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Ein Moment

Ryousuke x Mizusawa
von

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Warnungen für diesen Teil: Androhung von Gewalt, eine Prügelei, Blut, homophobe Beschimpfungen (fühlt euch gewarnt).
 

Die nächsten beiden Tage läuft es wieder entspannter zwischen ihnen.

Sie reden nicht viel miteinander, aber Taku fühlt sich wenigstens nicht jedes Mal so, als ob die gesamte Luft aus dem Raum gesaugt wird, sobald er Ryousuke sieht.

Er geht wieder zum Training.

Ryousuke trägt die Haare immer noch offen, aber wenn er Taku sieht, lächelt er wenigstens zaghaft in seine Richtung. Ansonsten hält er sein Versprechen und hält sich taktvoll auf der anderen Seite der Matte auf.

Sogar Yuuta hat mitgeschnitten, dass sie im Moment wirklich nichts weniger tun wollen als an einer gemeinsamen Figur zu arbeiten und hat die neue Choreographie vorerst auf Eis gelegt. Vielleicht hat Wataru auch dezent dabei nachgeholfen, Taku ist nicht ganz sicher. Wataru kriegt manchmal viel mehr mit als man ihm zutraut.

Stattdessen werden Sprünge und Saltos geübt, vorwärts und rückwärts, einfach, zweifach und dreifach, so lange bis die gesamte Halle vor Takus Augen kreiselt, und er einmal nachts aus dem Bett fällt, weil er sogar im Schlaf noch versucht sich nach hinten abzustoßen.
 

Es ist der Freitag, er ihm beinah das Genick bricht.

Wortwörtlich.
 

Taku ist nicht einmal überrascht.

Er hat gewusst, dass es passieren wird.

Seit dem Augenblick an dem Hamada aus der Parallelklasse sich im Flur zu ihm hinunter gebeugt und gezischt hat: ‚Du bist tot, du kleiner Homo, ich mach dich kalt‘, hat er es gewusst.

Das ist das, was mit Leuten wie ihm passiert.

Die kriegen kein Happy End. Die kriegen eine Eisenstange ins Genick.
 

Seit dem isst er allein im Clubhaus zu Mittag.

Seitdem macht er riesige Umwege um nach Hause zu kommen und versucht nie zweimal den gleichen Weg zu benutzen.

Seitdem zuckt er zusammen wenn ihn jemand überraschend anspricht.
 

Dass es auf Dauer nichts nützen wird, ist ihm selbst immer klar gewesen.
 

Sie erwischen ihn auf seinem Heimweg, kurz vor der Brücke.
 

Diesmal sind sie zu fünft, vielleicht auch zu sechst. Taku sieht sie nur aus den Augenwinkeln, während er stur gerade ausblickt. Die Nachmittagssonne brennt heiß auf das Pflaster und verschmilzt ihre Schatten zu einem großen, krakenartigen Monster, das sich bedrohlich hinter ihm aufbaut.
 

„Oi! Bleib stehen!“
 

Taku bleibt nicht stehen. Sein Herz pocht heiß in seiner Brust.

Er zwingt sich einfach ruhig weiterzugehen. Nicht wegrennen. Keine Angst zeigen.

Vielleicht ist es wie bei Raubtieren, denkt er. Man darf ihren Jagdinstinkt nicht wecken.

Tot stellen. Das ist es, was sie in allen Tiersendungen auf dem Discovery Channel sagen. Man muss sich tot stellen und hoffen, dass das Raubtier dich dann für uninteressant genug hält, damit es dir nicht die Kehle durchbeißt.

Tot stellen.

Einfach weitergehen.

Ignorieren.
 

„Hey, Schwuchtel!“ höhnt die Stimme erneut. „Bleib stehen.“

Eine Hand packt nach seiner Schulter und reißt ihn herum. Seine Tasche rutscht ihm von der Schulter und er wird mit dem Rücken gegen das Brückengeländer gepresst.

