaver am Waldboden zu. Es musste sich um das Wildschwein handeln, welches Langya angegriffen hatte. Es war wahrhaft gigantisch. Seine Borsten waren büschelweise ausgefallen, die Haut darunter war trocken und ansatzweise ledrig. Ein beißender Geruch lag in der Luft, und Jiang Cheng wollte den Berg von einem Leichnam nicht einmal mit seiner Schuhspitze berühren aus Angst, irgendeine faulige Blase aufplatzen zu lassen und vor lauter Gestank sein Frühstück wieder herauszubringen.

Trotz allen Ekels zwang er sich jedoch dazu, nicht einfach kehrt zu machen und den Kadaver sowie seine Umgebung genauer zu inspizieren. Nicht nur der Zustand des Kadavers war ein einziger Widerspruch - von ihm ging auch keinerlei negative Energie aus. So sehr er sich auch konzentrierte, das Tier war rein. Die gesamte Umgebung wies kaum eine Spur Negativität  auf. Das konnte nicht sein. Positive Energie konnte nicht allein existieren. Bei einem Wesen, das eines unnatürlichen Todes gestorben war, schon gar nicht. Und kein Groll verflüchtigte sich einfach so. Es dauerte lange, bis er sich unter natürlichen Bedingungen zersetzt hatte.

Ein goldenes Aufleuchten am Himmel unterbrach Jiang Cheng in seiner Inspektion.

Eine goldene Pfingstrose. Das Wappen des Lanling Jin-Clans.

Eisige Furcht umklammerte Jiang Chengs Herz und Kehle.

Jin Ling!

Suibian schoss wie ein roter Blitz aus seiner Scheide, doch als Jiang Cheng aufspringen wollte, hielt ihn ein stechender Schmerz am Knöchel zurück.

Das fehlte gerade noch!

Eine Schlange hatte sich in seinem Fuß verbissen. Solch ein schwaches Tier hätte eigentlich überhaupt nicht in der Lage sein sollen, das Leder seiner Stiefel zu durchbohren. Und nicht nur das: Neben dem Gift spürte Jiang Cheng, wie noch etwas anderes über die Wunde in seinen Körper strömte - dunkle Energie. Dieses Tier war verseucht davon!

Was stimmt mit diesem Wald nicht?!

Ein Hieb von Suibian und Schlangenkopf und -körper fielen reglos zu Boden, doch der Schaden an seinem rechten Fuß war bereits angerichtet. Das Gift brannte und fraß sich zusammen mit der negativen Energie höher. Hastig riss Jiang Cheng den Stiefel herunter, löste sein Haarband, schnürte seinen Knöchel ab und schnitt eine tiefe Wunde quer über die Bisswunde. Er regulierte seine Atmung, zwang seinen Kreislauf zur Ruhe. Die Bisslöcher befanden sich an der Außenseite seines Fußes, er erreichte sie nicht, um das Gift herauszusaugen. So konnte er nur mit weiteren Schnitten und massierenden Bewegungen nachhelfen, um möglichst viel Blut herauszudrücken. Doch noch immer quollen dichte Schwaden dunkler Energie aus dem zerschnittenen Schlangenkörper, griffen nach seiner Wunde, versuchten weiter vorzudringen. Er zog eine Handvoll Geister-anziehende Talismane aus seinem Ärmel, klatschte sie auf den Schlangenkörper und atmete erleichtert auf, als die dunklen Schwaden sich zurückzogen, seinen Körper verließen, sich in der Schlange konzentrierten.

Wenigstens  etwas  Nützliches, das dieser Idiot zustande gebracht hat.

Kaum dass der letzte Rest seinen Körper verlassen hatte, hob er Suibian, jagte so viel Qi in seine Klinge, dass seine rote Aura fast weiß erstrahlte, und ließ sie niederschmettern. Als der Staub sich legte, waren Schlange, Talismane und die negative Energie restlos verschwunden. Mit einem erschöpften Ausatmen ließ Jiang Cheng die Klinge sinken und widmete sich wieder seinem Fuß. Das Gift musste unter Kontrolle gebracht werden, sonst käme er hier nicht weg. Mit zwei routinierten Schlägen verschloss er die Druckpunkte für den Blutfluss um seinen Fuß, verzögerte so die Ausbreitung des Giftes, und versorgte zusätzlich die Wunde mit Heilkräutern aus seinem Speicher-Beutel. Es würde das Problem nicht lösen, seine Verschlimmerung aber zumindest lange genug hinauszögern, dass er sich zuerst dem dringlicheren Problem widmen konnte.

Jin Ling.

Jin Ling!!!

Konfrontation

“JIN LING!!”

Jiang Cheng heulte auf wie ein verletztes Raubtier, als er seinen Neffen bewusstlos am Boden liegen sah. Er sprang von Suibian, vergaß die Taubheit seines rechten Beines, stürzte neben dem Jungen ins Laub, rappelte sich wieder auf und überprüfte Atmung und Puls.

Nur bewusstlos.

Tränen der Erleichterung wollten sich einen Weg nach außen bahnen, doch Jiang Cheng verbot sich solch eine Sentimentalität und untersuchte Jin Ling weiter. 

Sein Atem stockte. Er wollte nicht glauben, was er hier spürte, doch die Tatsachen waren eindeutig.

Das ist Wei Wuxians Werk?!

Aus mehreren Wunden waberte tiefschwarze Energie. Ihre Signatur würde er überall wiedererkennen. Der Schmerz, der ob dieser Gewissheit sein Herz durchbohrte, ließ Jiang Cheng vollends begreifen, wie tief er Wei Wuxian wieder in sein Herz gelassen hatte, trotz aller Versuche, ihn und ihre schwierige Vergangenheit hinter sich zu lassen. Er hatte es nicht gekonnt. In seinem tiefsten Innern hatte er an Wei Wuxians Aufrichtigkeit glauben und die Zerrüttungen zwischen ihnen überwinden wollen. Doch nun lag diese Hoffnung endgültig in Trümmern.

Zittrig umklammerte er die bleiche, mit kaltem Schweiß überzogene Hand seines Neffen, presste sie gegen seine Stirn, verzweifelt um Fassung ringend, während die Welt um ihn herum zerbrach.

Er hatte Wuxian vertraut. Nach über einem Jahrzehnt, das er ihn als die Verkörperung des Bösen gehasst und für all das Unheil in der Nachtlosen Stadt, für Yanlis und ZiYuans Tod verantwortlich gemacht und als Verräter an seinem Clan, seiner Familie und an ihm selbst verabscheut hatte, hatte sich seine Sicht auf die damaligen Geschehnisse zu ändern begonnen. Und mit dem Eingeständnis, dass er ihm Unrecht getan hatte, waren die Gewissensbisse gekommen, welche ihn nun Nacht für Nacht heimsuchen.

Und jetzt?!

Jetzt kam er sich vor wie der dümmste, blindeste Narr, den die Kultivatorenwelt je gesehen hatte, und kauerte vor dem bewusstlosen Körper seines Neffen, seines letzten Familienmitglieds. Sein Herz und sein Verstand zerrissen einander in einem erbarmungslosen Kampf, so rasend, dass es ihm die Sinne raubte.

WARUM?!

Sollte tatsächlich alles, was Wuxian seit seiner Wiedergeburt getan hatte, reine Heuchelei gewesen sein? Ein Spiel zum Zeitvertreib? Ein perfider Plan, um sich dem wachsamen Auge der Gesellschaft zu entziehen und seine wahren Absichten verwirklichen zu können? Jin Guangyao hätte wahrlich nicht vor solchen Mitteln zurückgeschreckt, hätte Jiang Cheng sich ihm gegenüber eine Schuld aufgeladen, wie er sie gegenüber Wuxian trug. Doch sollte Wei Wuxian am Ende aus demselben Holz geschnitzt sein?

Doch je länger Jiang Chengs Blick auf der blassen, gegen die verfluchte Energie kämpfenden Gestalt seines Neffen ruhte, desto stärker sah er sich gezwungen, seinen Blickwinkel zu ändern.

Der Beweis, dass er sich geirrt hatte, lag vor ihm – und wäre wahrscheinlich nicht nur verwundet und bewusstlos, sondern tot, wenn ihm nicht ein großer Zufall zu Hilfe gekommen wäre. Wahrscheinlich hatte Fairy seinen Meister in letzter Sekunde beschützt und Wuxian in die Flucht geschlagen. Wäre Jin Ling tatsächlich gestorben – Jiang Cheng hätte diesen Verlust nicht überstanden. Das war auch Wei Wuxian klar. Und gäbe es eine bessere Chance, Jin Ling zu ermorden und ungeschoren davonzukommen als während einer Nachtjagd gegen solch ein Biest? Wahrscheinlich hatte dieser Leichenschänder bei diesem dubiosen Monster ebenfalls seine Finger im Spiel gehabt und das Ungetüm auf Langya losgelassen. Denn nach allem, was Wuxian selbst widerfahren war - wie könnte er nicht nach Rache dürsten?

“Wei Wuxian!!!”

Seine Zähne knirschten, die Knöchel seiner zitternden Fäuste knackten vor unterdrückter Wut. Wie gerechtfertigt Wei Wuxians Hass auf ihn auch sein mochte, er würde sich nicht fügen und auf seinen Tod warten. Und ganz sicher würde er Jin Ling nicht in diese Sache hineinziehen. Das betraf allein ihn und Wuxian. Und es würde heute enden.

Jiang Cheng streifte Zidian, den er inzwischen offiziell seinem Neffen vermacht hatte, von Jin Lings Finger und steckte ihn sich selbst an. Aus seinem Speicher-Beutel nahm er zwei reinigende Talismane, legte einen über Jin Lings Arm und einen über seine Schulter, wo die Verunreinigungen durch die negative Energie am intensivsten waren. Er aktivierte sie, erhob sich, zog eine schützende Barriere und ließ seinen Blick für einige weitere Augenblicke auf seinem Neffen verweilen. Dann riss er sich von dem Anblick los, folgte der dichten Spur negativer Energie bis zu einer nahen Höhle.

Bitterkeit verfinsterte seinen Blick, so wie sie ihn schon einmal umklammert hatte, als er, an einen Höhleneingang lehnend, zum letzten Gefecht gegen den Yiling-Patriarchen aufgebrochen war.

Zidian leuchtete gleißend hell auf, als er hineinstürmte. Der Bastard stand nur wenige Meter entfernt  und schien unvorbereitet.

“Jiang Cheng? Gott sei Dank bist du hier! Hier ist-”

Jiang Cheng gab nichts auf diesen lächerlichen Ablenkungsversuch und ließ die Peitsche niederschmettern. Doch statt seines Ziels sprengte Zidian lediglich eine tiefe Furche in den Fels. Wei Wuxian war im letzten Moment zur Seite gesprungen. Aber das würde ihm nicht immer gelingen.

“Was soll das?!”

Jiang Cheng ignorierte sein Schauspiel des Unschuldslamms. Ohne zu zögern zuckte Zidian erneut durch die Luft, ging krachend nieder, ließ die Höhle erzittern. Jedoch zerschlug er wiederum nur die Felswand. Wei Wuxian hatte sich erneut mit einem Hechtsprung in Sicherheit gebracht.

“JIANG CHENG!!! Bist du wahnsinnig?!”

“ICH bin wahnsinnig?!”, entfuhr es ihm, Zidian erneut nach seinem Ziel jagen lassend. “Wenn DU meinen Neffen ermorden willst?”

“Was…?” Wei Wuxian entgleisten die Gesichtszüge. “Jiang Cheng, bist du dumm?”

Wieder schlug die Peitsche in die Felswand ein, doch diesmal änderte Wei Wuxian seine Taktik. Kurz neben dem Einschlag kam er zum Stehen und packte Zidian mit der bloßen Hand. Ihre Qis explodierten, sandten mächtige Druckwellen durch den engen Raum.

“Wie kommst du auf so einen Irrsinn?!”, rief der Dämonenmeister entrüstet, doch von solch einem billigen Schauspiel würde Jiang Cheng sich nicht täuschen lassen.

“Dein Qi spricht für sich, Bastard!”, ließ er sich dennoch zu einer Erwiderung hinreißen.

“Ich musste es einsetzen, sonst-”

Jiang Cheng war diese Ausreden so leid! Ein weiterer mächtiger Schub seines Qi ließ Zidian gleißend aufleuchten, die Höhle erneut erbeben, und endlich begann sich das Blatt zu wenden! Wei Wuxian ging in die Knie, das Gesicht vor Schmerz verzerrt.

Doch plötzlich wurde aus dem Donnern ihrer aufeinanderprallenden Energien ein knirschendes Dröhnen und Bersten, das dem tiefsten Innern des Gesteins zu entspringen schien. Beide zuckten zusammen. Risse sprengten Wände und Decke, Erde und Steine rieselten herab als Vorboten dessen, was in wenigen Augenblicken auf sie niederstürzen würde. Vergessen war der Kampf, als sie gleichzeitig zum Sprint ansetzten, um der einstürzenden Höhle zu entkommen. Doch Jiang Cheng kam nicht weit. Ein gleißender Schmerz explodierte in seinem verletzten Knöchel und brachte ihn zu Fall. Sein frustrierter Fluch wurde von der donnernden Katastrophe verschluckt, die in diesem Moment über ihn hereinbrach. Decke und Wände gaben nach, doch hörte und spürte er mehr, als dass er sah, wie die Felsbrocken um ihn herum niedergingen; Erde und Staub nahmen ihm die Sicht. Verzweifelt bäumte er sich auf, doch ein Fels schlug in seinen Rücken ein und beförderte ihn zurück in den Staub.

Ich darf hier nicht sterben!

Wieder versuchte Jiang Cheng auf die Beine zu kommen, raus aus dieser Hölle, irgendwie, doch er konnte die aufkommende Panik nicht länger unterdrücken. Die Schmerzen und Atemnot übermannten ihn und führten ihm die Ausweglosigkeit seiner Situation unbarmherzig vor Augen.

Mit einem Ruck wurde ihm die Kehle zugeschnürt, etwas riss ihn von den Füßen und  wirbelte ihn durch die staubige, steinige Luft, während unzählige kanonenharte Hiebe und messerscharfe Schnitte auf ihn niedergingen. Sein rationaler Verstand verabschiedete sich vollends, sein Überlebensinstinkt übernahm die Kontrolle, trieb jede seiner Zellen zum Äußersten. Sein Körper war wie durch einen Immobilisierungszauber zusammengekrümmt, die Arme über seinem Kopf fixiert, sein Brustkorb presste erbarmungslos erstickende Staubluft in seine brennenden Lungen, verzweifelt gegen die übermächtige Naturgewalt kämpfend. Doch der Berg zahlte erbarmungslos heim, was man ihm angetan hatte.

Entscheidung

Plötzlich herrschte Stille. Einzig durchbrochen von dem hellen Surren in seinen Ohren.

Seine Ohren surrten. Er konnte Stille wahrnehmen.

Ich lebe noch.

Schmerzen begannen, durch seinen Körper zu pulsieren. Als hätte ihn eine Horde wilder Pferde niedergetrampelt. Und als stünden sie immer noch auf ihm.

Ächzend stemmte er sich auf seine Unterarme, bäumte sich auf. Gesteinsbrocken rollten von seinem Rücken und das Atmen wurde leichter, doch ein scharfer Schmerz in seinem Fuß ließ ihn sofort wieder zusammenzucken, gefolgt von einem Hustenanfall, der ihm erneut die Sinne schwinden ließ. Seine Lungen brannten von all dem Staub, den sie aufgenommen hatten und weiter aufnahmen. Hastig hielt er sich seinen Ärmel vor das Gesicht, doch es war ein harter und langer Kampf gegen die Atemnot und Übelkeit, bis er endlich die Kontrolle wiedererlangt hatte. Irgendwie schien bei diesem Kampf sein Fuß freigekommen zu sein, denn als Jiang Cheng matt auf den kalten Felsboden zurücksackte, war zwar der pulsierende Schmerz noch da, doch die peinigende Fessel war verschwunden. 

Er nahm sich Zeit für eine kurze Bestandsaufnahme. Das Geröll hatte ihn übel erwischt. Der Fuß war wahrscheinlich gebrochen. Gleichzeitig erschien es ihm wie ein schieres Wunder, dass er nicht vollends zerquetscht worden war. Offenbar hatten sich die Felsen so günstig um ihn herum verkeilt, dass ihm eine Nische zum Überleben geblieben war.

“Besser?”, vernahm er eine verhasst-vertraute Stimme. Mitleidig. Oh, wie er es verabscheute! Er hatte dieses verfickte Mitleid nicht nötig!

Seine zornesfunkelnden Augen wanderten nach oben und erst jetzt bemerkte er, dass die Umgebung von einem Feuertalisman zu Wei Wuxians Füßen notdürftig beleuchtet wurde. Doch selbst in diesem schwachen Licht erkannte er deutlich, wie mitgenommen auch Wuxian aussah. Seine Haltung war steif, das Gesicht angespannt, glänzend feucht und ein dünnes Rinnsal noch leicht schimmernden Blutes zog sich wie eine Furche von seiner linken Schläfe über das Kinn bis hinunter zum Hals.

Jiang Cheng ballte seine rechte Hand zur Faust, stemmte sich in die Höhe. Der Schmerz in seinem Bein raubte ihm schier den Verstand und er musste sich an der Felswand abstützen, um nicht zu stürzen, doch er würde jetzt nicht nachgeben. Was auch immer ihm diese göttliche Chance beschert hatte, er würde sie nicht verstreichen lassen. Und in gewisser Hinsicht konnte er wohl von Glück reden, dass ausgerechnet sein verletztes Bein den weiteren Schaden abbekommen hatte. So konnte er das andere weiterhin voll belasten.

Zidian manifestierte sich. Wei Wuxians Augen weiteten sich ungläubig.

“Hast du noch nicht genug?!”

Jiang Cheng quittierte es mit einem abfälligen Schnauben. Genug wäre es erst, wenn er es zu Ende gebracht hatte - und das würde hier und heute geschehen!

“Ich werde Gerechtigkeit einfordern für das, was du Jin Ling angetan hast.”

Die Blitzpeitsche schnellte hervor, auch wenn Jiang Cheng mit Unmut feststellen musste, dass ihre Energie nur noch ein müder Schatten ihrer wahren Stärke war. Doch es musste einfach reichen! Jiang Cheng zwang seinen bleischweren Arm nach oben und ließ Zidian mit letzter Kraft erneut niederpeitschen. Wei Wuxian sah sich fahrig um, schwankte zur Seite und riss im letzten Moment seinen Arm nach oben, um zumindest seinen Kopf vor dem Angriff zu schützen. Das Ende der Peitsche wickelte sich um seinen Armschützer, der einen Teil der Elektrizität abblockte - jedoch nicht alles. Als die violetten Blitze auf seinen Arm und Brustkorb übergriffen, zwangen ihn die Schmerzen in die Knie. 

Wei Wuxian würde diesen Kampf verlieren, das konnte Jiang Cheng deutlich sehen. Zidian hatte es noch nie geschafft, so weit in seinen Körper vorzudringen, so viel Schaden anzurichten - und das trotz der Schwäche des Angriffs. Seine Hand, die den Ring führte, begann zu zittern, dann sein gesamter Arm und sein Oberkörper. Kalter Schweiß brach auf seinem Rücken aus. 

War es vor Erschöpfung? Vor Schmerz, wegen seines Beines? Sollte ihm nicht eigentlich heiß sein? Was auch immer.

“Lass mich nur einmal erklären, du sturer Esel!”, presste Wei Wuxian zwischen verkrampften Kiefern hervor. “Ich würde Jin Ling niemals etwas tun! Er wurde angegriffen und wir müssen dieses Biest finden und-”

Ein markerschütterndes Heulen ließ beide erstarren. Eilig rief Jiang Cheng Zidian zurück und brachte humpelnd so viel Abstand zwischen sich und Wei Wuxian, wie es dieser enge Hohlraum zuließ. Was auch immer sich ihnen näherte, es würde all seine Kräfte und Waffen benötigen. – Aber vielleicht reichte auch schon ein wenig Kampfbereitschaft, damit sich das Wesen zuerst um Wei Wuxian kümmerte. Dem Laut nach musste es etwas Wolfsähnliches sein, und Wei Wuxians panisches Aufjapsen bekräftigte Jiang Chengs Einschätzung. Schlagartig wurde der ach so große Yiling-Patriarch einige Stufen blasser, krabbelte auf allen Vieren bis zum verschütteten Ausgang und rollte sich dort zu einem Ball zusammen, den Kopf eingezogen und die Arme darüber geschlagen.

Jiang Cheng konnte nicht anders, als mit den Augen zu rollen. Wei Wuxian übertrieb es wieder einmal maßlos. Trieb Scherze mit wilden Zombies und machte sich bei einem Tier ins Hemd.

Das Kratzen von Krallen auf dem felsigen Boden hallte von den Wänden heran. Als das Wesen in den spärlichen Schein des Feuer-Talismans trat, sah sich Jiang Cheng gezwungen, seinen ersten Eindruck zu relativieren. Dieser Wolf hatte eine gewaltige Ladung negativer Energie absorbiert, er war zu einem Yao mutiert.

Trotzdem bloß ein Wolf.

Jiang Chengs Körper hatte sich inzwischen so weit an den Schmerz gewöhnt, dass er wieder freihändig stehen konnte, wenn er sein rechtes Bein nicht belastete. Umsichtig sammelte er sein Qi in seinen Beinen, um notfalls flexibler agieren zu können. Er nahm Kampfhaltung ein, seine rechte Hand sachte über dem Schwertgriff schwebend, das Yao genau beobachtend, jederzeit bereit, es niederzustrecken. Wei Wuxian hingegen verlor nun vollends die Nerven, warf sich mit einem panischen Schrei gegen die Geröllwand und begann, mit seinen blanken, verbrannten Fingern daran zu scharren.

“LAN ZHAN! LAN ZHAN!”

Der Anblick ließ Jiang Chengs Herz erneut schneller schlagen, doch er versuchte, das irritierende Gefühl mit einem Schnauben zu zerstreuen. “Wenn du dich dem Yao auf dem Silbertablett präsentieren willst, mach nur weiter so.”

Doch Wei Wuxian hörte ihn nicht. Viel zu tief war er in seinem alten Trauma gefangen. Der Anblick zerrte Erinnerungen an vergangene Tage an die Oberfläche. Erinnerungen an einen kleinen Jungen, der sich wegen eines Welpen die Augen ausweinte und in die Robe seines Vaters krallte, darum bettelnd, auf den Arm genommen zu werden.

“LAN ZHAN! LAN ZHA~AN!!”

Die Schreie wurden immer verzweifelter. Und das Yao war vollkommen auf dieses erbärmliche Häufchen Elend fixiert, das der Großmeister der dämonischen Lehre sein wollte. Es bleckte die Zähne, Speichel tropfte von seinen Lefzen und ein hungriges Knurren verließ seinen Hals, sich über eine besonders leckere Mahlzeit freuend.

Die Erleichterung darüber, tatsächlich nicht zum Ziel des Yao geworden zu sein, wollte sich einfach nicht einstellen, und es frustrierte Jiang Cheng. Was sollte schon wieder diese unangebrachte Sentimentalität? Hatte er noch immer nicht dazugelernt? Ließ er sich noch immer von Wei Wuxians Schwächen über dessen wahren Charakter täuschen? Betont lässig gab er seine Kampfhaltung auf, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete den Fortgang des Dramas.

… Und wenn er sich doch getäuscht hatte? – Nein. Jin Ling draußen vor der Höhle war der eindeutige Beweis. Bewusstlos, durchdrungen von Wei Wuxians dunkler Energie. Dennoch hätte sein Zustand nach einem Angriff eines so fähigen Kultivators nicht so stabil sein sollen. Wenn er es gewollt hätte, hätte Wuxian ihn binnen eines Wimpernschlags töten können. Hatte er seinen Neffen foltern wollen? Hatte Fairy deswegen rechtzeitig eingreifen können? Wo steckte der Hund überhaupt? Wäre es ratsam gewesen, ihn ausreden zu lassen, bevor er ein endgültiges Urteil fällte? War Jin Ling tatsächlich von einem Biest – möglicherweise diesem Wolfs-Yao – angegriffen worden, so wie Wuxian es soeben angedeutet hatte? Oder war das nichts als Lug und Trug gewesen? Könnte er Jin Ling so eiskalt missbrauchen?

Erinnerungen, die Jiang Cheng eisern zurückgehalten hatte, durchfluteten seine Gedanken. Wei Wuxian, wie er im Guanyin-Tempel Jin Ling in die Arme schloss. Wei Wuxian, der am Blutsee in den Grabhügeln mit einer geisteranziehenden Flagge auf seiner Kleidung gegen eine Übermacht Untoter kämpfte, um hunderte Kultivatoren entkommen zu lassen. Wei Wuxian, der sich in der Höhle des Xuanwu vor die im Grunde fremde Luo Qingyang warf, um das Brandeisen der Wen abzufangen, welches für ihr Gesicht bestimmt gewesen war.

Ein Stich durchfuhr seine Brust. Das Yao kam hinter Wei Wuxian zum Stehen, spannte seine Muskeln an und machte sich bereit zum Sprung.

Sollte er Wei Wuxian glauben, aber damit Jin Ling und sich selbst womöglich in Gefahr bringen? Oder auf seine erste Eingebung vertrauen und Wei Wuxian ein zweites Mal in den Tod treiben? Wenn er die falsche Wahl traf, würde er die Konsequenzen nicht überstehen.

Aber war es nicht Wunder genug, dass er überhaupt am Leben war? Wei Wuxian hätte die Flucht nach draußen schaffen müssen und trotzdem stand er hier, eingesperrt, bei Jiang Cheng. Schwankend. Verausgabt. Verletzt. Hatte er ihn aus den einstürzenden Trümmern gezogen, so wie er einst Su She aus dem Abgrund des Wasserdämons gezogen hatte, nur um selbst davon verschlungen zu werden? So wie er vor vierzehn Jahren in den Grabhügeln seinen eigenen Körper benutzt hatte, um ihn vor der Macht des Tiger-Amuletts zu schützen. Mit diesem panikverzerrten Ausdruck, der sich tief in seine Seele gebrannt hatte.

‘VERSCHWINDE!!!’

Das Biest sprang, Zähne gefletscht, Speichel spritzte aus seinem Maul. Jiang Chengs Hände reagierten von selbst, formten das Siegel, das die Seele des Schwertes befehligte. Ein roter Blitz durchzuckte die Höhle und Suibian hieb dem Wolf den Kopf ab.

Bruder

Wei Wuxian war so tief in seinem Albtraum gefangen, dass er nicht einmal mitbekommen hatte, dass die Gefahr vorüber war. Die Schreie nach “LAN ZHAN!!” hallten unverändert von den Höhlenwänden.

“Nun komm mal wieder zu dir!”, murmelte Jiang Cheng schließlich. Er wünschte, seine Schwester wäre hier, die in solchen Situationen immer gewusst hatte, was zu tun war. Was sollte er, Tölpel, der er nun einmal war, denn ausrichten? Damals, als Wei Wuxian mitten in der Nacht fortgelaufen war, weil Jiang Cheng gedroht hatte, Hunde auf ihn zu hetzen, hatte sie alle beide nach Hause zurückgetragen. Aber auch mit zwei unverletzten Beinen könnte er ihn wohl kaum auf seinen Rücken laden und hier heraustragen. Allein über diese Vorstellung fühlte er eine ungelenke Verlegenheit in sich aufkommen.

Stattdessen versuchte er es zögerlich mit einem Händedruck auf der Schulter – einen Herzschlag lang, dann fühlte sich auch diese Geste deplatziert an und er zog seine Hand schleunigst zurück und drehte sich weg.

“Ich hab dir doch versprochen, wenn ich einen Hund sehe, verjage ich ihn für dich”, flüsterte er das Versprechen, das er Wei Wuxian einst gegeben hatte.

 

Das erste, was Wei Wuxian bewusst wahrnahm, war die Stille. Dann, nach und nach, drangen weitere Eindrücke in seinen Geist vor und ließen ihn sich ein Bild von der veränderten Situation machen. Die Präsenz des Yao war verschwunden. Sein negatives Qi waberte diffus, aber harmlos, und löste sich auf. Jiang Cheng hatte es gerichtet. Ein roter Schwertgeist hatte es gerichtet.

“Suibian?”

Wei Wuxian war fassungslos. Und unsicher.

Wie konnte das sein?

“Wenn du dein Schwert vermisst, schicke ich es dir später zurück”, entgegnete Jiang Cheng gespielt nonchalant, doch Wei Wuxian entging der nervöse Unterton in seiner Stimme nicht. Es bestand kein Zweifel - es musste tatsächlich Suibian gewesen sein.

“Das rote Leuchten war Suibian”, murmelte er halb zu sich selbst, halb zu Jiang Cheng. Er drehte sich um und es überraschte ihn nicht, dass Jiang Cheng das Schwert hinter seinem Ärmel zu verstecken versuchte. Die Frage blieb: Warum Suibian? Warum nicht Sandu?

Schließlich musste wohl auch Jiang Cheng eingesehen haben, dass sein Ablenkungsversuch gescheitert war, reckte das Kinn empor und verschränkte mit versteinerter Miene seine Arme vor der Brust.

“Sandus Klinge wurde bei der letzten Nachtjagd beschädigt. Wenn dein alter Zahnstocher schon bei mir rumliegen muss, kann er sich auch nützlich machen.”

Wei Wuxian kannte den Erben des Jiang-Clans zu gut, um auf solch eine Ausrede hereinzufallen, vor allem, wenn dieser bereits zwei Ablenkungsversuche vorausgingen. Wenn Jiang Cheng Suibian tatsächlich ohne Hintergedanken mit sich geführt hätte, hätte er auf Wei Wuxians Feststellung geradeheraus geantwortet.

Wei Wuxian musterte seinen früheren Seelenbruder schweigend. Dieser musste Suibian schon seit einer ganzen Weile den Vorzug geben, sonst hätte er es niemals in Gegenwart seines alten Meisters befehligt und dann zu verstecken versucht. Diese Tatsachen sagten mehr über Jiang Cheng aus, als dieser jemals bereit wäre, mit Worten zuzugeben. Wieder jagte ihn Jiang Chengs tränenreicher Ausbruch vor einem halben Jahr im Guanyin-Tempel.

‘Du hast gesagt, ich werde der Clanführer und du mein Untergebener! Dass du mich dein Leben lang unterstützen wirst, und solange Gusu Lan seine zwei Jadeprinzen hat, hat der Yunmeng-Jiang-Clan seine zwei stolzen Helden! Dass du mich und den Jiang-Clan niemals verraten würdest!’

Jiang Cheng trug eine ebenso rohe, blutende Wunde in seiner Seele wie Wei Wuxian. Und mit dem Zurückhalten seiner Gedanken und schließlich seiner Bitte, die Sache mit dem goldenen Kern endlich hinter sich zu lassen, hatte er sie nur weiter aufgerissen. Wie hatte er annehmen können, Jiang Cheng hätte durch ihr beider Schweigen irgendetwas überwunden, wo er selbst doch genauso wenig mit seiner Vergangenheit hatte abschließen können?

“Es tut mir leid.”

Doch Jiang Chengs Miene verfinsterte sich.

“Vergiss es. Es ist Vergangenheit. Das hast du selbst gesagt.”

Die halb vernarbte Wunde in Wei Wuxians Herzen riss auf und blutete erneut. Er schluckte schwer. Es war, als hätte man ihm einen Spiegel vorgehalten. Jiang Chengs wiederholte Fragen, warum er sich weigerte, sein Schwert zu tragen. Sein stummes Flehen, er möge ihm erklären, warum er ihn und seinen Clan vor den anderen Kultivatoren so das Gesicht verlieren ließ. Warum er lieber mit einem Haufen wildfremder Wen-Bastarde davonzog und dem Clan den Rücken kehrte, dem er sein Leben zu verdanken hatte und dem er ewige Treue geschworen hatte. Nun war er es, der verzweifelt versuchte, die wichtigen Fragen zu klären, doch Jiang Cheng wandte sich von ihm ab. Er entglitt ihm. Wie Sand rieselte er ihm durch die Finger und schürte eine Panik, die Wei Wuxian schon lange nicht mehr gespürt hatte. Er konnte jetzt einfach nicht aufgeben.

“Aber für dich ist es das nicht!”

Er musste Jiang Cheng zum Reden bringen. Irgendwie. Also wagte er einen beherzten Schritt: “Und dass ich mein Versprechen gebrochen habe – das werde auch ich nie vergessen können.”

Endlose Sekunden verstrichen. Nicht ein Muskel zuckte in Jiang Chengs maskenhaftem Gesicht. Mit steifen Schultern hinkte er schließlich an ihm vorbei und inspizierte die Geröllmauer.

“Mach dich nützlich und überleg lieber, wie wir hier rauskommen.”

Wei Wuxians Herz zerbrach. Und gleichzeitig frustrierte es ihn. Es war zum Haareraufen! Warum konnte dieser sture Esel nicht einmal über seinen Schatten springen? – Nein, damit tat er Kleiner Apfel Unrecht. Jiang Cheng war weit schlimmer. Und würde eines Tages an seiner eigenen Sturheit zugrunde gehen. Wie schlimm es um sein Inneres stehen musste, hatte sein fanatischer Wutausbruch eindrucksvoll gezeigt. Nie Mingjue hatte auch so ausgesehen, kurz bevor eine Qi-Entartung sein Leben gekostet hatte, genauso wie Jiang Cheng jetzt! Zeitweise hatte Wei Wuxian um sein Leben gefürchtet. Und wenn sie jetzt hier raus gingen und sich ihre Wege wieder trennten – Jiang Cheng würde vor dem davonlaufen, was er gerade getan hatte, und Wei Wuxian packte die stumme Angst, dass dies das letzte Mal sein könnte, dass er seinen alten Bruder lebend sah.

Er musste Jiang Cheng irgendwie aus dieser Sackgasse herausholen, ihm begreiflich machen, dass er seine Fehler der Vergangenheit endlich verstanden hatte. Dass er es besser machen wollte. Dass er sich nach einer Zukunft sehnte, die an ihre Kindheit und Jugend anknüpfen konnte.

“Ehrlich gesagt, ich hab mich oft gefragt, ob wir diese Sache nicht endlich aus der Welt schaffen können, damit ich wieder zum Lotus Pier kommen kann. Umziehen wird nicht gehen, dafür haben Lan Zhan und ich in der Wolkenschlucht zu viel zu tun. Aber ich könnte alle paar Monate als Gastlehrer vorbeikommen und beim Training helfen. Oder wir koordinieren uns bei den Nachtjagden oder veranstalten gemeinsame Trainingsprogramme. Die Clans würden ohnehin davon profitieren, wenn wir die ganze Konkurrenz und das Misstrauen der älteren Generationen nicht auf die jüngeren übertragen.”

“Ich sagte, ES IST GENUG!”

Es war zum Verrücktwerden mit diesem sturen Esel!

“Du kannst doch nicht ernsthaft wollen, dass alles so bleibt, wie es ist!”, rief Wei Wuxian, ebenso die Nerven verlierend.

“Und du kannst nicht einfach alles umkrempeln, wie es dir passt, und so tun, als wär nie was gewesen!”, brüllte Jiang Cheng zurück.

“JIANG CHENG! Spring EINMAL über deinen gottverdammten Schatten und sei nicht so ein verbohrter Dickschädel! Ist es dir vollkommen egal, dass alles, was wir früher hatten, in Scherben liegt?!”

“DANN SAG DU MIR DOCH, WAS ICH TUN SOLL! ICH HAB DICH UMGEBRACHT, VERDAMMT!!”

Die Offenbarung war wie ein Schlag in den Magen. Wei Wuxian war sprachlos. Einige erdrückend laute Herzschläge lang schien die Welt um sie herum eingefroren. Er hätte mit vielem gerechnet – Groll, Vorhaltungen, aber … damit …

“... Was?”, hauchte er fassungslos.

“Ich hab dich umgebracht”, wiederholte Jiang Cheng seine Worte, diesmal flüsternd, abwägend, so als müsste er selbst noch über die Bedeutung dessen, was er gerade geäußert hatte, nachdenken.

“Jiang Cheng!”, unterbrach Wei Wuxian ihn alarmiert, sah die Gedanken seines Bruders eine gefährliche Richtung einschlagen. “Du hast lediglich den Bannkreis durchbrochen. Ich hab die Kontrolle verloren. Ich hätte das Amulett längst zerstören sollen und nicht erst, nachdem ich solch ein Blutbad angerichtet hatte. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das seine Kräfte verstärkt hat. Es grenzte an ein Wunder, dass mich nicht schon die andere Hälfte zerrissen hat.”

“Darum geht es doch gar nicht!”, fauchte Jiang Cheng. “Ich war da! Ich hab sie gesehen! Das Balg, die Alten, die Krüppel. Ich wusste ganz genau, dass du da keine Armee aufbaust, sondern von der Hand in den Mund lebst. Und ich hab nicht ein einziges Mal den Mund aufgemacht und den Gerüchten Einhalt geboten.”

Jiang Chengs Blick verlor sich im Nichts, er taumelte gegen die Geröllwand und sackte an ihr herab. Schnell packte Wei Wuxian ihn an den Schultern, bevor er sich den Kopf anschlug. Jiang Cheng schien es kaum wahrzunehmen. Seine Schultern und Stimme bebten, als er weitersprach.

“Ich hätte ihnen einfach einen Platz am Lotus-Pier anbieten sollen, dann hättest du dich nicht zwischen ihnen und mir entscheiden müssen und niemand hätte noch gewagt, einen Keil zwischen uns zu treiben.”

Tränen brachen hervor und liefen in Rinnsalen über seine Wangen, doch Jiang Cheng machte keine Anstalten, sie zu verbergen oder fortzuwischen. Wei Wuxians Hände begannen zu zittern ob der Tragweite dieser Worte.

“Ich hätte auf dem Goldschuppenplateau für dich einstehen müssen, nach der Sache mit dem Arbeitslager am Qiongqi-Pass, als alle die Tatsachen verdreht haben und dich zur Rechenschaft ziehen wollten. Mir war klar, dass sie nichts weiter als neidisch auf deine Macht waren und die zukünftige Stärke vom Lotus-Pier fürchteten. Aber was mach ich? Ihnen nach dem Mund reden und dich rauswerfen! Weil ich dich lieber meinem kranken Stolz opfere als auf deine Loyalität zu vertrauen! Nicht du hast dein Versprechen gebrochen! ICH habe alles zunichte gemacht!”

