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Bruder

von
Koautor:  YoungMasterWei

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Versprechen

Jiang Cheng durchbrach die letzte Barriere wilder Zombies, seine Arme längst bleiern und taub vom stundenlangen Niedermähen dämonischer Kreaturen, Sandus grelles violettes Leuchten unter den zahllosen Schichten an Schmutz, Schleim und Hautfetzen kaum noch zu erahnen. Erschöpft lehnte er sich für einen Augenblick an den Eingang der Höhle, die die letzte Bastion des Yiling-Patriarchen darstellte, zwang seine Atmung in einen ruhigeren Rhythmus. Irgendwo inmitten dieses Chaos hinter ihm kämpften noch immer die Mitglieder seines Clans zusammen mit ihren Verbündeten, den Lin und Nie. Er hatte längst alle aus dem Auge verloren.

Was für ein mieser Clanführer ich bin.

Aber jetzt war nicht die Zeit, um zu reflektieren oder Schwäche zu zeigen. Er musste diesem Terror ein Ende bereiten! Sobald die Wurzel allen Übels aus der Welt geschafft war, würde das Toben auf den Grabhügeln enden. Das war der einzige Weg, und er führte direkt hinunter in den schwarzen Schlund, aus dem beständig feine Schwaden diabolischer Yin-Energie strömten.

Jiang Cheng erneuerte den Griff um sein Schwert, stützte sich von der Höhlenwand ab und hiefte sich weiter. Es war nicht nur die Verantwortung für seinen Clan, die ihm ungeahnte Kräfte verlieh. Seine Lippen pressten sich mit grimmiger Genugtuung zu einem blutleeren Schlitz zusammen.

Er war der Erste hier. Er würde diesem Bastard den Todesstoß versetzen. Er würde ihm heimzahlen, ihm Yanli, seine geliebte Schwester geraubt zu haben!

Wei Wuxian!!

Dort saß er, der Dämonenfürst, umhüllt von tiefschwarzen Schwaden, die Augen leuchtend in diesem irren Rot, welches der Welt der Kultivatoren das Fürchten gelehrt hatte, gebeugt über ein kaum handtellergroßes, pulsierend leuchtendes Objekt, dem er beständig schwarze Energie einflößte. Als ob Jiang Cheng ihn mit dem verfluchten Yin-Tiger-Amulett noch mehr Schaden anrichten lassen würde!

Jiang Cheng stürmte voran, riss Sandu hoch und durchbrach das letzte Siegel, das ihn von seiner Nemesis trennte. Mit einem Knall, der die Höhlenwände erzittern ließ, zerbarst die Barriere, und erst jetzt bemerkte der Dämonenfürst in ihrem Zentrum den Eindringling. Wei Wuxians rechter Arm schnellte hoch, mit einem donnernden “NEIN!!” jagte er dunkle Energie in Jiang Chengs Richtung. Doch die Tentakel kamen nicht weit. Wellen schwärzester Energie pulsierten aus dem Tiger-Amulett, erfüllten die Höhle, durchdrangen Jiang Chengs Körper und raubten ihm den Atem.

Wei Wuxians Tentakel schlugen einen Haken, attackierten nun das immer greller aufleuchtende Siegel, doch offenbar ohne Wirkung. Der Yiling Patriarch warf sich darüber,  riss erneut den Kopf hoch und brüllte, schrill, die Augen panisch aus den Sockeln tretend: “VERSCHWINDE!!”

Die negative Energie wurde zurück in das Amulett gesogen, zusammen mit Wei Wuxians eigenem Qi, komprimierte sich zu einem gleißenden Strahlen, so durchdringend, dass es selbst den Körper seines Schöpfers durchleuchtete -

um sich im nächsten Augenblick in einer ohrenbetäubenden Detonation zu entladen.

 

“WUXIAN!!!”

