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Living In A Toy Box

von

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Monster unterm Bett

Die Dämmerung hatte gerade eingesetzt. Die wohlig warme Röte wurde von der eindringlichen Kälte vertrieben. Regen peitschte gegen die Fensterscheiben, die solange schon kein Sonnenlicht mehr gesehen haben. Die Dunkelheit durchflutete das alte Herrenhaus am Rand von Gotham City.

Nur die zarten und sanften Melodien der kleinen Kindergeige unterstützen die antike Schreibtischlampe, den Raum spärlich zu erleuchten. Die Klänge verschmolzen mit dem eleganten Schwarz, welches das rosa Kinderzimmer in einen gruseligen Schatten tauchte.

Der Bogen strich leise über die vier Saiten und brachte die Schatten, die an den Wänden vorbeihuschten, zum tanzen. Die zerbrechlichen Fingerchen führten den Bogen über das Instrument als täten sie ihrer Lebzeit nichts anderes. Blonde Löckchen wippten im tragenden Takt und hellblaue Äuglein durchsuchten die Leere nach einem kleinen Lichtblick. Lange hatten sie nicht mehr gelacht, nur zarte Tränchen liefen ab und zu über die weichen rosigen Wangen. Das scheinbar mechanische Spiel und der ausdruckslose Blick ließ sie wie eine kleine Puppe aussehen, ungeliebt und verstoßen.
 

Plötzlich verstummte die liebliche Melodie mit einem schrecklichen Quietschen, als sich die Tür zu ihrem Zimmer öffnete. Es war wieder soweit. Sie hätte weg rennen können, doch es gab keine Möglichkeit, es ergab keinen Sinn. Sie hatte das Ende ihres jungen Lebens schon erreicht, es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sie endlich erlöst würde.

Die Türe ging mit einem leisen Knarren auf und eine große schwarze Gestalt bewegte sich in schwerfälligen trampeligen Schritten auf das zarte Püppchen zu.
 

Das Monster war wieder wach...und wollte zu Abend essen.

Die eisig blauen Äuglein weiteten sich auf ihr Äußerstes und die Fingerchen ließen langsam die kleine Geige auf den Boden sinken, denn ihr Zittern nahm ihnen jegliche Kraft. Das schaurige Monster trat hinter den winzigen Stuhl, auf dem das Püppchen saß und streichelte ihr langsam durch das blonde Engelshaar. Bei jeder Berührung zuckte der zierliche Körper zusammen, ihr Atmen beschränkte sich auf ein Minimum. Das Monster beugte sich zu ihr hinab, bis das scheußliche Gesicht an ihrem war. Sie konnte jeden Atemzug auf ihrer Haut spüren, der durch die Schnauze drang.

Eine kalte Brise. Eis. Kalt.

Die Klauen strichen behutsam an ihrem Köpfchen entlang, bis sie schließlich auf ihren zerbrechlichen Schultern lasteten. Backsteine. Schwere. Backsteine.

„Na, mein Püppchen? Bist du noch nicht im Bett? Soll ich ein wenig mit dir kuscheln?“ Diese Worte waren wie tausend Nadelstiche. Sie kamen, nicht unerwartet, aber sie zu hören war immer wieder eine schreckliche Überraschung.

Das Püppchen sagte nichts, versuchte nur nach Luft zu ringen, doch es war keine mehr da. Kein. Bisschen.

Das Monster packte das Püppchen unsanft und trug es zu ihrem kleinen Himmelbett. Es war klein, aber das Monster kam trotzdem immer mit hinein.

Tausend andere Puppen schauten aus ihren glasigen Augen zu, doch sie taten nichts. Warum halfen sie nicht?

Die Klauen des Monsters stahlen sich unter das Puppenkleidchen und berührten die Porzellanhaut unsanft. Die Krallen kratzen die zarte Haut auf, zerfetzten das hilflose Püppchen, dessen Leben, dessen Seele.

Doch davon bekam das Püppchen gar nichts mehr mit. Es hatte diese Welt verlassen, wenn auch nur für einen kurzen Moment, und auch wenn sie bald zurück kommen musste, sie verließ die unergründliche und unkontrollierbare Dunkelheit und floh. Weit. Weit. Weg.

Unloved Doll

Es war Winter. Eigentlich war es noch Herbst, aber der Schnee konnte es anscheinend kaum erwarten, die Erde weiß zu pudern. Menschenmassen in warmen Mänteln und in Schal und Handschuhen eingepackt, wuselten durch die Straßen Gothams. Man könnte meinen, die Weihnachtseinkäufe seien schon fällig, so hektisch ging es auf den Bürgersteigen zu.

Schubsen und Drängeln gehört aber schließlich zu den guten Manieren einer Großstadt.

Da fällt es kaum auf, wenn eine junge Frau in einem kurzen Minirock mit einem dicken langen lila Schal und zwei locker zusammengebundenen Zöpfen gegen den Strom der Masse schwimmt. In den hohen Absätzen überragte sie zwar so manchen geschäftig Tuenden, dennoch wurde sie unachtsam und verständnislos hin und her geschoben. Ihr Blick war gesenkt und suchte den Boden nach freien Stellen ab, an denen sie ihren nächsten Schritt platzieren könnte.

Kein leichtes Spiel. Aber Verlierer sein ist sie ja gewohnt. Und Immerhin hatte sie es bis hierher geschafft.
 

Es ist schon Tage her, seitdem sie verschwunden war. Niemand wusste wo sie hin gegangen ist oder ob sie überhaupt noch am Leben war. Aber schließlich interessierte es ja auch niemanden. Fast.

Ihr Gesicht war nunmehr ein Schatten, unbekannt und anonym. Ihr Leben lang hatte sie keine Kontakte zu anderen. Eingesperrt in der Höhle des Löwen. Da war ihr Erscheinen in der Öffentlichkeit zwar weniger spektakulär für die Außenwelt, mehr doch für sie.

Da war sie nun, allein in dieser großen Stadt und ohne jeglichen Plan für ihre Zukunft. Dieses Gefühl war ihr nicht neu, dennoch unangenehm.

Ein kühler Luftzug ließ die Haare in ihrem Nacken aufstehen, sie wickelte den Schal ein weiteres Mal um ihren Hals und zog in fester.

Diese Fülle von Fremden war ihr allerdings immer unbekannt, nun durch diese Straßen zu gehen war eine Überwindung.

Ihr Schritt verlangsamte sich bis sie schließlich stehen blieb. Sie nahm einige aufgebrachte Rufe hinter sich wahr, die aber in zügigen Schritten an ihr vorbei zogen.
 

Sie hatte keine Angst von ihm gefunden zu werden. Er war nunmehr ein alter gebrechlicher Mann, der sich wahrscheinlich zu Hause vergrub und kleine Kinder in sein Haus lockte. Schon allein der Gedanke an diesen Menschen ließ es ihr kalt über den Rücken laufen, sie empfand nichts als Hass für ihn. Hass und auch ein wenig Mitleid. Sie hoffte das Gefühl würde sich irgendwann in Gleichgültigkeit umwandeln, denn dieser Mensch hatte weder so eine starke Verbindung wie Liebe noch Hass verdient, er verdient bloße Gleichgültigkeit.

Die Polizei hatte sie nicht benachrichtigt, das Gefühl der verlorenen Kontrolle war für ihn Strafe genug. Sein Leben würde sowieso bald ein Ende finde. So oder So.
 

Die Laternen am Straßenrand leuchteten bald auf und läuteten die Nacht ein. Zeit, sich irgendwo zu verkriechen und zur Ruhe zu kommen. Irgendwie.

Eine kleine Gasse, für die der Begriff Dunkelheit noch zu hell war, musste diese Nacht als Schlafplatz dienen.

Langsam und vorsichtig schlich sie in die Finsternis, immer eine Hand an der Wand mitführend. Ein Schritt nach dem anderen. Langsam und behutsam. Man konnte ja nie wissen was einem auf dem Boden so begegnete. Sie schreckte kurz hoch und taumelte einige Schritte rückwärts, als eine graue hässliche Ratte ihre Knöchel streifte. Sie konnte Stimmen hören, wusste aber nicht aus welcher Richtung sie zu ihr drangen. Mit einem kurzen Kopfschütteln versuchte sie die aufkommende Angst zu verdrängen. Obwohl, Angst hatte sie eigentlich nicht, eher so etwas wie Aufregung stieg langsam ihren Körper empor.

Das Tropfen aus den Regenrinnen, die hallenden Schritte und die Schatten an den Mauern, die sie wahrscheinlich größtenteils selbst verursachte, trugen nicht unbedingt zu einer schönen nächtlichen Atmosphäre bei. Dunkelheit war ihr nicht neu, doch diese unbekannten Geräusche, diese merkwürdigen Gerüche und diese Gegend waren mehr als beunruhigend.

Ihre Absätze hallten auf den nassen Pflastersteinen wie ein Echo wieder. Müll zierte die Linke und Rechte des Weges und alte Tonnen in denen gut ein paar in Teppiche eingewickelte Leichen Platz hätten folgten der schmalen Gasse.

Schweißtropfen, seien sie der Luftfeuchte oder der Angst, Pardon, Aufregung wegen, liefen der jungen Frau, die äußerlich wie höchstens fünfzehn aussah, in ihr Dekolleté.

Sehr einladend sah das Alles hier nicht aus, doch sie krämpelte die Ärmel der ihr viel zu großen Jacke hoch und wollte gerade ein paar Müllsäcke zurecht rücken, als eine Hintertür einige Meter entfernt, die eben noch einer Steinmauer glich, aufsprang und ein eine Gruppe Männer herauskam. Das Mädchen fror in ihrer Bewegung ein und hielt die Luft an.

Ihr Herz setzte kurz aus um dann in einem rasanten Tempo weiter zu klopfen.
 

Es waren vielleicht vier große Gestalten, es hätten aber auch mehr sein können, das war in der Dunkelheit kaum erkennbar. Das Mädchen konnte nicht viel sehen, jedoch als das Mondlicht silberne Gegenstände reflektierte, wusste sie, dass die Männer bewaffnet waren. Einige waren schon am gehen, ein anderer drehte sich in der Tür nochmals um und schoss dreimal hintereinander in den Raum. Die Schüsse hallten wie Blitze durch die hohle Gasse. Sie taten ihr in den Ohren weh und erklangen noch Sekunden danach wie ein grausiges Echo. Ihr Herz schien ein weiteres Mal auszusetzen als eine andere Person wie ein nasser Sack aus der Tür kippte.

Ihre blauen Äuglein versuchten ein Lebenszeichen auszumachen. Beim genauen Hinschauen konnte sie die Augen, die offenen toten Augen und das Einschussloch auf dessen Stirn, umrandet mit einem zarten Rot, fixieren.

Sie hielt die Luft an. Man durfte sie nicht sehen, sonst würde ihr noch das selbe Schicksal blühen. Sie tat einen winzig kleinen Schritt zurück, wollte nicht gesehen werden, nicht sterben, nicht so.

Doch diese kleine Bewegung wurde ihr zum Verhängnis. Sie knickte um und ratterte unsanft nach unten und zwischen den unzähligen Müll.

Stille.

Keine Bewegung.

Nicht von ihr und nicht von dem letzten Mann, der sich noch in Reichweite befand.

Er hatte sie gehört. Das war's.
 

Langsam, ja fast lässig drehte sich die dunkle Gestalt um und suchte die Umgebung nach der Quelle des Geräuschs ab.

Es dauerte keine Sekunde.

Er hatte sie sofort.

Das Mädchen konnte nichts erkennen, kein ein Gesicht, keine Form. Doch als das Mondlicht für einen kurzen Augenblick die Person streifte, fuhr es ihr eiskalt durch die Adern. Sie konnte sich nicht daran erinnern, irgendwelche Mittelchen genommen zu haben, doch vor ihr stand wahrhaftig ein Clown. Doch nicht einer dieser lustigen, amüsanten, tolpatschigen wie im Zirkus, nein. Die Schminke, eine Kriegsbemalung. Die kleinen Augen üppig schwarz umrandet, fast wie zwei Löcher. Eine Kiste ohne Boden. Die grünen ausgewaschenen Haare wild im Gesicht verstreut. Und ein weiter violetter Mantel, der Wellen in der leichten Brise des kalten Windes schlug. Dieser eine Moment, dieser eine Augenaufschlag reichte, um ihr Alles über das nun Folgende zu berichten.

Sie versuchte sich noch mehr an die Wand hinter ihr zu pressen, zog die Beine an, legte die Hände schützend auf die Knie und atmete flach. Der Clown stand schneller vor ihr, als sie gedacht hätte. Er ließ sich auf die Knie fallen und beugte sich ganz nah zu ihr heran.

„Na, was haben wir denn da? Was macht ein süßes kleines Püppchen, wie du noch nachts hier draußen?“

Das Mädchen riss die Augen auf, denn erst jetzt konnte es die schrecklichen, rot geschminkten Narben auf den Wangen des Mannes erkennen. Sie zuckte zurück als dieser die Hand hob und ihr über das Gesicht strich.

„Pass nur auf, sonst begegnest du noch irgend so einem durchgeknallten Psychopathen, der als Clown verkleidet durch die Straßen rennt, kleines Püppi“ Er griff in seine Manteltasche und zog ein Messer heraus. Langsam führte er es zu ihrer Kehle. Das kühle Metall legte sich geräuschlos auf ihre blasse Haut. Sie versuchte nach unten zu schielen, die Quelle der Gefahr auszumachen, doch der stechende Blick des Clowns hatte den ihrigen gefesselt. Ihr atmen wurde zu einem unregelmäßigen Luftschnappen.

„Jetzt brauchst du keine Angst mehr haben, ungeliebtes Püppi, jetzt ist es nämlich sowieso zu spät“

Ein leises Kichern drang aus dem rot geschminkten Mund. Er legte seine Hand auf ihren Kopf und strich ihr behutsam eine blonde Locke aus dem Gesicht, im selben Atemzug drückte er die Klinge des Messers noch fester gegen ihren Hals, bis sich die Haut darum dunkelrot färbte. Sie versuchte dem starken Blick Widerstand zu leisten. Die eisblauen, kalten Äuglein starrten in die dunkle Leere der seinigen. Sekunden lang schien nichts zu passieren. Der Druck des Messers wurde nicht stärker, nicht schwächer.

„Was ist? Hat's dir die Sprache verschlagen? Schrei um dein Leben. Ich werde dir die Kehle aufschlitzen! Kriegst du auch gar nichts mit?! Mann...“ Seine Stimme klang aufgewühlt und hektisch, dennoch konnte sie einen Hauch von Sarkasmus spüren, der die Wortspiele und die Ironie dieser Situation untermalte.

„Warum sollte ich schreien?“, drang es in leisen und zarten Tönen an das Ohr des Clowns. Das Mädchen bemühte sich so ruhig und unberührt wie möglich auszusehen, weiterhin hielt sie den Blickkontakt, versuchte das schaurige Gesicht provokant zu fixieren.

„Hmm...Vielleicht weil du Angst hast? Wo bleibt denn sonst der Spaß? Mein Leben ist, ob man's glaubt oder nicht, auch nur eintöniger Alltag, da muss ich mir auch mal was gönnen, verstehst du Püppi?“- „Dann mach nur, töte mich.“

Fast nebensächlich rezitierte sie ihre vermeintlich letzten Worte. Nicht, dass sie keine Angst hatte, von der Aufregung mal ganz abgesehen, sie hatte nie Spaß am Leben gehabt. Kein Tag, an den sie sich erinnern konnte, brachte ihr Freude. Sie wollte ihr Leben beenden, vielleicht nicht so, vielleicht etwas...angenehmer. Auf jeden Fall war die Methode mit dem Psychopathen kein schlechter Anfang.

Sie hätte erst gar nicht auf diese grausame Welt kommen sollen, nun wird ihr Leid endlich beendet. Endlich.

„Wenn du meinst, Püppi.“ Ein merkwürdiges Lächeln umspielte seine Lippen.

„Ich mach's auch kurz. Tut. Gar. Nicht. Weh.“

Das Messer bohrte sich immer tiefer in die Pozellanhaut. Schon allein der Druck der gut geschärften Klinge und der Gedanke an das, was sie verursachen würde, ließ dem Mädchen ein Zittern durch die Gliedern fahren. Ihr Kinn hob sich mit jedem Millimeter, den das Metall an ihrem Hals entlang schnitt. Trotzdem erwiderte sie weiterhin unbeirrt den starren Blick ihres Gegenüber. Sie wollte die Augen nicht schließen, sie wollte ihrem Gönner dabei zusehen, wie er das Werk beendete, welches Gott, oder irgendeine Hure, die sich ihre Mutter schimpfte, begann. Lediglich ein kurzes Zucken der Augenlieder verriet dem Fremden, das sie wahrscheinlich doch Schmerzen spürte. Noch ein letztes Mal presste er mit gesamter Kraft das Messers auf ihren Hals um dann schließlich die zarte Haut aufzureißen und ihr ein wenig karminrotes Blut zu entlocken.

Der Clown stand, ja sprang fast auf und das Mädchen kippte zur Seite.

War das der Tod?

Hatte sie es geschafft?

Endlich das Leben besiegt?

Sie öffnete die Augen. Sie lebte noch?!

Der vermeintliche Mörder stand vor ihr, mit finsterer und auch enttäuschter Miene. Sie konnte ein Seufzen wahrnehmen.

„Sag mir bescheid, wenn du wieder Lust am Leben hast, damit die Sache hier ein wenig mehr Spaß macht“ Mit diesen Worten, die nicht mehr so erquickt glucksend durch die Gasse hallten, warf er ihr ein kleines Stück Papier entgegen und verschwand in die Dunkelheit. Das Mädchen lag immer noch scheinbar leblos und mit Verlaub auch etwas verwirrt auf dem kalten Steinboden. Sie fasste sich an den Hals, an dem die anscheinend doch nicht so tödliche Wunde war. Ein kleiner Kratzer, ein kleiner Tropfen Blut. Mehr Nicht. Mehr Nicht? Das soll's gewesen sein?

Doch ehe sie sich der Verwirrung dieses Geschehnisses hingeben konnte, wurde ihre Neugier von dem Papier, welches vor ihr in einer Pfütze lag geweckt. Sie rappelte sich auf und griff danach. Es war eine Karte. Wahrscheinlich als Pfand, Sinn für Humor, schwarzen Humor, bewies er damit ganz sicher.

Sie drehte die vergilbte Karte zwischen den Finger auf die Vorderseite.

Der Joker.

Jazmin in Wonderland

Die bunten Blätter rieselten wie Konfetti von den alten Bäumen, wurden von der lauwarmen Luft angetrieben und tanzten so durch einen wunderschönen Nachmittag im Klinikpark, bis sie schließlich dem Erdboden entgegen flogen und dort liegen blieben, für immer, bis der Schnee kam und sie in ihren eisigen Sarg hüllte.
 

Jazmin saß zusammen gekauert auf ihrem Bett und beobachtete den Lebenskreislauf der kleinen Birkenblätter. Ihr Beinchen baumelten von dem Krankenbett und ein kleines Püppchen, welches sie in einer Mülltonne fand, lag leblos auf ihrem Schoß.

Ein weiterer Tag, der sich dem Ende näherte, ein weiterer, sinnloser Tag.

Seit sie hier war, hat die Bedeutung ihres Lebens stetig abgenommen, aber die Psychologen schienen eine Lebensaufgabe darin zu sehen, ein mit Pulsadern aufgeschlitztes Mädchen, welches in einem Hinterhof gefunden wurde, wieder aufzupäppeln. Haben die sich eigentlich schon mal gefragt, ob die Patienten das selbe wollen wie die arbeitsgeilen Ärzte?

Die mögen ja meinen, dass diese kleinen Sitzungen in der „Selbstmord- Selbsthilfegruppe“, wie sie gern zweideutig von den Patienten genannt wird, auch nur ein bisschen helfen? Wenn man sich entschlossen hat zum Mittag Spaghetti vom Italiener zu essen wird man wohl kaum kurzfristig zu Mac Donalds fahren.

Es war doch mehr nur ein Hinhalten, ein Herauszögern, bis etwas Schlimmes passiert. Die Hälfte der hier Behandelten wird sich sowieso nach ihrem Entlassen die nächstbeste Brücke genauer anschauen und die Wassertemperatur testen.

Sie hatte es satt.

Ein Jahr saß sie hier nun, es war zwar besser, als irgendwo auf der Parkbank zu schlafen, aber es war doch nicht besser als ihr vorheriges Leben im blechernen Käfig.

Sie war doch sowieso nur die „Kranke“. Das „arme, kranke Mädchen“, eine Tüte Mitleid bitte!

Jazmin gehört zu den „Hoffnungslosen“. Allein in der Klinik hatte sie 14 Mal versucht sich selbst das Leben zu nehmen. Sie stand unter ständiger Beobachtung, sie durfte weder mit Metallbesteck essen, noch allein auf Toilette gehen, nicht einmal in einem normalen Zimmer durfte sie den Rest ihres Lebens verbringen. Sie fühlte sich wie ein Kleinkind, alles war abgepolstert, spitze, scharfe Hieb- und Stichgegenstände, sei es eine Nagelpfeile oder ein Bleistift, leben wurde ihr hier verwehrt, aber leben wollte sie ja auch nicht.
 

Sie ließ sich von der Bettkante fallen und tappelte zur Tür. Behutsam ergriff sie die mit Schaumgummi abgepolsterte Klinke und zog die Tür vorsichtig auf.

Nur ein kleines Stück.

Sie steckte ihr Näschen durch den Schlitz und schaute sich suchend um. Keiner Da. Sie öffnete die Tür ganz und schlürfte in Socken hinaus.

Eins.

Zwei.

Drei.

Vier!

Sie schaffte heute genau vier Schritte allein aus der Tür, bis Susan kam und sie sanft am Arm packte. Ein neuer Rekord.

„Kleine Ausreißerin. Du sollst doch Bescheid sagen, wenn du raus gehen möchtest“ Susan ließ sie langsam los und lächelte sie an.

„Wo magst du denn hin?“ Jazmin legte den Kopf schief,

„Ich weiß nicht“. Ihr war es relativ egal, wo sie hingehen würden, was sie machen würden, doch das „Marshmallow“- Zimmer machte sie nur noch depressiver.

„Heute proben sie für die Herbstaufführung. Wollen wir zuschauen?“, fragte Susan in gespielter Euphorie. Jazmin brachte nichts weiter als ein kaum erkennbares Nicken zum Ausdruck. Meinetwegen. Susan führte Jazmin durch den Gang, als wäre sie schwer behindert oder so schwach, als dass sie gleich umfiele. Sowieso behandelten sie alle, als wäre sie noch ein Kind, dabei war sie schon 21! Sie schienen sie aber vielleicht gerade einmal auf sechzehn zu schätzen. Aber woher sollten das die anderen auch wissen.

Bei ihrer Ankunft sagte sie, sie könne sich an nichts erinnern, keine Vergangenheit, keine Kindheit, kein Alter, keinen Namen. Jazmin war lediglich die Erfindung der Ärzte, damit sie wenigstens irgendetwas in die Krankenakte schreiben konnten. Es schien zu der Zeit auch niemand vermisst zu werden, der auf die Beschreibung eines kleinen blonden Mädchens passte. Die Polizei war bei der Identifizierung machtlos. Niemand konnte sagen, wer das ungeliebte, verstoßene Püppchen war.
 

Gemeinsam liefen sie zu der kleinen Aula im zweiten Stock. Es war der größte Raum im ganzen Gebäude. Einige Stuhlreihen waren fein geordnet vor einer kleinen Bühne aufgestellt. Das machten immer die Zwangsneurotiker, die Stühle standen alle fein säuberlich geordnet wie auf einem Schachbrett. Wenn sich jemand hinsetzte oder sie verrückte, bekamen die immer einen halben Nervenzusammenbruch. Das war witzig.

Klaviermusik und stümperhafter Gesang schallten den beiden entgegen. Jazmin blieb in der geöffneten Flügeltür stehen und schaute den Laien dabei zu, wie sie zwanghaft versuchten, ihre Rollen einzuüben.

Die „Alice“ hüpfte dabei vergnügt auf der Bühne herum und rempelte ein paar mal das Klavier an, welches dann unerträgliche Sprünge in der Melodie nahm. Jazmin verzog das Gesicht, es war wahrhaftig eine musikalische Vergewaltigung.

Susan schien sie teilweise Belustigung und Entsetzen Jazmins zu bemerken. „Magst du nicht auch mitspielen? Vielleicht ist ja noch eine kleine Rolle für dich frei?“ Und sie hatte sie falsch gedeutet. Lieber würde Jazmin noch 100 Jahre leben, als dass sie an der Vernichtung eines wunderbaren Stückes teilnehmen würde. Lewis Caroll* würde sich im Grab umdrehen.

„Nein, ich bin kein musikalisches Talent“, war wohl das einzige was Susan abwimmeln würde. Sie lehnte ihren Kopf an den Türrahmen und versuchte ein wenig zu lächeln. Aber nur ein wenig. Ihr Blick wurde wieder auf die Selbstmord gefährdete Alice gelenkt. Doch weniger wegen ihrer zweifelhaften Vorstellung, das Kostüm, das sie trug, weckte Jazmins Neugier.

Alice hatte zwei übermäßig große rote Schleifen im Haar, außerdem hatte sei ein süßes rosa Röckchen an, welches den Übergang zu einem Korsett andeutete. Die Musik verstummte in Jazmins Ohren und sie sah nur noch Alice. Sie stellte sie sich in ihrem Wunderland vor, wie sie mit dem Hasen, der keine Zeit hatte und der Grinse Katze an einem Tisch in einem wunderschönen Wald saß und an der „Trink mich“- Flache nippte und von dem „Iss mich“- Kuchen aß.

Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als Susan sie aufforderte sich doch in die Aula zum zuschauen zu setzen. Jazmin winkte ab und drehte sich von der Tür weg.

„Ich bin müde. Ich will wieder zurück.“
 

Nachdem Susan sie zu Bett gebracht hatte, das Licht aus und die Kameras angeschaltet hatte und die Tür endlich geschlossen wurde, klopfte sich Jazmin gedanklich auf die Schulter und gratulierte sich zu einem weiteren überlebten Tag, rein ironisch versteht sich.

Sie zog die Decke bis an ihr Kinn und legte die Arme auf das Laken. Ihre Puppe lag seelenruhig auf ihrem Bauch und schaute aus ihren Glasaugen auf Jazmin hinab.

Alice ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie musste an sie denken, an das Wunderland, da, wo alles auf so paradoxe, wunderliche Art vorzufinden war.

Alles surreal, alles verrück, wie in ihrem Kopf. Es wäre der einzige Ort, an dem sie sich wohl fühlen würde.

Sie seufze kurz und plötzlich fiel ihr etwas ein, an was sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gedacht hatte.

Sie setzte sich auf und lehnte sich rüber zu ihrem kleinen Nachttisch. Mit ihren langen Puppenfingern öffnete sie die Holzschublade, räumte einige Bücher hinaus und tastete den Boden nach einem kleinen, flachen Gegenstand ab. Als ihre kühlen Fingerspitzen eine kleine Erhebung spürten, hob sie die Spielkarte an und schloss die Schublade. Jazmin legte sich wieder in ihr Kopfkissen und beäugte die Karte. Sie erinnerte sich nur zu gut, welches Ereignis sie mit dem Joker verband . Aber sie wusste nicht welches Gefühl es war, das bei dessen Anblick in ihr aufkam. Angst?

Vor dem Clown?

Vor dem Tod? Nein.

Verwirrung? Ein wenig.

Sehnsucht. Vielleicht.
 


 

*Autor der „Alice in Wonderland“ Geschichte

Showtime!

Es herrschte ein reges Treiben in der Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, denn es war der Tag der Aufführung von „Alice im Wunderland“.

Verwandte und Freunde von Patienten nutzten diese Gelegenheit um ihre Angehörigen einmal im Jahr zu besuchen.

Es kamen nicht viele freiwillig, mehr um ihr Gewissen zu beruhigen, sich ausreichend um ihre Liebsten gekümmert zu haben. Das war schon irgendwie traurig.

Jazmin war diesem Trubel zeitig aus dem Weg gegangen und verkroch sich seit der ersten Ankunft euphorischer Verwandter in ihrem Zimmer. Natürlich war sie nie unbeobachtet. Aber egal. Hauptsache Ruhe.

Doch sie lag nicht träge und faul im Bett, sie hatte sich vor ihr Fenster gesetzt und betrachtete aufmerksam ihr Spiegelbild. Lautes Getrampel und Geplapper vor der Tür versuchte sie auszuschalten und zu ignorieren. Sie hob die Hand und fasste ganz vorsichtig an das sie spiegelnde Glas, als sitze ihre Zwillingschwester in Fleisch und Blut vor ihr. Erst berührte sie ihre Nasenspitze, fuhr dann langsam an den Augenbrauen entlang und stoppte bei den Augen. Sie waren so...unergründlich...tief.

Eisblau.

Kalt.

Sie musste kurz den Blick abwenden. Irgendwie war ihr nicht wohl dabei. Doch ihre Aufmerksamkeit zog es wieder zu dem Püppchen im Glas. Sie strich sich über die Wangen bis sie schließlich am Mund angekommen war. Blutrot.

Sie erinnerte sich an die Narben des Fremden, der sie um ein Haar getötet hätte. Sie leckte ihren Zeigefinger an und zog in ihrem Spiegelbild von den Mundwinkeln aus zwei feine Linien aber die Wangen. Als sie das Ergebnis sah, hielt sie kurz inne. Was sie da sah, erschreckte sie, kurz, dann...gewöhnte sie sich daran.

Es sah...anders aus.

Irgendwie...komisch.

Plötzlich raste ein kleiner Fetzen verbliebe Fantasie durch ihren kleinen Kopf. Sie kniff die Augen zusammen und auf einmal stand sie in einer anderen Welt. Paradox. Surreal. Anders. Schön.

Durch die Tür drang leise aber gut verständlich die Klaviermusik und das schreckliche Katzengejaule der Alice.

Jazmin sprang auf und lief eilig zur Tür. Sie blickte sich um, kein Mensch da. Totenstille, nur die Musik dudelte erbarmungslos durch die hohlen Hallen. Selbst die Pfleger schienen mal eine Pause von den Patienten zu nehmen, zumindest von ihr. Eilig aber mucksmäuschen still schlich sie über die kalten Fliesen in die zweite Etage zur Aula. Die beiden Flügeltüren waren verschlossen, nur durch die darin eingelassenen Fenster, konnte sie das Publikum und die Psychopathen auf der Bühne sehen. Kurz drückte sie ihr Näschen an das kalte Glas und lugte vorsichtig um die Ecke, doch als sie Susan erblickte, und als Susan sie sah, drehte sie sich schnell weg und presste sich an die Wand. Die Tür öffnete sich langsam und Jazmin flüchtete in den Nebenraum, der hinter die Bühne führte. Dort angekommen, drehte sie schnell den Schlüssel um und horchte, ob Susan ihr gefolgt war. Stille. Gut.

Vor ihr lag nun scheinbar die Erfüllung ihrer Träume. Es war nur ein kleiner Lagerraum, der als Umkleide und Maske dienen sollte, erleuchtet von zwei mikrigen Lämpchen, die gelangweilt von der Decke baumelten. Langsam ging sie auf die Kleiderstange mit aufwändig gestalteten Kostümen zu. Vorsichtig fasste sie den weichen Samt, aus denen die Kleider gemacht waren, an. Doch das Objekt ihrer Begierde war nicht present. Natürlich nicht. Es hüpfte gerade geistesgestört auf der Bühne herum. Sie wendete den Blick von der Garderobe ab und wandte sich den „Filmdiva“ Schminktischen zu. Lange hatte sie keinen Spiegel mehr zu Gesicht bekommen...Also keinen richtigen...

Auf der kleinen Komode lag etwas Make-Up.

Rouge, Eyeliner, Wimperntusche.

Mit zittrigen Fingern griff sie zu dem Puderpinsel, tauchte ihn tief in das Rouge und verteilte es auf ihren sowieso schon rosigen Wangen. Dann fasste sie ohne Scheu in die schwarze Schminkfarbe und verteilte sie großzügig über die Augen. Ein kurzer Blick in den Spiegel. Ein kurzer Schreck. Ein zufriedenes Lächeln.

Wenn ich damit fertig bin, sperren die mich garantiert in die Innere...

Jetzt fehlte nur noch...

Hastig schaute sie sich um. Taschentücher, Creme. Eine Schere? Nein. Sie durchwühlte einige Taschen bis sie schließlich einen kleinen Spitzer hervorholte. Hektisch versuchte sie mit ihren Nägeln die Schräubchen aufzudrehen, doch schnell musste sie die Schere zu Hilfe nehmen. Sie schnitt sich einige Male in den Finger, bei dem Versuch, die Klinge aus der Plaste zu bekommen.

Dann hielt sie das gute Stück endlich in den Händen und führte es zu ihrem Mund. Ein kurzes Zögern, dann setzte sie die Klinge an den Mundwinkeln an. Behutsam schnitt sie einige Millimeter tief in ihre Porzellanhaut, doch dann musste sie absetzen, sie hatte ganz vergessen, dass das mit Schmerzen verbunden war, doch was hatte sie zu verlieren? Ein bisschen Spaß muss doch sein...

Sie biss sich auf die Zunge und schnitt weiter. Als die eine Seite geschafft war, atmete sie kurz durch und führte ihr Werk fort.

Das wird ein Spaß.

Ihr war es egal, was die anderen sagen würden, tiefer konnte sie nicht sinken, in der Klapse war sie ja schließlich schon. Nicht, dass sie jetzt völlig am Rand drehte. Um Gottes Willen! Manchmal dachte sie, sie wäre die geistig normalst Gebliebene in dieser ganzen Klinik...Ärzte und Pfleger eingeschlossen. Wenn sie aus ihr schon einen Psychopathen machen wollten, dann auch richtig.
 

Sie verdrängte den Schmerz und sah dem Blut zu, wie es langsam in feinen Tränen über ihr Gesicht ran. Plötzlich lauter Beifall, die Tür zu Bühne öffnete sich, Alice kam hinaus. Schnell kroch Jazmin unter die Komode. Alice schien sich nur schnell Nachschminken zu wollen, für ihren nächsten „großen Auftritt“. Jazmin spürte ihre Chance und zog Alice die Beine unter dem Körper weg, als diese gehen wollte. Alice fiel, Jazmin stürzte sich auf sie und zog ihr die Schleifchen aus den Haaren. Dann bekam sie eine Federboa zu fassen, die von der Garderobe herunter hing und fesselte Alice an den Handgelenken.

Dieser gefiel das Spiel natürlich überhaupt nicht und sie begann zu schreien. Doch ehe sie ihrer Gesangseinlage auf der Bühne Konkurrenz machte, stopfte Jazmin ihr ein paar Taschentücher in den Mund. Das hatte ihr noch gefehlt...nicht nur bekloppt, sondern auch noch Geiselnehmer...

Hastig fummelte sie sich die beiden Schleifen in ihre Löckchen und eilte zum Bühnenausgang.

It's Showtime!

Die Bühne war leer und dunkel. Logisch, denn die Vorhänge waren geschlossen. Welche Szene jetzt an der Reihe war, wusste sie nicht. Aber das Stück kannte sie fast auswendig. Als kleines Mädchen schaute sie es sich oft genug im Fernsehen an. Das war auch so ziemlich das Einzige, an was sie sich erinnerte, offiziell.

Ein Lied mochte sie dabei am meisten...

Sie setzte sich auf einen Deko-Baumstamm mit dem Rücken zum Publikum und wartete bis sich die Vorhänge öffneten. Sie konnte nur den schmalen Lichtstrahl sehen und brannte nur darauf, dass das Licht heller wurde...

Klatschen, Licht, Musik, die sofort verstummte, als Alice ein anderes Lied anstimmte, als das was auf dem Notenpapier verzeichnet war.
 

In the room of silent dreams

I´ve lost the light of life.

'Now cold darkness embraces me .

I´m blinded by my pain.
 

Awoke in empty halls

While shadows where dancing on the walls

I try to grip the morning light

But there´s just the silver gleam of a freezy night
 

A strange call pours into my head
 

Jazmin drehte sich langsam um und ein entsetztes Raunen ging durch das Publikum. Es blutete doch stärker als sie annahm. Sie konnte spüren wie die warme Flüssigkeit erst auf ihren Rock, dann auf den Boden tropfte. Trotz der aufkommenden Schmerzen, versuchte sie ihr Lied weiterzusingen. The Show Must Go On...
 

