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Winter Carols

von

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Türchen 14 – Lasst uns froh und munter sein

In seinem Ohr rauschte das Blut und er konnte seinen Herzschlag rauschen hören. In seinem Kopf hallte der Klang der zugezogenen Tür noch immer nach und vernebelte seine Sinne, so dass ihm die Konzentration schwer fiel.

Immer wieder verschwamm sein Blick und Seto musste den blick vom Laptop abwenden, der auf der Ablage, jenseits der Gefahrenzone, in der Küche stand.

Er tippte mit schnellen Fingern etwas in das Dokument ein und warf einen Blick über die Schulter zur Tür.

Es war alles ruhig und lediglich Shadow trottete zum gefühlten hundertsten Mal durch den Flur. Es schien als wäre sein Hund auf der Suche nach etwas und immer wieder machte er kehrt und verschwand in eines der anderen Zimmer.

Seto konnte dazu nur missbilligend den Kopf schütteln.

Seit dem Naomie in seinem Leben war, verlief es nicht mehr so geordnet wie sonst. Er konnte ihr aber auch irgendwie nicht böse sein. Warum wusste er nicht mal selbst zu sagen und auch jetzt schwieg sein Gewissen wieder.

Aber umso besser. So musste er sich nicht irgendwelcher Kommentare aussetzen oder sich beleidigen lassen.

Zielsicher griff er in den oberen Küchenschrank und nahm sich eine Tasse heraus. Schnell goss er sich den warmen Kaffee ein und stellte ihn zu dem Laptop.

Zwischen den Lippen hatte er ein Zimtplätzchen und biss eine Spitze von dem Stern ab. Kurz kaute er auf dem Gebäck herum und beugte sich etwas zum Laptop um die neue Mail lesen zu können, die der Leiter des Waisenhauses ihm geschickt hatte.

Der Geschmack von der Priese Zimt, die Naomie in das Gebäck getan hatte, breitete sich in seinem Mund aus und er schluckte den Bissen hinunter. Dieses südländische Gewürz im Gebäck ließ ihn etwas entspannen. Nicht zuletzt, weil er Zimt mochte.

Zufrieden über die Antwort in der Mail nickte Seto und ein leichtes Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.

Alles lief wunderbar.

Sein Büro war informiert, dass er heute nicht mehr in die Firma kam und von zu Hause arbeiten würde. Seine Sekretärin hatte nur gesagt, sie würde die Anrufe aufschreiben und ihm einen schönen Tag gewünscht.

Seto konnte sich gut vorstellen, dass sie eher froh war, dass er nicht mehr zur Arbeit kam heute und sie ruhe hatte.

Selbst mit Naomies Chef hatte er schon reden können. Wie sie wohl auf die Neuigkeit reagieren würde?

Bei dem Gedanken musste er wieder grinsen.

Denn Seto war in der letzten halbe Stunde nicht untätig gewesen. Er hatte sofort bei ihrem Chef angerufen und ihm erzählt, dass sie wieder da war und ihm direkt sein Angebot unterbreitet, dass er Naomie für die nächsten Wochen als feste Fotografin jeden Tag buchen wollte.

Am Ende bekam er eben immer, was er wollte. Egal, wie.

Nach diesem erfolgreichen Telefonat hatte er die Rechnung von Naomies Chef abgewartet und sie direkt an seine Buchhaltung weiter geleitet, damit diese den Betrag überweisen konnte. Anschließend hatte er sich mit dem Leiter des Waisenhauses in Verbindung gesetzt und alles vorbereitet, damit die Fotoshootings mit den Werbeplakaten spätestens übermorgen beginnen konnten. Auch einige Duellanten und namenhafte Prominente waren eingeladen worden für die Fotos zu posieren.

Selbst Pegasus hatte er, eher widerwillig, dazu eingeladen und er hatte seine Unterstützung zugesagt. Ebenso machte seine Rivale Yugi mit.

Er musste nur noch mit Naomie reden und mit ihr die Details abklären, welche Accessoires sie brauchte und wie viel Zeit für die Bearbeitung. Doch das war eine Nebensache mit der er sich auch morgen mit auseinander setzen konnte.

Immerhin kam es für sie wesentlich überraschender als für ihn die Tatsache, dass sie wieder in der Stadt war.

Doch eines ließ Seto die Stirn runzeln. In der Mail vom Direktor des Waisenhauses stand, dass ein anonymer Spender aus England kommen würde und auch seine Unterstützung zugesagt hatte. Ebenso wolle dieser Spender auf der morgigen Besprechung dabei sein und sich vorstellen.

Seto öffnete die Facebookseite seiner Firma und nippte am Kaffee. Shadows tapsende Schritte ignorierte er, ebenso sein Winseln, was er hin und wieder hören ließ und was nur bedeutete, dass er Naomie suchte.

Auf der sozialen Netzwerkseite befanden sich keine neuen Kommentare und auch am Aktienmarkt lief es nach dem kleinen Tief wieder bergauf.

„Shadow, sei ruhig!“, mahnte Seto und drehte sich nur leicht zum Flur um.

Sein Hund stand etwas bedröppelt im Flur und sah sich um. Seine Rute hin herunter und er sah sein Herrchen an, als könnte dieser Naomie herzaubern.

„Du musst dich noch was gedulden“, sagte Seto und wandte sich wieder dem Laptop zu. Seine Finger flogen schnell über die Tastatur, während Shadow ein lautes Bellen von sich gab. Seine Krallen kratzten kurz über die Fliesen, ehe er zur Tür sprintete.

Seto horchte auf und hörte einen Schlüssel klappern.

„Ich bin da!“, schallte es durch die unterste Etage und er musste Schmunzeln. Seto hörte seinen Hund wieder bellen und wie sein kleiner Bruder auf den Hund einredete.

„Seto?“, rief Mokubas Stimme, „Bist du da?“

„Ich bin in der Küche“, rief er zurück und schickte die Mail ab, dann ging er auf die andere Seite und nahm ein frisches Brett und Messer aus der Schublade. Er griff zu der Obstschale und begann die Kiwi zu schälen.

„Hei, du bist ja schon da!“, sagte Mokuba und Seto hörte deutlich seinen freudigen Unterton.

Seto warf einen flüchtigen Blick über die Schulter und nickte, während er die Kiwi klein schnitt.

„Was machst du schon hier?“, fragte Mokuba und ging an den Kühlschrank.

„Iss nicht so viel vor dem Essen“, sagte Seto und warf die Obststücke in eine Schüssel.

„Ich hab mir nur was zu trinken geholt!“, konterte sein kleiner Bruder und schraubte die Limoflasche aus. Seto hörte das Zischen der Kohlensäure. „Also, was machst du hier?“

Seto hörte den Topfdeckel klappern und drehte sich herum.

„Lass den Deckel drauf, sonst geht die Wärme verloren!“

„Es riecht gut“, sagte Mokuba und schnupperte an dem Essen. Er hatte noch immer seine Schultasche auf dem Rücken. „Was machst du denn hier in deiner Chemieküche?“

„Was zu essen, was sonst“, sagte er und gab eine weitere klein geschnittene Kiwi in die Schüssel.