Jiang Chengs donnernde Stimme riss den Traum in Fetzen, doch seine schattenhaften Krallen hielten ihn eisig umklammert. Sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb, sein gesamter Körper zitterte und war von kaltem Schweiß überzogen. Und noch immer sah er nichts anderes als diesen panischen Blick, hallte dieser letzte verzweifelte Schrei in seinen Trommelfellen wider und wider. Der Moment, als das Siegel außer Kontrolle geriet und seinen Meister in so kleine Teilchen zersetzte, dass nicht einmal ein Haar übrig geblieben war, war unbarmherzig in seinen Geist gebrannt. Jiang Cheng schloss die Augen, bedeckte Mund und Nase mit einer Hand und konzentrierte sich darauf, die Übelkeit niederzukämpfen.

Es war nur ein Traum. Doch die Eindrücke waren so real wie in jener Nacht, und statt zu verblassen, wurden sie mit jedem Mal intensiver.

Er schwang die Beine aus dem Bett, warf sich einen einfachen Umhang über und wie von selbst führten ihn seine Schritte zu den Gemächern seiner Geschwister. Egal, wie lange sie schon fort waren - Jiang Cheng hatte es nie über sich gebracht, die Zimmer für neue Zwecke umbauen zu lassen. Dabei war gerade das von Wei Wuxian nichts als eine Farce. Die alten Bilder, seine Basteleien, die Kritzeleien an seinem Bett waren ohnehin längst fort, den Flammen zum Opfer gefallen, als sein Clan den Wens in die Hände gefallen war. Alles, was danach kam, war eher steril geblieben. Wei Wuxian war nicht mehr derselbe gewesen. Keine Kritzeleien mehr, keine Spiele, keine schmutzigen Heftchen. Er hatte sich einzig in seinen skurrilen Experimenten vergraben und alles mitgenommen, als er ihm und dem Clan den Rücken gekehrt hatte. Den kläglichen Rest, der zurückgeblieben war, hatte Jiang Cheng persönlich zu Kleinholz verarbeitet, nachdem Yanli seinem Leichtsinn und seiner Überheblichkeit zum Opfer gefallen war. Und erst vor fünf Monaten wieder aufbauen lassen, nachdem sich der Staub vom Vorfall im Guanyin-Tempel etwas gesetzt hatte. Wuxians Zimmer? Was für ein heuchlerischer Witz!

Lange Zeit war Chenqing das einzige Überbleibsel seines früheren Bruders gewesen. Nun war die Geisterflöte zurück bei ihrem Besitzer und das Schwert Suibian hatte ihren Platz eingenommen. Jenes durchbohrte er nun mit hasserfüllten Blicken, die Hände auf seinen Oberschenkeln zu Fäusten geballt, vor Zorn bebend.

“Bastard!”, zischte er durch zusammengebissene Zähne. “Warum verfolgt mich dein verdammter Schatten immer noch?”

Warum ausgerechnet dein goldener Kern? Und dann verschwindest du mit so 'ner Ansage, dass das alles nicht mehr von Bedeutung ist?!

Am liebsten würde er ihm seine Faust ins Gesicht rammen, doch in Ermangelung des eigentlichen Zieles seiner Wut diese an Suibian auszulassen, machte selbst in seiner jetzigen Rage wenig Sinn.

“Wie mickrig soll ich mich neben dir eigentlich noch fühlen? Du mit deinem arroganten Heldensyndrom! Ich hab nie darum gebeten, deinen verfickten Kern zu bekommen!”

Wie jede Nacht lieferte er sich einen erbitterten Kampf mit den Tränen. Er hasste sie. Hasste die Sentimentalität, die Schwäche, die sie verrieten. Hasste Wei Wuxian dafür, ihn in solch einen miserablen Zustand zu versetzen.

Die Explosion am Grabhügel hatte ihn zerbrochen. Die Panik, als er von Nie Mingjue, Jin Guangshan und den Anhängern ihrer Clans umringt war, stand jener verhängnisvollen Nacht, in der er seine Mutter, seinen Vater, seinen Clan, seine Heimat - sein gesamtes Leben verloren hatte, in nichts nach. Der Schock war erstickend.

“Zerfetzt. Von seinen eigenen Dämonen”, bekam er schließlich herausgewürgt, als er das Bewusstsein wiedererlangte und die Fragen nach den Geschehnissen in der Höhle auf ihn niederprasselten. Zahllose Hände versorgten mit heilendem Qi seine Wunden, beruhigten seine Atmung und stabilisierten seinen goldenen Kern. Er wäre beinah einer Qi-Entartung erlegen.