“JIANG CHENG!!”

Wei Wuxian packte seine Schultern fester und zog ihn mit einem Ruck in seine Arme. Jiang Cheng ließ es kraftlos mit sich geschehen, wie eine Marionette, deren Fäden man durchtrennt hatte. Er schluckte schwer, um das kehlige Schluchzen niederzukämpfen, das mit aller Gewalt hervorbrechen wollte. Seine Augen wurden feucht. Das Zittern seiner Hände hatte nun seinen gesamten Körper erfasst und übertrug sich auf seine Stimme, als er endlich die ersten Worte herauspressen konnte.

“Mach dich nicht schlechter, als du bist. Ich bin kein Heiliger.” Er schluckte und zwang seine Atmung zur Ruhe. “Und damals erst recht nicht. Du hattest so recht, ich HATTE einen verdammten Heldenkomplex. Ich hab nie verstanden, wie beschissen es sich anfühlt, wenn andere für dich ins Verderben rennen und du nur ohnmächtig zusehen kannst. Ich hätte dich einfach fragen sollen, ob du uns einen Platz am Lotus-Pier gibst. Aber ich wollte es allein schaffen. Und wenn ich ehrlich bin: Selbst wenn du mir das damals angeboten hättest, ich hätte abgelehnt. Ich war verblendet und … und …”

… wie hätte ich unseren Clan solch einer Gefahr aussetzen können?

Er presste die Augen zusammen. Ein Schwall heißer Tränen quoll hervor und verschwand in Jiang Chengs Haaren und Kragen.

“Genauso in Lanling. Wenn ich damals ernsthaft argumentiert hätte, wäre den anderen Clans gar nichts anderes übrig geblieben, als die Füße stillzuhalten. Aber überheblich und eingebildet wie ich war, hielt ich es nicht für nötig, mich anständig zu erklären. Ich hab erwartet, dass alle nach meiner Pfeife tanzen, aus Schuldgefühlen wegen der Sunshot-Kampagne oder zumindest aus Angst vor meiner Macht.”

Je länger er sprach, desto leichter wurde das erdrückende Gewicht, das all die Jahre auf seinem Herzen gelastet hatte. Erst jetzt, wo er all diese Gedanken in Worte fassen konnte, verstand er vollends, wie sehr er diese Aussprache gebraucht hatte. Es ließ einen erneuten Strom nicht enden wollender Tränen hervorbrechen, doch sie fühlten sich nun ruhiger an, befreiender. Sein Gesicht schmiegte sich enger an Jiang Chengs Nacken.

“Jiang Cheng, verstehst du? Diesen Weg ins Verderben habe ich ganz allein beschritten. Ich hab mir Feinde gemacht, wo immer ich hinging. Vielleicht hätten die anderen Clans aufgegeben, mich stürzen zu wollen, wenn sie gesehen hätten, dass sie an uns als Einheit nicht vorbeikommen. Vielleicht hätte es das Unausweichliche aber auch nur hinausgezögert. Und vielleicht hätte es auch rein gar nichts geändert und wir wären am Ende nur beide gestorben, und der Yunmeng Jiang-Clan mit dir.”

Wei Wuxian atmete tief durch. Sein Herz schlug wieder ruhiger. Ihre Herzen. Jiang Chengs Haltung war unverändert, doch es schien, als würden ihre Herzen einander rufen und sich antworten; etwas aufgeregt, unbeholfen, verletzlich. Aber im Gleichklang. Er lockerte seine Umarmung und löste sich so weit von dem anderen, dass er ihn ansehen konnte. Wässriges Grau blickte unsicher, verwirrt und Halt suchend in seine Seele. Es stach so klar unter all den Kratzern, Staub und dunklen Schlieren hervor wie ein Leuchtfeuer in einer finsteren Nacht: ein Wegweiser. Ein Rettungsanker.

“Ja, wir haben Fehler gemacht. Beide. Aber vom rechten Weg sind wir nie abgekommen. Jin Guangshan hat Zivilisten in Arbeitslager gesteckt und ermorden lassen! Jin Zixun hat mir den Fluch der Tausend Löcher angehängt und mich in einen Hinterhalt gelockt. Und von dem, was Jin Guangyao alles verbrochen hat, will ich gar nicht erst anfangen. Das war nicht unsere Schuld und es lässt sich nicht mehr ändern, hörst du? Egal, wie sehr ich es mir wünsche, wir bekommen Shijie nicht zurück. Jin Zixuan kommt nicht zurück. Das Blutbad, das ich in der Nachtlosen Stadt angerichtet habe, wird nicht ungeschehen. Aber … Jin Ling ist noch da. Du bist noch da. Bitte, ich will wenigstens meinen Neffen und meinen Bruder nicht verlieren!”

Erneut legte sich eine bleierne Stille über sie und noch immer blickten ihn nassgraue Augen mit diesem halb abwesenden, halb flehenden Ausdruck an. Wei Wuxian wartete. Wartete auf eine Regung, eine Antwort, ein Zeichen der Vergebung. Er hatte seine gesamte Seele offengelegt, mit jedem einzelnen Wort, bis alles gesagt war. Und nun … Würde Jiang Cheng seine Hand ergreifen oder sich abwenden? War es zu spät für sie, war zu viel verbrannt, als dass auf diesem toten Boden noch einmal Pflanzen sprießen könnten?

Mit jedem weiteren unerhörten Herzschlag wuchs Wei Wuxians Angst. Bis es erneut schmerzhaft wurde und die Tränen abermals an die Oberfläche zu dringen drohten, als-

Ein Arm erhob sich, langsam, zittrig, fuhr zögerlich an seine Seite, um seinen Rücken. Aus dem Hauch einer Berührung wurde ein sanfter Druck, der Wei Wuxian erneut an Jiang Chengs Brust gleiten ließ. Die wohltuende Wärme eines weiteren Armes umschmiegte seine andere Seite. Erneut rannen ihm Tränen über die Wangen, als er seine Augenlieder aufeinander presste und die Umarmung erwiderte, und etwas ebenso Feuchtes benetzte seinen Nacken.

Es war nicht mehr als ein schwaches Flüstern, ein Atemzug, doch in der Stille der Höhle und aus nächster Nähe drang Jiang Chengs Stimme klar und deutlich durch seinen Körper und an seine Ohren.

“Bruder.”

Aufklärung

“... Eine Idee, wie wir hier rauskommen?”

Jiang Chengs Blick war auf das Desaster vor sich gerichtet, welches den Ausgang blockierte. Er spürte die Schamesröte auf seinen Wangen brennen und war froh, dass Wei Wuxian es in dem spärlichen Licht – und unter dem ganzen Dreck ohnehin – nicht bemerken würde.

Lange hatten sie in ihrer Umarmung verharrt. Bis die Tränen längst versiegt waren und die Gemüter sich beruhigt hatten. Bis sich Scham in seine Brust schlich und er begonnen hatte zu hoffen, Wuxian möge doch bitte die Atmosphäre anständig deuten und ihn freigeben. Natürlich konnte man bei diesem Querschläger auf sittliches Verhalten lange warten, und so wurde aus Jiang Chengs peinlicher Berührtheit ein ausgewachsenes Im-Boden-Versinken-Wollen, so dass er den anderen schließlich selbst mit einem gemurmelten “Jetzt ist aber gut! Hast du immer noch keinen Anstand?” sacht von sich drückte. Für einen kurzen Moment sah er noch das amüsierte Funkeln in den Augen seines Bruders, dann hatte er den Blick bereits abgewandt.

‘Bruder’ ...

Es fühlte sich an wie ein Traum, ein weiteres seiner Wunschdenken. Sollte er sich tatsächlich erlauben dürfen, wieder so von Wei Wuxian zu sprechen? Und wenn ja, zu was für Brüdern machte sie das jetzt? Jiang Cheng konnte nicht leugnen, dass da plötzlich eine Nähe zwischen ihnen war, eine Vertrautheit, wie er sie seit vielen Jahren nicht mehr gespürt hatte. Und doch war sie wie ein verwundetes Reh, das in seinem langen, traurigen Leben zu viel Leid hatte erfahren müssen, um nun noch einmal bereitwillig seinen Kopf nach der dargebotenen Hand ausstrecken zu können. – Vor allem, nachdem es besagte Hand fürchterlich gebissen hatte. Mehrmals. Wie könnte er ihre dargebotene Wärme derart schamlos ausnutzen? Wenn Jiang Cheng daran dachte, was er alles angerichtet hatte! Gerade jetzt erst wieder angerichtet hatte! Wie er Wei Wuxian zugerichtet hatte, beinah getötet hätte in seiner blinden Wut-

Er riss seine Gedanken gewaltsam aus dem Strudel aus Übelkeit, Angst und Selbsthass. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, sich damit auseinanderzusetzen. Statt in Selbstmitleid zu versinken, sollte er zusehen, wie er seinen Bruder hier rausschaffen und seine Verletzungen versorgen lassen konnte. Genauso wie Jin Lings. Sie waren nun bereits seit einer ganzen Weile hier eingeschlossen, so lange, dass ihm sogar das Atmen allmählich schwerer fiel und sich erste Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. Das bedeutete, dass es in der Richtung, aus der das Yao gekommen war, keinen Ausgang geben dürfte. Jin Ling sollte noch immer in Ordnung sein, sonst hätte er Veränderungen an der Barriere, mit der er ihn umgeben hatte, gespürt. Aber es ließ ihm dennoch keine Ruhe.

Jiang Cheng ließ einen Strom Qi durch seine Hand und in die Geröllwand fließen, um ihre Dicke und Beschaffenheit zu ergründen. Aus dem Augenwinkel konnte er wahrnehmen, wie Wei Wuxian dasselbe tat.

Der Einsturz war mehrere Meter breit. Es war nicht unmöglich, sich durch den Fels zu sprengen, aber es war aufwendig und er fürchtete, dass sich weitere Teile der Felsdecke über ihnen lösen könnten.

“Wir sollten unsere Kräfte koordinieren”, erklang Wei Wuxians Stimme neben ihm.

Jiang Cheng nickte.

“Dein Qi ist besser auf direkte Angriffe ausgerichtet. Ich stabilisiere die Decke.”

“Ich habe einige Talismane dabei, die hierfür ganz nützlich sein könnten. Das ist eine gute Gelegenheit, sie endlich auszuprobieren.”

Jiang Chengs Augenbraue zuckte in die Höhe.

“‘Auszuprobieren’?”

“Nichts Gefährliches”, winkte Wei Wuxian ab. “Vertrau mir. Aber vorher …” Und damit drehte er sich vollends zu Jiang Cheng um und musterte diesen von oben bis unten, wobei sein Blick schließlich an dem verletzten Bein verweilte. “... würde ich mir gern dein Bein ansehen.”

Jiang Cheng missfiel dieser Gedanke auf Anhieb.

“Nicht nötig”, lehnte er brüskiert ab.

“Was ist los?” Verwirrt schnellte Wei Wuxians Blick hoch zu Jiang Chengs Gesicht und der Clanführer musste einen Moment schlucken, verwirrt über sein eigenes Verhalten.

Ja – warum eigentlich nicht?

“... Nichts.” Er wandte den Blick ab. “Danke.”

Trotzdem konnte er das Gefühl des Unwillens nicht abschütteln. Doch da er keine Erklärung dafür finden konnte, schluckte er sein Unwohlsein herunter, setzte sich mit Wei Wuxians Hilfe auf den Boden und zog den Saum seiner Hose so weit hoch, dass der zerschundene Stiefel darunter zum Vorschein kam. Wei Wuxian entfuhr ein erschrockenes Zischen. Sofort machte er sich daran, den Stiefel zu öffnen und abzustreifen. Jiang Cheng biss die Zähne zusammen, um sich den messerscharfen Schmerz nicht anmerken zu lassen.

“Was hat dich da gebissen?”, fragte Wei Wuxian fassungslos.

“Eine Schlange”, entgegnete Jiang Cheng gezwungen unbeteiligt, doch sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb, als Wei Wuxian so über seiner Wunde aufragte.

“Ein Yao”, erklärte der Yiling-Patriarch ihn, seine Augen leuchtend rot, “von derselben Energie, die auch Jin Ling und diesen Wolf befallen hat. Mächtig. Kein Wunder, dass du sogar gestürzt bist.”

Was-?!

Wei Wuxians Hand schnellte vor, ergriff den verletzten Knöchel und eine eisige Kälte attackierte die berührte Stelle. Jiang Cheng wollte sein Bein wegziehen, doch Wuxians linke Hand schnellte ebenso hervor und packte seinen Oberschenkel.

“Halt still! Das Qi will sich bei dir einnisten.”

!!!

Grauen packte ihn. Jiang Chengs Herz schlug immer wilder. Die eisige Energie kroch weiter, durch seinen Fuß, in seine Wade, feinste Ausläufer erstreckten sich in seinen Oberschenkel, seinen Bauch-

Ruckartig zog sie sich zurück und es fühlte sich an, als würde sie irgendetwas mit sich reißen. Einen Herzschlag später war die Kälte verschwunden und hatte ein Gefühl der Leere hinterlassen. Eine angenehme Leere. Wie das Fehlen eines Fremdkörpers, eines Splitters, der nach langem Stören endlich entfernt war.

“Geschafft.”

Wei Wuxians rote Augen betrachteten besorgt wie fasziniert den winzigen grauen Nebel, der sich um seine Finger wand und sich langsam aufzulösen begann. Und Jiang Cheng bemerkte: Die extreme Abneigung und die Aufregung, die er gerade eben noch verspürt hatte, waren wie weggeblasen.

“... Das Zeug hat meine Emotionen manipuliert!”, entfuhr es ihm schockiert.

Wei Wuxians Blick schnellte ebenso erschrocken zu ihm, dann zurück zu der Materie in seiner Hand. Er bewegte seine Finger, ließ den schwachen Rauch rotieren, schien auf seine eigene Art mit ihm zu interagieren.

“... Ich habe noch nie so ein seltsames Qi gesehen”, murmelte er besorgt. Schließlich fischte er mit seiner linken Hand in seiner Brusttasche nach einem Geister-Beutel.

“Du willst dieses Zeug nicht ernsthaft mitnehmen?!” Jiang Cheng war fassungslos.

“Ich will wissen, womit wir es hier zu tun haben”, entgegnete Wei Wuxian ernst, während er die Reste des dünnen Nebels in den Beutel dirigierte und ihn verschloss. “Vielleicht finde ich dann heraus, was mit Jin Ling passiert ist. Und diesem … Wolf …”

“Es ist genau dasselbe Qi?”, hakte Jiang Cheng nach.

Wei Wuxian nickte.

“Und es verhält sich seltsam. Als hätte es ein Eigenleben, einen eigenen Willen. Aber noch kann ich es nicht richtig begreifen, deswegen will ich es mit Lan Zhan untersuchen, wenn wir zurück in der Wolkenschlucht sind.”

Jiang Cheng presste die Lippen aufeinander.

“Jin Ling…”

“Er sollte für den Moment in Sicherheit sein. Mein negatives Qi hält es in Schach.”

Die Erklärung jagte einen schmerzhaften Stich der Reue durch Jiang Chengs Herz.

Das war es, was du mir vorhin versucht hast zu sagen? Warum du deine negative Energie bei Jin Ling einsetzen musstest?

Jiang Cheng wandte sich ab und schloss die Augen, kämpfte die schier übermenschlichen Schuldgefühle, die Übelkeit ob seines schrecklichen Versagens nieder.

“Hast du Heilkräuter?”, riss Wei Wuxians Stimme ihn aus dem dunklen Sumpf seiner Gedanken.

“Nicht mehr viele …”, murmelte Jiang Cheng und reichte ihm seinen Speicher-Beutel. Einen Teil hatte er nach dem Schlangenbiss bereits benutzt und von seinen heilenden Talismanen war auch nur noch einer übrig. Mit den anderen beiden hatte er Jin Ling versorgt.

Der Gedanke an seinen Neffen ließ ihn scharf die Luft einziehen, seine Hände ballten sich zu Fäusten.

“War ich zu grob?”, erkundigte sich Wei Wuxian, der seine Reaktion wohl mit dem Versorgen der Wunde in Verbindung gebracht hatte.

“Jin Ling”, klärte Jiang Cheng ihn auf. “Ich habe seine Wunden mit Heiltalismanen versorgt. Sie könnten dein Qi beeinträchtigen.”

Wei Wuxian hielt kurz inne, nachdenklich. Dann blickte er wieder auf.

“Dann sollten wir keine weitere Zeit verlieren.”

Er verrieb die letzten Kräuter um den geschwollenen Knöchel, heftete den Talisman darüber und zog Jiang Chengs Stiefel vorsichtig wieder an.

“Zumindest scheint nichts gebrochen zu sein. Glück gehabt”, kommentierte er sein Werk nach getaner Arbeit und Jiang Cheng pflichtete ihm bei. Der Schmerz hatte bereits deutlich nachgelassen, seit er begonnen hatte, sein Qi in den Fuß zu leiten. Nicht, dass es reichte, um sein rechtes Bein wieder normal belasten zu können, aber er würde zumindest ohne Hilfe aus der Höhle heraushumpeln können, sobald der Eingang frei war. So konzentrierte er nun seine gesamte Energie in seinen Hände und leitete sie in den eingestürzten Gang weiter, ließ eine kuppelförmige Barriere entstehen, die einen erneuten Felsrutsch verhindern sollte – wenn sie nicht zu unvorsichtig waren.

“Nun du”, ließ er Wei Wuxian wissen, doch als er das schalkhafte Funkeln in den Augen des anderen sah, kam er nicht umhin hinterherzuschieben: “Und mach es vernünftig! Leb deinen Spieltrieb aus, wenn nicht irgendwer in Lebensgefahr ist.”

“Jiang Cheng, etwas mehr Vertrauen! Als ob ich so etwas riskieren würde.”

Jiang Cheng verkniff sich einen Kommentar. Er vertraute Wuxian, dass sich so etwas wie in der Nachtlosen Stadt niemals wiederholen würde. Sein Bruder wirkte bei der Verwendung negativer Energie sehr viel gefestigter als damals. Aber der schale Beigeschmack, den diese Erinnerung stets mit sich brachte, würde sich wohl nie auslöschen lassen. Und auch Wei Wuxian schien einen Augenblick später in diese Erinnerung zurückgekehrt zu sein, denn das übermütige Funkeln in seinen Augen erstarb, wich einer matten Melancholie.

“... Zumindest nicht mehr. Nie mehr”, hauchte er.

Jiang Chengs Hand zuckte, wollte nach Wei Wuxians Oberarm greifen und ihn sanft drücken, doch einen Augenblick später unterdrückte er den Impuls. Es fühlte sich nicht richtig an. Sie wussten beide, dass in jener Nacht zu viel passiert war, als dass eine Geste des Trosts irgendetwas richten könnte.

Wei Wuxian straffte seine Schultern. Aus seinem Gewand zog er einen vorbereiteten Talisman hervor. Mit einem Messer schnitt er sich in die Fingerkuppe, ergänzte das Zeichen für “Schlange” auf dem Papierstreifen und brachte ihn zum Erstrahlen. Sofort heftete er ihn an die Geröllwand und sandte eine gehörige Menge dunkler Energie hinein. Als Talisman und Fels die Energie absorbiert hatten, trat er zurück zu Jiang Cheng, sein Gesichtsausdruck noch immer konzentriert, die Augen rot leuchtend, doch ein zufrieden wirkendes Nicken signalisierte ihm, dass wohl alles vorbereitet war.

“Der Weg sollte jeden Moment frei sein.”

Jiang Cheng debattierte noch mit sich, ob sein Stolz es zuließe, dem Ego dieses verrückten Erfinders noch ein wenig zu schmeicheln und zu fragen, was es mit diesem Talisman auf sich hatte, als auch schon ein Knirschen und Beben durch die Geröllwand gingen und sich die Felsbrocken und Steine Sekunden später in Bewegung setzten, eine Art Schlange bildeten, die gemächlich nach draußen schlängelte und sich neben dem Höhleneingang zusammenrollte und erneut zu einem Haufen toten Gesteins wurde.

“Wofür experimentierst du mit Schlangen-Golems?”, fragte Jiang Cheng skeptisch. Abgesehen von ihrer jetzigen skurrilen Situation konnte er sich kaum eine Verwendungsmöglichkeit für solch einen Talisman vorstellen.

“Nicht Schlangen-Golems”, korrigierte Wei Wuxian ihn stolz, “Formwandler. Sie sollen jede Gestalt annehmen, die der Beschwörer mit der Beschriftung des Talismans vorgibt. Diesmal erschien mir eine Schlange am sinnvollsten.”

Insgeheim musste Jiang Cheng zugeben, dass dies kein dummer Gedanke war, doch einen Kommentar dazu sparte er sich lieber, bevor Wei Wuxian noch vor Eitelkeit platzte. Und doch … tat es irgendwo auch gut zu wissen, dass manche Dinge noch immer so waren wie früher.

“Gehen wir!”, bestimmte er und humpelte voraus, so dass Wei Wuxian das leichte Ziehen seiner Mundwinkel nicht bemerken konnte.

Vertrautheit

Auf den ersten Blick wirkte Jin Lings Gestalt noch immer friedlich und in Sicherheit. Als Jiang Cheng seine Barriere entfernte und sie die negativen Energien genauer inspizierten, mussten sie jedoch feststellen, dass die heilenden Talismane doch einigen Schaden angerichtet hatten. Wei Wuxians negatives Qi hatte sich fast aufgelöst und das fremde Qi hatte erneut begonnen, sich zu vermehren und tiefer in Jin Lings Körper vorzudringen. Sie konnten von Glück reden, dass Jin Ling bewusstlos war und sein Kreislauf entsprechend stark verlangsamt.

Hastig entfernte Wei Wuxian die zwei Talismane und versuchte erneut, die fremde Energie mit seinem eigenen Qi zu locken, doch diesmal ging sie ihm nicht in die Falle. Sie hatte dazugelernt. Er nahm Chenqing zu Hilfe und begann eine süße, lockende Melodie zu spielen. Wieder nahmen seine Augen diesen leuchtenden Rotton an und Jiang Cheng konnte spüren, wie die Melodie an Intensität gewann. Die Energie änderte ihren Fluss. Ein Teil schien sich der Quelle des Liedes entgegenzustrecken, doch sie ließ nicht vollständig von ihrem Opfer ab. Jin Ling zog in seiner Bewusstlosigkeit scharf die Luft ein, seine Mimik verzerrte sich, die Hände krallten sich in die Erde. Sofort wechselte Chenqings Melodie in einen ruhigen Rhythmus, ein sanftes Wiegenlied. Als sich Jin Lings Züge wieder entspannt hatten und auch die dunkle Energie in seinem Körper nur noch matt flimmerte, setzte Wei Wuxian die Geisterflöte mit einem erschöpften Seufzen ab. Doch auch Jiang Cheng konnte das bittere Gefühl nicht abschütteln, welches ihm die Luft abschnürte. Zwar breitete sich die dunkle Materie für den Moment nicht weiter aus, aber ihre Ausläufer waren weit in Jin Lings Körper vorgedrungen. Sein überstürztes Eingreifen war Schuld daran, dass sich die Gefahr für seinen Neffen darart verschlimmert hatte. Nicht nur Wei Wuxian - sogar Jin Ling hatte er durch seine hitzige Fehleinschätzung in größte Gefahr gebracht. Wenn Wuxian in dieser Höhle tatsächlich gestorben wäre oder wenn sie es nicht rechtzeitig heraus geschafft hätten, dann …

“Wie lange hält Chenqings Effekt an? Wir können Jin Lings Meridiane nicht verschließen. Sie sind zu eng mit lebenswichtigen Funktionen verbunden.”

“Eine halbe, vielleicht eine Shichen. Zumindest lange genug, um ihn nach Langya zu bringen”, teilte Wei Wuxian seine Einschätzung mit.

“Wie viele Leute habt ihr dort?”

“Noch drei. Lan Zhan, Sizhui und Jingyi.”

Jiang Cheng nickte. So sehr es ihm widerstrebte, sich an einem Ort mit dem zweiten Lan-Bruder aufzuhalten und sich noch dazu in dessen Schuld zu begeben, so wusste er auch, dass dies nicht der rechte Zeitpunkt für alte Feindseligkeiten und falschen Stolz war.

Aber wenn der Bengel wieder bei Sinnen war, dann würde er ihm die Beine brechen für so viel Irrsinn, es mit solch einer Gefahr allein aufnehmen zu wollen!

 

“Also …”

Jiang Cheng räusperte sich, humpelte ein paar Schritte schneller und hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. Sie hatten bereits mehr als die Hälfte der Strecke nach Langya zurückgelegt. Bei ihrer Ankunft wäre ihre Chance auf dieses Gespräch vertan. Er musste sich endlich aufraffen.

“Also”, setzte er erneut an, “wenn du mal frei hast, dann lass dich am Lotus-Pier blicken.”

Er spürte, wie sein Kopf einige Nuancen dunkler wurde und bereute augenblicklich, die Einladung nicht doch einfach in Briefform überreicht zu haben. Oder gar nicht.

Aus dem Augenwinkel sah er, wie Wei Wuxians Kopf zu ihm herüberschnellte, die Augen groß, erst vor Unglauben, dann erfüllt von dieser kindlich-naiven Freude, die ihm immer ins Gesicht geschrieben stand, wenn ihn irgendwas begeisterte. Manche Dinge änderten sich wohl selbst nach einer Wiedergeburt in einem fremden Körper nicht. Jiang Cheng stierte verbissen geradeaus.

“Wenn’s unbedingt sein muss, bring deine schlechtere Hälfte mit.”

“Jiang Cheng!”

Mit einem Satz stieß Wei Wuxian gegen ihn und schlang einen Arm über Jiang Chengs Schulter, was Jin Ling beinah von seinem Rücken rutschen ließ. Sofort schnellte der aufdringliche Arm zurück, Wei Wuxian strauchelte und rettete in letzter Sekunde den bewusstlosen Jungen vor dem Absturz.

“Wenn mein Neffe deinetwegen im Dreck landet, zieh ich’s zurück!”

“Ich hüte ihn wie meinen Augapfel!”, versprach er feierlich und streckte zur Untermauerung seiner Worte die Nase in die Höhe, nur um gleich darauf ungelenk an Jin Lings Arm zu zupfen und ihn mit den Schultern in eine etwas bequemere Position zu bringen.

Jiang Cheng verdrehte die Augen.

“Shijie hat damals sogar uns beide nach Hause zurückgetragen”, erklang Wei Wuxians Stimme kurz darauf sinnierend.

Jiang Cheng würde es niemals aussprechen, aber es tat gut zu wissen, dass diese Erinnerung auch in Wuxians Herzen einen besonderen Platz hatte.

‘Bruder.’

Der Gedanke ließ ihn sich so geborgen wie unsicher fühlen, ungewohnt, ein wenig peinlich berührt, und so versuchte er, das Gespräch in unverfänglichere Gefilde zurückzulenken.

“Werd nicht übermütig! So stark wie meine Schwester wirst du nie.”

Wei Wuxian gluckste.

“Das wäre wahrhaftig vermessen.”

Für sie beide. Doch Yanli war und blieb Jiang Chengs Ideal, sein Fixstern, der ihm so oft den Weg wies, wenn er in der Finsternis die Orientierung verlor. Und wahrscheinlich ging es Wei Wuxian ähnlich.

“Und Lan Zhan ist also meine ‘schlechtere Hälfte’?”, hakte sein Bruder nach. “Dass ich aus deinem Mund mal ein Kompliment höre … Die Zeiten haben sich wahrlich geändert.”

“Träum weiter. Dass er noch unerträglicher ist als du, spricht nicht für dich.”

“Haha! Wenn der alte Lan Qiren das hören könnte!”

“Dass ihr es so lange an einem Ort aushaltet, ist sowieso ein Wunder. Ist er noch nicht an einem Herzinfarkt gestorben?”

“Jiang Cheng, du kränkst mich! Ich bin die Unschuld in Person!”

Jiang Cheng quittierte es mit einem Schnauben. Dieser Kommentar war keiner Antwort wert.

“Oder lebt ihr außerhalb der Clanmauern? Eher geht die Welt unter, als dass du dich an deren dreitausend Regeln hältst. Sind es inzwischen nicht sogar noch mehr?”

“Über fünftausend.”

“Da hast du ja ganze Arbeit geleistet.”

“Man tut, was man kann.”

Wei Wuxians schalkhaftes Grinsen entfaltete sich zu voller Pracht und er versuchte, stolz die Brust zu recken, was mit Jin Ling auf dem Rücken jedoch reichlich albern aussah.

Ein kurzes Zucken in den Mundwinkeln konnte sich selbst Jiang Cheng nicht verkneifen. Er musste zugeben, es hatte ihnen allen damals gut getan, dass Wei Wuxian es sich in seinem fünfzehnjährigen Übermut zur Lebensaufgabe gemacht hatte, jede einzelne dieser Regeln zu brechen und für etwas Abwechslung im tristen Gusu-Lan-Alltag zu sorgen.

“Aber irgendwie haben wir uns mittlerweile arrangiert”, gab der Unruhestifter schließlich zu. “Du wirst es kaum glauben, aber die drücken tatsächlich ein Auge zu. Wenn ich nachts um zehn noch über die Mauer klettere, wird dezent weggeguckt, solange die Jungspunde nicht in der Nähe sind. Es beschwert sich auch niemand, wenn ich nicht zum gemeinsamen Wasser-und-Gras-Abendessen auftauche. Außer es steht irgendeine hochwichtige Lan-Feierlichkeit an. Dann komm ich nicht drumrum. Und der Wein! Jiang Cheng, erblasse vor Neid! Du findest nirgends auf der Welt einen besseren Wein als Emperor’s Smile, und solange ich ihn bloß im Jingshi trinke, gilt: Was niemand sieht, ist nicht passiert.”

Jiang Cheng war sprachlos.

“Irgendwie tun mir die Lan-Ältesten schon leid. Dass sie für ihren ‘Preisgekrönten Jade-Prinzen’ so viel über sich ergehen lassen müssen.”

“Hey! Du tust ja grad so, als würde ich ihnen nur auf der Tasche liegen”, beschwerte sich Wei Wuxian.

Jiang Cheng hob eine Augenbraue.

“Ist es denn nicht so? Was tust du denn noch, außer dich um sämtliche Regeln zu drücken und dich heimlich an ihrem Frust zu ergötzen?”

“Mit den Jungspunden und Wen Ning allerlei gruseliges Geschöpf auf Nachtjagden aufmischen.”

Jiang Cheng quittierte es mit einem Schnauben.

“Und ihre Aufsätze kontrollieren.”

“Du bist unter die Lehrer gegangen?”

“Jepp, und jetzt halt dich fest: Ab Frühjahr startet sogar mein erster eigener Kurs. In den dunklen Künsten natürlich.”

Jiang Cheng blieb der Mund offen stehen und Wei Wuxian ergötzte sich ganz ungeniert an diesem Anblick, ehe er weiter prahlte.

“Überleg dir schon mal, wen du anmelden willst, und mach die Formalitäten fertig. Wenn wir den Kurs öffentlich ausschreiben, wird uns die Kultivatorenwelt die Tore einrennen.”

Beleidigt klappte er den Mund wieder zu und presste die Lippen aufeinander.

“Das ist ein Scherz.”

“Nein, mein voller Ernst.”

“Wie konnte denn DAS passieren?!”

“Lange Geschichte. Aber hauptsächlich, um den Schaden zu minimieren, den laienhafte Nachahmer sich und anderen zufügen, wenn sie blindlings mit dem Feuer spielen.”

Sie waren an ihrem Ziel. Ein Wachtposten am Tor von Langya begrüßte sie schon von Weitem mit einer Verbeugung und drehte sich dann um, um ihre Rückkehr zu verkünden.

“Die Langversion bist du mir noch schuldig”, beendete Jiang Cheng das Thema, denn schon hatte Sizhui sie entdeckt und rannte ihnen mit alarmiertem Blick entgegen.

“Gern”, quittierte Wei Wuxian mit einem kurzen Lächeln, ehe er Jin Ling in Sizhuis Arme gleiten ließ und ihm die Lage erklärte. Dann erspähte er im Innern des Dorfes Lan Wangji, sein Gesicht klarte auf wie der Himmel nach einem Wolkenguss, und er war verschwunden.

Fairy

Die Entfernung des fremdartigen Qi, das sich in Jin Ling festgesetzt hatte, war zu einem nervenaufreibenden Spektakel geworden. Das Wesen – Wei Wuxian fand keinen passenderen Begriff, das Verhalten dieser Energie zu beschreiben – wehrte sich mit Zähnen und Klauen dagegen, seinen Wirt zu verlassen. Letztendlich hatte es der vereinten Kraft von Lan Wangjis Zither, seiner Geisterflöte Chenqing, einem Bannkreis und einer Reihe geisteranziehender Talismane bedurft, um das immer stärker außer Kontrolle geratende Wesen Jin Lings Körper zu entziehen, während Jiang Cheng, Sizhui und Jingyi Jin Lings eigenen Energiefluss unter Kontrolle gehalten und fortwährend die durch den Kampf entstehenden inneren Verletzungen versorgt hatten. Nach zwei endlosen Stunden war es ihnen endlich gelungen, die unheilvollen Schwaden restlos zu entfernen und in einem weiteren Geister-Beutel zu bannen.

Wei Wuxian würde sich später eingehender damit befassen. Nun sollte er schleunigst sein eigenes Qi unter Kontrolle bringen. Der Kampf gegen Zidian, aber vor allem die Verletzungen, die er von dem Höhleneinsturz davongetragen hatte, hatten ihn an den Rand seiner Kraft gebracht. Zittrig gaben seine Knie nach und er ließ sich unzeremoniell und mit einem theatralischen Seufzen auf den Hintern fallen. Er hoffte nur, Lan Zhan würde nicht misstrauisch. Er könnte ihn nicht anlügen, aber er wollte Lan Zhan auch keinen weiteren Anlass geben, Jiang Cheng zu verachten und die Bande, die sich gerade erst zwischen den Brüdern neu zu knüpfen begonnen hatten, in Gefahr bringen. Um keinen Preis wollte er das je wieder verlieren.

Lan Wangjis Zither erklang erneut, diesmal in den sanften, klaren Tönen einer heilenden Melodie. Wei Wuxian blickte auf und sah sich Auge in Auge mit seinem Geliebten, der sich wortlos nach seinem Zustand erkundete. Ein warmes Lächeln legte sich auf Wei Wuxians Lippen. Wenn seine Beine nicht so zittern würden, wäre er noch einmal aufgestanden und hätte seinen Kopf auf seinem Lieblingsplatz in Lan Zhans Schoß gebettet, doch so beließ er es bei dankbaren, liebevollen Blicken. Bevor er jedoch begann, das Chaos in seinen Meridianen zu ordnen, ließ er seinen Blick noch einmal zu Jiang Cheng schnellen, der mit hölzerner Miene und betont steif zu Jin Ling ging, um sich neben ihm niederzulassen.

“Sizhui, Jingyi”, verschaffte Wei Wuxian sich Aufmerksamkeit, “fragt nach, wo es hier das nächste Medizinhaus gibt und holt eine Salbe und Arznei gegen Prellungen und Entzündungen.”

Sizhui wurde blass.

“Verehrter Senior Wei-”

“Nicht ich”, unterbrach er seinen Ziehsohn mit einer wegwerfenden Handbewegung und einem leichten Schmunzeln. “Dein Onkel Jiang ist nur zu stolz, um selbst um Hilfe zu bitten.”

“Hüte deine Zunge!”, wurde er von besagtem ‘Onkel’ auch prompt angezischt und auch Sizhuis Gesichtsfarbe wechselte schneller als ein Krebs, den man in kochendes Wasser warf. Der Anblick ließ Wei Wuxian sich vor Lachen den Bauch haltend nach hinten fallen.

“Jiang Cheng! Dein Drachenrot beißt sich schrecklich mit Sizhuis Tomatenrot!”

“ICH GEB DIR GLEICH ‘DRACHENROT’!”

Doch bevor Jiang Cheng sich auf seinen spöttischen Bruder stürzen konnte, erstarb die heilende Melodie der Zither mit einem tiefen, warnenden Ton.

“Ruhe für die Verletzten”, mahnte Lan Wangji streng und ließ seinen Blick von Jin Ling über Jiang Cheng bis hin zu Wei Wuxian wandern. “Alle.”

Damit war der Streit im Keim erstickt und die heilende Melodie setzte wieder ein.

“Jingyi”, fügte Lan Wangji kurz darauf hinzu, “sieh dir Clanführer Jiangs Verletzung an. Sizhui, besorge die besagte Medizin. Bring außerdem etwas gegen Kopfschmerzen und Schwindel sowie Tränke zum Auffrischen von Energiereserven mit.”

“Nicht nötig”, lehnte Jiang Cheng brummend ab und Lan Jingyi, der sich auf die Anweisung seines Seniors hin sofort in Bewegung gesetzt hatte, blieb überfordert und peinlich berührt auf halber Strecke stehen.

“Hilfe auszuschlagen zugunsten derer, die sie dringender benötigen, ist edel, aber aus falschem Stolz, das ist fahrlässig. Als Clanführer solltest du die Verantwortung für deine Gesundheit ernster nehmen”, rügte Lan Wangji Jiang Chengs Sturheit, der sogleich in seine Drachenfärbung zurückwechselte und die Hände so fest zu Fäusten ballte, dass seine Knöchel knackten.

“Schön!” Er verschränkte die Arme vor der Brust, verengte die Augen zu Schlitzen und streckte sein verletztes Bein zur Inspektion aus. “Wenn es deine kleinkarierten Moralvorstellungen befriedigt. Aber erwarte nicht zu viel. Ich kümmere mich bereits selbst darum und in wenigen Stunden dürfte von solch einer Lappalie ohnehin nichts mehr zu sehen sein.”

Damit blickte er wieder auf Jin Ling, ignorierte Lan Jingyis verschüchtertes “Verzeihen Sie meine Aufdringlichkeit” und ließ ihn gewähren. Von Lan Sizhui war bereits nichts mehr zu sehen. Wei Wuxian kicherte vor sich hin, verschränkte die Arme hinter dem Kopf, schloss die Augen und kümmerte sich um sein Qi.
 

Die Sonne hing bereits tief am Horizont, als Jin Ling sein Bewusstsein endlich wiedererlangte. Ein gequältes Stöhnen zog alle Aufmerksamkeit auf sich.