Ignorieren ist leichter bei einem Tiger.
 

„Ich rede mit dir!“ Heißer biergetränkter Atem schlägt ihm ins Gesicht. „Bist du taub oder was?“
 

Alkohol.

Takus Herz rutscht in die Hose. Das ist nicht gut.

Alkohol senkt die Hemmschwelle deinen kleinen schwulen Mitschülern etwas anzutun, und zwar ganz dramatisch.
 

„Ich hab dir doch gesagt, ich mach dich kalt“, tönt Hamada. „Hast es mir wohl nicht geglaubt, was?“
 

Doch. Hat er. Aber was hätte er denn machen sollen? Außer einen Versetzungsantrag stellen und nach Osaka ziehen?

Wohlweislich sagt Taku nichts davon.
 

„Das ist der kleine Homo, der auf die Kara High geht“, fährt Hamada fort. „Den Anblick muss ich jeden Tag ertragen. Könnt ihr euch das vorstellen?“
 

Hinter ihm werden Stimmen laut, die Dinge wie "eklig", "widerlich", "ich würde kotzen" von sich geben.
 

„Du stehst doch drauf, wenn dir mal ein Kerl so nah kommt, oder? Passiert sicher nicht allzu oft!“ Er bohrt auffordernd den Zeigefinger gegen Takus Brust. „Hey, ich rede mit dir!“ Der Zeigefinger bohrt sich gnadenlos in sein Brustbein.
 

Taku schweigt.
 

Eine Sekunde später wird die ganz Welt ruckartig nach rechts gedreht und das Geländer bohrt sich schmerzhaft fest in seinen Rücken, als er dagegen geschleudert wird.

Eine Faust hat sein Gesicht getroffen.

Taku hat sie nicht kommen sehen. Einen Augenblick ist er so perplex und erstaunt, dass es nicht einmal wehtut.

Unendlich langsam wendet er den Kopf. Mit sekundenlanger Verspätung beginnt seine Wange zu pochen und er spürt wie seine Augen sich reflexartig mit Tränen füllen.

Hamada hat ihn geschlagen. Ins Gesicht.

Scheiße, tut das weh.
 

„Na los, sag es! Du bist ‚ne Schwuchtel“, faucht Hamada, als ob er eine Frage stellt.
 

„Ja“, hört Taku sich selbst antworten. Seine Stimme kommt von weit weg. Sein ganzes Gesicht pocht und er blinzelt tapfer gegen den Tränenschleier an, der ihm die Sicht raubt.

Sie johlen um ihn herum wie Hyänen. In diesem Moment fühlt er sich nicht mehr schicksalsergeben.
 

Er wird es hinnehmen, hat er sich vorgenommen.

Er wird akzeptieren, dass das sein Schicksal ist, weil er das immer schon gewusst hat.

Er wird nicht rumjammern.

Er wird es hinnehmen wie ein Mönch, ausgeglichen und eins mit dem Universum und … OH MEIN GOTT, NEIN WIRD ER NICHT.
 

Okay, zurück! Zurück.

Er zieht es zurück. Er will nicht mehr. Stopp!

Panik macht sich in seinem Körper breit wie heiße Lava.

Das ist alles Blödsinn. Hat er einen an der Waffel?

Was hat er sich dabei gedacht, als er angenommen hat, er würde sich einfach hinlegen und sterben?
 

Er will nicht sterben.

Zumindest 23 aus 24 Stunden will er nicht sterben, höchstens manchmal, ganz kurz, in der einen Stunde zwischen zwei und drei Uhr morgens, die einsamste, dunkelste Zeit jeden Tages.

Aber sonst eigentlich nicht.

Er will nicht sterben. Er will auch nicht verprügelt werden. Er will keine Eisenstange auf den Kopf kriegen.