Whispering through the darkness of my soul
 

Sie bemerkte die verständliche Unruhe, einige Leute standen auf und verließen den Raum, andere starten sie nur geschockt an.
 

Speaking softly and clear
 

Jetzt kamen von beiden Seiten Pfleger auf sie zu. Es verwirrte sie, dass sie sich solche Zeit ließen. Oder hatten sie Angst? Vor ihr?
 

Coming from a neverseen place
 

Der Boden nahm eine rötliche Färbung an. Ein kleines Kind begann zu schreien. Die Pfleger waren nunmehr nur noch einige Schritte von ihr entfernt. Sie wollte aber noch nicht aufhören. Sie hatte noch nicht alles gesagt. Noch nicht alles erzählt.
 

I have to leave this empty hall
 

Nun packten zwei weiß gekleidete Personen sie sanft aber bestimmt an den Armen. „Ganz ruhig, Kleines“. Sie konnten sie noch nicht wegbringen! Sie war noch nicht fertig! Aber sie wehrte sich nicht. Wie ein angefahrenes Reh ließ sie sich von der Bühne bringen. Sie stoppte ihren Gesang, doch ihr kam es vor, als hallte das Lied immer noch durch die Luft. Die Zuschauer bildeten eine Gasse und wichen geschockt zurück, als die beiden Pfleger mit Jazmin im Schlepptau an ihnen vorbei gingen.
 

I have to follow my inner call
 

Draußen auf dem Flur legten sie ein wesentlich schnelleres Tempo an den Tag. „Was ist bloß in dich gefahren, Mäuschen?“ Susan. Sie kam aufgewühlt hinterher gerannt. Jazmin wurde auf eine Liege gelegt und sofort auf die Notfallstation gebracht. „Was hast du dir nur angetan?“. Ihre Stimme klang trotz der zittrigen Stimme ruhig und sanft. Ja, sie hielten sie jetzt eindeutig für ein unzurechnungsfähiges Kleinkind. Sie hatte es geschafft. Mentaler Schulterklopfer.
 

The walls close in it´s cold inside
 

Susan schien ihr übers Gesicht streichen zu wollen, aber sie tat es nicht. Warum wohl? Man brachte sie in den OP. Dann schloss Jazmin die Augen. Nur noch wie ein Flüstern hörte sie die verzweifelte Stimme Susans: „Wie konnte das nur passieren?“ Immer wieder diese Vorwürfe. Dabei war es doch gar nicht ihre Schuld.

Alles was jetzt geschehen würde, war vorhersehbar, der Preis, den sie für ihren kleinen Auftritt zahlen müsste. Aber das war es wert. Auf. Jeden. Fall.
 

No doors, no windows no single light.*
 

* “Caught By The Moon“- Alice in Wonderland

Caught By The Clowns

Langsam öffnete sie die Augen. Ganz leicht, nur um zu sehen, ob sie allein war.

Kaltes, weißes Licht blendete wie Scheinwerfer in ihr geschundenes Gesicht. Sie war wieder in ihrem Zimmer.

Schon allein diese Erkenntnis ließ ihre Äuglein geschlossen bleiben. Sie fühlte sich müde, träge. Wahrscheinlich hatten sie sie mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln bis zum Rand voll gepumpt. Ihre Fingerspitzen strichen schwach über die weißen Bettlaken. Immer noch am Leben. Scheiße.

Sie hatte gewusst, dass diese zwei winzig kleinen Kratzer sie nicht töten würden, aber die Hoffnung stirbt zuletzt, wie man so schön sagt.

Jazmin versuchte ihre rechte Hand zu heben, die Augen immer noch fest geschlossen, sie sollten das Elend nicht sehen. Vorsichtig strich sie sich über ihre Wangen und musste feststellen, dass zwei riesen große Pflaster auf ihrem Gesicht prangten. Sie konnte kaum glauben, dass das, was in ihrem Kopf als Traum umher spukte und ihr wahrscheinlich schlaflose Nächte bereiten wird, wirklich geschah. Das Blut, die aufgebrachten Zuschauer, die unheimlichen, ruhigen Pfleger. (Die nahmen wahrscheinlich selbst gern mal ein Gläschen von ihren Mittelchen)

Nein, das war nicht sie. Das kleine süße Püppi, dass Alles mit sich machen ließ, hat sich gewehrt, hat gezeigt, was es dachte, was es fühlte. Es kam ihr komisch vor, das zu denken, als wäre sie ein anderer Mensch. Kein getretener Hund mehr, der jammernd auf dem Boden lag. Sie hatte es getan. Oh Gott, sie hatte es wirklich getan!

Neben der Verwirrung schwang auch ein wenig...Stolz in ihrem Gedanken mit.

Von nun an sollte alles anders werden. Sie war nun endgültig am Tiefpunkt angelangt, nun stand ihr nichts mehr im Wege, sie fühlte sich, als hätte sie eine neuen Ebene erreicht. Kein Mitleid mehr für das kleine Püppi. Das war erst der Anfang der Show, meine Freunde!
 

Die Tage vergingen und schon bald ging Jazmin wieder ihrem Alltag nach. Wie vorher. Fast wie vorher.

Tagsüber verschanzte sie sich in ihrem Gummizellen- ähnlichem Zimmer, verweigerte das Essen und starrte stundenlang in die Leere. Psychologen bissen sich an ihr die Zähne aus. Keine Sitzung verging, in der sie nicht teilnahmslos und schweigend in der Ecke saß. Sie ließ niemanden an sich heran. Vor Berührungen schreckte sie nun noch intensiver zurück als vorher.

Die Ärzte grübelten und überlegten was mit dem Mädchen nicht stimmen könnte. Doch alle Diagnosen endeten in einer Sackgasse. Jazmin selbst war von den achsotollen Psychologen wenig begeistert und verachtete deren armselige Arbeit. Es brachte ja alles nichts. Sie war unheilbar, das wäre mal eine gute Diagnose gewesen. Das hätte sie ihnen sofort geglaubt.

Den ganzen Tag schwelgte sie in einer anderen Welt, wenn man sie ansprach antwortete sie nicht. Ihr Körper war anwesend. Ja. Aber ihr Geist war woanders. Da, wo keine weißen Wände waren, keine Stahltüren, keine hektischen Menschen.

Sie wusste nur zu gut, dass ihr Verhalten alles andere als normal war. Mit Absicht ignorierte sie andere, reagierte nicht auf Fragen, tat so, als könne sie nicht sprechen. Und es funktionierte recht gut. Bald gab man sich keine Mühe mehr, sich um sie zu kümmern.

Selbst die Medikamente wurden nur noch auf ihren Tisch gestellt, ganz egal, ob sie sie nahm oder nicht. Sie war nur noch ein Schatten. Doch ironischer Weiße war sie die Einzige, die das Spiel in der Hand hatte. Als Geist sieht und hört man so einiges mehr, wie als „normaler“ Patient.

Äußerlich war sie nicht ansprechbar, doch innerlich beobachtete sie alles mit Adleraugen, nahm alle sie umgebenden Reize wahr, und behielt so die Kontrolle über diese außergewöhnliche Situation. Sie hatte sie gefunden, die Grenze zwischen Wahnsinn und Realität.
 

Ihr neuestes Hobby war es, nachts im Klinikgebäude ihr Unwesen zu treiben. Als Alice verkleidet mit den zwei großen Schleifen im Haar und dem süßen Kostüm, wanderte sie in der Dunkelheit durch die traurig schwarzen Flure. Sie machte sich einen Spaß daraus, von den verwirrten und anfangs ängstlichen Pflegern wie ein Geisteskranker zurück in ihr Zimmer geführt zu werden und so zu tun als schlafwandle sie. Sie brabbelte dann immer irgendwas von wegen, dass sie Stimmen höre, die ihr sagen würden, sie solle alle hemmungslos aufschlitzen. Die meisten Pfleger, versuchten das zu ignorieren. Doch gerade die Neuen, die noch nicht so viel Erfahrung hatten, begannen dann immer zu zittern und verwirrt auf sie einzureden.

Wer war da wohl der Kranke?
 

Es ging sogar soweit, dass sie den Patienten und den Ärzten kleine Streiche spielte. Sie klaute Krankenakten, nahm einige Änderungen darin vor, Kritzelte die Ränder voll und versteckte sie auf ungewöhnlichen Orten. In Toiletten, in Schränken anderer Patienten, in den Essensbehältern der Kantine (der Fraß schmeckte sowieso scheußlich...) Um nur einige zu nennen.

Sie stibitze Dauermarker und malte die Wände mit Schleifen und Puppen voll. Einmal bot sich ihr sogar die Gelegenheit einen Schlafenden ein Herzchen auf die Wangen zu malen. Der Typ hatte einen schrecklichen Waschzwang...Nur soviel: 2 Wochen lang lachte sie ein scharlachrotes Gesicht, dass wie ein wunder Baby Popo aussah, an. Das war witzig.

Umso öfter sie schleichen und verstecken übte, umso weniger wurde sie erwischt. Alle meinten ihr auf heißer Spur folgen zu können, doch immer wenn die Nachtwache um drei Uhr morgens in ihr Zimmer schaute, fanden sie ein schlafendes Püppchen vor. Zucker. Süß.
 

Eines Nachts machte sie sich wieder auf, mit rosa Schleifchen, kurzem Röckchen und einem Permanentmarker in der Hand und hüpfte fröhlich durch die Flure. Solch ein Gefühl von Freude und vollkommener Erfüllung hatte sie lang nicht mehr verspürt. Dies war besser als alles Morphium. Ein richtiger Vollrausch. Sie war high. High vom Unruhe stiften.

In Söckchen hüpfte sie ein Kinderlied summend durch die dunklen Gänge. Nachts sah alles hier um einiges bedrohlicher und fremder aus, als wenn es vom unschuldigen Tageslicht erhellt wurde.

Am Ende des Flurs sah sie die karg beleuchtete Pflegerstation, doch es schien kein Mensch dazu sein. Sie bog rechts in den Süd- Flügel ab und holte ihren Stift aus dem Dekolleté. Als sie gerade die Kuppe des roten Markers abnahm und ihrer Kreativität freien Lauf lassen wollte, hörte sie Schritte. Flink huschte sie zum nächsten Flur und versteckte sich hinter der Wand.

Warten.

Hören.

Nichts.
 

Vorsichtig lugte sie aus ihrem Versteck heraus. Im Schatten des spärlichen Lichts der drei von fünf funktionierenden Neonleuchten, sah sie einen Schatten einer mittelgroßen Person vorbei gehen. Warten.

Ducken.

Und weiter geht’s. Doch gerade als sie aufstehen wollte, hörte sie ein untypisches Geräusch. Es hörte sich wie ein dumpfer Schlag an, dann ein Krachen. Wahrscheinlich war den unfähigen Schwestern mal wieder der Schreibtisch umgefallen. Doch das nächste Geräusch machte sie stutzig. Ein helles Knallen, wie ein Blitz. Wie ein....Schuss. Gut, das war alles andere als gewöhnlich. Sie spürte, dass etwas anders war als sonst, etwas stimmte nicht. Noch einmal schaute sie um die Ecke und sah nun zwei finstere Gestalten den Gang entlang kommen.
 

Sie erstarrte und hielt die Luft an. Egal was hier los war, sie musste hier weg. Jazmin erhob sich und tippelte in flinken Schritten über die Fließen. Es war kein Laut zu hören, zumindest keiner, der von ihr ausging. Denn als sie schon einige Meter zurück gelegt hatte, hörte sie Schritte. Schritte, die nicht mehr so weit entfernt schienen. Sie beschleunigte, ihr Ziel war das Treppenhaus. Die Schritte hinter ihr wurden nunmehr zu einer Art Trampeln, sie kamen näher.

Immer. Näher.
 

Jazmin verspürte den Drang sich umzudrehen, doch sie wusste, es würde sie keine schöne Überraschung erwarten. Die Tür, die zum Treppenhaus führte war nur noch ein paar Schritte entfernt. Die Geräusche hinter ihr hallten in ihrem Kopf wieder, sie schienen sich in ihr Gedächtnis zu brennen.

Schritt. Schritt. Immer schneller. Immer lauter. Immer...näher.

Mit ihren verschwitzen Fingerchen ergriff sie die Türklinke und riss sie auf. Vor ihr lag nun ein unbeleuchtetes, kühles Treppenhaus. Sie konnte die Stufen kaum erkennen, eilte sie jedoch im Sprint hinunter. Die Schritte hinter ihr verhallten wie ein Schrei im Wind, bis sie schließlich nur noch ihr eigenes aufgeregtes Atmen hören konnte. Ein. Aus. Ein. Aus.

Sie wusste nicht, wohin sie rannte, nur, dass es nach unten ging. Als sie kaum noch ihre Beinchen spürte und ihre Lungen die Sauerstoffaufnahme verweigerten, wurde sie immer langsamer bis sie stehen blieb. Laut hechelnd lehnte sie sich gegen eine Wand und fasste sich auf den Brustkorb.

Auf. Ab. Auf. Ab.
 

Was war das, oder besser WER war das? Oder waren es mehrere? Befanden sie sich immer noch hier? Was wollten die? Sie schloss kurz die Augen und versuchte wieder zu klarem Verstand zu kommen. Die konnten unmöglich etwas von IHR wollen. Theoretischer Weiße lag sie ja schlafend in ihrem Zimmer. Keiner konnte sie hier vermuten. Als sie gerade wieder den Status Quo erreichte, schlangen sich plötzlich zwei Arme um ihren kleinen Oberkörper und drückten ihn fest zusammen. Ihr erster Gedanke war: Die Pfleger sind aber gewalttätig geworden.

Ihr Zweiter: Das war kein Pfleger.
 

Spätestens, als sie die Plastik- Clownmaske, die ein Männergesicht verdeckte, zu Gesicht bekam, war ihr klar, das dies nicht, und da war sie sich ausnahmsweise mal sicher, NICHT normal war.

Um sich schlagend und tretend wurde sie hastig nach unten in das Erdgeschoss und aus der Klinik heraus getragen. Wieso ging kein Alarm los? Es war doch sonst immer gleich jemand da, wenn hier jemand sein Unwesen trieb. Ausnahmsweiße darf sich jetzt mal jemand blicken lassen!
 

Plötzlich wehte ihr eine frische Brise durch die Haare. Sie waren draußen. Sie wollte schreien, doch schon bald wurde ihr ein äußerst widerlicher Stoffrest in den Mund gestopft. Sie schüttelte widerspenstig den Kopf und strampelte was das Zeug hielt. Ein zweiter Clown band ihre Knöchel und ihre Handgelenke mit Klebeband zusammen. Ein Stück Verbandszeug, was die beiden wahrscheinlich aus der Klinik hatten mitgehen lassen, wurde ihr um die Augen gebunden. Wenigstens musste sie das Elend nicht mit anschauen.
 

Der Spaziergang an die frische Luft hatte auch bald ein Ende, denn der sie tragende Clown warf sie unsanft in einen Minivan, schickte noch ein paar Tritte in ihren Bauch hinterher und warf die Tür zu. Sie konnte den Motor aufbrummen hören und spürte, wie sich das Fahrzeug in Bewegung setzte. Eine, aber wirklich nur eine Frage, klopfte jetzt permanent an ihre Schädeldecke: Was zur Hölle geht hier vor sich?!
 

Im Van war es, wie zu erwarten, unbeleuchtet. Ein unerträglicher Gestank breitete sich vom hinteren Teil des Wagens aus, oh, sie wollte gar nicht wissen, was das war. Es war zwecklos gegen das Klebeband anzukämpfen. Der Clown hatte gute Arbeit geleistet. Sie versuchte ihre letzten Minuten ruhig und gefasst zu verbringen, denn nach ein einem Happy End sah das hier nicht aus. Aber was solls. Endlich ergreift mal jemand Gelegenheit.

Trotzdem.
 

Das war irgendwie, mal zur Abwechslung, nicht witzig.

You' ve Changed

Der Minivan legte eine stuntreife Vollbremsung hin und Jazmin schleuderte es mit dem Kopf voran an die Wagentüren. Die Clowns stiegen aus dem Fahrercockpit und liefen um den Van herum. Mit einer ruppigen Bewegung riss einer der beiden die Klappe auf und warf sich Jazmin über die Schulter. Diese hatte es mittlerweile aufgegeben sich zu wehren und ließ sich wie ein Baby durch die Gegen tragen. Nur bereute sie jetzt, dass ihr Minirock fast 2 Nummern zu klein war. Sie lief rot an, als sie sie beiden Männer leise Lachen hörte. Jazmin spürte Hände, die sie unsanft an Oberschenkeln und Hüfte umklammerten. Berührungen waren ihr mehr als unangenehm, sie verspürte den Drang, dieses Gefühl abschütteln zu wollen. Ein grausiges Frösteln zog durch ihren Körper.
 

Die Clowns hatten ihre Masken inzwischen abgelegt und liefen nun von der Tiefgarage, in der sie geparkt hatten, in ein kleines, altes und kaum noch als Haus zu identifizierendes Fabrikgebäude.

In Jazmin kam wieder die Aufregung und auch ein wenig Angst auf und sie malte sich aus, was jetzt passierte und was hier vor sich ging. Sie spulte ihre Erinnerungen nochmals Rückwärts und überdachte diese Absurde Situation. Gedanklich fasste sie die Fakten zusammen. Zwei Clowns. Ein Minivan. Ergänzung: Ein stinkender Minivan. Kein Alarm. Irgendwie wollten diese Dinge nicht ganz zusammen passen. Doch ehe sie dem Geschehen auf die Spur kam, hörte sie, wie sich eine Tür öffnete und sie unachtsam in einem Raum geworfen wurde.
 

Da saß sie nun. Verwirrung war kein Ausdruck für das, was gerade in ihrem Köpfchen umher spukte. Beine und Hände immer noch gefesselt, saß sie im Schneidersitz auf kaltem Steinboden. Ihre Gliedmaßen versteiften sich, sie hatte keine Ahnung was in den nächsten Minuten geschehen würde. Ihre Sinne arbeiteten auf Höchstleistung, sie versuchte jedes Geräusch, jeden Luftzug aufzunehmen und zu analysieren. Wo war sie? Sie hielt den Kopf gesenkt, als würde sogleich jemand auf sie einschlagen. Diese verlorene Kontrolle, dieses Ungewisse machte sie wahnsinnig. Die Erwartungen, sie schlimmen Erwartungen, fraßen sie innerlich auf.
 

Der Joker lehnte an einer Wand, nicht weit entfernt von ihr. Mit grübelnder Miene beobachtete er das kleine zarte Püppchen, dass diesen grauen Steinboden zu einer Blumenwiese machte. Sie bewegte sich nicht. Er bewegte sich nicht. Fast 5 Minuten vergingen in stiller Beobachtung und Taxierung, bis er schließlich langsam auf sein Opfer zuging.
 

Trotz der leisen Schritte, die einer Katze ähnlich waren, hörte Jazmin sie wie ein lautes Hämmern. Sie waren langsam, zu langsam. Das beunruhigte sie. Sie hatte keine Ahnung, wen sie vor sich hatte.

Der Joker blieb kurz vor ihr stehen, als überlege er, wo er seinen nächsten Schritt hinsetzten würde, schaute kurz auf das Nervenbündel am Boden hinab und schlich dann um sie herum wie eine Hyäne um seine Beute.
 

Jazmin konnte die Nähe spüren. Als er genau hinter ihr war, zog sie den Kopf noch tiefer in den Nacken. Als er wieder vor ihr angekommen war, kniete er sich vor sie und legte den Kopf schief. Jazmin konnte die Unruhe, die Hektik, die ihren Gegenüber umgab, deutlich in der Luft spüren.

Es machte ihn Unberechenbar. Der Joker musterte aufmerksam ihr Gesicht, zumindest den Teil, der nicht von einer vergilbten Binde verdeckt war. Ihm blieben die Narben auf den zarten Wangen nicht unbemerkt, doch als er deren Echtheit überprüfen wollte, drehte Jazmin ruckartig den Kopf zur Seite. Sie konnte es spüren, die Bewegungen, die Gedanken des nächsten Schrittes.

Jazmin hörte das Lachen, das leise und doch beängstigende Lachen. Es kam ihr bekannt vor. Die Person ihr gegenüber war ihr nicht fremd, doch wer sie war, war ihr ein Rätsel.

Das Lachen hallte in ihrem Kopf wieder. Er schien sich lustig über ihre Scheu zu machen, als hätte er sie nicht erwartet.
 

Plötzlich packte der Joker sie an den Schultern, schleifte sie durch den halben Raum und setzte sie auf einen alten Tisch. Jazmin ruderte umher, versuchte die Person zu erwischen, doch ihr Gegenüber schien ein Geist zu sein. Immer da, wo man ihn nicht vermutet.

Sie erschrak umso mehr als sie plötzlich kühles Metall und kalte Fingerspitzen an ihren Waden spürte, die sanft und vorsichtig zu ihren Knöcheln hinunter strichen. Als sie zurück zuckten, wurden sie von der kalten Hand des Jokers ergriffen und wieder heran gezogen. „Na, na, ganz ruhig Püppi“ Diese Worte...

Mit dem Messer schnitt er behutsam das Klebeband, als wäre es ein teurer Fisch, bei dem man das Kochrezept genau beachten müsste. „Kein Grund Angst zu haben. Jetzt ist es sowieso zu spät!HIHI“
 

Ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Sie überlegte angestrengt, wen sie vor sich haben könnte. Sie hatte das Gefühl, diese Worte schon einmal gehört zu haben, untermalt von diesem kranken Kichern.
 

Der Joker beugte sich um sie herum, um auch ihre Handfesseln zu lösen. Sofort schnellten Jazmins Hände hoch, um die Person vor ihr zu packen...oder zumindest zu schlagen. Doch der Joker reagierte schnell, zu schnell. Er griff ihre Hände und drückte sie auf den Schreibtisch. „Hast du keine Ohren, Püppi? “ Wieder dieses Lachen, es lief ihr jedes Mal kalt über den Rücken. Langsam nahm er wieder seine Hände von den ihrigen und wendete sich der Augenbinde zu. Langsam und ruhig. Kein Grund zur Eile. Er wollte es genießen.
 

Jazmins Hände blieben brav auf dem Holz liegen, verkrampft und angespannt. Das Lachen, es hallte in ihren Erinnerungen wieder. Die Stimme, das aus dem rot geschminkten Mund drang. Die Narben.

Er fasste um ihren Kopf und zog ihr das Stück Stoff hinunter, fast so, als wäre er darum bemüht, ihre Frisur nicht zu zerstören.
 

Die Karte.

Der Joker.

Die Erinnerungen kamen zurück.

Licht drang in ihre Augen. Mit aufgerissenen Äuglein starrte sie in die leeren Augen des Clown, dem sie vor einigen Jahren schon einmal begegnet war.

„Hast dich verändert, Püppchen“ Er schaute sie mit diesem Blick an, mit dem wahrscheinlich Victor Frankenstein auch sein Monster angeschaut hatte, als er es zum Leben erweckte.

Stille.

Ihre verwirrten und starren Blicke brachten ihn Wahrscheinlich kurz von seinem Konzept ab, das er sich für diesen Moment zurecht gelegt hatte, doch schnell fand er den Faden wieder. „Hübsche Aufmachung“ Er deutete auf ihr wahrscheinlich viel zu kleines Kostüm. „Hab von deinem kleinen Auftritt gehört. Hat mir gefallen. Hast Talent. Solltest zum Theater gehen. HIHI“
 

Weiter blickte Jazmin fassungslos in das geschminkte Clownsgesicht. „Hast wohl deine Sprache immer noch verloren?“ Jazmin wollte sich an den Kopf fassen, doch ihr war plötzlich zu schwindelig, als dass sie irgendeine Bewegung hätte machen können. „W-Was wollen Sie...von MIR?“- „Was ich will?Hmmm....“ Der Joker machte einen theatralische Geste und kniff die Augen zusammen, als überlegte er angestrengt. „Also erst einmal will ich meinen Pfand zurück“ Fordernd streckte er die Hand aus. Jazmin legte den Kopf schief. Ihre Konzentration hatte gerade den Tiefpunkt erreicht. Welchen Pfand...?
 

„Die Karte! Der Karte! Die Karte!“, genervt verdrehte er die Augen, „die hat Wiedervewendungswert!“ Plötzlich ging Jazmin ein Licht auf.

Der Joker!...Na klar, wie konnte sie nur. Aber wo...?

Nervös fuhr sie sich über die Kleider. Hatte sie ihn überhaupt dabei? Natürlich, sie trug ihn immer bei sich. Sie wollte schon in ihre Taschen greifen, doch als sie bemerkte, dass sie ja gar keine hatte, fiel ihr der ungewöhnliche Aufbewahrungsort wieder ein.
 

Sie griff sich in ihren Ausschnitt und wühlte anfangs etwas desorientiert darin herum, bis sie schließlich die Karte fand und herausholte. Der Joker staunte nicht schlecht und nahm die Karte aufmerksam wie ein rohes Ei in beide Hände. Sie war noch ganz warm. „Nettes Versteck...“, sagte er grinsend und verstaute die Karte in seinem Mantel. „So, dann kann ich dich ja jetzt umbringen“, sagte er beinahe nebensächlich und stürzte sich ohne Vorwarnung auf Jazmin. Das Messer, mit dem er eben noch ihre Fesseln gelöst hatte, hielt er nun fest gegen ihre Kehle gedrückt. Jazmin versuchte im Krebsgang nach hinten zu krabbeln, rutschte auf Papier, welches auf dem Schreibtisch lag, aus und knallte mit dem Kopf auf das Holz.
 

Der Joker hechtete ihr nach und drückte sie nach unten, sodass ihr kaum Luft zum atmen blieb. „So, das war Erstens. Jetzt kommt Zweitens.“ Jazmin war sichtlich überrascht.

„I-Ich versteh nicht...“, stotterte sie ihm entgegen.

„Was gibt’s da nicht zu verstehen? Ich hab den Pfand zurück, jetzt mach ich dich kalt, zack, bum.“

„Sie entführen mich um mich dann hier zu...umzubringen? Das erscheint mir doch schon sehr... umständlich“ Sie versuchte den über sie gebeugten Joker zu fixieren.

„Das mag wohl sein, doch für so ein hübsches Püppchen nehme ich mir doch gerne extra Zeit“ Er lächelte sie an und wollte zum schneiden ansetzten. Doch Jazmin unterbrach ihn ein weiteres Mal. Jetzt, wo der Tod ihr kurz bevor stand, bekam sie doch weiche Knie und wollte diesen Moment so weit es geht von sich wissen.
 

„Aber warum ich? Ich meine...hüpften nicht genug Kranke in der Klapse herum? Warum da...ich?“ Sie presste sich ein gekünsteltes, äußerst verklemmtes Lachen heraus. Gut, das nervöse- Fragen- stellen war nur eine schlechte Methode, ihren Tod herauszuzögern, bis ihr einfiel, wie sie dem Wahnsinnigen da über ihr entkommen könnte.
 

Der Joker schien diese Taktik der Opfer zu kennen, er hatte ja auch genug Erfahrungen mit Leuten, die kurz vor ihrem Ende standen. Verständlich, dass man etwas nervös und hektisch reagiert bevor man den Löffel abgibt.

„Weißt du Püppchen, am Anfang konnte ich deinen roten Lippen nicht einen Mucks entlocken und nun scheint sich dein Mund nicht mehr schließen zu wollen. Aber dem Problem kann ich schnell Abhilfe schaffen. Aber um deine Frage zu beantworten, da ich ja kein Unmensch bin, ich will wissen, ob dein Blut genauso dunkelrot ist, wie deine Lippen. HAHA“
 

Mit der Klinge strich er langsam ihren Hals entlang, über das Schlüsselbein bis hin zu den unbedeckten Schultern. Jazmin hatte nicht oft Gelegenheit, ihre Fähigkeiten in Sachen Menschenkenntnis zu verbessern, doch ihr kam es vor, als könnte sie auch nur einen Funken von Zögern in des Jokers Bewegungen ablesen. Jazmin wollte diese Gelegenheit nutzen, um diese aussichtslose Situation doch zu ihren Gunsten zu wenden.
 

„Und wer hat gesagt, dass ich heute mehr Lebensfreude besäße als vor zwei Jahren?“

„Na, anscheinend bereitet es dir Freude, nachts in der Klinik dein Unwesen zu treiben. Ausleben kranker Fantasien kann auch eine Art von Lebensfreude sein“ Ein weiteres Kichern, dass mehr sagte als tausend Worte, hallte durch den kühlen Raum.
 

„Aber ist ein sowieso schon psychisch beendetes, trauriges Leben nicht schlimmer als jeder qualvolle Tod?“ Sie holte das letzte Ass aus dem Ärmel.

„Nicht dumm Püppchen, nicht dumm, da hast du wohl recht. Aber im Endeffekt habe ICH ja nichts davon. Weißt du, ich habe einfach eine Schwäche für Leichen. HAHA.“ Gut, das war's. Es gab nichts mehr, was sie hätte tun können. Innerlich betete sie das Vaterunser in der Endlosschleife hinunter, hoffte nicht für immer in die Hölle zu kommen und das der Bastard, der ihre Kindheit zerstörte, eine gerechte Strafe erhielt. Amen.
 

Ihr Schicksal ereilte sie nun. In dieser Welt hatte sie kein Glück gefunden, vielleicht würde sie es woanders finden?

Der Joker presste das Messer an ihren Hals, durch den kaum noch ein Hauch Sauerstoff kam. Er schien zu erstarren und blickte auf die Klinge des Messers. Aus seiner Miene konnte man keinen Deut Gefühl ablesen. Jazmin kniff die Augen zusammen und wartete auf die ewige Dunkelheit.
 

Er lehnte immer noch über ihr.

Zögernd? Wartend? Was zur Hölle war da los?

Kurz wendete er den Blick ab, schaute in die Luft, überlegte und löste sich dann schließlich mit einem Ruck von ihr. Er trat ein paar Schritte zurück und verstaute das Messer in seiner Manteltasche.
 

Jazmin öffnete die Augen und setzte sich auf. Das war jetzt nicht sein Ernst?! Ein Massenmörder hatte gerade zum zweiten Mal die Chance, ihr den Gar auszumachen und ließ es bleiben? Entweder hatte er eine göttliche Eingebung oder er hatte jetzt völlig den Verstand verloren, sofern dafür noch Spielraum existierte.
 

Fast vergnügt warf er ihr entgegen. „Hmm...Heut scheint dein Glückstag zu sein, Püppi“ Er machte die Anstalten gehen zu wollen. Jazmin sprang verdutzt auf und rannte ihm nach. „Was-Was soll das bedeuten?!“Der Joker öffnete die Tür und schien kein weiteres Wort loswerden zu wollen.

„Was passiert jetzt?!“ Ohne auf Jazmins verwirrte Fragen einzugehen, murmelte er irgendwas von wegen:

„Sei schön brav, Püppi.“ und schlug die Stahltür zu. Jazmin rüttelte an der Klinke, doch die Tür wurde verschlossen. Wütend hämmerte sie gegen den Stahl und erzeugte ein ohrenbetäubendes Geräusch aus lauten Schlägen und schrillen Schreien. „Was soll das? Lassen Sie mich hier raus!“ Überfordert trat sie mit ihrem Knie gegen die Tür und hörte abrupt mit ihrer Trommeleinlage auf, als sich ein unerträglicher Schmerz durch ihr Bein zog. Sie knickte zusammen und lies sich auf den Boden fallen. Tränchen rannen über ihre Wangen und ließen ihre hellen Augen noch glasiger erscheinen. „Ich will nicht mehr...“
 

Draußen stand der Joker noch solange vor der Tür bis der Lärm geendet hatte. Er hätte kaum damit gerechnet, dass das kleine Püppchen solch einen Krach veranstalten könnte. Jedes Geräusch, das aus ihrem Mund drang, traf ihn wie einen Blitz. Als die Schreie verstummten, trat er nochmals an die Tür heran und lauschte, ob noch irgendein Laut zu hören war. Leises Wimmern war das einzige, was aus dem verschlossenen Zimmer kam. War das die richtige Entscheidung gewesen? Oder hätte er sie doch lieber töten sollen? Er ignorierte die Fragen in seinem Kopf, er bereute nie eine Entscheidung, zumindest stand er zu allem was er tat. Hoffentlich würde alles glatt gehen, durchschauen konnte er sie nicht, aber Mensch war Mensch und Mensch handelte in Notsituationen immer unüberlegt. Sie würde schon die richtige Entscheidung treffen. Er tat es bereits.

Light Up The Sky

Jazmin wusste nicht, wie viel Zeit verging, ob es Tag oder Nacht war oder ob sie überhaupt noch einmal Tageslicht sehen würde. Zusammen gekauert saß sie in der hinterstes Ecke des kleinen Lagerraums. Schon mindestens zehn Mal hatte sie die Wände nach Fenstern abgesucht, nach Luftschächten oder sonstigen Löchern, die ihr die Freiheit schenken könnten, doch sie war gefangen in einer quadratisch grauen Hölle. Es gab keine Möbel, nur ein Schreib zierte die Mitte des Raumes, belagert von unzähligen weißen Blättern.
 

Immer wieder ließ sie das Ereignis von eben Revue passieren. Versuchte, irgendeine Logik darin zu sehen, das Vorhaben, des nächsten Schritt des Jokers herauszufinden. Doch immer wieder landete sie in einer geistigen Sackgasse. Sie vergrub ihren Kopf in ihrem Schoß. Wenn er sie hätte töten wollen, hätte er es schon längst getan...bestimmt. Nein, er wollte sie nicht töten, er wollte sie in den Wahnsinn treiben. Denn wie sie selbst gesagt hatte, ein Leben in Qual ist schlimmer wie der Tod. Schön blöd, einem Psychopathen noch Ratschläge zu geben, wie er einen am besten drangsalieren könnte.
 

Der Tod wartete so oder so auf sie. Und wenn er es nicht tat, dann würde sie es selbst vollbringen. Sie wartete seit Ewigkeiten darauf, dass sich die Tür öffnen würde, doch es war kein Geräusch, nicht ein Laut, nicht ein Atemzug von draußen zu hören. Die Vorstellung, dass dieser Verrückte zurück kommen und wer weiß was mit ihr anstellen würde, machte sie ganz wuschig. Doch merkwürdiger Weiße fühlte sie sich hier sicherer als in der Klinik. Vielleicht, weil sie seit langem in keinem abgeschlossenem Raum mehr war. Unzugänglich für den Rest der Welt. Nur sie. Ganz. Allein. Es war ein Gefühl von Ruhe. Ruhe vor dem Sturm.
 

Jazmin musste eingenickt sein, doch als sie ein Knacken im Schloss vernahm, hob sie ihren gequälten Blick. Kam er zurück? Doch es war nicht der Joker. Es war einer der Clowns, ohne Maske. Was passierte jetzt? Würde sie wieder verschleppt? Doch es sah nicht so aus, als hätte er Eile. Langsam mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen kam er auf sie zu. Jazmin rutschte noch weiter nach hinten und zog die Schultern nach oben.
 

„Hallo, Kleines“ Sie konnte das schwere Atmen des Mannes hören und es beunruhigte sie zutiefst. „Magst du kuscheln?“ Bei diesen Worten blieb ihr die Luft im Halse stecken. Sie dächte, sie hätte das hinter sich! Der Mann ging auf die Knie und beugte sich über sie. Jazmin fühlte sich um Jahre zurück versetzt. Hilflos und unbeholfen. Ein schwaches, kleines Püppchen. Sie wollte die Hand heben und ihn von sich stoßen, doch sie war wie angewurzelt. Der Mann fasste ihr unsanft ins Gesicht, wollte sie küssen, doch sie wich seinem stinkendem Atem aus.
 

Das schien ihn wütend zu machen und er drehte mit Gewalt ihren Kopf in seine Richtung und wollte gerade seine Zungen in ihren Hals stecken, als er im Nacken gepackt, auf die Füße gestellt und sein Kopf mit voller Wucht gegen sie Steinwand geschleudert wurde. Die Haut auf seiner Stirn platzte auf und Blut ran in Bächen aus der Platzwunde. Achtlos wurde er losgelassen und sackte leblos auf den Boden. Jazmin starrte mit offenem Mund auf die Leiche, die nun neben ihr lag.