Er hatte es nicht ertragen. Es konnte nicht wahr sein. Es DURFTE nicht! Und so tat er das Einzige, wozu er in diesem Zustand totaler Verlorenheit fähig gewesen war: die ganze Sache neu zu interpretieren. Wei Wuxian hatte die Macht des Amuletts auf ihn losgelassen. Sie war ihm außer Kontrolle geraten und im letzten Moment hatte er sich über das dämonische Artefakt geworfen, um ihn mit sich in die Hölle zu reißen. Der panische Blick? Der verzweifelte Schrei? Alles Einbildung. Ein Trick seines schwachen Herzens, das offenbar immer noch nicht akzeptieren wollte, dass Wei Wuxian der dämonischen Macht doch verfallen war, diese ihn über seinen Hochmut in solch ein Monster verwandelt hatte. Dreitausend Kultivatoren hatte er hingerichtet in der Nachtlosen Stadt, kaum mehr von einem wilden Zombie zu unterscheiden, blutüberströmt, schreiend, jaulend, mit blanken Händen Berge von Flüchtenden und Toten in Stücke reißend. Das war es, was aus Wei Wuxian geworden war. Mit dieser Überzeugung war endlich Ruhe eingekehrt in sein Gemüt und er hatte Wei Wuxian dreizehn Jahre lang aus ganzem Herzen hassen können für all das, was dieser Bastard ihm genommen hatte.

Bis er wieder aufgetaucht war und sein penibel zurechtgelegtes Weltbild aus den Fugen brachte. Mit seiner immerwährenden dämlichen Angst vor Hunden, seiner Sorge um Jin Ling. Der erneuten Eskalation am Grabhügel und seiner dummen Aktion mit dem Geister-anziehenden Talisman als der ewige Märtyrer, der er war.

Und als wäre dem nicht schon genug, tauchte diese Pest von einem Wen mit Suibian auf und schleuderte ihm die Wahrheit über den goldenen Kern seines einstigen Bruders ins Gesicht.

Es hatte die ganze verfickte Welt auf den Kopf gestellt! Jiang Cheng wusste nicht mehr, was er tun oder auch nur denken sollte. Er wollte sich diesen Frust von der Seele schreien. Seine Hände um eine Kehle schließen, bis all der Zorn aus ihm geblutet wäre. Nur um wessen? Wen Nings? Hanguang Juns? Wei Wuxians? Für die Albträume, die dieser Bastard ihm bescherte? Seit einem halben Jahr hatte Jiang Cheng keine ruhige Nacht mehr verbracht, Übelkeit und Herzrasen waren seine ständigen Begleiter.

“Und dann besitzt du auch noch die Dreistigkeit, einfach deines Weges zu gehen. Und ich? Was soll ich bitteschön tun? Egoistischer Bastard!”

Doch Suibian blieb so stumm wie eh und je. Langsam verebbte Jiang Chengs Zorn und ihm wurde wieder klar, wie lächerlich er sich benahm. Zum Glück schlief der Lotus-Pier um diese Zeit, und die gesamte Jiang-Residenz sowieso.

“Wasser-Ghouls greifen an!”, schallte es plötzlich durch die Nacht.

“Wo ist Clanführer Jiang?”

Sofort entwickelte sich ein ganzes Chaos aufgeregter Stimmen.

“In seinen Gemächern habe ich ihn nicht gefunden!”

“Sucht weiter!”

Jiang Chengs rechte Augenbraue zuckte.

Wasser-Ghouls?

Solch ein Aufstand wegen ein paar Wasser-Ghouls? Wofür trainierten sie eigentlich, wenn wegen jeder Lappalie nach ihm geschrien wurde?!

Unfähiges Pack! Ab morgen wird das Trainingsprogramm verdoppelt!

Ruckartig stand er auf, drauf und dran, in sein Zimmer zurückzustürmen, um sich Sandu zu schnappen. Doch nach dem ersten Schritt hielt er inne. Zögerlich warf er einen Blick über die Schulter zurück, wo Suibian  auf seinem Ständer ruhte und Wei Wuxians Stimme ihm einladend zuflüsterte: ‘In Zukunft wirst du der Clanführer sein und ich bin dein Untergebener. So wie Gusu Lan seine zwei Jadeprinzen hat, hat der Yunmeng Jiang-Clan seine zwei stolzen Helden!’