Er will…
 

Er will rhythmische Gymnastik machen mit Yuuta und den anderen. Er will die Schule fertig machen. Er will Sonnenuntergänge sehen und barfuß über den Strand laufen. Er will den Führerschein machen, seine Lieblingsband mindestens einmal life sehen und nach Europa reisen.

Er will wenigstens noch einen Moment mit Ryousuke haben. Und noch einen. Und vielleicht noch einen dritten.

Vielleicht steht ihm das alles nicht zu, aber er will… er will…

Er will.
 

Vielleicht ist es Watarus Schuld und die seiner vielen anfeuernden Reden. Vielleicht ist es sogar Yuuta, der irgendwann die weltbewegende Einsicht hatte, das es in Ordnung ist einen Wettbewerb sausen zu lassen, um deine Freunde zu retten.

Vielleicht ist es Ryousukes Schuld, und vielleicht sind es die vielen ketzerischen Gedanken, die er in seinem Kopf ausgesät hat wie kleine Blumen der Rebellion.
 

‚Ich MAG dich‘

‚Du bist wahnsinnig süß wenn du lächelst‘

‚Und ich will das alles mit dir machen, Händchen halten auf der Brücke und Küssen am Strand und noch viel mehr…‘
 

„Lass mich in Ruhe“, platzt es aus ihm heraus.
 

Um ihn herum wird gegrölt.
 

„Du stehst doch drauf“, bestimmt Hamada. „Dir geht doch einer ab, wenn dich ein Kerl anfasst.“
 

Taku atmet tief durch. „So funktioniert das nicht“, sagt er leise.
 

Die Typen um ihn herum johlen, als ob er genau das Gegenteil behauptet hätte, und direkt vor seinem Gesicht werden gelbliche Zähne gebleckt, als Hamada ihn noch fester gegen das Geländer drückt. Taku würde gerne weiter zurückweichen, aber es geht nicht.

„Ich seh doch, wie dir das gefällt, du kleiner Homo. Du siehst aus, wie jemand, der dazu da ist mir richtig gepflegt den Schwanz...“
 

Was er mit den Genitalien des Typen anstellen sollen, will Taku sich lieber nicht ausmalen, und zum Glück kommt der auch nicht mehr dazu es auszusprechen.
 

„Oi“, sagt eine Stimme. Eine Stimme, die Taku so bekannt vorkommt, dass sein Kopf unwillkürlich nach oben fliegt und er spürt wie seine Augen suppentellerweit werden.

Einen Augenblick lang glaubt er an Halluzinationen.
 

Es ist Ryousuke.

Taku hat keine Ahnung, wo er hergekommen ist. Er hat keine Ahnung wieso er hier ist. Das einzige was zählt ist, dass er hier ist.

Oh Gott sei Dank, denkt er impulsiv. Und gleich hinterher: Oh Gott. Nein.

Das ist nicht gut.
 

Ryousuke steht mitten auf der Brücke, den Rucksack lässig über seine Schulter geschlungen und den Kopf auffordernd zurückgeworfen. Es blitzt in seinen Augen und man sieht ihm an, dass er auf Krawall gebürstet ist.

„Ja, ihr“, sagt er ruhig, als sich endlich alle Typen der Reihe nach zu ihm umgedreht haben. „Pissnelken. Ich rede mit euch.“
 

„Wir sind beschäftigt“, gibt Hamada zurück, ohne Takus Hemd loszulassen.
 

„Schon gehört. Du suchst jemand, der dir den Schwanz lutscht.“ Ryousuke legt den Kopf schief und pustet eine kecke Haarsträhne aus seinem Gesicht, eine unendlich provokante, kleine Geste. „Weißt du was? 10.000 Yen und ich machs dir gleich hier“, bietet er an. „Mitten auf der Brücke.“
 

Hamada glotzt ihn an, offensichtlich vollkommen überfordert mit der unerwarteten Wendung der Ereignisse.

Taku kann das nachvollziehen. Er ist auch überfordert.