“JIN LING!!”

Sofort ergriff Jiang Cheng die Hand seines Neffen und überprüfte erneut den Puls.

“Onkel…?”, rollte sein erstes Wort matt und kratzig von der noch trägen Zunge. Doch es dauerte kaum einen Herzschlag, dass er mit schreckgeweiteten Augen von seiner Liege aufsprang.

“FAIRY!!”

Panisch blickte er sich um.

“Onkel, wo ist Fairy?! Hast du sie nicht gefunden?”

Sein diffuser Blick blieb an Wei Wuxian hängen.

“Onkel Wei!”

Wieder dieses Gefühl, als würde ihm eine stählerne Klaue die Eingeweide herausreißen. Wei Wuxian wünschte, der Junge würde diese Anrede unter anderen Umständen verwenden.

Fahrig rappelte sein Neffe sich auf und torkelte auf ihn zu.

“Du hast sie gefunden, oder? Bitte sag mir, dass du sie gerettet hast!”

Jin Ling wäre gestürzt, hätte Wei Wuxian ihn nicht im letzten Moment gehalten. Doch die Art, wie der Junge sich nun in seinen Hanfu klammerte und ihn mit großen, tränenglänzenden Augen voller verzweifelter Erwartung anblickte, machten die nächsten Worte nicht einfacher.

“Wir haben sie leider nicht gefunden.”

“Reiß dich zusammen und erzähl ordentlich, was passiert ist!”, mischte sich Jiang Cheng ruppig ein. “Wie sollen wir dir sonst helfen können?”

Nach wenigen Augenblicken schienen die strengen Worte seines Onkels Wirkung zu zeigen. Er schluckte schwer, ließ von Wei Wuxians Kleidung ab und begann mit bebenden, aber verständlichen Worten zu berichten.

“Fairy und ich sind aufgebrochen, um das Wildschwein zu jagen. Sie muss seine Fährte aufgenommen haben und ist davongerannt. Ich habe sie einen ganzen Tag gesucht. Als ich sie endlich gefunden habe, war sie von dunkler Energie verseucht und hat- und hat mich angegriffen.”

Jin Ling konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Ungehemmt rannen sie ihm über die Wangen. Doch er ignorierte sie eisern und zwang sich, seinen Bericht abzuschließen.

“Ich habe sie mit meinem Schwert verletzt. Sie- sie ist mir in die Klinge gesprungen. Dann ist sie davongerannt, in die Höhle. Onkel Jiang, Onkel Wei … Sie war dabei, zu einem Yao zu mutieren. Wenn sie nicht schnell gefunden wird, könnte es zu spät sein.”

Wei Wuxians Kopf schnellte zu Jiang Cheng und in dessen Augen spiegelte sich dasselbe Entsetzen, welches ihm selbst soeben in die Eingeweide gefahren war. Jiang Cheng stürmte nach draußen, Wei Wuxian setzte augenblicklich nach. Das wolfsartige Yao, das sie in der Höhle angegriffen hatte - DAS sollte Fairy gewesen sein?!

Jiang Cheng rief Suibian, sprang auf und deutete Wei Wuxian mit einem knappen Nicken an, es ihm gleich zu tun. Es war ein seltsames Gefühl. Nicht nur, mit jemand anderem als Lan Zhan auf einem Schwert zu fliegen, sondern auch noch auf jenes eingeladen zu werden, das, genau genommen, ihm gehörte. Doch das war nun unwichtig. Kaum dass Wei Wuxian hinter Jiang Cheng Position bezogen hatte, schoss Suibian durch die Luft, zurück zu der Höhle, in der sie vor einem halben Tag gegen das Yao gekämpft hatten.

Fairy war ein spirituelles Tier. Ihre Seele war von besonderer Stärke und würde sich nicht so schnell auflösen. Seelen wie die ihre überdauerten normalerweise mehrere Generationen, weil sie so, wie sie das Leben geformt hatte, einen neuen Körper beziehen konnten. Sie trugen oft die Erinnerungen von zwei oder drei Leben in sich. Besonders starke Seelen wahrscheinlich sogar noch mehr. Es ähnelte der Übernahme eines fremden Körpers, nur dass spirituelle Seelen keine Körper einnahmen, denen bereits eine Seele innewohnte, sondern um den Zeitpunkt der Geburt herum, wenn eine Seele diesen neuen Körper besiedeln wollte, mit diesem verschmolzen. Sie konnten nur hoffen, dass Fairys Seele stark genug war, der Verunreinigung durch das Yao bis jetzt standgehalten zu haben – so gering die Chancen auch sein mochten.

Suibian schoss über die Baumwipfel. Die Lichtung mit der Höhle zeichnete sich bereits in der Ferne ab. Sie landeten direkt vor dem Höhleneingang, doch während Jiang Cheng keine Sekunde verlor, in den unheilvollen Schlund zurückzukehren, waren Wei Wuxians Beine wie festgewurzelt. Er wollte da hineingehen. Er wollte Jin Ling helfen, das wollte er wirklich. Und er wusste, dass jede Sekunde zählte. Dennoch war er machtlos gegenüber der Ohnmacht, die ihn packte, wenn er daran dachte, zu dem Kadaver des mutierten Wolfes zurückkehren zu müssen, sich mit einem Hund, zwar nur in Form einer Seele, aber dennoch mit einem Hund würde auseinandersetzen müssen.

Jiang Cheng hatte sein Zögern bemerkt und sich skeptisch zu ihm umgedreht.

“Du kannst auch hier draußen warten”, bot er ihm an.

Wei Wuxian wusste das Angebot zu schätzen. Er wusste aber auch, dass es im Umgang mit Seelen auf sehr viel Fingerspitzengefühl ankam. Und er hatte definitiv mehr Erfahrung damit. Falls die Seele des Hundes bereits dabei war, sich aufzulösen, hätte er die besseren Chancen, dies zu verhindern. Und er würde sich auch um die dunkle Materie kümmern müssen. Jiang Cheng würde es kaum gelingen, sie von Fairys Seele zu trennen, ohne dieser noch mehr Schaden zuzufügen. Es führte kein Weg daran vorbei.

Ergeben schüttelte Wei Wuxian den Kopf und trat einige zögerliche Schritte auf Jiang Cheng zu. Sie mussten einander nichts erklären. Wei Wuxian war sich sicher, dass sein Bruder seine Gedanken auch so verstand.

Wei Wuxian griff vorsichtig nach einem Zipfel der violetten Robe und war Jiang Cheng insgeheim dankbar dafür, dass dieser so tat, als würde er nichts bemerken. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als sich der zottelige Körper und der abgetrennte Kopf im schwachen Licht der Abenddämmerung abzeichneten und starre Augen und Fangzähne orangerot aufblitzten. Seine Hände schwitzten und er wischte sie hastig an seiner Kleidung ab – mehr, um sich etwas zu tun zu geben, als dass es wirklich etwas nützte.

“Was kann ich tun?”, brachte ihn Jiang Chengs Stimme zurück zu ihrer Aufgabe.

Unsere Aufgabe. Jin Ling. Konzentrier dich, versuchte Wei Wuxian, seinen aufgewühlten Geist in geordnete Bahnen zu lenken. Er besah sich die dunkel umwaberte Seele, die einige Fingerbreit über dem Tierkadaver schwebte. Dem Himmel sei dank, dass sie sich noch nicht aufgelöst hatte! Aber es fehlte nicht mehr viel. Ihr Leuchten war unter der dunklen Masse kaum mehr wahrnehmbar. Wei Wuxian zog eine Handvoll geisteranziehender Talismane aus seinen Ärmeln und drückte sie Jiang Cheng in die Hand.

“Versuch, die Materie von der Seele wegzulocken.”

Damit setzte Wei Wuxian Chenqing an seine Lippen. Ruhige, schwere Töne erklangen, die das dunkle Qi träge machten, in einen traumartigen Zustand versetzten, so wie es ihm auch bei Jin Ling gelungen war. Als die Bewegungen der dunklen Materie sich deutlich verlangsamt hatten, nickte er Jiang Cheng zu, der daraufhin den ersten der Talismane aktivierte und probeweise näher an die Seele heranführte. Einige Ausläufer reagierten auf die Verlockung des Talismans, begannen nach ihm zu greifen. Wei Wuxian atmete innerlich auf. Außerhalb eines lebendigen Körpers schien das seltsame Qi einfacher manipulierbar zu sein. Er ließ weitere süße Töne in seine Melodie einfließen und gab Jiang Cheng mit einem Nicken in Richtung der Talismane zu verstehen, die Intensität zu erhöhen. Sein Bruder aktivierte einen weiteren. Weitere Fühler formten sich aus dem wolkenartigen schwarzen Kern, welcher sich allmählich von einem Kreis zu einem Oval verlängerte. Offensichtlich war sie interessiert an dem, was sich ganz in ihrer Nähe abspielte, jedoch weiterhin unwillig, von ihrer ergatterten Seele abzurücken. Möglicherweise war diese Seele sein Lebensanker. Die Materie schien sich nur von Wirt zu Wirt fortbewegen zu können. Als Jiang Cheng Stunden zuvor das Yao gerichtet hatte, hatten sich große Teile seiner negativen Energie aufgelöst. Wahrscheinlich war nur so viel zurückgeblieben, wie sich von der Kraft der Hundeseele ernähren konnte. Auch in den Erkundungsberichten der Lan-Schüler war sie nie gesichtet worden, ja, überhaupt nur durch ihre unnatürliche Abwesenheit aufgefallen, und im zerstörten Langya waren ebenfalls keine Reste zurückgeblieben.

Fairy musste das Yao-Wildschwein ausfindig gemacht haben, als das dunkle Qi am Rande des Verlöschens gestanden hatte. Der Kampf gegen die Kultivatoren von Langling dürfte es empfindlich getroffen haben. So konnten die Reste des Qi den Hund als neuen Wirt infizieren und erneut an Stärke gewinnen. Doch als der infizierte Hund auf seinen Herren traf, konnte die Materie diesem trotz kaum vorhandener Gegenwehr kaum Schaden zufügen. Es war ihr also noch nicht gelungen, komplett die Kontrolle über die spirituelle Seele zu übernehmen. Das hatte Jin Ling das Leben gerettet. Der Hund hatte ihm, in seinem verzweifelten Kampf gegen dieses übermächtige Qi, das Leben gerettet. Hatte sich mit jeder Faser seines Seins dagegen gewehrt, seinem Herren zu schaden, sich in die Höhle zurückgezogen und auf sein Ende gewartet – bis Wei Wuxian und Jiang Cheng mit ihrem Auftauchen den letzten Widerstand gebrochen hatten.

Eine seltsame Energieform, die sich mit aller Macht an das Leben krallte. Ein Hund, der dieser Macht die Stirn bot und sich für seinen Herren aufopferte. Wo war er hier nur hineingeraten? Er musste zugeben, dieses regelrecht lebendige dunkle Qi faszinierte ihn. Doch er konnte dessen Überlebensinstinkt nicht über das Wohl der Hundeseele stellen. Nicht, wenn es sich um den wichtigsten Beistand seines Neffen handelte.

Jiang Cheng aktivierte einen weiteren Talisman und Wei Wuxian ließ mehr seines negativen Qi in Chenqings Melodie einfließen. Endlich begann auch der Kern der dunklen Wolke sich in Richtung der Talismane zu bewegen und darunter kam der bläulich schimmernde Kern der Seele zum Vorschein. Allerdings wurde die Materie nun auf Jiang Cheng aufmerksam, der mit deutlichem Unbehagen beobachtete, wie sie seine Finger, den Handrücken und schließlich auch das Handgelenk umspielte. Wei Wuxian umrundete Jiang Cheng, griff nach Suibian, zog es einige Zentimeter aus der Scheide und schnitt sich in die Fingerkuppe. Kaum begann frisches Blut aus dem Schnitt zu quellen, zeichnete er einen kleinen Bannkreis vor ihre Füße, während er mit seiner linken Hand Chenqings Melodie weiterführte. Mit einem Kopfzeig deutete er seinem Bruder an, die Talismane dort hineinfallen zu lassen, und dieser verschwendete keinen Augenblick, dem nachzukommen. Die Geisterflöte nun wieder mit beiden Händen führend, verlieh Wei Wuxian dem Instrument neue Kraft und die Materie konzentrierte sich immer zügiger auf die Talismane im Innern des Bannkreises, nicht ahnend, dass sie sich in ihr letztes Gefängnis begab.

Als die Materie endlich gebannt war und Chenqings Melodie verklang, entfuhr Jiang Cheng ein kehliger Atemzug der Erleichterung, wohingegen Wei Wuxian die Luft geradezu im Hals steckenblieb. Mit dunklen Mächten konnte er umgehen, aber der weit schwierigere Teil lag noch vor ihm. Auch wenn es sich nur um eine Seele handelte und keinen Körper mit scharfen Klauen und Fangzähnen, die ihm wochenlange Entzündungen bescheren würden, handelte es sich noch immer um eine Hundeseele, die er hier bergen und mit sich nehmen müsste. Rein rational wusste er, dass seine Angst unbegründet war, aber dennoch …

“Sag mir, was ich tun soll”, holte Jiang Chengs Stimme ihn aus seinen festgefahrenen Gedanken. In der Hand hielt sein Bruder bereits einen Geister-Beutel.

“Hast du schon einmal eine Seele transferiert?”, erkundigte sich Wei Wuxian, auch wenn er das darauffolgende Kopfschütteln schon erwartet hatte. Die Handhabung spiritueller Seelen gehörte nicht zu den Grundlagen der orthodoxen Kultivierung. Und er selbst kannte die Lehren des Jiang-Clans gut genug, um zu wissen, dass ihre Stärken in anderen Bereichen lagen. Die Seele dieses Hundes war zudem kein geeignetes Übungsobjekt, um in diese Disziplin einzusteigen, selbst wenn es sich nicht um Jin Lings Gefährtin gehandelt hätte. Der Kampf gegen die dunkle Materie hatte deutliche Spuren hinterlassen. Ihr mattes Leuchten zeugte von einem stark geschwächten Zustand. Zudem zogen sich zahlreiche feine Risse durch den Kern, was bedeutete, dass die Seele bei unbedarfter Handhabung zersplittern könnte. Statt sie direkt zu berühren, war es ratsamer, sie zu bitten, von sich aus in den Geister-Beutel zu schweben und sie zu begleiten.

Wei Wuxian versuchte, sie mit seinem Bewusstsein zu erreichen, doch es gelang nicht. Seine Gedanken einer tierischen Seele näherzubringen, war ohnehin schwieriger als bei menschlichen Seelen. Zudem war diese erschöpft und verschreckt. Sie schien seine Präsenz kaum wahrzunehmen.

“Jiang Cheng, kannst du mir kurz dein Glöckchen leihen?”

Wei Wuxian streckte seine Hand aus, bemüht, das Zittern zu unterdrücken, aber er sah selbst, dass er kläglich daran scheiterte. Jiang Cheng überreichte ihm den gewünschten Gegenstand mit einem “Wofür brauchst du die?”

“Ich will sehen, ob sich die Seele an Jin Ling erinnert. Vielleicht lässt sie sich dann in den Beutel locken.”

Sollte dies ebenfalls nicht klappen, blieb ihm nichts anderes übrig, als sie mit seinem Qi zu berühren, was aus zweierlei Hinsicht gefährlich war. Nicht nur die Berührung an sich könnte die Seele zersplittern lassen. Was Wei Wuxian viel mehr sorgte, war die Gefahr, dass er über seine Angst das Qi in seinen Fingern nicht angemessen unter Kontrolle behielt und er somit den Zerfall der Seele selbst zu verantworten hätte.

Jin Ling.

Er konzentrierte sich voll und ganz auf seinen Neffen, als sein Bewusstsein erneut nach der Seele des Hundes tastete und das Glöckchen ein sanftes Klingen ertönen ließ.

Jin Ling.

Nicht nur der Seele sollte dieser Gedanke eine Orientierung geben. Wei Wuxian brauchte ihn ebenso, um diese Prozedur durchzustehen. Er tat das hier für Jin Ling. Der Junge brauchte diesen Begleiter.

Und tatsächlich, die Seele reagierte. Es war ein schwaches Flackern, kaum mehr als eine ersterbende Kerzenflamme in einem Windhauch. Doch es war Zeichen genug, dass die Seele verstand und neuen Lebenswillen schöpfte. Sie erinnerte sich an Jin Ling. Sie wollte weiterleben, für ihn.

Wei Wuxian atmete geräuschvoll aus. In diesem Zustand würde die Hundeseele den Transport im Geister-Beutel überstehen. Er trat einen Schritt zurück, so dass Jiang Cheng ihr entgegenkommen und sie in den geöffneten Beutel hineingleiten lassen konnte.

Wei Wuxian graulte es dennoch vor Jin Lings Reaktion, wenn er mit dem Zustand seiner Gefährtin konfrontiert würde.

Familie

“Fairy…”

Jin Ling strauchelte, ging auf die Knie. Augenblicklich waren Wei Wuxian und Sizhui bei ihm und packten ihn unter den Armen, bevor ihm gänzlich die Beine versagten. Dicke Tränenschwalle strömten aus schockgeweiteten Augen, die Lippen stumm bebend, nicht in der Lage, seinen starren Blick von dem Geister-Beutel in den Händen seines Onkels zu lösen. Selbst Jiang Cheng wirkte überfordert. Kein Laut kam ihm über die Lippen, kein Muskel regte sich. Starr wie eine Statue der personifizierten Reue stand er Jin Ling gegenüber, den Beutel mit der Seele seiner Gefährtin Fairy in der ausgestreckten Handfläche.

Wei Wuxian war nicht gut mit solchen Situationen. Es schnürte ihm die Brust ab, Jin Ling so zu sehen. Unweigerlich drängte sich die Frage auf, ob er diesen Verlust nicht hätte verhindern können, wenn er sofort bemerkt hätte, dass dieses Yao Fairy gewesen war. Vielleicht hätte er die Transformation noch aufhalten, vielleicht sogar rückgängig machen können? Wenn er-

Er unterbrach sich, als er die Abwärtsspirale erkannte, in die er geriet. Fest schloss er seinen Neffen in die Arme.

“Es tut mir leid.”

Ein Schluchzen entkam Jin Lings Kehle. Es folgte ein hektisches Kopfschütteln. Dann wurde die Umarmung erwidert und wehleidige Klagelaute erfüllten den Raum, gedämpft durch den Stoff von Wei Wuxians Robe.

 

“Wuxian, mach endlich!”

Hilfesuchend ging Wei Wuxians Blick zu Lan Wangji, der diesen stumm erwiderte und ihm eine stützende Hand darbot, die sehr bereitwillig ergriffen wurde - was aber nicht bedeutete, dass er der Aufforderung Jiang Chengs nachkam.

“Dann bleib doch einfach hier!”, fauchte der Wartende schließlich entnervt. “Wangji, gib mir den Beutel.”

Der Angesprochene nahm den Geister-Beutel, in welchem die Seele von Fairy sich vom Angriff der dunklen Materie erholt hatte, aus seiner Brusttasche und überreichte ihn. In den letzten Wochen hatte sich die Seele dank Lan Wangjis regelmäßigem Musizieren auf der Guqin wieder stabilisiert und sollte den Transfer in einen neuen Körper ohne Schwierigkeiten bewältigen können. Einen potenziellen Körper hatte man ebenso gefunden. Jin Lings Wahl war auf eine Hündin gefallen, die derselben Rasse angehörte wie Fairy. Soeben waren sie informiert worden, dass die Wehen eingesetzt hatten. Die Geburt der Welpen würde jeden Moment beginnen. Nun war der Zeitpunkt, an dem sich zahlreiche Seelen um den Mutterleib scharten und die Verschmelzung mit den Welpen stattfand. Wei Wuxian hatte sich angeboten, die Seelen zu überwachen und dafür zu sorgen, dass die spirituelle Seele Fairys einen der Körper würde beziehen können. Nur war das leichter gesagt als getan, wenn er dafür mit diesem Monster in unmittelbaren Kontakt treten musste.

Jiang Cheng hatte den Geister-Beutel bereits in seinem eigenen Gewand verstaut und sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen gewandt.

“W-warte! Ich komm ja schon…!”, rief Wei Wuxian ihm eilig nach und wandte sich mit einem weiteren verzweifelten Blick seinem Geliebten zu.

“Du bleibst bei mir?”

“Das verspreche ich.”

“Die ganze Zeit?”

“Die ganze Zeit.”

“Du lässt mich nicht los?”

“Niemals.”

Zur Bestätigung seiner Worte umfasste er Wei Wuxians Hand noch fester.

“Wei Ying.” Lan Wangji umfasste die zweite Hand ebenso und sah ihm fest in die Augen. “Du musst das nicht tun. Es wird schon gut gehen."

Nach einigem Zögern seufzte Wei Wuxian resigniert und schüttelte den Kopf.

“Es ist keine vollkommen sichere Sache. Spirituelle Seelen sind stark, aber es gehört auch Durchsetzungsvermögen dazu, sich gegen andere Seelen zu behaupten und in einem Körper einzunisten. Und manche können sehr rabiat sein.”

“Wenn sie zurückscheut, kann Clanführer Jiang sie in den Geister-Beutel zurückrufen und wir warten auf eine neue Gelegenheit”, tröstete ihn Lan Wangji.

“Und ertragen noch einmal Jin Lings gebrochenen Ausdruck? Seine Hoffnungslosigkeit? Seine Einsamkeit? Selbst Sizhui ist ganz verausgabt, so sehr hat Jin Lings Zustand ihn mitgenommen. Von meinem armen Herzen ganz zu schweigen.”

Wei Wuxian schüttelte erneut den Kopf.

“Dann gehen wir?”

Wieder ein Zögern, dann ein Kopfnicken, und Wei Wuxian ließ sich von Lan Wangji aus dem Jingshi führen. Sie folgten Jiang Cheng mit einiger Verzögerung.

Normalerweise genoss Wei Wuxian es, dicht an Lan Zhans muskulösen Rücken geschmiegt mit diesem auf Bichen zu fliegen, den Duft von Sandelholz und des einzigartigen Aromas seines Geliebten in der Nase. Und irgendwie genoss er es ja auch heute. Ein Stück weit. Aber es hatte nicht die beruhigende Wirkung, die es sonst auf ihn ausübte.

“Wei Yin ist die mutigste Person, die ich kenne”, ertönte Lan Wangjis Stimme an seinem Ohr, vibrierte wohlig durch Wei Wuxians Brust. Doch der Satz ließ ihn nur peinlich berührt auflachen.

“Was soll an mir denn bitteschön mutig sein?”

“Dass du gegen deine Angst kämpfst, um anderen zu helfen.”

Wei Wuxians Herz machte einen schweren Satz, so als wollte es aus seiner Brust hinaus und in Lan Zhans hineinspringen.

“Warne mich, wenn du so etwas sagst. Ich falle vor Überwältigung noch von Bichen.”

“Ich fange dich auf.”

Mit einem wohligen “Hm” schmiegte Wei Wuxian sich noch ein wenig fester an den Menschen, dem sein Herz und seine Seele gehörten.

 

Jiang Cheng erwartete sie im Hof des Bauern, dessen Hündin die Welpen gebar. Er überging das unziemliche Geschmuse seines Bruders mit dem Jade-Prinzen und stellte sich an Wei Wuxians freie Seite, nachdem die Klette sich zumindest so weit gelöst hatte, dass sie laufen konnten. Normalerweise hätte er ihn für solch einen Affront zurechtgewiesen – nicht, dass es je etwas genützt hätte – aber im Moment hoffte selbst Jiang Cheng, dass diese Nähe seinem Bruder helfen würde, die Nerven zu bewahren. Denn wenn er ehrlich war, behagte ihm die Vorstellung, den Seelentransfer ohne Wei Wuxian durchführen zu müssen, ebenfalls wenig. Er hatte sich in den letzten Wochen zur Beschaffenheit und Handhabung von Seelen belesen und sich ein wenig mit der Seele in seinem Geister-Beutel vertraut gemacht, aber das ersetzte längst keine praktischen Erfahrungen.

Der Bauer führte sie zu dem Stall, in dem die Hündin ruhte. Jin Ling saß bei ihr, den Rücken zur Tür gewandt, und beobachtete das erschöpft hechelnde Tier. Als er die Ankommenden hörte, drehte er sich um.

“Onkel Jiang, Onkel Wei.” Und, mit etwas Verzögerung und einem angedeuteten Nicken: “Hanguang Jun.”

Jiang Cheng war sogleich bei seinem Neffen, legte diesem eine Hand auf die Schulter und holte den Geister-Beutel hervor. Wei Wuxian zwang sich, seinen Blick von den Lefzen des Tieres abzuwenden und seinen Neffen anzublicken. Er versuchte, Kraft aus der Tatsache zu schöpfen, dass Jin Ling ihn noch immer mit “Onkel” ansprach und es sich warm und geborgen anfühlte, jetzt, wo dieses Wort nicht mehr die blanke Panik verkörperte. Aber er war sich nicht sicher, ob das an seinem momentanen Gefühlszustand tatsächlich etwas änderte.

Sein Blick schnellte zurück zu dem Hund. Den Lefzen, den Krallen, dem prallen Bauch, der sich unter schweren Atemzügen hob und senkte. Automatisch wurde sein Griff um Lan Wangjis Hand fester und er trat einen halben Schritt zurück, doch der Händedruck, stark und gleichzeitig sanft, hinderte ihn daran, weiter zu fliehen. Schnell schloss sich Lan Wangjis linke Hand um ihre verschlungenen Finger, löste seine rechte aus dem Klammergriff. Die freigewordenen Finger wiederum fuhren nun um Wei Wuxians Rücken und legten sich auf der Hüfte an seiner anderen Seite nieder, dirigierten Wei Wuxian subtil vor Lan Wangjis Körper, wo sie Rücken an Brust verharrten.

“Wenn du gehen willst-”, begann Lan Wangji dennoch, wurde aber von Wei Wuxian unterbrochen.

“Nein, es ist gut so.”

Und wie zur Bestätigung seiner Aussage, zum Dank für den Halt, den sein Geliebter ihm gab, schmiegte Wei Wuxian sich noch enger an ihn. Lan Wangji ließ es geschehen, hielt, glühend heißer Ohren zum Trotz, sein Versprechen.

Ein gequältes Fiepen entfuhr der Hündin, und Wei Wuxian entfuhr beinah die Seele, so heftig zuckte er zusammen. Lan Wangji konnte nicht anders, als selbst seinen letzten Anstand über Bord zu werfen und beide Arme fest um Wei Wuxians Körper zu schlingen. Und es half. Irgendwie. Wei Wuxian wusste, dass er längst wahnsinnig geworden wäre, wenn sein Partner nicht solch ein Rettungsanker für ihn wäre. Aber es war nicht genug. Auch wenn der letzte Rest seines rationalen Verstandes ihm sagte, dass dieser Hund gerade die schlimmsten Schmerzen eines Lebewesens durchmachte und keinesfalls angreifen könnte, dass er nicht allein war und nicht nur Lan Zhan, sondern auch Jiang Cheng und alle anderen Anwesenden um jeden Preis verhindern würden, dass dieses Monster auch nur auf Schwertlänge an ihn herankommen würde, dass er selbst längst stark genug war, um es spielend leicht mit solch einer Gefahr aufnehmen zu können – es half alles nichts. Er verlor halb den Verstand vor Angst. Oder das Bewusstsein. Sein Puls raste, seine Atmung ging viel zu flach, viel zu schnell.

“Onkel Wei, du … du musst das nicht tun. Ich … schaff das schon”, drang die schwache, unsichere Stimme seines Neffen zu ihm durch. Vor der gebärenden Hündin kniend, ihm den Rücken zugewandt, Kopf und Schultern kraftlos nach vorn gefallen. Die zu Fäusten geballten Hände im starken Kontrast zum Rest von Jin Lings Körper, ein Kontrast, der auch im Innern des Jungen toben musste.

Dieser Anblick erdete Wei Wuxian mehr als alles andere. Es brachte ihn zurück zu dem Grund seines Hierseins.

Jin Ling.

Er wollte ihm beistehen. Wollte sein Möglichstes tun, um seinem Neffen das schwere Schicksal, welches auch er ihm auferlegt hatte, wenigstens ein kleines Stück weit leichter zu machen. Weder Jin Lings Vater, Jin Zixuan, noch seine Mutter, Wei Wuxians geliebte Shijie, konnten dem Jungen in seiner Einsamkeit und Trauer beistehen. Wei Wuxian würde ihn nicht im Stich lassen. Sie mochten nicht blutsverwandt sein – oder zumindest waren sie es ursprünglich nicht gewesen – aber im Herzen war der Junge schon immer sein Neffe gewesen. Jin Rulan, der Junge, dem er seinen Gesellschaftsnamen gegeben hatte.

“Ich bleibe”, hauchte Wei Wuxian mit zittriger Stimme, aber dennoch bestimmt, und zwang sich, seine Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Seelen zu lenken, die sich immer enger um den Hundeleib versammelten.

Ein weiterer stöhnender Laut, ein erneutes Zusammenzucken Wei Wuxians in Lan Wangjis schützenden Armen, und der erste Welpe wurde, ummantelt von seiner noch intakten Fruchtblase, herausgepresst. Als die Hündin mit ihren weiß aufblitzenden Fangzähnen die Fruchtblase aufbiss und fraß, verlor Wei Wuxian beinah das Bewusstsein. Als er sich wieder gefangen hatte, hatte bereits eine der gewöhnlichen Seelen den neuen Körper bezogen und Wei Wuxian schalt sich dafür, nicht besser aufgepasst zu haben.

“Es ist ein Rüde!”, informierte ihn der Bauer, der neben seiner Hündin kniend die Geburt überwachte.

Zumindest war es somit keine verlorene Chance. Sie waren auf den Körper einer Hündin aus.

Wieder stöhnte die Hündin, alle ihre Muskeln verkrampften sich. Doch diesmal würde Wei Wuxian durchhalten. Er klammerte sich an Lan Wangjis Hände und beobachtete die Seelen, erzeugte eine dünne Barriere unmittelbar am Hinterleib der Hündin, so dass die Seelen sich nicht wieder sofort auf den neugeborenen Welpen stürzen könnten. Wieder zerbissen spitze Hundezähne die Fruchtblase und die Barriere drohte einen Moment sich aufzulösen, als Wei Wuxian erneut gegen die Ohnmacht kämpfte, doch einen Herzschlag später hatte er sich wieder unter Kontrolle.

“Noch ein Rüde”, informierte der Bauer sie und Wei Wuxian ließ die Barriere verschwinden. Kaum war ihre Energie verloschen, stürzten sich die Hundeseelen auf den noch reglosen Welpen, einer gelang die Verschmelzung und sie hauchte dem Tier Leben ein.

Was, wenn es gar keine Weibchen gibt?, ging es Wei Wuxian verzweifelt durch den Kopf. Allein der Gedanke, das hier noch einmal durchstehen zu müssen, trieb ihm Tränen der Verzweiflung in die Augen. Sein Blick legte sich wieder auf Jin Ling, der genauso angespannt war, genauso zitterte, wenn auch aus einem anderen Grund.

Lass ein Weibchen dabei sein!

Wieder spannte die Hündin sich an, wieder kratzte Wei Wuxian seine letzten Nerven zusammen, um eine sanfte Barriere zu erzeugen. Wieder wurden sie enttäuscht. Keine Hündin. Das Warten ging weiter und die Hoffnung begann zu schwinden.

Wieder setzte das Krampfen ein, wieder zog Wei Wuxian eine sacht schimmernde Barriere auf und ertrug den kalten Schweiß beim Anblick des Zerbeißens der Fruchtblase. Alle hielten den Atem an.

“Eine Hündin!”, verkündete der Bauer und die Erleichterung im Raum war regelrecht greifbar. Wei Wuxian vergrößerte die Barriere um die gesamte Hündin und drückte die suchenden Seelen sanft zurück. Die Mutter zerbiss sogleich erneut die Fruchtblase und begann, ihr Junges abzulecken. Jiang Cheng kniete sich neben den Welpen und streckte seine Hand mit dem geöffneten Geisterbeutel ins Innere der Barriere. Sofort erhob sich die spirituelle Seele und verschwand im Körper des kleinen Hundes. Einen weiteren Herzschlag blieb er regungslos, dann zuckten seine Beine und ein Schnaufen verkündete, dass er seinen ersten Atemzug, den ersten Schritt ins Leben, genommen hatte.

Wei Wuxians Barriere zerstarb, sein Kopf fiel schwach gegen Lan Zhans Wange, er schloss die Augen und ließ einen zittrigen Atemzug erweichen.

Jin Ling schniefte und führte unsicher einen Finger an den winzigen Kopf des Welpen, der von seiner Mutter weiter ausgiebig gesäubert wurde.

“Fairy …”

“Du kannst sie kurz nehmen”, ermutigte ihn der Bauer, nahm das winzige Mündel vorsichtig in seine großen Hände und überreichte es dem weinenden Jungen. Zögerlich hielt er es an seine Brust und schirmte es mit seiner freien Hand von der kühlen Umwelt ab.

“Onkel Jiang …”

Tränennasse Augen suchten seinen Onkel.

“Onkel Wei …”

Sein Blick wanderte weiter zu Wei Wuxian. Es folgte eine tiefe Verbeugung.

“Ich danke euch so sehr …!”

Jiang Cheng fuhr sich fahrig durch die Haare und ließ seine Hand dann schwer auf den Kopf seines Neffen fallen.

“Pass gefälligst besser auf sie auf!”

“Das werde ich!”, versprach Jin Ling und hob den Kopf, sein Blick voller Entschlossenheit.

“Und halt sie mir vom Leib!”, setzte Wei Wuxian nach. Es hatte ein Scherz werden sollen, doch so elend, wie er dabei aussah und klang, wusste er selbst, dass er dabei kläglich versagt hatte.

“Versprochen!”

Der Bauer nahm ihm den Welpen wieder ab und brachte ihn zurück zu seiner Mutter, die augenblicklich ihr Abschlecken wieder aufnahm. Als Jin Ling sich vergewissert hatte, dass es Fairy gut ging, blickte er erneut nach seinen Onkeln. Lan Wangji hatte sich auf ein sittliches Maß zurückgezogen und beschränkte sich nun darauf, Wei Wuxians Hand fest zu halten. Jiang Cheng war zu seinem Bruder getreten und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

“Danke.”

Wei Wuxian wusste, dass sich das nicht auf seine ‘unverzichtbare’ Leistung bezog. Die Barriere hätte auch Jiang Cheng erzeugen können. Und selbst wenn er sich unsicher gewesen wäre, gleichzeitig die fragile Barriere und die Seele im Geister-Beutel zu kontrollieren, hätte Lan Zhan sich um die Barriere kümmern können. Aber Wei Wuxian war da. Er war geblieben, trotz all der tief verwurzelten Furcht, um ein Auge darauf zu haben, dass nichts schief ging, und auch einfach, um Jin Ling beizustehen.

“Ich kann doch unseren Neffen nicht im Stich lassen”, kommentierte er mit einem erschöpften, schiefen Lächeln.

“Onkel Wei! Onkel Jiang!”

Mit drei schnellen Schritten hatte Jin Ling die Distanz zu seinen Onkeln überwunden, seine Arme um sie geschlungen und sein Gesicht zwischen ihren Schultern vergraben. Er klammerte sich an sie, so wie es vor gerade einmal einem halben Jahr Sizhui bei ihm und Lan Zhan getan hatte. Wei Wuxian blieben die Worte im Hals stecken ob der Gefühle, die diese Innigkeit in ihm aufwallen ließen, die ihm zeigte, stärker, als Worte es je vermocht hätten, dass seine Familie wieder ein Stück gewachsen war.

Seine Familie.

Bonus: Bruder (Jiang Chengs Perspektive)

Wei Wuxian war so tief in seinem Albtraum gefangen, dass er nicht einmal mitbekommen hatte, dass die Gefahr vorüber war. Die Schreie nach “LAN ZHAN!!” hallten unverändert von den Höhlenwänden.

“Nun komm mal wieder zu dir!”, murmelte Jiang Cheng schließlich. Er wünschte, seine Schwester wäre hier, die in solchen Situationen immer gewusst hatte, was zu tun war. Was sollte er, Tölpel, der er nun einmal war, denn ausrichten? Damals, als Wei Wuxian mitten in der Nacht fortgelaufen war, weil Jiang Cheng gedroht hatte, Hunde auf ihn zu hetzen, hatte sie alle beide nach Hause zurückgetragen. Aber auch mit zwei unverletzten Beinen könnte er ihn wohl kaum auf seinen Rücken laden und hier heraustragen. Allein über diese Vorstellung fühlte er eine ungelenke Verlegenheit in sich aufkommen.

Stattdessen versuchte er es zögerlich mit einem Händedruck auf der Schulter – einen Herzschlag lang, dann fühlte sich auch diese Geste deplatziert an und er zog seine Hand schleunigst zurück und drehte sich weg.

“Ich hab dir doch versprochen, wenn ich einen Hund sehe, verjage ich ihn für dich”, flüsterte er das Versprechen, das er Wei Wuxian einst gegeben hatte.

Eigentlich hätte Jiang Cheng nicht damit gerechnet, dass seine Worte Gehör finden, doch das Schreien und Scharren stoppte. Jiang Cheng atmete tief durch. Bevor die Situation noch peinlicher werden konnte, besah er sich die eingestürzte Wand, um herauszufinden, wie sie hier am schnellsten wieder rauskamen. Doch Wei Wuxians nächste Worte trieben ihm kalten Schweiß auf die Stirn.

“Suibian?”

Seine linke Hand schnellte an seinen Gürtel, das Schwert samt Griff und Scheide mit seinem Ärmel verdeckend.

“Wenn du dein Schwert vermisst, schicke ich es dir später zurück”, versuchte Jiang Cheng abzulenken.

“Das rote Leuchten war Suibian”, beharrte Wei Wuxian und drehte sich mit seinem verheulten Gesicht zu ihm um, starrte auf Jiang Chengs Ärmel und das dahinter liegende Schwert. Jiang Cheng musste einsehen, dass sein Ablenkungsversuch gescheitert war, und änderte seine Taktik. Er streckte seinen Rücken, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte gleichgültig auf Wei Wuxian herab.

“Sandus Klinge wurde bei der letzten Nachjagd beschädigt. Wenn dein alter Zahnstocher schon bei mir rumliegen muss, kann er sich auch nützlich machen.”

Wei Wuxian musterte ihn eine Weile schweigend.