Jiang Cheng schnalzte brüsk mit der Zunge.

Wird Zeit, dass du dein Versprechen einlöst, Bastard.

In einer fließenden Bewegung ergriff er das Schwert und stürmte nach draußen, um der nächtlichen Störung ein Ende zu bereiten.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nun kommt langsam Bewegung in die Sache. :) An einigen Kapiteln sind noch Ausbesserungen vorzunehmen und das Ende ist noch nicht fertig geschrieben (aber fertig im Kopf). Aber ich hoffe, dass ich ca. einmal pro Woche ein Update geben kann. :) Und ich wäre echt gespannt zu erfahren, inwieweit ich eurer Meinung nach Jiang Chengs Zwiespalt und den weiteren Werdegang des Brüder-Konflikts getroffen habe. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  _Scatach_
2023-01-22T21:36:49+00:00 22.01.2023 22:36
Ah und da erübrigt sich meine Frage, ob wir auch Jiang Chengs Sicht lesen werden :D Sehr spannend, dass es nach Wei Yings Blickwinkel direkt zu ihm wechselt. Gefällt mir aber gut, da man dadurch einen direkten Vergleich zwischen den beiden Charakteren ziehen kann.
Interessant, dass der erste Gedanke, den man als Leser von Jiang Cheng zu lesen bekommt 'Was für ein mieser Anführer ich bin' ist - auch wenn es nur ein Traum ist. Ein harter Kontrast zu seinem äußerlich extrem selbstsicheren, arroganten Auftretens, wie ich finde. Offenbar ist er sehr von Selbstzweifeln zerfressen und macht sich selbst kleiner, als er eigentlich ist, obwohl er das gegenüber anderen vermutlich niemals zugeben würde. Schwäche zeigen ist ja ein absolutes No Go für ihn, was aber angesichts seiner Geschichte und seiner Erziehung wenig verwunderlich ist. Spannend, wie sich das bis in sein tiefstes Unterbewusstsein zu ziehen schein. Auf der anderen Seite finde ich diese - wenn auch sehr negativ konnotierte - Selbstreflexion sehr bewundernswert. Sich Fehler eingestehen zu können ist wichtig und zeugt durchaus von Reife. Und dann natürlich der Schrei nach Wei Wuxian am Ende des Traums, als der ja scheinbar stirbt. Also scheint er ja trotz allem um seinen Bruder besorgt zu sein, ja, vielleicht sogar Angst zu haben. Hoffentlich ein Zeichen dafür, dass Jiang Cheng in der Lage ist, diese Reife und diese Sorge auch außerhalb seiner Träume auch in Bezug auf den Konflikt mit Wei Ying zu zeigen.
Ich denke aber schon auch, dass diese Träume sehr an ihm zehren, immerhin redet er sich ja ununterbrochen ein, er würde Wei Wuxian hassen und nicht Angst um ihn haben.
Dieser innere Konflikt scheint ihm sowohl mental, als auch emotional und sogar körperlich extrem viel abzuverlangen. Immerhin ist es auch nicht einfach, mit der Tatsache umzugehen, dass die Geschehnisse, wie man sie sich Jahre lang ausgemalt hat und die man für unumstößliche Tatsachen gehalten hat, dann doch gar nicht so abgelaufen sind. Ich glaube nicht, dass er das einfach so akzeptieren kann, geschweige denn will.
Finde es auch spannend, dass Jiang Cheng alles Überbleibsel von Wei Wuxians Anwesenheit vernichtet hat, scheinbar sogar auf sehr emotionale Weise, wenn man 'zu Kleinholz verarbeiten' wortwörtlich nimmt - und auf der anderen Seite davon bringt er es nicht über sich, das Zimmer seines Bruders umzubauen, ihm einen neuen Zweck zu geben. Der Zwiespalt zwischen Ablehnung/Hass und dem Wunsch nach Nähe/einem brüderlichen Band ist fast schon körperlich greifbar. Man merkt richtig, wie sehr ihn diese Sache beschäftigt und das nicht erst seit gestern, das bringst du wirklich super rüber!
Ja, dass er Wei Wuxians goldenen Kern hat, ist auch schwer für ihn zu schlucken glaub ich. Ich denke, tief in seinem Innersten bedeutet ihm das VERDAMMT viel. Weswegen es ihn glaube ich auch so tief verletzt hat, dass Wei Wuxian das so legere abgetan hat. Dieses 'Passt schon, lass uns nicht drüber reden. Ist doch nicht der Rede wert.' Für ihn ist es eben schon der Rede wert. Für ihn ist es verdammt wichtig glaube ich. Auch wenn Wei Wuxian seine Worte sicher nur gut gemeint hat, ich kann verstehen, dass Jiang Cheng von ihnen hart getroffen ist. So zu tun, als wäre es nicht von Belang, wo es doch eine wirklich lebenswichtige, tiefgreifende Sache ist.
Immerhin hätte Wei Wuxians Leben eine ganz andere Richtung eingeschlagen, wenn er seinen goldenen Kern behalten hätte. Ich denke, das wird Jiang Cheng so langsam immer klarer...das Wei Wuxian sich nur deswegen den dämonischen Künsten zuwenden musste...und da beginnt eben der Rattenschwanz. Ich weiß nicht, ob sich Jiang Cheng wirklich schuldig fühlt, aber ich denke, dass er Wei Wuxian zumindest nicht mehr so sehr verdammt, wie anfangs.
Ich finde es auch so schön, wie er am Ende nach dem Schwert greift und sich an die Worte seines Bruders erinnert. Ein kleiner Sieg der brüderlichen Liebe über den Hass. Hach, ich freu mich schon so darauf, wie es weitergehen wird :)
Vielen Dank für dieses tolle Kapitel! <3
Antwort von:  Lady_Ocean
24.01.2023 07:10
Auch hier Danke für deine interessanten Gedanken! ^^