Ein Teil von ihm möchte Ryousuke zurufen, dass er verschwinden soll. Die sind doch zu sechst und er ist allein. Aber der größte Teil von ihm ist einfach nur starr vor Angst.
 

„Was denn? Ist das zu teuer?“ bohrt Ryousuke. Für jemanden, der ihn nicht gut kennt, mag er lässig, beinah überheblich aussehen. Aber Taku sieht seine Fäuste, die so fest geballt sind, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten und das Flattern seiner dunklen Wimpern, weil er viel zu schnell und viel zu viel blinzelt. Er sieht Taku nicht an. Nicht ein einziges Mal. Sein Blick ist fest auf Hamada gerichtet. „Für einen coolen Kerl für dich? Hey, ich mach dir schon ein Sonderangebot, weil es aussieht, als hättest du es nötig.“ Er macht eine eindeutige Handbewegung.
 

Das gibt den Ausschlag. Offensichtlich ist Taku doch nicht interessant genug, wenn gerade die eigene Männlichkeit zutiefst beleidigt worden ist.

Abrupt lässt Hamada sein Hemd los und dreht sich vollständig zu Ryousuke um.
 

„Verpiss dich du Penner!“ faucht er. „Ich bin kein Homo!“

Wie auf Kommando beginnen mehrere seiner Schlägertypen Ryousuke einzukreisen, und Taku spürt wie sein Herz in einer schwindelerregenden Talfahrt ins Bodenlose rutscht.

Nein, denkt er, beinah benebelt vor Angst. Und nochmal in Großbuchstaben: NEIN.
 

„Echt nicht?“ Ryousuke tritt einen Schritt zurück, die Hände entwaffnend vor sich erhoben. „Sorry, Junge, aber dann muss ich dir sagen, du sendest gemischte Signale aus. Daran solltest du mal arbeiten.“

Einer der Typen hat sich hinter ihm aufgebaut und Ryousuke stößt beim Zurückweichen an seine Brust. Abrupt und ohne sich umzudrehen, bleibt er stehen. „Okay“, sagt er langsam. „Okay. Vorschlag zur Güte… du lässt uns Homos ziehen und sparst dir 10.000 Yen. Damit haben doch irgendwie alle gewonnen, oder?“
 

Uns Homos.

Taku kommt nicht mehr dazu darüber nachzudenken, was es bedeutet, dass Ryousuke sich so schnell und ohne zu Zögern mit ihm in einen Topf geworfen hat.
 

Es passiert was passieren muss und zwar schneller als er reagieren kann. Einer der Typen holt aus und schlägt Ryousuke mit der Faust ins Gesicht.

Taku schreit auf.

Ryousukes Kopf fliegt zur Seite. Er stolpert nicht zurück, sondern schafft es stehen zu bleiben, so als ob er es kommen gesehen und sich innerlich schon dagegen gewappnet hätte.
 

Als er sich wieder umdreht, ist seine Lippe ist aufgeplatzt. Seine Zähne sind rot verschmiert als er lächelt. Langsam hebt er eine Hand und wischt sich über den Mund. „Tja offenbar nicht“, sagt er. „War einen Versuch wert.“
 

Sie gehen auf ihn los, alle zusammen.

NEIN!“ Takus Schrei geht unter in dem wütenden Gebrüll.

Sie sind wie ein Löwenrudel, die eine Gazelle reißen. Niemand interessiert sich mehr für Taku.
 

Er schreit. Es sind wütende, hilflose Dinge wie ‚Aufhören‘, ‚Nein!‘ und ‚Ryousuke!‘, aber die Brücke ist zu eng, und er wird zurückgedrängt und kommt nicht vorwärts durch die Masse an wild um sich schlagenden Körpern.
 

