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Bruder

von
Koautor:  YoungMasterWei

Vorwort zu diesem Kapitel:
Frohe Weihnachten! :) Ich hoffe, das Update kann ein paar Leuten eine kleine Freude machen. Komplett anzeigen

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Entscheidung

Plötzlich herrschte Stille. Einzig durchbrochen von dem hellen Surren in seinen Ohren.

Seine Ohren surrten. Er konnte Stille wahrnehmen.

Ich lebe noch.

Schmerzen begannen, durch seinen Körper zu pulsieren. Als hätte ihn eine Horde wilder Pferde niedergetrampelt. Und als stünden sie immer noch auf ihm.

Ächzend stemmte er sich auf seine Unterarme, bäumte sich auf. Gesteinsbrocken rollten von seinem Rücken und das Atmen wurde leichter, doch ein scharfer Schmerz in seinem Fuß ließ ihn sofort wieder zusammenzucken, gefolgt von einem Hustenanfall, der ihm erneut die Sinne schwinden ließ. Seine Lungen brannten von all dem Staub, den sie aufgenommen hatten und weiter aufnahmen. Hastig hielt er sich seinen Ärmel vor das Gesicht, doch es war ein harter und langer Kampf gegen die Atemnot und Übelkeit, bis er endlich die Kontrolle wiedererlangt hatte. Irgendwie schien bei diesem Kampf sein Fuß freigekommen zu sein, denn als Jiang Cheng matt auf den kalten Felsboden zurücksackte, war zwar der pulsierende Schmerz noch da, doch die peinigende Fessel war verschwunden. 

Er nahm sich Zeit für eine kurze Bestandsaufnahme. Das Geröll hatte ihn übel erwischt. Der Fuß war wahrscheinlich gebrochen. Gleichzeitig erschien es ihm wie ein schieres Wunder, dass er nicht vollends zerquetscht worden war. Offenbar hatten sich die Felsen so günstig um ihn herum verkeilt, dass ihm eine Nische zum Überleben geblieben war.

“Besser?”, vernahm er eine verhasst-vertraute Stimme. Mitleidig. Oh, wie er es verabscheute! Er hatte dieses verfickte Mitleid nicht nötig!

Seine zornesfunkelnden Augen wanderten nach oben und erst jetzt bemerkte er, dass die Umgebung von einem Feuertalisman zu Wei Wuxians Füßen notdürftig beleuchtet wurde. Doch selbst in diesem schwachen Licht erkannte er deutlich, wie mitgenommen auch Wuxian aussah. Seine Haltung war steif, das Gesicht angespannt, glänzend feucht und ein dünnes Rinnsal noch leicht schimmernden Blutes zog sich wie eine Furche von seiner linken Schläfe über das Kinn bis hinunter zum Hals.

Jiang Cheng ballte seine rechte Hand zur Faust, stemmte sich in die Höhe. Der Schmerz in seinem Bein raubte ihm schier den Verstand und er musste sich an der Felswand abstützen, um nicht zu stürzen, doch er würde jetzt nicht nachgeben. Was auch immer ihm diese göttliche Chance beschert hatte, er würde sie nicht verstreichen lassen. Und in gewisser Hinsicht konnte er wohl von Glück reden, dass ausgerechnet sein verletztes Bein den weiteren Schaden abbekommen hatte. So konnte er das andere weiterhin voll belasten.

Zidian manifestierte sich. Wei Wuxians Augen weiteten sich ungläubig.

“Hast du noch nicht genug?!”

Jiang Cheng quittierte es mit einem abfälligen Schnauben. Genug wäre es erst, wenn er es zu Ende gebracht hatte - und das würde hier und heute geschehen!

“Ich werde Gerechtigkeit einfordern für das, was du Jin Ling angetan hast.”

Die Blitzpeitsche schnellte hervor, auch wenn Jiang Cheng mit Unmut feststellen musste, dass ihre Energie nur noch ein müder Schatten ihrer wahren Stärke war. Doch es musste einfach reichen! Jiang Cheng zwang seinen bleischweren Arm nach oben und ließ Zidian mit letzter Kraft erneut niederpeitschen. Wei Wuxian sah sich fahrig um, schwankte zur Seite und riss im letzten Moment seinen Arm nach oben, um zumindest seinen Kopf vor dem Angriff zu schützen. Das Ende der Peitsche wickelte sich um seinen Armschützer, der einen Teil der Elektrizität abblockte - jedoch nicht alles. Als die violetten Blitze auf seinen Arm und Brustkorb übergriffen, zwangen ihn die Schmerzen in die Knie. 