Erst nach einigen Sekunden konnte sie sich von dem schrecklichen Anblick lösen und schaute nach oben. Der Joker stand über ihr und warf ihr wütende Blicke zu. „Wir müssen gehen“, sagte er und fasste sie am Handgelenk. Jazmin war gerade ein wenig überfordert mit allem und stand wortlos auf.
 

Hatte er gerade das Monster getötet...? Hatte er...ihr... geholfen? Das war das erste Mal, seit langem, nein, überhaupt, dass jemand, ausnahmsweise, nicht GEGEN sie spielte. Das war eindeutig...komisch.
 

Der Joker eilte in großen Schritten voran und Jazmin versuchte mit dem schnellen Tempo mithalten zu können. Sie wollte gerade zu einer Frage ansetzten, doch der Joker schien Gedanken lesen zu können. „Sie haben uns gefunden.“ Wer hat wen gefunden? Sprach er etwa von der Polizei? Suchten sie sie?

Der Joker ging davon aus, dass Jazmin ihm folgte. Falls sie es nicht tat, würde die Konsequenz nicht lange auf sich warten lassen. Doch überraschender Weiße hielt sich Jazmin dicht hinter ihm, sie hatte sowieso keine Ahnung, wie sie allein aus diesem Labyrinth kommen sollte.

Es wunderte sie, dass nur er das Bedürfnis haben zu schien, zu fliehen. Seine Komplizen oder die anderen Clowns waren weit und breit nicht zu sehen.
 

Der Weg schien endlos zu sein. Ständig bogen sie mal rechts, mal links ab. Bald kamen sie zu einer zweiflügeligen Stahltür, die als Ausgang markiert war. Sie hätte nicht gedacht, jemals wieder an die frische Luft zu kommen. Draußen angekommen, verriegelte der Joker die Türen mit einer schweren Kette.

„Ähm...sind da nicht noch...andere drin?“, fragte Jazmin.

„Was denkst du, warum ich die Türen verschließe, Püppchen? Ich nenne das sauber aufräumen“ Wieder das kranke Lachen. Logisch, diese Frage hätte sie sich auch sparen können.

„Magst du Feuerwerk, Püppi?“ Jazmin kniff verwirrt die Augen zusammen. Darauf zu antworten, war ihr nicht in den Sinn gekommen.

Der Joker kramte eine kleine Fernbedienung aus seiner Tasche. „Ich werte das mal als ja. Dann pass jetzt gut auf, Püppi! Da kannst du noch was lernen!“
 

Er drehte sich um und ging einige Meter in die Dunkelheit hinaus, Jazmin ihm folgend. Er drückte auf einen der vielen bunten Knöpfe und bald darauf flog das alte Fabrikgebäude mit einem ohrenbetäubendem Rums in die Luft.

Jazmin schreckte zusammen und zog schützend den Kopf ein. Der Joker lachte und freute sich wie ein kleines Kind.

„Hast du das gesehen? Natürlich hast du das gesehen,war ja das größte Feuerwerk aller Zeiten!“ Erquickt klatschte er in beide Hände und erfreute sich an dem Großbrand, der nun den Nachthimmel zum glühen brachte. Jazmin drehte sich um und schaute fassungslos auf das rote Meer aus Flammen.

„So, jetzt müssen wir aber! Wenns am schönsten ist, soll man ja aufhören“
 

Jazmin wusste nicht was schlimmer war. Das gerade mindestens ein Duzend Menschen qualvoll ums Leben kamen oder dass sie freiwillig dem Psychopathen folgte, der den Wahnsinn verursacht hatte.
 

Von weitem konnte sie die Sirenen der Feuerwehr hören, oder war es die Polizei? Das lodernde Haus konnte sie noch Meter weit sehen. Die Flammen schlugen wie Peitschen in den Himmel.

Der Joker hatte recht. Es sah tatsächlich aus wie ein Feuerwerk...wunderschön.

You Are Famous!

Es waren kaum zwei Stunden vergangen, da fand sich Jazmin in einem kleinen Appartement nicht weit von der nun eingeäscherten Fabrik wieder. Es war nicht unbedingt liebevoller eingerichtet als der Lagerraum in dem sie knapp 5 Stunden allein verbracht hatte. Nur das nötigste Mobiliar stand seinen Zweck erfüllend in der Wohnung herum. Eine alte Couch, welche vor einem kleinen Fernseher, der auf einer Kommode stand, platziert war, bildete den Mittelpunkt des kleinen Wohnraums.

Der Joker warf seinen Schlüsselbund mit geschätzt 30 Schlüsseln laut klappernd auf die Couch und verschwand wortlos. Jazmin traute kaum, einen Schritt zu machen. Misstrauisch blickte sie sich um und rätselte ob es des Jokers Eigentumswohnung war, der Einrichtungsstil hatte auf jeden Fall Wiedererkennungswert.
 

Zögernd ging sie langsam auf die Couch zu und nahm die Fernbedienung, die darauf lag, in die Hände. Die Batterien schienen schon ihr 50 jähriges Jubiläum hinter sich zu haben, mit aller Kraft drückte sie die veralteten Tasten, bis sich der Fernseher Modell 50er Jahre mit einem lauten Zischen einschaltete und ein bunt flackerndes Bild erschien. Testbild, wie unterhaltsam. Sie seppte weiter.
 

Testbild. Testbild. Schwarz. CNN.
 

Sie erwischte der Nachrichtensprecher im Wort: „... erhielt heute Abend Hinweise auf den Aufenthaltsort des seit langem gesuchten Massenmörders, der sich selbst als der Joker bezeichnet. Als die Polizei am besagten Ort eintraf, fand sie das Fabrikgebäude, das als Versteckt diente, brennend vor. Der Vorsitzende des Gotham City Police Departements geht von einer Explosion aus. Nach Leichen wird gesucht...“

Jazmin riss die Augen auf und trat gebannt noch näher an den Bildschirm heran. Das kam ihr allerdings bekannt vor...

Weiter im Text: „...Gegen den Joker wird in mehreren Fällen des Mordes, Mordanschlägen, Attentaten, Amokläufen und Geiselnahme ermittelt...“ Geschockt stand sie vor dem Fernseher. Sie wusste ja, dass der Typ nicht ganz sauber war, aber so wie es aussieht, war er der König unter den Kriminellen. Das beunruhigte sie irgendwie ein wenig.
 

Sie schenkte ihre ganze Aufmerksamkeit dem Sprecher auf der Mattscheibe und bemerkte gar nicht, dass der Joker hinter sie getreten war und belustigt die Nachrichten und Jazmins Reaktionen darauf verfolgte.

“...Es wird vermutet, dass er eine Geisel mit sich führt. Dabei handele es sich um eine 21-jährige Patientin der Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gotham Citys...“ Dies versetzte Jazmin einen tritt in die Magengegend. War sie gemeint? Natürlich war sie gemeint! Wer sonst?! Sie wusste nicht wie ihr geschah. Sollte sie jetzt Angst haben?

Die Polizei suchte sie! Nein, die Polizei suchten den kranken Psychopathen der gerade hinter ihrem Rücken stand.
 

„Herzlichen Glückwunsch, Püppchen! Du bist in den 20 Uhr Nachrichten auf CNN, dass schafft nicht jeder. HIHI“ Jazmin stand wie angewurzelt da. Sie konnte nichts, außer geschockt auf den Fernseher zu starren. Ihr Kopf fühlte sich an, als explodiere er jeden Moment. Ein schmerzhaftes Stechen kündigte den folgenden Schwindel an.

Sie konnte den Atmen des Jokers in ihrem Nacken spüren. Sie wollte atmen, doch es ging nicht. Die beängstigende Aura, die von ihrem Hintermann ausging, raubte ihr jeden Luftzug.

„Erzähl mir von deinem Vater, Püppi“

Ein Würgreiz erfasste sie, sie spürte wie ihr die Magensäure in den Mund schoss. Sie drehte sich um, lief um die Couch herum und suchte das Badezimmer, sofern vorhanden. „Zweite Tür Links“, rief der Joker ihr hinterher und erfreute sich an Jazmins Gefühlsausbruch.
 

Jazmin steckte den Stöpsel in das Waschbecken, ließ es voll kaltes Wasser laufen und tauchte ihr Gesicht in die kühle Erkenntnis des totalen Kontrollverlustes. Fast zwei Minuten verbrachte sie Unterwasser, versuchend, einen klaren Kopf zu bekommen, wieder normal denken zu können. Sie bemerkte fast den aufkommenden Schwindel, des Sauerstoffverlustes wegen, nicht und entriss sich in letzter Sekunde dem Eismeer. Sie stützte sich auf das Waschbecken und blickte in den Spiegel, der vor ihr hing. Verschwommen sah sie den Joker, der hinter ihr stand.
 

„Na, schmeckt der Erfolg nicht zuckersüß?“ Mit einem breiten Grinsen starrte er sie durch den Spiegel an. „Sag Bloß, du verträgst Zucker nicht! HIHI“ Jazmins gequälter Blick wandelte sich in Feindseligkeit und Unverständnis um. Ihre Fingerchen verkrampften und bohrten sich in die Keramik des Waschbeckens. Des Jokers irre Stimme senkte sich zu einem Angst einflößend ruhigen Ton. „Tja, so ist das Leben. Die Welt ist abgrundtief schlecht. Aber du hattest doch sicherlich eine schöne Kindheit, zusammen mit deinem Vater, nicht, Püppchen? Ein dich liebender Vater ist doch das Schönste was es gibt. Das. Aller. Schönste“

Das reicht.

Jazmin drehte sich rasant um und wollte zum Schlag in des Jokers Gesichtes ansetzten, doch dieser packte ihr Handgelenk und drückte es schmerzhaft zusammen. „Sie haben überhaupt keine Ahnung was ich durchgemacht habe!“, schrie sie ihn an, „Mein Leben ist Scheiße! Einfach nur Scheiße! Und Sie haben nicht ein klein wenig Ahnung! Also was soll das?!“, sie atmete tief und hektisch, ihr Gesicht ballte sich zur Faust.
 

„Oh, und ob ich Ahnung hab, Püppchen. Was denkst du was ICH durchgemacht habe? Breche ICH weinend auf dem Boden zusammen? Nein. Nein. Nein“, seine Rede untermalend schüttelte er den Kopf, die grünen Haare fielen ihm dabei ins Gesicht.
 

„Du und ich, Püppchen, wir sind beide Faktoren, die aus dieser traurig hässlichen Welt hervorgegangen sind. Das Leben ist schlecht. Du kannst von keinem Hilfe erwarten. Alles was du tun kannst, Püppi, ist entweder blind weiterzumachen, irgendwann abzurrecken und in modernder Erde zu vergammeln, vergessen und ungeliebt, oder“, er fixierte provokant ihre Äuglein, „oder du brichst aus und rächst dich an allem, was dir je Kummer und Schmerz bereitet hat. Kurz: die gesamte Welt.“ So aufgewühlt Jazmin war, so aufmerksam verfolgte sie die Worte des Jokers, die in ihren Ohren Sinn ergaben.

„Ohne jeden, der dir sagt was du tun sollst. Du kannst machen. Was. Du Willst“ Selbst hatte sie schon oft darüber nachgedacht, doch ihre Methode entsprach eher dem Fliehen, dem Rückzug aus dieser gottlosen Welt. Doch die Möglichkeiten, die ihr der Joker aufzeigte, Rache und Vergeltung, klangen interessanter und nicht so Feige.
 

Der Joker wusste, dass seine Worte Wirkung erzielten, das tat die Wahrheit immer. Jazmin senkte den Blick, dachte darüber nach und suchte wieder den Augenkontakt mit dem Joker. Der hatte keine Sekunde von ihrem Puppengesicht abgelassen und lächelte sie nun vertrauenswürdig wie ein Vorwerk Vertreter an.

Jazmin wusste, dass der Joker nicht auf das Wohlsein ihres Gefühlslebens aus war, sondern an ihre Naivität appellierte. Doch wo er Recht hatte...
 

In ihre Augen drangen nun ein paar kleine Tränchen, nicht aus Angst, nicht aus Hilflosigkeit oder Schwäche, die Wahrheit war es, die sie zu Tränen rührte. Ihr Knie wurden weich und langsam sank sie auf die weißen Fließen des Badezimmers. Der Joker ließ ihr Handgelenk los und folgte ihr nach unten. Als Jazmin den Kopf in den Händen vergrub, strich er ihr über die blonden Löckchen. „Du hast etwas besseres verdient, Püppchen. Ein Chaos, das ganz allein dir gehört“

Triumphierend stand er auf und verließ das Badezimmer.
 

Bisher hatte er noch jeden brechen können und sie war zerbrochen wie ein dünner Ast. Doch so oft er so etwas schon getan hatte, so anders kam ihm diese Situation doch vor. Noch nicht häufig, nein, eigentlich noch nie hatte er jemanden getroffen der, so sehr er sich auch von allen anderen Psychopathen unterschied, aus dem selben Gründen in eine andere Realität floh, der die Welt und alle Menschen darauf verachtete und ihnen nichts als den qualvollen Tod wünschte.
 

Das Mädchen war anders, es schien bald kein Mensch mehr zu sein, nur noch ein benutztes, weggeworfenes Püppchen, das in einer Spielzeugkiste wohnte.

That's A Wrap

Jazmin wusste nicht ob sie eine Geisel war, wie eine Gefangene fühlte sie sich zumindest nicht oder ob sie nun schon zum Mittäter wurde. Diese Frage schoss ihr immer und immer wieder durch den Kopf, als sie der Joker mit in den schlecht beleuchteten Keller des Leer stehenden Appartementhauses nahm, bewaffnet mit einer Videokamera und einem halbtot geprügeltem Mittdreißiger unterm Arm. Die Beine des armen Mannes schleiften auf dem Boden und hinterließen eine rote Blutspur, die sich wie der gedachte rote Faden durch die finsteren Gänge zog. Er hatte ihr erzählt, er habe ihn auf der Straße getroffen und der Mann habe sich freiwillig bereit erklärt ihm zu helfen jemand ganz Besonderen einen netten Gruß zu schicken. Sie konnte nichts aus diesen rätselhaften Sätzen verstehen und dass der Mann sich freiwillig gemeldet hatte fiel ihr auch schwer ihm zu glauben.
 

Doch sie folgte ihm, wollte wissen, was er vorhatte, was jetzt passieren würde. Wie ein Schoßhündchen dackelte sie ihm nach, die Hände immer zusammen haltend und den Kopf gesenkt. Die Kälte, die von dem Steinboden ausging, drang durch ihre Söckchen. Sie trug nichts weiter als ihr kurzes Kostüm. Sie beobachtete den Mann, der leblos umher getragen wurde. Er hatte die Augen geöffnet, sah aber nicht so aus, als nähme er noch bewusst am Geschehen teil.
 

Sie kamen in einen kleinen Heizraum. Verrostete Rohre und Dampf bildeten die düstere Atmosphäre für den kleinen Horrorfilm. Der Joker warf die Leiche in Spe auf den Boden, trat einige Meter zurück und schaltete die Kamera ein.

„Uuuuund Action!“, rief der Joker, „Pass gut auf, Batman! HIHI“ Jazmin hatte gar nicht bemerkt, dass das Opfer einen Zettel mit einer Art Drehbuch erhielt. Wie ein nasser Sack saß der blutige Mann auf dem Boden. Sein Gesicht zierten diverse Platz- und Schnittwunden. Durch die blau graue Polizei Uniform drang eine dunkle Flüssigkeit an Bauch und Brust. Sie kannte den Mann nicht, weder seinen Rang bei der Polizei noch seinen Namen. Für sie war es einfach ein lebloser Haufen in Uniform.
 

Der Mann hielt den Zettel mit der verwirrenden Handschrift in zittrigen Fingern, blickte abwechselnd beängstigt in die Kamera und zu Jazmin, die zum Zeitpunkt genauso verwirrt wie der Mann in Uniform aussah. „Na komm, fang endlich an, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!“, rief der Joker dem Mann zu.

Der Mann blickte auf den Zettel in seinen Händen und begann leise vorzulesen: „Bonjour mon ami, es wird langsam Zeit, dass du dein Ende findest“, der Mann schluckte schwer, las trotz seiner holprigen Stimme weiter, „aber weil ich nicht nur dich nicht ausstehen kann, werde ich den Menschen im wunderschönen Gotham City das Leben zur Hölle machen, dass du dich mit mir an deren Leid erfreuen kannst. Klammer auf, böse Lachen, Klammer zu.“ Der Joker kicherte und zoomte auf das gequälte Gesicht des Mannes, dessen Blick war starr auf das Blatt gerichtet, er setzte fort, „Zum Beweis meines Versprechens werde ich mit diesem Vollidioten, der gerade vorließt“, der Polizist riss langsam die Augen auf und las in einem bedrückt langsamen Tempo das letzte Wort, „anfangen“
 

Der Mann blickte geschockt auf, wartend auf das nun Geschehende. Der Joker riss sich von seiner kameramännischen Meisterleistung los und winkte Jazmin zu sich. Diese tappelte in kleinen Schritten auf ihn zu, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Er griff in seine Tasche, holte ein Messer hervor und drückte es ihr in beide Hände. „Mach ihn kalt, Püppchen“ Jazmin blickte auf das Messer und fragte sich, ob sie eben richtig gehört hatte.
 

Sie schaute zu dem sie nun verängstigt anblickenden und um Gnade flehenden Mann am Boden. Der Joker gab ihr einen leichten Schubs in Richtung des Opfers, die Kamera immer noch auf den leidenden Hauptdarsteller haltend. Sie umfasste den Griff des Messers und ging langsam zu dem Armen.
 

„N- Nein...n-nein, b-bitte, bitte nicht!“, presste der Mann aus seinen geschundenen Lungen, „I-ich habe doch eine Familie! Wer...wer soll sich denn um meine Kinder kümmern...?“ Jazmins Schritt verlangsamte sich. Er war Vater. Er hatte eine Familie, dass was sie nie hatte. Plötzlich packte sie Eifersucht, sie war neidisch auf den Mann. Er hatte eine ihn liebende Frau und zwei Kinder. Aber vielleicht litten die Kinder ja auch? Wie sie einst? Dann war das, was sie jetzt tun würde eine Rettung, eine Rettung für die Kinder. So, wie sie ein Rettung gebraucht hatte.
 

Ihr Griff um das Messer verstärkte sich und sie beugte sich zu dem Mann hinab. Die Frage, die sie zu Anfang quälte, beantwortete sie nun eindeutig mit einem lauten und klaren Ja. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das nun anstellen sollte. Unbeholfen hielt sie ihm das Messer an die Kehle. Dieser gab nunmehr nur noch ein verzweifeltes Jammern von sich. Unverständliche Wortfetzen drangen an ihr Ohr. Mit unruhiger Hand wollte sie mit dem Schneiden anfangen, doch irgendwie ging es nicht. Sie ließ die Hand kurz sinken und schaute zum Joker. „Jetzt mach schon, Püppchen!Worauf wartest du?“ Sie wollte etwas sagen, doch es ging nicht. Sie konnte dem Mann, der kurz vor dem Tod stand, nicht in die Augen schauen. Er erinnerte sie zu sehr an ihren eigenen Vater.
 

Plötzlich kam der ganze Schmerz, das ganze Leiden wieder hoch und sie dachte an die Worte des Jokers. Rache war das Stichwort. Eine unbekannte Kraft, etwas zu tun, was sie nie hätte tun wollen, stieg in ihr empor. Sie setzte das Messer wieder an. „Es tut auch gar nicht weh“, waren die einzigen Worte, die ihr einfielen. Mit einem Ruck schlizte sie dem Mann die Kehle durch, dieser fiel stark blutend um und blieb regungslos liegen. Der Joker stellte die Kamera ab. „That's a wrap!“
 

Jazmin hockte immer noch neben dem Mann, den sie gerade getötet hatte. Irgendwie konnte sie es nicht fassen, sie hatte keine Ahnung, was sie dazu getrieben hatte. Ihre Hand hielt immer noch das Messer. Der Joker kam auf sie zu, „Hast du fein gemacht, Püppi“ Jazmin konnte ihren Blick nicht von der Leiche los reisen. Sie stand benommen auf und ließ das Messer fallen. „Was passiert jetzt mit ihm?“, fragte ihre sanfte, leise Stimme.

„Der bleibt hier schön liegen, wegrennen wird er ja wohl kaum. Und, wie hat es sich angefühlt?“ , fragte er in einem merkwürdigen Ton.

Jazmin wusste nicht recht auf diese Frage zu antworten.

„Weiß nicht...komisch“

Sie log, es fühlte sich großartig an.

Lousy Knight

Beide verließen den stickigen Heizkeller. Der Joker ging voran, Jazmin folgte ihm. Sie versuchte zu verstehen, was sie getan hatte und warum sie es auf eine merkwürdige Art und Weiße Zufrieden stellte.

Das Gefühl des Frustes und der Enttäuschung schien ihren Körper für kurze Zeit verlassen zu haben, zurück blieb einfach eine Lücke. Sie kannte keine anderen Gefühle außer Schmerz und Kummer, deren Verschwinden hinterließ eine Leere, eine schöne, wohlige Leere. Sie konnte das Gefühl nicht ganz einordnen, denn war es schon normal glücklich zu sein, wenn man gerade jemand sein Glück beendet hatte?

Das war doch nicht normal. Aber sie war doch normal! Sie war nicht so krank und bösartig wie der Psychopath, dem sie folgte, sie war ganz normal.
 

Doch seine Worte enthielten Logik und auch Wahrheit. Was war jetzt normal, was war verrückt? Wo hörte die Normalität auf und wo fing der Wahnsinn an? Einst hatte sie das Gefühl, die Grenze zur Paranormalität gefunden zu haben und sie nie zu überschreiten, da sie ja wusste wo sie sich befand, doch sie schien verwischt zu sein, wie Fußspuren im Sand. Sie war einfach...weg.

Einerseits beunruhigte sie das, sie hatte die Kontrolle verloren. Was würde sie als nächstes tun, wenn sie schon einen Fremden einfach so die Kehle aufschlitzt, nur weil der Clown es von ihr verlangt hatte? Doch anstatt Angst zu bekommen, versuchte sie das Thema so weit wie möglich in die Ferne schieben. Sie war normal, ganz klar, daran gab und sollt es nie Zweifel geben. Es gab ja eine gewisse Logik hinter ihrem Handeln, die alles rechtfertigte, es war nicht unüberlegt, sie hatte die Kontrolle nicht verloren. Sie hatte die Kontrolle nicht verloren! Es war alles. Ganz. Normal. Kein Grund zur Sorge.
 

Ohne ein Wort von sich zu geben liefen beide durch die dunklen Gänge. Sie machten Jazmin auf die eine Art Angst. Es war dunkel, man konnte nicht sehen, was hinter der nächsten Ecke auf einen lauern würde. Die Finsternis war unberechenbar. Sie schien alles Leben einzufangen und auf Ewig wegzusperren. Doch auf der anderen Seite fühlte sie sich sicher, denn sie war ja nicht allein...
 

Jazmin dachte über das Video nach. Was würde wohl damit geschehen? Plötzlich fiel ihr ein, dass sie ja ebenfalls darauf zu sehen war, und zwar wie sie gerade einen Menschen tötete! Wenn das die Polizei zu Gesicht bekommen würde, würde sie sogleich wieder in die Psychiatrie gesteckt werden. Aber nicht in diese nette kleine Klinik sondern nach Arkham, dort, wo die „richtig Kranken“ waren. Aber da gehörte sie nicht hin. Schließlich war sie ja „normal“.

An wen war das Band überhaupt gerichtet?

„... jemand ganz Besonderen einen netten Gruß schicken...“ Wer war „jemand ganz Besonderes“? Sie versuchte sich an den Namen zu erinnern, den der Joker erwähnt hatte.

Batman.
 

Sie hatte diesen Namen noch nie gehört? Klang nicht wie ein Mensch, welcher Mensch hieß schon „Fledermausmann“? (Das ist eigentlich auch ganz schön krank.)

Aber wer war er, dass er so besonders ist?

Ihr anfängliche Scheu dem Joker gegenüber wandelte sich nun in Neugier um und sie nahm all ihren Mut zusammen, beschleunigte ihren Schritt, sodass sie fast neben ihm ging. Dieser bemerkte ihre Nähe erst gar nicht. Er schien sich auch auf die komplizierte Architektur des Kellers konzentrieren zu müssen.

„Wer ist Batman?“, fragte sie leise ohne ihn anzuschauen. Dieser blickte ebenfalls weiter geradeaus und antwortete: „Batman? Püppi kennt Batman nicht?“
 

Wie auch. Sie verbrachte die eine Hälfte ihres bisherigen Lebens im Käfig, der sich ihr „zu Hause“ nannte und die andere in der Klapse, dort, wo man die Patienten vor der Dauerbeschallung der Medien schützte. Der Joker nutzte diese Gelegenheit des Nichtwissens um Jazmin genau das zu erzählen, was sie wissen müsste, um so zu werden, wie er sie haben wollte.
 

„Batman, mein Püppchen, ist ein Typ in einem schwarzen Ganzkörper- Anzug, der den ständigen Drang hat alles und jeden zu retten, wenn ich ihm nicht in die Quere komme. Im Grunde genommen sind wir fast gleich, bloß dass ihm mein großartiger Sinn für Humor fehlt“, der Joker versuchte alles so Ernsthaft wie möglich zu erzählen, doch bei den letzten Worten konnte er sich ein unterschwelliges Lachen nicht verkneifen. Jazmins Gesicht zeigte keinerlei Regung. Schweigen. War sie etwa nicht darauf angesprungen? Der Joker wollte ein zweites Mal ansetzen, doch da erklang die zarte Stimme Jazmins.
 

„Er rettet Menschen?“

„Allerdings, Püppi“

„Jeden?“

„Alles und Jeden und sogar die, die es nicht wollen“

Wieder Stille.

Jazmin kniff grübelnd die Äuglein zusammen. Die Frage, die ihr nun durch den Kopf huschte, war vorhersehbar, zumindest für den Joker.
 

Warum hatte er sie nicht gerettet?
 

Warum hatte er sie nicht vor dem Monster unterm Bett gerettet?
 

Ohne, dass Jazmin noch etwas sagte, wusste der Joker, dass es funktioniert hatte. Doch mit einem hatte er nicht gerechnet.
 

Jazmin hob ihre Hand und ergriff den rechten Arm des Jokers. Sie hielt sich fest, wie ein Klammeräffchen und lehnte den Kopf im Gehen an. Der Joker war, falls es für überaus eine Steigerung gab, sehr überrascht, zuckte im ersten Moment zurück, denn, dass jemand freiwillig Körperkontakt zu ihm aufnahm war überaus selten, doch machte keine Anstalten sich Jazmins warmen Händen zu entziehen.
 

Sie hatte keine Angst, sie war ja nicht allein. Der einzige Mensch, der sie gerettet hatte, war bei ihr.

Oscarreif

In einem dunklen Raum flimmerte das Horror Video des Jokers in einer Endlosschliefe über einen scheinbar Meter großen Bildschirm. Das Geschehen schien sich zum Wiederholten Male abzuspielen, es wirkte fast so, als stünde das als Puppe verkleidete Mädchen und der Polizist im Raum.

Die kranke Stimme des Jokers hallte durch das Zimmer wie ein Echo, sodass es einem eiskalt über den Rücken lief. Die Umgebung, in der der Mord stattfand, war trist und vernebelt, sodass es kaum möglich war, die ganzen widerlichen Details zu erkennen.
 

Bruce Wayne saß auf dem Drehstuhl vor seinem Schreibtisch und starrte schon seit Stunden auf den Bildschirm vor sich. Er konnte es nicht verstehen. Er konnte es einfach nicht verstehen.

Wie kann man nur zu so einem ...Monster werden? Wie kann man nur so skrupellos sein?

Als sich das Bild schwarz färbte und nur noch das fett geschriebene STOPP den Raum erhellte, drückte er erneut auf Play.
 

Jetzt hatte der Joker es auch noch geschafft ein armes, kleines, hilfloses Mädchen auf die schiefe Bahn zu lenken. Was wollte er damit bezwecken? Was hatte er davon, eine machtlose und eigentlich auch wertlose Geisel mit sich herumzuschleppen?

Vor ein paar Tagen war er kurz davor gewesen, den Joker in seinem Versteck zu erwischen und ihm die Strafe zu erteilen, die er mehr als verdiente, doch kurz bevor die Polizei zuschlagen konnte, flog das Fabrikgebäude wie ein Feuerwerk in den Nachthimmel.

Er hatte das Gefühl, dafür verantwortlich zu sein, er fühlte sich schuldig, wie jedes Mal, wenn der Joker ihm knapp entwischte.
 

Bruce fixierte die absurden und verabscheuenswerten Handlungen vor ihm. Das Mädchen war eine Patientin der Psychiatrie, er wusste nicht viel von ihr, um genau zu sein, gar nichts. Nur, dass sie mit ihrem fragwürdigen Auftritt als Alice Gotham City schockte. Sie war psychisch labil, keine Frage, warum sollte sonst ein halbwegs vernünftiger Mensch solch eine Schandtat begehen? Doch etwas in ihren Augen sagte ihm, dass sie wusste was sie tat. Sie sah anfangs verängstigt aus, doch als sie das Messer in der Hand hielt, schien sie wie ausgewechselt. Der Joker zieht schizophrene Menschen an, wie Licht die Fliegen, doch das Mädchen scheint keineswegs schizophren zu sein. Der Mord sah bei ihr so selbstverständlich aus, als täte sie es jeden Tag, wie Zeitung lesen. Als wäre es ein reiner Akt der Routine. Weder Gefühl noch Scheu war in ihren hellgrauen Äuglein zu sehen.
 

Umso länger Bruce die Puppe anstarrte umso rätselhafter erschien sie ihm.

Das angsteinflößende Kichern des Jokers riss ihn wieder aus seinen Gedanken.

Um ehrlich zu sein, hatte er keine Ahnung, was nun seine Rolle war. Eigentlich sollte er die Menschen vor solchen Psychopathen schützen, doch die Rettung der vermeintlichen Geisel kam ihn ebenfalls in den Sinn. Sollte er das Mädchen nicht besser vor sich selbst und dem Joker retten? Doch sie würde mit dem Joker vor Gericht angeklagt, höchstwahrscheinlich für unzurechnungsfähig erklärt werden und den Rest ihres Lebens in Arkham verbringen.. Der Zug war also schon abgefahren.
 

Der Joker würde also wieder mehr Opfer fordern und es war seine Aufgabe ihn aufzuhalten. Er konnte nicht viel aus den wenigen Sätzen, rezitiert von dem armen Polizist, lesen. Weder einen Hinweis auf das nächste oder die nächsten Opfer, noch auf den momentanen Aufenthaltsort der beiden Pschophaten. Schon seit so langer Zeit versucht er, die Stadt vor solchen Leuten zu bewahren, doch bisher biss er sich jäh die Zähne aus. Die Hoffnung war schon auf ein Minimum zusammen schrumpft.
 

Doch etwas war anders wie sonst.

Vielleicht würde diese Veränderung auf seiner Seite stehen, vielleicht schnitt der Joker sich ins eigene Fleisch mit der Bürde, die er sich selbst aufgetragen hatte.

Vielleicht meinte das Schicksal es gut mit Gotham City und damit mit ihm.

Just Hang Out

Es hätte so ein schön Tag werden können. Die Sonne schien, die Vöglein zwitscherten und alles schien doch auf einen entspannenden Abend hinauszulaufen. Die Straßen waren nicht überfüllt aber auch nicht leer. Ein bisschen Getummel hier, ein klein wenig Gedrängel da. Die Laune der Menschen war wie immer: schlecht. Doch so waren die Großstädter, gaben sich mit nichts zufrieden und wollten es immer besser haben. Dabei war der Tag so schön. Die Sonne schien, die Vöglein zwitscherten, ecetera pp. Es war eben schön.
 

Doch dieser ständige Missmut, dieses permanente Meckern und Beschweren, niemand schätzte was er hatte und gönnte keinem was besseres. Dabei sollten sie froh sein, noch am Leben zu sein, noch die frische Herbstluft in ihre Lungen ziehen zu können. Denn ihnen erging es nicht, noch nicht, wie dem armen Officer des Gotham City Police Departements, der an einem Strick aufgehangen von dem größten Baum im Stadtparkt baumelte und seelenruhig in der lauen Nachmittagsbrise mitschwang.

Man bemerkte ihn kaum, denn wer rechnete schon damit, dass geschätzte zwanzig Meter über dem eigenen Haupt eine gelangweilte Leiche rumhing. Der kleine Jonathan entdeckte ihn zuerst, als er unter den Baum lief um seinen Ball zu holen und sein Blick nach oben gelenkt wurde, als ihm eine rote Flüssigkeit auf das neue Basecap tröpfelte. Das Geschrei war groß, welch eine Überraschung, und sofort wurde nach dem Täter gefahndet.

Er war bekannt, denn er wollte bekannt sein. Schließlich schickte er ein Video mit dem Mord an dem Polizisten an den selbst ernannten Rächer der Stadt.

Das sollte allen Menschen eine Lehre sein, sie könnten die nächsten sein und sich die Radieschen von unten anschauen. Wenn diese verlogene und ewig unzufriedene Menschheit nicht endlich einmal zufrieden sein würde mit dem verdorbenen Leben, für dass sie selbst verantwortlich sind, dann würde ihnen schon ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert werden!

Denn wo bleibt denn sonst der Spaß? HAHA
 


 

Dem Joker fuhr ein zufriedenes Lächeln über die roten Lippen, als er die Polizeisirenen hörte. Das war der erste Streich und der zweite folgt sogleich.

Er hatte Jazmin erzählt, er habe eine Überraschung für sie. Das war ihr kompletter Wissensstand, als sie nun im Van, in dem sie ironischer Weiße entführt wurde, auf dem Beifahrersitz Löcher in die Luft starrte. Stumm blickte sie aus dem Fenster, musterte jeden Baum und jedes Haus. Die Dämmerung setzte langsam aber sicher ein und der Himmel färbte die Schäfchenwolken in einem dramatischen rot.

Der Joker hatte seit langem nicht mehr einen solchen Spaß gehabt. Dieses kleine gequälte Mädchen zu einem Mord bewegen, das erfreute ihn auf eine so ironische Weiße. Und es kribbelte ihm in den Fingerspitzen noch weiter zu gehen.
 

Er wollte nicht die Schuld auf sie schieben oder von seinen eigenen Schandtaten ablenken, er wollte lediglich beweisen, dass jeder Mensch, so schwach und scheu er auch von außen wirkt, zu Taten fähig war, die man ihm nicht zutraute. Er wusste, das viele Menschen dadurch das Vertrauen auf Vernunft und gesunden Menschenverstand verlieren würden und sie daran zerbrechen zu sehen, war ein Heiden Spaß!

Man konnte es als eine Art Experiment sehen mit einem zuckersüßem Versuchskaninchen. Zuckersüß. Niedlich. Bissig.

So sehr er Jazmin am Anfang nur zu Manipulationszwecken nutzen wollte, so sehr fand er jetzt Gefallen an dem depressiven Püppchen. Er hätte nicht gedacht, dass sie so gut mitspielte.

Er wusste doch, dass sie Talent hatte. Und er hatte es entdeckt. Congratulations.
 

Die Häuser wurden langsam immer kleiner, die Straße schmaler, sie verließen Gotham. Bäume zierten nun den Straßenrand, bunte blätter fielen auf die Schutzscheibe und erschwerten die Sicht. „Wo fahren wir hin?“, fragte ihr leises Stimmchen, schüchtern und ein wenig ängstlich. Sie rechnete mit allem.

„Das hast du noch nicht erraten, Püppi?“ Jazmin schüttelte den Kopf. „So schwer ist das Rätsel nicht. Naja, es ist eigentlich auch kein Rätsel, für mich, denn ich weiß ja wo es hingeht, du weißt es auch, schließlich kennst du den Ort, besser als ich, aber ich habe mir erlaubt, dir zu verschweigen, wo wir hinfahren, demnach ist es für dich mehr eine Überraschung. Und Überraschungen soll man ja bekanntlich nicht verraten, sonst sind es keine Überraschungen mehr, also lass dich überraschen“ Schon allein die verwirrenden Worte die ihr entgegen drangen, nahmen ihr jegliche Lust zum Nachhaken. Gut, sie ließ sich überraschen. Doch so angenehm würde sich das Ganze wahrscheinlich nicht gestalten, das wusste sie, das hatte sie im Gefühl.
 