“Es tut mir leid.”

Musste der denn ausgerechnet dann reumütig werden, wenn man es am wenigsten gebrauchen konnte? Jiang Chengs Puls beschleunigte sich, während er sich fieberhaft nach einem Ausweg aus diesem Gespräch umsah. Er legte keinen Wert auf diese Auseinandersetzung. Jetzt nicht, und auch nicht sonst irgendwann. “Vergiss es. Es ist Vergangenheit. Das hast du selbst gesagt.”

“Aber für dich ist es das nicht. Und dass ich mein Versprechen gebrochen habe – das werde auch ich nie vergessen können.”

Er musste hier weg. Mit steifen Schritten marschierte Jiang Cheng an ihm vorbei und inspizierte die Geröllmauer.

“Mach dich nützlich und überleg lieber, wie wir hier wieder rauskommen.”

Aber Wei Wuxian wäre nicht Wei Wuxian, wenn er auch nur EINMAL das tun würde, was man von ihm will.

“Ehrlich gesagt, ich hab mich oft gefragt, ob wir diese Sache nicht endlich aus der Welt schaffen können, damit ich wieder zum Lotus Pier kommen kann. Umziehen wird nicht gehen, dafür haben Lan Zhan und ich in der Wolkenschlucht zu viel zu tun. Aber ich könnte alle paar Monate als Gastlehrer vorbeikommen und beim Training helfen. Oder wir koordinieren uns bei den Nachtjagden oder veranstalten gemeinsame Trainingsprogramme. Die Clans würden ohnehin davon profitieren, wenn wir die ganze Konkurrenz und das Misstrauen der älteren Generationen nicht auf die jüngeren übertragen.”

“Ich sagte, ES IST GENUG!”

Dieser Bastard raubte ihm noch den letzten Nerv!

“Du kannst doch nicht ernsthaft wollen, dass alles so bleibt, wie es ist!”, rief Wei Wuxian, offenbar nun selbst die Geduld verlierend.

“Und du kannst nicht einfach alles umkrempeln, wie es dir passt, und so tun, als wär nie was gewesen!”, brüllte Jiang Cheng zurück.

“JIANG CHENG! Spring EINMAL über deinen gottverdammten Schatten und sei nicht so ein verbohrter Dickschädel! Ist es dir vollkommen egal, dass alles, was wir früher hatten, in Scherben liegt?!”, donnerte es tausendfach durch die Höhle.

“DANN SAG DU MIR DOCH, WAS ICH TUN SOLL! ICH HAB DICH UMGEBRACHT, VERDAMMT!!”

In dem Moment, da die Worte ausgesprochen waren, erreichten sie plötzlich eine Tragweite, der Jiang Cheng sich bis dahin nie bewusst gewesen war. Und auf einmal ergab alles so viel Sinn. Die Albträume, die Unruhe, die schwelende Angst, die ständige Wut. Wut auf sich selbst.

“... Was?”

Und zum ersten Mal in dessen zwei Leben erlebte Jiang Cheng Wei Wuxian sprachlos. Er gaffte ihn an, als hätte Jiang Cheng ihm soeben eröffnet, dass er schwanger war.

“Ich hab dich umgebracht”, wiederholte er die Worte, diesmal flüsternd, auf der Zunge abwägend, ob sie tatsächlich die Antwort bereit hielten, die ihm sein Instinkt nahe legte. Und je länger er darüber nachdachte, desto logischer erschien alles. Und mit der Erkenntnis kam der Schmerz.

“Jiang Cheng! Du hast lediglich den Bannkreis durchbrochen. Ich hab die Kontrolle verloren. Ich hätte das Amulett längst zerstören sollen und nicht erst, nachdem ich solch ein Blutbad angerichtet hatte. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das seine Kräfte verstärkt hat. Es grenzte an ein Wunder, dass mich nicht schon die andere Hälfte zerrissen hat.”

“Darum geht es doch gar nicht!”, fauchte Jiang Cheng dazwischen. “Ich war da! Ich hab sie gesehen! Das Balg, die Alten, die Krüppel.”

Er besann sich zurück an all die gebrochenen, verängstigten Gesichter. Bis auf Wen Qing hatte nicht einer von ihnen einen goldenen Kern besessen.

“Ich wusste ganz genau, dass du da keine Armee aufbaust, sondern von der Hand in den Mund lebst. Und ich hab nicht ein einziges Mal den Mund aufgemacht und den Gerüchten Einhalt geboten.”

Jiang Chengs Beine gaben nach. Er sackte auf die Knie, sein Kopf kippte gegen die erdige Wand.

“Ich hätte ihnen einfach einen Platz am Lotus-Pier anbieten sollen, dann hättest du dich nicht zwischen ihnen und mir entscheiden müssen und niemand hätte noch gewagt, einen Keil zwischen uns zu treiben.”

Heiße Tränen bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche, doch er hatte weder die Kraft sie zurückzuhalten, noch seinen Arm zu heben und sie fortzuwischen.

“Ich hätte auf dem Goldschuppenplateau für dich einstehen müssen, nach der Sache mit dem Arbeitslager am Qiongqi-Pass, als alle die Tatsachen verdreht haben und dich zur Rechenschaft ziehen wollten. Mir war klar, dass sie nichts weiter als neidisch auf deine Macht waren und die zukünftige Stärke vom Lotus-Pier fürchteten. Aber was mach ich? Ihnen nach dem Mund reden und dich rauswerfen! Weil ich dich lieber meinem kranken Stolz opfere als auf deine Loyalität zu vertrauen! Nicht du hast dein Versprechen gebrochen! ICH habe alles zunichte gemacht!”

“JIANG CHENG!!”

Grob wurde er an den Schultern gepackt und in Wei Wuxians Arme gezogen, kraftlos, wie eine Puppe, eine Marionette, deren Fäden man durchtrennt hatte. Die Tränen liefen unaufhörlich weiter.

“Mach dich nicht schlechter, als du bist. Ich bin kein Heiliger”, drang eine zittrige Stimme durch Stoff und Arme zu seinem in Watte getauchten Kopf. “Und damals erst recht nicht. Du hattest so recht, ich HATTE einen verdammten Heldenkomplex. Ich hab nie verstanden, wie beschissen es sich anfühlt, wenn andere für dich ins Verderben rennen und du nur ohnmächtig zusehen kannst. Ich hätte dich einfach fragen sollen, ob du uns einen Platz am Lotus-Pier gibst. Aber ich wollte es allein schaffen. Und wenn ich ehrlich bin: Selbst wenn du mir das damals angeboten hättest, ich hätte abgelehnt. Ich war verblendet und … und …”

Die Umarmung wurde fester, ein schweres Schlucken unterbrach die Rede.

“Genauso in Lanling. Wenn ich damals ernsthaft argumentiert hätte, wäre den anderen Clans gar nichts anderes übrig geblieben, als die Füße stillzuhalten. Aber überheblich und eingebildet wie ich war, hielt ich es nicht für nötig, mich anständig zu erklären. Ich hab erwartet, dass alle nach meiner Pfeife tanzen, aus Schuldgefühlen wegen der Sunshot-Kampagne oder zumindest aus Angst vor meiner Macht.

Jiang Cheng, verstehst du? Diesen Weg ins Verderben habe ich ganz allein beschritten! Ich hab mir Feinde gemacht, wo immer ich hinging. Vielleicht hätten die anderen Clans aufgegeben, mich stürzen zu wollen, wenn sie gesehen hätten, dass sie an uns als Einheit nicht vorbeikommen. Vielleicht hätte es das Unausweichliche aber auch nur hinausgezögert. Und vielleicht hätte es auch gar nichts geändert und wir wären am Ende nur beide gestorben, und der Yunmeng Jiang-Clan mit dir.”

Die Umarmung lockerte sich, Wei Wuxian drückte ihn ein wenig von sich, blickte ihm ins Gesicht. Trotz allem Schmutz und all der Tränen - oder vielleicht gerade deshalb - strahlte er eine Ernsthaftigkeit aus, die Jiang Cheng bis ins Mark fuhr.

“Ja, wir haben Fehler gemacht. Beide. Aber vom rechten Weg sind wir nie abgekommen.

Jin Guangshan hat Zivilisten in Arbeitslager gesteckt und ermorden lassen! Jin Zixun hat mir den Fluch der Tausend Löcher angehängt und mich in einen Hinterhalt gelockt. Und von dem, was Jin Guangyao alles verbrochen hat, will ich gar nicht erst anfangen. Das war nicht unsere Schuld und es lässt sich nicht mehr ändern, hörst du? Egal, wie sehr ich es mir wünsche, wir bekommen Shijie nicht zurück. Jin Zixuan kommt nicht zurück. Das Blutbad, das ich in der Nachtlosen Stadt angerichtet habe, wird nicht ungeschehen. Aber … Jin Ling ist noch da. Du bist noch da. Bitte, ich will wenigstens meinen Neffen und meinen Bruder nicht verlieren!”

Bruder

Das Wort schmiegte sich an seine blutende Seele. Jiang Cheng schwirrte der Kopf. Der ganze Redeschwall ergab im Moment noch nicht viel Sinn. Aber es tat gut, Wei Wuxian bei sich zu haben. Es tat gut, trotz all seiner Vergehen nicht verurteilt zu werden, sondern einen Platz im Herzen der Person angeboten zu bekommen, die er so schmerzlich vermisst hatte.

Neue Tränen rannen ihm über die Wangen.

Wie hatte er all die Jahre ausblenden können, wie sehr er sich nach Wei Wuxian gesehnt hatte?

Bruder.

Zittrig hob Jiang Cheng die Arme, legte sie dem anderen zögerlich an den Rücken, zog ihn an sich heran, schloss die Augen. Er würde Zeit brauchen, um über all das nachzudenken. Aber für den Moment war es nicht von Bedeutung. Zum ersten Mal seit vierzehn Jahren fühlte sich sein Innerstes irgendwie richtig an. Sofern man inmitten dieser tosenden Taubheit von “fühlen” reden konnte.

“Bruder.”

Heilung

Wei Wuxian als Bewohner der Wolkenschlucht war schon ein seltsames Bild. Nicht, dass Jiang Cheng das nicht vorher schon gewusst hätte, aber es mit eigenen Augen zu sehen, war doch noch einmal etwas anderes, als es sich nur vorzustellen. Wei Wuxian war und blieb wie ein Tintenklecks auf einer feinen Tuschezeichnung, ein Misston in einer schönen Melodie. Oder halt ein Sturm, der durch die Privaträume des zweiten Jade-Prinzen gefegt war. Nicht, dass Jiang Cheng eine Ahnung hatte, wie dessen Räumlichkeiten vor der Inbeschlagnahme durch Wei Wuxian ausgesehen hätten, doch viel Fantasie brauchte es nicht, um es sich vorzustellen: schlicht, zweckmäßig, farblos. Sprich: unpersönlich und langweilig. Auch wenn die Ornamente am Gebäude und den Möbeln zumindest die berühmte Lan-Ästhetik durchscheinen ließen.

Das Zimmer, welches Jiang Cheng jetzt jedoch verstohlen begutachtete, war überhaupt nicht mehr mit dem stoischen Jadeprinzen in Verbindung zu bringen: zerknülltes Papier, Schreibutensilien und Talismane pflasterten den Boden, Hasen- und Landschaftsbilder verliehen den kahlen Wänden einen individuellen Ton, Weinschälchen stapelten sich neben dem Tisch, Bonbonverpackungen achtlos hineingeknüllt. Ein Bündel Chilischoten hing zum Trocknen im Fenster. Hinter einem mit Blattgold verzierten Raumteiler lugten Stoffzipfel achtlos beiseite geschobener Wäsche hervor.

“Ich war noch nicht ganz mit Aufräumen fertig”, schmunzelte Wei Wuxian ein wenig beschämt.

Jiang Cheng nahm einen Schluck von seinem Tee.

‘Nicht ganz fertig.’

Wei Wuxians Ornungs-Philosophie hatte sich seit ihrer Jugend keinen Deut gebessert. Jiang Cheng kannte es nicht anders und zuckte unberührt mit einer Schulter.

“Immerhin hast du es fertig gebracht, den Tisch freizuräumen. Der Rest soll mir egal sein. Ich muss hier nicht wohnen.”

Insgeheim genoss er die Vorstellung, wie der penible Lan-Schnösel wohl tagtäglich gegen seine Natur zu kämpfen hatte, um Wei Wuxians Chaos zu ertragen. Dennoch war er froh, den Raum heute nicht mit ihm teilen zu müssen. Ob nun der zweite Lan-Meister von sich aus ausgerechnet heute einen Auftrag außerhalb der Clanmauern angenommen hatte oder Wei Wuxian seine Einladung so geplant hatte – Jiang Cheng war dankbar für die Gelegenheit, sich langsam in diese neue Situation eingewöhnen zu können.

Wei Wuxian hatte ihn eingeladen. Vor einer Woche hatte der Brief ihn erreicht. Einen Monat nach dem Transfer von Fairys Seele in den Hundewelpen. Jiang Cheng hatte sich fest vorgenommen, von sich aus einen Schritt auf Wei Wuxian zuzugehen. Das hatte er wirklich. Sonst hätte er sich an jenem Tag nicht mit den Worten “Ich melde mich, sobald meine Aufgaben am Lotus-Pier es zulassen” von ihm verabschiedet. Es gab so vieles, was sie sich noch zu sagen hatten. Was Jiang Cheng seinem Bruder sagen musste. Doch mit den Tagen wuchs die Unsicherheit. Wie sollte er diese Dinge aussprechen, wenn er nicht einmal in seinem eigenen Kopf die richtigen Worte fand? War es überhaupt das Richtige, die Vergangenheit noch einmal aufzuwärmen? Was sollte es jetzt noch bringen, außer dass alte Wunden wieder aufrissen? Und wie sah das überhaupt aus, wenn Jiang Cheng aus heiterem Himmel und ohne einen plausiblen Grund, wie ein einsames, verlorenes Kind, um einen Empfang in der Wolkenschlucht bat? So wurden aus Tagen Wochen und schließlich war er es, der die Einladung erhalten hatte.

Immerhin war er nun hier. Und war dankbar für Wei Wuxians Gabe, den Leuten stundenlang ein Ohr abkauen zu können. Ein bisschen Smalltalk, ein paar Fragen, wie sich Yunmeng verändert, wie sich die Yungmeng Jiang-Sekte entwickelt hätte. Ob er Jin Ling seither schon wieder besucht hätte. Auf die Frage hin, was er seit ihrem letzten Treffen gemacht habe, berichtete Wei Wuxian ihm, dass er die ominöse dunkle Materie eingehender untersucht hatte.

“Jiang Cheng, ich fürchte, die wird wohl aus meiner Unheilsschmiede gestammt haben”, beichtete er.

Jiang Cheng zog skeptisch die Augenbrauen kraus.

“Wie das?”

“Dieses … Wesen … Im Grunde strebte es einzig und allein danach, negative Energie zu speichern. Als ich damals in die Grabhügel gezogen bin, habe ich an einem Artefakt mit denselben Eigenschaften gearbeitet, nur eben nicht so lebendig. Aber ich brauchte etwas, das in kurzer Zeit große Mengen negativer Energie speichern konnte, um einen Lebensraum für die Wen-Flüchtlinge zu schaffen. Und nun taucht auf einmal solch ein Phänomen auf. Ungefähr zeitgleich mit dem Tod eines Kultivatoren der Moling Su-Sekte.”

“Er könnte ebenfalls ein Opfer von diesem Zeug gewesen sein”, wandte Jiang Cheng ein. Doch Wei Wuxian schüttelte den Kopf.

“Wenn so etwas eine natürliche Manifestation negativen Qis gewesen wäre, hätte es in unserer Geschichte der Kultivierung bereits ähnliche Entdeckungen geben müssen. Möglicherweise wäre es sogar ein häufig anzutreffendes Phänomen, so wie wilde Zombies oder verunreinigte spirituelle Gegenstände. Aber eine Materie, die dunkle Energie aufsaugt? Sich Wirte sucht und von Ort zu Ort weiterbewegt?”

Wei Wuxian schüttelte erneut den Kopf und Jiang Cheng senkte den Blick, einsehend, dass sein Bruder hier einen Punkt hatte.

“Es wäre nicht das erste Mal, dass meine alten Aufzeichnungen in fremde Hände gerieten und Schaden anrichteten”, beendete er schließlich seinen Gedankengang.

Stille legte sich über sie. Eine erdrückende Stille, von der Jiang Cheng nicht so recht wusste, wie er sie durchbrechen sollte. Er nippte an seinem Tee, nur um festzustellen, dass die Teeschale bereits leer war. Um sich abzulenken, schenkte er ihnen beiden nach.

“Danke”, nahm Wei Wuxian die Geste mit einem Lächeln an und trank einen Schluck.

“Jedenfalls … Diese Entdeckung hat uns alle nur weiter darin bestärkt, dass ein geregelter Kurs in dunkler Kultivierung in unserer heutigen Zeit mehr als notwendig ist.”

Jiang Cheng war mehr als dankbar, dass Wei Wuxian ihr Gespräch in sanfteres Fahrwasser zurückmanövrierte. Und er nutzte sogleich die Gelegenheit, einen der Punkte anzusprechen, wegen denen er heute hier war.

“Diese Geschichte bist du mir noch schuldig.”

Die Aufforderung entlockte Wei Wuxian ein verschwörerisches Grinsen und an der Art, wie er sich katergleich räkelte und seine Zähne hervorblitzen ließ, wusste Jiang Cheng, dass die kommende Anekdote Unterhaltung versprach.

 

-~*~-

 

Man musste nicht Lan Xichen oder Wei Wuxian heißen, um zu erkennen, dass Lan Wangji ausgelaugt war, als er an diesem Abend heimkehrte. Und es war höchst alarmierend, dass ausgerechnet ihm die Erschöpfung so buchstäblich ins Gesicht geschrieben stand. Der Besuch bei seinem Bruder Xichen musste ihm heute besonders viel abverlangt haben. Wei Wuxian ließ das Küchenmesser sinken, mit dem er gerade Rettich in haarfeine Stifte geschnitten hatte – näher ließ man ihn nach wie vor nicht an die Küchenutensilien heran – und schmiegte sich in Lan Wangjis Arme. Es gab ihnen beiden so viel Halt. Die Umarmung intensivierte sich augenblicklich und er fühlte sich noch tiefer in kühle, weiche Seidenstoffe gehüllt, Lan Zhans einzigartiger Geruch von Sandelholz und Erde gepaart mit wärmender Spätjulisonne, die seine Haare ganz besonders intensiv eingefangen hatten, in der Nase.

“Zewu-jun hat nicht vor, seine Isolation in absehbarer Zeit zu beenden, was?”, brachte Wei Wuxian die einzig denkbare Ursache von Lan Wangjis Abgespanntheit zur Sprache. Der Griff um seinen Rücken und seine Schulterblätter festigte sich weiter, so dass es an schmerzhaft grenzte, doch Wei Wuxian störte sich nicht daran. Wenn es Lan Zhan half, seine Gefühle zu ordnen, würde er sogar die ein oder andere gebrochene Rippe in Kauf nehmen.

Wange und Nase seines Liebsten schmiegten sich in sein Haar, atmeten Wei Wuxians Geruch ebenso intensiv ein, wie dieser es gerade eben selbst getan hatte. Und noch immer hielt sein Jade-Prinz sein Schweigen aufrecht.

“Wie geht es ihm? Isst und trinkt er ausreichend? Findet er genügend Schlaf?”, erkundigte Wei Wuxian sich weiter.

“... Es ist schwer zu sagen”, ertönte nach einigen weiteren Atemzügen in inniger Stille Lan Wangjis erschöpfte Stimme. “Er isst und schläft weniger, als er sollte.”

Und wer konnte es ihm auch verdenken? Seine Blutsbrüder waren nach Lan Wangji und ihrem Onkel Lan Qiren das nächste, was er an einer Familie gehabt hatte. Lan Xichen und Nie Mingjue hatten sich seit Kindertagen gekannt. Jin Guangyao hatte ihn und einen Großteil der Lan-Bibliothek gerettet, als Wen Xu die Wolkenschlucht niedergebrannt hatte. Jin Guangyao hatte sich für ihn und sie alle in Lebensgefahr begeben, als er sich als Spion in Wen Ruohans unmittelbaren Dunstkreis geschlichen hatte. Ihm war es gelungen, den Tyrannen niederzustrecken und damit den Krieg zu beenden. Zwischen den Blutsbrüdern war es Jin Guangyao gewesen, der am innigsten mit Lan Xichen verbunden gewesen war. Sie hatte eine unerschütterliche Freundschaft und Loyalität zwischen sich aufgebaut. Und wer konnte es nicht irgendwo nachvollziehen, dass Jin Guangyao vom rechten Weg abgekommen war, bei all den Widrigkeiten, mit denen das Leben ihn gestraft hatte? Wem hätte es da nicht das Herz zerschmettert, inmitten der schlimmsten Krise seit fast zwei Jahrzehnten erkennen zu müssen, dass die Person, der man sein Herz und seine Seele anvertraut hatte, diese Geschenke jahrelang ausgenutzt und manipuliert hatte? Und zwar so weit, dass man für den Tod ihres anderen Blutsbruders Nie Mingjue mitverantwortlich geworden war? Um schließlich die Klinge zu führen, die Jin Guangyao den Todesstoß versetzte, nur um während dessen Ableben verstehen zu müssen, dass man wahrscheinlich einem Missverständnis unterlegen war? Um im letzten Moment von diesem zwiegesichtigen, manipulativen und doch innig geliebten Bruder vor dem sicheren Tode bewahrt zu werden? Wer sollte nach all dem noch wissen, woran man glauben soll, und die Kraft finden, wieder aufzustehen, die Scherben seines Herzens einzusammeln und die Vergangenheit hinter sich zu lassen?

Wei Wuxian verstand sehr wohl den bitteren Albtraum, aus dem Lan Xichen einfach nicht auszubrechen vermochte. Ebenso wie Lan Wangji. Und so sehr es sie auch schmerzte, Lan Xichens innere Qualen mitansehen zu müssen, so waren ihnen dennoch die Hände gebunden.

“Wei Ying, du wirkst erschöpft”, holte Lan Wangji ihn aus seinen trüben Gedanken, ohne die Umarmung zu lösen.

Er lächelte matt in den seidenen Kragen seines Partners und tastete mit den Fingern nach den Enden des weißen Lan-Stirnbands. Es half niemandem, wenn sie ebenso an Lan Xichens Schicksal zerbrachen. Sie hatten einen Clan zu führen. Lan Qiren war nicht mehr der Jüngste und konnte nicht mehr alles allein schultern. Wei Wuxians Sorgen waren bei weitem nicht so schwerwiegend wie die von Lan Wangji und gerade deshalb geeignet, ihm aus seinen eigenen trüben Gedanken kurzfristig herauszuhelfen. Es tat immer gut, wenn man sich um die Probleme anderer kümmern konnte. Also seufzte er ergeben.

“Es ist nichts Dramatisches.”

Lan Wangji gab ihm mit einem fragenden “Hm?” zu verstehen, dass er weitersprechen sollte.

“Ich bin mit den Gedanken einfach noch nicht ganz aus den Grabhügeln zurück. Ich weiß, dass ich an der Vergangenheit nichts ändern kann. Aber das allein beschwichtigt die Reue nicht, darüber, wie leichtsinnig ich damals war. Da ist noch immer diese kleine, hartnäckige Stimme in mir, die mich fragt, ob ich Shijies und Jin Zixuans Tod nicht hätte vermeiden können. Und wenn ich dann diese einfältigen Jungspunde sehe … Und es ist ja nicht mal nur der Nachwuchs! Neulich bei einer Nachtjagd hat sogar dieser Hefekloß von einem Clanführer von der Bingzhou Peng-Sekte versucht mich anzuwerben!”

“Wei Ying”, rügte Lan Wangji die ausfallende Wortwahl, aber es fehlte die übliche Härte.

“Aber es ist doch wahr!” Wei Wuxian schnaubte verächtlich. “Als ob einer von meiner Sorte alle paar Tausend Jahre nicht genug wäre.”

Lan Wangji hielt ihn stumm, massierte in leichten, kreisenden Bewegungen seinen Rücken und Nacken. Es dauerte nicht lange, bis Wei Wuxian sich entspannte, die Augen schloss und wohlig ausatmete.

“... Vielleicht solltest du tatsächlich Unterricht geben”, vibrierte Lan Wangjis Stimme nach einer Weile erneut sanft an seinem Hinterkopf.

Wei Wuxian zog die Augenbrauen zusammen, seine Kiefer spannten sich an.

“Lan Zhan, seit wann hast du solch einen sarkastischen Humor?”

“Wei Ying”, mahnte er mit unverändertem Sanftmut. Und Wei Wuxian schwieg. Wartete auf eine Erklärung. Denn egal, wie er es drehte, er sah solch ein Unterfangen kein gutes Ende nehmen. Das war einfach kein guter Lehrstoff. Dafür brauchte er nicht einmal Lan Qirens tadelnden Blick. Bei diesem Thema waren sein Schwiegeronkel und er ausnahmsweise einer Meinung, auch wenn besagter Onkel wahrscheinlich nicht einmal ahnte, wie sehr ihre Ansichten hier übereinstimmten.

“Fehlendes Wissen lässt die Menschen die Gefahren unterschätzen”, sprach Lan Wangji schließlich weiter. “Sie sehen nur dein jetziges Ich. Es gibt zu wenige Aufzeichnungen über den dunklen Pfad, sowohl seine Eigenarten und Nutzungsmöglichkeiten als auch seine Gefahren. Besonders kleineren Clans und freien Kultivatoren fehlt der Zugang zu diesem Wissen. Eine Weitergabe könnte zu einer Verminderung von Leichtsinn und damit auch zur Vermeidung von Unfällen beitragen.”

Wei Wuxian dachte über diese Argumentation nach. Sie ergab durchaus Sinn. Es waren stets jene, die ihn nicht von früher kannten, die von ihm in der dunklen Kultivierung unterrichtet werden wollten. Solche, die die alten Geschichten nicht kannten oder nicht glauben wollten. Die Geschichten jener Helden, die sich dieser Herausforderung gestellt hatten und schrecklich an ihr gescheitert waren. Die Frage war, was genau die Katze diesen kleinen Tigern, jung, unerfahren, übereifrig und von Faszination und Machtstreben verblendet, an Wissen vermitteln müsste, um ihnen den Ernst der Sache begreiflich zu machen, ohne jedoch dabei all ihre Tricks preiszugeben. Erst einmal mussten sie begreifen, dass man die dunkle Kultivierung um Himmels Willen langsam und vorsichtig angehen muss. Ein goldener Kern bildete sich schließlich auch nicht über Nacht.

Ideen durchströmten Wei Wuxians Geist und bildeten allmählich ein Konzept. Das … könnte tatsächlich funktionieren. – Vorausgesetzt, sie kämen an der grauen Lan-Eminenz vorbei.

 

“AUF KEINEN FALL!”, donnerte Lan Qirens Stimme durch den Hanshi. Seine Brust hob und senkte sich ruckartig, Schultern und Kinnbart zitterten vor kaum unterdrückter Wut.

“Es war seine Idee!”, platzte Wei Wuxian hastig heraus und schob sich ganz ungeniert hinter Lan Wangji. Und da dies der vollen Wahrheit entsprach und sie ohnehin vorgehabt hatten, Lan Zhan, als dessen  Neffen, ihm diesen Vorschlag näherbringen zu lassen, ließ der zweite Jade-Prinz es auch anstandslos über sich ergehen.

“Wangji …! Wie kannst du nur …!” Lan Qiren fehlten die Worte.

“Es sind keine Unterweisungen in der Kultivierung dunkler Energie geplant”, erklärte Lan Wangji sachlich. “Das Ziel ist es, über ihre Gefahren aufzuklären, um aus Unwissen resultierende Zwischenfälle besser zu vermeiden. Wenn Onkel diesem Grundgedanken nicht abgeneigt ist, so möchte ich ihn bitten, diese Notizen zu begutachten.”

Damit bot er eine Schriftrolle dar, die Lan Qiren nach einigem Zögern und mit noch immer großer Skepsis entgegennahm.

“Es ist ein erstes Konzept zum Aufbau und den Inhalten eines möglichen Kurses. Wir möchten Onkel um seine kritische Meinung dazu bitten.”

Lan Qiren musterte schweigend die dünne Schriftrolle in seiner Hand. Nach einigen Augenblicken entfuhr ihm ein ergebener Atemzug.

“Vorschnelles Urteilen zeugt von einem kleinen Geist und führt zu fehlerhaften Entscheidungen”, antwortete er schließlich. “Ich werde mir dieses Konzept ansehen. Aber erwartet nicht, dass ich auch nur die kleinste Nachsicht bei meiner Entscheidung zeigen werde, auch wenn du es bist, der mich darum bittet, Wangji. Zudem ist das eine Entscheidung von so großer Tragweite, dass das vor den Ältestenrat gebracht werden muss. Sollte entschieden werden, dass diese Idee der Lan-Lehre und dem Wohl der Kultivatorenwelt nicht zuträglich ist, so wünsche ich keine weiteren Widerworte.”

“Natürlich.” Lan Wangji verbeugte sich tief und Wei Wuxian tat es ihm gleich. “Wir danken Onkel für seine unparteiische Einschätzung.”

 

“Der Ältestenrat hat die Ziele und den Entwurf des Kursplans für erstrebenswert befunden”, teilte Lan Qiren Lan Wangji im Beisein von Wei Wuxian eine Woche später mit.

“ALLERDINGS”, schob er sofort nach, “unter einer Bedingung: Wei Wuxian soll eine Probestunde durchführen. Die Ältesten sowie weitere Mitglieder des Clans werden sie einschätzen. Er hat sich in der Unterweisung in praktischen Übungen bewährt und unser Vertrauen erworben, aber seine Fähigkeiten bezogen auf den theoretischen Unterricht müssen wir ebenso prüfen.”

Sollte heißen: Man traute ihm nicht über den Weg, tatsächlich das zu machen, was im Lehrplan stand. Wei Wuxian sollte es recht sein. Es war eine gute Aufwärmübung für den ersten Durchlauf. Und vielleicht … vielleicht sogar eine Möglichkeit, Lan Xichen aus seinem Schneckenhaus herauszulocken.

“Lan Zhan”, verschaffte er sich Aufmerksamkeit, kaum dass sie wieder allein im Jingshi waren. “Meinst du, du kannst Zewu-jun überzeugen, der Probestunde beizuwohnen?”

Der Angesprochene blickte ihn unsicher an.

“Offiziell ist er der Clanführer und das ist eine weitreichende Entscheidung. Ich denke, er sollte nicht einfach vor vollendete Tatsachen gestellt werden”, erklärte sich Wei Wuxian. “Und irgendwann muss er einfach herauskommen. Für sich selbst und auch für euch. Ich sehe doch, wie sehr du darunter leidest, die Tragik eures Vaters in Form von Zewu-jun erneut mitansehen zu müssen. Dein Onkel ebenso.”

“Es wird schwer, meinen Bruder davon zu überzeugen”, gab Lan Wangji kraftlos zu bedenken. “Er selbst fühlt sich noch nicht bereit für diesen Schritt.”

Wei Wuxian nickte verständnisvoll. “Wir dürfen ihn nicht überfordern. Versuchen wir es mit kleinen Schritten. Und wenn er noch gar nicht dafür bereit sein sollte, akzeptieren wir das.”

Wenig später standen beide vor dem schlichten, kleinen Gebäude, in das der Clanführer sich zurückgezogen hatte. Lan Wangji nahm einen tiefen Atemzug und suchte noch einmal Halt in den Augen seines Partners, bevor er die Hand hob und anklopfte.

“Bruder? Wei Ying und ich erbitten einen Besuch. Dürfen wir eintreten?”

Ein gedämpftes Rascheln auf der anderen Seite der Tür folgte, dann leise Schritte, und die Tür wurde geöffnet.

“Wangji, junger Herr Wei”, begrüßte Lan Xichen seine Besucher, die warmen Worte im starken Kontrast zu seinen eingefallenen Wangen und müden Augen. Wei Wuxian musste schlucken bei diesem Anblick. Er hatte Lan Xichen lange nicht mehr besucht und so war der Kontrast zu seiner früheren Stärke und Gesundheit umso gravierender.

“Kommt herein.”

Damit trat der Bewohner des Hauses einen Schritt zur Seite und deutete mit seinem freien Arm ins Innere, zu seinem Tisch, auf dem noch eine angebrochene Kanne Tee stand, daneben ein aufgeschlagenes Buch. Das Buch wurde prompt geschlossen und in sein Regal zurückgestellt, dann machte sich Lan Xichen auf den Weg zu seiner Kochnische, um das frisch aufgekochte Wasser vom Herd zu nehmen und eine weitere Kanne Tee aufzugießen.

“Entschuldigt, dass ich so schlecht vorbereitet bin auf euren Besuch. Aber ich freue mich über eure Gesellschaft. Es ist lange her, seit wir uns das letzte Mal gesprochen haben, junger Herr Wei. Ich hoffe, das Leben bei uns wird dir angenehm gemacht?”

Lan Xichen hatte schon immer einen Weg mit Worten gehabt, doch jetzt, wo seine warmen Worte kaum mehr als eine Hülle seines einst so sanften und zuversichtlichen Wesens waren, tat es weh, sie zu hören. Wei Wuxian verstand sofort, warum Lan Wangji nach den Besuchen bei seinem Bruder stets so ausgelaugt war. Lan Xichen verströmte eine Aura, die es einem schwer machte, nach seinem Befinden zu fragen oder eine Antwort darauf erhalten zu wollen.

“Ja, es ist schön hier”, bestätigte Wei Wuxian ihm, und fügte mit einem Lachen hinzu: “Meine wilden Jahre habe ich wohl langsam hinter mir gelassen.”

Wärme flackerte durch Lan Xichens Blick, als er erst ihn, dann Lan Wangji musterte, doch kaum war der Blickkontakt gebrochen, wurde er wieder von Schmerz überschattet.

“Das freut mich zu hören …”

Es war kaum mehr als ein Hauch, ein kraftloses Knarzen wie der Ast eines abgestorbenen Baumes im Winterwind. Und genau das war der Grund, weshalb Wei Wuxian diesen Ort normalerweise vermied: Sie hatten im Auge desselben Sturms namens Jin Guangyao gekämpft, aber während Lan Wangji und er mit einem glücklichen Ende daraus hervorgegangen waren, hatte Lan Xichen alles verloren. Der ältere der beiden Lan-Brüder würde ihnen das nie vorhalten. Wei Wuxian glaubte sogar, dass er sich aufrichtig für ihn und Lan Wangji freute. Das Wohl seines geliebten kleinen Bruders hatte schon immer an erster Stelle für ihn gestanden. Aber es linderte nicht den Schmerz, den er selbst davontrug. So wollte Wei Wuxian ihm gegenüber zumindest nicht ständig sein eigenes Glück zur Schau stellen.

“Bruder”, begann Lan Wangji, als das Schweigen zwischen ihnen eine Gelegenheit bot, “im Clan steht eine Entscheidung an, für die wir gern deine Meinung einholen würden.”

Sofort wirkte das höfliche Lächeln auf Lan Xichens Lippen gequält.

“Ich vertraue dir und Onkel mit solchen Angelegenheiten voll und ganz. Bitte gebt mir dafür noch etwas Zeit.”

“Natürlich werden am Ende die Ältesten die Entscheidung treffen”, kam Wei Wuxian seinem Partner zu Hilfe. “Es würde uns einfach beruhigen, wenn Clanführer Zewu-jun ebenfalls informiert ist und wir wissen, dass wir mit seinem stillschweigenden Einverständnis rechnen können.”

Lan Xichen hob skeptisch eine Augenbraue und Wei Wuxian führte sich ermutigt, fortzufahren: “Eigentlich muss Clanführer Lan überhaupt gar nichts sagen – außer wenn es Einwände gibt, natürlich. Es gibt keine Debatten und keine vorbereitenden Berichte zu studieren. Einfach seine Anwesenheit für ein paar Stunden wäre ausreichend, gern zu einem von ihm gewählten Zeitfenster. Alles weitere lässt sich entsprechend organisieren.”

Lan Xichens Blick wanderte weiter zu Lan Wangji, gefolgt von der Frage: “Und wovon genau ist hierbei die Rede?”

Und Wei Wuxian fiel ein Stein vom Herzen. Lan Xichen fragte nach. Von sich aus. Er zeigte Interesse. Es wären nur ein paar Stunden, doch gemessen an den letzten sieben Monaten, war das ein unbeschreiblicher Fortschritt, hoffentlich der erste in einer Reihe weiterer, um ihn ins Leben zurückzuführen.

 

Der Lanshi, Quell zahlloser Heldengeschichten und Missetaten für Wei Wuxian. Oh, wie wurde ihm das Herz schwer, seinen früher so verhassten Klassenraum nach all den Jahren mit dieser bittersüßen Nostalgie zu durchschreiten, so wie es einst Lan Qiren getan hatte, als er erstmals vor ihnen, einer Schar naiver, übermütiger Jugendlicher, den Platz hinter seinem Pult bezogen hatte! Er fühlte sich, als wandle er in den Fußstapfen seines ehemaligen Lehrmeisters, als er nun selbst hoch erhobenen Hauptes diesen Weg beschritt. Am Ende der niedrigen Tischreihen angekommen, drehte er sich schwungvoll um und verkündete mit seinem breitesten Strahlen:

“Verehrte Schüler! Ich freue mich, euch heute zu unserem ersten Unterricht begrüßen zu dürfen!”

Die Bilder der Vergangenheit mit jungen Gesichtern, in denen sich zahllose Emotionen spiegelten – Scheu, Erwartung, Angst, Vorfreude, Langeweile, Neugier – überlagerten sich mit den entsetzten Blicken einer Handvoll verstockter alter Männer, die Gesichter rot wie Truthähne, die zu Fäusten geballten Hände bebend, sämtliche Faltigkeit verloren, die Knöchel weiß hervortretend. Die Emotionen seiner ‘Schülerschaft’ rangierten zwischen ‘kurz vor Qi-Entartung’ und ‘kurz davor, aufzuspringen und tobend den Raum zu verlassen, sämtliche in Stein gemeißelte Lan-Vorschriften vergessen’. Einzige Ausnahme: ein unscheinbarer, dünner Schatten in der hintersten, dunkelsten Ecke des Raumes, der in seiner zusammengesunkenen, teilnahmslosen Erscheinung dem Begriff ‘Trauergewand’ eine ganz neue Bedeutung verlieh. Und doch ließ genau dieser Anblick ein zaghaftes Lächeln über Wei Wuxians Lippen huschen. Die einzige Person, deren heutige Anwesenheit wirklich von Bedeutung war: Lan Xichen.