Wei Wuxian würde diesen Kampf verlieren, das konnte Jiang Cheng deutlich sehen. Zidian hatte es noch nie geschafft, so weit in seinen Körper vorzudringen, so viel Schaden anzurichten - und das trotz der Schwäche des Angriffs. Seine Hand, die den Ring führte, begann zu zittern, dann sein gesamter Arm und sein Oberkörper. Kalter Schweiß brach auf seinem Rücken aus. 

War es vor Erschöpfung? Vor Schmerz, wegen seines Beines? Sollte ihm nicht eigentlich heiß sein? Was auch immer.

“Lass mich nur einmal erklären, du sturer Esel!”, presste Wei Wuxian zwischen verkrampften Kiefern hervor. “Ich würde Jin Ling niemals etwas tun! Er wurde angegriffen und wir müssen dieses Biest finden und-”

Ein markerschütterndes Heulen ließ beide erstarren. Eilig rief Jiang Cheng Zidian zurück und brachte humpelnd so viel Abstand zwischen sich und Wei Wuxian, wie es dieser enge Hohlraum zuließ. Was auch immer sich ihnen näherte, es würde all seine Kräfte und Waffen benötigen. – Aber vielleicht reichte auch schon ein wenig Kampfbereitschaft, damit sich das Wesen zuerst um Wei Wuxian kümmerte. Dem Laut nach musste es etwas Wolfsähnliches sein, und Wei Wuxians panisches Aufjapsen bekräftigte Jiang Chengs Einschätzung. Schlagartig wurde der ach so große Yiling-Patriarch einige Stufen blasser, krabbelte auf allen Vieren bis zum verschütteten Ausgang und rollte sich dort zu einem Ball zusammen, den Kopf eingezogen und die Arme darüber geschlagen.

Jiang Cheng konnte nicht anders, als mit den Augen zu rollen. Wei Wuxian übertrieb es wieder einmal maßlos. Trieb Scherze mit wilden Zombies und machte sich bei einem Tier ins Hemd.

Das Kratzen von Krallen auf dem felsigen Boden hallte von den Wänden heran. Als das Wesen in den spärlichen Schein des Feuer-Talismans trat, sah sich Jiang Cheng gezwungen, seinen ersten Eindruck zu relativieren. Dieser Wolf hatte eine gewaltige Ladung negativer Energie absorbiert, er war zu einem Yao mutiert.

Trotzdem bloß ein Wolf.

Jiang Chengs Körper hatte sich inzwischen so weit an den Schmerz gewöhnt, dass er wieder freihändig stehen konnte, wenn er sein rechtes Bein nicht belastete. Umsichtig sammelte er sein Qi in seinen Beinen, um notfalls flexibler agieren zu können. Er nahm Kampfhaltung ein, seine rechte Hand sachte über dem Schwertgriff schwebend, das Yao genau beobachtend, jederzeit bereit, es niederzustrecken. Wei Wuxian hingegen verlor nun vollends die Nerven, warf sich mit einem panischen Schrei gegen die Geröllwand und begann, mit seinen blanken, verbrannten Fingern daran zu scharren.

“LAN ZHAN! LAN ZHAN!”

Der Anblick ließ Jiang Chengs Herz erneut schneller schlagen, doch er versuchte, das irritierende Gefühl mit einem Schnauben zu zerstreuen. “Wenn du dich dem Yao auf dem Silbertablett präsentieren willst, mach nur weiter so.”

Doch Wei Wuxian hörte ihn nicht. Viel zu tief war er in seinem alten Trauma gefangen. Der Anblick zerrte Erinnerungen an vergangene Tage an die Oberfläche. Erinnerungen an einen kleinen Jungen, der sich wegen eines Welpen die Augen ausweinte und in die Robe seines Vaters krallte, darum bettelnd, auf den Arm genommen zu werden.

“LAN ZHAN! LAN ZHA~AN!!”

Die Schreie wurden immer verzweifelter. Und das Yao war vollkommen auf dieses erbärmliche Häufchen Elend fixiert, das der Großmeister der dämonischen Lehre sein wollte. Es bleckte die Zähne, Speichel tropfte von seinen Lefzen und ein hungriges Knurren verließ seinen Hals, sich über eine besonders leckere Mahlzeit freuend.