Weiter blickte sie aus dem Fenster, sie hatte kaum bemerkt, das nun mehr nur noch ein oder zwei Häuser aller 100 Meter auftauchten. Was sollte ihr Ziel sein? Sie kannte den Ort? Wohl kaum, diese Gegend hatte sie noch nie zuvor gesehen.

Als die Zahl der Häuser auf Null sank, bogen sie an einer Kreuzung rechts ab in eine kleine Allee ein.

Die vielen Bäume warfen nun bedrohliche Schatten auf die Straße, sie schienen wie finstere Gestalten, die dem Van folgten und sich auf ihn warfen. Diese düstere Gegend nahm Jazmin jegliches Wohlbehagen, zumal sie nun auch noch das vertraute Sonnenlicht verließ.

Zu deutsch: Es wurde dunkel.

Der Joker blickte weiter gerade aus, schien blind zu lenken, doch sog die eingeschüchterten Reaktionen Jazmins auf wie die frische Luft zum atmen.

Zu allem Übel begann es auch noch zu regnen, wie immer in solchen Situationen. Das Wetter stand auf des Jokers Seite. Er liebte dramatische Untermalungen.

Als die kleinen Regentropfen gegen das Fenster schlugen, beobachtete Jazmin sie mit Argusaugen. Der Regen. Er erinnerte sie an einsame Abende zu Hause. Wie sie friedlich auf ihrer Geige fiedelte und sich in eine andere Welt träumte, bis das Monster kam...

Das Monster...

Sie riss ihren Blick von dem Tanz der Regentropfen los und versuchte draußen in der Dunkelheit irgendwas zu erkennen. Die Straße, diese schier unendliche Straße, diese riesengroßen Bäume, sie kannte diese Atmosphäre. Bedrückend. Erdrückend.

Plötzlich fiel es ihr wie die Schuppen von den Augen.

Sie lief blass an und machte hektische Bewegungen.

„Drehen Sie um! Sofort! Ich will da nicht wieder hin! Lassen Sie mich hier raus!“

Der Joker gab sich unbeeindruckt von Jazmins flehenden Bitten, schließlich hatte er damit gerechnet. Auch ein Grund, weswegen er die Türen verschossen hatte, an denen Jazmin nun wie von der Tarantel gestochen rüttelte und zerrte. Doch keine Chance. Der Joker würde das durchziehen, keine Frage. Da halfen auch keine Krokodilstränen.

Jazmins Körper spannte sich unheimlich an, sie saß wie versteinert auf ihrem Platz. Umso näher sie dem Haus kamen, umso flacher wurde ihr Atmen.

Schon von weitem stach ihr das große, alte Herrenhaus in die Augen. Es ähnelte diesen Hexenhäusern, die so gern in klischeehaften Horrorgeschichten vorkamen. Doch dies war keine Geschichte. Es war die beschissene Realität.
 

„Na Püppi, ist mir die Überraschung gelungen? HIHI“

Homecoming

Der Van hielt geräuschlos vor dem Haus. Jazmin wagte es nicht, den Kopf in dessen Richtung zu drehen, stur blickte sie geradeaus, versuchte sich zu beruhigen. Der Joker stieg aus, ging um den Van herum und öffnete gentlemen like Jazmins Tür. Doch diese dachte keines Wegs ans aussteigen.

„Komm Püppi, stell dich nicht so an. Es wird auch ganz lustig. Das verspreche ich dir!“
 

Er streckte die Hand aus und hielt sie ihr hin. Langsam hob sie ihren Blick, schaute auf das große Herrenhaus, das in der Dunkelheit noch beängstigender aussah, schaute den Joker an und stieg schließlich aus. Sie hatte sowieso keine andere Wahl. Sie gingen zu der Holztür, die aus massiver Eiche bestand. Im Rahmen waren nette Verzierungen eingeschnitzt. Eine Klingel war nicht zu finden, deswegen klopfte der Joker dreimal laut an und lehnte sich dann mit dem Rücken an die daneben liegende Wand, sodass nur Jazmin in den Genuss kam, den Hausbesitzer freundlich gegenüber zu treten. Anfänglich war sie davon wenig begeistert, doch als sich die Tür öffnete, war es zu spät.

Ein kleiner, gebückter Mann mit grau weißem Haar schob die schwere Tür mit aller Kraft auf und blickte zu seinem großem Gegenüber auf.

Da war er. Das war der Mann, der ihre Kindheit zerstörte. Sie erkannte ihn sofort, auch wenn ihre letzte Begegnung um Jahre zurück lag. Die kleinen schwarzen Augen, die sie vor langer Zeit aufzufressen schienen, blickten nun aus faltigen, tiefen Augenhöhlen und erregten eher Mitleid als Furcht.

Jazmins Gesichtszüge erstarrten, wirkten eiskalt, erfroren. Ihre blauen Äuglein waren zwar aufgerissen, doch zeigten keinerlei Gefühl.
 

„Ja, bitte? Was kann ich für sie tun?“, fragte der alte Mann. Seine Sehkraft waren schwach, er konnte kaum die merkwürdige Aufmachung und die Narben in des Püppchens Gesichtes erkennen. Jazmin konnte nichts sagen, sie öffnete den Mund, doch es kam nichts. Hilfe suchend blickte sie kurz zu dem Joker, der neben ihr lehnte, doch er schaute sie nur stumm an.

Was sollte sie sagen? Was soll man einem Menschen sagen, der einen Jahre lang gequält hat und nun einem selbst schwach und gebrechlich gegenüber steht? Schon tausendmal hatte sie sich die Hasstiraden zurecht gelegt, die sie ihm entgegen werfen würde, wenn sie ihn je wieder sehen würde. Doch all das schien wie weggeblasen. Ihr Kopf war einfach nur leer.

„Erkennst du mich etwa nicht mehr?“, fragte sie, es klang zwar leise, doch nicht scheu.

Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir Leid, ich kenne Sie nicht.“
 

Er erkennt sie nicht. Er verletzte sie und überschritt die Grenzen, doch erkennt sie nicht. Irgendwie fand sie das auf eine traurige Art und Weiße lustig. Keiner kannte sie so sehr wie er. Ein halbherziges Lächeln huschte über ihre roten Lippen. Belustigt schüttelte sie den Kopf.

„Dann kannst du dich bestimmt auch nicht an das kleine Mädchen erinnern, dass 15 Jahre bei dir wohnte.“ Sie versuchte die Wahrheit in seinen Augen zu lesen, ein kleines zucken der Lider verriet ihr, dass er log. Langsam ging sie einige Schritte auf ihn zu, er wich vorsichtig zurück. „Welches du benutzt hast, verletzt, gequält“ Ihre Stimme wurde stärker, ihre Schritte selbstbewusster. „I-Ich weiß nicht, was...“, presste der alte Mann nun hervor. Seine Pupillen weiteten sich. Langsam gingen die beiden in den unbeleuchteten Flur des Hauses. „Was? Du weißt nicht? Du weißt nicht?!“ Sie wollte sich auf den Alten stürzen, streckte die Hände aus, um ihn an die Kehle zu springen, doch eine Hand auf ihrer Schulter hielt sie zurück. „Josephin?“, war das Letzte was er sagen konnte, bevor er stolperte und nach hinten umfiel.

Der Joker drückte unsanft auf ihre Schulter und zog sie wieder zurück. „Ganz ruhig, Püppi. Wir wollen den armen Mann doch nicht umbringen! Zumindest nicht so schnell. Ich will auch noch was davon haben.“
 

Jazmin taumelte einige Schritte nach hinten und versuchte sich zu beruhigen. Er hatte recht. Das Monster sollte genauso lange und qualvoll Leiden wie sie einst.

Der Joker packte den Alten, der dem verdrecktem Teppich auf dem Boden starke Konkurrenz machte, am Genick und zog ihn auf die schwachen Beine. Dieser wusste nicht wie ihm geschah. Er brachte nichts weiter als aufgeregtes Murmeln über die Lippen. „Ja ja, komm sei still.“, fuhr der Joker genervt den Mann an und schleifte ihn durch den dunklen Flur zu einem Raum, aus dem spärlich Licht drang. Die Küche.
 

Jazmin fiel es erst jetzt auf, dass der Joker sich hier auszukennen schien, als wäre es sein eigenes Haus. Wortlos folgte sie ihm, die zur Faust geballten Hände lagen steif an ihrem Körper an.

In der Küche angekommen warf der Joker ihn auf einen Stuhl, Festbinden war nicht von Nöten, der Schockzustand fesselte ihn genug. Gemütlich platzierte der Joker sich auf der gegenüber liegenden Küchenanrichte, Jazmin blieb im Türrahmen stehen. Sie wagte es nicht, dem Monster näher zu kommen.

„So Opi, dann erzähl mal. Wie ist es so kleine Mädchen zu vergewaltigen?“ Jazmin war es nicht gewohnt, das Thema so offen angesprochen zu hören. Ein Schaudern stieg ihrem Körper empor. Aufkommende Erinnerungen versuchte sie zu verdrängen.
 

„I-Ich weiß nicht, wovon Sie reden!“

„Ja, natürlich nicht. Alzheimer ist echt eine schlimme Krankheit. Tsts“ Bemitleidend schüttelte er den Kopf. „Soll ich dir ein wenig auf die Sprünge helfen, Opi?“ Er öffnete eine Schubladen, unter der Anrichte auf der er saß, nahm ein normales Messer heraus, hielt es sich vor das Gesicht, beäugte es und legte es schließlich wieder zurück. „Ein kleines, süßes Mädchen in einem kleinen engen Kleidchen...“ Eine weitere Schublade wurde geöffnet, diesmal nahm er einen Pizzaschneider heraus, fuhr mit den Fingerspitzen über die runde Klinge, schüttelte enttäuscht den Kopf und legte auch diesen Gegenstand wieder zurück. „...ein dunkles Zimmer mit einem kleinem Bettchen...“ Jazmin kniff die Augen zusammen. Seine Worte trafen die wie Speerspitzen.

„Nein, bitte...!“, rief sie dem Joker zu, es war kaum zum aushalten. Wie konnte man nur so unsensibel sein! Dieser drehte sich wütend zu ihr um und warf ihr nur ein mürrisches „Sei still!“ entgegen und wendete sich wieder seinem Opfer zu. Jazmin war erschrocken und erbost darüber, dass er ihr den Mund verbot. Sie atmete tief durch versteckte sich wieder hinter dem Rahmen. Diese Situation war ihr mehr als unangenehm, verständlich. Sie konnte nichts weiter tun, als darauf zu vertrauen, dass der Joker alles unter Kontrolle hatte.
 

„Ich habe mich immer gut um mein Mädchen gekümmert!“, hallte die zittrige Stimme des Alten durch die kleine Küche.

„Sicher. Sicher. Davon gehe ich aus. Du hast dich sicher sehr, sehr gut um das Püppchen gekümmert. Mit Leib und Seele.“ Er öffnete eine dritte Schublade, alle guten Dinge waren ja bekanntlicher Weiße drei, und war sichtlich erfreut, als er endlich das fand, was er gesucht hatte. Mit einem breitem Grinsen zog er ein übergroßes, gut geschärftes Küchenmesser hervor, das schon eher einem Hackebeil glich. Der Alte auf dem Stuhl riss die kleinen Augen auf, das Metall reflektierte die Angst in seinem Blick. Der Joker stand auf, fuchtelte ein wenig mit dem Messer herum, ging zu dem Mann und beugte sich zu ihm hinab, sodass er in seine angsterfüllten Augen blicken konnte.

„Also hat es dir Spaß gemacht?“, fragte der Joker so, als wolle er wissen, wie sein letzter Kinobesuch war. Die Klinge fand langsam den Weg zu der pulsierenden Hauptschlagader an des alten Mannes faltigen Hals.

„Ich hab sie doch so lieb gehabt“ Die alten Augen wurden feucht und eine Träne, sei sie aus Angst oder Reue, bahnte sich ihren Weg.

Jazmin konnte sich das nicht mehr mit ansehen. Der Zeitpunkt, auf den sie seit so langem gewartet hatte, war nun da, doch sie konnte es einfach nicht über sich bringen. Mit rasendem Herzen drehte sie sich weg und ging, nein, taumelte in das gegenüberliegende Zimmer.

„Mag sein. Doch Püppchen sollte man niemals wegwerfen, sie könnten dein Schicksal besiegeln“
 

Er starrte dem Alten wie besessen in die Augen, als würde er noch das letzte bisschen Ehrfurcht aus ihm herauskitzeln wollen.

„Wir sehen uns in der Hölle“,

mit diesen Worten packte er ihm am Hals und schlitzte ihm die Kehle durch. Stark blutend sackte der Alte auf dem Stuhl zusammen und starrte leblos auf den schlecht geputzten Fließenboden.

Jazmin lehnte an einer Wand und knetete nervös ihre feuchten Händchen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie sich in ihrem Kinderzimmer befand. Es sah alles so aus, wie sie es einige Jahre zuvor unter Flucht verlassen hatte. Die Puppen auf ihrem Bett saßen noch in der selben Reihenfolge auf ihren Kissen, auf den Regalen standen noch die ganzen „Alice in Wonderland“ Bücher gut sortiert und vor ihrem Fenster hingen noch die gleichen rosa Vorhänge, nun verstaubt und vergilbt.

Es machte alles einen so vertrauten und doch abstoßenden Eindruck. Sie hörte, wie jemand durch den Flur polterte. Der Joker, er suchte sie bestimmt. Sie wollte zu ihm, zu dem einzigen, der über ihr ganzes absurdes und paradoxes Leben Kontrolle behielt. Sie ging rückwärts und stieß mit der Hacke gegen einen hohlen Holzgegenstand.
 

Ihre Geige. Die süße, kleine Kindergeige, die so einst schöne Melodien von sich gab. Sie bückte sich und hob sie auf. Zu ihrer Verwunderung war sie weder verstaubt, noch irgendwie sonst beschädigt. Mit ihren kühlen Fingerchen strich sie über das makellose Holz und über die weichen Saiten.

Das Rufen nach ihr, riss sie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich noch ein letztes Mal um, schaute sich ihre Vergangenheit an und kehrte ihr schließlich den Rücken zu. Als sie den Flur betrat, sah sie von weitem den ihr zugeneigten Kopf, der blutend auf einem paar träger Schultern lastete und dessen Augen sie hypnotisierend anstarrten. Sie kniff die ihrigen missbilligenden zusammen und wendete den Blick ab.
 

„Komm Püppi, das beste kommt zum Schluss.“ Er stand am Ende des Flur und lächelte ihr seelig zu. Sie tippelte zu ihm und gemeinsam verließen sie das alte Hexen-, Verzeihung, Herrenhaus.

Sie hatte nicht bemerkt, dass die Treppen und der Flur mit Benzin übergossen war. Der Joker holte Streichhölzer hervor, brannte eines an und hielt es Jazmin auffordernd vor das Näschen. Diese zögerte nicht lang, nahm es in die Fingerspitzen und zündete, die Geige unter den Arm geklemmt, die entflammbare Flüssigkeit an. Es war kein Feuerwerk, eher ein Lagerfeuer, aber das war auch nicht schlecht anzusehen. Sie standen einige Minuten vor dem brennendem Haus und starrten in die roten Flammen. „Und? Hab ich zu viel versprochen?“, fragte der Joker fröhlich. Jazmin schüttelte nur den Kopf. Eine Last in Form des Mount Everest war ihr gerade vom Herzen gefallen. Da war sie wieder, diese Lücke. Doch sie war alles andere als unangenehm, sie war wunderschön.

Wenn die Welt brennt...

- „...Das Geburtshaus der entführten Psychopathin wurde heute Abend brennend vorgefunden. Die Polizei geht davon aus, dass der Joker für die Brandstiftung verantwortlich ist. Gründe unbekannt. Der Vater der Geisel hielt sich wahrscheinlich zum Zeitpunkt des Brandes im Haus auf. Nach der Leiche wird gesucht. Details in einer Stunde...-
 

- „...Soeben erreichte die Polizei des Gotham City Police Departements ein Video, auf dem der Mord des vor wenigen Tagen im Stadtpark tot vorgefundenen Polizeibeamten aufgezeichnet ist. Täter und Opfer sind eindeutig zu identifizieren. Es handelt sich um die Psychopathin, die der Joker aus der Psychiatrie entführte. Nach den Tätern wird gefahndet. Ihr momentaner Aufenthaltsort ist zum Zeitpunkt unbekannt...-
 

Jazmin saß in der finstersten Ecke des kleinen Appartements und schaute geistesabwesend durch das ihr gegenüber liegende Fenster, durch das der weißgelbe Mond leuchtete. Sie kniete auf dem kühlen Boden, die Hände um die Knöchel geschlungen, das Kinn aufgestützt, die Geige an ihrer Seite. Es war kein Laut zu hören, keine Bewegung, kein Atmen, kein Wimpernaufschlag. Bedrückende, ehrliche Stille.
 

Der Joker hatte es sich auf einem Sessel nicht weit von dem Püppchen entfernt gemütlich gemacht. Im Grunde tat er dasselbe. Starrte apathisch in eine Richtung, mit der Ausnahme, dass er statt des hypnotisierenden Mondes Jazmin fixierte. Hätte sie dies bemerkt, wäre ihr Herz schon allein wegen der Intensität des Blickes stehen geblieben, aber sie bemerkte es nicht. Sie schaute nur auf den großen, weißgelben Mond draußen vorm Fenster.

Dieser Tag war alles andere als normal gewesen. Aber was war schon normal. Seit sie die ungewöhnliche Gesellschaft dieses Verrückten genoss, war kein Tag wie der andere. Im Grunde genommen waren es sogar keine Tage, nur eine aneinander gereihte Abfolge von Stunden, gefüllt mit paradoxen, absurden, verrückten Dingen. Wie er es versprochen hatte. Also kein Grund zur Beunruhigung. Alles verlief nach Plan. Er behielt stets die Kontrolle. Kein Grund zur Soge. Was waren schon ein paar Menschenleben? Es war alles. Ganz. Normal. Ein zufriedenes Lächeln, welches schnell wieder verschwand, huschte Jazmin kurz über die roten Lippen.
 

Er sah, wie der bleiche Mond sich in des Püppchens grauen Augen spiegelte und sie gespenstisch weiß erschienen ließ. Das Lächeln war ihm nicht entgangen, so schnell es auch wieder ging. Sein Vorhaben, sein Plan schien Wirkung zu erzielen. In der Psychologen Sprache nennt man dies Stockholm Syndrom. Die Geisel hat nicht das Gefühl, das eine Situation oder eine Person, sei es der gefährlichste Psychopath überhaupt, bedrohlich sei oder Konsequenzen für sich oder andere haben könnte. Der Entführer wird zum Freund.

Auf die eine Art fand der Joker dies ziemlich belustigend. Wie krank muss man sein, ihn als Freund anzusehen? Das Püppchen hat echt 'nen Schaden...

Auf der anderen Seite war es doch schon...nicht normal, nicht wie sonst. Einerseits eröffnete es ihm neue Möglichkeiten gewisse Menschen zu quälen, doch es war... komisch. Was, wenn dieses „Experiment“ außer Kontrolle geriet? Was, wenn das Mädchen außer Kontrolle geriet?

Er war sich seiner Sache bisher immer sicher. Keine Reue für nichts und niemanden. Doch das hier war neu. Es gab keine Garantie, dass alles gut verlief. Aber das liebte er an diesem Job. Immer wieder neue Herausforderungen.
 

Jazmin neigte den Kopf, ohne den Blick abzuwenden. Aber was würde am Ende passieren? Wenn jene Rache genommen wurde, wenn jenes Leben und jener Mensch nicht mehr existieren? Was ist dann, am Ende? Was passiert dann...mit ihr? Es gab eine Lücke in diesem unbestechlichem System. Plötzlich durch fuhr sie eine Angst, eine Angst vor verlorener Kontrolle, vor dem ...Nichts.

„Was ist, wenn die Welt brennt?“, hallte plötzlich ihr zartes Stimmchen kaum hörbar durch den dunklen Raum. „Brennen...brennen wir dann...auch?“ Sie kniff beängstigt die Äuglein zusammen und blickte zum Joker.

Dieser schaute sie nur wortlos an und schien zu überlegen.

„Rein theoretisch: Ja. Aber, wie du vielleicht weißt, Legenden sterben nie, Püppchen. Du hast die Welt zum brennen gebracht, das vergisst dir keiner so leicht“ Ein diabolisches Kichern entfloh seinen rot geschminkten Lippen.

„Aber wenn alle tot sind, wer erinnert sich dann an dich?“, diese Frage kam unerwartet. Nicht dumm, das Püppchen. Nicht dumm.

„Es geht nicht darum, dass sich Menschen an dich erinnern. Es geht darum, dein Gewissen, deinen Rachedurst zu befriedigen. Am Ende kannst du in Ruhe sterben, Püppchen“
 

Jazmins Gedanken schweiften kurz ab, die versuchte einen Sinn in diesen Phrasen zu erkennen.

„Also ist das einzige, um was es geht, am Ende zu Frieden zu sein und zu sterben? Kein materielles, kein gegenständliches Verlagen? Es geht nicht um das Töten und Unruhe stiften im eigentlichen Sinne, um das Blut, um die gequälten Schreie sondern nur um ein beruhigtes Gewissen?“ Die Verwirrung und das Unbegreifen waren deutlich in ihrer Stimme zu hören.

„Sicher, sicher. Doch das Blut und die gequälten Schreie sind ein netter Beigeschmack. HIHI“
 

Also war ihre Existenz nur durch Rache zu rechtfertigen. Am Ende würde sie sterben, wie jeder andere normale Mensch. Alles was sie hätte, wäre die Zufriedenstellung. Na, immerhin etwas.

Nun hatte sie ein Ziel und müsste nicht allein der trostlosen Welt den Mittelfinger zeigen.

Wieder schaute sie aus dem Fenster. Der weißgelbe Mond brannte sich in ihre Gedanken ein, fesselte ihre Sinne. Sie war jetzt schon zu Frieden. Die Fragen, die sie sich schon seit Ewigkeiten stellte, hatten Antwort gefunden.

Seitdem sie hier war, hatte ihr Leben eine Art Sinn, wenn auch einen sehr, sehr fragwürdigen.

Dislike

„Wir haben sie“, waren die einzigen Worte, die Gordon durch den Hörer sagen konnte. Endlich, sie haben sie gefunden...mal wieder.

„Und wo sind sie?“, fragte Bruce, ohne zu viel Hoffnung in seine Worte zu legen.

„Sie statten gerade einem der noch wenig vorhandenen Mafiabossen einen Besuch ab. Wahrscheinlich will er ihn für seine Pläne gewinnen...Wir müssen uns beeilen, bevor es zu spät ist. DU musst dich beeilen...“

Bruce antwortete nichts, nickte nur mit dem Telefon am Ohr.

„Wir verlassen uns auf dich“
 

Diese Winternacht schien die kälteste zu sein. Kein Schnee, dafür unmenschliche Minusgrade. Jazmin fror, sie trug nichts weiter als ihr kleines Alice Kostümchen. Doch das schnelle Tempo, was der Joker an den Tag legte, wärmte sie wieder ein wenig auf. Jazmin wusste nicht wo es hingeht, wie sonst. Sie folgte nur mit stiller Anwesenheit, bemüht, den Joker in der Dunkelheit nicht aus den Äuglein zu verlieren. Sie eilten durch dunkle Gassen, bogen um schier tausend Ecken um dann endlich in einem kleinen, unscheinbaren Hintereingang zu verschwinden.
 

Sie betraten ein altes Appartementhaus, das seine besten Jahre schon hinter sich hatte. Wahrscheinlich würden sich hier mal wieder irgendwelche absurden Sachen abspielen, die für Ewig in diesen Mauern eingeschlossen sein werden. Warum mussten es eigentlich immer so heruntergekommene Orte sein? Diese vergilbten Tapeten machen einen doch ganz depressiv!

Sie eilten unendliche Treppen hinauf, die einfach nicht enden wollten. Dem Joker schien das ganze nichts auszumachen, Jazmin hingegen schnaufte, als käme ihr der Tod persönlich hinterher gerannt.
 

Im gefühlten 30. Stock verließen sie das alte Treppenhaus durch eine quietschende Holztür. Der Joker schien keinen Wert auf stilles anschleichen zu legen, eher auf lautstarkes Vorankündigen. Sie liefen einen lagen Flur entlang. Man konnte die Hand vor Augen nicht sehen. Jazmin fühlte sich mehr als unwohl, umringt von dunklen, leer stehenden, verschimmelten Wohnungen. Ein merkwürdiger Geruch, der sie an den Van, in dem sie entführt wurde, erinnerte, stieg ihr in das Näschen. Wenn sie hier je gewohnt hätte, hätte sie sich wahrscheinlich auch das Leben genommen. Des Schimmels und der schrecklichen Tapeten wegen...Wer weiß, welcher Zombie sogleich aus der Ecke gesprungen wäre...
 

Sie versuchte aufzuholen, tappelte in flinken Schritten vor an des Jokers Seite und ging dicht neben ihm. Sie konzentrierte sich so sehr darauf, das der Schimmel nicht noch sie befalle, dass sie den abrupten Halt gar nicht mitbekam. Der Joker hielt vor einer Tür, unter der spärlich Licht hervor drang. Es waren Männerstimmen zu hören.

Er drehte sich zu ihr um und blickte sie ernst an. „Wenn wir jetzt da rein gehen, gelten für dich zwei Dinge. Erstens: Halt bloß deinen Mund. Zweitens: Fass bitte nichts an. Man weiß nie, wer es vorher in der Hand hatte...Verstanden?“ Jazmin nickte.

„Großartig“. Der Joker grinste sie an und öffnete die Tür.
 

Es waren drei groß gewachsene, starke Männer, die in Raummitte geduldig auf den Joker gewartet haben. Als der grotesk bemalte Clown den Raum betrat, drehten sich alle Beteiligten zu ihm um und begrüßten ihn durch misstrauisches Taxieren. „Du bist zu spät“, sagte der bullige Schwarze am Schreibtisch. „Und du hast nichts von einer Begleitung gesagt“, bellte er ihm entgegen.

Der Joker ließ sich Zeit den Raum zu durchqueren, musterte ebenfalls die beiden anderen Männer, die sich in Schreibtischnähe aufhielten. Jazmin folgte mit eingezogenem Kopf.

„Hast du aber auch nicht“, sagte er belanglos und warf den beiden Bodyguards einen verärgerten Blick zu. „Und außerdem bin ich nie allein“, fügte er zu einem grausigen Kichern hinzu. Ob er nun auf seine imaginären Freunde oder seine Spitzel abzielte stand im Raum.
 

Die drei Männer schienen Jazmin mit ihren Blicken auszuziehen, wortwörtlich und im übertragenen Sinne. Der Joker bemerkte, dass die allgemeine Aufmerksamkeit nicht ihm sondern dem Püppchen galt und versuchte schnell wieder auf sich aufmerksam zu machen.

„Also gut, kommen wir gleich zum Punkt“ Er schnippste mit den Fingern an den Gesichtern der anderen vorbei um deren Blicke auf sich zu ziehen. Diese wendeten sich mit mürrischer Miene dem Clown zu.

„Gut, was willst du? Und mach schnell, ich habe nicht den ganzen Tag für einen durchgeknallten Psychopathen Zeit...“ Auch wenn der Joker ganz genau seine Persönlichkeit einzuschätzen wusste, war er dezent beleidigt und malte sich schon den qualvollen Tod der Anwesenden aus. Aber er musste sich Zeit lassen...
 

„Im Grunde genommen hat die Kriminalität in Gotham nur ein Problem, ein Hindernis, das sie vom großen Geld trennt: Batman“-

„Sag uns was, was wir noch nicht wissen“, brachte einer der Bodyguards von der Seite ein. Der Joker drehte sich genervt um, zog eine Pistole aus seinem Mantel hervor und schoss dem armen Mann in den Kopf. Dieser fiel sogleich um wie ein nasser Sack.

„Ja, jetzt warte doch mal die Zeit ab und unter brich mich nicht ständig, da wird man ja wahnsinnig...“ Mit vorgehaltener Hand flüsterte er dem schwarzen Bullen ihm gegenüber zu: „Den konnte ich sowieso nicht leiden. Also, wo war ich? Ach, ja, Batman. Ich weiß, wie wir dieses Problemchen aus der Welt schaffen können“

Leicht eingeschüchtert, doch stets seine Haltung bewahrend antwortete er: „Und wie?“
 

„Also“, er holte tief Luft, als würde er sich auf eine lange Rede vorbereiten, „Wir locken ihn in eine Falle. Nicht, dass das je unversucht war. Ich geb's ja zu, ist ein bisschen Klischee und so, aber ich bin guter Dinge, denn, seien wir mal ehrlich, mit gänzlich viel Intelligenz ist der Gute nicht gesegnet...“, er holte wieder tief Luft, anscheinend als Lückenfüller dafür, das er den Faden bei den unzähligen Abschweifungen verloren hatte und ihn so bald auch nicht wieder finden würde. Er durchsuchte die Luft als stünden dort seine so säuberlich zurecht gelegten Sätze. Und er schien Glück gehabt zu haben. „Also, wir locken ihn in eine Falle, Ort und Zeit und den Rest, daran muss ich noch pfeilen, doch das Konzept steht...so in etwa. In der Zeit, in der unser Batman im Dunkeln tappt, könnt ihr ein paar Banken ausrauben, und so das Zeug, was ihr Kriminellen sonst immer macht machen“ Er legte eine dramatische Pause ein, um seinen glorreichen Worten Ausdruck zu verleihen.
 

Jazmin hatte sich derweil auf dem Schreibtische platziert und verfolgte diesen Dialog mit verwirrter Miene. In ihren Ohren klang das alles sehr stümperhaft. Sie kannte den Joker zwar nicht gut, doch das war nicht seine Art an ein Verbrechen heran zu gehen. Irgendetwas war komisch. Doch sie verschwendete ihre Zeit lieber mit etwas wichtigerem. Neben ihr auf den Schreibtisch stand eine Schachtel Pralinen. Immer wieder nahm sie Blickkontakt mit den Schokostücken auf, öffnete schließlich unbemerkt die Schachtel und holte sich eine Praline heraus. Lecker...
 

„Und, was sagst du?“

Der Schwarze strich sich über das Kinn und starrte nachdenklich in die Luft.

„Wenn ihr mich fragt, für mich hört sich das alles ziemlich dämlich an. Wer denkt sich denn so einen Mist aus?“, nuschelte der andere noch lebendige Bodyguard in seinen imaginären Bart. Der Joker zog erneut seine Waffe und verpasste dem Mann ein schickes Loch im Brustkorb.

„Ja, dich hat aber keiner gefragt, Trottel“

„Also, erst einmal wäre ich dir sehr verbunden, nicht mehr meine Leute abzuknallen“, entgegnete der Schwarze wütend.

„Den konnte ich auch nicht leiden“

„Was auch immer. Auch wenn ich Gefahr laufe, dem selben Schicksal entgegenzutreten, ich finde das ist der größte Scheiß, den ich je gehört habe. Selbst die Polizei ist nicht so dämlich und würde darauf hineinfallen. Bist echt ein lausiger Psychopath“
 

Wieder Erwarten war der Joker weder wütend noch beleidigt. Lediglich ein nettes Lächeln umspielte seine Lippen.

Hier stimmte ganz und gar nichts.

Aber die Pralinen waren echt gut...

Catch Me If You Can!

„Wie spät ist es?“, fragte der Joker gelangweilt.

„Was?“, der Schwarze verzog verwirrt das Gesicht. Verwundert zog er den Ärmel seines Jacketts zurück und warf einen Blick auf seine Rolex.

„10 vor 9. Wie ...“, die Worte blieben ihm im Hals stecken, als der Joker ihn am Kragen auf die Beine zog und statt einer Pistole nun ein Obstmesser an dessen Hals drückte. „Da ist aber jemand ganz schön unpünktlich...“, sagte der Joker ungeduldig. „W- Was soll das? Nehm sofort deine dreckigen Finger von mir!“

„Öhm, wie wär's mit nein?“ Er zog den Dicken trotz seines nicht zu unterschätzenden Gewichts über den Schreibtisch und steckte ihm das Messer in den Mund.

„Du hast recht, die Idee war echt blöd...hat mir auch nicht gefallen“, er zuckte mit den Schultern, „Trotzdem schade, dass du nicht zugestimmt hast. Naja, dich mochte ich sowieso nicht...“ Er schob das Messer noch tiefer in des Mannes Mund und wollte ihm gerade helfen, sein Lachen wiederzufinden, als die süße Stimme des Püppchens erklang. Der Joker hatte ihre Anwesenheit fast vergessen, so konzentriert war er auf seine Opfer. Genervt drehte er den Kopf, der Schwarze folgte mit den Augen. „Was denn? Wir haben nicht ewig Zeit!“ Jazmin versuchte ihn mit ihren großen Äuglein zu besänftigen, hob die leere Pralinenschachtel hoch und tippte unschuldig mit dem Finger auf den Deckel. „Hast du noch mehr davon?“, fragte die den Schwarzen. Dieser war nicht wenig überrascht und versuchte mit den Messer im Mund zu nicken. „Da“, nuschelte er und deutete mit der freien Hand, die sich nicht das Messer von Hals hielt, auf eine Schublade. „Klasse!“, sagte Jazmin und lächelte den Dicken an. Im Grunde genommen tut sie ihm ja nur einen Gefallen. Würde er nicht durch die Hand des Jokers sterben, dann womöglich an Fettsucht. So krabbelte sie ganz auf den Tisch und suchte ihr Glück.

Der Joker rollte mit den Augen, fragte sich kurz, was er sich denn da bloß angelacht hatte, und wendete sich wieder seinem Opfer zu.

„Gut, ich danke dir an dieser Stelle für deine Unterstützung, warst mir eine wirklich große Hilfe, ohne dabei ironisch wirken zu wollen.“

Plötzlich ertönte ein lauter Knall, wie ein dumpfer Aufprall, hinter der geschlossenen Tür.

„So, jetzt muss ich aber. Man sieht sich“. Mit einem Ruck durchtrennte das kühle Messer jegliche Haut- und Muskelfaser an des Mannes Wangen und das Blut suchte sich seinen Weg aus den Adern an die frische Luft.

Der Joker lies den Mann fallen, wie eine heiße Kartoffel, packte Jazmin am Handgelenk, die eben noch am leeren der zweiten Schachtel war und eilte durch die Tür, durch die sie gekommen waren.
 

„Dir ist schon klar, dass du gerade Regel 1 und 2 gleichzeitig gebrochen hast“

„Tut mit Leid“

„Nein, tut's dir nicht“

„Stimmt“
 

Er schleifte sie aus dem Raum hinaus in den dunklen Flur. Jazmin hatte keine Ahnung, was der Grund für diese Eile war, doch zum fragen blieb keine Zeit. Kurz bevor sie um eine Ecke hechteten, erspähte sie am Ende das Ganges eine große, schwarze Gestalt, die durch das Fenstern, vor dem sie stand, hinein gekommen sein musste. Sie hatte etwas unwirkliches, ja beinahe monströses an sich. Doch ehe Jazmin darüber genauer nachdenken konnte, wurde sie unsanft um die nächste Ecke gezogen. Der Joker schien trotz seines fluchtartigen Sprints guter Dinge zu sein, warum auch nicht, schließlich verlief, nein verläuft alles nach Plan.

Jazmin stolperte fast über ihre eigenen dünnen Beinchen, versuchte sich immer wieder umzudrehen, diese merkwürdige Gestalt noch einmal zu sichten. Es musste ER gewesen sein, ja, wer sollte es sonst sein? Sie musste zurück, sie musste ihn sehen. Der Griff um ihr Handgelenk wurde mit keiner Sekunde schwächer, trotz dessen versuchte sie sich loszureißen, zog ihre Hand zurück, spürte wie sich die Hand es Jokers löste und machte kehrt.
 

So schnell wie sie eben in die eine Richtung gerannt ist, so schnell rannte sie jetzt in die andere. Folgte dem dunklen Gang wieder bis zu der Ecke, an der sie ihn gesehen hatte. Dort angekommen, wurde sie immer langsamer bis sie schließlich stehen blieb und vorsichtig um diesige lugte. Die finstere Gestalt schien die Flucht der beiden nicht bemerkt zu haben, stand lediglich vor der geöffneten Tür, deren hervordringendes Licht den Flur erhellte. Er starrte auf die drei Leichen, die den Boden blutrot färbten.

Stille.
 