Bevor aber seine eifrig vorbereitete Probestunde und damit der gesamte sehnlichst erwartete Kurs von seinen Richtern auf den Schulbänken abgeschmettert wurde, entschied Wei Wuxian, dass es wohl klüger wäre, seine Schaustellung einen Schritt zurückzurudern. So faltete er ordnungsgemäß die Arme vor seinem Kopf und verbeugte sich tief.

“Verehrte Älteste, verehrter Großmeister Lan Qiren, verehrter Clanführer Zewu-jun. Euer simpler Schüler Wei Wuxian bedankt sich aufrichtig für diese großzügige Gelegenheit, die Aufrichtigkeit seines Herzens und seine Qualitäten als Lehrer unter Beweis stellen zu dürfen. Für einen Kurs von so weitreichender Bedeutung halte ich es für notwendig, dass seine Durchführung den künftigen tatsächlichen Bedingungen so nah wie möglich kommt. Ich möchte daher bitten, dass wir alle uns in unsere entsprechenden Rollen hineinversetzen – ich als Lehrer und Ihr als meine Schülerschaft – damit die werten Ältesten sich ein Urteil darüber bilden können, ob mein Umgang mit dem Nachwuchs unserer Kultivatorenwelt angemessen ist.”

Nicht, dass es nötig wäre. Von seinen Nachtjagden und seinem Schwerttraining wusste jeder, wie er mit dem Nachwuchs umging. Aber wer wäre er denn, wenn er sich diesen Spaß entgehen ließe?

“Nun denn, dann lasst uns beginnen!”

Augenblicklich war Wei Wuxian wieder ganz in seiner Lehrerrolle versunken. “Ich hoffe, alle haben den Kursplan studiert und die Literatur für die heutige Stunde gelesen. Wer sich noch einmal über die Kursinhalte versichern will, wirft bitte nach der Stunde einen Blick auf das Programm an der Tür. Sämtliche Texte finden sich in einem ausgewiesenen Regal in der Bibliothek. Also dann! Reden wir über die Geschichte der dunklen Künste! Was wisst ihr denn über historische Ereignisse, in denen die dunklen Künste involviert waren?”

Stille. Untersetzt mit einer gehörigen Portion Skepsis. Nun, zumindest waren es keine Mordgelüste mehr, stellte Wei Wuxian zufrieden fest.

“... Wie jetzt? Niemand hat je etwas von den dunklen Kultivatoren unserer Geschichte gehört?”, empörte Wei Wuxian sich gespielt. “Wenn ihr stumm seid wie die Fische, wie wollt ihr denn dann voneinander lernen? Wissen muss geteilt werden, damit es nicht verloren geht!”

Weitere stille Sekunden verstrichen, doch schließlich erhob sich eine Hand.

“Dritter Ältester Wang! Sehr schön!”, freute sich Wei Wuxian.

Starr wie ein Untoter erhob der Gelehrte sich und begann nach einer zögerlichen, angedeuteten Verbeugung, seine Meinung zu teilen.

“Es gibt bis heute keine gesicherten Beweise für den Gebrauch dämonischer Kultivierung in bedeutenden historischen Ereignissen.”

“Das ist richtig.” Wei Wuxian nickte. “Aber einige Ereignisse deuten dennoch auf die Einflüsse dunkler Energie hin.”

“Diese Vorfälle ohne Absicherung der dämonischen Kultivierung zuzuordnen, ist Willkür!”, konterte der Gelehrte Wang aufgebracht.

“Sehr gut!”, lobte Wei Wuxian ihn prompt. Dann wurde er für einen Moment ernst und ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. “Verliert niemals eure Skepsis. Ein vorschnelles Urteil kann ein unschuldiges Leben zerstören. Das würde uns zu denen machen, vor denen wir das einfache Volk und unser Land beschützen wollen.”

Keinerlei Regung zuckte durch die versteinerten Mienen der Ältesten. Ihre bohrenden Blicke verließen Wei Wuxian für keine Sekunde.

“Ihr fragt euch nun wahrscheinlich”, sprach er weiter und begann, vor seinem Pult auf und ab zu laufen, “was hat diese Grundsatzdebatte nun mit der dunklen Kultivierung zu tun? Nun, eine ganze Menge. Denn ‘nicht vorschnell zu urteilen’ bedeutet, seine Skepsis in allen denkbaren Richtungen zu bewahren, und zwar so lange, bis eine Möglichkeit eindeutig ausgeschlossen werden kann.”

Wei Wuxian drehte sich zu dem Ältesten zurück, mit dem er gerade das kurze Streitgespräch geführt hatte.

“Könnte der Dritte Älteste Wang uns eine historische Person nennen, die mit der dämonischen Kultivierung in Zusammenhang stehen könnte, und seine Vermutung begründen?”

Für einige weitere Herzschläge blieb es totenstill im Raum, die Lippen des Ältesten fest verschlossen. Doch schließlich schnaubte er dezent und brachte einen Blick zustande, der selbst aus seiner niedrigen Position heraus unmissverständlich deutlich machte, was er von Wei Wuxians Unterricht hielt.

“Es besteht die Möglichkeit, dass Zhi Yao vom Zhi-Clan mit dunkler Kultivierung in Berührung gekommen sein könnte. Während er in jüngeren Jahren als fähiger Minister und erfolgreicher General geschätzt wurde, wurden seine Entscheidungen in späteren Jahren egoistisch und unbarmherzig. Es ist nicht geklärt, woher sein Sinneswandel kam, daher wird eine Infektion mit dunkler Energie als eine mögliche Erklärung herangezogen.”

Wei Wuxian nickte anerkennend.

“Am Ende hatte er sich zahlreiche Feinde gemacht, die sich im Krieg gegen ihn verbündet und ihn und seine gesamte Familie niedergestreckt haben. Welche ähnlichen Vorfälle sind noch bekannt?”

Wieder meldete sich niemand freiwillig zu Wort, doch Wei Wuxian wartete geduldig. Sie hatten Zeit. Und schließlich gab der nächste Gelehrte unter der gähnenden Langeweile nach, erhob sich und deutete mit dem Kinn ein knappes Nicken an. Wei Wuxian hob eine Augenbraue, sagte aber nichts zu dieser kümmerlichen Zurschaustellung von Respekt.

“Yanling Daoren”, konstatierte der Älteste, “Schüler von Baoshan Sanren. Der erste, der ihren heiligen Berg verließ. In den ersten Jahren seines Herabstiegs hochgelobt für seine zahllosen Heldentaten, doch auch sein Charakter änderte sich plötzlich drastisch und er begann, grausam und willkürlich zu morden, bis er von tausenden Schwertern gerichtet wurde.”

“Eine tadellose Zusammenfassung”, lobte Wei Wuxian auch den zweiten Redner. Auch wenn die Kooperationsbereitschaft zu wünschen übrig ließ, so machten die Ältesten der Gusu Lan-Sekte in Bezug auf Wissen, die Art, wie sie dieses vermittelten, und kritische Hinterfragung ihrem Ruf alle Ehre.

“Sicherlich denken nun alle an den ein oder anderen weiteren mysteriösen Zwischenfall oder Kultivatoren, der mit der dunklen Kultivierung im Zusammenhang stehen könnte. Was verbindet also all diese Elemente? Was lässt uns vermuten, dass es sich hier um die Einwirkung dunkler Energie gehandelt haben könnte?”, führte Wei Wuxian die Analyse weiter.

Diesmal war es Lan Qiren höchstpersönlich, der sich erhob und ihn herausfordernd anfunkelte, bevor er zu sprechen begann.

“Verehrter Lehrer, mir ist nicht ganz klar, was wir in diesem Kurs über dunkle Kultivierung lernen sollen, wenn wir all diese Dinge bereits in den Geschichtskursen von Lehrmeister Lan Qiren behandelt haben.”

“Genau aus diesem Grund machen wir das!”, rief Wei Wuxian enthusiastisch. Endlich kam etwas Leben in den Klassenraum. “Ihr Jungspunde” – ooooh, wie er die überkochende Empörung im Raum genoss – “kommt hier an, voller Erwartung, vom Großmeister persönlich in einem Crashkurs in die dunkle Kultivierung eingewiesen zu werden, und vergesst dabei etwas ganz Essentielles: Was war Zhi Yao wenige Jahre nach dem Verlust seiner Moral und Menschlichkeit? Tot. Was wurde aus Yanling Daoren? Tot. Nun wird mir unser belesener Wang Chong wahrscheinlich gleich entgegenhalten”, aus dem Augenwinkel beobachtete Wei Wuxian, wie sich die Brust des Genannten bereits mit Luft gefüllt und die Arme angespannt hatten, drauf und dran, zum Gegenschlag aufzuspringen, “dass sich Zhi Yao und Yanling Daorens unerklärlicher moralischer Verfall nicht mit Sicherheit auf die dunkle Kultivierung zurückführen lassen. Nun gut! Dann nennt mir ein Gegenbeispiel, und sei es auch nur ein hypothetisches, in dem ein mutmaßlicher dämonischer Kultivator nicht den Gefahren dieser Mächte erlegen ist und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen hat!”

Ein kollektives ‘Willst du uns auf den Arm nehmen?!’ schlug Wei Wuxian entgegen, doch er empfing die Welle wie ein Fels in der Brandung und so musste sich die wilde Strömung schließlich zurückziehen und ein weiterer Ältester ließ sich, ganz seiner guten Lan-Erziehung entsprechend, zu einer gesitteten Antwort herab.

“Der Yiling-Patriarch steht gesund und … vernünftig” – das letzte Wort wurde als sichtbare Zumutung hervorgepresst – “vor uns.”

Wei Wuxian nickte zustimmend.

“Und was tat der Yiling-Patriarch bis vor 14 Jahren?”

Betretenes Schweigen. Wei Wuxian ersparte es den Anwesenden, ihm die Gräueltaten ins Gesicht zu werfen, und antwortete selbst.

“Während der Sunshot-Kampagne Tausende Kultivatoren der Wen-Sekte niederstrecken. Danach eine Gruppe Aufseher eines Arbeitslagers der Jin-Sekte. In der Nachtlosen Stadt drei- bis fünftausend weitere Kultivatoren, unabhängig ihrer Sektenzugehörigkeit oder Beteiligung am Kampfgeschehen. Und schließlich: vernichtet von der ungeheuren Macht des Stygischen Tiger-Amuletts.”

Er ließ eine bedächtige Pause. Betretenes Schweigen ob der schonungslosen Erinnerung an all jenes Gräuel lag wie dicke Rauchschwaden in der Luft.

“Die Details sind Gegenstand der nächsten Unterrichtsstunde.”

Wei Wuxians Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, regelrecht unheimlich in der Grabesstille des Lanshi.

“Daher meine Frage: Wollt ihr tatsächlich so enden? Selbst mit der schier unmöglichen Wahrscheinlichkeit, Jahre später ins Leben zurückgerufen zu werden und die Chance für einen Neuanfang zu erhalten? Sagt mir, wer würde dieses Leben mit all seinen Erinnerungen an seine früheren Gräueltaten der Rückkehr in den ewigen Kreislauf vorziehen?”

Wei Wuxian schloss die Augen, kontrollierte seine Atmung und zwang seinen Geist zur Ordnung. Er dachte oft über diese Dinge nach und er hatte sich im Grunde damit abgefunden, dass sein Gewissen für den Rest seines Lebens sein strengster Richter bleiben würde. Und die meiste Zeit über trug er es mit Fassung, oft sogar Dankbarkeit. Denn wie sollte er sich selbst ertragen, wenn trotz all seiner Schuld sein Gewissen rein wäre? Dennoch hatte es ihn unvorbereiteter getroffen als erwartet, diese Dinge tatsächlich auszusprechen. Er würde sich auf seinen ersten Kurs, sollte er denn zustande kommen, gut vorbereiten müssen.

Als er die Augen wieder öffnete, hatten sich zwei Dinge ereignet, mit denen Wei Wuxian nicht gerechnet hatte: Zum ersten Mal seit seiner Jugend zeigte sich in den Gesichtern einiger Lan-Ältester ihm gegenüber so etwas wie Verständnis. Und: In der hinteren, dunklen Ecke erhob sich eine dünne, blasse Hand. Wei Wuxian traute seinen Augen kaum. Doch als die zusammengesunkene Gestalt sich der Aufmerksamkeit ihres Lehrers sicher war, erhob sie sich schwerfällig und verbeugte sich tief. Der Raum schien nur noch aus ihnen beiden zu bestehen, als Lan Xichens belegte Stimme sich über die Stille erhob.

“Wenn man seine Fehler erkannt hat, wie geht man damit um?” Und, nach einer kurzen Pause: “Wie überwindet man diese Schuld?”

Wei Wuxian schluckte schwer. Er konnte Lan Xichen verstehen. So sehr verstehen. Und er wusste, dass seine Antwort nicht die Linderung bringen würde, die er sich für seinen Schwager wünschte.

“Gar nicht.”

Wei Wuxian senkte den Blick, innerlich um Entschuldigung für diesen enttäuschenden Ratschlag bittend.

“Der Schmerz wird irgendwann stumpfer, wenn man neue Ziele findet. Dinge, die einem das Gefühl geben, ein Stück dessen zurückgeben zu können, was man genommen hat. Aber verschwinden wird er nie.”

Und dabei war es ganz egal, wie viel dieser Schuld man in den Augen anderer tatsächlich selbst zu verschulden hatte oder wie viel man bereits zurückgezahlt hatte. Diesen Kampf trug man einzig mit sich allein aus. Aber dies war etwas, was Lan Xichen genauso wusste wie er und Lan Zhan.

 

-~*~-

 

“Na jedenfalls”, beendete Wei Wuxian seine Geschichte mit einer wegwerfenden Handbewegung, “war der Kurs danach beschlossene Sache. Und die Gesichter dieser alten Prediger! Jiang Cheng, das hättest du sehen müssen! Wie überreife Tomaten, allesamt!”

Der Gedanke trieb ihm erneut vor Lachen die Tränen in die Augen.

Jiang Cheng hingegen fragte sich, ob Wei Wuxian seinem Tee wohl Emperor’s Smile beigemischt hatte. Zugegeben, die Geschichte hatte zeitweise auch ihn sehr amüsiert. Und wer den Ernst der Lage nicht kannte, hätte sich sicherlich bis zum Ende von Wei Wuxians lebhaftem Erzählstil mitreißen lassen. Aber Jiang Cheng war kein unbeteiligter Außenstehender. Egal, wie man es ihm verkaufte – der Schluss war alles andere als eine fröhliche Pointe, die man gern vor seinen Trinkkumpanen zum Besten gab.

Er umfasste seine Teeschale mit beiden Händen, konzentrierte sich auf die Wärme, die in seine Fingerspitzen überging.

“Wie geht es Zewu-jun jetzt?”, fragte er, als Wei Wuxian sich wieder beruhigt hatte.

Eine gewisse Melancholie legte sich auf die Gesichtszüge seines Bruders.

“... Besser, schätze ich. Er wird wohl noch eine Weile brauchen, bis er vollständig aus seiner Isolation zurückkehren kann. Aber er ist nicht mehr so verschlossen wie zuvor. Er begleitet Lan Zhan und mich gelegentlich auf Spaziergängen. Er empfängt häufiger Besuch. Er erkundigt sich nach den Geschehnissen des Clans. Neulich … haben wir über Jin Guangyao gesprochen.”

Jiang Cheng nickte nachdenklich. Und fühlte sich gleichzeitig noch kindischer und verbohrter, als er es ohnehin schon tat. Alle um ihn herum waren so viel reifer und mutiger als er, sich ihren inneren Dämonen zu stellen.

“Und dir?”, hakte er nach.

“Hm?”

“Wie geht es dir?”

Wei Wuxian wollte gerade zum Sprechen ansetzen, da schickte Jiang Cheng mit einem erbosten Funkeln in den Augen hinterher: “Und sei ehrlich!”

Wei Wuxian klappte ertappt den Mund wieder zu und Jiang Cheng konnte nur die Augen verdrehen über dessen chronische Missachtung seines eigenen Seelenwohls. Mit all dem, was Wei Wuxian jahrelang geschafft hatte, vor ihm geheim zu halten, maß er sich nicht mehr an, seinen Bruder in all seinen Belangen zu kennen und durchschauen zu können, aber zumindest Herabspielungen dieser Art würde er nicht übersehen. Er beobachtete seinen Bruder sehr genau. Und wartete.

“Es gibt solche und solche Tage”, gestand Wei Wuxian schließlich. “Manchmal steckt mein Kopf tief in der Vergangenheit. Jetzt, mit Zewu-jun. Oder zum Totenfest. Lan Zhan und ich waren zum Totenfest bei den Grabhügeln.”

Jiang Cheng hatte es bemerkt. Er hatte die Blumen und die Aschereste des Totengeldes gesehen, als der Sog in seinem Herzen zu stark geworden war und er sich am Abend ebenfalls an jenem Ort wiedergefunden hatte.

“An Shijies Geburtstag”, führte Wei Wuxian weiter an. “Auch an Onkel Jiangs und Madame Yus. … An dem Tag, als der Lotus-Pier niedergebrannt ist.”

Wei Wuxians Blick schweifte ab, ernst und so weit weg, als suchte er die Vergangenheit, diejenigen, nach denen sein Herz sich so oft sehnte. Jiang Cheng kannte diesen Blick, kannte diese Sehnsucht wie kein Zweiter.

“Jiang Cheng.”

“Hm?” Jiang Cheng bemerkte, dass sich seine Gedanken wohl auf seine Gesichtszüge übertragen haben mussten. Wei Wuxians Blick ruhte noch immer im diffusen Nebel der Vergangenheit, doch seine Hand fand die seine ohne die kleinste Unsicherheit und drückte sie sanft.

“Eigentlich würde ich jetzt gern sagen: ‘Mach dir keine Sorgen um mich’, aber – danke, dass du dir Gedanken machst.”

Jiang Cheng erwiderte den Händedruck. Mit Worten wäre er niemals imstande auszudrücken, was ihm dieser Satz bedeutete.

“Jiang Cheng, ich- Damals, im Guanyin-Tempel. Als ich gesagt habe, du sollst es vergessen. Vergiss das, dass war dumm vo-”

“Es ist in Ordnung”, fuhr Jiang Cheng ihm ruhig dazwischen. Er atmete tief durch, musterte die Reflexionen des Sonnenlichts in seiner Teeschale. “Es … wird in Ordnung. Allmählich. Ich habe viel nachgedacht seit Langya. Über Vieles, worüber ich vierzehn Jahre lang zu feige war nachzudenken. Oder länger. Ich konnte nicht für alles eine Antwort finden. Vielleicht werde ich das nie können. Aber vieles hat sich gebessert, vieles kann ich jetzt klarer sehen. Es geht mir besser.”

Er nahm einen weiteren Schluck von seinem Tee, um die Nervosität zu überspielen.

“Und … Nenn mich egoistisch, aber zu wissen, dass die Vergangenheit genauso ein Teil von dir ist wie von mir, ist irgendwie beruhigend zu wissen. Versteh mich nicht falsch! Auf der anderen Seite mache ich mir Sorgen, dass du mal wieder zu viel in dich hineinfrisst und niemand sieht, wie du daran zugrunde gehst, aber-”

“Ist schon gut.” Diesmal war es Wei Wuxian, der ihn unterbrach, unterstrichen von einem weiteren sanften Druck ihrer noch immer verbundenen Hände. “Ich verstehe, was du meinst. Und genau deshalb kann ich endlich mit dir darüber reden.” Und mit einem leisen Glucksen fügte er hinzu: “Besser, als ich es mit Lan Zhan könnte.”

Eine wohlige Wärme durchströmte Jiang Chengs Brust. Er erwiderte den Händedruck, suchte Wei Wuxians Blick. Für einige lange, friedvolle Momente blickten sie einander stumm in die Augen, ganz genau wissend, was in dem anderen vor sich ging.

“Auch ich möchte, dass es endlich Vergangenheit wird”, hauchte Jiang Cheng schließlich.

Wei Wuxian nickte verstehend und Jiang Cheng fügte hinzu: “So weit, wie es eben möglich ist.”

Egal, welche Fehler sie beide in der Vergangenheit gemacht haben mochten. Selbst ewige Reue würde nichts besser oder gar ungeschehen machen. Aber was sie tun konnten, war, aus diesen Fehlern zu lernen. Und um diesen Schritt abzuschließen, musste Jiang Cheng noch einen letzten Ballast abwerfen – und hoffen, dass er den seelischen Zustand seines Bruders richtig einschätzte und dieser letzte, schwere Felsen sie nicht wieder unter Wasser ziehen würde.

“Wuxian.”

“Hm?”

Jiang Cheng holte tief Luft.

“Damals, nach dem Angriff auf den Lotus-Pier … In der Stadt, wo du Essen für uns gekauft hast?”

“Ich erinnere mich”, bestätigte ihm Wei Wuxian, die Stimme ein wenig klamm, vorsichtig.

“Da war eine Gruppe Wen-Bastarde, die die Stadt nach uns durchkämmt hat. Wenn ich sie nicht abgelenkt hätte, hätten sie dich erwischt.”

Wei Wuxians Augen weiteten sich vor Schock.

“Jiang Cheng …!”

Doch Jiang Cheng schüttelte den Kopf.

“Ich erzähle dir das nicht, um dir ein schlechtes Gewissen zu machen. Wenn es eine Sache gibt, die ich nie bereut habe und nie bereuen werde, dann ist es diese. Ich will nur nicht, dass noch länger irgendetwas zwischen uns steht. Sondern dass wir beide ehrlich miteinander sind.”

Wei Wuxian atmete geräuschvoll ein, offenbar darum ringend, diese Offenbarung zu verarbeiten.

“... Danke”, hauchte er schließlich. “Und Entschuldigung.”

“Wofür?”

“Es gab Zeiten, da habe ich an uns gezweifelt. Zeiten, in denen es nicht angebracht war”, gestand Wei Wuxian.

“Wie hättest du auch anders fühlen können, wenn du nichts wusstest?” Jiang Cheng kannte diese Zweifel nur zu gut. “Deshalb möchte ich, dass du es jetzt weißt. Du bist immer mein Bruder gewesen.”

Wei Wuxians Blick war wieder gefestigt, als er Jiang Cheng diesmal geradewegs in die Augen sah und zur Bestätigung seine Hand noch einmal fest drückte.

“Schon immer, für immer. Bruder.”


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nun kommt langsam Bewegung in die Sache. :) An einigen Kapiteln sind noch Ausbesserungen vorzunehmen und das Ende ist noch nicht fertig geschrieben (aber fertig im Kopf). Aber ich hoffe, dass ich ca. einmal pro Woche ein Update geben kann. :) Und ich wäre echt gespannt zu erfahren, inwieweit ich eurer Meinung nach Jiang Chengs Zwiespalt und den weiteren Werdegang des Brüder-Konflikts getroffen habe. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
An dieser Stelle sollte ich vielleicht kurz vorwarnen, dass die nächsten beiden Kapitel noch etwas im Umbau begriffen sind. Vor allem das nächste habe ich im Vergleich zum ersten Entwurf ganz grundlegend überarbeitet, was noch mal viel Zeit in Anspruch genommen hat. Aber ich bin mittlerweile zuversichtlich, dass ich pünktlich in einer Woche wieder updaten kann. :) Drückt mir zur Sicherheit bitte trotzdem die Daumen. ^^° Auch mit dem übernächsten Kapitel. Da gibt es noch mehr zu tun. ^^° Aber nun verabschiede ich mich erst mal in die Winterferien Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel (und das letzte) waren eine absolute Herzensangelegenheit für mich, aber mit diesem hier habe ich mich sehr schwer getan. Deshalb existieren nun auch zwei Versionen davon: die erste aus Jiang Chengs Sicht und die jetzige, die hauptsächlich aus Wei Wuxians Sicht geschrieben ist. Jiang Chengs Perspektive auf dieses Gespräch birgt auch einige nette Einblicke, aber die von Wei Wuxian waren letztendlich doch wichtiger, weil man von seiner Sicht auf das zerrüttete Verhältnis bisher so wenig mitbekommen hat. Aber ich frage mich, ob ich das alternative Kapitel vielleicht als Bonus hochladen soll? Oder wäre das zu redundant, würde den Storyverlauf stören? Mittendrin zwischen den anderen Kapiteln will ich es eigentlich auch nicht stehen lassen, wenn es mit der Handlung dann weitergeht ... Ihr könnt mir ja mal eure Meinung dalassen. :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Damit wären wir am Ende der Haupthandlung angekommen. An dieser Stelle schon einmal ein riesengroßes Dankeschön an alle, die dabei waren, die die Geschichte in ihre Favoritenliste aufgenommen haben, und natürlich ganz besonders an Duchess und _Scatach_ für ihre wahnsinnig tiefgründigen und spannenden Kommentare, den Austausch über die Geschichte und darüber hinaus *lach*. Es war und ist ein wunderbarer Austausch. Und ganz besonders dankbar bin ich für das viele Feedback und die große Hilfe von YoungMasterWei, ohne die diese Idee nicht halb so gut umgesetzt worden wäre. :)
Es stehen dennoch noch einige offene Enden im Raum. Die werden dann Thema des Epilogs. Der wird von der Länge her wahrscheinlich ein ziemliches Monster, verglichen mit den bisherigen Kapiteln. Das einzige Problem ist nur: Der ist noch nicht geschrieben. >.< Ich hab während des Veröffentlichens parallel ab "Aufklärung" weitergeschrieben und "Bruder" noch mal komplett neu verfasst. Und die letzte Zeit war einfach so viel los, dass ich dann doch nicht mehr ganz hinterher gekommen bin. u_u Ich geb mein Bestes, den Epilog bis nächsten Samstag zu schaffen, aber ich kann es euch leider nicht garantieren. Drückt mir bitte die Daumen, dass die nächste Woche ruhig bleibt! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war es nun also! ^^ Konnte euch der Epilog noch ein bisschen überraschen? Dass Lan Xichen hier so eine zentrale Rolle einnimmt, war sicherlich unerwartet. Aber zum einen denke ich, dass sein Zustand auch für Wei Wuxians und Lan Zhans weiteres Leben eine wichtige Rolle spielt - schließlich ist er der Clanführer - zum anderen wollte ich ihm gern auch etwas Heilung zukommen lassen. Ich weiß nicht, wie es euch ging, aber als ich im Roman an der Stelle war, wo die tratschenden Kultivatoren darüber gesprochen haben, dass er sich in Isolation begeben hat, war mein erster Gedanke: "Au weia!" Wenn jemand, der so pflichtbewusst ist wie Lan Xichen, sich inmitten eines solchen Chaos (der Anführer der Kultivatoren ist tot, Lan Wangji ist mit seiner Flamme durchgebrannt und unauffindbar - um sich mal auf das zu beschränken, was Gusu Lan direkt betraf) seine Pflichten als Clanführer niederlegt und sich abschottet, muss es ihm richtig, richtig schlecht gehen. In FFs, die an die Geschehnisse im Roman anknüpfen, wird er manchmal erwähnt. Dass er kurzzeitig in Isolation geht, aber recht bald von sich aus wieder rauskommt und alles wieder paletti ist. Aber ich denke, das wird seinen Umständen nicht gerecht. Ich glaube, wenn er tatsächlich von sich aus so schnell und ganz ohne Hilfe wieder auf die Beine gekommen wäre, hätte er sich garantiert durch seinen Schmerz durchgebissen und wäre gar nicht erst abgetaucht. Daher - ja, hier auch ein bisschen Therapie für Xichen. Oder eigentlich eher Paartherapie für Lan Xichen und Wei Wuxian *lach*. Ihm wird es auch helfen, mehr über seine Vergangenheit zu sprechen und seine eigenen Gedanken und Gefühle diesbezüglich besser zu verstehen.
Und natürlich sollte auch Jiang Cheng noch mal Gelegenheit bekommen, das Ganze zu verarbeiten, was in diesem äußerst brisanten Showdown in Langya aufgebrochen wurde. Und auch dieses letzte schwere Geheimnis loszuwerden, das er selbst jahrelang im Herzen getragen hatte. u_u
Ich denke, damit habe ich von meiner Seite her im Prinzip alles Wichtige zu Papier gebracht, was ich mir insbesondere für Wei Wuxian und Jiang Cheng von Herzen gewünscht hatte. Wie sieht es denn bei euch aus? Sind noch Fragen offen geblieben, über die man noch weiter philosophieren kann? ^^

Diese Geschichte ist nun offiziell abgeschlossen. ABER: Es werden voraussichtlich noch drei Bonuskapitel kommen, schätzungsweise so im ein- bis zweiwöchentlichen Rhythmus. Also: Stay tuned, wer die noch mitverfolgen will! ;)
Und dass sich hier sogar Leser gefunden haben, die so richtig tief in die Materie eingestiegen sind und mich ganz, ganz viel an ihren Gedanken teilhaben ließen, hat mich unglaublich bewegt, gefreut und motiviert. Ich bin euch unendlich dankbar dafür! Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (19)
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Von:  Duchess
2023-03-26T15:58:07+00:00 26.03.2023 17:58
Ahhh sorry,
mir fehlte die Zeit dir endlich wieder vernünftig zu schreiben.
So lange Kommentare, dauern meist leider doch etwas länger als nur 10 Minuten >.<
Ich hoffe mal, dass du mit deiner Dissertation wenigstens richtig voran gekommen oder vielleicht sogar fertig geworden bist!

Zum Bonus Kapitel:
Das ist schon krass wie anders es auch Jiang Chengs einfach wirkt und ich empfinde im direkten Vergleich es auch passender Wei Wuxians Sicht zu nutzen, aber dieser Moment wo Jiang Cheng ihm entgegen schrie, dass er ihn umgebracht habe und dann diese Erkenntnis kam, scheint mir aus Jiang Chengs Sicht ebenso extrem ausdrucksstark und als wichtiges Element, nach dieser Szene wo Jiang Cheng noch am Lotuspier zu den beiden Schwertern ging und sein eigenes inneres Leben dem Leser offenbart hat. Eigentlich würde ich auf keine der beiden Sichten verzichten wollen.

Bei Su She mit seiner Eifersucht fällt mir gerade auf, hieß „Wuxian“ nicht sowas wie „frei von Neid“? Irgendwie finde ich es total spannend, dass ausgerechnet die beiden in diesem Moment aufgrund von Lan Wangji aufeinander trafen.
Und wenn man alles noch etwas weiter denkt, dann kann man alle Romanfiguren in eine von zwei Gruppen stecken: Diejenigen, die privilegiert geboren sind und diejenigen die es nicht sind. Erst aufgrund ihrer Erfahrungen, die sie durch andere gemacht haben und ihrer individuellen Lebenseinstellung wird jeder für sich ein eigener Charakter. Und beide Seiten können in eine positive als auch negative Lebensführung abdriften. Niemand ist vor allem sicher.
Lan Wangji scheint da im wahrsten Sinne des Wortes der Fels in der Brandung zu sein. Er hält sich an die Regeln und nimmt bei einer Regelverletzung die Strafe in Kauf. Er hält sich fern von allen Machtspielchen und ist dennoch bei einigen Menschen Mittelpunkt selbiger.
Und Su She war zwar nicht besonders helle, aber zumindest klug genug sich einem anderen klugen Kopf anzuschließen, auch wenn er „nur“ für die niederen Dienste benutzt wurde.
Aber ja, auch wenn Jin Guangyao nicht so ein Netzwerk aus Intrigen aufgebaut hätte, wäre vieles nicht so gekommen, wie es gekommen ist.
Und dann denke ich wieder, dass Jin Guangyao von Su Shes Eifersucht auf Lan Wangji gewusst haben muss. Zeitgleich war er aber eben mit Lan Xichen befreundet und wusste, dass es ihn verletzen würde, wenn seinem Bruder etwas passieren würde. Aber hätte oder hat Jin Guangyao vielleicht sogar Su She davon abgehalten, wenn er Lan Wangji etwas angetan hätte/hat?
Jin Guangyao hat schließlich die Zügel in den Händen mit denen er die Menschen zu lenken wusste.
So gesehen hatte er mit Wei Wuxian etwas gemeinsam. Beide haben sich die Rachegelüste der anderen zu Nutzen gemacht und diese befehligt. Der Eine tat dies mit denen der Toten, der andere mit Lebenden.
Oh man, mein Kopf denkt gerade wieder in so viele Richtungen gleichzeitig @.@

Madame Yus Türen schließen um keine Zeugen zu haben klingt auch plausibel. Ob es von den Anwesenden nicht weiter getragen worden wäre, da wäre ich mir nicht mal so sicher. Jiang Cheng hätte geschwiegen, Wei Wuxian genauso, aber Wang Lingjiao hätte das doch laut vor allen verkündet, welch Freude es ihr gewesen wäre allen zu zeigen, dass die berüchtigte Madame Yu ihrem Befehl gehorcht hätte. Wäre eher fraglich gewesen, ob die Anhänger des Jiang Clans das geglaubt hätten. Hätte das Schweigen von Jiang Cheng und Wei Wuxian dafür oder dagegen gesprochen? Aber ja, gerade wenn dieses Ereignis im Jiang Clan publik geworden wäre, dann wären einige aufgrund dieses Vertrauensbruchs geflohen. So eine Strafe zu vollziehen, weil irgendeine außenstehende Person eine Behauptung aufstellt, geht einfach nicht, wenn man sein Leben auf dem Clan und dessen Werten aufgebaut hat.
Wen-Spione ausschließen um ein zu schnelles Vorgehen der Wens zu verhindern klingt dagegen sehr plausibel, je mehr man drüber nachdenkt. Zumal die Wens ja noch ein weiteres Clan Mitglied in ihrer Gewalt hatten, wegen dieser Lappalie mit dem abgeschossenen Drachen. Vielleicht hatte sie auf noch einen weiteren Weg gehofft ihn dort ebenfalls raus zu ziehen?

ARGH! Mach mir "Heaven Official's Blessing" doch nicht soooo schmackhaft. Ich bin selbst doch noch nicht so unfassbar weit mit lesen, aber leider schon gehyped @.@
Der letzte Band MDZS müsste hier im Mai (?) rauskommen, vielleicht nutzt man danach ja die Gelegenheit einfach mit dem nächsten Titel der Autorin weiter zu machen. Ich hoffe es zumindest für mich ^^°
Aber so ein Glossar ist für Neulinge in dieser Kultur einfach klasse. Und sogar zur Aussprache der Namen? Hoffentlich machen die das dann in der deutschen Version genau so. Ich find das immer total spannend mit welcher Intention Menschen oder Dinge benannt werden und wie ihre Namen das jeweilige Individuum widerspiegeln.
Bei deiner Story hattest du es doch eigentlich recht klar angelegt, dass es eine Art Fortsetzung des Originals darstellen soll. Ohne dieses Wissen wäre die Story leider etwas zu verschlossen für Erstlingsleser, die keine Ahnung von der Materie haben. Wenn du solche Leute locken willst, hättest du deutlich leichtere Themen wählen müssen, die nicht so tief in das Seelenleben der einzelnen Charaktere vordringen. Vielleicht eher so etwas Slice of Life mäßiges, mit kleinen Hints für diejenigen, die die Hauptstory eben doch schon kennen. Und beim Epilog hast du im Punkte Vorwissen eh noch mal eine ganz neue Tür aufgemacht. Aber das – so denke ich – ist okay, da nach der Szene im Tempel ja nicht mehr so viel Relevantes für die Hauptstory kam, sollten die anderen Leser damit gut zurecht kommen.
Der „halbgerechtfertigte“ Tod von Jin Guanyao ist vermutlich aber auch eh nur so eine Nebensächlichkeit. Viel wichtiger erscheint mir hier, dass er den tödlichen Stoß dann genau von der Person bekommen hat, der er sicherlich nie wirkliches Leid zufügen wollte.
Alle anderen waren ihm nützlich oder egal bis verhasst. Nur diese eine Person eben nicht. Aber genau in dieser Situation gab es eben den einen Menschen, der wiederum an ihm Rache üben wollte. Und damit schloss sich der Kreis.

Aber nochmal zurück zum Epilog. Ich hatte nicht erwartet, dass du zum Schluss noch mal das Fass mit Lan Xichen aufmachen würdest. Das kam jetzt schon sehr unerwartet, auch wenn es ein weiteres Thema ist, dessen weiterer Ausgang wohl nicht nur mich brennend interessiert.
Lan Xichen hat leider ein sehr schweres Los erwischt. Vielleicht oder sogar eher mit Sicherheit wäre es für ihn einfacher gewesen wenn Jin Guanyao wirklich vor gehabt hätte einen Fluchtversuch o.ä. zu unternehmen. Dann wäre diese bittere Erkenntnis, dass er einer Finte aufs Korn gegangen ist, nicht so kalt gewesen. Aber so muss er sich nun einmal eingestehen, dass er eine Schuld trägt.
Vermutlich kennt der Lan Clan in der Hinsicht keine Möglichkeit mit so einer Schuld umzugehen. Die Handlung selbst war ja durchaus gerechtfertigt. Er war gefährlich und ein Angriff ebenso denkbar. Auf so kurze Distanz blieb ihm nichts anderes übrig als zu handeln. Die Isolation, die er für sich selbst gewählt hat, war vermutlich die einzige „Strafe“, die ihm zuteil wurde.
Die beiden Brüder lieben sich und passen aufeinander auf. Gerade Lan Xichen als Älterer fühlt sich mit Sicherheit schon seit dem Tod der Mutter dazu verpflichtet auf den kleinen Bruder auf zu passen. Lan Wangjis Sozialkompetenzen mögen ja den Regeln des Clans entsprechen, sind aber auf rein menschlicher Ebene echt schwer für Außenstehende zu verstehen. Das wussten beide und dadurch stand Lan Wangji auch immer nur hinter seinem Bruder, wenn es um die Kommunikation mit anderen ging.
Ich fand es einfach sagenhaft klasse wie gut Lan Xichen ihm die Gemütslage allein vom Verhalten her ablesen konnte. Und wie bedacht er darauf war, dass sein kleiner Bruder Kontakt zu anderen aufbauen sollte, wenn er es selbst als seinen eigenen Wunsch schon nicht wahrhaben wollte.
Das ist nun vermutlich die erste richtige Gelegenheit, wo Lan Wangji sich revanchieren kann, bzw könnte, wenn er selbst mit Worten und Gesten besser umzugehen wüsste und Lan Xichen es schaffen würde ihm seine Gefühle in Worten mitzuteilen. Da ist ein Wei Wuxian, der für seinen Lan Zhan alles tun würde, einfach der zugänglichere Typ. Dass er selbst mit solcher einer Art Schuld eigene Erfahrungen gemacht hat, macht ihn umso besser als Kontaktperson.