Die Erleichterung darüber, tatsächlich nicht zum Ziel des Yao geworden zu sein, wollte sich einfach nicht einstellen, und es frustrierte Jiang Cheng. Was sollte schon wieder diese unangebrachte Sentimentalität? Hatte er noch immer nicht dazugelernt? Ließ er sich noch immer von Wei Wuxians Schwächen über dessen wahren Charakter täuschen? Betont lässig gab er seine Kampfhaltung auf, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete den Fortgang des Dramas.

… Und wenn er sich doch getäuscht hatte? – Nein. Jin Ling draußen vor der Höhle war der eindeutige Beweis. Bewusstlos, durchdrungen von Wei Wuxians dunkler Energie. Dennoch hätte sein Zustand nach einem Angriff eines so fähigen Kultivators nicht so stabil sein sollen. Wenn er es gewollt hätte, hätte Wuxian ihn binnen eines Wimpernschlags töten können. Hatte er seinen Neffen foltern wollen? Hatte Fairy deswegen rechtzeitig eingreifen können? Wo steckte der Hund überhaupt? Wäre es ratsam gewesen, ihn ausreden zu lassen, bevor er ein endgültiges Urteil fällte? War Jin Ling tatsächlich von einem Biest – möglicherweise diesem Wolfs-Yao – angegriffen worden, so wie Wuxian es soeben angedeutet hatte? Oder war das nichts als Lug und Trug gewesen? Könnte er Jin Ling so eiskalt missbrauchen?

Erinnerungen, die Jiang Cheng eisern zurückgehalten hatte, durchfluteten seine Gedanken. Wei Wuxian, wie er im Guanyin-Tempel Jin Ling in die Arme schloss. Wei Wuxian, der am Blutsee in den Grabhügeln mit einer geisteranziehenden Flagge auf seiner Kleidung gegen eine Übermacht Untoter kämpfte, um hunderte Kultivatoren entkommen zu lassen. Wei Wuxian, der sich in der Höhle des Xuanwu vor die im Grunde fremde Luo Qingyang warf, um das Brandeisen der Wen abzufangen, welches für ihr Gesicht bestimmt gewesen war.

Ein Stich durchfuhr seine Brust. Das Yao kam hinter Wei Wuxian zum Stehen, spannte seine Muskeln an und machte sich bereit zum Sprung.

Sollte er Wei Wuxian glauben, aber damit Jin Ling und sich selbst womöglich in Gefahr bringen? Oder auf seine erste Eingebung vertrauen und Wei Wuxian ein zweites Mal in den Tod treiben? Wenn er die falsche Wahl traf, würde er die Konsequenzen nicht überstehen.

Aber war es nicht Wunder genug, dass er überhaupt am Leben war? Wei Wuxian hätte die Flucht nach draußen schaffen müssen und trotzdem stand er hier, eingesperrt, bei Jiang Cheng. Schwankend. Verausgabt. Verletzt. Hatte er ihn aus den einstürzenden Trümmern gezogen, so wie er einst Su She aus dem Abgrund des Wasserdämons gezogen hatte, nur um selbst davon verschlungen zu werden? So wie er vor vierzehn Jahren in den Grabhügeln seinen eigenen Körper benutzt hatte, um ihn vor der Macht des Tiger-Amuletts zu schützen. Mit diesem panikverzerrten Ausdruck, der sich tief in seine Seele gebrannt hatte.

‘VERSCHWINDE!!!’

Das Biest sprang, Zähne gefletscht, Speichel spritzte aus seinem Maul. Jiang Chengs Hände reagierten von selbst, formten das Siegel, das die Seele des Schwertes befehligte. Ein roter Blitz durchzuckte die Höhle und Suibian hieb dem Wolf den Kopf ab.