Jazmin ergriff die Gelegenheit und kam vorsichtig hinter ihrem Versteck hervor, trat langsam und unbemerkt an die Gestalt heran. Erst jetzt erkannte sie die merkwürdige Aufmachung dieses dunklen Ritters. Er war komplett in schwarz gehüllt, sein Gesicht war von einer Maske verhüllt.

Er war es.

Ihre kleinen Schritte waren kaum zu hören, doch er drehte sofort den Kopf zu ihr und schaute sie an. Zeitgleich machte Jazmin halt und blickte diese riesige Gestalt aus großen Augen an. Sie neigte den Kopf und wollte etwas sagen, doch wusste nicht was. Er drehte sich nun ganz zu ihr um, wollte auf sie zu gehen, doch so schnell sie hinter der dunklen Ecke hervor kam, so schnell war sie auch schon wieder verschwunden. Der Joker hatte sie wieder eingefangen, zerrte sie wieder in die andere Richtung. Am Ende des Flurs war ein Fenster, dies schlug er mit der behandschuhter Faust ein und kletterte hindurch, Jazmin im Schlepptau.

Diese ewige Hektik! In der Eile schnitt sie sich an den scharfen Scherben den Oberschenkel auf. Blut rann über ihre Porzellanhaut und blieb am Glas kleben.
 

Sie kletterten auf den kleinen Vorsprung an der Feuertreppe.

Die schwarze Gestalt war ihnen gefolgt. Sie war schneller als Jazmin annahm, war in wenigen Schritten am zerbrochenen Fenster. Der Joker bedeutete Jazmin die Leiter herunterzusteigen, fuchtelte mit den Händen wild durch die Gegend. Doch Jazmin reichte ein Blick nach unten und schon wich sie eingeschüchtert an die Hauswand zurück. „Jetzt mach schon!“, sagte er, rollte mit den Augen und ging voran. Er hätte dies nicht getan, wenn er nicht genau gewusst hätte, dass sie ihm folgen würde. Auch wenn sie sich Zeit ließ, er wusste warum, sie würde kommen, keine Frage.
 

Nun stand sie allein dort oben, der dunkle Ritter neben ihr. Sie schaute ihn ängstlich an, wich einige Schritte zurück, bis sie merkte, dass es kein zurück gab. Sie kam kurz ins schwanken, unter ihren Füßen befand sich dreißig Meter freier Fall. Ihr Gegenüber machte keine Anstalten, ihr etwas antun zu wollen, stand starr wie ein Baum.
 

Er konnte keinen Schritt tun, ihre Augen fesselten seine Sinne, diese grauen Augen, sie machten ihm fast Angst. Wie konnte so ein süßes Mädchen nur so ein...Monster sein? Er ging einen Schritt auf sie zu, sie trat einen zurück...ins Nichts. Ruckartig schnellte seine Hand hervor, packte die ihrige zerbrechliche und zog sie wieder ins Jenseits auf die Beine.
 

„Warum hast du mich nicht gerettet...damals?“, ertönte die süße Stimme Jazmins.

Der dunkle Ritter war verwirrt, wusste nicht was er mit dieser Frage anstellen sollte. Was meinte das Mädchen damit? War er ihr schon einmal begegnet? Doch er konnte sich an kein grotesk zerschnittenes Gesicht erinnern. Es erinnerte ihn lediglich an das des Jokers. Wer zur Hölle war das Mädchen?!

Er wusste nichts zu antworten, hielt nur ihr Händchen fest, das Blut an ihrem Oberschenkel glitt an ihren langen Beinen entlang, bis die hinunter gerafften Kniestrümpfe die dunkle Flüssigkeit wie ein Schwamm aufsogen.

Jazmin schaute verachtend in die dunklen Augen ihres Gegenübers. Sie hatte das Gefühl, gehen zu müssen. Sie drehte sich um, suchte die unbeleuchtete Straße nach dem Joker ab. Ihre goldenen Löckchen wippten im lauen Wind mit. Die dunkle Gestalt bemerkte des Mädchens Missmut, wie sie sich hilfesuchend um blickte, als wäre er der Gegener, dabei war er doch der Gute, der Retter! Sie schien auf der falsche Seite zu stehen, hatte anscheinend die Relation von Gut und Böse verloren...oder nie besessen. Wie kann man nur freiwillig des Jokers Anhänger sein! Was geht nur in ihrem kranken Kopf vor! Zur Hölle was?
 

Er spürte den Widerstand, die anfängliche Neugier Jazmins war verflogen. Sie hatte ihn gesehen, den Feind, sie weiß nun, wo sie hingehört...nicht dahin, wo sie gerade steht.

Sie versuchte sich zu befreien, wollte weg. Zu ihrer Überraschung lies der Fremde los, lies sie gehen. Verwundert, aber ohne zu zögern kletterte sie sie verrostete Leiter herunter, immer bemüht, nicht abzustürzen. Die letzten Sprossen fiel sie auf den kühlen Steinboden, rappelte sich schnell auf und rannte die Straße entlang. Sie blickte sich noch einige Male um, zu dem fremden Mann, der noch oben stand, sie beobachten zu schien. Er bewegte sich nicht. Wenn es der war, von dem der Joker ihr erzählt hatte, dann war es doch sein Job gewesen, sie zu fangen. Warum tat er es nicht? Er lies sie laufen...Warum?
 

Der dunkle Ritter blickte dem rennenden Mädchen nach, beobachtete die blonden Löckchen, die rosa Schleifchen, das kurze Röckchen. Wenn das ein neuer Gegner war, dann wusste er nicht, warum sie ihm schaden sollte. Was verfolgte der Joker für einen Plan?

Gab es überhaupt einen Plan?

Regenbogen

Es war finster, wie so oft. Nicht einen Lichtstrahl, nicht einen Funken Helligkeit konnte man in der Dunkelheit erblicken. Hier war alles tot. Weder ein Luftzug noch ein Geräusch bahnte sich einen Weg durch die bedrückende Atmosphäre. Kein Lebewesen käme hierher freiwillig, um zu leben oder zumindest nicht zum sterben. Doch es war fast unmöglich.

Die Kälte fraß ein Loch in Jazmins Herz, schien ihr die Luft abzuschnüren, ihre Gedanken zu fesseln und wieder dahin zurück sperren wo sie hier einst gehaust haben. Die Erinnerungen an diesen tristen Ort, an dem sie fast 2 Jahre ihres wertlosen Lebens verbracht hatte, stieg in enormer Geschwindigkeit in ihr empor. Doch diesmal würde sie nicht bleiben, nicht lange. Ihre Gedanken würden nicht gefangen genommen werden, sie würde sie eher noch befreien. Das einzige, was sie hierher führte, war der Auftrag, noch den Rest ihrer Identität zu vernichten.
 

Sie hatten nicht viel Zeit. Gleich nachdem der Joker und sie aus dem alten Appartementgebäude vor diesem merkwürdigen schwarzen Ritter geflohen sind, haben sie sich auf den Weg in die Psychiatrie gemacht, in der Jazmin einst Patientin war. Der Joker hatte gesagt, niemand dürfte erfahren, wer sie sei, wo sie herkam geschweige denn das sie überhaupt noch existiere...als Mensch. Anscheinend sollte sie eine Art Geist werden, unsichtbar, unberechenbar. Sie hatte nichts dagegen. Warum auch? Sie wollte nie sein, wer sie war. Sie kam ihrem Ziel Schritt für Schritt näher. Sie verlor ihr Sein.
 

Nun schlich sie durch die dunklen Flure, auf denen sie in solchen trüben Nächten, wie es heute eine war, ihr Unwesen trieb. Es war merkwürdig, diesen Ort wiederzusehen, sie hatte nicht damit gerechnet, diese erinnerungsträchtigen Gänge je wieder zu betreten. Sie trauerte den „alten Zeiten“ nicht eine Sekunde nach.

Nun war es ihre Aufgabe, das Alarmsystem auszuschalten. Der Joker würde in der Zeit ihre Akten holen. Wahrscheinlich traute er ihr das Besorgen dieser Dokumente nicht zu, was sie verwunderte. Denn für sie war es schwieriger einen Stromkasten außer Gefecht zu setzten als ein paar Blätter Papier zu stibitzen. Idiotensicher hatte er ihr erklärt, dass sie nur die ersten 5 blauen Kabel zerschneiden müsste. Ganz. Einfach. Dabei hatte sie schon Probleme sich die Farbe zu merken.
 

Etwas unbeholfen tapste sie nun durch die Dunkelheit, auf der Suche nach dem kleinen grauen Kasten, der irgendwo in diesem verdammten Gang hängen musste. Am liebsten hätte sie das Licht angeschaltet, doch das wäre ja nicht der Sinn der Sache. Logisch. Warum mussten illegale Sachen immer so kompliziert sein?

Sie fuhr mit der Hand an der Raufasertapete entlang, bis sie den Widerstand ertastete. Sie strich mit der Handfläche über die Tür und fand schließlich das Schloss...das Schloss. Davon wurde sie nicht unterrichtet. Wie solle sie jetzt den blöden Kasten aufbekommen? Mit den Fingerspitzen versuchte das Blech aufzubiegen, doch als ihr der erste Nagel abbrach, war die Idee werworfen. Sie wollte dagegen hämmern, doch das wäre zu laut gewesen. Schließlich fiel ihr wieder das Messer ein, das sie seither mit sich herum trug. Jazmin hob ihr Röckchen hoch, um das Taschenmesser aus ihrem Strumpfband zu holen. Mit aller lautlosen Gewalt stach sie auf das Metall ein, bis das Schloss widerstandslos nachgab. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Quietschen und offenbarte ihr die Kabel in den schönsten Regenbogenfarben.

So weit so gut.

Sie zückte schon das Messer erneut, bis sie ins Stocken geriet. Rote Kabel, grüne Kabel, blaue Kabel, gelbe Kabel.

Rot? Nein, nicht rot.

Grün? Auf keinen Fall.

Wie konnte sie nur so dumm sein? Natürlich war es gelb! Gelb. Gelb. Gelb. „Ja. Gelb“, sagte sie zu sich selbst, setzte die Klinge an und schnitt das Kabel durch.

Puff! Mit einem mehr oder weniger lauten Knall wurde sie von der Miniexplosion zurück geworfen und landete unsanft auf ihrem Po. Dies lag weniger am kaum vorhandenen Druck, mehr an Jazmins Schreckhaftigkeit. „Ok. Gelb war's nicht...“ Und als hätte die Explosion auch ihrem Kurzzeitgedächtnis auf die Sprünge geholfen, rappelte sie sich wieder auf und wendete sich nun endlichen den himmelblauen Kabeln, die schön aneinander gereiht im Elektrokasten hingen. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Gut. Das war's. Endlich...

Patch

Hektisch durchwühlte er Joker alle silbergrauen Spinte, die in dem Schwesternzimmer standen. Sie waren nicht abgeschlossen, welch ein Glück. Es durfte nicht schwer sein, eine Akte zu finden, auf der nur ein Name verzeichnet war. Eilig riss er Schublade für Schublade auf, blätterte durch die Hefter, knallte sie wieder zu und versuchte es bei der nächsten. Er musste sich beeilen, denn dem Püppchen diese wichtige Aufgabe erteilt zu haben, machte ihn dann doch irgendwie nervös. Sein Vertrauen legte er eher in seine Fähigkeiten als in die eines tollpatschigen Püppchens. Und als er noch die kleine Explosion als Echo durch die Gänge hallen hörte und die Schreibtischlampe erst aufflackerte und schließlich ausging, wusste er, dass er noch schneller arbeiten müsste. Wenigstens würde sie zuerst erwischt...hoffentlich.
 

Schwestern und Pfleger waren weit und breit nicht zu sehen, sie pumpten sich wahrscheinlich gerade mit Kaffee voll und spielten Strippoker, also dass, was die Leute halt so machen, die in einer Klapse arbeiten.

Ihn störte es nicht, umso mehr Zeit blieb zum suchen, außerdem würde es ihm mal gut tun, ein paar Leute am Leben zu lassen. Man muss es ja nicht immer übertreiben...

Als er am letzten Spint ankam, hoffte er inständig zu finden was er suchte. Wüst blätterte er sich durch den Index und als er bei Z ankam, verließ ihn schon die Hoffnung. Warum war das Alphabet nur zu kurz? Ganz hinten war nur noch eine unbeschriebene Hülle. Er holte sie heraus und schob die Schublade zu. Er biss sich auf die Lippen und öffnete den Hefter. Es war nur ein einziges Blatt darin zu finden. Lediglich eine Nummer, ein Name und ein Foto zierten das weiße Stück Papier.

Jazmin. Wenn er gewusste hätte, dass er sich die ganze Arbeit wegen dieses Fetzens gemacht hat, hätte er sich das auch sparen können. Er verdrehte die Augen, verstaute den Hefter aber trotzdem in seinem Mantel.
 

Jazmin strich sich die angesenkten Haare aus dem Gesicht und suchte fluchtartig das Weite. Wenn man sie hier erwischen würde, könnte sich sich ihr Zimmer gleich wieder einrichten. Fast rannte sie durch die Gänge auf der Suche nach dem Joker. Doch plötzlich blieb sie stehen. Sie verspürte schreckliche Schmerzen an ihrem rechten Bein. Blut war das letzte, was sie jetzt sehen wollte, doch sie konnte die warme Flüssigkeit auf ihrer kühlen Haut spüren, die jetzt auf den Boden tröpfelte. Sie lehnte sich an die gegenüberliegende Wand und inspizierte die Schnittwunde, die sie sich am

eingeschlagenen Fenster zugelegt hatte.

Sie musste beim rennen wieder aufgerissen sein, und nun fühlte es sich an, als würde das komplette Fenster noch in ihrer Haut stecken.
 

Vorsichtig strich sie sich über den rechten Oberschenkel und schon dicht unter dem kurzen Rock machte sie die Schnittwunde aus. Sie traute kaum hinzuschauen, doch als sie ihrer Neugierde nachgab und die fast fünft Zentimeter lange und sicherlich auch fast so tiefe Wunde erblickte, kam ihr nicht vorhandenes Frühstück fast wieder ans Tageslicht. Mit zittrigen Fingern wischte sie das Blut an ihrem Röckchen ab und beschloss auf die Suche nach einem Pflaster zu gehen.
 

Die Intensivstation kannte sie nur zu gut. Ja, fast besser als ihr eigenes Krankenzimmer von damals. Sie brauchte nicht lange um sich zu orientieren, bog einmal rechts, dann einmal links ab und stand bald vor dem unbeleuchteten Raum. Vorsichtig blickte sie sich um und entdeckte...niemanden. Sehr gut.

Sie umfasste die Türklinke und schob die Tür sanft auf. Sie wollte das Licht anschalten, doch aus irgendeinem unbekannten Grund blieb das Licht aus. Blind tastete sie sich durch die Schubladen, kramte Verbandszeug und Desinfektionsmittel heraus. Dann ließ sie sich auf die Liege plumpsen und wollte sich gerade das Blut von der Wade wischen, als die Tür aufsprang. Sie konnte nur eine große Gestalt im Türrahmen ausmachen. Das kleine Herz schlug ihr bis zum Hals. Wenn sie jetzt entdeckt würde...schon allein die Vorstellung raubte ihr den Atmen.
 

„Was zur Hölle tust du da?!“, fragte die bekannte Stimme in wütendem Ton. Jazmin atmete erleichtert aus.

„Ich blute“, antwortete sie dem Joker kleinlaut.
 

Ohne seinem Entsetzten über des Püppchens Dummheit Luft zu machen, packte er sie einfach am Arm und schleifte sie hektisch aus dem kleinen Raum. Zu der Schnittwunde am Bein kamen jetzt noch einige blaue Flecken am Arm hinzu.

Als sie zur Tür heraus stürmten, entdeckte eine kleine Pflegerin die beiden Unbekannten. Diese ließ sogleich vor Schreck den Stapel Akten, den sie im Arm hielt, auf den Boden fallen und starrte mit offenem Mund dem Püppchen und dem Clown hinterher. Es dauerte einige Sekunden ehe sie zurück zur Station lief und wie verrückt auf den Alarmknopf einschlug. Als jedoch die Sirene nicht erklang, wurde sie noch nervöser, haute wieder und wieder auf den Knopf doch der Clown und das Püppchen waren schon längst verschwunden.

Bruises On My Knees

Das alte Appartement roch wie ein Museum. Der Staub verlieh dem Ganzen eine nostalgische und auch etwas unordentliche Note. Doch selbst den Geruch nach Schimmel und Verwesung empfand Jazmin als angenehm im Gegensatz zu ihrem Blut, dessen Duft ihr in die Nase stieg. Sie saß auf dem kleinen Couchtisch und wendete angewidert das Gesicht ab. Ihr kam es nicht einmal in den Sinn auch nur einen Blick auf das „Blutbad“ zu verschwenden. Ihr kam das ganze ziemlich ironisch vor. Noch vor kurzem hatte sie einen Menschen getötet und nun musste sie mit ihrer Übelkeit kämpfen, weil sie den Anblick des Schnittes nicht ertragen konnte.
 

Der Joker saß vor ihr auf dem kleinen Sofa und inspizierte die Wunde mit fachmännischem Blick, was Jazmin nur noch mehr beunruhigte. Er griff in seinen Mantel, den er neben sich gelegt hatte und holte eine eingeschweißte Nadel und Faden hervor. Als Jazmin dies erblickte riss sie die kleinen Augen auf und sprang sogleich vom Tisch.

„Sie sind wohl nicht ganz gescheit!“, schrie sie panisch. Als würde sie einen blutrünstigen Psychopathen ihre Wunden nähen lassen!

„Du darfst mich auch duzen, Püppchen“, sagte er mit einem leicht belustigten Unterton, doch seine volle Konzentration lag auf dem Einfädeln in das viel zu kleine Nadelöhr.

Jazmin ließ die Nadel keine Sekunde aus den Augen und rechnete wahrscheinlich damit, dass sie jeden Moment ein Eigenleben entwickelte und sich auf sie stürzte.

Als das „Operationsbesteck“ vorbereitet war, deutete der Joker auf den Couchtisch vor sich und bedeutete Jazmin sich wieder zu setzten. Diese schüttelte entgeistert den Kopf, kam aber seinem Willen nach.
 

Wieder wendete Jazmin den Blick ab und versuchte sich auf die schrecklich hässliche Tapete zu konzentrieren. Sie murmelte noch etwas in verärgertem Ton von „verrückt“, doch der Joker war schon drauf und dran die perlweiße Porzellanhaut wieder zusammenzuflicken. Als das dünne, kühle Metall ihre Haut durchdrang zuckte Jazmin kurz zusammen und biss sich auf die Zähne. Ihre Finger krallten sich in das Holz und hinterließen Abdrückte. Sie konnte ein stilles Kichern hören und wusste nicht, was die davon halten sollte. Ihm bereitete es wahrscheinlich so was wie...Spaß...

Jazmin kniff die Augen zusammen und hoffte nur auf ein baldiges Ende.

Es war vollkommen still. Niemand wagte es, auch nur einen Mucks zu machen. Lediglich das nervöse und schwere Atmen Jazmins hallte durch das alte Appartement.

Qualvolle 2 Minuten später hörte sie, wie der Joker den Faden abriss und sich sein Meisterwerk noch einmal genau anschaute. Mit den Fingerspitzen fuhr er ganz sachte über die zusammen genähte Wunde. Als er länger als 3 Sekunden, die ihr vorkamen wie eine Weingkeit, auf ihrer Haut verweilte, zog Jazmin ihr Bein kaum spürbar, ja fast nur wie ein zucken zur Seite. Doch das reichte, dass der Joker leicht verärgert seine Hand zurück zog, aufstand und ging. Jazmin wollte sich bedanken, das Wort lag ihr auf den Lippen, doch sie konnte es nicht aussprechen, sie wollte es nicht. Es kam ihr vor als wäre es einfach nicht angebracht. Dazu war diese Situation viel zu absurd. Nein, Dank war das falsche Wort.
 

Nun saß sie allein im kleinen Wohnzimmer. Es war schon spät nachts, bestimmt würde schon bald die Sonne wieder aufgehen, doch der Nachthimmel war noch schwarz und die kleinen Sternlein funkelten wie Morgentau. Jazmin verspürte ein Bedürfnis nach Schlaf, doch wagte es nicht, sich hier wohlzufühlen, hier zu schlafen. Dennoch kroch sie auf die gegenüberliegende Couch und rollte sich zusammen wie ein angefahrener Igel. Es war kalt, sie trug nichts anderes als ihr dünnes Kostümchen. Sie zog die dünnen Beine noch näher an ihre Brust und schlang die Arme um die Knie. Sie hatte das Gefühl, die Augen offen lassenzumüssen, immer auf der Hut zu sein. Vor was auch immer. Aber sie durfte einfach nicht einschlafen. Doch kaum hatte sie diesen Entschluss gefasst, fielen ihr die Äuglein zu und sie schlief einen traumlosen Schlaf.

Chaostheorie

„Hast du so was schon mal benutzt?“

Jazmin wog die schwere Handfeuerwaffe in ihrer kleinen Hand ab. Das Metall fühlte sich kühl an, lag aber unerwartet gut in ihren Fingerchen.
 

Hatte sie so etwas schon mal in der Hand gehabt? Mal überlegen. Sie lebte bis zu ihrem 18 Lebensjahr bei ihrem Vater, dessen Haus sie so gut wie nie verließ, danach verbrachte sie 2 Jahre in der Psychiatrie, in der sie sogar vor Löffeln und deren gefährlichen Auswirkungen geschützt worden ist. Also eher nicht. Nein. Guten Gewissens schüttelte sie den Kopf.

Der Joker seufzte, als müsse er ihr noch einmal das Alphabet von vorn beibringen.
 

„Ist ganz leicht. Einfach entsichern, abdrücken und BUM!“

Bei des Jokers heftiger Gestik zuckte Jazmin zusammen und ließ fast vor Schreck die Waffe fallen.

Unsicher beäugte sie den ihr fremden Gegenstand und ließ ihn von der einen Hand zu anderen wandern.

Entsichern? Wo war denn der Knopf dafür?...Sofern es dafür einen gab. Sie suchte nach beweglichen Stellen, drückte mal da und zog mal dort. Als sie die Waffe näher an den Kopf hielt, um besser zu erkennen, um was es sich handelte, löste sich plötzlich ein Schuss, der nicht einmal 10 Zentimeter am Kopf des Jokers vorbei sauste und mit voller Wucht in die gegenüberliegende Wand knallte. Jazmin erstarrte sofort mit weit aufgerissenen Äuglein, die ihre Überraschung widerspiegelten. Sie wollte etwas sagen, sich entschuldigen, schließlich war es ja keine Absicht...Doch sie brachte nur ein kleines „Oh“ heraus.

Der Joker schaute ebenfalls ein kleines bisschen erschrocken drein, versuchte aber sich nichts anmerken zu lassen. Von einem kleinen Mädchen erschossen werden...noch nicht viele hatten das Vergnügen. Doch statt dem Püppchen die Waffe wieder zu entreißen, die sich nun auch als Gefahr gegenüber ihm entpuppte, lächelte er zufrieden. „Großartig!“
 


 

Die beißend kühle Winterluft schlug Jazmin ins Gesicht. Sie zog den Kragen ihrer Jacke noch höher, bis er ihre roten Lippen bedeckte. Sie war froh, dass sie jetzt wenigstens was halbwegs warmes zum anziehen hatte, auch wenn der rote Anorak der toten Frau, die letzte Nacht „tragischer Weiße“ ums Leben kam, mindestens 2 Nummern zu groß war. Naja, im Grab würde die Alte sowieso kein Jäckchen brauchen, dachte Jazmin sich und wischte jeglichen Gedanken an gebrachte Opfer zur Seite. Sie musste sich jetzt voll und ganz auf das Polizeiauto am Straßenrand konzentrieren. Mit Argusaugen beobachtete sie den fast 10 Meter entfernten Wagen durch die kleinen Zierbäume am Rande des Stadtparks.

Sie war noch nie hier gewesen, obwohl es das Zentrum, ja der Punkt allen Geschehens ihrer Heimatstadt war. Es war einfach wunderschön, wie die mit Schneekristallen bedeckten, dürren Ästchen im Wind schaukelten, kleine, dicke Vögelchen Brotkrümel aufpickten und der klare, helle Sonnenschein selbst das letzte bisschen Schatten erleuchtete. Zu schade, dass all das in wenigen Sekunden in die Luft fliegen würde. Aber egal, um Mitleid zu empfinden war ihr dieser Ort viel zu fremd. Ein wunderschönes, bedeutungsloses Nichts.
 

Sie schüttelte sich und zog die schmalen Schultern noch höher. Die blonden Löckchen schienen im Takt mitzuzittern. Durch die knochigen Äste fixierte sie weiter das Auto, sie war sich sicher, dass sie niemand sah, niemand auch nur ein Lüftchen des aufkommenden Sturm spürte. Auf was sie wartete, wusste sie noch nicht so genau. Der Joker sagte ihr lediglich „Wenn sich was tut, drück' auf den Knopf“. Sie erinnerte sich wieder an die kleine Fernbedienung, die sie krampfhaft umklammert in ihrer Jackentasche festhielt. Wahrscheinlich hatte er soviel Vertrauen in sie, dass er wusste, dass sie wusste, wenn sich was „tun würde“...oder so.

Neben der Fernbedienung war sie auch in Besitz einer schicken 9-mm Halbautomatik, die wie eine Bürde in ihrer linken Jackentasche auf ihren Einsatz wartete. Jazmin hoffte jedoch inständig, dass dieser nie eintreffen würde.

So weit sie wusste, war sie allein, also es war keiner da, der sie vor unüberlegten Handlungen schützte...da war nur.

Sie. Allein.

Das machte die Sache nicht unbedingt Angenehmer, aber so wenig wie sie wusste, so sehr war ihr das Warum bekannt.

Batman.

Batman war das Warum. Das Warum ihrer ganzen Existenz, wie die des Jokers, zumindest hatte er ihr es so gesagt.
 

Plötzlich öffnete sich die Tür der Bank und die passenden Polizisten zum Auto verließen das Gebäude. War das jetzt der richtige Augenblick?? Die beiden Polizisten begaben sich zügig, aber ohne Hast zu ihrem Wagen, öffneten ihn und stiegen ein. Jazmin wurde nervös, ihre nun feuchten Finger hielten die Fernbedienung mit dem Fernzünder fest umklammert, ihr Daumen strich immer wieder über den Knopf, der, der wahrscheinlich sogleich sehr viel Unheil anrichten würde. Sie musste sich beeilen, der Motor der Autos sprang an und bald würden sie losfahren. Aber woher wusste sie, dass das der richtige Zeitpunkt war? Zwei Polizisten waren nichts ungewöhnliches, warum solle sie die beiden in die Luft jagen?

Sie biss sich auf die Lippen, verkrampfte die Schultern. Ach was soll's. Sie hielt den Daumen einen Millimeter über der Zündung. Das Polizeiauto rollte, doch kam nicht weit. Jazmin drückte den Knopf und mit einem lauten Kawumm, wie man es nicht mal bei einer Sylvesterbatterie mit 300 Schuss hörte, flog Auto in den wunderschönen Winternachmittagshimmel und kam in Einzelteilen wieder auf den gefrorenen Boden geregnet, Polizisten inklusive.
 

Jazmin zuckte bei der Explosion zusammen und nahm instinktiv die Hand auf den Kopf. Als die ersten aufgebrachten und panischen Menschen aus der Bank gestürmt kamen, wusste Jazmin im Gegensatz zu vorhin nun eindeutig was sich tat: Ihre Flucht.
 


 

Es war unglaublich, ja wortwörtlich. Unglaublich, unmöglich, einfach...großartig. Er hatte es geschafft. Naja, geschafft war vielleicht zu viel, aber er war auf dem richtigen Weg. Solch ein Gefühl von Freude, von Schadenfreude überkam ihn sonst nicht häufig. Ja, es war wahrlich ein Grund zum Feiern. Er wusste es, von Anfang an hatte er es gewusst. Nun ärgerte er sich darüber, dass er auch nur an seinem unglaublichen Genie zu Zweifeln wagte, es ihm auch nur eine Sekunde in den Sinn kam, er hätte das Falsche getan. Doch wieder einmal bewies er sein Gespür für Chaos, das organisierte Chaos. Oh, damit, damit würde Gotham untergehen. Kein Tag würde mehr vergehen, an dem dieses Chaos nicht ausbricht. Plötzlich dachte er an die Möglichkeiten, die es ihm eröffnete. Wenn es mit dem Püppchen funktionierte, dann würde es auch mit anderen gebrechlichen, kaputten, verstoßenen, armseligen Verrückten funktionieren.

Gotham gehörte von nun an dem Chaos.

Seinem Chaos.

Moonrise

Langsam öffnete Jazmin die Augen. Verdammt, sie war schon wieder eingeschlafen! Sie hatte es sich geschworen, in dieser Bruchbude auch nie nur ein Auge zu schließen, doch brach diesen Schwur schon bei der kleinsten Gelegenheit, die sich bot, mal ein kurzes Nickerchen zu halten.
 

Es war Nacht. Der weißgelbe Mond schien durch die verdreckten Scheiben und von dem hellen Licht erleuchtete lediglich nur noch ein grauer Schleier spärlich den Raum.

Ihr Schlaf- und Wachverhalten hatte sich seit sie die neue Gesellschaft des Verrückten genoss um 180 Grad gedreht. Nachts hausten sie durch die Gegend, wie herrenlose Hunde und tagsüber verkrochen sie sich in dem alten Appartement und mieden das Tageslicht. Die Sonne musste gerade erst untergegangen sein, doch von der Dämmerung war schon längst nichts mehr zu sehen.

Langsam richtete sie sich auf und wischte sich den Schlaf aus dem Puppenaugen. Sie saß auf der alten Couch, in der mindestens 5 verschiedene Arten von Ungeziefer hausten. Suchend neigte sie das Köpfchen, einmal über die rechte Schulter, einmal über die linke.

Stille.
 

Wie so oft, wenn sie allein war. Das war ihr nicht neu. Oft wurde sie hier eingesperrt, wenn ihr beschäftigter Mitbewohner mal wieder auszog um anderen das Fürchten zu lernen. Und mal wieder hatte sie keine Ahnung, was wohl als nächstes für Unheil anstand.

Sie stand vorsichtig auf und wandelte an der Couch vorbei. Ihre dünnen Beinchen zitterten im Angesicht der Kälte und der düsteren Atmosphäre, doch Angst hatte sie nicht, nur Respekt vor dem Unerwarteten. Heizungen waren eben Luxus...

Sie hatte keine Ahnung wie spät es war, hoffte durch den Blick durch das Fenster schlauer zu werden, doch die finstere Nacht und die funkelnden Sterne verrieten ihr lediglich, dass es Zeit zum schlafen war. Gut, das war aber schon abgehakt, was steht als nächstes an?
 

Etwas verärgert wendete sie den Blick vom Fenster ab und starrte in die Finsternis, bis etwas im lauen Schein zu schimmern begann. Ihre Aufmerksam wurde von dem kleinen Holzgegenstand in der hintersten Ecke des Raums geweckt. Sie ging auf die kleine Kindergeige zu und kniete sich zu ihr hinab. Die hatte sie total vergessen. Sie versuchte sich an den Tag zu erinnern, an dem sie sie zurück zu sich geholt hatte, doch die Alarmglocken in ihrem Kopf verboten ihr, sich daran zu erinnern. Das alte Hexenhaus und das Monster sollten Geschichte sein. Nur das Bild des brennenden Hauses und der Leiche, die mit aufgeschlitzter Kehle den Küchenboden voll tropfte sollte in ihren Gedanken verweilen dürfen. Mehr. Nicht.
 

Sie ließ sich auf den Po plumpsen und zog die Geige auf ihren Schoß. Sie zögerte nicht lang und klemmte das gute Stück unter ihr Kinn, hielt es mit der Linken, mit der Rechten umfasste sie den Bogen und ließ ihn sacht auf den Saiten aufliegen. Diese Haltung kam ihr so ungewohnt vor. Wie lange hatte sie schon nicht mehr gespielt. Schnell überschlug sie im Kopf die Jahre, doch es waren zu viele um noch in Übung zu sein.

Jazmin versuchte sich an ein leichtes Lied zu erinnern, doch irgendwie fiel ihr nichts ein. Während sie überlegte, ließ sie ihren Blick in das Mondlicht streifen. Plötzlich übermannte sie der Geistesblitz und sie stimmte die ersten Töne von der »Mond ist aufgegangen« an. Trotz der vielen Jahre in Unbenutzung und Verstaubung waren die Saiten noch recht gut gestimmt, nur ein paar Mal musste sie sie wieder nach ziehen. Der Anfang klang grässlich, was für eine Überraschung. Doch ungewöhnlich schnell wandelte sich das Krächzen in ein angenehmes Summen um. Mit viel Gefühl umfasste sie den Bogen, als könne er jeden Moment zerbrechen.

Die Melodie des Kinderliedes säuselte nun wie Beethovens 9. durch den düsteren Raum. Die Lied bekam eine neue, bedrückendere Stimmung, fast wie ein Trauerzug. Schwer und langsam erfüllte jede Note die stickige Luft, umhüllte sie wie eine unsichtbare Hülle, umhüllte Jazmin, wie einen unsichtbaren Schutz. Schutz vor der Realität. Sie war nicht mehr hier. Nein, sie war weg. An einem anderen Ort, in einer anderen Zeit. Sie schloss die Augen, versuchte blind zu spielen, ja fast übermannte sie wieder der Schlaf. Doch das hier war viel intensiver als Schlaf, es war eine Art Trance.
 

Sie spielte Note für Note, als tat sie ihrer Lebzeit nichts anderes. Doch plötzlich hörte sie das Schloss knacken und die Tür aufgehen. Ein eiskalter Luftzug ließ ihr die Haare im Nacken zu Berge stehen. Sofort drehte sie den Kopf, doch die Tür sah so aus wie immer, nämlich geschlossen. Etwas verwundert legte sie die Geige wieder auf ihre Schulter und setzte erneut an, begann jedoch nicht zu spielen. Ganz leise, ja, kaum hörbar hörte sie ein Atmen hinter sich. Es war viel zu leise um es zu hören, doch zu laut, als dass Jazmin es überhören konnte. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, sie fror in ihrer Haltung ein und hielt kurz die Luft an. Langsam wanderte ihr Blick über den Geigenhals bis sie schließlich aus den Augenwinkeln einen violetten Schimmer erkennen konnte. Ruckartig ließ sie das Instrument fallen, drehte sich um und krabbelte auf allen Vieren rückwärts, bis die Couchlehne ihr den Weg versperrte. Sie erblickte den Joker, der vor ihr stand. Etwas erleichtert atmete sie aus, so erleichtert wie man eben sein konnte, wenn der psychopathische Geiselnehmer zurück kehrte. Mit den Schultern nach oben gezogen, presste sie ihren Körper an die Lehne und blickte nach oben. Flink wie eine Katze huschte der Joker zu ihr auf den Boden und kniete sich vor sie, so dass kaum noch ein Blatt Papier zwischen deren beider Gesichter hätte passen könnte.
 

„Hallo, Püppi. Bin wieder da-ha.“ Selbst in der Dunkelheit konnte sie das blutrote Lächeln erkennen.

„Warum bist du nicht im Bettchen? Morgen wird ein großer Tag!“ Neckisch legte er den Kopf schief und starrte ihr in die hellblauen Äuglein, ehe er sich wieder so schnell erhob, wie er eben auf die Knie kam. Jazmin begann langsam wieder zu atmen. Obwohl sie diese Person schon „so lange“ kannte, jagte sie ihr immer noch einen unbeschreiblichen Schrecken ein. Er war einfach zu unberechenbar, zu undurchschaubar.

Der Joker ging in Richtung Fenster und breitete theatralisch die Arme aus.

„Denn morgen jagen wir den Wayne Tower in die Luft!“ Er kicherte wie ein kleiner Junge, der morgen Geburtstag hatte und endlich seine Eisenbahn bekam.

Jazmin zog sich langsam an der Couch nach oben und stellte sich auf die knochigen Beinchen. „Was ?“, fragte sie zögerlich.

„Was?“, fragte der Joker zurück, „Den Wayne Tower. Ein großes Haus mit vielen Fenstern und 'n Haufen beschäftigter Leute drin. Sag bloß du kennst den nicht? Also bitte. Und ich dachte schon, ich wohn' hinterm Mond“, sagte er missbilligend. Jazmin schien noch nicht das Glück der Erleuchtung zu haben und hakte weiter nach.