"Ein harter Kontrast zu seinem äußerlich extrem selbstsicheren, arroganten Auftreten"
Ich glaube, gerade _weil_ er innerlich so extrem unsicher ist, trägt er diese enorme Härte und diese Selbstsicherheit nach außen. Weil er in dieser Hinsicht extrem verwundbar ist und diese große Schwäche tunlichst verbergen will. Ist zwar ein etwas anderer Bereich, aber die fröhlichsten, positivsten Menschen sind nach innen hin oftmals auch die, die am meisten leiden und zweifeln, was?

Diesen Traum mag ich persönlich übrigens ziemlich gern. Denn man erfährt in der original Geschichte ja nur Bruchteile davon, was tatsächlich passiert ist. Und diese Theorie, dass Wei Wuxian sich im entscheidenden Moment geopfert hat, um Jiang Chengs Leben zu retten, passt in diese paar Hints super rein ("Sein liebster Shidi hat ihn getötet!", "Er ist von seinen eigenen Zombies gerichtet worden!", "Nicht mal ein Haar ist von ihm übrig geblieben!")

Insgesamt ist Jiang Cheng hier (so vermute ich jedenfalls) noch ziemlich stark in der Phase des Verdrängens. Ich vermute, so wie du, dass es ihm einfach zu viel abverlangen würde, sich jetzt einzugestehen, dass all der Hass, all die Schuldzuweisungen und auch Wei Wuxians Tod vor 13 Jahren vollkommen unbegründet waren. Na ja, das mit dem Tod ist unweigerlich schon ein ganzes Stück weit zu ihm durchgesickert, aber verarbeitet hat er das auch noch nicht. Im Moment würde er daran zerbrechen, glaub ich. Er ist halt auch total allein am Lotus-Pier, Sektenführer, ohne Familie - bis auf einen Neffen, der es oben in Langlin noch viel schwerer hat und für den er genauso eine Stütze sein muss wie für seinen Clan. Jiang Cheng kann es sich überhaupt nicht leisten, jetzt einzuknicken. :(
Antwort von:  _Scatach_
25.01.2023 16:15
Stimmt, das macht natürlich Sinn, dass er nach außen hin 'den Harten markiert', um über seine Unsicherheit und irgendwie auch seine tiefe Emotionalität hinweg zu täuschen, denn irgendwie ist er ja schon sehr sensibel.