„Das sehe ich auch.“ Sein Bruder verdrehte die Augen und sah ihn neugierig an. „Du kochst viel in letzter Zeit. Ich mache mir langsam Sorgen. Das machst du nur, wenn du dich ablenken musst, weil du mit deinen Gedanken nicht weiter kommst.“

Seto zog die Schultern hoch. „Bisher hat es dir aber immer geschmeckt und sonst beschwerst du dich auch, dass ich viel zu wenig Zeit mit dir verbringe. Sei doch froh.“

„Bin ich auch. Trotzdem kochst du nur dann, wenn dich irgendwelche Gedanken nicht in Ruhe lassen.“ Mokuba senkte den Blick. „Ist es wegen Naomie?“

Seto schwieg und nahm eine dritte Kiwi und begann sie zu schälen.

Natürlich war es wegen ihr, aber das würde er sicherlich nicht vor seinem Bruder zugeben. Mokuba würde nur Dinge hinein interpretieren, die nicht da waren.

Er hörte seinen kleinen Bruder seufzen und im nächsten Moment das Gluckern der Flasche.

Seto wandte sich kurz um, ehe er zu den Äpfeln griff.

„Du sollst nicht aus der Flasche trinken, Mokuba“, sagte er streng und ging zum Küchenschrank und stellte ihm ein Glas vor die Nase.

Sein kleiner Bruder verdrehte wieder die Augen.

„Hast du Hausaufgaben auf?“, fragte Seto beiläufig und hoffte so das Thema zu wechseln.

„Nicht viel“, sagte Mokuba und goss sich unter seiner Aufsicht etwas ins Glas ein, „Nur Mathe und English.“

Seto nickte und würfelte den Apfel in gleich große Stücke. Kurz wandte er sich von dem Obst ab und rührte den Inhalt des Topfes um.

Das Fleisch war schon gut angebraten und köchelte nun im Sud vor sich hin, damit es nicht so zäh und trocken wurde.

„Du solltest nach oben gehen und deine Tasche ablegen. Essen ist bald fertig“, sagte er und schloss wieder den Deckel vom Topf. „Fang schon mal mit den Hausaufgaben an. Ich komme dann, um sie zu kontrollieren.“

„Ja“, kam es nur genervt von Mokuba und er sah zu der Schüssel mit dem Obst. „Schon wieder Obst?“

„Was denkst du denn? Grade jetzt sind Vitamine wichtig!“

Mokuba verzog angewidert das Gesicht und nahm sein Glas und die Flasche und verließ die Küche.

Seto sah ihm kurz nach und hörte ihn dann die Treppe hinauf gehen.

„Komm, Shadow!“, rief er und Seto hörte den grauen Labrador bellen, ehe die Pfoten über den Boden scharrten und er mit dem roten Schal die Treppe mit nach oben ging.

Kurz atmete er ein und aus und wandte sich wieder dem Essen zu.

Schnell gab er das Gemüse und die Kartoffeln dazu, füllte die Brühe auf und würzte es mit etwas Curry und Knoblauch.

Hoffentlich mochte Naomie das Essen. Immerhin war der Eintopf dazu da, um sich zu stärken und alles wichtige, was zu einem Essen gehörte, war da drin. So wie sie aussah, konnte sie ein stärkendes Essen auch gut gebrauchen.

Seto wusch sich die Finger unter dem warmen Wasser und wandte sich wieder dem Obstsalat zu. Mit geschickten Fingern schnitt er die Äpfel in Stücke und gab sie zu der Kiwi dazu.

Danach waren die Bananen und Trauben fällig.

Kurz nippte er wieder an seinem Kaffee und sah auf die Uhr. Naomie war gerade mal eine dreiviertel Stunde im Bad, wenn sie es denn wahrgenommen hatte.

Inständig hoffte er, dass es ihr helfen würde, sich etwas zu entspannen und auszuruhen. Die Augenringe machten ihm noch immer Sorge, wenn er daran dachte. Es versetzte ihm auch ein Stich in die Brust, sie so zu sehen.

Er wusste auch nicht, wie er sie zum reden bringen sollte, ohne sie weiter zu kränken oder zu verletzen. Damit war er ja nicht weit gekommen.

Seto schluckte und ging zum Kühlschrank.

Nun wo der Nachtisch fertig war, war die Beilage dran. Egal, was Mokuba sagen würde, es würde einen Salat zum Eintopf geben.

Das Piepen seines Mailpostfaches ließ Seto aufhorchen und er trocknete sich kurz die Hände am Handtuch ab, ehe er zu dem elektronischen Gerät ging. Schnell öffnete er die Mail und schrieb eine Antwort.

Missbilligend schüttelte er den Kopf. Konnte seine Sekretärin nicht mal eine Konferenz planen? Was war an de Worten „So wie immer“ falsch zu verstehen?

Seufzend tippte er eine Antwort und kaum, dass diese sein Postfach verlassen hatte, kam eine weitere in sein Postfach geflogen und bat darum beachtet zu werden.

Der kleine weiße Drache mit dem Briefumschlag in den Krallen schlug in der Bildschirmecke munter mit den Flügeln.

Widerwillig klickte er auf das Icon und sofort öffnete sich eine Mail von Pegasus.

Seto brummte bei dem Anblick des Absenders.

„Hallo Kaiba-boy, wir haben uns ja schon lange nicht mehr gesehen oder gehört. Umso großartiger finde ich es doch, dass wir nun gemeinsam an deinem Projekt „Roter Schal“ arbeiten. Im Übrigen finde ich deine neueste Technologie einfach großartig. Meine geliebten Monster sehen dadurch noch lebendiger aus!“ Fast konnte Seto sehen, wie Pegasus sein weißes Haar nach hinten warf bei den süßholzraspelnden Worten. „Aber das ist nicht der Grund meiner Mail. Du hattest uns allen ja mitgeteilt, wer der Fotograf dieses Projektes sein wird und ich bin erstaunt, dass du eine firmenfremde Person dazu holst und dazu eine ganz gewöhnliche Fotografin aus einem einfachen Studio. Mein lieber Kaiba-boy, wenn es dir grade an Personal mangelt, kann ich dir gerne jemanden aus meiner PR-Abteilung leihen. Meine Leute würden so ein Projekt nicht zum ersten Mal machen und bringe jede Menge Erfahrung mit. Du musst daher nicht zum nächst besten Notfallplan greifen. Mit den allerherzlichsten Grüßen Pegasus.“

Seto verzog das Gesicht. Offenbar war Pegasus bisher der Einzige gewesen, der sich die Mühe gemacht und recherchiert hatte. Doch er fiel nicht auf das Angebot herein.

Pegasus war nur ein namenhafter Prominenter, der zwangsweise eine Rolle in seinem Projekt spielte. Er musste sich nicht aufspielen und ihm aus Höflichkeit helfen wollen. Seto kannte diesen Kerl nur zu gut. Mit Sicherheit führte er damit auch etwas im Schilde.