„Und warum?“
 

Doch anstatt zu antworten schüttelte der Joker nur den Kopf und verzog das Gesicht. Ja, anscheinend hatte sie echt keine Ahnung, nicht einmal, dass Bruce Wayne, der vorzeige Millionär eine Multiple Persönlichkeit besaß, sie sich Batman nannte oder anders herum.

Ja, ja, das Püppchen musste noch viel lernen.

Liebesbrief

Susan Fletcher wollte gerade in die Mittagspause gehen, als ein unscheinbarer Briefumschlag auf ihren Sekretärstisch flatterte. Mit einem Seufzen wollte sie dem Boten danken, dass er ihre Pause um einige Minuten herauszögerte, doch als sie aufblickte, war er schon gegangen. Sie hob den Brief von der Tischplatte und drehte ihn auf die Rückseite, um den Absender und den Adressat zu lesen. Vom Absender war kein Wort zu sehen, lediglich „Bruce Wayne“ stand mit schwarzer Tinte, die an den Ecken verschmiert war, darauf. Solche Post ist ihr noch nie unter die Fittiche gekommen, doch so lange arbeitete sie auch noch nicht für Wayne Enterprises. Sie fand sich immer noch nicht allein zurecht in diesem enormen Komplex mit gefühlten 300 Stockwerken.
 

Sie beschloss, den Brief noch schnell an ihren Empfänger auszuliefern und dann in Ruhe ihren Kaffee zu genießen. Mit einem erneuten Seufzer stand sie auf, schob ihren Stuhl an den Tisch und ging zu der großen zweiflügligen Holztür, das Portal zu Macht und Reichtum. Vorsichtig klopfte sie an und als die Erlaubnis zum Eintreten in Form eines kaum hörbaren „Herein“ ertönte, drückte sie vorsichtig die Türklinke herunter.

„Mr. Wayne, hier ist noch ein Brief für Sie. Absender unbekannt.“ Respektvoll trat sie zu dem massiven Eichenschreibtisch in der Mitte des Raums und legte den perlweißen Briefumschlag darauf. Bruce Wayne saß mit dem Rücken zu ihr und schaute zum Fenster heraus. „Gut, danke“, war das einzige, was er sagte und winkte mit der Hand ab. Mit eingezogenem Kopf nickte Susan und verließ den Raum.
 

Ohne dem Brief viel Aufmerksamkeit zu schenken, drehte Bruce sich zu seinem Schreibtisch um, blätterte durch ein paar Akten und Hefter, nahm einen Schluck von seinem Wasser und wühlte weiter. Doch als sein Blick zufällig die schwarze Tinte streifte, überkam ihn ein unwohles Gefühl. Dies schien kein normaler Brief zu sein, zumindest keiner, der unmittelbar etwas mit seinem Schaffen auf Arbeit zu tun hatte. Mit zusammengekniffenen Augen nahm er den Brief in die Rechte und riss ihn auf. Heraus flatterte lediglich ein kleiner Zettel, nicht größer als eine Postkarte. Ihn zierte die selbe tintige Sauklaue wie auf dem Umschlag.

Oh, er ahnte böses...

»Komm morgen gegen 12 dorthin, wo deine schöne Aussicht dich hin führt«
 

Jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Dieser Brief brauchte keinen Absender, er wusste nur zu gut, von wem er war. Plötzlich überkam ihn ein Anfall von Wut, er ballte die Hand zur Faust, knüllte den Zettel zusammen und warf ihn weg. Was bildete sich dieser Verrückte überhaupt ein? Glaubte er etwa, er könnte ihn damit einschüchtern?

Wenn er Lust auf ein treffen mit ein paar Psychopathen hätte, dann würde er seinen nächsten Urlaub in Arkham verbringen. Wieder drehte er sich um und blickte hinaus auf das trübe Gotham.

Er musste doch was im Schilde führen. Solch ein Date kann nicht ohne Grund verlaufen. Aber was zur Hölle hatte er vor? In den wenigen Zeilen offenbarte er so gut wie nichts.

Komm dorthin, wo deine schöne Aussicht dich hinführt...

Doch eines wusste er: Zu dem Treffen würde nicht Bruce Wayne gehen.

I Set The Stage On Fire

Mit einem lauten Krächzen öffnete der Joker die alte Stahltür, die zum Dach des Hauses führte, das dem Wayne Tower gegenüber lag. Der Tag war ein trüber, doch das beeinflusste nicht die Hochstimmung des Jokers. Vorfreudig trat er an die Steinbrüstung des fast 100 Meter hohen Gebäudes und blickte zu dem großen schwarzen Ungetüm auf der anderen Straßenseite.

Jazmin folgte ihm langsam, bedacht darauf, nicht über die kleinen Kieselsteine zu stolpern.
 

Die pechschwarzen Wolken zogen sich rasend schnell zusammen und schienen wie ein Rudel Wölfe, das jeden Moment angreifen könnte. Doch der Regen schien sich Zeit zu lassen. Gut so, dachte der Joker, dann würde das Höllenfeuer den finsteren Tag wie ein Hagel Sternschnuppen erleuchten.

Den Sprengstoff hatte er schon Tage zuvor angebracht, beziehungsweise anbringen lassen. Niemand ahnte auch nur einen Schimmer von der nun folgenden Katastrophe. Ja, das war sie, die wunderbare Stille vor dem Sturm.

Jazmin fröstelte es und sie rieb sich die nackten Arme. Der Joker schien sich das Bild des noch stehenden Towers gründlich einprägen zu wollen, Jazmin versuchte es ihm nachzutun. Noch nie hatte sie so ein überdimensionales Gebäude gesehen, es sich brennend vorzustellen schien ihr fast unmöglich.

Der Joker griff in seine Manteltasche und holte eine kleine Fernbedienung heraus, an der aus allen Seiten bunte Drähte und Metallkontakte heraus ragten. In Mitte war ein unübersehbarer roter Knopf platziert. Jazmin bereitete sich schon mental auf die nun folgende Explosion und den damit verbundenen Lärm vor, spielte mit dem Gedanken, sich die Ohren zu zu halten, doch entschied sich dagegen. Schließlich war das jetzt ihr Leben, sie musste damit klarkommen.
 

Noch einmal hob der Joker seinen Blick zum Wayne Tower.

Fast schade drum...

Er zuckte die Schultern. Was sein muss, muss ein.

Jazmins Blicke wechselten immer wieder zwischen Haus und Fernbedienung. Sie wusste nicht, auf welchen Moment sie achten sollte. Auf den des Auslösens oder auf den der Explosion. Ihr Blick blieb schließlich bei der Fernbedienung hängen, die Explosion würde sie wahrscheinlich zu sehr erschrecken. Dem Joker blieb Jazmins vermeintliches Interesse nicht verborgen. Er neigte den Kopf, legte die Fernbedienung auf die Brüstung und schob sie zu Jazmin, deren Neugier sich jetzt in Abneigung umwandelte. Sie blickte zum Joker, doch der fixierte nun den Tower auf der anderen Straßenseite. Sie wollte etwas sagen, sie konnte sich doch nicht verantwortlich für den Tod hunderter, nein, tausender Menschen machen. Doch sie nahm die Fernbedienung in die zittrigen Fingerchen und peilte den Knopf an. Sie konnte des Jokers Ungeduld spüren und wollte sich nicht unbeliebter machen, als sie schon war.

Mit wachsender Anspannung kniff sie die Augen zusammen, hielt die Fernbedienung von sich weg und drückte den Auslöser.
 

Totale Stille.
 

Als nach 5 Sekunden noch nichts in die Luft geflogen war, öffnete Jazmin langsam ein Auge, dann das Zweite, um zu sehen, wo das Problem lag, doch schon erschütterte eine schwere Explosion den Erdboden. Aus der obersten Etage des Wayne Towers flogen die Fenster in tausend kleinen Splittern aus den Rahmen und wurden durch die Luft geschleudert. Fast zeitgleich ertönte ein lautes Krachen, das Dach stürzte auf das untere Stockwerk, Metallverankerungen brachen, rissen die Wände mit sich, die wie lose Fäden auf die vollen Straßen krachten.

Jazmin zuckte so sehr zusammen, dass sie einige Schritte rückwärts taumelte. Der Joker jedoch stand nur grinsend da und beobachtete das Schauspiel mit Hingabe. Als Jazmin sich wieder aufrichtete, sah sie, dass nur die oberste Etage explodierte, selbst der Lärm der schwankenden Stahlträger verstummte langsam. Etwas verwundert blickte sie auf das Gebäude gegenüber.
 

„Jetzt erlaube mir, mein Püppchen, dir meinen unglaublich grandiosen Plan zu erläutern“, sagte der Joker und schien sich innerlich auf seine große Rede vorzubereiten.

Es gab einen Plan? Das war ja mal was ganz neues...

„Also, wie dir vielleicht nicht entgangen ist, ist nur der Sprengstoff im obersten Stockwerk explodiert, vorerst“

Jazmin versuchte zu nicken, wendete den Blick aber nicht eine Sekunde vom Wayne Tower ab.

„In exakt 3 Minuten wird das darunter in die Luft fliegen. Warum? Tja, in diesen viel zu langen 3 Minuten können alle lieben kleinen Angestellten aufgeregt in das darunter liegende Stockwerk laufen...sofern sie es schaffen. Denn sogleich wird es wieder ein Feuerwerk geben, und so weiter und sofort. Ist das nicht genial?“, er kicherte und führte seine Lobeshymne auf sich selbst fort, „Aber DAS war noch nicht alles. Falls es doch der sehr, sehr unwahrscheinlich Fall sein sollte, dass es noch ein paar wenige fleißige Arbeiterlein bis ins Erdgeschoss schaffen sollten, dann habe ich da unten noch eine Überraschung für sie. Denn das fliegt in genau 5 Minuten in die Luft.

Die Zeit ist knapp, also lauf flink, lauft, lauft so schnell euch eure Füßchen tragen, solange sie noch an den Beinen sitzen. HIHI“
 

Jazmin wusste nicht, was sie davon halten sollte. Menschen starben. Das war nichts neues. Nichts ungewöhnliches. Sie wusste einfach nicht, was sie denken sollte, deswegen schloss sie sich der Hochstimmung des Joker an. Wenn er es für „richtig“ hielt, dann war es auch so. Bestimmt.

Doch so viel Zeit blieb ihr auch nicht zum nachdenken, denn die nächste Explosion ließ nicht lange auf sich warten. Mit einem unwahrscheinlich lautem Rums flog das nächste Stockwerk in den trüben Tag. Die um sich schlagenden Flammen peitschten durch die kühle Luft und schienen mit ihr zu ringen.

Als Jazmin die ersten Glassplitter ins Gesicht flogen und feine Risse in ihrer makellosen Haut verursachten, ließ sie sich auf den mit Kieselsteinen bedeckten Boden sinken und suchte Schutz hinter der Steinbrüstung.
 

Jedes Mal, wenn der Ohren betäubende Lärm ertönte, zuckte sie zusammen und ihr Herz setzte für einen kurzen Moment aus. Der Joker hingegen stand an der Brüstung wie am Bug eines Schiffes und blickte auf das wunderbar von ihm inszenierte Schauspiel herab. Die Glassplitter schienen ihm genauso wenig auszumachen, wie der erschütternde Lärm. Lediglich ein Zufriedenes Grinsen war auf seinen roten Lippen zu sehen. So schienen die Narben nur noch auffälliger und beängstigender.

Jazmin vergrub den Kopf in den Knien und legte ihre Hände auf ihn. Sie versuchte zu errechnen, wie lange diese Farce noch dauern würde.

Also, wenn aller 3 Minuten ein Stockwerk explodiert und es insgesamt so um die 60 sind, dann würde...ähm...Ach egal.
 

Sie schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich nur noch darauf, dass ihre Trommelfell nicht platzte.

Sie wartete auf Sirenen und wildes Geschrei, doch das war anscheinend hier oben nicht zu hören. Dennoch hob sie wieder leicht ihren Kopf an, um besser hören zu können, doch anstatt ein Geräusch zu vernehmen, sah sie einen dunklen Schatten am Rande des Treppenhäuschens,der einer sehr großen Person gehören musste. Nun reckte die den Kopf ganz nach oben, doch der Schatten war schon wieder verschwunden, stattdessen ließ sie eine erneute Explosion ihren Kopf in den Schoß drücken. Doch dieser Schatten ließ sie nicht los. Mit den fast geschlossenen Äuglein linste sie nach oben und suchte das komplette Dach ab. Da war er wieder! Tatsächlich! Erst jetzt fiel ihr auf, dass dieser Schatten eine unmenschliche Größe besaß, mit einem äußerst merkwürdigen Profil. Es glich einem Riesen, nein, einem Monster. Der Schatten bewegte sich kurz, verschwand dann und tauchte so unverhofft er gegangen war wieder auf.

War dies ein Grund zur Beunruhigung? Ja, allerdings, sofern der Joker keine Freikarten für die erste Reihe verschenkt hatte.
 

Vorsichtig löste sie ihre zusammen gekauerte Haltung und drehte sich zum Joker, dessen Aufmerksamkeit voll und ganz dem nun nicht mehr so großem Wayne Tower galt. Dennoch hob sie ihren Arm und zupfte an des Jokers lila Mantel. Dieser schien sie gar nicht zu bemerkten, sie zog fester. Mit genervter Miene blickte er zu ihr hinab und zischte: „Was ist denn? Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?“

„Da- da ist Etwas“, flüsterte Jazmin und deute mit den Augen Richtung Treppenhäuschen.

Der Joker rollte mit den Augen. „Ja und was zur Hölle?“ Eher wollte er die Show nicht verpassen als jetzt mit dem Püppchen über ihre Halluzinationen zu diskutieren.

„Irgendwas großes Schwarzes. Ein Monster oder so. Wirklich!“

Dem Joker juckte es in den Handflächen, wie konnte sie ihn nur so zum Narren halten? Er drehte sich wieder weg, doch plötzlich fiel ihm ein, dass das Püppchen ganz und gar recht hatte. Er hatte ja Besuch bestellt...
 

Doch ehe er handeln konnte, war der Dunkle Ritter schon aus seiner Deckung hervorgesprungen, hatte das Püppchen beiseite gestoßen und sich auf den Joker geworfen. Er packte ihm am Genick, zog ihn wieder auf die Beine und warf ihn erneut auf den Boden. Er schien ganz schön wütend zu sein...warum bloß?

Kaum versuchte der Joker sich aufzurichten und sein Butterflymesser zu zücken, da hechtete der Dunkle Ritter ihm schon auf den Boden nach und schleifte ihn zur nächst besten Wand, an die er ihn drückte und am Hals festhielt, als würde er ihn jeden Moment erwürgen.

Jazmin wusste nicht was hier geschah. Es ging alles viel zu schnell. Was sollte sie jetzt tun? Verwirrt rannte sie den beiden hinterher, doch hatte keine Ahnung, was als nächstes passieren würde. Regungslos stand sie da, wollte etwas unternehmen, doch wusste nicht was.
 

„Du kleiner Bastard!“, bellte die Fledermaus ihn an und verstärkte seinen Griff um des Jokers Hals, „Ich zerreiße dich in tausend Stücke!“

Der Joker versuchte sich zu befreien, zappelte wie ein Fisch an der Angel, doch es gelang ihm nicht.

„Was beschwerst du dich denn? Hattest doch eine super Sicht von den Parkettplätzen!“, presste er aus seinen Lungen.

„Hat's dir etwa dich gefallen...meine kleine Show?“

Doch anstatt auf darauf zu antworten, holte die Fledermaus aus und schlug ihm mit voller Wucht in den Magen. Der Joker keuchte, doch verlor sein gehässiges, schadenfrohes Lachen nicht. Das verrückte Gekicher trieb den Dunklen Ritter in den Wahnsinn, um jeden Preis würde er ihm das dämliche Lachen schon austreiben.

Die beiden erinnerten an einen Vater, der seinen Sohn zusammen stauchte, weil dieser mal wieder Unsinn angestellt hatte. Doch das hier war etwas viel Schlimmeres als Unsinn gewesen.

Jazmin saß wie auf heißen Kohlen, wollte eingreifen, doch sie würde keine Chance haben. Sie würde zerbrechen wie die Fenster im Wayne Tower, dieser war übrigens noch fleißig am kaputt gehen.

„Außer- außerdem hab' ja nicht ICH den Knopf gedrückt“, sagte der Joker und lachte, doch es blieb ihm im Halse stecken.

Plötzlich sah Jazmin das Butterflymesser, das dem Joker auf den Boden gefallen war, auf, als die Klinge im Licht des Feuers aufblitzte. Einen Versuch war es wert...
 

Sie hob das Messer auf und zögerte nicht lang. Mit aller Kraft stieß sie es dem Monster von hinten in den Rücken. Sie glaubte nicht wirklich daran, dass das etwas bewirken würde, er musste eine Art Rüstung tragen, doch als ihr eine dunkelrote Flüssigkeit zwischen die Finger lief, ließ sie erleichtert los. Der Dunkle Ritter ging nicht zu Boden, natürlich, doch dieser kurze Augenblick, an dem sich der stählerne Griff der Fledermaus lockerte, befreite sich der Joker aus seiner misslichen Lage und ergriff sofort die Flucht.

Jazmin eilte ihm mit mehr oder weniger großen Schritten hinterher durch das alte Treppenhaus. Diese Situation kam ihr irgendwie bekannt vor...

Schnell hechteten Beide die Stufen hinunter, doch der Dunkle Ritter ließ nicht lange auf sich warten. Jazmin konnte die schweren Schritte des Monsters hören, wie es sie in unbeschreiblich schnellem Tempo verfolgte. Ihr schien es, als würde es sie jeden Moment ergreifen, sie versuchte noch flinker zu rennen, doch mehr gab ihre Kondition nicht her. Sie atmete schwer, bekam kaum noch Luft. So rannten sie nun Stockwerk für Stockwerk dem Ausgang entgegen, doch dieser schien Meilen entfernt zu sein. Die Mühe schien vergebens.
 

Doch als endlich ein schmaler Lichtstrahl die Dunkelheit Schritt für Schritt immer mehr erhellte, besserte sich Jazmins Motivation. Sie konnte den Ausgang sehen, steuerte auf ihn zu.

Sie bremste ab, wollte zu der Tür hinaus, doch der Joker lief weiter Richtung Keller. Verwirrt blickte sie sich zu ihm um, aber da sah sie schon den Dunklen Ritter kommen. Sie entschloss sich, dann doch lieber dem Joker in den Keller zu folgen, was auch immer das werden sollte.

I Told You So

Der Keller des Hauses glich einer überdimensional großen Abstellkammer, gestapelte Kisten und Kartons standen im Raum verteilt, einige waren mit Laken zu gedeckt, die sie aber auch nicht vor dem gnadenlosen Befall von Staub retteten. Fenster waren so gut wie nicht vorhanden, denn der Dreck hatte sie zu undurchdringbaren Steinmauern gemacht. Es roch nach Schimmel und toten Ratten.
 

Als Jazmin zögerlich den Raum betrat, schloss der Joker die alte Holztür. Fast hätte Jazmin verächtlich aufgelacht. Das dünne Brettchen würde das Monster auch nicht aufhalten. Doch vielleicht sollte es ihn auch gar nicht aufhalten?

„Was soll das? Warum...?“, doch kaum hatte sie ihrer Verwunderung Luft machen wollen, so schnell hatte ihr der Joker seine behandschuhte Hand auf den Mund gedrückt.

„Sh“, flüsterte er und drückte sie an die verdreckte Kellerwand. Jazmin bekam kaum noch Luft, die Handschuhe rochen nach Sprengstoff. Aufgeregt hob und senkte sich ihr Brustkorb, mit ihren großen, blauen Äuglein versuchte sie das Clownsgesicht vor sich zu fixieren. Die grünen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht und kitzelten Jazmin an der Nasenspitze. Seine Nähe ließ ihr Herz noch größere Sprünge machen, sie versuchte sich zu beruhigen.

Konzentriert blickte er über seine Schulter zu der kleinen Kellertür.

Die schweren Schritte des Dunklen Ritters waren deutlich zu hören, sie kamen immer näher.
 

Jetzt war es aus. Wie konnten sie sich auch nur im Keller eines alten Hauses verstecken? Der Sackgasse schlechthin? Langsam zweifelte Jazmin daran, dass der Joker einen Plan hatte, eher hatte er einige Tassen im Schrank zu wenig.

Nun trennten das Monster höchstens noch einige Katzensprünge von seinem Ziel und ehe man es vermutete, wurde die Holztür aus den Scharnieren gerissen und zersplitterte in tausend Stücke. Die spärliche Erleuchtung erschwerte nun mehr das ausmachen des genauen Standpunkts dieses Riesen, doch er brauchte nicht lange und hatte seine zwei Opfer entdeckt. Mit unbeschreiblich rasanten Schritten war er bei den beiden. Schnell löste sich der Joker von dem Püppchen, doch sie vergaß so schnell zu schalten und schon klebte der Dunkle Ritter an ihr und umfasste ihre dünnen Handgelenke, schien sie zu zerquetschen. Jazmin wollte sich wehren, versuchte ihn zu treten, doch traf nicht.
 

Er hatte sich geirrt. Sie war keine Geisel, sie war kein Opfer. Sie war genau derselbe unberechenbare, mordlustige Psychopath wie ihr „Entführer“.

Er war wütend auf sich, darauf, dass er den Feind unterschätzt hatte. Genau genommen war sie auch nicht der Feind. Allein würde sie untergehen, hätte nicht die Kraft dazu, so zu sein, so zu handeln. Der Joker war die treibende Kraft hinter ihr, der sie immer wieder dazu anstachelte und sie für seine bösartigen Zwecke missbrauchte. Er hatte sie zu dem gemacht, was sie war, er hatte das süße Mädchen von Grund auf verdorben.

Aber traf sie nun schuld? Im gewissen Sinne war sie Opfer, aber was sie tat, alles was sie bisher verbrochen hatte, hatte sie selbst zu verantworten. Die Gerechtigkeit sollte, nein, musste siegen.

Er beschloss das Problem schnell zu beseitigen, ehe er noch Mitleid für diese Mörderin empfand. Schnell und schmerzlos, bei dem anderen Psychopathen würde er sich mehr zeit lassen.
 

Der Dunkle Ritter wollte sie unschädlich machen, egal wie. Er wollte sie zu Boden schlagen, so dass sie keine Kraft mehr zum Aufstehen hatte oder ihr solange die Luft abdrücken, bis sie ohnmächtig auf ihre schlaffen Glieder sank. Sein Griff verstärkte sich.

Jazmins stählerne Blick durchbohrte die dunkle Maske ihres Gegenübers. Ihr süßes Gesicht glich nun mehr einer rachsüchtigen Grimasse. Nicht gezeichnet von Leid, sondern von Widerstand.

Doch ehe das Monster in irgendeiner Art etwas gegen das Püppchen unternehmen konnte, prangte schon die silberne Klinge des Butterflymessers an des Monsters Hals.

„Oh“, säuselte der Joker mitleidig, als er seinen Arm von hinten um des Dunklen Ritters Halses schlang und ihm sein Messer an die Kehle drückte.

„Kleine Mädchen ärgern, ganz schön armselig, findest du nicht?“, sagte er mit einem schelmischen Grinsen auf den roten Lippen.

Das Monster begann zu knurren, wem sollte er nun zuerst den Gar ausmachen? Wenn er das Püppchen wieder laufen ließ, würde sie ihn wieder angreifen, doch der Joker würde dasselbe tun.
 

Er warf das zerbrechliche Püppchen zu Boden, welches wie ein nasser Sack in sich zusammen fiel. Blitzschnell drehte er sich und wollte den Joker packen, doch dieser war schon galant zur Seite gewichen, sodass der Dunkle Ritte im wahrsten Sinne des Wortes ins Dunkle tappte. Schnell schnappte sich der Joker ein Eisenrohr, das auf dem Boden lag und schlug mit gesamter Kraft auf den getreten Hund ein. Der Dunkle Ritter versuchte das Rohr zu packen, doch der Joker war schneller, einige Gezielte Schläge ins Genick und das Monster brach kraftlos auf dem Steinboden zusammen.

Schnell wich der Joker zurück und wog sich in einem sicheren Abstand von 5 großen Schritten Entfernung. Er zog das Püppchen unsanft auf die Beine, packte ihre Hand, drückte ihr eine gut polierte Halbautomatik in die zarten Händchen und wendete sich wieder seinem Opfer zu.
 

„Nun darfst du, mein Freund, Zeuge eines unglaublichen Experiments werden“

Der Dunkle Ritter war nun mehr ein schwarzes Loch im Boden, das sich langsam wieder zu einem Menschen oder zumindest so etwas ähnlichem formte. Er wollte aufstehen, doch der Joker bedeutete ihm da zu bleiben, wo er war.

„Du hast immer an das Gute im Menschen geglaubt“, er lachte verächtlich, „doch ich habe eine Neuigkeit für dich: Jeder Mensch ist schlecht. Manche verdrängen es, so wie du, in dem sie sich verleugnen. Du hast immer dagegen angekämpft, böser Junge. Ts Ts“, er schüttelte den Kopf und die grünen Haare flatterten wild vor seinem Gesicht umher. Der Dunkle Ritter atmete schwer, unter seiner Maske war sein Gesicht zu einer wütenden Grimasse verzogen.

„Ich habe mich nie gegen meine Natur gestellt, du solltest es auch nicht. Aber dazu müssen wir dir erstmal deine blöde, langweilige Ansicht austreiben, verstehst du?“

Er grinste breit und drehte den Kopf zu Jazmin.

„Mach ihn kalt Püppi“

Jazmin bekam erst jetzt mit, dass sie gemeint war und schaute ihn ungläubig an. „Na Hopp. Kusch, Kusch“, sagte er und gab ihr einen leichten Klaps auf den Hintern.
 

Jazmin taumelte einige Schritte nach vorn. Gut, das war ja nichts neues, das hatte sie schon tausendmal durchgemacht. Zwar hatte sie bisher nur Gebrauch von Messern gemacht, doch die Halbautomatik war ihr auch nicht fremd.

Der Dunkle Ritter richtete sich in voller Größe auf und starrte auf das Püppchen hinab. Hinter seiner Maske drang ein Lachen hervor, das in dem dunklen Keller unheimlich wieder hallte.
 

„Und was willst du damit bewirken?“, bellte er den Joker an, „Denkst du etwa, sie würde mich umbringen?“, er lachte wieder, doch nun klang es eher zurückhaltend und taxierend.

Der Joker zuckte mit den Schultern. „Wenn du denkst, sie tut dir nichts, brauchst du dir ja keine Sorgen zu machen“, er kicherte und verschränkte selbstsicher die Arme.

„Du denkst, nur weil du unschuldige Menschen zu Mördern machst, kannst du mich treffen? Da gehört schon mehr dazu“ -„Oh, dass dein Tower nun mehr nur noch einer Ruine gleicht war wohl noch nicht genug?“

J

azmins Schritte wurden schneller und sicherer. Das Gespräch der beiden verunsicherte sie nicht, bestärkte sie eher noch in ihrem Vorhaben. Doch sie schien gar nicht richtig zugehört zu haben...War sie sich ihrer Lage überhaupt bewusst?

Sie hob ihren Arm und zielte auf die nicht von der Maske verdeckte Hälfte seines Gesichts und legte den Finger auf den Abzug.

„Tu' was du nicht lassen kannst, Mädchen“, sagte der Dunkle Ritter und kniff nachdenklich die Augen zusammen.
 

Er hatte keine Angst, warum sollte er auch?! Sie tat es nicht. Sie konnte so etwas einfach nicht tun. Weniger beunruhigte ihn, dass sie tatsächlich abdrücken würde, eher warum sie es tat. Was brauchte es, um einen vernünftigen Menschen, der zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht unterscheiden konnte, zu so etwas zu treiben, eine Waffe gegen jemanden zu richten, gegen ein menschliches Wesen, ohne Grund? Einfach...so?

Ihr Blick verriet ihm aber das Gegenteil. Sie musste völlig blind gewesen sein, folgte jemandem freiwillig, der der Inbegriff von Böse war. Ihr Gesicht war leer. Eine leere Hülle ohne Seele, ohne Herz, wie ihr Schöpfer. Jetzt verstand er das Vorhaben des Jokers. Nun stellte er sich selbst die Frage, ob es das erzielte, wofür es geschaffen worden ist. Hat der Joker ihn überzeugt?
 

Jazmin blickte ihn aus starren Augen an und biss fest die Zähne zusammen. Sie hob leicht ihr Kinn, bereitete sich schon mal auf den Rückschlag des Schusses vor und drückte ohne mit der Wimper zu zucken ab.

Doch der erwartete Schuss, der den Keller erschütterte, blieb aus. Jazmin schaute verwundert auf das kühle Metall in ihrer Hand, betätigte noch einmal den Abzug, doch kein Mucks erklang.

Verwirrt drehte sie sich zum Joker um, dieser klatschte erfreut in die Hände und applaudierte seinem gelungenen Plan. Sein höllisches Lachen drang durch den spärlich eingerichteten Raum.

„Und? Was sagst du nun, mein Freund? Sag mir, wie du das Finale fandest! War es nicht großartig? Komm, sag schon! Hab ich das nicht klasse hingekriegt?“

Jazmin und der Dunkle Ritter übertrafen sich nun gegenseitig im verwirrt Schauen. Jazmin war eher perplex, doch dem Dunklen Ritter kochte das Blut, seine Glieder zitterten vor Wut. Der Joker hatte ihn erfolgreich zum Narren gehalten. Doch anstatt erneut anzugreifen sagte er bloß:

„Alles was du verdient hast ist ein Platz in der Hölle! Du wirst noch deine gerechtfertigte Strafe erhalten, oh, das schwöre ich!“, und verließ im Sturm den Keller, so dass innerhalb einer Sekunde nur noch sein Schatten zu sehen war.
 

Jetzt war er der Flüchtling. Nein, er war nicht geflohen, er floh nie, denn das war die Sache nicht wert. Er musste seine Taktik ändern. Er hatte sich überschätzt. Die Schlacht hatte der Joker vielleicht gewonnen, doch der Sieg des Krieges würde seiner sein. Niemand hielt ihn zum Narren. Er würde die Straßen Gotham's schon von solchem Gesindel befreien. Bis zum bitteren Ende.

Burn Out

„Warum hast du das getan?“, fragte Jazmin mit ihrer zuckersüßen Stimme. Sie saß auf dem Boden des alten Appartements und blickte den Joker an, der mit dem Rücken zu ihr stand und aus dem Fenster schaute.

„Hm?“, war das einzige, was sie als Antwort erhielt.

„Die Pistole. Warum war sie nicht geladen? Was sollte das?“, bohrte sie nach, fragend legte sie den Kopf schief.

„Das, mein Püppchen, war Teil meines Plans, falls du es noch nicht bemerkt hast“-

„Und was sollte meine Rolle in diesem Spiel sein? Der schwarze Peter?“, in ihrer Stimme schwang aufsteigende Wut mit.

„Du warst lediglich Mittel zum Zweck. Nichts weiter“, antwortete der Joker genervt, darauf bedacht, dieser Diskussion schnell ein Ende zu bereiten.
 

Mittel zum Zweck. Nichts weiter. Jazmin kniff verärgert die Äuglein zusammen.

„A- aber ich dachte...“-

„Du denkst zu viel, das ist dein Problem, Püppchen“

Jazmin stand auf und stellte sich hinter den Joker, der sie immer noch keines Blickes würdigte. Ihre Schleifchen im goldenen Haar wippten aufgeregt auf und ab, sowie ihre aufgebrachte Stimme erklang: „Ich bin nicht dein Püppchen. Ich bin niemandes Püppchen!“, schrie sie ihn an.

„Es ist mir egal, was du bist, wer du bist. Fakt ist, du kannst froh sein, noch am Leben zu sein. Denn so wie ich dir dein Leben geschenkt hab', so schnell kann ich es dir auch wieder nehmen. Und jetzt sei still, sonst ist dein Ende näher als du denkst“, seine Stimme klang ruhig, doch der gefährliche Unterton ließ alle Alarmglocken aufläuten, doch anscheinend nicht Jazmins.
 

Sie wollte gerade kontern, doch die Worte blieben ihr im Halse stecken, als der Joker sich blitzschnell umdrehte und ihr mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, sodass sie ins taumeln geriet und nach hinten auf den Boden fiel. Mit einem schmerzverzerrtem Gesicht hielt sie sich die wunde Wange und rappelte sich langsam wieder auf.
 

Das konnte sie sich nicht gefallen lassen! Sie sah nicht ein, warum sie sich unterordnen sollte! Ihr ganzes Leben lang musste sie immer den Kopf einziehen, doch diesmal wollte sie es nicht. Nein, diesmal nicht.

Der Joker hatte sich wieder zum Fenster gedreht, atmete einmal kurz die Wut aus und starrte wieder hinaus in die Finsternis. Dem hatte er ein Ende bereitet, dachte er zumindest.

Doch Jazmin setzte wieder an.

„Mein Leben liegt mir nicht am Herzen. Du hast mir damit keinen Gefallen getan“, rief sie mit zittrigem Stimmchen. Das hätte sie nicht tun sollen, denn diesmal hatte sie den Geduldsfaden ihres Entführers eindeutig zerrissen. Der Joker drehte sich schwer atmend um, kniete sich zu ihr auf den Boden, packte sie im Genick und zog sie auf die dünnen Beinchen. Mit einer unheimlichen Wucht presste er sie an die nächst beste Wand, zog sein Messer und richtete die scharfe Spitze auf ihr Gesicht. Die Klinge spiegelte sich in Jazmins blauen Äuglein wieder und blitze auf wie eine Sternschnuppe. Verängstigt riss sie den Mund auf, doch es kam kein Mucks hervor, ihre Pupillen waren bis aufs äußerste geweitet und blickten in den messerscharfen Tod. Ihre Glieder waren angespannt und verkrampft, so dass jegliche Bewegung unmöglich war.
 

„Oh. Hast. Du. Etwa. Angst, Püppchen?“, er betonte jedes einzelne Wort, das letzte besonders.

„Tu mir einen Gefallen und sei ein braves Püppchen, denn so furchtlos wie du tust, bist du nicht. Ich habe die Fäden, deine Fäden in der Hand und führe sie wie ich will. Und wenn du beginnst mich zu langweilen, dann schneid' ich dir einfach dein hübsches Köpfchen ab. Alles klar?“

Jazmin nickte benommen und versuchte ihr aufgeregtes Atmen unter Kontrolle zu bringen.

„Fein“, er lies sie los und sie sank sogleich auf die Knie. Fast zärtlich strich er ihr über das blonde Engelshaar. Jazmin versuchte die Tränchen zu unterdrücken, doch es ging nicht. Zum ersten mal hatte sie richtig Angst vor dem Joker. Seine Unberechenbarkeit ließ ihn übermächtig erscheinen. Sie würde zu einer Marionette werden, wenn sie es nicht schon war. Aber soweit durfte es nicht kommen, sie musste dem ein Ende bereiten, sie musste endlich das tun, was sie schon seit so langer Zeit vor sich herschob. Diese wunderschöne Illusion hatte ein Ende gefunden und jetzt endlich begriff sie, wo sie da hineingeraten ist. Die Realität schlug sie wortwörtlich zu Boden.

Von Vögeln, die fliegen lernen

Die Nacht war klar. Klar und hell erleuchtet. Der Mond leuchtete wie eine gigantische Lampe vom Himmelszelt auf die Erde hinab. Er schien so groß, als würde er jeden Moment Jazmin auf das Köpfchen fallen. Sie schritt langsam über das riesige Dach hin zur schmalen Brüstung. Es erinnerte sie an das jenige, auf dem sie einst eine unglaublich große Explosion auf der anderen Straßenseite beobachtet hatte. Beobachtet. Nicht verursacht, beobachtet.

Doch anders als jener trübe Tag war diese Nacht still, es waren keine ohrenbetäubenden, panischen Hilfeschreie zuhören, die schrillen Sirenen der Feuerwehrautos kehrten nicht die Straßen leer und es flogen keine Glassplitter durch die Luft. Nein, diese Nacht war klar und vollkommen.
 

Jazmin traute sich kaum, die frische, saubere Luft einzuatmen, die auf ihrer in Dunkelheit geschonten Haut brannte.

Sie versuchte zu vergessen, wo sie war, wer sie war und vor allem, was sie getan hatte.
 