Als du bei dieser Unterrichtsstunde den Truthahnvergleich das erste Mal gezogen hast war mein allererster Gedanke, dass du auf diesen Moment ewig gewartet haben musstest XD
Und wie sich dann in meinem Kopf noch dieses Bild von denen manifestierte wie diese Köpfe nach und nach auch noch hochrot werden XDDD

Und zu dieser Sache mit Jiang Chengs Wut: Ich muss gerade hart überlegen, ob erwähnt wurde was tatsächlich aus den armen Leuten geworden ist, die im Verdacht standen Wei Wuxian zu sein. So richtig weiß ich das nicht mehr. Es wurde halt durch Dritte weiter getragen und wir wissen alle wie das mit der stillen Post so ist. Die Geschichten verändern sich gleich beim ersten Nacherzählen. Jiang Cheng wird sicherlich wenig Interesse daran gehabt haben gegen diese Gerüchte gegenüber seiner eigenen Person vorzugehen. Es wäre nicht seine Art gewesen und die verschlossenen Tore des Lotuspiers sprechen eher dafür, dass er einfach nichts weiter mehr davon hören wollte.
Es könnte natürlich wirklich sein, dass die Folter als Strafe dafür diente, dass diese Menschen versucht hatten den dunklen Weg zu kultivieren, aber ich denke, dass es Jiang Cheng durchaus bewusst war, dass diese Nachahmer es nicht zur selben Größe und Macht bringen würden. Zumindest zu diesem Zeitpunkt dachte er schließlich sicherlich noch, dass Wei Wuxian damals einen goldenen Kern hatte und dieser für das ganze Ausmaß ebenfalls notwendig war.
Und wenn Zidian diese Fähigkeit hat einen besetzten Körper zu befreien, dann macht es schließlich keinen Sinn den „befreiten“ Körper zu Tode zu foltern.
Darüber hinaus denke ich, dass da auch die Erinnerung an seine Schwester noch unbewusst Einfluss auf ihn gehabt hätte. Ihm ist bestimmt bewusst, dass sie diesen Ausgang nicht gewollt hätte.
Ich stelle mir sogar vor, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte seinen Bruder erneut zu töten, dann wäre ihm die Erinnerung an die Schwester hoch gekommen, die ihm ins Gewissen geredet hätte. Und dahinter hätte dann sicherlich wieder auch seine eigenen brüderlichen Gefühle gesteckt, die sich mit in der Erinnerung an die Schwester manifestierten.

Ich bin mir allerdings nicht so sicher ob man diese Szene im Guanyin-Tempel in dem Bezug gelten lassen kann, weil zu dem Zeitpunkt wusste er ja bereits, dass er das Spenderorgan seines Bruder in sich trägt. Zu dem Zeitpunkt wurde sein eigenes Weltbild zu seinem Bruder ja bereits ins Wanken gebracht und er war diesbezüglich schon verwirrt, was die Reaktionen im Tempel beeinflussten. Oder hab ich dich da bei der Begründung falsch verstanden?

Deine Schlussworte kann ich nur zurückgeben: Es war mir eine Freude diese brüderliche Aufarbeitung mitlesen und auch ganz besonders mit dir darüber mitdiskutieren zu dürfen ^^
Antwort von:  Lady_Ocean
10.04.2023 06:14
Waaaah! Vielen lieben Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Das frisst ja auch immer eine ganze Menge Zeit (sehe ich auch an mir XD), deshalb hätte ich gar nicht erwartet, dass du noch mal dazu kommst. ^^°
Die Diss ist selbst im besten Fall nicht vor Mitte 2025 fertig. Und in den letzten zwei Monaten hatte ich irgendwie noch so viele andere Termine und Aufgaben, dass ich nicht so richtig weitergekommen bin mit meinen Interviewtranskripten. T_T Wobei ich jetzt zumindest mit dem dritten (von 14) zu ca. 2/3 durch bin. Und danach will ich auch so langsam mit der Analyse anfangen.

> "aber dieser Moment wo Jiang Cheng ihm entgegen schrie, dass er ihn umgebracht habe und dann diese Erkenntnis kam, scheint mir aus Jiang Chengs Sicht ebenso extrem ausdrucksstark"
Finde ich total cool, dass ausgerechnet dieser Moment so viel Eindruck bei dir hinterlassen hat. Ging mir nämlich auch so. Das war so einer der ersten Aufhänger, die überhaupt zu dieser Geschichte geführt haben. Sie streiten, Jiang Cheng verliert die Nerven, er schreit seinen Frust über Wei Wuxians Tod (in seiner ganzen langen tragischen Laufbahn) heraus und in diesem Moment macht es "Klick".

Und stimmt, "Wuxian" heißt "keine Eifersucht". Der Vergleich, den du hier mit Jin Guangyao und seiner Einstellung bezüglich Lan Wangji ziehst, ist total spannend. Das könnte ihn tatsächlich lange davon abgehalten haben, Wei Wuxian zum Ziel seiner Intrigen zu machen. Wenn irgendwer gesehen haben könnte, dass Wei Wuxian wichtig ist für Lan Wangji, dann er. Andererseits hat Jin Guangyao im Kampf am Guanyin-Tempel aber auch gesagt, er fand es nicht nötig, sich extra anzustrengen, um Wei Wuxian aus dem Weg zu räumen. Denn Wei Wuxian hatte ohnehin eine Persönlichkeit, mit der er bei vielen angeeckt ist, und dann eben noch seine Macht als dunkler Kultivator, was ihn früher oder später eh ins Grab gebracht hätte (so Jin Guangyaos Einschätzung). Ich denke, das zeigt nicht nur, dass Wei Wuxian ihm für seine Pläne im Grunde unwichtig gewesen ist, sondern auch, dass Su Shes Racheakt mit dem Fluch der Tausend Löcher tatsächlich nichts mit ihm zu tun gehabt hatte. Wahrscheinlich hat Jin Guangyao ihn einfach machen lassen, weil er darin keinen Einfluss auf seine eigenen Machtpläne gesehen hat.
Und dieser Vergleich, dass sich Wei Wuxian die Rachegelüste der Toten zu nutze macht, während Jin Guangyao die Rachegelüste der Lebenden ausnützt - on spot! :D Mega cooler Gedanke.

Du hast "Heaven Official's Blessing" jetzt doch angefangen zu lesen?! Wie weit bist du jetzt? Aber ja, die Geschichte ist mega toll. Da lohnt es sich, sich durch dürftige Englischkenntnisse zu kämpfen (und wahrscheinlich hat dein Englisch danach 'nen totalen Boost hingelegt. So ging es mir zu Schulzeiten jedenfalls mit Harry Potter XD).

Stimmt, für Erstleser wäre so was wie Slice of Life definitiv einfacher zu handhaben. Aber die MDZS-Community ist mittlerweile ja auch recht groß. Und was ich halt total schön finde, ist, dass man so hin und wieder jemanden findet (wie dich), mit dem man auf Augenhöhe über Details und Interpretationsmöglichkeiten fachsimpeln kann. :D So ein Dialog geht mit Erstlesern halt nicht.

Geht mir auch so, dass der entscheidende Punkt an Jin Guangyaos Tod der ist, dass ausgerechnet sein engster Freund ihn gesetzt hat und dass dieser engste Freund womöglich auch der einzige Mensch auf der Welt war, dem Jin Guangyao nie Leid zufügen wollte. Lan Xichen ist halt auch einfach ein Herzensguter. Und womöglich auch der Einzige aus dessen engerem Bekanntenkreis, der wirklich NIE was bezüglich seiner Bordellherkunft gesagt hat. Und auch nicht mal gedacht. Weil es für Lan Xichen halt wirklich keinerlei Rolle spielt (und jemand, der so eine gute Auffassungsgabe hat wie Jin Guangyao, merkt garantiert auch sehr schnell, wer nur aus Höflichkeit dieses "Kind einer Prostituierten" nicht ausspricht). Ist eigentlich schade, dass sich Jin Guangyao und Wei Wuxian nicht unter anderen Umständen kennengelernt haben. Wei Wuxian hätte auf sowas auch keinen Deut gegeben und trägt einfach das Herz am rechten Fleck. Und handelt entsprechend seiner Überzeugungen. Die hätten eigentlich gute Freunde werden können unter anderen Umständen.
Ursprünglich schwebte mir Lan Xichens persönliches Dilemma auch nur als Nebenaspekt im Hinterkopf rum. Erst in dem Moment, wo ich am Schreiben war bzw. eigentlich so richtig erst nach dem Schreiben vom Epilog habe ich bemerkt, was für einen großen Raum dieses Thema hier plötzlich eingenommen hat. Für einen Epilog ist das eigentlich untypisch, aber ... was soll's! XD
Und Nie Huaisang hat da ein ganz schön großes Opfer in Kauf genommen, ausgerechnet Lan Xichen dazu zu manipulieren, seine Rache an Jin Guangyao abzuschließen. Gut, das war sicherlich ein ganzes Stück weit eine spontane Entscheidung. Ich schätze, Nie Huaisang hat da einfach die Gunst der Stunde genutzt. Aber dennoch.
(Und ehrlich gesagt: Ich frage mich bei Nie Huaisang auch, ob er den Tod seines großes Bruders nicht ein Stück weit sehenden Auges zugelassen hat. Er hat ja seit seiner Jugend permanent unter den hohen Erwartungen von Nie Mingjue gelitten und gezittert. Und dann hat Mingjue auch noch seine Fächersammlung vor seinen Augen verbrannt. Sicherlich hat Huaisang seinen großen Bruder auch geliebt, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass da auch ziemlich viel "Ich schaff das alles nicht mehr. Ich halte diese ganze Last von meinem Bruder nicht mehr aus" mit dabei war. Selbst wenn Jin Guangyao dessen Qi-Entartung nicht durch das gezinkte Musikstück beschleunigt hätte, wäre es früher oder später wohl dazu gekommen. Nie Huaisang hatte sicher so oder so kaum Aussicht darauf, dass sich die cholerischen Ausbrüche seines großen Bruders irgendwann legen. Und mit dem Ritual zum Opfern des eigenen Körpers ist eigentlich klar, dass Nie Huaisang von Anfang an Jin Guangyao auf seiner Abschussliste gehabt haben musste. Dass er gewusst haben musste, dass Jin Guangyao für Nie Mingjues Tod verantwortlich ist. Und das wird er sicher nicht erst nach dessen Tod irgendwie zufällig erfahren haben.)

> "Als du bei dieser Unterrichtsstunde den Truthahnvergleich das erste Mal gezogen hast war mein allererster Gedanke, dass du auf diesen Moment ewig gewartet haben musstest XD"
Jepp! XD Zumindest wie sie da kurz vorm Explodieren sind und mit hochroten Köpfen dasitzen. Die Truthähne kamen dann beim Schreiben. Und als sie vor meinem geistigen Auge dann wirklich wie die Moorhühner dreingeschaut haben, wusste ich: DAS IST ES! XD

Ich erinnere mich auch nur an die Gerüchte, dass Jiang Cheng wohl die Kultivatoren, die er im Verdacht auf Nutzung der dunklen Künste gefangen genommen hat, dann zu Tode gefoltert hat. Aber dadurch, dass es Gerüchte sind, ist es schwer zu sagen, ob die komplett der Wahrheit entsprechen. Zumindest Folter ist bei Jiang Cheng aber gut vorstellbar, was? Ich denke aber, wenn es hart auf hart kommt, ist er einer der typischen "Hunde, die bellen, beißen nicht"-Fälle. Jin Ling hat er auch so oft damit gedroht, ihm die Beine zu brechen oder nicht mehr mit ihm zu reden, bis der sogar immun gegen diese leeren Drohungen geworden ist. Aber ich denke genau wie du, dass es Jiang Cheng total egal wäre, wenn Gerüchte im Umlauf wären, dass er dunkle Kultivatoren getötet hat, selbst wenn dem gar nicht der Fall ist.
Und ich denke auch, dass die Erinnerung an Yanli seine Taten immer mit beeinflussen. Sie wird im Jenseits traurig genug gewesen sein, dass Wei Wuxian gestorben ist. Dass Jiang Cheng zum Frustabbau mordet, hätte sie am Boden zerstört. Jiang Cheng hätte ihr nie wieder unter die Augen treten können.

> "Ich bin mir allerdings nicht so sicher ob man diese Szene im Guanyin-Tempel in dem Bezug gelten lassen kann, weil zu dem Zeitpunkt wusste er ja bereits, dass er das Spenderorgan seines Bruder in sich trägt."
Stimmt, hast recht! Das hat Jiang Chengs Haltung gegenüber Wei Wuxian noch mal eine ganz neue Dimension gegeben. Hatte ich zuvor außer Acht gelassen. ^^°
Von:  Duchess
2023-02-12T22:57:53+00:00 12.02.2023 23:57
So ich nun wieder:
ja, der Karpfen ist für einige Leute eben genau das. Ein Weihnachtsessen XD
Gab sogar mal einen Kinderfilm wo ein Karpfen vor Weihnachten in der Badewanne gehalten wurde und vor Weihnachten dann vom Sohne daraus noch befreit wurde um ihn zu retten XD

Su She hat eine unfassbare Schlüsselrolle bekommen. Wäre er nicht gewesen, hätte es den Löcher Fluch nicht gegeben, den man Wei Wuxian angehangen hatte. Es war vielleicht nicht Su Shes Absicht, aber es hat eine neue Eskalationsstufe für Wei Wuxian ausgelöst. Der Domino Effekt hat letztendlich dann für den totalen Kontrollverlust gesorgt.
Später dann, in Wei Wuxians zweitem Leben, als er die Junioren entführt hat und die "Rettungstruppe" dann entkräftet hatte, gab es plötzlich diesen Plottwist.
Und ganz zum Schluss stellt sich plötzlich heraus, dass er einfach unglaublich eifersüchtig auf Lan Wangji war. Ausgerechnet die Person, die sich bisher aus allem heraus gehalten hatte. Su Shes eigentlicher Hass hat sich überhaupt nicht auf Wei Wuxian gerichtet.
Diese Erkenntnis war echt einfach Wow!
Und was ich auch noch krass finde, ist dass er sich tatsächlich den Mund zerrissen hat, als er den Schweigezauber brechen musste.
Die ganze Story, wäre ohne ihn komplett anders gelaufen und wir wissen nicht ob es wirklich derart eskaliert wäre.
(von Heavens Official's Blessing kenn ich übrigens die ersten Kapitel. Und ich bete dafür, dass die ihn hier auch auf deutsch rausbringen O.O so krass. Leider tu ich mich zu schwer alles auf englisch zu lesen. Gerade weil ich leider Hilfe brauchte dieses Göttersystem zu kapieren. Aber es klang so wow. Die erste Folge der Verfilmung war dagegen leider wirklich etwas arg abgespeckt und von einer Freundin hab ich gehört, dass die anderen Folgen völlig verwirrend seien, sie kennt allerdings den Roman nicht. Aber ich bin soweit, dass ich neben den Hauptcharakteren auch unbedingt wissen will welche Geschichten zb Mu Qing und Feng Xin haben)
Die Sache mit der Hand: uh krass, das war dann ja wirklich extrem geschickt eingefädelt, denn es stimmt, die Abfolge lässt tatsächlich beide Versionen zu.
Wobei wenn man versucht mal ganz nüchtern dieses Türen schließen von außen zu betrachten: welchen Sinn hätte es in der jeweiligen Situation gehabt?
Sollte sie wirklich vorgehabt haben die Hand abzuschlagen, wollte sie dann Wei Wuxian daran hindern zu flüchten? wollte sie verhindern, dass ihm weitere Hilfe von außen hinzugekommen wäre? Ersteres unwahrscheinlich. Zweiteres vielleicht? Wäre die Frage ob seine Freunde gegenüber ihr aber auch wirklich den Mumm dazu gehabt hätten? Selbst Jiang Cheng hat zwar Partei für ihn ergriffen, aber eben auch nur um ihn gebettelt.
Variante zwei: wieder Flucht verhindern und verhindern, dass von außen Hilfe kommt nur bei einer anderen Person. Passt super.
Vielleicht wars auch wirklich Variante 3: sie hat sich versucht Zeit zum Nachdenken zu verschaffen und wollte einen Weg finden Wei Wuxian aus der Sache raus zu ziehen? Sie kennt ihn, sie weiß, dass er vielleicht sogar schnell geschalten hätte und mitgespielt hätte, wenn sie so getan hätte als ob.
Die Eskalation bzw der entgültige Entschluss kam dann erst mit der Aussage, dass der Lotuspier übernommen werden sollte. Das war dann wohl der Trigger Moment für sie.

Diese Namenssache in der chinesischen Kultur kannte ich vor MDZS auch noch nicht. Von daher war das ne gute Idee, dass auch noch anzufügen. Gerade wenn du Leser haben solltest, die MDZS nicht einmal mehr kennen, wobei da echt viel Hintergrundwissen fehlen könnte.
Ich schreibe ja jetzt aus der Position, die die Story dahinter kennt und vor allem diese fehlende Aufklärung in diesem Brüderverhältnis. Für mich war die Ff wie gemacht.

Oh ja, diese hübsche Situation am Danfan Berg wo Wei Wuxian noch dachte er könne damit beide vergraulen und dann sein Gesicht wie sehr es auf einer Seite nach hinten los ging. Aber Jiang Cheng hat er da wirklich gut eingeschätzt und ja, genau das dachte ich damals schon. WTF, du hast kein Interesse an ihm, außer du bist im direkten Vergleich unterlegen XD
Ich denke aber auch, dass sein bisheriges Verhalten ihm unglaublich viel Kraft gekostet hat und er eigentlich wirklich eher mit ihm reden wollte, aber einfach nciht dazu in der Lage war, sich a) auszudrücken und b) überhaupt denjenigen zu finden, mit dem es die Aussprache brauchte.
Jetzt in diesem Moment entfällt b) - er ist plötzlich da. Man könnte mit ihm die Aussprache suchen, aber es hat sich viel angestaut und a) ist dennoch weiterhin ein Faktor, den er sehr schwer von sich aus überwinden kann.
Dadurch, dass sich Wei Wuxian nicht ganz so einfach einfangen lässt und er zudem noch jemanden hat, der ihn beschützt, klappt ein Foltern oder irgendwas in dieser Richtung einfach nicht mehr.
Die Leute, die er vorher dran bekommen hat, in der Vermutung, dass sie er wären, hatten -so vermute ich- schlicht das Pech, dass in ihm die Erkenntnis kam, sich vertan zu haben. Dann ließ er die Wut auf seinen Fehler an ihnen aus.
Aber ganz genau das in der Situation im Tempel denke ich auch, er wollte "seine" Familie da raus holen. Die beiden Menschen, die ihm noch mehr oder weniger nahe standen. Dieser plötzliche Ausbruch mit "warum hast du es mir nicht gesagt?" beweist es für mich. Das war seine Intention und er hat versagt sein Vorhaben hier um zu setzen.
Ich frage mich auch immer noch wie die Situation in der Halle der Ahnen verlaufen wäre, wo Wei Wuxian sich bei den Adoptiveltern bedankt hatte, wenn Lan Wangji in dem Moment nicht dagewesen wäre? Zu dem Zeitpunkt hatte Jiang Cheng noch nicht gewusst, dass sein goldener Kern ein Spendenorgan seines Bruders war...

Jeder der irgendeine übertriebene Angst vor etwas hat, kennt solche Situationen. Und sich über deine Beschriebung lustig zu machen, bedeutet eigentlich eher sich über die Person dahinter lustig zu machen, die diese Angst hat.
Jemand der das tut ist schlicht und ergreifend entweder völlig frei von Ängsten oder leider nicht erwachsen genug um Emphatie gegnüber anderen zu empfinden.
Aber so oder so, es ist hier an dieser Stelle deine Geschichte und es war unglaublich wichtig hier zu zeigen, dass es mehr als ein simpler Akt eines Seelentransfers war.
Das mit dem Zurücksetzen des Lebenscounters im hohen Alter ist aber dann schon schwieriger. Wenn sie nicht wiedergeboren wird sondern einfach einen neuen Körper besetzt, was ist dann dort mit der Seele, die schon im Körper sitzt?
Aber stimmt, letztlich kann ich mir gut vorstellen, dass ihre Seele nicht jeden Körper beziehen möchte. So gesehen war es sehr sinnvoll wieder eine Hündin zu suchen.

Und wtf was hast du denn da für einen Epilog geschrieben XD
Die Wortanzahl erschlägt einen ja fast.
Aber teilen ging hier wirklich nicht.
Ich hoffe nur, dass du auch mal an deiner Dissertation weitergearbeitet hast!

Der Epilog klingt aber auch sehr logisch.
Jiang Chengs Schwierigkeiten im Nachgang alle Gedanken zu sortieren und dann den Schritt zu wagen auf seinen Bruder zuzugehen bzw dieses Gefühl zu haben, diesen Moment verpasst zu haben, kenn ich oder besser gesagt, kann ich mir verdammt gut vorstellen.
Wei Wuxian kennt seinen Bruder allerdings auch und ja, ich denke, er hat alles so arrangiert, dass er mit seinem Bruder offen reden kann. Ich hab beim Lesen immer wieder das Gefühl gehabt, dass alles genau so sein sollte und eingerichtet wurde, wahrscheinlich auch wirklich in der Hoffnung die Beziehung zu ihm wieder auf zu bauen und in ruhiges Fahrwasser zu lenken.

Die Auflösung zur Materie - super. Genau richtig gehalten. Es war so simpel wie es sein muss um sich richtig anzufühlen XD

Die Szene zur Unterrichtsstunde - XDDD herrje musste ich lachen
Es war so eine schöne Spannung in diesem Raum XD

Und dann noch das zweite Problemkindchen... noch so eine Situation von der ich hoffte, dass da noch mal wer das Thema aufgreift. Denn ja, nach ein paar Monaten Isolation einfach zurück kommen und alles ist in Ordnung klappt bei sowas nicht.
Und die Sache mit der Schuld - ja, da hat Wei wuxian absolut recht. Es wird immer bleiben, man kann nur lernen damit um zu gehen oder daran ersticken.
Es ist halt realistischer so wie du es jetzt beschrieben hast. Es geht nicht von einen auf den anderen Tag, aber ich hoffe für ihn, dass er auch diesen einen Fixpunkt in seinem Leben findet, der ihn da rauszieht.
Irgendwie war -zumindest für mich- die Situation von Lan Xichen der Hauptplott des Epilogs, auch wenn es schön in den Hintergrund gerückt war und eher unauffällig zu dieser Schulstunde im Hintergrund stand. Und das war echt schön, auch wenn es keine herzerwärmende Auflösung dazu gab, wie zu den anderen Bruderpärchen.

Die Ff war in sich eine sehr runde Erzählung und für jemanden, der sich ein Happy end für Wei Wuxian und Jiang Cheng gewünscht hat, eine herrliche Auflösung.
Und ich freu mich schon auf die Zusatzkapitel auch wenn ich mir denke, dass du deine Dissertation vielleicht mal wieder mehr in den Fokus rücken solltest XD
Antwort von:  Lady_Ocean
13.02.2023 06:17
Vieeeeelen lieben Dank für deinen Kommentar! :D Wahnsinn, an dem hast du bestimmt 'ne Ewigkeit gesessen. OoO

Ja! Mich haben Su Shes Motive am Ende auch überrascht! Dass da einfach grenzenlose Eifersucht auf Lan Wangji dahinter gesteckt hat. Und dass ihm für seine Rache jedes Mittel recht war, ganz egal, wer dabei den Kollateralschaden abbekommt. Aber so, wie er in seinen jungen Jahren dargestellt wurde, war es auch glaubhaft, dass er so jemand geworden ist. Er war halt immer nur der Trittbrettfahrer, ein einfacher Kultivator ohne Rückgrat, ohne konkrete Ambitionen oder bedeutende Klugheit. Kein Wunder, dass ihn auch andere nur belächelt (Jin Zixun) oder gemaßregelt (die Lan-Ältesten während des Kampfes gegen den Waterborne Abbyss, Lan Wangji in der Höhle des Xuanwu, als Su She Mianmian ans Messer liefern wollte) wurde. Allein hätte er auch nicht den Grips gehabt, so was wie den Fluch der Tausend Löcher zu finden und heraufzubeschwören, oder die Nachwuchs-Kultivatoren zu entführen und es so zu timen und aussehen zu lassen, als wäre das Wei Wuxians Werk gewesen. Da steckte ganz klar Jin Guangyaos Kopf dahinter. Und der war froh, einen vollkommen hörigen Handlanger zu haben, der seine Drecksarbeit erledigt. Ein schreckliches Dreamteam. Daher denke ich auch, wenn es Su She nicht gegeben hätte, wäre Wei Wuxian dieses ganze Drama bestimmt erspart geblieben. Und andererseits: Wenn Jin Guangyao nicht so bitterlich in intrigante Machenschaften abgerutscht wäre, wäre das wohl auch nicht passiert. :(

Warum Madame Yu die Türen schließen wollte, bevor sie Wei Wuxian die Hand abschlägt: Das sind echt viele Möglichkeiten, über die du dir da Gedanken gemacht hast! Ich halte deine zweite und dritte Interpretation auch für eine plausible Möglichkeit (Verhindern, dass Hilfe kommt, oder Zeit schinden). Ansonsten hatte ich mir noch gedacht, dass sie vielleicht verhindern will, dass es Zeugen gibt. Wenn da Bedienstete um die Ecke stehen, die mit eigenen Augen sehen, wie die eigene Herrin dem obersten Schüler die Hand abschlägt, hätte das dazu führen können, dass viele dem Clan den Rücken kehren. Von den Anwesenden hätte es wahrscheinlich niemand weitergegeben. Damit hätten Außenstehende nichts weiter als Vermutungen gehabt. Oder sie wollte insgeheim verhindern, dass mögliche Wen-Spione bzw. die Nachhut von Wang Lingjiao zu Hilfe eilen können, wenn zwischen denen ein Kampf ausbricht.

"Heaven Official's Blessing" ist so super! :D Ich liebe die Charaktere. Und die Handlung steckt sooooo voller Humor (besonders ab dem dritten Band). Ich hoffe, die deutsche Übersetzung wird nicht mehr so lange auf sich warten lassen. Und hoffentlich wird sie schöner als die von "Grandmaster of Demonic Cultivation". *lach* Auf jeden Fall haben die Bücher am Ende ein Glossar mit Erklärungen zu den Personen, die vorkommen, den wichtigsten Begriffen der chinesischen Mythologie/Kultivierung und zur Aussprache der Namen. Das ist super hilfreich!
Bei meiner FF vermute ich aber auch, dass die für Leser, die das Original nicht kennen, ziemlich schwer zu lesen ist. Man braucht einfach diesen Hintergrund um Jiang Chengs Charakter und Wei Wuxians Vergangenheit als Yiling-Patriarch. Und im Epilog kam ja dann noch der ganze Batzen mit den drei Blutsbrüdern und dem Verrat von Jin Guangyao und seinem letztendlich doch nur so halb gerechtfertigtem Tod hinzu. Wahrscheinlich ist spätestens das 'ne Spur zu Hart für Serien-Neulinge. ^^°

Aber ich bin soooo froh, dass du den Epilog überzeugend findest! Sowohl was Jiang Chengs und Wei Wuxians letztendliche Aussprache angeht (dass Jiang Cheng damals seine Deckung aufgegeben hat, um Wei Wuxian vor den Wen zu schützen, lag mir selbst genauso schwer auf der Seele wie Jiang Cheng!) als auch Lan Xichen. Ich denke, Wei Wuxian ist in gewisser Weise so ein Fixpunkt für Lan Xichen geworden. Er ist der erste, demgegenüber er sich mit seinem Schmerz öffnen konnte. Und ich vermute, dass er sich auch Mühe gibt, sich Lan Wangji gegenüber mehr zu öffnen. Er spürt ja, wie sehr sein Bruder ihm helfen möchte und dass er all die Zeit immer mit Sorge und Geduld an seiner Seite gestanden hat.
Und dass die Unterrichtsstunde bei dir so rübergekommen ist! :D :D Auf die hab ich mich schon ewig gefreut, wie da diese alten Knacker mit ihren Truthahn-Köpfen auf den niedrigen Schulbänken vor Wei Wuxian sitzen müssen. XD Dieses Bild hatte ich zuerst im Kopf. Und dann hat sich Lan Xichen da irgendwie ganz natürlich eingefügt, wie er und Wei Wuxian am Ende dieses ehrliche Gespräch miteinander führen.

*haha* Ja, die Dissertation. Da muss ich jetzt mal ein bisschen ranklotzen. XD Hab letzte Woche aber an meinem zweiten Interviewtranskript weitergearbeitet und bin echt froh, dass ich da ein ganzes Stück vorangekommen bin. ^^

Also es war mir eine unglaubliche Freude, mich immer wieder so intensiv mit dir über diese FF und auch MDZS im Allgemeinen austauschen zu können. Tausend Dank dafür! <3
Antwort von:  Lady_Ocean
18.02.2023 09:36
Ah, einen ganz interessanten Gedanken zu Jiang Chengs Wut hattest du noch, auf den ich vergessen hatte einzugehen:
"Die Leute, die er vorher dran bekommen hat, in der Vermutung, dass sie er wären, hatten -so vermute ich- schlicht das Pech, dass in ihm die Erkenntnis kam, sich vertan zu haben. Dann ließ er die Wut auf seinen Fehler an ihnen aus."

Das denke ich auch! Wenn er vermutet hätte, dass er den echten Wei Wuxian erwischt hat, glaube ich ebenfalls nicht, dass er es übers Herz gebracht hätte, ihn im vollen Bewusstsein noch einmal zu töten. Ich glaube, es ist auch gar nicht gesichert, dass er die dunklen Kultivatoren, die er erwischt hat, tatsächlich umgebracht hat. Das waren doch nur Gerüchte, oder? Da könnte es ebenso sein, dass er die zwei, drei armen Hanseln, die er geschnappt hat, nach seiner Folter doch wieder laufen gelassen hat und die sich, panisch und verstört, wie sie danach waren, in der Kultivatorenwelt nie wieder haben blicken lassen. Dass bei diesen "Verhören" die Wut so mit ihm durchgegangen ist, führe ich auch darauf zurück, dass er wahrscheinlich extrem wütend auf sich selbst war. Und wahrscheinlich auch auf diese Kultivatoren, die so unbedacht mit dem Feuer spielten und Gefahr liefen, genau so ein Desaster heraufzubeschwören, wie Wei Wuxian es letztlich getan hatte. Obwohl das Massaker in der Nachtlosen Stadt bei allen noch so frisch in Erinnerung war. Ich seh ihn quasi vor meinem inneren Auge stumm in sich hineinschreiend "Wie kannst du hirnverbrannter Idiot versuchen, die ganze Scheiße zu wiederholen?!", während Zidian erbarmungslos niederpeitscht.
Dass er Wei Wuxian selbst nicht ermordet hätte, mache ich auch an der Szene im Guanyin-Tempel fest. Nicht nur, wie er die Nerven verloren hat und vor versammelter Mannschaft in Tränen ausgebrochen ist. Es war ja auch Jin Guangyaos Finte (er hatte einen Angriff auf Wei Wuxian angetäuscht), der Jiang Chengs hatte unaufmerksam werden lassen, so dass ihm der fatale Angriff gelang, der Jiang Cheng außer Gefecht gesetzt hat.

So, das noch als abschließende Gedanken. ^^
Von:  Duchess
2023-01-29T18:29:51+00:00 29.01.2023 19:29
wegen den Ortsnamen: deutlicher hättest du nicht werden können, dass ich da noch mal nachschlage XD
Ich hab mittlerweile so viele Versionen gelesen, dass ich mir da selbst nicht mehr sicher war wie was wo hieß.
Deine Idee mit "Goldschuppenplateau" find ich ehrlich gesagt sogar am schönsten. Geht auch leichter über die Zunge. Der Hinweis auf die Mythologie wäre an der Stelle ja immer noch gegeben, wenn nicht sogar noch deutlicher.
Danke auch die den Link ^^ klingt echt spannend.
Und klar, dass man hier Karpfen nun einmal mit einem regionalen Weihnachtsessen am ehesten in Verbindung bringt. Maximal weiß man hier ja noch, dass Kois wahnsinnig teure Fische für den Gartenteich sind. Den besten Ruf hat er hier zumindest nicht ^^°

Irgendwie bin ich gerade echt froh, dass du in Madam Yu auch einen komplexeren Charakter siehst. Ich hatte da schon manchmal das Gefühl, dass ich damit vielleicht einfach falsch liege und da zu kompliziert bei ihr gedacht habe XD
Die Heirat mit Jang Fengmian war zwar arrangiert, aber ich könnte mir auch gut denken, dass sie vielleicht wirklich etwas für ihn empfand was er zu dem Zeitpunkt wo Cangse Sanren auftauchte einfach nicht erwiedern konnte. So etwas trifft jeden und jeder handelt seiner Persönlichkeit entsprechend.
Und ich fands auch irgendwie schön und versöhnlich als er mit der Haarnadel für sie zurückkam und ich war wiederrum extrem traurig, dass sie davon am Ende wohl nichts mehr erfahren hat.
Die beiden hätten nicht unterschiedlicher sein können hatten aber beide Charakterzüge, die sie nicht zueinander kommen ließen.
Wei Wuxian war zum Zeitpunkt wo seine Hand verlangt wurde sogar bereit diese für den Clan zu geben. Sie hat gezögert ihm diese Strafe zuteil werden zu lassen, aber ich bin mir nicht sicher ob nicht auch sie für den Clan gehandelt hätte.
Erst als es dann plötzlich hieß, dass der Lotuspier nun unter Kontrolle der Wens gestellt werden sollte, hat sie gezeigt wie sie den Clan verteidigt. Oder hab ich das falsch gelesen? Zumindest bin ich der Meinung, dass nicht ihre Forderung nach seiner Hand der Grund für ihren Ausbruch war.
Ich finde die ganze Situation von dieser Familie so spannend, dass es einfach nur extrem schade war, als die Eltern plötzlich einfach aus der Gleichung gezogen wurden. Natürlich war das für den weiteren Fortgang der Geschichte essentiel, aber eben auch einfach schade.

McGuffin-Kniff kommt, sofern ich richtig infomiert bin, aus der Filmbranche.
Aber ja klar, wenn du die Materie als treibendes Mittel einsetzt macht es Sinn sich damit soweit richitg auseinander zu setzen als dass du dich nicht irgendwo in einem Konstrukt verstrickst, was dem Leser auffallen würde und wo bei ihm viele Fragezeichen im Kopf auftauchen.
Dann einfach entnervt die Leser darauf hinzuweisen, dass man es nicht so ernst nehmen sollte, weil der Hintergrund dessen nicht wichtig wäre, wäre echt beschissen gewesen ^^° (hab ich tatsächlich mal bei jemanden so gelesen, war echt nicht berauschend und hat danach keinen Spaß mehr gemacht weiter zu lesen)

Danke übrigens für die Shichen Aufklärung. Kann sein, dass ich darüber mal woanders schon gestolpert bin, aber wenn die Ff schon älter war, wei es bei mir meistens der fall ist, dann frag ich sowas auch schon nicht mehr, weil die Hoffnung auf eine Antwort dann ja leider auch nciht sonderlich groß ist ^^°
Eine Erklärung dazu hab ich eben noch nie irgendwo gehabt.
Wenn Kleidungsstücke oder sowas ohne weitere Erklärung im Text auftauchen und man kann es ganz simpel ergoogeln, dann ist das nicht ganz so schlimm, bzw irgendwie selbsterklärend was gemeint ist.
Ansonsten bin ich aber immer froh, wenn jemand so eine Art kleinen Glossar hat, wo man mal eben kurz nachgucken kann was gemeint ist. Hier auf der Seite wäre meine Idee den Glossar in die Charaktere mit einzuschieben. Oder wenn es wie im Fall von Shichen ist, wäre in diesem Kapitel Vortext Feld auch shcon ausreichend.

Irgendwie ist der simple Gedanke von Eifersucht auf Lan Wangji echt niedlich XD
Ich find den Gedanken auch eigentlich nicht schlecht, dass da vielleicht einfach nicht mehr dahinter stecken muss.
Madam Yu hat, so denke ich zumindest, es wohl mehr gepiekst, dass ihr Sohn nur an vierter Stelle in der Rangfolge der Kultivierer steht. Eben unter den beiden Lans und unterm Adoptivsohn.
Dass dies Jiang Cheng vielleicht nicht so sehr stechen würde wie seine Mutter, find ich gut. Damit kann er sich von ihr doch deutlich lösen. Somit wäre er näher bei seinen eigenen Gefühlen. Damit hat er ja eh solche Schwierigkeiten.
Aber es stimmt, immer wenn es um Lan Wangji ging, war Wei Wuxians Aufmerksamkeit plötzlich nicht mehr bei ihm XD

Oh je was ich mich jeztt schon auf den Epilog freue XD das klingt als würde es lustig werden.
Übrigens: es ist nicht soooo schlimm, wenn du es nicht packst bis zum kommenden Samstag fertig zu werden. Brich dir bitte nichts ab.
Gerade wenn du jetzt schon weißt, dass das Kapitel sehr lang werden soll.
(Machs bitte nur nicht wie ich und lass es ungewollt jahrelang liegen -_- das frustriert mich sogar selbst)

Dieses Video ist echt furchtbar. Gerade mit dieser automatisierten Stimme XDDD
Ich frage mich wie sich das als Klingelton fürs Handy machen würde...mhmmm....
Und immer wenn mich jemand anruft werd ich lachen müssen X'D

Oh je der arme Hund @.@
aber extrem coole Aufklärung der Situation! klar dass du da noch nichts zu sagen konntest und gut dass ich mehrere Theorien hatte ^^°
so kam der Moment der Erkenntnis bei den beiden Brüdern besser rüber ^^°
Aber ich find gut, dass du da bei den spirituellen Seelen noch mal etwas nachgelegt hast. Ich fands schon im Roman schade, als die Sprache auf Fairy kam und erklärt wurde, dass sie so eine Seele hat aber nicht was die Besonderheiten dahinter sind.
Die Wiedergeburtsszene war wirklich wunderschön beschrieben.
Sowohl das als auch Wei Wuxians Angst kamen super rüber und du hast es echt spannend gemacht. Wobei ich mich zwischendurch gefragt habe, ob es wirklich so unglaublich wichtig gewesen wäre welches Geschlecht der zu beseelende Körper gehabt hätte. Die Seele selbst dürfte ja eigentlich ohne dies sein. Und das was mir als zweites aufgefallen ist, eiiiiigentlich hat Jin Ling sogar Glück, dass ihre Seele nun in einem neuen jungen Körper geschickt wurde.
Wenn er sie schon einige Jahre hatte, dann müsste sie langsam auch in einem Alter gewesen sein, wo sie dem Ende entgegen geht. Sprich ihr Lebenscounter wurde noch mal zurückgesetzt. Soweit zumindest meine Überlegung ^^°
Und dass Jin Ling nun diese kleine Person ist, welche die zwei Erwachsenen wieder zusammen führt war so herzerwärmend. Wunderschön! Endlich ein schönes Ende für die Brüder <3 Wesentlich besser und befriedigender als das des Romans.
Und zu Wei Wuxians Angst: OMG bei mir ist es auch die Spinnenphobie. Und jahaaa es ist scheiß egal was einem da erzählt wird. So eine Phobie ist nun einmal völlig irrational und lässt Dinge mit einem Geschehen, die einen den eigenen Körper nicht mehr kontrollieren lassen.
Umso mehr kann ich nachvollziehen, dass man sein Handeln als besonders mutig bezeichnen kann. Seine eigenen Ängste zu überwinden mag nicht für jeden mutig sein, aber eben für diese eine Person.
Spitze!