Während er ihm eine Antwort tippte, kam eine weitere Mail in sein Postfach und er öffnete diese.

Zum Glück war es nur seine Presseabteilung, die ihm mitteilte, dass eine Talk Show ihn interviewen wollte. Er sollte sein neuestes Projekt im Fernsehen vorstellen.

Seto öffnete seinen elektronischen Terminkalender und suchte nach einem Termin.

Die einzige Zeit, die er hatte, war eigentlich während der Shootings. Doch er hatte vor gehabt, Naomie dabei im Auge zu behalten.

Er biss sich nachdenklich auf die Lippe und schrieb seiner Abteilung eine Antwort, wann er zeit hatte.

Naomie würde es schon schaffen und zur Not würde Roland ihr helfen müssen. Sie war eine erwachsene Frau. Um sie würde er sich in der Hinsicht bestimmt nicht Sorgen müssen. Im Gegensatz zu anderen Dingen, wo er es bereits tat.

Nachdem die Mail auch verschickt war, wandte er sich wieder dem Topf zu, rührte das Essen um und schmeckte es mit einem kleinen Löffel ab.

Nachdenklich ließ er sich den Geschmack der Soße auf der Zunge zergehen und griff gezielt nach etwas Salz und Pfeffer. Schnell verrührte er wieder den Eintopf und schloss den Deckel, damit die Kartoffelstücke weiterhin kochen konnten.

„Seto!“, kam es plötzlich von oben und Kaiba war froh, dass er noch nicht angefangen hatte den Salat zu schneiden. Andernfalls wäre vermutlich sein Finger weg gewesen.

„Was ist?“, rief er zurück und er konnte nicht verhindern, dass sein Herz bei dem Ruf schnell pochte. Was war denn nun passiert?

„Seto!“, kam es wieder von Mokuba und im nächsten Moment härte er trampelnde Schritte vom oberen Geschoss.

„Mokuba, was ist los?“, rief er besorgt und verließ die Küche, doch sein kleiner Bruder war schon auf der Treppe zu sehen. Mit schnellen Schritten rannte er die Stufen hinunter.

„Mokuba, was ist?“, fragte Seto erneut und sein Bruder kam keuchend vor ihm zum stehen.

„Wieso hast du mir das nicht gesagt?“ Sein Gesicht glühte vor Röte.

„Was denn gesagt?“ Verwirrt sah er ihn an und ging mit ihm zurück in die Küche.

„Naomie…“, japste Mokuba und Seto hielt inne. Sein Puls schoss in die Höhe. „Wieso hast du nicht gesagt, dass sie in DEINEM Zimmer ist?“

Seto schluckte. „Was hast du in meinem Zimmer gemacht?“

„Lenk nicht ab, Seto!“, fuhr er ihn an und schüttelte den Kopf, sodass seine schwarzen Haare hin und her flogen. „Ich wollte nach einem Spiel suchen und als ich rein gegangen bin, stand Naomie dort. Nur mit Bademantel! Was macht sie bei dir im Zimmer und wieso sagst du mir nicht, dass sie da ist!“

Vorwurfsvoll sah der Kleine zu ihm auf.

„Das Gästezimmer war noch nicht fertig. Ayumi ist spät gegangen.“

Mokuba schnaubte. „Als hätten wir keine anderen Zimmer im Haus und Ayumi solltest du längst in den Wind schießen, wenn du Naomie hast!“

„Da ist nichts zwischen uns.“ Seto wand sich wieder dem Salat zu und schaffte es endlich die Blätter klein zu schneiden.

„Deswegen ist sie auch in DEINEM Zimmer und in DEINEM Bademantel!“ Mokuba verschränkte die Arme und ging zum Topf. Er hob wieder den Deckel und spähte hinein. „Bist du deswegen heute wieder in der Chemieküche unterwegs.“

„Sag das nicht immer.“

„Oder ist da ein Aphrodisiakum drin, das nur auf blonde, weibliche Personen, die hier zu Gast sind, wirkt?“ Neckisch sah Mokuba ihn an.

„Auf was du für Gedanken kommst.“ Seto schüttelte den Kopf. „Naomie ist nur ein Gast und ich habe geschäftlich mit ihr zu tun. Das ist alles.“

„Ist klar.“ Mokuba kicherte. „Du hast aber noch keinem Geschäftspartner hier ein Zimmer angeboten oder ein Bad oder in deinem Bademantel herum laufen lassen.“

„Naomie ist eine Ausnahme.“

„Du meinst, weil sie so fertig aussieht.“

Er nickte stumm und wusch die Tomaten unter dem klaren Leitungswasser ab.

„Ja, das war wirklich übel. Kochst du deshalb?“

„Unter anderem.“

„Weshalb noch?“

„Wenn du ihren Magen gehört hättest, hättest du genauso Sorge wie ich, dass sie dich vor Hunger gleich auffrisst.“ Mit einem Grinsen sah er kurz zu seinem Bruder.

„Sehr witzig“, kommentierte er nur trocken, „Aber anstatt hier Küchenchef zu spielen, solltest du nach oben gehen und ihr beistehen.“

„Sie ist in der Badewanne. Da kann ich doch nicht rein.“

„Eben war sie draußen. Sie schien fertig zu sein.“ Ob Mokuba das Bad oder ihrem Gemütszustand meinte, war nicht ganz klar.

Seto nickte. „Ich kann auch warten bis sie unten ist und dann mit ihr reden. Vielleicht wäre es sogar besser abzuwarten bis sie auf mich zu kommt.“

Mokuba seufzte und griff in die Besteckschublade. Er nahm sich einen Löffel heraus und öffnete den Topf.

„Hör auf zu naschen!“

Mokuba nahm sich frech grinsend einen Löffel voll mit Eintopf, pustete kurz und schob ihn sich in den Mund.

„Seto, statt hier zu warten, solltest du nach oben gehen und klären, was zwischen euch vorgefallen ist.“ Seto öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch Mokuba hielt ihn davon ab und sprach weiter. Er kaute nur kurz nachdenklich auf dem Essen herum und hielt den Löffel, wie ein Lehrer den Zeigestock, in die Höhe und schwang ihn belehrend hin und her. „Das sieht ein Blinder ohne Blindenhund, dass zwischen euch was passiert ist und ihr solltet endlich drüber reden und wenn ihr fertig seit, solltest du statt weiter zu kochen mit ihr das Bett zum wackeln bringen. Ihr solltet euch das Gehirn raus vögeln, statt euch aus dem Weg zu gehen und Trübsal zu blasen!“

„Mokuba!“, entfuhr es Seto bei den Worten und er verfehlte nur um Haaresbreite seine Fingerkuppe, als das Messer die Tomate teilte.

Entsetzt sah er seinen kleinen Bruder an, der nur mit den Schultern zuckte.