Ryousuke wird gegen das Geländer geschleudert und landet direkt neben ihm. Ohne sich abzufangen, verkrallt er eine Hand in Takus Hemd. „Was machst du noch hier? LAUF!“ befiehlt er atemlos. Als er sieht, dass Taku widersprechen will, schubst er ihn weg, mit so viel Nachdruck, dass Taku drei Schritte nach hinten stolpert. „Jetzt lauf doch!“ faucht er, sein Gesicht zu einer Grimasse verzerrt. „Mach schon!“
 

Taku wirbelt herum, mehr instinktgetrieben als durch eine bewusste Entscheidung.

Er läuft.

Er läuft so schnell er kann, atemlose hektische Schritte. Nur nicht besonders weit.

Seine Füße hämmern über den Asphalt und er stolpert in die nächste Straße, um die nächste Hausecke herum, bevor er mit zitternden Fingern sein Handy hervor zerrt. Die Zahlen flimmern vor seinen Augen. Er muss nicht einmal scrollen. Der, den er sucht, steht ganz am Anfang. Unter A wie Azuma Wataru.
 

„Bitte“, keucht er hinein, ohne auch nur eine Begrüßung abzuwarten. „Du musst kommen! Sie schlagen ihn tot…! Bitte!“

Er stammelt etwas von ‚Brücke‘ und ‚Ryousuke‘, und er legt auf mit schweißnassen Fingern, die haltlos von der glatten Displayoberfläche abrutschen.
 

Als er sein Handy in die Hosentasche zurückschieben will und nach unten blickt, erstarrt er auf halbem Weg. Dünne rote Flecken zieren sein Hemd.

Es sind blutige Fingerabdrücke. Ryousuke hat sie dort hinterlassen.

Es ist Ryousukes Blut.
 

Er läuft zurück.

Er muss nicht einmal darüber nachdenken.

Es gibt überhaupt keine andere Option als zurückzulaufen.
 

Schon von Weitem hört er das Johlen und das Gebrülle und das schreckliche dumpfe, klatschende Geräusch von Faustschlägen, die wiederholt auf etwas aufprallen. Weich. Menschlich. Er rennt schneller.

Taku ist ein guter Läufer. Man sieht es ihm nicht an, aber wenn ihn Yuuta nicht zu rhythmischer Gymnastik überredet hätte, wäre er bei den Leichtathleten gelandet.

Er ist ziemlich sicher, dass er seine persönliche Mittelstreckenbestzeit gerade überbietet. Nicht, dass es eine Rolle spielt.

Nichts spielt eine Rolle.

Nur Ryousuke.
 

Seine Lunge brennt als er ankommt. Er rennt auf die Brücke genau in dem Moment als Ryousuke von zwei Typen nach hinten gezerrt wird und sie ihn mit dem Kopf voran gegen die Eisenstangen der Brücke donnern. Es verursacht ein grässliches, lautes Geräusch, und als sie ihn loslassen, sackt Ryousuke leblos auf dem Asphalt zusammen.
 

„Stopp!“ brüllt Taku. „Aufhören!“

Sein Herz stolpert in seiner Brust. Nein, nein, nein, nein.
 

Hamada lacht höhnisch und holt aus um nach Ryousuke zu treten, der zusammengekrümmt auf dem Boden liegt.
 

Taku wartet nicht ab. Er stürzt nach vorne und wirft sich blindlings über ihn.

Hamadas Tritt erwischt seine Schulter und er beißt die Zähne zusammen, als ein heftiger Schmerz durch seinen Arm schießt.

Es ist egal.

Es ist alles egal.
 

„Ryousuke!“ Wilde Panik zerrt den Schrei aus seiner Kehle.

Sie stoßen auf halbem Weg zusammen, als Ryousuke sich plötzlich unter ihm bewegt. Er stemmt die Hände auf den Boden um sich nach oben zu drücken und stößt mit dem Rücken gegen Taku, der halb auf ihm gelandet ist.
 