Nur einmal wollte sie wissen, wie es sich anfühlt normal zu sein. Seine Gedanken nicht in surreale Welten zu drängen, seine schlechten Taten nicht mit Rache zu rechtfertigen. Sie wollte mit der Luft verschmelzen, wegfliegen, sich auflösen, egal was, Hauptsache nicht mehr sie sein. Sie räumte ihren Kopf leer von Dingen, die sie angerichtet hatte, von Erinnerungen, die sie eigentlich ihren Kopf kosten müssten.
 

Sie schloss die Augen und schlich behutsam, als laufe sie auf einem Drahtseil, hinüber zu der Brüstung, die den sicheren Boden von der schier unendlichen Tiefe trennte.

Sie streckte die Hände aus und versuchte, die Mauer zu erfühlen. Als sie den kalten Stein entdeckt hatte, legte sie beide Hände flach darauf und öffnete langsam wieder ihre hellgrauen Äuglein, deren Blick sie sofort in das dunkle Nichts zog.
 

Sie hatte Dinge getan, von deren schwerwiegenden Bedeutung sie erst jetzt mitbekam. Nicht das Menschen starben, nicht das grundlos Dinge in die Luft gejagt worden sind. Eher das, was unmittelbar mit ihr zu tun hatte, ihre verschwendete Zeit, ihr sinnloses Leben.

Sie bekam eine Welt versprochen, in der sie erblühen konnte, in der ganz allein sie bestimmte, was geschah.
 

„Ohne jeden, der dir sagt was du tun sollst. Du kannst machen. Was. Du Willst“
 

Die Erinnerung an diese Worten trafen sie wie einen Blitz. In sie steckte sie steckte soviel Hoffnung, so viel Vertrauen. Ja, fast zog die Erinnerung an die vertrauensselige, sanfte Stimme sie wieder in ihren Bann. Schnell schüttelte sie den Kopf, um den aufkommenden Schauer zu überwinden.
 

„Du hast etwas besseres verdient, Püppchen. Ein Chaos, das ganz allein dir gehört“
 

Das war eine Lüge. Ein Köder. Doch anstatt Wut überkam sie lediglich Schwäche und Schmerz. Sie hätte es wissen müssen. Warum zur Hölle hatte sie nichts geahnt?

Ihr Gesicht war starr, kein Gefühl, nicht einmal der stechende Schmerz bahnte sich einen Weg in ihre Mimik. Sie war einfach eingefroren.
 

Sie ertrug ihr Selbstmitleid nicht, sie ertrug überhaupt nichts mehr.

Diese Welt war schön, so wunderschön, ohne Zweifel, doch sie hatte sich verändert. Aus dem Wunderland ist die Hölle geworden. Und die Hölle war wahrlich kein rechter Platz für ein Püppchen.

Sie musste fast lachen, als ihr diese Zeilen durch den Kopf gingen.

Aber nun ist es zu spät. Diese Entscheidung würde sie selbst treffen und vertreten müssen. Keiner, der ihr rein redete, der dachte, er wüsste es besser. Das musste sie jetzt ganz allein mit ihrem Gewissen ausmachen.

Sie bückte sich und begann die Schnüren ihrer alten Schuhe zu lösen, die sie einst in einer Mülltonne fand.

Sie hätte ja nicht ewig in Socken durch die Gegend rennen können.
 

Behutsam zog sie ihre Schuhe aus und stellte sie auf die Mauer. Dann stützte sie die Hände auf der Brüstung auf, hopste elegant auf den kalten Stein und stellte sich leicht wankend auf die schmale Mauer an der es mindestens hundert Meter senkrecht nach unten ging. Hier oben wehte ein eisiger Wind und ihr kurzes Röckchen wurde von der derben Böe aufgewirbelt und entblößte kurzzeitig ihre Spitzenunterwäsche. Die goldenen Löckchen wehten ihr ins Gesicht, sie strich sie sich beiseite und wagte den Blick in die unendliche Dunkelheit. Gut, dass es Nacht war, dachte sie, dann blieb ihr die Sicht bis ins bittere Ende vorerst verwehrt. Sie blickte noch einmal kurz nach oben in den leuchtenden Vollmond und atmete tief ein.

Es ist zu spät, predigte sie nun immer wieder gedanklich und versuchte ihrem Vorhaben etwas Sinn anzudichten. Es ist zu spät. Zu spät. Zu spät. Zu spät. Zu spät.

Sie ballte die Finger zur Faust und öffnete sie wieder. Diese Welt war nicht für sie geschaffen. Es sollte eben nicht gewesen sein. Nicht in dieser Zeit, nicht an diesem Ort. Sie hatte einfach Pech gehabt. Kein Grund zur Sorge. Pech hat jeder Mal. Was soll's.
 

Verlierer sein war sie ja gewohnt. Und Immerhin hatte sie es bis hierhin geschafft.
 

Waren ja nur ein paar Jahre, die sie in Qualen verbrachte. Ist ja schon fast wieder vergessen. Es wird sie sowieso niemand vermissen.
 

Ihr Gesicht war nunmehr ein Schatten, unbekannt und anonym.
 

Das war der Moment, auf den sie seit einer Ewigkeit gewartet hatte, und nun war er da. Endlich.

Sie breitete sie Arme aus. Der Wind umhüllte sie wie ein Kokon, ließ sie sich sicher fühlen, nahm ihr jegliche Furcht, jegliches Unbehagen.

Dies war einfach das Ende, das keinen Anfang verbarg. Es war einfach Schluss. Bis hier hin und nicht weiter. Wer weiß, vielleicht würde sie ja etwas besseres erwarten? Irgendwann musste sie doch mal Glück haben. Vielleicht war genau das der Moment. Vielleicht war das das einzige, was sie für Glück zu erwarten hatte. Das Ende. Das wohlverdiente Ende. Sie versuchte zu lächeln, zufrieden zu sein, doch es gelang ihr nur mühsam.

Sie trat vor bis ihre Fußzehen den Rand spüren konnten.

Endlich. Endlich. Endlich. Endlich. Endlich. Endlich. Endlich. Endlich. Endlich. Endlich. Endlich.
 

„Du willst gehen, ohne dich vorher zu verabschieden?“, beleidigt schüttelte der Joker den Kopf, doch das war nur schwer zu sehen, denn er hielt sich im pechschwarzen Schatten versteckt. Jazmin schreckte hoch und verlor fast das Gleichgewicht, so dass aus dieser Sache fast fahrlässige Tötung wurde. Doch im letzten Moment fing sie sich noch.

Jazmin versuchte seine Gestalt auszumachen, doch beschloss ihn zu ignorieren, schließlich wollte sie die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen.

„Hätte dir nicht zugetraut, dass du den Mumm hast, das durchzuziehen. Andererseits ist es ganz schön feige wegzurennen, schäm' dich“, sagte er mit ruhiger Stimme und trat einen Schritt aus der Dunkelheit hervor, doch sein Gesicht war immer noch vom tiefen Schatten verdeckt.

Jazmin wollte etwas sagen, doch sie wusste nicht was. Sprachlosigkeit war ja nichts neues.
 

Stattdessen zuckte sie nur die Schultern und zog ihre Mundwinkel leicht nach oben, so dass man ein Lächeln hätte vermuten können. Und selbst wenn es Feige gewesen wäre, sie würde es tun.

„Ich fliehe nicht, ich verreise nur“, ihr Blick war gesenkt und auf die Straße unter ihr gerichtet.

„Für immer, hm?“

Dieses Gespräch klang so locker, als träfe man sich beim Einkaufen. Smalltalk. Geplauder. Nichts tiefsinniges.

Jazmin nickte nur. Sie wollte nicht aufgehalten werden, hatte aber auch nicht das Gefühl, dass der Joker dies versuchte. Wahrscheinlich war er nur enttäuscht, dass sie selbst erledigte, was er hätte tun wollen.

„Na dann“, es klang belanglos, fast nebensächlich, „Tu nur, was du nicht lassen kannst. Hättest sowieso nichts ändern können. Vielleicht kann ich auch nichts ändern, aber ich will es noch mit eigenen Augen, was ich angerichtet hab. Geh nur, nichts hält dich hier. Der Welt wird’s an nichts fehlen. Mach dir keine Gedanken, mit dir geht niemand verloren. Denk nur an dich, ist mein Rat, denn es denkt auch niemand an dich. Die Welt ist schlecht. Du hättest sie sowieso keinen Deut besser machen können. Spar' dir deine Kräfte für den Kampf, der dir noch bevor steht“
 

Jazmin wollte, nein, sie konnte nicht über die Phrasen des Jokers nachdenken. Ihr Kopf war ein Vakuum, das darauf wartete zu zerplatzten. Trotzdem versuchte sie zu nicken. Sie nahm die letzten Worte, die sie aus dem Narbengesicht hört als ein Abschiedsgeschenk. Und irgendwie, auch wenn diese Sätze weder liebe Worte noch guten Mut mit sich brachten, sie war dankbar dafür.

Sie drehte den Kopf zur Seite und öffnete die roten Lippen: „Bye“

„Mach's gut, Püppchen“

Sie hörte die letzten Buchstaben kaum noch, denn schon ließ sie sich von der kühlen, sanften Luft hinaus tragen. Hinaus in eine andere Welt, nach der sie sich sehnte, nach der ihre tote Seele lechzte. Es war das wunderschönste Gefühl, dass sie je gespürt hatte.

Freiheit. Es war die unbegrenzte, unendliche Freiheit. Sie fiel, fiel hinab ihrem Glück, ihrer Bestimmung entgegen. Ja, das, genau das war der Moment. Sie dachte an nichts, wollte einfach nur diese wenigen Sekunden des Glücks genießen und wiegte sich selig in den schützenden Armen des Todesengels. Endlich.
 

Das Püppchen fiel wie eine Feder, wurde vom Winde verweht. Es sah nicht aus, wie ein Sprung, eher als zöge die Dunkelheit sie magisch an.

Als sie verschwand, zuckte es dem Joker in den Fingern, nur kurz, die einzige Reaktion auf das, was geschah.

Er trat nun ganz aus dem Schatten und lugte vorsichtig über die Brüstung, doch alles was er sah, war das schwarze Nichts.

Ihm ging durch den Kopf, ob es unmittelbar etwas mit ihm zu tun hatte, dass seine Anzahl von Freunden sich regelmäßig auf ein Minimum reduzierte. Er zuckte mit den Schultern. War halt Berufsrisiko...

Er entdeckte Jazmins Schühchen, die ordentlich neben einander gestellt auf der Brüstung verweilten. Er packte sie an den Schnüren und ging pfeifend davon.
 


 

I could listen to a babbling brook

And hear a song that I could understand

I keep wishing it could be that way

Because my world would be a wonderland*
 

* In A World Of My Own Lyrics by Bob Hilliard

TEIL 2/ Wunderland

Wunderland
 

Zartes Blümchen,

reck' dein Köpfchen

aus der Nacht

rein in den Tag.
 

Kleines Püppchen,

kurzes Röckchen.

Mädchen, dass so

süßlich lacht.
 

Wo kamst du her,

wo gehst du hin?

Was ist dein Ziel?

Nun sprich schon, Kind!
 

Kehr' der Dunkelheit den Rücken zu

und wende dich dem hellen Licht.

Tristes Leben Vergangenheit,

das neue dir das Glück verspricht.
 

Doch pass' auf,

wer Freund, wer Feind,

was Gut, was Bös',

was trübt, was scheint.
 

Acht' stets auf den,

der dich verführt,

acht' auf den Weg,

der dich verliert.
 

Spiele nicht,

die Würfel lügen,

pass' stets auf,

sie wolln' dich trügen.
 

Äuglein auf,

das Herzlein aus,

der Weg wird dich brechen,

ich seh's voraus.

New Day

Sanft legte sich die neu gewonnene Ruhe auf Jazmins geschundenen Gedanken nieder. Mit unglaublicher Zärtlichkeit, so wie sie sie nie erfuhr, streichelte sie ihre Sinne, nahm ihr jegliche Angst und Bedenken. Eine wohlige Wärme durchfuhr ihren zarten Körper wie die aufgehende Sonne den Horizont mit ihrer unbeschreiblichen Schönheit erfüllte. Ihre einst so schweren Glieder waren nunmehr ein Teil der unüberwindbaren Leichtigkeit.

Wenn das das Glück war, nach dem sie solange suchte, dann hatte sie es endlich gefunden. Gebettet auf den Wogen der unendlichen Vergebung und Gnade. Sie hatte es gefunden, brauchte nun nicht mehr zu suchen, nicht mehr in dunklen Gassen der Unkenntnis und der Hoffnung zu verweilen, konnte nun mit geöffneten Äuglein in die strahlende Sonne schauen.
 

Ihre Fingerchen strichen behutsam über die Daunendecke, die ihr ein schützendes Heim gab. Doch genau in diesem Moment, in dem sie fühlte, in dem sie merkte, dass sie fühlte, in dem es sie erschrak, dass sie überhaupt noch merken konnte wie sie etwas fühlte, wusste sie: Irgendwas ist hier schief gelaufen. Gewaltig schief gelaufen.
 

Trotz der sie überwältigten Müdigkeit öffnete sie ihre Augen einen kleinen Spalt und sah tatsächlich wie ihr die Morgensonne freundlich entgegen lachte. Also entweder war das der Himmel, was sehr unwahrscheinlich war, denn eher war für sie ein Platz in der Hölle reserviert, oder ihr Vorhaben, von dem Haus zu springen hatte irgendeinen Haken gehabt, den sie nicht bemerkt hatte. Sie kniff die Äuglein wieder fest zusammen und versuchte sich an jene Nacht zu erinnern.
 

Ihr schossen die Bilder des ungewöhnlich großen Mondes durch den Kopf, der hoch am dunkelblauen Nachthimmel über Gotham hing. Sie erinnerte sich auch daran, dass der Joker da war, doch sein Gesicht blieb ihr verwehrt. Nur noch das Bild ihrer Schühchen, die die Steinbrüstung mit ihrer peniblen Ordentlichkeit zierten, bildete den Schluss dieser verworrenen Erinnerungen. Dann war da nur noch die Dunkelheit, die Dunkelheit und dieses merkwürdige Gefühl von einer Art Trance. Mehr nicht.
 

Noch einmal versuchte sie logisch zu überlegen, wie sie den Sturz aus einem fast hundert Meter hohem Gebäude überleben konnte, doch schon während sie überlegte, schon allein, dass ihr die Kraft gegeben war, zu überlegen, ließ den Gedanken, ja beinahe die Hoffnung an den Tod rapide schwinden.

Sie startete einen zweiten Versuch und hob langsam ihre Lider. Wieder stach ihr sie Sonne in die Augen, sanft aber bestimmt. Als wolle sie sie aus dem Bett jagen, auf eine freundliche Art und Weiße. Sie blickte zu einem großem Fenster hinaus auf einen Garten, der kaum überschaubar war, so gigantisch schien er.

Schon dieser Punkt war Ausschlag gebend dafür, dass sie sich wahrscheinlich nicht mehr in der City befand, vielleicht irgendwo am Rand oder gar ganz woanders.
 

Sie wendete schwerfällig den Kopf und ließ den schlaftrunkenen Blick durch das Zimmer schweifen. Wobei, Zimmer war ein wenig untertrieben. Es handelte sich eher um eine Art Saal mit begrenzter Tanzfläche, oder so ähnlich.

Die Wände waren hoch und hatten eine edel schimmernde Farbe, auch wenn die Tapete schon ziemlich alt und abgenutzt wirkte. Der Raum war bis in die kleinste Ecke hell erleuchtet, es gab keine schwarzen Löcher und keine tanzenden Schatten. Er war zwar nur spärlich eingerichtet, doch die antike Optik des Mobiliars verlieh dem ganzen einen gemütlichen Touch. Ein massiver Schrank prangte an der Wand, die dem Bett gegenüber lag und ein hübscher Sekretär teilte den Raum in seiner Mitte.
 

Jazmin blickte wieder aus dem Fenster und das nun in ihr aufsteigende Adrenalin wandelte ihre Müdigkeit in Neugier um. Leichtfüßig wie eine Elfe, die noch nicht ganz Herr ihrer Gliedmaßen war, rollte sie sich aus dem Bett und schlich vorsichtig die wenigen Schritte hinüber zum Fenster, bemüht darum, keinen Mucks zu machen. Der Garten schien nun wie eine Parkanlage, sie sah keinen Zaun und auch kein Tor, ja, es glich fast einem Labyrinth. Sie entdeckte einen kleinen Springbrunnen, der lustig Wasser plätschern ließ. Im selben Takt wippten die dünnen Ästchen an den Kirschbäumen, an denen rosa Blüten hingen. Etwas weiter stand ein kleines Gewächshäuschen, verdeckt von einer schier unendlich alten Eiche, die einen schützenden Schatten auf die vielen Beete warf, auf denen blutrote Rose wuchsen.

Wo zur Hölle war sie? War das der Himmel? Sah es so da oben aus? Oder war es doch die Hölle und sie auf ewig dazu verdammt in diesem überdimensionalen Biotop herumzuirren?

Sie drehte sich um, schaute sich nochmal das Gemach an, in dem sie wahrscheinlich die Nacht verbracht hatte, auf der Suche nach irgend einem Hinweis, nach einer Antwort auf die Frage, wo sie denn nun eigentlich sei.
 

Sie war in einem Haus, soviel stand fest. Bloß in wessen Haus? Sie kannte niemanden, ungelogen. Das Monster kann es nicht gewesen sein, das war Tod. Und der Joker machte sich nicht viel aus einer gemütlichen Einrichtung und einem gut gepflegtem Garten. Die Anstalt kann's auch nicht sein, die hat eine um einiges unangehmener Atmosphäre.

Wer würde schon einen mordenden Psychopathen aufnehmen? Oder ein verwahrlostes Püppchen, dass aussieht, als sei ein Laster einmal von vorne und einmal rückwärts drüber gefahren.

Ihre goldenen Löckchen waren nur mehr ein Wollknäuel. Ihre Söckchen hatten Löcher und die Motten in ihren Kleidern lebten friedlich in Symbiose mit den restlichen Bakterien, die ihr über die dreckige Haut krochen. Ja, fast ekelte sie sich selbst vor sich. Fast.

So groß der Raum war, so sehr engte er sie doch ein, die suchte die Wand nach einer Tür ab und entdeckte eine alte Holztür, die ein wunderschön verzierter Rahmen umrandete. Sie wollte sehen was sich dahinter befand, wollte herausfinden wo sie war. Mit zaghaften Schritten tappelte sie auf die Tür zu. Doch gerade als sie sie öffnen wollte, bewegte sich die Türklinke langsam nach unten. Jazmin erstarrte kurz und sprang dann schnell wieder ins Bett, wie ein kleines Kind, das sich vor seinen Eltern versteckte, die nachsehen wollten, ob es schon schlief. Sie kroch ganz hinter, umschlang mit ihren dünnen Ärmchen ihre Knie und wartete darauf, dass sich die Tür öffnete.

Old Habits

Die Tür öffnete sich langsam aber bestimmt und hervor trat ein etwas älterer Herr, der, so klein er auch schien, in aufrechtem, stolzem Ganz ein kleines Tablett mit einem Glas darauf herein trug.

Jazmin war nicht vorbereitet auf voreilige Kontakte mit Fremden, ihre Art war es sowieso eher, sich so unsozial wie möglich zu verhalten. Sie hielt den Kopf gesenkt, doch alle ihrer Sinne arbeiteten auf Hochtouren und hielten Ausschau nach voreiligen Handlungen ihres Gegenübers. Ihr sturer Blick, der mit unbeschreiblich eingefrorener Intensität auf das alte Gesicht des Mannes gerichtet war, hätte fliegende Tauben vom Himmel holen können. Sie bewegte sich keinen Zentimeter.
 

„Haben wir auch schon ausgeschlafen, Miss?“, seine Stimme hatte denselben altmodischen, spießigen klang, wie sein Aussehen es ihr offenbarte. Sie klang nicht übertrieben freundlich, hatte eher einen leicht miesepetrigen und ironischen Klang, der Jazmin noch ernster schauen ließ.

„Ich bringe Ihnen ein Glas Wasser und etwas für die Nerven. Master Wayne hat mir gesagt, ich solle Ihnen alle Wünsche erfüllen, auch wenn dies mir zutiefst widerstrebt“
 

Es war keinesfalls zu überhören, dass in seinen Worten nicht nur Missgunst sonder auch ein Hauch Hass mit schwang und die schon von Jazmin unterkühlte Atmosphäre zu Eis gefrieren ließ. Jazmin saß immer noch starr auf ihrer Daunendecke und verfolgte nur mit den Augen den Weg des Glases von dem kleinen Tablett auf den Nachtschrank, der neben ihr stand. Der Mann würdigte sie keines Blickes, stellte mechanisch das Glas ab und wendete sich wieder Richtung Tür.

„Master Wayne hat Ihnen ausdrücklich untersagt, das Zimmer zu verlassen. Alles was Sie brauchen, finden Sie hier. Im Schrank sind einige Kleider“, er deutete auf das schwarze Ungetüm an der Wand,

„Im Badezimmer können sie sich waschen“ Er kniff die kleinen Augen zusammen und fügte mit gesenkter Stimme hinzu: „Was ich Ihnen empfehlen würde, denn Sie stinken furchtbar“ Es klang missbilligend, ja, fast so, als würde er sich persönlich angegriffen fühlen. Er deutete ein leichtes Nicken an und verließ schließlich den Raum.
 

Jazmin ließ diesen Moment erst einmal auf sich wirken, bis sie sich schließlich dem Glas und der Tablette zuwendete. Sie leckte den Finger an und tippte auf die Pille, sodass sie haften blieb. Sie hielt sie ganz nah an ihre Äuglein und schaute sich das Mittelchen genauer an. Mit der Zungenspitze testete sie den Geschmack und sofort schmiss sie die Tablette auf den gut geputzten Boden. Das war kein »Mittelchen für die geschundenen Nerven«, das war 'ne ganz harte Droge. Sie erinnerte sich an den Geschmack und verband damit den Gedanken an die Klinik, in der sie das immer verabreicht bekommen hatte.
 

Die wollten sie nur ruhig stellen und zwar richtig ruhig. Sie schüttelte sich und nahm wieder ihre demonstrativ verschlossene Haltung ein.

Sie ließ den Blick zum Schrank und dann zum Bad schweifen. Pah, sie würde stinken, na und? Nie im Leben würde sie sich auch nur einen Millimeter dem beugen, was irgendwelche fremde Schnösel ihr sagten. Schließlich war das hier, was sie ausmachte, der Grund wofür sie bekannt, bekannt und gefürchtet war....ein wenig zumindest.

Master Wayne, schon allein der Klang dieses Namen verriet ihr, dass sie hier nicht her gehörte, aber er verriet ihr noch etwas anderes.

Wayne...Wayne, Bruce Wayne...der Wayne Tower! Plötzlich durchfuhr sie eine eisige Kälte, die sogar ihren Atmen einfror. Bruce Wayne, sie befand sich also im Haus von dem Mann, dessen Tower sie in die Luft gesprengt hatte. Aha, gut zu wissen. Sie wollte gar nicht über das warum und vor allem das wie nachdenken, sie wusste, dass sie kein Ende, keine Antwort finden würde. Herr Gott, das hier war weit, weit aus schlimmer als die Hölle.
 

Alfred bemühte sich darum, seine Abneigung gegenüber dem aufgenommenen Gefangenen weitest gehend zu unterdrücken. Schließlich war es nicht seine Aufgabe, sich eine Meinung darüber zu bilden. Doch wie so oft hatte er das starke Bedürfnis sich einzumischen und zumindest dieses Haus vor schlimmeren zu bewahren, vor allen Dingen seinen Besitzer.

Er durchquerte den langen Flur, der zur Treppe führte, die sich durch das große Foyer zog.
 

Er hatte schon genug Erfahrungen mit solchen Leuten gesammelt, mehr als ein normaler Butler hätte sammeln können. Er unterstützte Zeit seines Lebens jegliche Vorhaben Bruce Waynes, doch dieser Moment musste schließlich einmal kommen. Was sich der Gute dabei gedacht hatte, eine gesuchte Mörderin, die eigentlich besser in einer Einrichtung für Leute mit solch ungewöhnlichen Problemchen gehörte, bei sich unter kommenzulassen. Nicht, dass er sich vor so einem kleinen Mädchen fürchte, doch wo käme man denn da hin, seine Feinde jetzt schon unter die eigenen Obhut zu nehmen?

Mit einem Kopfschütteln trat er in das hell erleuchtete Foyer. Er ging in die Küche, wo Bruce am Tisch saß und einige Zeitungsausschnitte mit konzentrierter Miene studierte. Er hielt sich nicht oft in dem Haus seiner Kindheit auf, eher zählten Gotham City und die schier unendlichen Wolkenkratzer zu seinem Spielplatz. Doch diese Auszeit von dem Gedränge in der Stadt konnte auch nicht schaden, seine Arbeit ruhte trotzdem nicht.

Alfred verstaute das kleine Tablett wieder an seinem Ort und wendete sich nun der Bar zu. Fast beiläufig begann er ein Gespräch, das ihm sehr am Herzen lag.
 

„Also, die Anwesenheit unserer kleinen Freundin trägt nicht unbedingt zur befreienden Atmosphäre des Wayne Manor bei“

Keine Antwort.

„Was ich damit sagen will, finden Sie, dass es eine gute Idee war sie hier aufzunehmen?“, besorgte Blicke suchten die Aufmerksamkeit ihres Gegenüber.

Bruce konnte seinen Blick nicht von den Artikeln über das Mädchen, welches sich von einer Geisel bis hin zur Mörderin innerhalb von nur wenigen Wochen wandelte, los reisen.

Dennoch antwortete er mit uneingeschränktem Interesse.
 

„Ich versteh' deine Sorge, Alfred. Aber glaub mir, ich weiß, was ich tue“-

„Aber sie hat Menschen getötet“, Alfreds Besorgnis wuchs mit jedem Atmenzug.

„Nein, hat sie nicht. Also doch, schon, aber das war nicht ihre Schuld“

Alfred brauchte nicht zu antworten, seine misstrauischen, ja fast ungläubigen Blicke reichten aus um Bruce seine Worte erklärenzulassen.
 

„Es ist nicht ihre Schuld, vielleicht die Schuld ihres gutgläubigen und hilflosen Charakters“, er drehte sich zu Alfred,

„Stell dir vor, ein Mensch, weder gut noch böse, wächst von Beginn an in den Händen eines Schurken, ja, sagen wir sogar Psychopathen, um beim Thema zu bleiben, auf. Logisch, dass dieser Mensch Handeln und Denken übernimmt, so wie er es vorgelebt bekommt. Dieser Mensch braucht weder einen Hang zum Unruhe stiften noch zum mutwilligen Zerstören, er kennt es ja nicht anders. Verstehst du?“, er suchte nach einsichtigen Reaktionen Alfreds, dieser Nickte bloß.
 

„Gut, wenn genau der selbe Mensch nun auf einmal auf der anderen Seite steht, wird er denken, es sei die falsche, ebenfalls logisch, denn er kannte bisher nichts anderes außer Bösartigkeit und Hass. So wie wir als Kinder gelernt haben, was Gut, was Böse ist, so wenden wir unser Wissen heute an, in dem Glauben, nach genau diesen Maximen richtig zu handeln. Sie tut im Grunde nichts anderes, bloß eben genau andersherum“-

„Das ist ja schön und gut, Master Wayne. Trotzdem müssen wir uns es jetzt nicht zur Aufgabe machen, gestörte Persönlichkeiten zu flicken“

Doch Bruce ließ nicht locker.
 

„Das interessante ist, was uns immer auf einer Seite hält, und zwar eine Person, die uns diese Werte vermittelt. Sie ist der Ausschlag gebende Punkt für unser Verhalten, sie lehrt uns unser Denken. Ihr schenken wir unser Vertrauen. Das Mädchen hat nun eben diese Person“, Bruce räusperte sich, „den Joker, verloren. Nun steht sie in unserer Welt. Sie kann in die normale Wirklichkeit zurück, Alfred, wenn sie jemanden hat, der ihr zeigt, dass das der richtige Ort ist. Ohne ihr zu Nahe treten zu wollen, sie ist simple aufgebaut. Sie richtet sich nach dem, der ihr einen Weg zeigt, eine Richtung in die sie gehen kann. Ohne den Joker ist sie keine Mörderin, sie ist nur ein Mädchen“
 

Alfred musste sich, mit allem Respekt vor Master Wayne, wahrhaft das Lachen verkneifen. Natürlich machte es Sinn, was er erzählte, er war ja kein dummes Kerlchen. Doch, was brachte das. Wollte er den Babysitter für kleine Püppchen spielen?

„Master Wayne, ich versteh' schon. Aber ist das eine Bürde, die Sie sich wirklich freiwillig aufbinden wollen? Selbst wenn Sie es schaffen, wer sagt schon, dass, wenn der Joker zurückkehren und sich sein Mädchen wiederholen wolle, sie nicht wieder auf »die böse Seite« wechsle?“

„Das wird sie nicht“ Bestimmt nicht.
 

Bruce war sich der Ironie seiner Worte und vor allem seines fast überstürzten Handelns bewusst. Schließlich hatte er am eigenen Leib erfahren, was dieses psychologische Phänomen bewirken konnte. Nur ungern rief er sich die Missetaten des Mädchens zurück in Erinnerung, begonnen beim jüngsten Geschehnis. Wie viele Menschen dabei doch ums Leben kamen. Alfred hatte recht. Solch ein Verbrecher hatte etwas ganz anderes verdient, selbst eine Strafe wäre noch keine Genugtuung für dessen Opfer. Und dafür hasste er sie. Ja, ganz recht, für das, was sie getan hatte, was sie unschuldigen Menschen antat, dafür hasste er sie aus tiefstem Herzen. Solche Persönlichkeiten hatten nie auch nur einen Funken Respekt von ihm verdient, geschweige denn Gnade. Sie alle hatten das Schlimmste des Schlimmsten verdient und ihre Taten wären mit nichts, absolut nichts zu rechtfertigen.

Doch das Mädchen war anders und er glaubte fest daran, dass sie eine zweite Chance verdient hatte, schließlich war der Grund für ihre Sinneswandlung nun nicht mehr gegenwärtig. Sie könnte sich ein neues Leben aufbauen, auf den Trümmern ihres Vergangenen.

Sie war Opfer und sie war Täter gewesen und nur aus der Erfahrung dieser beiden Sichtweisen könnte sie ihre Vorstellung des rechten Handelns wiederaufbauen.

I Won't Change

Jazmin verharrte schon seit Stunden in stillem Grübeln und Ärgern. Sie wusste gar nicht, was ihr mehr Sorge bereitete, dass ihr Plan, ihrem Leben ein Ende zu setzten zum wiederholten Male schief gelaufen ist oder dass sie als Gefangene im Haus eines ihrer «Opfer» festgehalten wurde. Weder hatte sie bisher eine Erklärung für ihre Rettung, noch für ihren Aufenthalt am Rande der Zivilisation.

Doch ihrer angestrengten Überlegung sollte bald ein Ende gesetzt werden. Es klopfte, kaum hörbar, und ohne ein weiteres Geräusch öffnete sich die Tür zu Jazmins Zimmer. Erst dachte sie, der fiese Alte würde zurück kehren um ihr noch mehr Drogen zu verabreichen, aber als ein groß gewachsener Mann eintrat, überkam sie erst Abneigung, dann Pein. Ihre Gliedmaßen versteiften sich, schnell wendete sie den Blick zum Fenster und starrte aus leeren Augen in den Sonnenuntergang. Bruce suchte ebenfalls nicht ihren Blick, es schien, als befänden sich zwei unsichtbare Seelen in einem Raum, ohne sich gegenseitig zu bemerken. Er ging im Raum umher, tat so, als besichtigte er ein Museum, betrachtete im Vorbeigehen die wenigen Bilder die die Wände zierten und setzte sich schließlich auf einen Stuhl neben dem Bett, auf dem Jazmin saß. Die Stimmung war kühl und bedrückend, diese Stille, diese schrecklich schmerzende Stille zerrte an beider Nerven. Es schien nicht so, als käme unter diesen Umständen noch ein Gespräch zu Stande.
 

Bruce wollte ansetzten, doch jedes Mal überdachte er seine Formulierungen, formte die Lippen, doch es kam kein Laut. Wie solle man das Gespräch mit einem Psychopathen beginnen? Doch er versuchte an ihre Vernunft zu appelieren.

„Wer bist du?“, waren die einzigen Worte, die ihm schon seit Wochen klar und deutlich vor Augen erschienen. Die einzige Frage in Hinsicht auf das fremde Mädchen. Doch anstatt zu antworten starrte sie nur durch ihn hindurch und ignorierte seine Frage.

Aber Bruce ließ sich nicht so leicht entmutigen.

„Wie bist du zu dem geworden, was du bist?“ Die Worte klangen gut überlegt, doch hörten sich fast wie ein Flehen an, wie ein Flehen um eine Antwort, die die Qual beendet.

Doch Jazmin dachte nicht daran, sich dem zu stellen, wofür sie Konsequenzen tragen musste.

„Wenn ich du wäre, würde ich auch nicht antworten“, sagte er in vorwurfsvollem Ton, missbilligend schüttelte er den Kopf.

„Bist du dir überhaupt im klaren darüber, was du eigentlich angestellt hast?“ Jazmin fühlte sich wie ein kleines Kind, dass sich nun vom Vater Tadel anhören musste, weil sie die neue Vase zerdeppert hatte.

Äußerlich schien sie tot, als wäre sie geistig gar nicht anwesend, doch in ihrem Köpfchen schossen die Rechtfertigungen nur so durch die Gegend. Doch antworten wollte sie nicht, nein, sie konnte es nicht. Sie wusste ja selbst nicht einmal, wer sie war, was sie war, ob sie überhaupt existierte. Wen interessierte das schon. Zeit ihres Lebens hatte sie keiner gefragt, wer sie sei, was ihre Lieblingsfarbe ist, wann sie Geburtstag hat, all das interessierte doch kein Schwein. Sinnlose Informationen, die nicht gespeichert werden. Wer war sie schon. Ein Mensch, der atmet, der die Welt ein Stückchen schlechter macht.

Mittel zum Zweck. Nichts weiter.

Nichts weiter...
 

„Herzlichen Glückwunsch. Du bist tot. Das blonde Mädchen ist gestorben. Das ist es doch, was du wolltest. Nun bist du hier. Sieh' es als zweite Chance. Auch wenn ich mir noch nicht im klaren darüber bin, ob du sie verdient hast, aber nutze diese Gelegenheit. Ja, das ist alles was ich dir sagen wollte. Du musst dich verändern, um weiterzuleben“, er stand auf und wendete sich zum gehen, mehr war aus dieser einseitigen Konversation wohl nicht herauszuholen.
 

„Ich will mich nicht ändern...und weiterleben wollte ich auch nie“, sagte Jazmin plötzlich mit ihrer Glocken hellen Stimme ohne den starren Blick vom Fenster abzuweden.

Überrascht drehte Bruce sich wieder um.

„Verstehst du es nicht? Du bist frei. Du bist ein anderer Mensch. Alle, die dich kannten und, verzeih mir, das war unmittelbar nur der Joker, halten dich für tot. Du bist nicht mehr da, wo du vorher warst, du bist jetzt in der Realität. Ich kenn' dich nicht. Ich weiß nicht wer du bist oder wo du herkommst. Aber was ich weiß, ist, dass du Probleme hattest. Und diese sind nun mit dir auf den Highway gesprungen, mit dem Unterschied, dass du überlebt hast“

Wieder keine Reaktion. Das war entweder ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, doch Bruce beschloss sich nach dem Spruch zu richten: Kommt Zeit, kommt Rat. Es würde dauern, bis sie versteht, bis sie einsieht. Doch er hatte Zeit. Sowie der Joker beweisen wollte, das jeder schlecht ist, so würde er beweisen, dass jeder das Gute mit sich trägt. Ohne Ausnahme.

Sunshine Through The Rain

Tage vergingen. Die Zeiger rannten über das Ziffernblatt, holten sich ein und rannten weiter, doch es schien kein Ziel für diesen Wettkampf in Sicht. Minute für Minute verstrich und verschwand in der unergründlichen Vergangenheit.