„Solche Ausdrücke will ich hier nicht hören!“, sagte Seto streng und legte das flutschige Stück Gemüse ordentlich auf das Brett, damit er es weiter klein schneiden konnte.

Von seinem kleinen Bruder kam nur ein Seufzen.

„Gut, dann anders. Statt Trübsal zu blasen, solltet ihr euch die Kleider vom Leib reißen und Matratzensport betreiben.“

„Mokuba, es reicht!“ Wieder fuhr das Messer nur knapp an seinen Fingern vorbei und teilte die Tomate. „Naomie ist eine Angestellte für mich. Damit wir uns da ganz klar verstehen. Sie arbeitet ab morgen in der Firma und hilft beim Projekt mit und ich habe bestimmt nicht vor mit einer Angestellten rum zu machen!“

Sein kleiner Bruder verdrehte die Augen, als Seto sich zu ihm herum drehte.

„Und Ayumi? Sie ist auch eine Angestellte!“

„Ayumi begleitet mich nur zu geschäftlichen Empfängen. Ich habe auch nichts mit ihr! Wieso kommt ihr alle drauf, dass ich sie außerhalb davon auch nur anpacken würde?“, fauchte er ungehalten und warf die Tomatenstücke zu dem Salat. Ungehalten gab er etwas Essig, Öl und Salz und Pfeffer dazu, ehe er alles vermengte.

„Moment!“, sagte Mokuba und schüttelte kurz den Kopf, „Ihr? Heißt das Naomie hat dich auch schon drauf angesprochen?“

Seto schwieg eisern und ging wortlos zum Topf. Schnell rührte er den Inhalt um und stellte die Flamme kleiner.

„Verstehe. Ihr habt euch deswegen in die Haare gekriegt?“ Mokuba verschränkte die Arme und hob gekonnt eine Augenbraue. Etwas, was er sich bei ihm abgeschaut hatte und was Seto absolut nicht leiden konnte, wenn sein kleiner Bruder ihm mit seiner eigenen Art kam.

Seto schwieg wieder und verkniff sich ein Knurren.

„Solltest du nicht Hausaufgaben machen?“, fragte er stattdessen und ging zum Laptop. Es waren keine neuen Mails eingetroffen. Sein Kaffee war inzwischen auch kalt geworden. „Was ist eigentlich mit eurer Theateraufführung?“

Mokuba verdrehte die Augen, ehe er antwortete.

„Es läuft gut. Ich werde auch gleich üben müssen“, sagte er und wandte sich ab, „Aber wenn du mich ablenken wolltest, das funktioniert nicht mehr, großer Bruder.“

Demonstrativ streckte Mokuba ihm die Zunge raus.

„Geh endlich nach oben und mach deine Aufgaben!“, mahnte Seto streng und gab seinem Bruder einen Klaps auf die Hüfte.

„Ich mach auch die Musik lauter, falls du meinen Rat befolgen willst mit dem Matratzensport.“ Frech grinste der kleine Kaiba und wich einem weiteren Klaps spielerisch aus. Mit schnellen Schritten rannte er nach oben und Seto konnte Shadow vom oberen Treppenabsatz aus bellen hören.

Er schüttelte den Kopf und sah auf die Uhr. Eine Tür flog im oberen Stockwerk laut und demonstrativ zu.

Das Essen war bald fertig und so langsam sollte auch Naomie nach unten kommen.

Seto tippte etwas im Laptop ein und sah wieder zur Uhr an der Wand. Eine innere Unruhe hatte ihn erfasst und er musste an Mokubas Worte denken, dass sie fertig aussah und auch an die Worte, dass er die Chance bei ihr nutzen sollte.

Es war ein Gedanke, der ihm schon ein paar Mal ins Bewusstsein gekommen war. Aber wollte er die geschäftliche Beziehung für eine Nacht aufs spiel setzen?

Bestimmt nicht und so wie sie reagiert hatte, als er ihren Ex erwähnt hatte, schien da auch noch etwas zu sein. Lust ihr Trostpflaster zu sein oder sowas, hatte Seto auch nicht vor. Vor allem würde es ihr am allerwenigsten helfen.

Seufzend wandte er sich von seinem Laptop ab und schaltete den Herd aus. Auf der restlichen Hitze konnte das Essen gefahrlos weiter köcheln.

Zielstrebig verließ Kaiba die Küche und ging nach oben zu den Schlafzimmern. Als er an Mokubas Tür vorbei kam, hörte er laut Pjotr Iljitsch Tschaikowskis Musik vom Nussknacker.

Kopfschüttelnd ging er weiter.

Wenn er an die letzten Tage zurück dachte, konnte er sich nicht erinnern, dass er jemals so unkonzentriert war. Geschweige denn eine fremde Person so nahe an sich heran gelassen hatte.

Wann hatte er überhaupt angefangen sich ihren Namen zu merken?

Noch vor einer Woche wusste er nicht mal mehr ihren Vornahmen oder Nachnamen, inzwischen duzte er sie und hatte sie so nahe an sich heran gelassen, wie es nicht mal Ayumi nach all den Jahren als feste Begleithostess geschafft hatte, obwohl sie im Vergleich zu Kuzuki ziemlich auffällig und aufreizend war und es nach jedem Treffen immer wieder bei ihm versucht hatte.

In einem Punkt war sich Seto allerdings sicher. Das mit Naomie musste nach ihrer Zusammenarbeit ein Ende haben, wenn er sich nicht in größere Schwierigkeiten bringen wollte oder zumindest in emotionalere Dinge. Seto hatte auch keine Lust, dass sie sich in irgendwelche Dinge verrannte und glaubte, er wolle eine Beziehung mit ihr führen oder so einen sentimentalen Unsinn.

Seto hielt kurz in seiner Überlegung inne und wartete auf einen zynischen Kommentar seines Gewissens, doch es blieb stumm. Merkwürdigerweise tat es das immer, wenn er in der Nähe von Kuzuki war oder etwas tat, was andere ihm geraten hatten.

Vor seiner eigenen Zimmertür blieb Kaiba stehen und klopfte vorsichtig. Nichts passiert. Kein Laut war zu hören und auch kein „Herein“. Wieder klopfte er und konnte nur darüber den Kopf schütteln, dass er an seiner eigenen Schlafzimmertür klopfen musste, um Einlass zu bekommen.

„Naomie?“, fragte er besorgt und wartete einen Moment. Es geschah wieder nichts.

Seufzend öffnete er die Tür und spähte vorsichtig hinein, sollte sie es noch nicht geschafft haben sich ihre eigenen Kleidern anzuziehen.

Doch der Blick ins Zimmer verriet, dass sie gar nicht da war.

„Naomie?“, fragte Seto wieder und ging in den warmen Raum hinein. Er schloss die Tür hinter sich. Naomies Tasche und ihr kleiner Koffer standen ordentlich am Bettende auf dem Boden. Aus dem Rollkoffer schaute der Ärmel von einem Pullover heraus. Er war auch nicht richtig geschlossen. Auf der Decke des Bettes lagen eine Aktionfigur und ihr Handy.