„Bleib unten“, befiehlt er. Erleichterung brennt scharf wie Eis in seinen Venen. „Bleib unten!“
 

„Was machst du…?“ Ryousuke hustet und presst schmerzverzerrt zusammengekrümmt eine Hand auf seine Rippen. „Taku…?“ Blut klebt in seinen Haaren. Blut klebt in dunklen Flecken unter ihm auf dem Asphalt.

Taku kann nicht hinsehen.
 

„Lasst ihn in Ruhe“, faucht er und blickt nach oben, wo Hamada und seine Schlägertypen sich in einem Halbkreis vor ihnen aufgebaut haben, soweit es die Enge der Brücke zulässt. „Er hat überhaupt nichts getan!“
 

„Was ist das denn?“ höhnt Hamada. „Ist Tsukimori etwa dein Lover? Dieser Versager?“
 

„Ja“, hört Taku sich selbst antworten. Es ist als ob die heißglühende Wut, die plötzlich durch seinen Körper rauscht mit einem Mal das Kommando übernommen und jeden rationalen Gedanken ausgeschaltet hat. „Und er ist kein Versager. Er ist ein viel besserer Mensch als du jemals sein wirst.“
 

Er spürt wie Ryousuke unter ihm plötzlich still wird. Er wendet den Kopf, seine Augen weit und überrascht, die Lippen halb geöffnet als ob er etwas sagen möchte.

Taku vergräbt die Hand in Ryousukes T-Shirt, das schweißnass an seinem Rücken klebt. Es ist eine hilflose, beschützende kleine Geste, die ihn wortlos anfleht, dass er bloß unten bleiben soll.

Sei still. Bleib unten.
 

Ryousuke gehorcht und klappt wortlos den Mund zu. Taku wird ganz schwindelig vor lauter Erleichterung.
 

Zeit schinden, denkt er.

Das ist alles was er tun kann. Zeit schinden, bis Wataru hier ist und Ryousuke so lange davon abhalten, sich selbst umzubringen.
 

„Seht sie euch an“, spottet Hamada, zu seinen Kumpels gewandt. „Sind sie nicht entzückend, die kleinen Schwuchtel?“
 

Stimmen werden laut. Einer der Jungs johlt und macht eindeutige Bewegungen mit seinem Becken. Ein paar abwertende Sprüche werden in ihre Richtung geworfen, und sehr graphische Beschreibungen von schwulen Sexpraktiken, die den vagen Verdacht aufkommen lassen, dass mehr als einer der Jungs sich bereits viel zu viele Gedanken darüber gemacht hat wie zwei Kerle es miteinander treiben.
 

„Gemischte Signale, sag ich doch“, keucht Ryousuke, aber seine Stimme ist so heiser, dass sie untergeht in dem Lärm. Taku zieht ihn dichter zu sich, die Finger nachdrücklich in seinem T-Shirt vergraben. Jeder Teil von ihm möchte sich beschützend um Ryousuke wickeln, wie ein Wall aus Panzerglass. Es ist ein alberner, ein nutzloser Wunsch, denn sein Körper ist genauso menschlich und zerbrechlich wie jeder andere.
 

„Ich hab dir doch gesagt, ich mach dich kalt“, faucht Hamada über ihm. „Aber hey, weißt du was? Vielleicht mach ich deinen Lover zuerst kalt und lass dich zusehen.“
 

Hamada bedroht ihn schon seit Wochen, morgens, mittags, abends, und nicht ein einziges Mal hat es dieselbe wilde Panikreaktion in Taku ausgelöst wie die Drohung gegen Ryousuke.

Nein, denkt er. Nein, das wirst du nicht.
 

Er sieht es wie in Zeitlupe. Hamada, der auf sie zustürzt, ein Bein erhoben, als ob er Ryousuke unter sich zerquetschen möchte wie ein Insekt. Wie einen Schmetterling. Ryousuke, der sich mit zitternden Armen versucht nach oben zu stemmen, blutig und verschwitzt, das Kinn trotzig erhoben.