Ich weiß der Epilog folgt noch, aber es würde mich wahnsinnig freuen wenn du noch mal eine Storyidee hast und sie umsetzt.
Das Thema dieser Ff hat mir wie anfangs schon mal erwähnt ja auch unter den Nägeln gebrannt und diese Aufarbeitung tut wahnsinnig gut ^^
Ich freue mich, dass es hier endlich mal zeitlich auch gepasst hat bei dir zu kommentieren
Antwort von:  Lady_Ocean
30.01.2023 13:57
Vielen lieben Dank, dass du dir schon wieder so viel Zeit zum Amtworten und Kommentieren nimmst! :D

Also ich wollte dich nicht drängen, die Ortsnamen nachzuschlagen, aber dass du es dennoch getan hast, damit hast du mir auf jeden Fall 'ne Riesenfreude bereitet. ^^
"regionales Weihnachtsessen" - ich hab so gelacht, als ich den Vergleich gelesen hab. Wie wahr! XD

Ich denke, wenn Madame Yu plötzlich so einen platten Charakter bekommen hätte, wäre das auch irgendwie aus dem Rahmen gefallen. Für all die anderen Charas hat sich die Autorin ja echt viel Mühe gegeben. Wenn am Ende irgendein unbedeutender Statist am Rande der Handlung runterfällt, wär das was anderes. Aber Madame Yu ist ja echt wichtig in ihrer Funktion. Wen ich vom Charadesign her auch mag, ist Su She. Der Abtrünnige vom Moling-Su-Clan. Voll der Noname-Typ. Kann nicht wirklich was, ist duckmäuserisch. Man vergisst ihn sofort. Aber beim zweiten Lesen ist mir aufgefallen, dass der in seiner Uninteressantheit total wichtig ist und an mehreren Stellen kleine Schlüsselrollen spielt (versenkt sein Schwert im Waterborne Abyss. Wird von Jin Zixun fürs Imwegrumstehen runtergemacht und von Jin Guangyao beschützt. Kein Wunder, dass er Jin Guangyao später so treu ergeben ist).
Und wenn irgendwann der nächste Band der Autorin auf Deutsch rauskommt, Heaven Official's Blessing - den solltest du unbedingt lesen! Gott, die Charaktere sind so wunderbar. *-* Samt und sonders.
Ich hab übrigens noch mal nachgelesen, wie genau das mit dem Übergriff der Wens war und in welchem Moment die Stimmung von Madame Yu so richtig gekippt ist. Im Englischen ist es Kap. "Poisons (2)". Und ich bin mir immer noch nicht ganz sicher. *lach* Es ist etwas zweideutig. In dem Moment, wo Wang Lingjiao nach der Hand fragt, ordert Madame Yu, die Türen zu schließen. Nach außen hin sieht es so aus, als würde sie der Aufforderung, Wei Wuxians Hand zu amputieren, nachkommen wollen (und hilfe, ja! Er hatte sich in diesem Moment seelisch und moralisch wirklich damit abgefunden, dass er seine Hand hier für den Clan opfern wird!). Aber Madame You wirkt in ihrer Art sehr bedeckt. Gut möglich, dass sie ganz nüchtern jetzt gleich Wei Wuxians Hand abschlägt. Aber ein wenig wirkt sie auf mich auch, als würde sie im Hinterkopf etwas planen und nur scheinbar kooperieren, um ihre Finte erfolgreich durchziehen zu können. Was genau Madame Yu geplant hat, hat sie leider mit ins Grab genommen. Geschickt gemacht von der Autorin. ^^

Stimmt, ein Glossar könnte ich echt noch einfügen! Ich hatte mir auch gerade heute gedacht: Warte, was, wenn Leser, die die chinesische Kultur mit dem Namens-Wirrwar nicht kennen, sich hierher verlaufen? Die haben doch dann null Ahnung, wenn hier von "Wei Wuxian", da dann plötzlich von "Wei Ying" die Rede ist oder wenn es im 13. Kapitel zu Jin Ling plötzlich heißt, Wei Wuxian habe ihm seinen offiziellen Namen "Rulan" gegeben. Daher habe ich eine Erklärung zu den Namen sowie die Alternativnamen (soweit sie hier vorkommen) auch grad ergänzt.

Jiang Cheng hat auch einen ziemlich ungesunden Drang, sich mit anderen zu vergleichen. Als Wei Wuxian sich ganz am Anfang als Mo Xuanyu ausgegeben hat und im Wald vom Berg Dafan versucht hat, ihn wieder loszuwerden, hat er Jiang Cheng ganz bewusst bei dieser Schwäche gepackt ("Ich mag zwar Männer, aber doch nicht jeden! Clanführer Jiang ist nicht mein Typ. Ich mag mehr Leute wie Hanguang-Jun." oder so was in der Art hat er vom Stapel gelassen und Jiang Cheng natürlich zur Weißglut gebracht. Einfach dadurch, dass er in 'nem Vergleich unterlegen war. Und wenns nur um die Vorlieben eines Homosexuellen geht XD).
Ich habe aber das Gefühl, dass dieser starke Drang, sich behaupten zu müssen, inzwischen nachgelassen hat. Gegen Ende des Romans kam Jiang Cheng mir da auch nicht mehr so verbohrt rüber. Das Vermissen hat defnitiv die Oberhand gewonnen. Deshalb hatte Jin Guangyao ihn ja auch so gefährlich verletzen können. Er hatte ja erst in seinen Gewissensbissen bezüglich Wei Wuxian gebohrt und dann eine Finte gegen diesen angedeutet und dann im Moment von Jiang Chengs Unachtsamkeit zugeschlagen. Dort im Tempel wollte Jiang Cheng eigentlich einfach nur seinen Neffen und seinen Bruder wiederhaben, denke ich. Und damit hat er sich wirklich endlich ein Stück weit vom Geist seiner Mutter befreit.

Dass auch Wei Wuxians Angst bei der Geburt der Welpen und dem Seelentransfer für dich überzeugend rübergekommen ist, beruhigt mich sehr. Ich hatte hier ein wenig Angst, dass manche das vielleicht für übertrieben halten. Aber ich denke, Ängste sind halt oft einfach übertrieben. Das ist das Schwierige im Leben mit ihnen, was? Mit den Spinnen kann ich dich auch total verstehen! *uuuuuuuuuuuuuh*
Und genau, Fairys Lebenscounter wurde jetzt wieder zurückgesetzt. ^^ Wäre er sowieso, wenn sie irgendwann im hohen Alter gestorben wäre. Also laut meiner Definition spritueller Seelen, wo die sich ja dadurch auszeichnen, dass sie mehrmals einen neuen Körper beziehen können, ohne zwischendurch den Kreislauf der Wiedergeburt zu durchlaufen und ihre Erinnerungen und ihren Charakter zu verlieren. Dadurch fühlt sich Fairys Seele aber wahrscheinlich eher als Hündin. Geschlecht ist ja auch mit Identität verbunden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie, bevor sie Jin Lings Fairy wurde, ebenfalls schon eine Hündin gewesen war. Dass diese Seele eine Präferenz fürs weibliche Geschlecht hat und männliche Körper gar nicht beziehen möchte. Sie kann es sich ja eigentlich aussuchen.

Boah, der Epilog! Da hab ich die letzten zwei Tage schon 2700 Wörter geschrieben, zwei wichtige Szenen fertig, um heute nach dem Schreiben festzustellen, dass ich 'nen gewaltigen Logikfehler drin hab: Wei Wuxian offenbart Jiang Cheng direkt nach den Geschehnissen mit Fairy, dass Gusu Lan einen Kurs in dunkler Kultivierung plant. Dabei wollte ich die Entscheidung, die dazu führt, eigentlich mit Wei Wuxians Erkenntnissen zu der dunklen Materie (die er natürlich erst deutlich NACH dem Gespräch mit Jiang Cheng treffen konnte!) in Verbindung bringen. XD Aber ich krieg das schon hin. :) Und garantiert auch in absehbarer Zeit, keine Sorge! *lach*
Und nach dem Hauptarc kommen auch noch zwei, drei Bonus-Kapitel, bevor diese Geschichte so richtig, richtig abgeschlossen ist. Wenn ich es schaffe, würde ich danach auch gern noch einen Oneshot zu einer Alternativ-Szene aus dem Roman schreiben. Aber zumindest den kann ich leider nicht versprechen. Gott, ich muss an meiner Dissertation arbeiten. Die sitzt mir im Nacken. T_T
Von:  _Scatach_
2023-01-25T21:53:01+00:00 25.01.2023 22:53
Oje, da hat es Langya ja wirklich richtig übel erwischt. Wirklich furchtbar und ich kann gut nachvollziehen, dass es dem Statthalter so unangenehm ist, auch wenn natürlich niemand was dafür kann, dass dieses Wildschwein die Stadt verwüstet hat...also zumindest niemand, von dem wir bisher wissen ^^
Man merkt aber auch richtig, wie dankbar man in der Stadt für jede Hilfe ist.
Ich frage mich ja irgendwie auch, ob es sich hier um ein gewöhnliches Wildschwein handeln kann...ich meine, es ist unfassbar groß und hat scheinbar Kräfte, die ein Wildschwein nicht besitzen durfte...ist es vielleicht ein durch negative Kraft 'manipuliertes' Tier, oder eine Ausgeburt rachsüchtiger Energie, wie dieses 'Waterborn Abyss' und wurde quasi dort 'deponiert'? (sorry, mir fällt der deutsche Name grad nicht ein ^^') Hm, Fragen über Fragen ^^

Auch hier gefällt mir wieder, wie in Character alle sind. Es sieht Lan Jingyi so ähnlich, direkt erstmal Widerworte zu geben und es ist auch genauso passend, dass er direkt von Lan Shizui gebremst wird. :) Schön finde ich auch, wie schützend sich Wei Wuxian hier benimmt, dass er die beiden Jungspunde direkt aus der Schusslinie nimmt.

Naaaw, und wie sich Wei Wuxian schon freut, endlich mal wieder ganz allein mit seinem Liebsten auf die Jagd zu gehen, das hätte ich ja zu gerne gesehen *-* War tatsächlich ein bisschen schade, als das Notsignal aufgetaucht ist und die beiden 'auseinander reißt' ^^ ABER ich bin auch schon ganz hibbel zu erfahren, was jetzt passieren wird, denn ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es noch jemand anderen gibt, der auf dieses Notsignal reagieren wird ;)
Ah und Lan Zhan, wortkarg wie eh und je, herrlich :D Schön, dass Wei Ying inzwischen so weit ist, dass er seine (eigentlich nicht vorhandene) Mimik zu deuten weiß und nicht nur noch Fragezeichen über dem Kopf schweben hat ^^

Hat mir wieder super gut gefallen das Kapitel und ich bin schon sehr gespannt, ob im nächsten Kapitel die beiden Brüder aufeinander treffen werden ;)
Ganz liebe Grüße,
Scatach
Antwort von:  Lady_Ocean
28.01.2023 08:25
Und jetzt hier noch kurz. ^^
Deine Gedanken zu dem Wildschwein sind interessant. Du verbindest das gerade mit Sizhuis Forschungsbericht vom vorherigen Kapitel, was? Na ja, es ist wohl kein großer Spoiler, wenn ich dazu jetzt sage, dass deine Vermutung da naheliegt. Sonst würde es sich ja gar nicht lohnen, solche Hints zu streuen *lach*.
Wie das Wildschwein da hin kam, klärt sich in der Hauptgeschichte nicht endgültig auf, aber einige Gedanken hat Wei Wuxian später noch dazu. Die werden dir wahrscheinlich helfen, sich das Wichtigste im Groben zusammenzureimen.
Der "Waterborn Abyss" hat mir von der Übersetzung her auch Kopfzerbrechen bereitet! Inklusive viel Hin- und Herwälzen der chinesischen Schriftzeichen. Da würde mich echt interessieren, was die deutsche Übersetzerin wohl draus gemacht hat. Ich glaube, wenn man da wirklich was cool und bedrohlich Klingendes draus machen will, kommt man hier eigentlich nicht umhin, recht frei zu übersetzen.

> Ah und Lan Zhan, wortkarg wie eh und je, herrlich :D
*hihi* Danke. ^^ Ich finds in vielen FFs übertrieben, wenn Lan Zhan nur unvollständige Sätze produziert und im direkten Gespräch mit Wei Wuxian immer dessen Namen benutzt, nie das "du". Im Deutschen klingt mir das zu unnatürlich. Und unvollständige Sätze passen mMn nicht zu Lan Wangji. Er wird zwar als wortkarg beschrieben, aber auch so, dass er äußerst effizient in seinen Äußerungen ist. Also nie ein unnützes Wort, immer genau auf den Punkt. Und wenn er mit Halbsätzen daherkommen würde, würde er auf seine Umgebung garantiert nicht diesen Eindruck der Überkorrektheit machen, sondern eher als schräg, evtl. jemand mit einer Sprachstörung. Deshalb habe ich bei ihm an mich den Anspruch, dass er korrekt spricht, wenn er was sagt, aber eben nicht "schwafelt". Was gar nicht so einfach ist, weil ich selbst so 'ne Wei Wuxian-artige Labertasche bin. XD
Von:  _Scatach_
2023-01-25T15:37:51+00:00 25.01.2023 16:37
Ah, ich hab einfach so einen Narren an Lan Shizui gefressen, dass muss ich ja ehrlich zugeben ^^ Ich liebe es einfach, wie man sofort merkt, dass er der Ziehsohn von Lang Wangji sein MUSS xD Auch wenn es natürlich nur seine 'Adoptiveltern' sind, ich finde, er hat sowohl von Lan Wangji als auch von Wei Wuxian einige Charakterzüge übernommen. Die von Letzerem merkt man so ein bisschen am Anfang des Kapitels finde ich, als er so peinlich berührt ist. Hat mich sehr zum Schmunzeln gebracht ^^

Das mit dem geschändeten Massengrab und die unerklärlichen Tode der Tiere und des Kultivators (Im ersten Moment musste ich auch tatsächlich irgendwie an Vampire denken :D ) find ich sehr spannend, bin schon neugierig, ob das vielleicht noch irgendwie eine größere Rolle spielen wird. Vielleicht ein Problem, das die beiden Brüder zusammen lösen müssen? ;) Oder sie zumindest wieder zueinander bringt? Immerhin ist ja Jin Ling betroffen und auch wenn sonst niemand aus der Kultivatorenwelt diesem in Ungnade gefallenen Clan helfen würde, Jiang Cheng und Wei Wuxian würden beide ihrem Neffen immer zur Hilfe eilen. Es scheint ja auch wirklich ein ziemliches Problem zu geben, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Und Wei Wuxian macht sich ja auch direkt auf den Weg ;)

Auf jeden Fall nimmt Lan Shizui seine Aufgaben durchaus sehr ernst, was natürlich sehr charaktertreu ist. Generell stellst du die Protagonisten sehr gut da, finde ich, bisher wirkt nichts irgendwie OOC.
Ich mag auch einfach dieses Gespräch zwischen den beiden, man kann sich richtig vorstellen, wie die beiden da sitzen und über ein Thema diskutieren, das Lan Shizui wirklich sehr beschäftigt. Ich finde es auch toll, wie Wei Wuxian hier nur so als 'unterstützender' Gesprächspartner agiert. Er gibt Shizui immer den Raum, seine eigenen Gedanken zu äußern, neue Ideen und Vermutungen zu sammeln. Ein toller Ansatz, der mir als Lehrerin natürlich irgendwie auffallen muss und ich hab auch so eine Ahnung, woher das bei dir kommt xD

"Ich möchte ihn ungern in der Nähe wissen, falls sich dort doch das Groll fressende Monster herumtreibt" - ich musste so lachen bei diesem letzten Satz xD Love it!! <3

Hilf mir aber nochmal kurz auf die Sprünge, denn ich weiß nicht, ob ich vielleicht was verpasst oder falsch verstanden habe...Moling Su Clan...war das der, der von diesem 'abtrünnigen' Lan Mitglied gegründet wurde, oder ist das eine Neuerschaffung von dir für diese Geschichte?

War auf jeden Fall wieder ein sehr schönes Kapitel und ich freu mich schon sehr darauf, wie es weitergehen wird ;)
Ganz liebe Grüße,
Scatach


Antwort von:  Lady_Ocean
27.01.2023 14:28
Auch hier vielen lieben Dank für deinen Kommentar! :D

Das mit den Vampiren ist ein interessanter Gedanke! :D Ja, hier werden jetzt erst mal nur ein paar vage Informations-Bruchstücke in den Raum geworfen. Mit denen kann man noch nicht viel anfangen. Aber wenn sie zum Grübeln anregen, hab ich mein Ziel erreicht! :)
Zu deinen Theorien mit den zwei Brüdern sag ich aber est mal noch nichts. Das kommt ja bald. ^^

Ich freue mich auch riesig, dass ich die Charas für dich überzeugend dargestellt habe. Ich habe den Roman geschätzte 2 1/2 mal gelesen und den Donghua auch zweimal geschaut. Ich denke, da ist im Laufe der Zeit 'ne ganze Menge hängen geblieben. Bei Jiang Cheng fiel mir das besonders auf. Beim zweiten Lesen des Romans hatte ich von Anfang an einen ziemlich anderen Blick auf ihn.

Und zu deiner Frage mit dem Loing-Su-Clan: Genau, das ist der, der von diesem abtrünnigen Mitglied, Su She, gegründet wurde! Su She zieht sich (was ich auch erst beim zweiten Lesen mitbekommen habe) eigentlich auch durch die ganze Geschichte: Er ist der Einfaltspinsel, der im Kampf gegen das Waterborne Abbyss sein Schwert in den See schickt und es nicht zurück bekommt, weil seine Kultivierung längst nicht so stark ist wie die von Lan Wangji (und dann musste er von Wei Wuxian gerettet werden, welcher dann selbst im Wasser gelandet ist). Und er war später am Carp Tower auch in eine Auseinandersetzung mit Jin Zixun (dem eingebildeten, gewalttätigen Cousin von Zixuan) verwickelt. Also Jin Zixun war einfach in ihn reingelaufen und hat ihn gedisst und Jin Guangyao hat ihn verteidigt. Er ist so ein richtiger No-Face-Charakter, ein totaler nichtskönnender Mitläufer, den man sofort wieder vergessen hat, sobald seine Szene vorbei ist. Aber gerade WEIL er so ist, passt es so krass gut, dass er am Ende der Handlanger von Jin Guangyao war, der im Schatten die Drecksarbeit für ihn erledigt hat. Das fand ich storytechnisch ganz große Klasse. :D
Antwort von:  Lady_Ocean
28.01.2023 08:28
Ah, zu deinem Lehrer-Gedanken wollte ich doch noch was sagen! *haha* Da hast du voll ins Schwarze getroffen. Ich denke auch, da spielt meine eigene Berufsbiografie und meine persönliche Schwerpunktsetzung ganz stark mit rein. Als Wei Wuxian mit den Jungspunden in dieser Geisterstadt war und sie dazu gebracht hat, ihre Angst zu überwinden und den Geist da draußen zu beobachten und zu beschreiben, war ich sehr beeindruckt von senem Lehrstil. Er ist wirklich ein geborener Lehrer. Dementsprechend hatte ich an dieser Szene wirklich meinen Spaß. Hier konnte ich diese Ideale vom Critical Thinking und Lernendenzentrierung schön einfließen lassen UND es war auch noch In-Chara für Wei Wuxian! :D
Von:  _Scatach_
2023-01-22T21:36:49+00:00 22.01.2023 22:36
Ah und da erübrigt sich meine Frage, ob wir auch Jiang Chengs Sicht lesen werden :D Sehr spannend, dass es nach Wei Yings Blickwinkel direkt zu ihm wechselt. Gefällt mir aber gut, da man dadurch einen direkten Vergleich zwischen den beiden Charakteren ziehen kann.
Interessant, dass der erste Gedanke, den man als Leser von Jiang Cheng zu lesen bekommt 'Was für ein mieser Anführer ich bin' ist - auch wenn es nur ein Traum ist. Ein harter Kontrast zu seinem äußerlich extrem selbstsicheren, arroganten Auftretens, wie ich finde. Offenbar ist er sehr von Selbstzweifeln zerfressen und macht sich selbst kleiner, als er eigentlich ist, obwohl er das gegenüber anderen vermutlich niemals zugeben würde. Schwäche zeigen ist ja ein absolutes No Go für ihn, was aber angesichts seiner Geschichte und seiner Erziehung wenig verwunderlich ist. Spannend, wie sich das bis in sein tiefstes Unterbewusstsein zu ziehen schein. Auf der anderen Seite finde ich diese - wenn auch sehr negativ konnotierte - Selbstreflexion sehr bewundernswert. Sich Fehler eingestehen zu können ist wichtig und zeugt durchaus von Reife. Und dann natürlich der Schrei nach Wei Wuxian am Ende des Traums, als der ja scheinbar stirbt. Also scheint er ja trotz allem um seinen Bruder besorgt zu sein, ja, vielleicht sogar Angst zu haben. Hoffentlich ein Zeichen dafür, dass Jiang Cheng in der Lage ist, diese Reife und diese Sorge auch außerhalb seiner Träume auch in Bezug auf den Konflikt mit Wei Ying zu zeigen.
Ich denke aber schon auch, dass diese Träume sehr an ihm zehren, immerhin redet er sich ja ununterbrochen ein, er würde Wei Wuxian hassen und nicht Angst um ihn haben.
Dieser innere Konflikt scheint ihm sowohl mental, als auch emotional und sogar körperlich extrem viel abzuverlangen. Immerhin ist es auch nicht einfach, mit der Tatsache umzugehen, dass die Geschehnisse, wie man sie sich Jahre lang ausgemalt hat und die man für unumstößliche Tatsachen gehalten hat, dann doch gar nicht so abgelaufen sind. Ich glaube nicht, dass er das einfach so akzeptieren kann, geschweige denn will.
Finde es auch spannend, dass Jiang Cheng alles Überbleibsel von Wei Wuxians Anwesenheit vernichtet hat, scheinbar sogar auf sehr emotionale Weise, wenn man 'zu Kleinholz verarbeiten' wortwörtlich nimmt - und auf der anderen Seite davon bringt er es nicht über sich, das Zimmer seines Bruders umzubauen, ihm einen neuen Zweck zu geben. Der Zwiespalt zwischen Ablehnung/Hass und dem Wunsch nach Nähe/einem brüderlichen Band ist fast schon körperlich greifbar. Man merkt richtig, wie sehr ihn diese Sache beschäftigt und das nicht erst seit gestern, das bringst du wirklich super rüber!
Ja, dass er Wei Wuxians goldenen Kern hat, ist auch schwer für ihn zu schlucken glaub ich. Ich denke, tief in seinem Innersten bedeutet ihm das VERDAMMT viel. Weswegen es ihn glaube ich auch so tief verletzt hat, dass Wei Wuxian das so legere abgetan hat. Dieses 'Passt schon, lass uns nicht drüber reden. Ist doch nicht der Rede wert.' Für ihn ist es eben schon der Rede wert. Für ihn ist es verdammt wichtig glaube ich. Auch wenn Wei Wuxian seine Worte sicher nur gut gemeint hat, ich kann verstehen, dass Jiang Cheng von ihnen hart getroffen ist. So zu tun, als wäre es nicht von Belang, wo es doch eine wirklich lebenswichtige, tiefgreifende Sache ist.
Immerhin hätte Wei Wuxians Leben eine ganz andere Richtung eingeschlagen, wenn er seinen goldenen Kern behalten hätte. Ich denke, das wird Jiang Cheng so langsam immer klarer...das Wei Wuxian sich nur deswegen den dämonischen Künsten zuwenden musste...und da beginnt eben der Rattenschwanz. Ich weiß nicht, ob sich Jiang Cheng wirklich schuldig fühlt, aber ich denke, dass er Wei Wuxian zumindest nicht mehr so sehr verdammt, wie anfangs.
Ich finde es auch so schön, wie er am Ende nach dem Schwert greift und sich an die Worte seines Bruders erinnert. Ein kleiner Sieg der brüderlichen Liebe über den Hass. Hach, ich freu mich schon so darauf, wie es weitergehen wird :)
Vielen Dank für dieses tolle Kapitel! <3
Antwort von:  Lady_Ocean
24.01.2023 07:10
Auch hier Danke für deine interessanten Gedanken! ^^

"Ein harter Kontrast zu seinem äußerlich extrem selbstsicheren, arroganten Auftreten"
Ich glaube, gerade _weil_ er innerlich so extrem unsicher ist, trägt er diese enorme Härte und diese Selbstsicherheit nach außen. Weil er in dieser Hinsicht extrem verwundbar ist und diese große Schwäche tunlichst verbergen will. Ist zwar ein etwas anderer Bereich, aber die fröhlichsten, positivsten Menschen sind nach innen hin oftmals auch die, die am meisten leiden und zweifeln, was?

Diesen Traum mag ich persönlich übrigens ziemlich gern. Denn man erfährt in der original Geschichte ja nur Bruchteile davon, was tatsächlich passiert ist. Und diese Theorie, dass Wei Wuxian sich im entscheidenden Moment geopfert hat, um Jiang Chengs Leben zu retten, passt in diese paar Hints super rein ("Sein liebster Shidi hat ihn getötet!", "Er ist von seinen eigenen Zombies gerichtet worden!", "Nicht mal ein Haar ist von ihm übrig geblieben!")

Insgesamt ist Jiang Cheng hier (so vermute ich jedenfalls) noch ziemlich stark in der Phase des Verdrängens. Ich vermute, so wie du, dass es ihm einfach zu viel abverlangen würde, sich jetzt einzugestehen, dass all der Hass, all die Schuldzuweisungen und auch Wei Wuxians Tod vor 13 Jahren vollkommen unbegründet waren. Na ja, das mit dem Tod ist unweigerlich schon ein ganzes Stück weit zu ihm durchgesickert, aber verarbeitet hat er das auch noch nicht. Im Moment würde er daran zerbrechen, glaub ich. Er ist halt auch total allein am Lotus-Pier, Sektenführer, ohne Familie - bis auf einen Neffen, der es oben in Langlin noch viel schwerer hat und für den er genauso eine Stütze sein muss wie für seinen Clan. Jiang Cheng kann es sich überhaupt nicht leisten, jetzt einzuknicken. :(
Antwort von:  _Scatach_
25.01.2023 16:15
Stimmt, das macht natürlich Sinn, dass er nach außen hin 'den Harten markiert', um über seine Unsicherheit und irgendwie auch seine tiefe Emotionalität hinweg zu täuschen, denn irgendwie ist er ja schon sehr sensibel.

Da hatte ich noch gar nicht so drüber nachgedacht, aber ja, man weiß ja wirklich eigentlich gar nicht, was genau letztendlich passiert ist. Da ist der Traum wirklich eine tolle Möglichkeit, ein tieferes und anderes Licht auf dieses ganze Ereignis zu werfen. Würde auch definitiv zu Wei Wuxian passen, dass er sich opfert, um seinen Bruder zu schützen.

Er ist wirklich sehr einsam ja...und ich denke, wenn er jetzt auch einfach so zulassen würde, dass diese Emotionen, dieser umaufgearbeitete Konflikt zu sehr sein Leben bestimmen, dass das verheerende Folgen für die Sekte haben könnte, denn wer kümmert sich denn um alles, wenn Jiang Cheng zusammenbricht? Er trägt schon wirklich eine enorme Last und Verantwortung, die einem so auf den ersten Blick überhaupt nicht bewusst sind.
Von:  _Scatach_
2023-01-22T21:13:36+00:00 22.01.2023 22:13
Hey meine liebe Nancy :)

Ich habe mich ja schon wahnsinnig gefreut, als du angekündigt hast, dass du eine MDZS FF schreibst. Als ich dann das Thema gelesen habe, war ich noch begeisterter, da ich immer fand, dass es ein wichtiges, umangeschnittenes Thema der Geschichte ist. Ein Problem, das gelöst werden will und gelöst werden muss, weil es irgendwie immer da ist.

Aber jetzt mal zu deinem Prolog.
Sehr passend, dass die Geschichte aus Wei Yings Sicht beginnt (Bin gespannt, ob Jiang Cheng Sicht auch noch kommen wird).
Und ich hatte sofort wieder die Bilder im Kopf, als Wei Ying mit Lan Wangji in diesem Tempel Abschied von seinen Zieheltern nimmt und Jiang Cheng kommt und diesen Moment der Trauer und des Abschieds für Wei Ying noch qualvoller macht mit seinen scharfen, verletzenden Worten.
Ich finde, man merkt hier richtig, dass Wei Ying das immer noch extrem beschäftigt, dass er immer noch so sehr daran zu knabbern hat, dass das immer noch eine Wunde in seinem Herzen ist, die blutet und sich nicht schließen will, da Wei Ying einfach keinen Abschluss für diese Entfremdung zu seinem Bruder gefunden hat...und vielleicht will er diesen Abschluss ja auch gar nicht finden. Wei Ying ist ja durchaus eine Persönlichkeit, die großen Wert auf zwischenmenschliche Bande legt, sie hoch schätzt, sie aufrecht erhalten, schützen und ja, zur Not auch reparieren will, egal wie schmerzhaft es ist. Zumindest habe ich es immer so gesehen.
Auch bei dir wird das finde ich wieder deutlich, besonders als er an die verstorbenen Wen denkt, die ihm in diesem kleinen Dorf der Ausgestoßenen doch so viel Normalität wie möglich geben konnten. Der Schmerz dieses Verlustest wiegt auch immer noch schwer auf Wei Ying und man merkt, wie er mit dem Schicksal dieser Leute hadert, wie er sich vielleicht auch immer noch Vorwürfe macht, sie nicht besser geschützt zu haben?
Umso tröstender ist hier dann diese unaufdringliche und dennoch so auffangende Präsenz von Lan Wangji. Nicht nur für Wei Ying, sondern auch für den Lesern. Gleich mit dem ersten Satz machst du sowohl Protagonist als auch Leser deutlich: "Du bist nicht allein, da ist jemand, der dich auffängt, wenn du nicht mehr kannst, der dich stützt." Denn ich finde, du verleihst Wei Yings Schwermut sehr eindrucksvoll Gestalt, man fühlt direkt mit ihm, trauert und hadert mit ihm.
Da ist der Moment, in dem Lan Wangji so subtil und dennoch auf seine charakteristische Art vielsagend eingreift. Ohne große Worte, ohne große Taten, nur das nötigste, aber eben zielsicher genau das, was sein Geliebter grade braucht, eine Brust, an die er sich lehnen kann, ein Felsen, an den er sich klammern kann, um nicht von den immer höher steigenden Wellen seiner Gedanken nach unten gezerrt zu werden.
Es spielt auch eigentlich keine Rolle, ob Lan Wangji jetzt von sich, von Wei Ying, oder von den Wen gesprochen hat, denn irgendwie hängt alles miteinander zusammen, somit sehe ich den Gedanken als gerechtfertigt, dass damit 'Vielleicht alles irgendwie' gemeint ist.
Lan Wangji ist sicher auch bewusst, dass diese Schuldgefühle und die Last auf Wei Yings Herzen trotz all seines Beistandes nicht einfach verschwinden werden. Man merkt, dass Wei Ying zum Ende des Prologs anfängt, sich ernsthafter mit dem Konflikt mit seinem Bruder auseinander zu setzen. Auch mal an dem so vorherrschenden Kummer vorbei zu schauen und auch den Blickwinkel von Jiang Cheng einzunehmen. Der erste Schritt, dieses - ja, ich finde, man kann es durchaus Trauma nennen, aufzuarbeiten.
Ich bin schon sehr gespannt, wie Wei Ying das bewerkstelligen möchte, wie Jiang Cheng darauf reagieren wird und welche Rolle Lan Wangji in dieser Geschichte einnehmen wird. Nur unterstützender Beistehen, oder aktiver Teilnehmer?
Ich freu mich auf jeden Fall schon sehr wie es weiter geht. Geschrieben war es wunderbar, du hast mich direkt abgeholt und du schaffst es, ohne schwülstige Ausschmückungen, tiefe Emotionen im Leser auszulösen.
Vielen vielen Dank schonmal für diesen sehr gelungenen Einstieg! <3
Antwort von:  Lady_Ocean
24.01.2023 07:00
Oh, das ist ja eine schöne Überraschung! Danke, dass du auch mal reingelesen hast! :D Und vielen Dank für die zwei total tiefgründigen Kommentare! Es ist so spannend, deine Perspektive auf das Bruder-Verhältnis und deren jeweilige innere Verstrickungen zu lesen und du sprichst mir damit aus der Seele.
Jaaaa, Jiang Cheng und Wei Wuxian. Diese zwei. T_T Ich glaub, wenn die nicht irgendwann mal in einer unausweichlichen Situation gemeinsam feststecken, kriegen die es nie hin, ihre dummen, auf Missverständnissen beruhenden Diskrepanzen zu überwinden. ^^°
Und stimmt, im Grunde kann man wohl wirklich sagen, dass er erst mit diesem (mehr oder weniger erzwungenen, weil Totenfest) Besuch der Grabhügel anfängt, sich ein Stück weit auf sein inneres Dilemma einzulassen. Drüben, in der Wolkenschlucht, so weit ab von seiner Vergangenheit und mit neuen Aufgaben, hat er genug Ablenkung, um das nicht so an sich ranzulassen. Hier ist das weit schwieriger. Und ich denke, er merkt jetzt auch zum ersten Mal, dass es einem manchmal eben nicht hilft, gesagt zu bekommen, dass alles okay ist und man sich keine Vorwürfe machen soll, wenn der Schmerz so tief reicht. Als Wei Wuxian im Guangyin-Tempel zu Jiang Cheng gemeint hat, er würde sich wünschen, dass Jiang Cheng es hinter sich lassen kann und dass es für ihn selbst inzwischen auch einfach Teil der Vergangenheit ist, tat mir Jiang Cheng ziemlich leid.
Antwort von:  _Scatach_
25.01.2023 16:11
Sehe ich ganz genauso wie du! Klar, Wei Ying hat es nur gut gemeint und wollte Jiang Cheng vielleicht auch die Last abnehmen, aber ich kann Jiang Cheng auch sehr gut nachvollziehen und er tut mir auch leid. Es ist auch einfach schmerzhaft, wenn etwas, das für einen von entscheidender Bedeutung ist, von jemand anderem einfach klein gemacht und als nichtig erklärt wird - wenn man es mal überspitzt ausdrücken will ^^ Und irgendwie hat Wei Ying ja nichts anderes getan, finde ich.
Von:  Duchess
2023-01-21T15:47:19+00:00 21.01.2023 16:47
So, da du mich ja jetzt zum zweiten Mal mit dem Zaunpfahl verprügelt hast, hab ich nun endlich nachgelesen: Goldene Schuppen Plateau und Wolkennische. Der Lotuspier bleibt der Lotuspier. Mit der Nische kann ich mich ja noch anfreunden, wobei Schlucht bei den Bildern irgendwie logischer ist. Karpfen klingt allgemein irgendwie schräg in egal welchem Namen XD Die Schuppen mögen etwas abgewandelt sein, aber naja. Plateau statt Terrasse finde ich aber eigentlich gar nicht so schlecht.
Ich bin auch überaus erleichtert, dass die automatische Übersetzung so gut funktioniert und dass es dazu bereits eine englische Version im Internet gab. Ich glaube von der Original Sprache ins Deutsche hätt ich vergessen können XD
Letztlich kann ich dich aber verstehen, wenn du flüssig englisch lesen kannst, dann kann ich mir gut vorstellen, dass es so etwas besser klingt. Deutsch ist nun einmal eine etwas komplexere Sprache. Eine einfache Übersetzung klingt entsprechend meist auch genauso einfach.
Was ich persönlich insofern bevorzuge, als dass ich hier näher am Originaltext lesen kann, als dass wichtige Punkte durch "Verschönerungen" in der Sprache verloren gehen oder anders interpretiert werden.
Das ist auch der Grund warum ich grundsätzliche lieber Fanübersetzungen lese.
zB was denkst du über Madam Yu und ihr Verhältnis zu Wei Wuxian?
Ich bin jetzt durch so viele Übersetzungsmöglichkeiten gestolpert, sehe die RL Verfilmung, sehe den Donghua und bin hin und her gerissen, wie sie zu ihm steht.
Ich mein sie selbst ja auch irgendwie, aber in der einen Version kommt sie einem komplett verhasst vor, in der anderen kommt es einem so vor als wäre der Hass nur im Schmerz der Verschmähung begründet, aber irgendwo im Hintergrund hasst sie ihn dann eben doch nicht bis aufs Blut.
Letzteres empfinde ich als viel differenzierter und für mich klingt es auch logischer, da ich mich einfach schwer damit tue einem solchen Charakter eine so arge Oberflächlichkeit zuzuschreiben.
Aber je nach version klingt sie tatsächlich so oberflächlich und wenig differenziert.