Seto betrachtete das Spielzeug und zog fragend eine Augenbraue nach oben. Wozu hatte sie eine Figur dabei? Hatte sie etwa ein Kind? Ging es ihr deshalb so schlecht, weil vielleicht mit ihrem Sohn etwas nicht stimmte?

Der Gedanke war beklemmend für ihn, dass sie vielleicht sogar einen Sohn an der Hand hatte. Das könnte auch die Reaktion auf ihren Ex erklären.

Er musste schlucken und Seto hatte das Gefühl, dass ihm irgendetwas die Luft abschnürte. Seine Kehle zog sich förmlich zu und sein Körper fühlte sich gleichzeitig angespannt, als auch weich wie Pudding an.

Langsam ging er zur Tür, die zum Badezimmer führte und klopfte.

„Bist du da drin, Naomie?“, fragte er laut und wartete. Es war auch dort nichts zu hören. Nicht mal das Geräusch von Wasser.

„Ist alles in Ordnung?“ Seto konnte nicht verhindern, dass seine Stimme besorgt klang. Er klopfte lauter. Es war wieder nichts zu hören und langsam breitete sich ein ungutes Gefühl in seinem Magen aus. Er hätte sie nicht alleine lassen sollen. Was wäre, wenn sie sich was angetan hat und nun mit aufgeschnitten Pulsadern über dem Wannenrand hing?

Die Schlagzeilen in der Presse konnte er jetzt schon sehen und der Chef seiner PR-Abteilung würde einen Herzinfarkt erleiden.

Doch nicht nur dieser.

Allein der Gedanke sorgte dafür, dass ein Puls in die Höhe schoss.

Hatte er vielleicht irgendwelche Anzeichen übersehen, dass es ihr so schlecht ging, dass sie sich was antun musste? Hätte sich das nicht irgendwie äußern müssen?

Kalter Schweiß bildete sich auf seinen Händen und er klopfte wieder.

Diesmal nachdrücklicher und fester.

Keine Reaktion.

Mit leicht zittriger Hand griff er zur Klinke und drückte sie nach unten. Die Tür ging widerstandslos auf.

Erleichtert seufzte Seto und betrat das Badezimmer.

Sofort schlug ihm die feuchte, warme Luft entgegen, doch erleichtert stellte er fest, dass Naomie in der Wanne saß. Sie hatte der Tür den Rücken zugewendet.

„Naomie?“, fragte er besorgt und ging zu ihr. Mit wenigen Schritten war er da, doch sie reagierte nicht. Der Geruch vom Badezusatz drang in seine Nase und Seto kniete sich neben dem Wannenrand auf den Boden. Besorgt musterte er das Häufchen elend im Wasser.

Naomie hatte die Knie angewinkelt und eng an den Körper gepresst. Ihren Kopf hatte sie auf die Arme gestützt. Ihr Haar klebte nass auf dem Rücken und ihren bebenden Schultern. Einzelne Wassertropfen liefen an ihr herunter. Der nackte Körper zitterte. Eine Hand lag über ihren Augen und ein dicker Wassertropfen lief an ihrer Nase entlang nach unten. Mehrere Tropfen und hier war sich Seto auch sicher, dass es Tränen waren, liefen über ihr Gesicht.

Angestrengt versuchte er den Blick nicht allzu tief wandern zu lassen, was bei dem Anblick verdammt schwer fiel. So ernst die Situation auch war, so war es ein automatisches Wandern seiner Augen.

„Kuzuki?“, fragte er und versuchte nicht allzu besorgt und panisch zu klingen.

Sie reagiert wieder nicht. Lediglich ihr Körper bebte weiter.

Ignorierte sie ihn absichtlich?

Ein lauter Schluchzer entglitt ihr und er konnte sehen, wie sie sich auf die Lippen biss.

Was sollte er machen? Sie ignorierte ihn scheinbar und war aber in Tränen aufgelöst. Sie konnte jetzt nicht mehr leugnen, dass alles in Ordnung war.

Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn. Sie hatte sich zum Glück nichts angetan und sein Herz schlug schneller. Es war gut zu wissen, dass sie hier saß und lieber sollte sie weinen, als sich etwas zu tun. Der Gedanke bereitete ihm immer noch schmerzen.

Seto schluckte und streckte seine Hand nach ihr aus.

Irgendwie konnte er sie nicht alleine lassen und wieder gehen. Es wäre falsch. Doch wie tröstete man eine Frau?

Bei Mokuba war es recht einfach. Aber er war auch sein kleiner Bruder.

Zögerlich hielt er inne und atmete tief durch.

Er konnte sie nicht einfach so in den Arm nehmen. Ihr ganzer Körper war nass und mit Sicherheit würde Kuzuki ausflippen, wenn sie ihn bemerkte. Davonschleichen konnte er sich aber auch nicht so einfach.

Seine Beine waren wie fest gefroren.

Ein weiterer Schluchzer von ihr ließ ihn zusammen zuckte. Seto biss sich auf die Lippen. Irgendwas musste er tun.

Kurz bewegte er seine Finger und hielte die Luft an, ehe er noch weiter darüber nachdenken konnte. Sein Hirn machte einen Aussetzer und fühlte sich für einen Sekundenbruchteil an, wie aus Gummi. Sein Herz schlug bis zum Hals, als sich seine Arme um ihren Oberkörper schlangen und er sie von hinten an sich drückte.

Es war in dem Moment egal, dass sie nass war und er nun ebenfalls mit Wasser benetzt wurde. Sein Hemd konnte er später noch wechseln, doch jetzt brauchte ihn jemand. Sie brauchte ihn.

Er schluckte und spürte, wie sie zusammen zuckte.

Etwas fiel auf seinen Arm und er erkannte ein paar winzige Kopfhörer, die aus ihren Ohren gefallen war. Das Kabel führte zu ihrer Hand in der sie den Mp3-Player fest hielt. Die Musik des Rocksongs kam ihm entgegen.

„You can take this anymore, so just give it one more try to a lullaby and turn this up on the radio, if you can hear me now, I'm reaching out, to let you know that you're not alone”, hörte er leise.

Sein Atem ging ruhig, obwohl sein Herz noch immer schnell pochte und er das Gefühl hatte, gleich kam es aus seinem Hals heraus.

Ganz leicht lehnte er sich gegen sie und drückte sie aber auch gleichzeitig an sich heran.

Seto spürte die Wassertropfen unter seinen Fingern, die an ihrer Haut herunter liefen. Ganz leicht hatten sich die feinen Härchen auf ihrer Haut aufgestellt. Ihr ganzer Körper zitterte und fühlte sich noch verkrampfter an, als er ohnehin schon war.

Automatisch zog er sie noch enger zu sich.