Da hatte ich noch gar nicht so drüber nachgedacht, aber ja, man weiß ja wirklich eigentlich gar nicht, was genau letztendlich passiert ist. Da ist der Traum wirklich eine tolle Möglichkeit, ein tieferes und anderes Licht auf dieses ganze Ereignis zu werfen. Würde auch definitiv zu Wei Wuxian passen, dass er sich opfert, um seinen Bruder zu schützen.

Er ist wirklich sehr einsam ja...und ich denke, wenn er jetzt auch einfach so zulassen würde, dass diese Emotionen, dieser umaufgearbeitete Konflikt zu sehr sein Leben bestimmen, dass das verheerende Folgen für die Sekte haben könnte, denn wer kümmert sich denn um alles, wenn Jiang Cheng zusammenbricht? Er trägt schon wirklich eine enorme Last und Verantwortung, die einem so auf den ersten Blick überhaupt nicht bewusst sind.
Von:  Duchess
2022-11-16T01:25:29+00:00 16.11.2022 02:25
Sehr lebhafter Traum. Den seit Monaten immer und immer wieder und davor sicher ähnliche müssen ihm doch extrem an die Substanz gehen?!
Es wirkt als würde die Aufarbeitung seiner Gefühle viel Zeit in Anspruch nehmen und sich nur sehr langsam entwickeln.
Momentan brodelt noch der Hass über allem. Hass und Trauer. Es kommt immer wieder dieser Anklang rüber, dass die Situation eigentlich eine andere war als er sie sich ausmalt und hineingesteigert hat, aber nach 13 Jahren ist er wohl gut trainiert darin.
Auf der anderen Seite wiederum hat er zum Schluss ausgerechnet nach Suibian gegriffen, statt nach Sandu. Irgendwo in ihm steckt also noch der Wunsch, dass er an seiner Seite wäre, so wie er es einst versprach.
Wäre der Hass tiefer oder besser gesagt nicht der innere Wunsch da, dass sein Bruder doch noch da wäre, dann hätte er längst das Schwert und das Zimmer klanglos vernichtet, bzw. umgewidmet.
Die Darstellung dieser Situation kam echt schön rüber.
Ich frage mich auch heute noch, ob Jiang Cheng durch das Wissen um den goldenen Kern nun die Schuld am Tod seiner Schwester nun zu Teilen auf sich zieht?
Wei Wuxian hatte den dämonischen Weg ja u.a. gewählt, da er eben keinen goldenen Kern mehr besaß zu dem Zeitpunkt.
Ob sie gegen die Wens damals gesiegt hätten, wenn Wei Wuxian mit seinem goldenen Kern statt der Übermacht der Toten angegriffen hätte, sei mal außen vor gelassen.
Aber Wei Wuxian hat nie den Tod ihrer Schwester gewollt. Ich denke das weiß Jiang Cheng auch. Er wurde letzten Endes aber in eine Enge getrieben in die er vielleicht nicht gekommen wäre, wenn er seinen goldenen Kern behalten hätte.
Ich bin auf jeden Fall gespannt wie du es hier in der Ff weiter ausführen wirst ^^
Antwort von:  Lady_Ocean
17.11.2022 07:14
Erst mal vielen lieben Dank für deine beiden Kommentare! Ich freu mich so sehr, dass dieses Thema auch andere LeserInnen außer mir beschäftigt. :D
Und ich finde deine Gedanken zu Jiang Chengs Gefühlswelt, dem Grad seiner Aufarbeitung und dem Spannungsverhältnis zwischen seinem Hass und seiner Sehnsucht sehr schön. So hatte ich es mir im Grunde genommen auch vorgestellt und ich bin sooooooo froh, dass das auch rüberkommt!
Gute Frage, ob Jiang Cheng sich durch das Wissen um den goldenen Kern nun auch eine Mitschuld am Tod von Yanli gibt. Ich vermute schon. Jetzt aktuell vielleicht noch nicht, weil er ja ziemliche Angst vor der Schuld hat, die da in den Tiefen seines Unterbewusstseins lauert. Momentan kratzt er eher an der Oberfläche des Problems. Aber ich vermute, dieser Gedanke wird noch kommen.


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