Yanli ist eine so fürchterlich liebe Person. Natürlich verehren die beiden sie. Sonst hätten sie ja auch nicht so extrem empfindlich reagiert immer wenn über sie schlecht geredet wurde.
Sie ist für sich allein genommen keine Persönlichkeit, die sich weit in den Vordergrund drängt, aber sie weiß ganz genau was sie wann und wie sagen muss um einen enormen Effekt zu erzielen.

Mit diesem kleinen Satz mehr kommt das Thema Qi-Entartung sehr deutlich rüber. Aber ja du hast Recht. Ohne diese Furcht hätte Wei Wuxian vermutlich wieder auf stur geschalten. So einen kleines Klick brauchte es einfach um die beiden Parteien wieder zum Reden zu bringen.

Um diese Materie scheinst du dir ja sogar richtig viele Gedanken gemacht zu haben.
Das ist halt dieser ganz typische McGuffin Kniff. Ein geheimnisvoller Auslöser, der durch die ganze Story führt und dessen Geheimnis am Ende völlig egal ist, weil die Story in sich funktioniert.
Und am Ende wird man im Dunklen stehen gelassen q.q das ist für mich am Ende immer dieser Moment wo ich "ARGH" ausrufe, weil alles in mir dieses Geheimnis lüften will. Aber zeitgleich denk sich mein Kopf dann auch "das Geheimnis dahinter ist völlig egal, mit absoluter Sicherheit weiß der Autor nicht mal selbst was das ist, weil von Anfang an klar war, dass es nicht gelöst werden soll"
Auf der anderen Seite würde ich direkt nach dieser Story dann auch gleich die nächste lesen, in der Hoffnung, dass das verdammte Geheimnis dann gelöst wird.

So nun aber zu Teil zwei meines Textes XD
Hast ja schließlich fleißig weiter hoch geladen:

Zunächst einmal: Was ist ein Shichen? ^^° Google zeigt mir Bilder oder scheint es für einen Namen zu halten?

Sehr gut, dass Jiang Cheng sich schnell abgelenkt hatte, bevor ihn seine Gedanken über sein zu schnelles Handeln bei seinem Neffen, in die Dunkelheit reißen konnten.
Und gut, dass Wei Wuxian ihm keinerlei Vorwürfe gemacht hat.
Das wäre sonst wieder völlig eskaliert.
Irgendwie find ich auch Jiang Chengs Abneigung gegenüber Lan Wangji fast schon niedlich XD "schlechtere Hälfte"...
Klar, es ist absolut verständlich, aber nach dieser Aussprache und dem relativ normalem Umgang Wei Wuxians und Jiang Chengs miteinander, will dieses Bild eines schmollenden Jiang Chengs nicht mehr aus meinem Kopf XD
Aber genauso wie dieses Gespräch lief, stelle ich mir die beiden immer vor. Dieses gegenseitige Aufziehen, in Erinnerungen schwelgen und kleine Pläne schmieden.
Selbst Yanli hast du hier wieder unter gebracht <3
Dass Wei Wuxian seinen eigenen Kurs gibt, finde ich von der Grundidee her absolut plausibel.
Die Leute sollen etwas können um das Wesen zu verstehen und vor allem um dadurch zu begreifen, dass sie sich damit besser nicht tiefergehender beschäftigen sollten.
Aber es will mir nicht in den Kopf gehen, dass die Clan Ältesten dem wirklich zugestimmt haben. Es ist und bleibt nun einmal eine extrem gefährliche Sache, bei der ich mir einfach nur ein "Nein" vorstellen kann.
Darauf musst du jetzt nicht näher eingehen. Ich weiß wo du drauf hinaus wolltest und das kommt auch rüber. Der Gedanke, dass Wei Wuxian so eine wichtige Position für den Clan asufüllt ist schön und macht mich gleichzeitig wieder traurig, da sie ihn damit immer weiter vom Lotuspier wegziehen und zeitgleich aufzeigen wie wichtig er einfach ist.
Und der Schlusssatz von dem Kapitel unterstreicht es natürlich auch noch *schnief*

Übrigens sehr cool, dass du diese Onkel-Sache noch mal so schön verwirrend aufgegriffen hast. Jetzt musste ich auch sofort wieder an dieses Video denken XD
Und das "Drachenrot beißt sich mit Tomatenrot" XDDD
Natürlich musste Wangji dann mit der Stimme der Vernunft einschreiten XD Ich kann nicht mehr vor lachen.

Und OMG ich war mit der einen Theorie echt nah dran O.O
Stammt diese Erklärung mit den Seelen besonderer Stärke eigentlich von dir, oder gibts da einen tieferen Hintergrund zu?
Demnach wäre ihre Seele komplett verschlungen worden, wenn die beiden ihr jetzt nicht geholfen hätten. Schon gruselig, wenn man darüber nachedenkt >.<
Das erneute Aufbrechen zur Höhle musste demnach einfach sein, aber auch hier ist es schon wieder echt niedlich wie sich Wei Wuxian an Jiang Cheng festhält.
Und so schön wie gut die beiden zusammenarbeiten um die Seele einzfangen.
Wenn das Seelentransferieren klappt, müsste sich Jin Ling an einen neuen Körper für seinen Hund gewöhnen, aber auch der anderen Seite musste Lan Wangji sich das bei Wei Wuxian ja auch.
Ich bin echt gespannt ob und wie du das Transferieren des Hundes noch beschreiben wirst.
Und ich finde es wahnsinnig spannend, das diese Hundeangst sich offenbar soweit generalisiert hat, dass selbst eine Hundeseele bereits so viel bei ihm ausrichten kann.
Das Glöckchen mit einzubringen war übrigens auch sehr schön <3

Schade, dass nun nicht mehr so viel Story folgen wird. Ich finde wirklich dass du die Story super schön und spannend beschreibst. Das macht einfach Lust drauf mehr zu lesen :)
Antwort von:  Lady_Ocean
23.01.2023 15:47
... Du hast das echt für mich nachgeschlagen?! Boah, vielen lieben Dank! T___T
"Goldene Schuppen Plateau" klingt für mich auch ziemlich gestellt ^^°. Wobei ich die Idee mit den Goldenen Schuppen an sich schon gut finde. Aber dann wenigstens "Goldschuppenplateau". Und "Wolkenschlucht" mag ich, wenn ich an die Bilder aus dem Anime und Vorspann und so denke, auch lieber. :) Klingt auch cooler, oder? Auch wenn "Nische" zur Abgeschiedenheit und Enthaltsamkeit des Lan-Clans passt. "Karpfen" ist echt schwierig zu übersetzen. In Südostasien (also ich kannte es aus Japan, aber da sind die Einflüsse der chinesischen Mythologie ja stark in solchen Sachen) sind Karpfen mystische Wesen, die auch mit enorm viel Durchhaltevermögen und Stärke assoziiert werden. Und es gibt 'ne Legende, wo ein Karpfen einen Wasserfall erklommen ist und dabei eine Art Drachen wurde. Zum Teil wird der als goldener Karpfen beschrieben. Daher ist es auch kein Wunder, dass bei Pokémon die Weiterentwicklung von Karpador Garados ist und dass das Shiny-Karpador golden ist. ;) Hier ist ein interessanter Blogartikel zur Karpfen-Mythologie: https://japan-box.de/blogs/japanische-mythologie/koi-karpfen. Andererseits assoziiert der Ottonormaldeutsche diese Fische halt mit langweiligen, dummen, glubschäugigen Fischen, die maximal noch hübsch aussehen können. So gesehen war "Goldene Karpfenterrasse" hier in dieser Geschichte jetzt auch nicht meine erste Wahl, sondern eher ein Kompromiss, weil mir noch nichts Besseres eingefallen war. Aber mit "Goldschuppenplateau" könnte ich mich anfreunden. :)

Madam Yu schätze ich so ein wie du. Ich denke, sie gibt sich rein moralisch Mühe, ihren Hass und Frust nicht zu sehr an Wei Wuxian auszulassen. Eigentlich weiß sie, dass das Kind nichts für seine Mutter und Jiang Fengmian kann. Und die Mutter hatte Fengmians Gefühle ja nicht mal erwidert! Aber trotzdem muss sie tagtäglich mit ansehen, wie das fremde Kind die Liebe und das Lob bekommt, das dem leiblichen Sohn nicht zuteil wird - zusätzlich zu dem bitteren Wissen, nicht geliebt zu werden. Wahrscheinlich wollte sie Jiang Fengmian aus Liebe heiraten und leidet sehr darunter, dass diese Gefühle scheinbar nie erwidert werden. Jedenfalls: Wei Wuxian hat in Erinnerungen an sie zwar gesagt, dass sie sehr streng war (und man hat auch gesehen, dass er Angst vor ihr hat. Vor allem, als er seine Ausbildung beim Lan-Clan und die Verlobung von Yanli versaut hat), aber er selbst meinte über sie auch, dass die Strafen, die er regelmäßig bekommen hat, eigentlich immer ziemlich mild waren. Sie hat ihm nie den Hintern versohlt, was ihn richtig gedemütigt hätte. Meist hat sie ihn nur stundenlang vor den Ahnentafeln knien lassen. Sie hat ihm nie essen oder trinken verwehrt. Und richtig handgreiflich ist sie eigentlich nur geworden, als die Wens bei ihnen eingedrungen sind und Strafe für Wei Wuxians Angriff auf Wen Chao gefordert haben. Und selbst da hat sie bei Peitschenhieben (mit einer normalen Peitsche) halt gemacht. Als man von ihr verlangt hat, ihm die Hand abzuschneiden, hätte sie dem genauso gut stattgeben können, wenn Wei Wuxian ihr tatsächlich so wenig bedeutet hätte. Kollateralschaden, um den Clan zu verteidigen. Als Vasall des Clans war der Schutz der Jiang ohnehin seine Aufgabe. Aber das hat sie nicht. Im Gegenteil, sie ist wie eine Löwin auf Wang Lingjiao losgegangen und hätte beinah der 'ne Hand abgeschnitten für den Frevel, den sie sich da rausgenommen hat. Ich denke, so hätte sie nicht reagiert, wenn sie ein stereotyper Bösewicht gewesen wäre, der einfach nur dazu da ist, den Helden in die Opferrolle zu bringen.

"McGuffin-Kniff" - den Ausdruck kannte ich noch gar nicht. :D Aber ja, die Technik dahinter ist mir bekannt. Dezent Hintergrundinfos einstreuen, die die Neugier der Leserschaft anfüttern und der Geschichte Tiefe verleihen, egal, ob das irgendwann noch mal wichtig wird. Ich hab mich eigentlich nur deshalb gedanklich genauer mit der Materie beschäftigt, weil ich mir sonst zu unsicher darin war, was für Hints ich streuen kann. Wenn ich weiß, was da für eine Macht am Werken ist, kann ich mir viel besser vorstellen, wie die sich verhält, wenn sie weiterwandert und wenn die Protagonisten dann später auf sie treffen. Nicht, dass ich mich am Ende mit meinen Hints verzettel und mich in Widersprüchlichkeiten verstricke. ^^ Und das Schreiben der Kapitel Langya und der neueren hat es mir defintiv erleichtert.

Ah, Shichen ist eine Zeiteinheit von zwei Stunden. Wird in der deutschen Übersetzung nicht mehr verwendet, nein? In FFs finde ich es öfter und dahte, es wär schon bekannter. ^^° Dann werd ich lieber mal 'ne Anmerkung ins Vorwort aufnehmen.

Ich glaub, was Lan Wangji angeht, schmollt Jiang Cheng auch einfach gern. ^^ Er fühlt sich wahrscheinlich auch immer ein Stück weit in dessen Schatten. Schon in der Höhle des Xuanwu (der Schildkröte) hat Wei Wuxian lieber Lan Zhan gerettet, als mit ihnen zu flüchten. Und immer, wenn Wei Wuxian in Lan Zhans Nähe war, ging seine Aufmerksamkeit sofort zu dem über. Damals war es von Jiang Cheng vielleicht unbewusst, aber ich wette, er war eifersüchtig. ;) Und jetzt hat er umso mehr Grund dafür. Schließlich hat der Lan ihm seinen Bruder entführt (dass Jiang Cheng selbst ihn mit ganzer Kraft von sich gestoßen hat, lässt er dabei natürlich geflissentlich unter den Tisch fallen).

Um Wei Wuxians Kurs wird es im Epilog noch gehen. Da freu ich mich schon drauf! :D Dann wissen wir alle, wie er es geschafft hat, den mehr als skeptischen Lan-Clan davon zu überzeugen.

Zur Onkel-Sache: Ich auch! XDD Das Video geht einem nicht mehr aus dem Kopf, was? *lach*

Und jaaaaa! :D Endlich kann ich was dazu sagen. Ich war meeeega platt, als du den Kern des Fairy-Dilemmas bereits in dem Moment, wo wir den verletzten Jin Ling gesehen haben, ins Auge gefasst hast. Und das bei so wahnsinnig wenigen Hints. Mega cool!
Diese Erklärung zu den spirituellen Seelen ist auf meinem eigenen Mist gewachsen. Ich hab die MDZS-Wikis und so ein bisschen dazu durchforstet, aber der Roman hat nur sehr wenige Informationen, was eine normale Seele von einer spirituellen Seele unterscheidet. Da konnte/musste ich also kreativ werden. :)

Und stimmt! Das Thema "selbe Seele, fremder Körper" ist mit Wei Wuxian ja schon sehr präsent in dieser Geschichte. Das ging mir noch gar nicht durch den Sinn!

Vielen Dank wieder für deinen super spannenden Kommentar! ^^
Von:  Duchess
2023-01-08T22:58:56+00:00 08.01.2023 23:58
frohes Neues ^^

ich denke allein dieser "Hä? wie soll das den so plötzlich funktioniert haben?" Gedanke bei so einer Beschreibung sollte den Leser dazu animieren seinen Kopf anzustrengen.
Mal abgesehen von der hier offensichtlichen und auch gewollten Version, dass er von der einzig weiteren Person Hilfe bekam, hättest du natürlich noch den Hasen aus dem Hut zaubern können, wie es Krimischreiber so gern machen.
Aus dem Nichts kommt der Beweis, eine zusätzliche Person etc pp. Wenn sowas in eine laufende Story eingebaut wird und nach und nach ihren Sinn und Zweck erfüllt mag das gehen. Wenn bei einem Krimi dieser Hase erst im Moment der Fallauflösung hervorgeholt wird, sodass der Leser nicht mit ermitteln konnte, ist das eher frustrierend. Aber ich schweife ab XD
Leider ist MDZS ja immer noch eher unbekannt, auch wenn jetzt die deutsche Version auf den Markt gekommen ist. Entsprechend klein ist die Fangemeinde ja noch und schwierig dann Leute zu finden, die auch Ffs lesen und erst recht welche zu schreiben. Gerade das Schreiben ist ja leider so unglaublich zeitaufwendig @.@
Ich freu mich dass wir uns damit jetzt gegenseitig etwas pushen können XD
Und ohhh ja, genau dieser Moment wo beschrieben wird, dass Jiang Cheng seinen Bruder schützen wollte und dann selbst in deren Hände gefallen ist
und DANN diese Storyline genau damit endet, dass er diesen Umstand vor ihm verschweigt, wie dieser zuvor verschwiegen hat, dass Jiang Cheng seinen goldenen Kern in sich trägt, das war einfach so ein unglaublich schmerzhaft schöner Moment.
Die beiden haben einfach ihr eigenes Happy End verdient!

Und diese Variante gefällt mir bisher sehr gut.
Wobei gerade Jiang Chengs Verlegenheit in dieser Situation irgendwie echt süß rüberkommt.
Allein schon diese kleine Erinnerung an sein Versprechen mit dem Hundeverjagen war einfach niedlich. Man konnte sich total gut vorstellen wie er in dem Moment weggeschaut hat.
Ich kann aber verstehen, warum du hier Wei Wuxians Sichtweise den Vorzug gegeben hast. Bisher stand Jiang Cheng im Mittelpunkt mit seinem Hin und Her der Gefühle. Da musste es jetzt einfach der Bruder sein, der in dem Moment den Umschwung in sich spüren musste.
Wei Wuxian hatte schließlich versucht Jiang Cheng "normal" zu behandeln, wohl einfach nur um überhaupt wieder eine Beziehung zu ihm auf zu bauen. Dass das bisher schlicht weg nicht geklappt hat, sieht man ja, da musste Wei Wuxian eine Änderung seiner Taktik einführen. Gerade wo Jiang Cheng ihm in diesem Moment so schön entgegen kam.
Ich würde zum Schluss aber auch wahnsinnig gerne noch Jiang Chengs Sichtweise lesen :)

Wobei Wei Wuxians plötzlicher Gedanke, dass es vielleicht das letzte Mal war, wo sie sich lebend sahen, vielleicht etwas sehr dramatisch war. Ich meine, sooo groß ist ihre Welt nicht. Beide gehen Tätigkeiten nach, wo sie sich durchaus treffen können und unabhängig von all dem, haben sie einen gemeinsamen Neffen, den sie beide beschützen wollen.
Was ich meine ist einfach, dass die Wahrscheinlichkeit, wenn sie aus der Höhle rauskommen, doch relativ hoch ist, dass sie sich noch vor ihrem Ableben wieder sehen.
Es wäre nur bei einem erneuten Wiedersehen wieder eine noch beschissenere Ausgangslage als es aktuell bereits ist. Gerade wo genau in dem Moment von beiden Seiten Verletzlichkeit gezeigt wird und statt aufeinander zuzugehen, wird von einer Seite versucht sich wieder in seine alte Verhaltensweise zurück zu ziehen.
Wei Wuxians Vorschläge wären aber wunderschön praktikabel und gut ablenkend von den offenen Wunden in diesem Moment.
Jiang Chengs Ausbruch kam dann natürlich perfekt.
Schön eingefügt und diese Fassungslosigkeit kann man sich super gut vorstellen.
Genauso wie Jiang Chengs Redeschwall. Natürlich gibt es gute Gründe, warum er die Reste der Wens nicht an den Lotus Pier holen konnte, natürlich gab es Gründe warum er seinen Bruder nicht immer in Schutz nehmen konnte. Und zwar ganz unabhängig von dem was die beiden da gerade sagen oder denken.
Gerade seine Schwäche zu dem Zeitpunkt wo er bereits einen Großteil seiner Familie und Heimat verloren hatte und versuchen musste das Wenige zu schützen was noch da war, da konnte er den traumatisierten Lotus Pier einfach nicht als Zuflucht anbieten. Das wusste auch Wei Wuxian selbst.
Aber statt, dass er diesen Umstand hier ausspricht, bleibt der Gedanke im Kopf hängen und stattdessen wird sein Heldenkomplex vorgeschickt und muss die Schuld auf sich nehmen. Wieder mal typisch Wei Wuxian.
Aber im Großen und Ganzen sind diese Überlegungen irrelevant, da es am Ende eigentlich nur um die Bruderbeziehung der beiden zueinander ging.
Und diese Auflösung im vorherigen Kapitel war einfach schön. Endlich versuchen beide in dieselbe Richtung zu denken. Und am Ende einfach nur dieses "Bruder" ....hach <3 .....
Dieses kleine Hin und Her im aktuellen Kapitel bei Jiang Chengs Gefühlen kann ich total gut verstehen. Es ist halt nicht alles plötzlich heilen Welt und dennoch scheint es ihm etwas zu geben, was er so dringend gebraucht und unbewusst gesucht hatte.

Die Qi Behandlung war übrigens wahnsinnig spannend beschrieben.
Das fremde Qi hatte Jiang Cheng ja offenbar nicht mehr bewusst gespürt, nach dem Schlangenbiss.
Erst nachdem es weg war kam ihm ja diese Erleuchtung, dass es seine Emotionen manipuliert hatte.
Wenn es das tatsächlich aktiv tut, hätte es tatsächlich ein höheres Denken in sich, oder gehorcht jemandem, der dahinter steht wie es ein Haustier tuen würde. Alternativ kann es aber auch ganz simpel gelernt haben, dass Lebewesen mehr von dem für ihn gesuchten Qi produzieren, wenn es selbst dafür sorgt, dass sich dieses Lebewesen aufregt. Hat vielleicht etwas mit Adrenalin zu tun, oder/ und einem erhöhten Herzschlag?
Das passt halt so schön dazu, dass das fremde Qi sich davon zu ernähren erscheint. genauso wie es in Jin Ling wieder neu aufgeflammt ist, als der sich um Fee sorgte.
Apropos: Wenn aus der Richtung von wo der Yao Wolf kam keinen Ausgang mehr gibt und scheinbar wohl auch kein anderes Lebenszeichen von dort kommt, was ist dann mit Fee passiert?
Hat der Hund die Höhle wieder verlassen nachdem sein Herrchen bereits bewusstlos war und noch bevor Wei Wuxian ankam? Da sie klug ist, könnte es natürlich sein, dass sie versucht im nächsten Dorf Hilfe zu holen? Oder wurde sie -wie auch immer- in diesen geköpften Wolf verwandelt O.O? Oder liegt sie weiter hinten in einer Sackgasse und braucht weiterhin Hilfe?
Antwort von:  Lady_Ocean
09.01.2023 06:21
Frohes neues! ^^

Boah, ich bin total geplättet von diesem ausführlichen Kommentar!!!! Wahnsinn! :D

*haha* Oh ja, das Schreiben zieht sich manchmal echt hin. Vor allem, wenn die Gedanken zwischenzeitlich nicht so fließen und dann erst mal so halb in einer Sackgasse enden - stilistisch oder inhaltlich. Du glaubst gar nicht, wie mich der Austausch mit YoungMasterWei inspiriert und wie sehr sie mir geholfen hat. Die Idee, dass Jiang Cheng sich nach dem Niederstrecken des Wolfs total unbeholfen fühlt und sich fragt, was Yanli jetzt wohl gemacht hätte, kam z. B. von ihr. Ich fand, das war ein total schöner Gedanke an der Stelle.
Jiang Chengs Sicht werde ich mir dann wohl als Bonus-Kapitel fürs Ende der Fanfic aufheben. Da sieht man (Jiang Cheng) ja nix von der Sehnsucht und der Angst, die sich da in Wei Wuxians Kopf überschlagen und YoungMasterWeis erster Eindruck dazu war: Ist Wei Wuxian hier echt so unreflektiert? Also da würde ich an Jiang Chengs Stelle auch die Nerven verlieren. Und so war es für Jiang Cheng ja auch gedacht. ;)

Wei Wuxians Gedanke, dass sie sich vielleicht zum letzten Mal sehen könnten, bezieht sich auf Jiang Chengs katastrophalen psychischen Zustand. EIN kleines Missverständnis und er wird zum Berserker. Da fehlt nicht mehr viel bis zu 'ner Qi-Entartung. Nie Mingjues Tod war am Ende auch nicht viel anders. Das könnte ich vielleicht in einem Satz noch erwähnen, wenn der Gedanke (also dass Wei Wuxian fürchtet, Jiang Cheng steht kurz vor einer Qi-Entartung) im derzeitigen Gedankenfluss gar nicht rüberkommt.

Was es mit dieser seltsamen Materie auf sich hat, dazu habe ich eine kleine Hintergrundgeschichte im Kopf, aber sie findet im Storyverlauf leider keinen Platz, um eindeutig aufgelöst werden zu können. Nur im Epilog kommen noch mal ein paar Hints dazu. Aber vielleicht schreib ich dazu später noch einen kleinen Bonus.

Und ich freue mich, dass du dir auch Sorgen um Fairy machst! ^^ Was genau da passiert ist, wird Jin Ling uns sagen können, wenn er im übernächsten Kapitel wieder aufwacht.

Ist eigentlich nur der Roman von MDZS ins Deutsche übersetzt worden oder auch die Serie? In den Roman konnte man bei Amazon ja reinlesen, aber der Schreibstil ist leider so gar nichts für mich. :( Irgendwie liest er sich nicht so flüssig wie die englische Version von Exiledrebelsscanlations. Deshalb würde ich ihn mir auch nicht kaufen. Aber das bringt mich für diese FF in die Bredouille, dass ich nicht weiß, wie die verschiedenen Begriffe (fierce zombie, carp tower, etc.) ins Deutsche übersetzt wurden. Einige meiner persönlichen Übersetzungen sind wahrscheinlich ziemlich weit ab vom Schuss. Hier war YoungMasterWei aber auch eine enorme Hilfe, weil sie Chinesisch spricht und die chinesischen Originalbegriffe gut einordnen kann (und zu kleinen Teilen hilft mir dabei auch, dass ich Japanisch kann und die Schriftzeichen daher zum Teil verstehe), so dass ich mir dank ihrer Erklärungen was zurechtbasteln konnte, was zumindest recht nah am chinesischen Original liegt.
Ich bin auch immer wieder überrascht, dass es auf Animexx doch schon eine gewisse MDZS-Community gibt, obwohl es lange Zeit nur auf Englisch verfügbar war. Peteys Fanarts z. B. mag ich auch sehr. ^^
Antwort von:  Duchess
12.01.2023 01:24
ich hab beim Schreiben ausnahmsweise mal am PC gesessen und nicht auf dem Handy getippt ^^°

oh ja Input von außen, wenn man sich selbst in eine Sackgasse gelenkt hat ist wirklich gut. Ich kenn das so ähnlich aus anderen Bereichen.
Und die Idee sich nach seiner Unbeholfenheit auf Yanli zu beziehen ist verdammt gut und vor allem schön. So sind die Geschwister in gewisser Weise für einen Moment lang wieder zusammen <3
Ich tippe mal darauf, dass du es deshalb auch als schönen Gedanken empfandest. Sie waren schließlich wirklich mal zu dritt und die große Schwester wurde einfach von beiden geliebt.
Ich bin echt gespannt wie das Bonuskapitel sich dann dazu verhält.

Okay auf die Qi-Entartung bin ich so jetzt nicht gekommen. Jiang Cheng lebt auf diese Weise ja schließlich schon Jahre lang und auch wenn er sich immer weiter rein gesteigert hat und dieser Moment der Erkenntnis ihn dann völlig aus der Bahn geworfen hat,
da denk ich mir dennoch irgendwie, dass er es aushält. Aber es stimmt, dass jemand wie ein Wei Wuxian sich durchaus damit auskennt und bei seinem Bruder genau das befürchtet.
Aber wie du aus meinem letzten Kommentar gelesen hast, bin ich nciht darauf gekommen, dass du auf diese Todesursache hinaus wolltest ^^°
Wobei ich mich in dem Fall dann wieder frage, wenn Wei Wuxian diese Befürchtung hatte und die schlimmer werdenden Symptome bei ihm erkennt, hat er da dann nicht auch den Drang dazu stärker Einfluss auf ihn zu nehmen um ihn davor zu bewahren? Selbst wenn das bedeutet, dass er nicht mehr emotional näher an ihn herangerückt wäre?

Wie jetzt, die Materie hat zwar eine Background Story, aber du klärst sie hier nicht auf? Ich meine ja, sie ist nur Mittel zum Zweck, aber dieses Problem ist wahnsinnig spannend und der rote Faden, der die ganze Sache nicht nur durch einen Storyverlauf zieht sondern auch noch der Initialzünder war. Nur Hints gaaaanz zum Schluss? wobei gut okay, das kann auch ein guter kleiner Autoren Kniff sein...

Oh je der arme kleine Neffe XD
Was aus dem nur wird, wenn sich die beiden schlimmsten Onkel, welche die Kultivierungswelt bis dahin gesehen hat, wieder gut verstehen und gemeinsam seine Erziehung übernehmen XDDDD
Nagut, du klingst zumindest so als wäre dem Hund nichts sooo schlimmes passiert. Da kann ich ja beruhigt sein.

Bisher wurde nur der Roman übersetzt. Die Zusatzkapitel kommen auch erst noch als fünftes Buch. Und der Manhua wird aktuell übersetzt.
Von einer anderen Ankündigung weiß ich noch nichts. Leider ist mein Englisch bei Weitem nicht so gut, dass ich jetzt mehr Freude an der englsichen Übersetzung gehabt hätte.
Ich bin damals über eine Bekannte auf die englische Version gestoßen und hab mich eher schlecht als Recht durchgebissen. Zugegebenermaßen hatte ich bei manchen Passagen sogar den Übersetzer an.
Ich wollte eigentlich nur ein bisschen anlesen und plötzlich hatte mich die Geschichte im Bann. Daher bin ich relativ froh, dass es eine deutsche Version gibt ^^°
Aber unabhängig davon brauchst du dir nicht so sehr nen Kopf drum zu machen, dass du die offizielle deutsche Übersetzung von einigen Dingen nicht kennst. Wenn du eine Bezeichnung durchgängig nutzt, dann passt das schon ^^
Ständig wechseln wäre da wesentlich schlimmer. Und wenn du da sogar Hilfe bekommst, die direkt aus der Original Sprache heraus kommt, dann ist es umso besser ^^
(ich weiß noch wie ich fast verzweifelt bin, weil es für die Wolkenschluchten so viele Übersetzungsvarianten gibt. Wolkengeheimnis, Wolkennischen, Wolkenabort... ich glaube letzteres kam aus ner automatischen Übersetzung aber irgendwer hatte in seiner Ff nicht gewusst was eigentlich ein Abort ist <.<)
Aber ja es gibt auch hier schon verdammt gute Fanart Zeichner. Ich bin da immer total frustriert, dass ich Menschen einfach nicht hinbekomme -_-
mir fällt gerade auf, dass ein nciht unerheblicher Teil der Bilder auf der ersten Seite aus der letzten Kakao Aktion stammt und plötzlich fühlt sich die Welt wieder etwas kleiner an XD
Antwort von:  Lady_Ocean
15.01.2023 08:43
Genau, für mich hat sich das auch so angefühlt, als ob die drei Geschwister durch diesen Gedanken in dem Moment ein Stück weit beieinander sind. Yanli ist auch ein sehr schöner Nebenchara, finde ich. Sie wird von ihren Brüdern regelrecht verehrt und ihre Handlungen, als sie alle drei noch zusammen waren, rechtfertigen das auch absolut. Man kann sie echt nur gern haben, was?

Ich habe jetzt noch einen Satz hinzugefügt, dass Wei Wuxian sich bei Jiang Chengs Zustand an Nie Mingjue kurz vor dessen Qi-Entartung erinnert hat, hinzugefügt. Genau deswegen ist er an dieser Stelle ja so unruhig geworden und dieses Risiko eingegangen, Jiang Cheng durch seinen Wunsch nach einem normalen Miteinander von der Aufrichtigkeit seiner Gefühle zu überzeugen. Wenn er in sich nicht diese Angst verspürt hätte, Jiang Cheng vielleicht endgültig zu verlieren, hätte er sich in seinem angefressenen Zustand einfach gedacht: 'Wenn du jetzt nicht reden willst - bitte. Vielleicht später irgendwann.'

Das Problem mit der Materie ist, dass ihre Ursachen weit in der Vergangenheit liegen, aber sämtliche Beweise, die darauf hindeuten, längst nicht mehr existieren. Die paar diffusen Hints, die es noch gibt, reichen nicht, um eindeutig auf ihren Ursprung zu schließen. Selbst für die, die damals darin involviert waren. Deshalb sind im gegenwärtigen Storyverlauf auch für die Charaktere nur noch Spekulationen möglich. Aber an diesem Punkt finde ich selbst das eigentlich gar nicht so schlimm. Ich habe mal gelesen, eine gute Geschichte ist wie ein Foto, auf dem nur der Ausschnitt des Objekts zu sehen ist. Der Betrachter sieht nicht alles, weiß aber, dass es darüber hinaus noch weitergeht. Ich persönlich mag Geschichten in diesem Stil gern, also wenn sie mich an manchen Stellen mit Andeutungen zappeln lassen, die bis zum Ende nicht richtig aufgeklärt werden *lach*. Ich finde, das gibt der Geschichte Tiefgang. Und die Materie ist für mich so ein Ding. Man möchte schon gern wissen, was genau das nun eigentlich ist, aber diese Details sind nicht essenziell, um die Veränderungen zwischen Jiang Cheng und Wei Wuxian nachvollziehen zu können. Weil mir dieses Thema andererseits aber in den Fingern juckt, würde ich es dann doch zumindest als Bonus gern dazugeben. XD

"Nagut, du klingst zumindest so als wäre dem Hund nichts sooo schlimmes passiert. Da kann ich ja beruhigt sein."
So einschränkend war mein vorheriger Kommentar gar nicht gemeint. Ich wollte eher sagen: Falls Fairy was passiert sein sollte, werden wir es von Jin Ling erfahren, wenn er aufwacht. ^^°

Hut ab, dass du dich durch die englische Version so durchgebissen hast, obwohl dir die Sprache so schwer fällt! Na dann wirst du mit der deutschen Version auf alle Fälle deinen Spaß haben. :D
Es ist aber echt unglaublich, was automatische Übersetzer inzwischen leisten können, vor allem, wenn sich die Sprachen so ähnlich sind wie Deutsch und Englisch. Ich habe im Internet mal eine ursprünglich französische FF gelesen, aber in englischer K.I.-Übersetzung. Die war insgesamt auch flüssig genug, dass ich fast alles verstanden hab und mich dabei auch nicht zu sehr anstrengen musste, um Übersetzungs-Fehler zu erschließen. Das hat mich echt erstaunt.
Bei den Wolkenschluchten würde mich auch interessieren, wie da letztlich die offizielle deutsche Übersetzung gilt! Ich persönlich finde "Wolkenschluchten" vom Klang her am schönsten. :) Bei der "Goldenen Karpfenterrasse" (Golden Carp Tower) hab ich mich am schwersten getan von den Hauptquartieren der vier großen Sekten. Da will auf Deutsch einfach gar nichts schön klingen! XD
Von:  Duchess
2022-12-29T15:52:26+00:00 29.12.2022 16:52
Ja „irgendwie“ war sein Fuß freigekommen warum sich da auch Gedanken zu machen, wie es so plötzlich sein kann.
Und wieder kommt der Schmerz zurück bzw wird das negative Qi stärker. Letzteres scheint mir zumindest am plausibelsten.
Aber so festgefahren wie er gerade in seinem Hass und seiner Verzweiflung ist, konnte er nur noch mal versuchen alles an seinem Bruder ab zu lassen.
Und ausgerechnet in dieser Situation schafft er es auch noch ihn zu treffen q.q
Und dann kommt da auch noch dieser Wolf um die Ecke. Also gerade ist der Ärmste echt am Arsch. Ich kann seine blanke Verzweiflung so gut nachvollziehen. Er hat keine effektive Möglichkeit sich irgendwie zur Wehr zu setzen, niemanden der ihn gerade beschützen würde und keine Fluchtmöglichkeit. Alles was ihm bleibt ist dieses verzweifelte Kratzen am Geröll und das Rufen nach seinem Mann.
Wenigstens scheint zumindest das etwas in Jiang Cheng bewirkt zu haben.
Das Schlimmste hat er seinem Bruder ersparen können, obwohl er mal wieder so arg hin und hergerissen ist und sich tatsächlich dann und wann klare, kühle Gedanken Bahn brechen.
Was für ein hin und her!
Und welch Glück für Wei Wuxian
Antwort von:  Lady_Ocean
30.12.2022 05:44
*hihi* Sogar das mit dem Fuß hast du sofort bemerkt. ;)
Es hat mich sehr gefreut, im alten Jahr noch mal von dir zu hören. Danke, dass du dir sogar fürs Kommentieren immer so viel Zeit nimmst! Guten Rutsch und bis im neuen Jahr hoffentlich! ^^
Antwort von:  Duchess
30.12.2022 06:28
Das mit dem Fuß war so dermaßen unauffällig auffällig XD
Es macht halt Spaß diese kleine Geschichte zu lesen, vor allem da sie ein eher ungewöhnliches Thema behandelt und ich es ausnahmsweise mal schaffe auch während des aktuellen Entstehens bzw Uploads mal was kommentieren zu können.
Sonst hab ich leider meist das Pech fertige oder abgebrochene Ffs zu lesen, wo ich nicht weiß ob sich der Autor noch drüber freut.
Umso mehr macht es mir Spaß, dass du dich auch hier immer wieder kurz meldest ^^
Ich wünsche dir noch einen guten Rutsch
Antwort von:  Lady_Ocean
30.12.2022 08:23
Dass das für dich "dermaßen unauffällig auffällig" war, ist ein unglaublich wertvolles Feedback für mich (auch an vielen anderen Stellen), weil ich mir beim Schreiben halt oft den Kopf darüber zerbreche, wie explizit ich werden muss, damit die Dinge bei den Lesern ankommen. ^^° Dass Wei Wuxian JC da in der einstürzenden Höhle geholfen hat, war z. B. eine der Sachen, bei denen es mir wichtig war, dass das verstanden wird. Bei dem Fuß hatte ich gehofft, dass das deutlich wird, aber auch, dass ich nicht explizit darüber schreiben muss, weil ich nicht riskieren wollte, dass es gestellt wirkt (und es sollte auch nicht von der Haupthandlung ablenken). Aber wenn das zu schwer zu erschließen gewesen wäre oder vielleicht sogar für Verwirrung gesorgt hätte ("Wie hat er denn nun während eines Hustenanfalls seinen Fuß da raus bekommen?"), hätte ich es später explizit eingebaut.
Dass du zu so einem tollen Zeitpunkt diese FF entdeckt hast, ist für mich ja ein genauso großes Glück. Ich hätte sie so oder so zu Ende geschrieben und fertig hochgeladen, egal, ob nun Kommentare kommen oder nicht. Aber Man freut sich einfach so unglaublich, wenn man weiß, dass da auf der anderen Seite des Internets noch andere Leute sind - wenigstens ein Mensch - die mit diesem Problem und dem hier vorgestellten Lösungsvorschlag ebenso mitfiebern. Die grundlegende Idee zu dieser Eskalation und Aussprache kam mir, als ich den Roman zum zweiten Mal durchgelesen hatte. Ich fand es einfach sooooooo traurig, was da zwischen den beiden alles zerbrochen ist und dass sie nicht mehr die Chance hatten, das zu richten, obwohl sie sich im Grunde beide danach gesehnt hatten. Vor allem Jiang Cheng. Mit seinem Gedanken da am Ende noch. Dass er, als sie nach dem Verlust des Lotus Piers auf der Flucht waren, die Wens ganz bewusst weggelockt hatte, um Wei Wuxian zu beschützen. T___T


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