Er schloss die Augen und atmete ruhig ein und aus. Es kostete ihn alle Kraft sie so an sich zu halten und es fiel ihm nicht weniger schwer. Sein Herz pochte so stark, dass es ihm noch immer schwer fiel einen klaren Gedanken zu fassen. In seinem Kopf fühlte es sich leer an. Viel zu sehr war er darauf konzentriert, zu spüren, wie sie atmete. Er konnte das Heben und Senken ihrer Brust an den Armen spüren.

An seiner Haut klebte sein Hemd, kalt und nass. Nur zögerlich lehnte Seto seinen Kopf ganz leicht gegen ihre Schulter.

Seine Stirn wurde leicht nass und einzelne Strähnen klebten an ihm.

„Just in case there's just one left, 'cause you know, you know, you know, that I love you, I have loved you all along, and I miss you, been far away for far too long, I keep dreaming you'll be with me and you'll never go, stop breathing if I don't see you anymore”, hörte er ganz leise aus den Kopfhörern schallen.

Es war der gleiche Sänger, wie von dem Lied davor und Seto kannte beide. Er hatte sie schon mal im Radio gehört, wenn seine Sekretärin das Gerät wieder zu laut gestellt hatte.

Dieser Song trug nicht grade dazu bei, dass seine Anspannung oder ihre nach ließ.

In seinem Kopf wollte auch kein klarer Gedanke ans Tageslicht kommen. Alles, was er grade tun konnte, war hier zu knien und sie an sich gedrückt zu halten.

Wieso sagte Naomie denn nichts? Konnte sie denn nichts sagen, um die Spannung zu lösen?

Sein Atem streife ihre Haut und er fragte sich unweigerlich, ob ihr davon nicht kalt wurde. Er konnte kaum schlucken, so sehr hatte sich seine Kehle zugeschnürt. Sein Daumen bewegte sich leicht über die feuchte Haut ihrer Schulter. Nur ganz zaghaft streichelte er sie und versuchte sie zu beruhigen.

Ein weiteres Beben erfüllte ihren Körper und er merkte, wie sie ein Schluchzen unterdrückte. Machte sie das absichtlich? Wusste sie nicht, wie schwer ihm das hier schon fiel? Musste sie es ihm noch komplizierter machen?

Er öffnete leicht die Lippen, streifte dabei flüchtig ihre warme Haut, um etwas zu sagen, schloss den Mund aber wieder, ohne einen Laut über die Lippen gebracht zu haben.

„Was…was machst du da?“, fragte sie leise und ihre Stimme klang krächzend. Sie zitterte und hatte Mühe ihren Körper ruhig zu halten. Er ließ sie nicht los, sondern drückte sich an sie.

„Dich festhalten“, flüsterte er leise und war über seine eigenen Worte überrascht und wie ruhig seine Stimme klang. Er hatte schon befürchtet, dass seine Zunge sich verknotet hatte.

„Wozu?“ Ihre Stimme klang schwach und ein Schluchzen war zu hören. Ihre Arme bewegten sich und er vermutete, dass sie sich über die Augen wischte. Die Musik verstummte und der Player lag anschließend auf dem Rand der Wanne, wo auch ein paar Shampoflaschen standen.

„Das fragst du noch?“, murmelte er leise.

Sie schwieg.

„Wieso weinst du?“

„Wer sagt, dass ich weine?“ Wieder klang ihre Stimme schwach und als würde sie ihr gleich versagen.

Seto zog eine Augenbraue hoch.

„Der Frage würdige ich keine Antwort.“

„Wenn das irgendeine Form der Anmache ist, dann hab ich doch vorhin schon gesagt, dass ich nichts von dir will.“

„Und ich nichts von dir. Da sind wir uns einig. Trotzdem weinst du. Wieso?“

„Ich sollte dich hochkant aus dem Bad werfen“, sagte sie ausweichend und winkelte ihre Knie weiter an, damit er nichts sehen konnte.

„Du solltest mir eine Antwort geben.“

Irgendwie fehlte ihm die Musik von dem kleinen Gerät im Hintergrund grade.

„Hör zu, wir sind keine Freunde. Wenn überhaupt flüchtige Bekannte. Im Grunde nicht mal das. Wir sind zwei Fremde, die sich durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen immer wieder über den Weg laufen. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig!“

Diese Aussage hätte glatt von ihm kommen können. Es war merkwürdig so etwas nicht aus dem eigenen Mund zu hören, sondern aus dem von jemand anderem.

Seto schwieg und lehnte sich über ihre Schulter zu ihrem Ohr.

„Trotzdem lässt du es zu, dass ich, ein Fremder, der dich durch die Verkettung unglücklicher Umstände kennt, hier bin und dich fest halte.“

„Das ist gemein von dir“, nuschelte sie und ein leichtes amüsiertes Lachen klang in ihrer Stimme. Augenblicklich musste auch Seto schmunzeln.

„Ich weiß“, sagte er und küsste ihre Wange zaghaft. Er konnte die salzigen Tränen schmecken. Ein Schauer jagte über ihren Körper und sein schmunzeln wurde etwas breiter. „Aber wer von uns beiden hat denn damit angefangen? Du oder ich? Und jetzt wäre ich dir sehr dankbar, wenn du den Mund aufmachst und sagst, was los ist.“

Es fühlte sich merkwürdig an, nicht den Befehlston heraus hängen zu lassen. Seto war es einfach nicht gewöhnt so ruhig und einfühlsam zu sprechen und sicherlich entging ihr das nicht. Aber er tat sein Bestes, um sie nicht alleine zu lassen.

Wieder hauchte er einen Kuss auf ihre Wange. Es folgte wieder ein Schaudern und sogar ein leises Seufzen. Es war so leise, dass er glaubte, es sich eingebildet zu haben.

Etwas kaltes berührte seine Hand und Seto merkte, sie sie halt suchend nach seiner Hand griff. Trotz des warmen Wassers waren ihre Fingerspitzen eisig.

„Warst du bei deinem Sohn?“, fragte er und hoffte endlich darauf zu sprechen zu kommen, ohne weiter um den heißen Brei reden zu müssen. Die Frage fiel ihm nicht leicht und er sah wieder das Spielzeug auf seinem Bett vor seinem geistigen Auge.

„Sohn?“ Fast konnte er sehen, wie sie die Stirn runzelte. „Wie kommst du darauf?“

„Wegen der Figur“, antwortete er ruhig und strich wieder über ihre Schulter, „Es ist kein Problem, wenn zwischen dir und deinem Ex ein Kind rum gekommen ist. Es wäre immerhin deine Sache, aber du solltest zumindest ehrlich zu mir sein, nach allem, was ich für dich tue.“

Naomie schüttelte den Kopf. „Die ist von meinem kleinen Bruder Shun. Ich habe sie versehentlich eingepackt.“

„Dann hast du kein Kind mit deinem Ex?“ Fast schon erleichtert entfuhr ihm die Frage.

„Nein, keine Sorge. Ich bin kinderlos.“

Erleichtert stieß er die Luft aus.

„Dann warst du bei deiner Familie?“

Sie nickte.