Taku reagiert instinktiv und ohne nachzudenken.
 

Er kann sich nicht prügeln. Er weiß nicht einmal wie das geht.

Aber er ist gut in Physik. Trägheitskraft. Newton. Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung. F = m x a.

Hamada ist die Masse.

Taku wird den Aufprall verursachen.

Hamada holt aus, sein Fuß in Tritthöhe mit Ryousukes Gesicht. Taku wirft sich nach vorne, an Ryousuke vorbei und bekommt Hamadas anderes Bein zu fassen. Er reißt daran, mit ganzem Körpereinsatz und Hamada verliert den Halt. Sein wütender Schrei halt über die Brücke, als er den Halt verliert. Einer seiner Schlägertypen versucht noch nach ihm zu greifen, aber Hamadas eigener Schwung schleudert ihn an das Geländer. Und darüber hinweg.
 

Taku knallt auf den Boden, direkt neben Ryousuke.

Parallel dazu hört er das Klatschen als etwas Schweres unter ihnen im Wasser landet und stemmt sich hastig auf die Ellbogen.

Hamada.

Scheiße.

Er hat Hamada ins Wasser geworfen.

Ach du scheiße.
 

Offensichtlich ist er genauso geschockt wie jeder einzelne von Hamadas Schlägertypen, denn sie stehen alle mit offenem Mund am Geländer und glotzen.
 

„Woah“, murmelt Ryousuke beeindruckt. „Taku. Taku.

Er stößt seinen Namen so inbrünstig hervor wie er ihn noch niemals ausgesprochen hat, so als ob da Herzchen und Blümchen außen herum gemalt sind.
 

„Shit“, flüstert Taku mit panisch aufgerissenen Augen. „Shit.“
 

Offenbar ist Hamada nicht ertrunken. Er brüllt wütende Schmähungen aus dem Wasser zu ihnen hinauf. Das löst alle aus ihrer Erstarrung. Drei von seinen Jungs versuchen gleichzeitig auf Taku und Ryousuke loszugehen, während die beiden anderen versuchen an ihnen vorbei zu stürmen, offensichtlich in dem Bestreben ihren Boss aus dem Wasser zu fischen. Es resultiert in einem hoffnungslosen Knäuel aus Gliedmaßen, als sie alle gegeneinander stoßen, und nur Ryousukes Hand, die Taku geistesgegenwärtig zurückzieht, bewahrt ihn vor einem Tritt in die Rippen.
 

Er schafft es kaum ‚Jetzt sind wir geliefert …‘ zu Ende zu denken, als jemand panisch ihre Namen ruft.

„Ryousuke! Mizusawa!“

Die laute Stimme erkennt er inzwischen immer und überall, und er spürt wie Ryousuke erleichtert neben ihm ausatmet.
 

Es ist Wataru.

Er stürmt so schnell auf die Brücke, dass Taku spüren kann wie der Boden unter ihnen vibriert. Unmittelbar hinter ihm, und das ist die viel größere Überraschung, ist Yuuta. Takus Mund klappt überrascht nach unten.

Wieso ist Yuuta hier?
 

Hamadas Schlägertrupp wirbelt herum.

„Hey, wer zum Teufel…?“ faucht einer.

„Das ist Azuma Wataru“, murmelt ein anderer und zerrt ihn am Arm zurück. Er sieht mit einem Mal kreidebleich aus. „Der hat Akabane platt gemacht, behaupten sie. Ganz allein. Nur mit Hilfe von so ein paar Ballettfuzzis! Keiner weiß wie!“ In Windeseile wird sein Name herum geflüstert wie ein böser Fluch.
 

„Ballett?“ murmelt Ryousuke empört und richtet sich auf. „Entschuldige mal, du…!“
 

Taku schlingt die Arme um ihn und hält ihm geistesgegenwärtig den Mund zu.
 

„Schnell weg hier…“, murmelt ein dritter, dem das offenbar alles zu viel wird.
 