Nachwort zu diesem Kapitel:
An dieser Stelle sollte ich vielleicht kurz vorwarnen, dass die nächsten beiden Kapitel noch etwas im Umbau begriffen sind. Vor allem das nächste habe ich im Vergleich zum ersten Entwurf ganz grundlegend überarbeitet, was noch mal viel Zeit in Anspruch genommen hat. Aber ich bin mittlerweile zuversichtlich, dass ich pünktlich in einer Woche wieder updaten kann. :) Drückt mir zur Sicherheit bitte trotzdem die Daumen. ^^° Auch mit dem übernächsten Kapitel. Da gibt es noch mehr zu tun. ^^° Aber nun verabschiede ich mich erst mal in die Winterferien Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Duchess
2022-12-29T15:52:26+00:00 29.12.2022 16:52
Ja „irgendwie“ war sein Fuß freigekommen warum sich da auch Gedanken zu machen, wie es so plötzlich sein kann.
Und wieder kommt der Schmerz zurück bzw wird das negative Qi stärker. Letzteres scheint mir zumindest am plausibelsten.
Aber so festgefahren wie er gerade in seinem Hass und seiner Verzweiflung ist, konnte er nur noch mal versuchen alles an seinem Bruder ab zu lassen.
Und ausgerechnet in dieser Situation schafft er es auch noch ihn zu treffen q.q
Und dann kommt da auch noch dieser Wolf um die Ecke. Also gerade ist der Ärmste echt am Arsch. Ich kann seine blanke Verzweiflung so gut nachvollziehen. Er hat keine effektive Möglichkeit sich irgendwie zur Wehr zu setzen, niemanden der ihn gerade beschützen würde und keine Fluchtmöglichkeit. Alles was ihm bleibt ist dieses verzweifelte Kratzen am Geröll und das Rufen nach seinem Mann.
Wenigstens scheint zumindest das etwas in Jiang Cheng bewirkt zu haben.
Das Schlimmste hat er seinem Bruder ersparen können, obwohl er mal wieder so arg hin und hergerissen ist und sich tatsächlich dann und wann klare, kühle Gedanken Bahn brechen.
Was für ein hin und her!
Und welch Glück für Wei Wuxian
Antwort von:  Lady_Ocean
30.12.2022 05:44
*hihi* Sogar das mit dem Fuß hast du sofort bemerkt. ;)
Es hat mich sehr gefreut, im alten Jahr noch mal von dir zu hören. Danke, dass du dir sogar fürs Kommentieren immer so viel Zeit nimmst! Guten Rutsch und bis im neuen Jahr hoffentlich! ^^
Antwort von:  Duchess
30.12.2022 06:28
Das mit dem Fuß war so dermaßen unauffällig auffällig XD
Es macht halt Spaß diese kleine Geschichte zu lesen, vor allem da sie ein eher ungewöhnliches Thema behandelt und ich es ausnahmsweise mal schaffe auch während des aktuellen Entstehens bzw Uploads mal was kommentieren zu können.
Sonst hab ich leider meist das Pech fertige oder abgebrochene Ffs zu lesen, wo ich nicht weiß ob sich der Autor noch drüber freut.
Umso mehr macht es mir Spaß, dass du dich auch hier immer wieder kurz meldest ^^
Ich wünsche dir noch einen guten Rutsch
Antwort von:  Lady_Ocean
30.12.2022 08:23
Dass das für dich "dermaßen unauffällig auffällig" war, ist ein unglaublich wertvolles Feedback für mich (auch an vielen anderen Stellen), weil ich mir beim Schreiben halt oft den Kopf darüber zerbreche, wie explizit ich werden muss, damit die Dinge bei den Lesern ankommen. ^^° Dass Wei Wuxian JC da in der einstürzenden Höhle geholfen hat, war z. B. eine der Sachen, bei denen es mir wichtig war, dass das verstanden wird. Bei dem Fuß hatte ich gehofft, dass das deutlich wird, aber auch, dass ich nicht explizit darüber schreiben muss, weil ich nicht riskieren wollte, dass es gestellt wirkt (und es sollte auch nicht von der Haupthandlung ablenken). Aber wenn das zu schwer zu erschließen gewesen wäre oder vielleicht sogar für Verwirrung gesorgt hätte ("Wie hat er denn nun während eines Hustenanfalls seinen Fuß da raus bekommen?"), hätte ich es später explizit eingebaut.
Dass du zu so einem tollen Zeitpunkt diese FF entdeckt hast, ist für mich ja ein genauso großes Glück. Ich hätte sie so oder so zu Ende geschrieben und fertig hochgeladen, egal, ob nun Kommentare kommen oder nicht. Aber Man freut sich einfach so unglaublich, wenn man weiß, dass da auf der anderen Seite des Internets noch andere Leute sind - wenigstens ein Mensch - die mit diesem Problem und dem hier vorgestellten Lösungsvorschlag ebenso mitfiebern. Die grundlegende Idee zu dieser Eskalation und Aussprache kam mir, als ich den Roman zum zweiten Mal durchgelesen hatte. Ich fand es einfach sooooooo traurig, was da zwischen den beiden alles zerbrochen ist und dass sie nicht mehr die Chance hatten, das zu richten, obwohl sie sich im Grunde beide danach gesehnt hatten. Vor allem Jiang Cheng. Mit seinem Gedanken da am Ende noch. Dass er, als sie nach dem Verlust des Lotus Piers auf der Flucht waren, die Wens ganz bewusst weggelockt hatte, um Wei Wuxian zu beschützen. T___T


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