Ein Anhaltspunkt und langsam kamen sie voran. Der erste Dominostein war gefallen und endlich konnte die Kettenreaktion starten.

„Was ist passiert?“

„Ich…ich wollte nicht abhauen, wirklich…“, begann sie schluchzend und lehnte sich ein wenig nach hinten an seine Schulter, „Ich wollte wirklich mit dir reden, aber mein Bruder…Er hatte mich angerufen. Mein Opa…er liegt im Krankenhaus. Es stand die letzten Tage ziemlich schlecht um ihn und wir waren alle da, falls er es nicht schafft.“ Wieder schluchzte sie und automatisch drückte er sie an sich. „Er hat Demenz. Bisher lief alles gut und Oma konnte sich noch alleine um ihn kümmern. Opa hatte nur hin und wieder Dinge vergessen, aber wenn wir ihn dran erinnert haben, wusste er es wieder. Ich bin sicher, meine Eltern haben Oma schon länger gesagt, sie muss eine Pflege besorgen. Aber…“

„Aber sie hat nicht drauf gehört“, schlussfolgerte er.

„Genau. Jetzt ist es soweit, dass Opa immer mehr vergisst. Selbst unsere Namen oder sowas. Als Oma im Keller war, ist er aus der Wohnung heimlich abgehauen und wollte ihr etwas zum Hochzeitstag holen. Dabei ist er angefahren worden.“

Kein Wunder, wenn sie mit einem affenzahn aus seinem Büro gestürmt war. Das wäre er bei Mokuba mit Sicherheit auch.

„Es stand ziemlich schlimm um ihn und ich habe gestern Nacht meine Eltern reden hören, wie sie darüber sprachen für Oma eine Wohnung zu suchen. Das Haus wäre zu groß und Opa braucht jetzt definitiv professionelle Pflegekräfte.“

Wenn er sich das so anhörte, konnte er verstehen, wieso sie so fertig aussah.

„Geht es ihm besser?“

„Ich denke schon. Ich habe nicht viel mitbekommen. Ich war nur zwei Mal mit im Krankenhaus. Die restliche Zeit musste ich mich um Shun und Sanya kümmern. Meine Eltern haben mich behandelt als wäre ich wieder ein Teenager und ich hab es einfach nicht mehr ausgehalten.“ Sie schluchzte erneut und Seto wusste, dass ihr wieder die Tränen über das Gesicht liefen. Spätestens als einzelne Tropfen auf seinen Arm fielen. „Die ganze Zeit konnte ich nicht schlafen, weil irgendwer immer im Haus herum geschrien, getrampelt oder mit den Türen geknallt hat. Sanya hat auch nur rumgezickt, wenn ich ihr was gesagt habe…dann konnte ich dir auch nicht antworten, weil kaum Empfang im Haus war. Ich konnte auch nicht meine Mails abrufen, um dir dort zu schreiben, weil Oma kein Internet besitzt. Ich war froh, dass ich meinen Chef erreichen konnte….“

„Bist du abgehauen?“

Schwach nickte sie wieder.

„Ich wusste nicht mehr weiter…ich konnte nicht schlafen und es war auch so falsch, so zu tun als wäre alles normal und auch was zu essen, während ich gemerkt habe, wie angespannt alle sind. Dann stand noch das mit dir aus und ich hab die meiste Zeit darüber nachgedacht, dabei hätte ich an Opa denken sollen! Heute früh hab ich gesagt, dass mein Chef mich braucht und ich wieder weg muss…dabei stimmt das gar nicht. Ich hätte noch mindestens eine Woche Zeit gehabt!“ Sie weinte wieder.

So langsam wunderte Seto gar nichts mehr. Bei dem schlechten Gewissen konnte es ihr auch nicht gut gehen und er fragte sich, wieso sie nicht schon eher was gesagt hatte. Fühlte sie sich so schlecht? Dabei war es doch nur verständlich, wenn sie sich mit einer Notlüge da raus holte.

„Es tut mir leid…“, schluchzte sie und ihre Hand umschloss seine fester.

„Du hättest es mir von Anfang an sagen sollen“, sagte er und fragte sich, wie er ihr nur helfen konnte.

„Es tut mir leid…“, brachte sie wieder raus und sie drehte sich in seinen Armen herum. Das warme Wasser plätscherte leise dabei. Demonstrativ sah Seto auf den Player. Sie zitterte und hielt sich an ihm fest.

Beruhigend strich er ihr über den Rücken.

So viel zum Thema geschäftliche Beziehung. Das hier war alles andere als geschäftlich und er sah zur Decke, um nicht auf ihren Körper zu glotzen.

Doch statt sich zu beschweren, hielt er sie stumm im Arm. Sein Hemd konnte er gleich wechseln, so durchgeweicht war es.

„Du solltest langsam aus dem Wasser kommen. Das Essen ist fertig und du hast sicherlich Hunger, wenn ich das richtig verstanden habe.“ Er sprach ruhig und versuchte mitfühlend zu klingen, was ihm gar nicht so einfach viel.

Langsam nickte sie und wischte sich wieder über die Augen.

Noch immer auf den Player starrend, tastete er nach dem Handtuch und breitete es mit einer Hand aus, während er sie immer noch im Arm hielt. Nur langsam löste er sich und hielt ihr das flauschige Stück Stoff so hin, dass es direkt alles bedecken konnte.

Ihre Hände streiften seine Hand, als sie ihm das Handtuch abnahm und langsam aufstand und sich umwickelte.

Seto stand mit auf und bot ihr ein wenig halt. Sein Blick war dabei auf sein Lieblingsduschgel gerichtet und sobald sie auf sicheren Füßen stand, ließ er sie los.

„Das Essen ist fertig. Wenn du dich angezogen hast, komm runter.“

Sie nickte und er sah ihre verquollenen Augen. Sie waren noch immer gerötet, aber es wirkte nur noch halb so schlimm wie vorhin. So wie Naomie dort stand, wollte er sie am liebsten wieder in den Arm nehmen. Sie wirkte so verloren und schutzbedürftig.

„Es wäre übrigens schön, wenn du wieder fröhlicher drauf wärst. So bist du mir wesentlich lieber“, sagte er mit einem leichten schmunzeln auf den Lippen.

„Du meinst, ich soll wieder froh und munter sein? Wie in dem Weihnachtslied?“, fragte sie und er hörte das Wasser plätschern, als sie aus der Wanne stieg.

„Wenn du es so ausdrücken willst und du wieder zu dem aufgedrehten und lächelndem Ding wirst, das mein Hund angesprungen hat, ja.“

Kurz blickte er über die Schulter und sah, wie sie sich über die roten Augen wischte und sich ein Lachen nur mit Mühe verkneifen konnte und auch sein Schmunzeln wurde eine Spur breiter. Sie wirkte so weniger schutzbedürftig und trotzdem, ließ das Bedürfnis nicht locker.