„Aber Hamada…?“
 

„Der kann schwimmen!“
 

Es ist wie eine Herde Büffel, die über sie hinweg braust, als sie alle gleichzeitig beschließen dass sie besser abhauen, bevor Wataru sie zwischen die Finger bekommt. Was unter anderen Umständen lustig wäre, weil Wataru der netteste Kerl ist, den es gibt. Und Akabane hat er auch nur mit ganz viel Liebe platt gemacht. Das glaubt nur keiner.
 

Taku drückt sich mit dem Rücken ans Gitter, beide Arme fest um Ryousuke geschlungen und wartet bis sie an ihm vorbeigestürmt sind. Er zittert am ganzen Körper.

Er kann gar nicht glauben, dass es das schon gewesen sein soll. Er kann nicht glauben, dass er nicht tot ist.

Er kann nicht glauben, dass Ryousuke das gemacht hat.

Ryousuke.

Oh Gott. Ryousuke.
 

„Bist du verletzt?“ stößt er panisch hervor und revidiert die Frage sofort wieder, weil sie so unendlich dumm ist. „Brauchst du einen Krankenwagen?“
 

Ryousuke schüttelt langsam den Kopf. Er sieht genauso benebelt aus wie Taku sich fühlt. „Hatte schon schlimmeres. Ist okay.“ Blut läuft über seine Stirn und tropft ihm in die Augen. Er wischt mit einer Hand darüber und schafft es dabei sein halbes Gesicht rot zu verschmieren. Es sieht dramatisch aus, wie Kriegsbemalung.
 

„Ist es nicht“, würgt Taku hervor. „Die hätten dich fast umgebracht!“
 

„Hey, Taku, hey…“ Unendlich behutsam und unter offensichtlich Schmerzen setzt Ryousuke sich auf und greift nach Takus Händen. „Es ist in Ordnung. Ich versprechs. Es ist okay. Du hast Hamada für mich ins Wasser geschmissen!“ Er klingt fassungslos und beeindruckt zugleich.
 

„Das war nur Physik“, stammelt Taku.
 

„Das war hardcore.“
 

Taku schafft es nicht etwas darauf zu erwidern. Wie die Tatsache, dass das mehr ein Unfall war als alles andere.
 

„Alles in Ordnung?“ Wataru wirft sich dramatisch neben ihnen auf den Boden. „Ryousuke! Mizusawa!“
 

Sogar Yuuta, der sonst durch nichts aus der Puste gerät, schnauft schwer und stützt die Arme in die Knie, als er vor ihnen ankommt. Sie sehen beide aus, als seien sie den ganzen Weg bis hier her gerannt. „Was ist passiert?“ fragt er so scharf, wie er nur klingt, wenn er sich wirklich Sorgen gemacht hat. „Mizusawa! Wer war das?“
 

Taku ist zu beschäftigt damit keine Panikattacke zu bekommen, um zu antworten. Sein Kopf ist leer.
 

„Ryousuke!“ Wataru legt besorgt die Hand auf die Schulter seines besten Freundes. Seine Augen weiten sich entsetzt als er das ganze Blut sieht.
 

„Öh“, macht Ryousuke verwirrt. „Hi“, stammelt er. „Was…? Wieso…?“ Sein Blick wandert zu Taku. „Hast du ihn angerufen?“ Und dann zu Wataru: „Ist das deine dringende Verabredung?“ Er deutet anklagend auf Yuuta.
 

Wataru wird rot. „Das ist nicht…“
 

„Wieso ist da jemand im Fluss?“ fragt Yuuta verwirrt.
 

Taku wird blass.
 

„Den retten wir jetzt nicht“, bestimmt Ryousuke mit einem Blick auf sein Gesicht. Er versucht aufzustehen und sinkt stöhnend zurück. „Hilf mir mal einer hoch“, japst er. „Und dann schnell weg hier.“



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