Doch diesmal ließ Seto sich nicht von dem Gefühl beeinflussen, sondern ignorierte es. Er verließ schnell das Badezimmer, ehe er dem nicht mehr widerstehen konnte. Außerdem, so sagte er sich selbst, wollte er es nicht darauf ankommen lassen, dass sie wieder übereinander her fielen und das Handtuch bot nicht wirklich Schutz davor, dass sie nicht zu weit gingen.

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, pochte seine Schläfe und das Blut zirkulierte in seinen Adern.

So langsam musste er sich was einfallen lassen. So wie die Sache zwischen ihnen lief, dauerte es nicht mehr lange und die Presse würde ihm eine Beziehung andichten. Irgendwie musste er es schaffen, dass sie auf eine geschäftliche Ebene zurückkehrten.

Es war nicht das erste Mal, dass er sich das vor nahm und wie die anderen Male zuvor, hatte es auch nicht funktioniert.

Langsam ging er zum Schrank und knöpfte sein Hemd auf. Der Stoff klebte unangenehm auf seiner Haut und er zog es schnell aus.

Wie konnten sie nur so abdriften?

Aus seinem Kleiderschrank zog er ein neues Hemd und zog es schnell an. Es fühlte sich kalt an, aber besser als das feuchte, was er nun ordentlich über einen Stuhl hing.

Kurz stützte er sich an der Lehnen ab und sah auf die Polsterung.

Was hatte ihn nur da grade geritten, ihr diese Worte zu sagen? Es passte so gar nicht zu ihm.

Aus dem Bad erklangen ein paar Geräusche. Seto schluckte und er dachte an das beklemmende Gefühl in seiner Brust, als er dachte, sie hätte sich was angetan. Wieso war der Gedanke nur so erschreckend?

Wieder schluckte er.

Es war gefährlich weiter so mit ihr um zu gehen. Dabei war es doch nur ein schwacher Moment gewesen, der ihn dazu verleitet hatte.

Ein einziger, schwacher Moment sorgte nun dafür, dass sie es schaffte, dass er sie so nahe an sich heran ließ. Das konnte nicht wahr sein und er durfte sich nicht so schwach geben. Er empfand nichts für sie und würde es auch niemals tun. So etwas wie Gefühle oder gar Liebe existierte zwischen ihnen nicht! Er würde sich so einen sentimentalen Schwachsinn auch nicht hingeben. Es gab auch keine Liebe auf den ersten Blick. Das war alles nur gefühlsduseliger Unsinn, den Hollywood erfunden hatte, um Frauen eine falsche Vorstellung von einer Beziehung und Gefühlen zu vermitteln.

Aber trotzdem setzte da etwas bei ihm aus. Es fiel ihm schwer so kalt zu bleiben und sich nicht doch auf ihre Art einzulassen.

Vor einigen tagen war es noch kein Problem gewesen, so zu tun als würde sie ihn nicht interessieren, aber seit dem Kuss hatte sich irgendwas verändert. Nicht nur zwischen ihnen, auch bei ihm und diese Erkenntnis manifestierte sich langsam in sein Bewusstsein.

Er machte sich inzwischen fast so viele Sorgen um sie, wie er es sonst nur für Mokuba tat.

War das gut oder schlecht? Sollte er froh darüber sein oder nicht?

Ihm war auch bewusst, dass er nicht auf ihre entschuldigenden Worte eingegangen war. Es war nicht so, dass er noch sauer war oder sie hasst oder es nicht annehmen konnte, er wusste einfach nicht, was er darauf erwidern sollte. Besonders, wenn sie so aufgelöst war und alle seine Instinkte schrien, sie zu beschützen, wie er es sonst nur bei Mokuba kannte.

Das war etwas völlig Neues für ihn.

Die Tür zum Bad schwang auf und er drehte sich um.

Da stand sie, frisch gebadet und mit einer einfachen Hose und Pullover aus ihrem Koffer bekleidet. Die Augenringe hatte sie mit der Creme, die er ihr gegeben hatte, gut abgedeckt. Alles in allem sah sie wieder lebendiger aus und sie lächelte, wenn auch schwach.

„Du siehst besser aus“, bemerkte er und nickte ihr zu. Sie wirkte noch immer fertig, aber wenn sie erstmal etwas gegessen und eine gesunde Portion Schlaf bekommen hatte, würde auch das schnell vorbei sein.

Innerlich schallte er sich jedoch direkt selbst.

Hatte er nicht eben noch vor gehabt wieder Distanz aufzubauen? Wieso machte er sich also Gedanken darum, was sie brauchte, damit es ihr besser ging? Innerlich knurrte er sich dafür selbst an.

Am liebsten hätte er sich dafür selbst in den Hintern getreten, aber sein Gewissen machte das sicherlich gerne für ihn.

Dennoch löste sich langsam der Knoten von Sorge, der sich in seinem Magen gebildet hatte. Seto hätte auch nicht sagen können, wie lange er diesen elendigen Anblick von ihr hätte ertragen können, ohne selbst noch mehr Schwäche zu zeigen.

Sie kam auf ihn zu.

„Ich hörte es gibt etwas zu Essen?“, fragte sie und er hörte einen fröhlicheren Unterton. Auf dem Weg der Besserung war sie auf jeden Fall und das hob auch seine Laune ein wenig.

„Unten in der Küche. Eintopf, dazu Salat mit Tomaten und als Nachtisch Obstsalat“, sagte er ruhig und er sah ihr in die Augen. Die Ränder waren bei genauerer Betrachtung noch immer Rot, aber er konnte wieder das Grün ihrer Pupillen erkennen mit den kleinen braunen Sprenkeln darin.

Sie nickte und sah sich kurz um, als könnte man sie beobachten, ehe sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn auf die Wange küsste.

Überrascht blinzelte er.

Was hatte denn das zu bedeuten? Hatte sie nicht klar gesagt, sie will nichts von ihm? Wieso küsste sie dann jetzt seine Wange?

Fast hätte er sogar die Augen geschlossen, konnte sich aber grade so davon abhalten. Außerdem war der kleine, flüchtige Kuss so schnell vorbei, wie er ihn bekommen hatte.

„Danke“, nuschelte Naomie leise mit einem Lächeln und ließ ihn dann alleine im Zimmer stimmen, während sie leise „Lasst uns froh und munter sein“ vor sich hin summte.

So viel zum Thema geschäftliche Distanz und Beziehung. Naomie machte es ihm nicht grade einfach. Aber aus irgendeinem Grund musste er dennoch schmunzeln.

Es war eine Herausforderung an sich selbst wieder die kühle Mauer auf zu bauen und Seto war bereit diese anzunehmen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KiraNear
2015-01-19T23:06:56+00:00 20.01.2015 00:06
Mokuba scheint den Kochkünsten seines Bruders wohl nicht allzu sehr zu trauen XD
>Ihr solltet euch das Gehirn raus vögeln, statt euch aus dem Weg zu gehen und Trübsal zu blasen!
Also Mokuba XDD

Oh Mann, Seto steht einfach sich selbst zu sehr im Weg. Ich frage mich, ob er das noch rechtzeitig erkennen wird.


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