Jazmin hatte seit Tagen keine frische Luft mehr geschnuppert. Der Käfig, in dem sie eingesperrt war, gebot ihr nun zwar einen Ausflug in die so hoch angepriesene, neue Welt, doch Jazmin wollte sie gar nicht sehen. Sie wollte nicht das tun, was man ihr vorschrieb, wobei es nur ein Angebot war. Sie bereute nie die Zeit, die sie hinter sich hatte, die Zeit, in der sie gefürchtet war, in der nicht sie sich fürchten musste. In der Zeit, in der sie leben konnte, wenn auch nicht hier, sondern in einer Welt, die so unreal war, dass man sie sich nicht einmal hätte erträumen können. Sie liebte und schätzte diese Welt. Sie gab ihr ein unbekanntes Gefühl von Kontrolle, wobei sie sich eher darauf verließ, dass der Joker diese besaß und ihr ein Leben schenkte, welches ihr die Sehnsüchte erfüllte, nach denen sie strebte.

Es war wohl der einzige Teil ihres Lebens, den sie auch mit gutem Gewissen als Existenz bezeichnen konnte. Und sie bereute nichts. Weder die Opfer, die auf ihre Kosten gingen, noch das Leid und Unglück und vor allem die Angst, die sie in diese gerichtete, einfältige und geordnete Gesellschaft brachte. Es hätte so schön werden können.
 

Doch auch sie hatte entdeckt, dass es hier nicht um sie ging. Wie so oft. Dass sie nur eine Waffe war, die, wenn sie keine Munition mehr besaß, einfach entsorgt wurde. Auf sie war verzichtbar, sie war nicht wichtig, kein Held, kein Schurke, kein gar nichts. Einfach nur ein unbedeutender Abschnitt in der Geschichte einer Metropole, die schon bald ein neues Highlight fand, auf die sie ihre Aufmerksamkeit richten konnte.

Doch umso mehr ihre Überlegungen in diese Richtung gingen, desto mehr schenkte sie den Worten ihres ...Retters Glauben. Hatte er recht? Konnte er recht haben, wenn er sagte, sie könnte ein neues Leben anfangen, wenn nicht sogar...ein besseres? Was wäre, wenn ihre Karten neu gemischt würden, sie wäre nicht mehr sie, nicht mehr ein niemand, sie wäre ein Mensch.
 

Sie hatte es endlich aus dem Bett geschafft und saß nun seit geraumer Zeit vor dem Fenster und starrte hinaus in den trüben Nachmittag. In lauen Tröpfchen rieselte der Regen vom grauen Himmel hinab auf die blutroten Rosen, auf die saftig grünen Bäume und auf das kleine Gewächshäuschen und bedeckte sie mit einer klaren Schicht aus Wasser.

Vorsichtig bahnte sich die Sonne einen Weg durch die schier undurchdringbare Wolkenschicht und kämpfte sich durch den grauen Schleier, bis ihre erhellenden Strahlen das kühle grau vom Nachmittagshimmel verbannte und die Erde mit einem wunderschönen Frühlingsregen segnete. Und langsam, ja, kaum wahrnehmbar, erhob sich ein Regenbogen in den schönsten Farben am Horizont.
 

Jazmin stand auf, doch die Bäume und ein Teil der Hauswand verdeckte ihr die Sicht auf ihn. Doch sie wollte ihn unbedingt sehen. Die schönen, bunten Farben, sie wollte sie sehen, sie wollte die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut spüren, doch das ging nicht von ihren Zimmer aus. Sie ging zur Tür, doch machte kurz davor halt. Mit diesem Schritt aus der Tür heraus, würde sie all ihre Vorsätze, so zu bleiben wie sie war und sich keinem mehr zu beugen, über den Haufen werfen. Doch das war im Moment das letzte, an dass sie denken wollte.

Sie öffnete behutsam die Holztür und schlich auf Zehenspitzen wie eine Ballerina den langen Flur entlang, immer Ausschau haltend, ob ihr nicht jemand über den Weg lief. Wie eine Katze auf sanften Pfötchen huschte sie die breite Treppe hinunter, die zum Foyer führte. Von von oben konnte sie die großen Fenster sehen, die die Eingangshalle mit Licht füllten. Sie sah, wie der Regenbogen immer mehr wuchs und mit schnellen Schritten lief sie über die blank polierten Fließen. Sie waren kalt an ihren Füßen, doch das störte sie nur wenig.

Sie legte sie Hände an die Glasscheiben und drückte sich das Näschen daran platt. Mit großen Augen folgte sie dem scheinbar unendlichen Regenbogen und hoffte an dessen Ende den Topf voll Gold zu finden. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, wollte die volle Schönheit der Farben auskosten, doch plötzlich erklang eine Stimme, nicht mehr als ein Flüstern, genau hinter ihr.

„Ist hübsch, nicht?“, Jazmin schreckte zurück, löste sich vom Fenster und taumelte einige Schritte rückwärts. Bruce bewegte sich keinen Zentimeter, schaute sie nur an, als erwarte er eine Antwort. Aus seinem Gesicht war keinerlei Gefühl abzulesen, er versuchte zu lächeln, doch es schien nicht zu gelingen. Jazmin blickte ihn erschrocken an, sie wusste nicht was sie sagen sollte. Schon lange hatte sie ihre sozialen Kontakte nicht mehr gepflegt, wusste nicht, was man in solchen Situationen erwiderte, aber diese Situation war ja auch etwas besonderes.
 

„Hast du dich entschieden?“, fragte er nun, es klang fast hoffnungslos, als wäre das Spiel schon verloren. Doch Jazmin wusste nicht zu antworten, statt dessen drehte sie sich nur um, erst langsam, dann rannte sie schnell zur Treppe und wollte so schnell wie möglich zurück. Was sollte man auf etwas antworten, auf das es keine Antwort gab? Alles überforderte sie, wer glaubte er, war er? So viele Psychologen haben schon versucht, etwas aus ihr herauszukitzeln und alle waren gescheitert. Da würde er sowieso nichts ändern können mit seinen in ihren Augen ketzerischen Vorhaben.

„Und ich dachte, du hättest die Kraft dazu, dich zu entscheiden, etwas zu ändern“
 

Jaja, dachte sich Jazmin, umgekehrte Psychologie konnte da auch nicht helfen, wollte er ihr etwa ein schlechtes Gewissen machen? Doch sie blieb am Treppenansatz stehen und blickte nachdenklich auf die Stufen. Naja, vielleicht gab es ja einen Grund, warum Psychologen das machten, vielleicht weil es wirkte...? Doch es war zu spät, sie hörte, dass Bruce ging und langsam verhallten seine Absätze. Blitzschnell drehte sie sich um.
 

„Ich bin Jazmin. Und wie ich zu dem geworden bin, was ich jetzt bin, weiß ich auch nicht. Mehr kann ich nicht sagen. Mehr weiß ich nicht“, bittend suchten ihre Blicke die seinigen, doch er ging weiter. Kam ihre Antwort zu spät? Hatte er sie etwa aufgegeben? Und wenn nicht? Wenn er sie gehört hatte, würde er wirklich das erfüllen können, was er versprach? Ihr ganzen Leben lang verließ sie sich auf Versprechen, die dann gebrochen wurden. Würde er seines halten?

Dusche

Sie hatte keine andere Wahl. Sie konnte nur in diese Richtung. Es war die einzig richtige. Wenn sie es nicht tat, wer weiß, was er mit ihr machen würde. Bestimmt verhaften lassen oder sie gar zurück in ihre Klinik schaffen. Nein, nicht in ihre Klinik, sondern nach Arkham, da, wo die ganz Schlimmen hin kamen. Denn sie war nicht besser. Gewesen. Jetzt wird alles anders. Sie würde es versuchen. Sie musste es versuchen. Sie einfach hatte keine Wahl.
 

Jazmin erkundete vorsichtig das Badezimmer, das direkt neben ihrem Zimmer lag. Es war ein kleiner, hell glänzender Raum. Das schimmernde Licht ließ ihn in einem zarten Gold erleuchten. Ein großer Spiegel hing über einem perlweißem Waschbecken. Gegenüber stand eine Dusche, neben ihr hingen Handtücher fein geordnet an goldenen Haken. Langsam trat sie vor den Spiegel, doch als ihr Blick den eines verwahrlosten, vernarbten Puppengesichtes traf, schrak sie so sehr auf, dass sie rückwärts an die kalten Fließen der Wand stieß.

Vorsichtig atmete sie wieder aus und wagte erneut den Blick in das Gesicht des Grauens.
 

Ihre Goldlöckchen waren nunmehr ein geringelter Wusch aus verfilzten Haaren, die letzten verbliebenen Korkenzieherlöckchen baumelten gelangweilt neben ihrem Gesicht herunter. Ihre großem grau- blauen Augen waren glasig und wirkten fast tot. Sie hatte Mühe, sich weiter zu fixieren. Ihre roten Lippen waren aufgesprungen und brannten. Sie blickte an sich hinunter und entdeckte Falten an jeglichen Stellen ihres kurzen Kostümchens. Ihre Knie waren aufgeschlagen wie bei einem kleinen Kind.

Sie raffte das Röckchen hoch, um die Narbe zu sehen, die sie sich bei der Flucht damals aus dem Fenster zugelegt hatte. Sie hatte eine unappetitlich blaue Färbung angenommen und das Blut, welches jedes mal aus der Wunde drang, wenn diese wieder aufriss, lag nun getrocknet auf ihrer Porzellanhaut.
 

Sie entdeckte noch weitere blutige Stellen an ihrem Körper, teilweise konnte sie sich nicht an deren Herkunft erinnern. Ihr rosa Kleid war nun mehr eine Mischung aus dunkelrot, altrosa und dunklen Flecken, die wunderbar zu den großen Löchern passten. Diese ganzen Mängel, ihre Wunden und überhaupt ihr verwahrlostes Aussehen, waren ihr lange nicht so intensiv aufgefallen wie in diesem Moment. Als hätte sie bisher alles verdrängt, den Schmerz der Wunden, das Unwohlsein in diesem Dreck. Doch jetzt störte es sie. Es brannte ihr auf der Haut, sie wollte dieses ganze Gesöff, diesen widerlich vergilbten Stoff, das eingetrocknete Blut loswerden. Sie rieb sich über die ihren Arm, erst langsam, dann immer schneller, bis sich ihre Haut rot färbte. Sie zog sich an den Haaren, riss sich die kleinen, süßen, roten Schleifchen aus den blonden Locken. Es schmerzte, doch das Gefühl der Befreiung war überwältigend. Ihr Gesicht verzog sich zu einer wutigen Grimasse, sie biss sich auf die Zähne, bis sie weh taten. Mit ihren zerkratzen Händen zerriss sie den Stoff ihres Kleidchens, bis er in rosa Fetzen auf dem Boden lag. Die Knöpfe an ihrem Oberteil platzen ab und regneten auf die Fließen.
 

Sie zog und rüttelte so lange an sich bis sie halbnackt im Badezimmer stand. Sie zog ihre weiße Spitzenunterwäsche aus und warf sie unachtsam in die Ecke. Ihre Haare umschlungen wild ihren dünnen Körper, sie mussten gewachsen sein, die Spitzen kitzelten sie in der Taille. Sie schaute nochmals in den Spiegel und sah mit voller Freude, dass sie nun wirklich gestorben war. Das Püppchen war tot, es lag in Fetzen zerrissen auf dem Boden.

Nun sah sie eine junge Frau, nicht unbedingt schöner, nicht unbedingt reifer, doch schlauer, um einiges. Sie würde nie wieder in die Rolle eines jemanden schlüpfen, der nicht existierte. Sie verlor das Gesicht, was nie bestand, sie bekam ein neues, welches gesehen wurde, nicht übersehen. Sie fuhr sich über die Haut, trotz der Narben, die dünn ihre zarten Wangen zierten, war sie dennoch weich. Eine neue Stärke überkam sie, unbekannt, doch schon die ganze Zeit da gewesen. Und nun würde sie geboren. Ein neuer Mensch. Ein Niemand war gestorben.
 

Sie drehte sich um und ging in die Dusche. Seit Ewigkeiten hatte sie kein Wasser mehr auf ihrer Haut gespürt. Sie drehte auf kalt und versuchte damit den Dreck von sich zu waschen. Den Schmutz der auf ihr lastete, schwer wie Backsteine. Die schweren Klauen, die sie auf ihren Schultern spürte, den Rauch, den Schein, diese surreale, paradoxe Welt. Alles sollte im Abfluss verschwinden. Sie rieb sich über Arme und Beine, hielt ihr Gesicht mitten den die Brause und ließ es von eiskaltem Wasser überströmen, dass wie kleine Eiskristalle auf ihre glühende Haut regnete. Der Schmerz verschwand, Sekunde für Sekunde. Das Wasser durchspülte ihre Haare und ließ sie in neuem Glanz erscheinen.

Das Gefühl war fast schön, wie das, was sie spürte als sie von dem Appartementhaus gesprungen ist.
 

Nach der Dusche schnappte sie sich ein Handtusch und ohne sich abzutrocknen lief sie pitschnass mit dem Tusch um Ihren Körper gewickelt durch ihr Zimmer zu dem massiven Kleiderschrank, der schon seit Tagen darauf wartete, geöffnet zu werden. Sie machte ihn vorsichtig auf und lugte neugierig hinein. Im allerersten Moment entdeckte sie gar nichts, bei genauerem Hinschauen, sah sie eine Reihe von schwarzen Kleidern auf Kleiderbügeln aufgehängt. Nun öffnete sie beide Schranktüren, in der Hoffnung, vielleicht etwas zu finden, was etwas mehr ihrem Geschmack entsprach, sie hatte ja nicht vor auf eine Beerdigung zu gehen.
 

Doch die andere Schrankhälfte offenbarte ihr nur einen Blick auf Unterwäsche...in schwarz und einige Schuhe. Die eine Hand hielt ihr Handtuch am Körper, die andere wühlte sich durch Schichtweise dunkle Klamotten. Doch ganz hinten, kaum erkennbar, flackerte etwas Gelbes auf. Sie griff danach und zog ein leichtes Sommerkleid in einem leuchtenden Gelb hervor. Na, wenn das nicht der Inbegriff der aufgehenden Sonne war.

Fröhlich ließ sie das Handtuch fallen und hüllte sich sogleich in den gelben Stoff, immer noch so nass, wie sie aus der Dusche kam, doch das störte sie nicht. Sie lief wieder in das Bad, nahm die Bürste, die auf der Ablage lag, in die Hand und kämmte sich ihr langes, blondes Haar. Massenweise Wassertropfen überschwemmten den einst so sauberen, hermetisch perfekt gesäuberten Boden und umspülten Jazmins nackte Füße. Sie drehte ihre nassen Haare über dem Waschbecken und rang ihnen den letzten Tropfen Feuchtigkeit aus.
 

Plötzlich klopfte es, was Jazmin anfangs gar nicht vernahm, doch als sich das Klopfen in eine Art Hämmern umwandelte, trat sie verwundert aus dem Bad und rief mit ihrem süßen Stimmchen:

„Herein?“, was tatsächlich eher wie eine Frage klang, als wie eine Aufforderung Einzutreten. Die Tür ging auf und Alfred kam hinein. Er suchte das Mädchen auf den Bett, doch als er tropfendes Wasser zu seiner rechten vernahm, blickte er die geduschte und umgezogene Jazmin aus ungläubigen Augen an. Er schien kurz vergessen zu haben, warum er eigentlich gekommen ist, doch dies fiel ihm schnell wieder ein.

„Master Wayne wünscht mit Ihnen zu Abend zu essen, in einer halben Stunde“

Jazmin nickte, etwas peinlich berührt, so in der Euphorie ihrer optischen Metamorphose ertappt worden zu sein. Alfred erwiderte das Nicken und verließ, fast ein wenig in Eile, das Zimmer.

Eat Me

Sie Sonne neigte sich langsam dem feuerroten Horizont und warf ein leuchtendes Orange in die riesige Küche im Wayne Manor. Bruce saß schon seit geraumer Zeit an einer reich gedeckten Tafel, bestückt mit Brot in den verschiedensten Sorten, frischem Aufschnitt und all den Mist, den ein normaler Mensch nie essen würde.

Ungeduldig nippte er immer wieder an seinem Wasserglas, wartend auf den Gast des Abends, der mit ihm heute essen sollte. Nicht oft hatte er Besuch bei sich, nicht hier. Also war das sozusagen das Debüt des großen Esstisches, der zur Feier des Tages für mehr als eine Person eingedeckt war.

Nervös schaute er auf seine Armbanduhr, die ihm das selbe verriet wie vor einigen Sekunden. Doch warum so hektisch, er hatte doch Zeit. Schließlich war er auf gutem Weg mit seinem Vorhaben, eine gestörte Persönlichkeit wieder mit sich ins reine zu bringen. Es würde noch viel Zeit brauchen, er wusste nicht wie viel, doch er würde sie sich nehmen. Er würde alle Zeit der Welt investieren, wenn es darum ging, Gotham City von Menschen freizuräumen, die sie nur ins Unglück stürzten. Zwar unterschieden sich die Waffen, die er für diese Schlacht brauchen würde, Geduld, statt Gewehre, stark von denen, die er sonst zu Hilfe nahm, doch was einen nicht umbringt macht einen nur stärker und schlauer.
 

Versunken in Gedanken merke Bruce gar nicht, dass ein Stuhl geräuschlos zurück geschoben wurde und sich eine Sonnenblume an seinen Tisch gepflanzt hatte. Erst als Jazmins tolpatschigen Hände das fein geordnete Besteck zum klappern brachten, schaute er erschrocken auf und nahm eine aufgerichtete Pose ein. Erst erkannte er das Gesicht vor sich gar nicht, das beschämt zur Seite schaute, nur auf den zweiten Blick bemerkte er, dass es sich um Jazmin handelte. Ihr gelbes Kleid passte perfekt und umschloss in großen Falten ihre schmale Figur.

„Schön, dass du gekommen bist“

Jazmin blickte skeptisch auf, ohne den Kopf anzuheben. Ihre großen blauen Augen starrten ihn von unten heraus an, was seine freudige Erwartung gleich wieder dämpfte.
 

„Gut, bitte, bedien' dich!“, sagte er leicht verwirrt und deutete auf den reich gedeckten Tisch. Doch nach dieser Aufforderung bewegte sich weder Jazmin noch Bruce selbst.

„Hast du keinen Hunger? Möchtest du vielleicht etwas anderes?“

Doch Jazmin schaute sich nur, ihre Hände im Schoß ruhend, aufmerksam um.

Bruce zuckte die Schultern und nippte weiter an seinem Glas.

Auf Jazmins Seele brannten tausende von Fragen, die darauf warteten, beantwortet zu werden, doch sie auszusprechen traute sie sich nicht. Nicht, weil sie Angst hatte, es war ihr peinlich ihren Feind, ihren Gegner zu fragen, wie er ihr das Leben gerettet hatte, zumal er ihr damit keinen Gefallen gaten hatte und diese Aktion eher ein Hinauszögern war als eine Lösung.

Sie kannte ihn nicht, noch weniger den Mann hinter der Maske, der ihr eigentlich kein Freund sein sollte. Er stand auf der anderen Seite. Er war nicht da, wo sie war und andersherum. Doch sie konnte sich ihr Überlegen mit keinem logischen Denken erklären.
 

Bruce schien von Jazmins innerem Kampf rein gar nichts mitzubekommen, geistesabwesend schaute er aus dem Fenster und kniff nachdenklich die Augen zusammen. Er schien seine eigenen Probleme zu haben.

Jazmin fasst sich ein Herz und erhob ihr zartes Stimmchen.
 

„Wie...“, mehr brachte sie nicht zu Stande, ihre Stimme brach mitten im Satz ab und sie musste sich räuspern. Bruce schaute interessiert auf, wartend darauf, dass das Mädchen das Schweigen endlich brach.

„Wie hast du das gemacht?“

Bruce schaute sie etwas stutzig an, doch schnell begriff er, worauf sie hinaus wollte. Nur mit wenigen, beziehungsweise gar niemanden sprach er über seine zweite Identität und die damit verbundene Technik und Waffen. Aber schließlich musste die Frage ja mal kommen. Er atmete tief ein und setzte an.

„Naja, weißt du“...war schon mal ein guter Anfang, „ich hab dich...aufgefangen“

Und als hätte Bruce einen stundenlangen Vortrag über die technischen Mittel und die kostspieligen Geräte gehalten, die eine wichtige Rolle bei dem schwierigen Unterfangen spielten, nickte Jazmin mit großen, aufmerksamen Augen und gab sich mit dieser Antwort zufrieden.

Bruce beschloss, dieses Thema erstmal nach hinten zu verschieben.

Weitere Minuten stillen Schweigens vergingen, Jazmin fixierte weiterhin die äußert interessante Ansammlung des Silberbestecks und Bruce hoffte inständig, dass irgendein Wunder diese Stille brechen würde, doch vergebens.
 

„Wir werden in ein paar Tagen nach Gotham City fahren“

Jazmin blickte interessiert auf, doch schnell wandelte sich die Neugier in Unbehagen. Sie wusste nicht, ob es so eine gute Idee war, wieder an den Ort aller Geschehnisse zu gehen. Dieses Haus hier bot ihr eine Art Unterschlupf, der sie vor der Vergangenheit, vor den Menschen, die darin eine Rolle spielten und der grausamen Welt schützte. Neuraler Boden, der sie langsam wieder dahin zurück führen sollte, wo sie eigentlich hingehörte: Die Realität.

Bruce merkte nicht, dass Jazmin damit nicht so ganz einverstanden war, aber schließlich war es ja nicht ihre, sondern seine Entscheidung und sein Plan, ihr Leben komplett umzukrempeln.

„Du wirst bei mir wohnen, später vielleicht in einem Hotel, ich weiß noch nicht genau. Ich denke, es wird dir gefallen“

Jazmin zog nun argwöhnisch eine Braue hoch. Ach ja, er wusste ja ganz genau, was ihr gefiele, da er sie ja auch so gut kannte. Immer dachten alle, sie wüssten besser darüber Bescheid, was ihr gefiele, was ihr gut tat.

Doch was sollte sie machen. Stumm nickte sie und starrte weiter auf den leeren Teller.

Sie hatte im Augenblick überhaupt keinen Plan, über ihr Leben, über ihre Zukunft. Sie hatte keine andere Wahl, als sich auf Fremde zu verlassen. Allein war sie wie ein kleines Reh auf der Landstraße, das den großen LKW auf sich zufahren sieht.

Nun war die Frage, glaubte sie an das, was man ihr erzählte, würde ihr Leben sich wirklich zum besseren wenden können? Hoffnung hatte sie keine, doch sie wusste, ganz tief in ihrem Inneren, es würde sich etwas ändern.

Auf. Jeden. Fall.

On My Mind

Brav standen des Püppchens kleine, braune Schühchen neben der alten, zerfetzten Couch im Appartement des Jokers. Eine beißende Kälte zog sich durch die rauchige Luft und brachte das kondensierte Wasser an den Fensterscheiben zum gefrieren. Gelangweilt saß der Joker auf einem alten Ledersessel und wippte nervös mit seinem Fuß auf und ab.

Seit das Püppchen weg war, sind alle Vorhaben des Jokers zerplatzt. So viel hätte er noch mit seinem erschaffenem Monster anstellen können. Was wäre nach dem Wayne Tower gekommen? Vielleicht das Weiße Haus?

Es ärgerte ihn, dass er sich nun ein neues Spielzeug suchen musste. Auch wenn das kleine, dumme Püppchen nun im kranken Kosmos seiner verrückten Welt fehlte, müsste er sich wohl oder übel was anderes ausdenken, um seinem Freund im Fledermauskostüm zu ärgern. Irgendwie vermisste er das ungeliebte Püppchen. Sie tat immer was er wollte, war eine Kreatur, die auf der Welt war, um zu hassen, um zu töten. Nicht viele Menschen hatten diese liebenswürdigen Eigenschaften.

Doch irgendetwas kam ihm merkwürdig vor. Seit den vielen Tagen, die er nun hier herum gammelte, wartend auf einen glorreichen Geistesblitz, hatte er weder in Zeitung noch in den Nachrichten auch nur irgendetwas über den mysteriösen Tod des Püppchens mitbekommen. Sie war der Medienwelt nicht unbekannt, spätestens nachdem sie eine Hauptrolle in dem Mordvideo des Polizisten spielte. Das wäre doch ein gefundenes Fressen für die Presse gewesen.
 

Mörder wird zum Opfer...oder... Suizid eines Psychopathen
 

Wenn er genau darüber nachdachte, hatte er auch am Abend ihres Todes keine Polizeirsirenen gehört, die die Leiche entdeckten und mitnahmen. Merkwürdig....sehr merkwürdig.

Angestachelt von dieser äußert wunderlichen Begebenheit sprang er auf und beschloss, sich ein wenig umzuhören und der Sache selbst auf den Grund zu gehen.

Niemand entkam ihm, auch wenn es ein kleines, unbenutztes Püppchen war.
 

Die Tage im Wayne Manor vergingen wie im Flug und die Stunde der Reise in die Vergangenheit, welche es für Jazmin werden sollte, rückte immer Näher. Heute würde sie ihre Heimat wieder sehen. Das wunderschöne Gotham City mit den unzähligen modernen Hochhäusern, mit den beschäftigten Workaholics auf den viel befahrenen Straßen, mit den verdreckten Slums, in denen Obdachlose und Kleinkriminelle ihr Unwesen trieben. Oh, ja, du wunderschönes Gotham, mit all deinen mehr oder weniger einladenden Reizen.

Doch nun würde sie eine andere Seite dieser Großstadt kennen lernen. Nicht die düstere, verkommende Seite, nein, nämlich die Seite, in der sich Gotham auf Hochglanz geputzt hat und sich von seiner allerbesten Seite zeigt. Schimmer und Schein, Geld und Konsum. Und vor allem Macht.

Sicherlich wäre es interessant, mal von dieser angenehmen Richtung aus auf die Welt zu schauen, doch innerlich hatte sie ein äußerst unbehagliches Gefühl, welches sich von Sekunde zu Sekunde verstärkte und ihr ein flaues Gefühl in die Magengegend zauberte.
 

Jazmin hob den Blick in den klaren Nachmittagshimmel. Die Steintreppe, die vom Wayne Manor hinaus auf die Einfahrt führte, in der der Rolls Royce schon auf sein Einsatzkommando wartete, war mit Kirschblüten in einem zartem rosa bedeckt. Wie ein Teppich betteten sie die wohlige Atmosphäre.

Sie drehte sich noch einmal kurz um und warf einen letzten Blick auf ihre Heimat- auf- Zeit. Sie hatte das imposante Gebäude noch nie richtig von außen gesehen. Es sah beinahe aus wie ein altes Schloss oder wie eines der mächtigen Herrenhäuser in irgendeinem britischen Schmachtfilm.

Sie überkam fast ein Gefühl von Sehnsucht, als sie die porösen Mauern des Hauses mit ihrem aufmerksamen Blick streifte. Auch wenn sie hier nicht freiwillig gewesen ist, sie fühlte sich wohl in der Gegenwart des schützenden Steins, der jedem Wind und Wetter...und Sprengstoff widerstehen würde. Doch ehe sie noch weiter in Gedanken abdriften konnte, kam Bruce aus dem Eingangsportal und schloss die große Flügeltür hinter sich. Er ging an ihr vorbei, schenkte ihr ein kurzes Lächeln und lief dann in eiligen Schritten die Steintreppe hinunter zum warteten Rolls Royce. Jazmin folgte ihm mit zaghaften Tempo. Sie trug eines der schwarzen Kleider, die im Schrank lagen, dazu ein paar hohe, korrigiere, sehr hohe schwarze Lack High Heels. Das Laufen in solchen Schuhen fiel ihr mehr als schwer. Nie war sie ein Freund solcher mörderischen Waffen, doch schwankend und taumelnd gab sie ihr Bestes.
 

Bruce wartete am Wagen und öffnete die Tür, ganz Gentleman-like. Jazmin war diese ganze Aufmerksamkeit nicht gewohnt. Mit grobem Umgang konnte sie besser umgehen. Zögerlich stieg sie ein. Der Innenraum des Wagens passte perfekt zu ihrem High Society- tauglichem Outfit. Pechschwarze, glänzende Lederbezüge schmeichelten Jazmins nackten Waden. Die Scheiben waren stark getönt, schon allein das Hinausschauen fiel ihr schwer. Der Fahrerraum war abgetrennt von dem ihrigen Abteil.

Bruce folgte ihr auf die Rückbank und schloss die Tür hinter sich. Jazmin wunderte sich, wer denn überhaupt fahren würde, wenn nicht er. Bis ihr einfiel, das solche Menschen ja einen Chauffeur besaßen.

Jazmins blondes Haar war streng hinten zusammengebunden, lediglich eine goldene Locke hatte sich gelöst, an der sie nun nervös herum spielte.

Bruce bemerkte dies, auch Jazmins hektische Blicke durch den dunklen Wagen verrieten ihm, dass mit ihr etwas nicht stimmte.

„Alles in Ordnung?“, fragte er mit leiser Stimme.

Jazmin schaute ihn kurz an, nickte und blickte dann zum Fenster hinaus. Die leuchtenden Farben des schönen Frühlingstages waren nun in ein finsteres Grau getunkt.

Sie fuhren eine wunderschöne Allee entlang, die den auf Hochglanz polierten Rolls Royce mit kleinen Blütenblättern bedeckte.

Bruce schien mehr als überfordert mit dieser Situation zu sein. Sonst war es leichter, Feinde zu bekämpfen, sie nun mit sich im teurem Wagen mitfahren und bei sich wohnen zu lassen war schon merkwürdig.
 

Es dauerte lange, bis sie die Stadt über den viel befahrenen Highway erreicht hatten und bis zur Hälfte der Autofahrt fiel auch kein Wort, weder von Bruce noch von Jazmin.

Sie schaute nur gedankenverloren aus den dunklen Scheiben, hinaus auf die unzähligen Skyscraper, die wie Gänseblümchen aus der Erde stachen und bis in die Wolken reichten.

Nun war sie wieder hier, sie hätte nie damit gerecht, überhaupt nochmal irgendwo hinzukommen, doch Dank des selbstlosen Rettungseinsatzes des freundlichen Herrn neben ihr, kehre sie in diese Welt, in seine Welt zurück. Nicht die Welt von vorzeige Millionär Bruce Wayne, die sie wohl oder übel nun kennen lernen würde, nein, sie kam in das Teretorium des meist gesuchtesten Verbrechers der Stadt zurück.

Wenn er heraus fand, dass sie noch am Leben war, würde es wahrscheinlich nur wenige Tage, ach was, Stunden dauern, bis er sie hatte. Und sie könnte sich darauf verlassen, dass sie nicht ein drittes Mal verschont würde. Auch diese »Glückssträhne« würde irgendwann mal ein Ende haben. Sie hatte Dinge gesehen, erlebt und vor allem getan, deren Hervordringen an die Öffentlichkeit nicht nur Schaden bringen würde. Schon allein bei dem Gedanken bekam sie feuchte Finger, die sie nervös knetete.
 

Irgendwie war es schöner, auf der anderen Seite zu stehen, auf der Sicheren. Was hätte dieser Batman ihr schon angetan. Ihr, dem kleinen, unschuldigen Püppchen. Sie hätte doch ganz Gotham in die Luft sprengen können, ohne das er etwas hätte tun können. Doch der Joker, er war anders. Er handelte nicht nach seinem mehr oder weniger gut ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Er würde, wenn er sie hier fand, ohne Gnade umbringen.

Schmerzhaft. Qualvoll.

So, wie sie es verdient hatte. Die Verräterin. Sie spürte schon das kühle Metall des Messers an ihrem Hals, wie es langsam ihre zarte Porzellanhaut aufschnitt. Ganz. Langsam.

Sie schrak fürchterlich auf, als Bruce sie ansprach.

„Wie lange lebst du schon in Gotham?“

Jazmin drehte den Kopf zu ihm und schien zu grübeln. Als Antwort erhielt er nur ein „Lange“.

Seit ihrer Geburt hatte sie die Stadt nie großartig verlassen. Umso besser kannte sie diverse Einrichtungen der Psychiatrie und Nervenkliniken.

Bruce nickte, schien noch mehr fragenzuwollen, doch ihm fiel keine schöne Überleitung zu »Wie bist du zu einer Mörderin geworden und warum hast du dich dem Joker angeschlossen?« ein. Stattdessen sagte er das:

„Du weißt, dass das deine letzte Chance ist. Meine Geduld hat auch irgendwann ein Ende. Wenn du Probleme machst, landest du auf dem Präsidium. Ich vertraue dir nicht. Noch nicht. Also glaub nicht, du könntest dir alles leisten“

Seine Stimme klang trotz des ernsten Inhalts ziemlich locker und gelassen. Jazmin wusste, dass er das ernst meinte. Er sah nicht aus wie einer, der zu Scherzen aufgelegt war. Doch drohen ließ sie sich nicht. Sie ist bisher noch jedem entkommen. Wirklich. Jedem.

Sie nickte in stummer Zustimmung. Alles klar, Boss.
 

Nach der ewigen Quälerei über den Highway kamen sie endlich in die City, in der es nur so von Menschen wimmelte, an. Jazmin entwickelte innerhalb dieser wenigen Minuten eine paranoide Eigenart und glaubte, unter jedem violetten Mantel ein Clownsgesicht zu sehen, das nur darauf wartete, sie um den Verstand zu bringen. Der Rolls Roycs hielt und riss Jazmin aus ihren paranoiden Vorstellungen.

„So, da sind wir“, sagte Bruce mit einer Art Lächlen auf den Lippen und schnallte sich ab.

„Aber pass' auf, es könnte hektisch werden“

Was er damit meinte, verstand sie erst, als ihr beim Aussteigen das Blitzen rießiger Kameras die Augen blendeten. Schützen liefen zwei stämmige Männer in schwarz vor ihnen und versuchten die Sicht der Paparazzi einzuschränken. Dennoch drang das störende Blitzgeräusch an Jazmins Ohren und verwirrte sie zunehmend. Sie fühlte sich sichtbar unwohl, versuchte mit den Händen ihr Gesicht zu verdecken, sie bereute, dass sie nicht so eine schicke Sonnenbrille wie die Bodyguards besaß, ihr stünde sie sicherlich besser.

Doch ehe die aufsässigen Paparazzi sie zertrampelten, nahm Bruce Jazmins Hand und zog sie durch die gierige Menschenmasse. Sie gingen in ein gläsernes Gebäude, dass sie nicht wirklich vor neugierigen Blicken schützte.
 

Bruce wollte genau dies verhindern, doch vergebens. Diese Leute waren wie die Schmeisfliegen, überall da, wo sie einen Skandal rochen und zur Hölle, das war der vermutlich der größte Skandal den Gotham je erlebte, sofern er aufflog. Was würde das mit Bruce Waynes Image anstellen, wenn heraus kam, dass er sein Appartement nun mit einer gesuchten Psychopathin teile? Doch er versuchte diese negativen Gedanken von sich zu schütteln. Dieses Mädchen hatte keinerlei Gemeinsamkeiten mehr mit dem verwahrlosten Püppchen, äußerlich und vielleicht auch irgendwann innerlich. Damit jemand da drauf käme, bräuchte es schon einige gute Spürnasen und bessere als seine gab es sowieso keine.

Er war Bruce Wayne.

Wenn jemand ihn beschuldigte, einen Mörder bei sich unterzubringen, würde er ihn verklagen und dieser Möchtegern hätte keine Chance. Nur ein Vorteil von vielen seiner gesellschaftlichen Stellung.
 

Sie kamen an einen Fahrstuhl, der seine stählernen Türen wie von Zauberhand öffnete, als sie ihn erreichten. Die Bodyguards ließen sie am Eingang zurück. Jazmin traute sich zum ersten Mal nach dieser Farce durchzuatmen. Wie gesagt, menschliche Kontakte waren nicht so ihr Ding.

Etwas benommen von dem ganzen Trubel blickte sie zu Bruce, welcher nur ernst geradeaus starrte. Er überlegte jede Sekunde, ob dies wohl eine richtige Entscheidung gewesen sei. Und er hoffte inständig, nicht geirrt zu haben. Er setzte alles, wirklich alles aufs Spiel.

Sie wusste nicht nur über Gothams Untergrund Bescheid, sie kannte auch ihn, Batman. Sie könnte im selbst, aber auch den Gaunern Gothams schaden. Es war also besser, sie auf seiner Seite zu haben. Auf der anderen könnte sie nun mehr Schaden anrichten als zuvor. Und das machte ihm Angst, wenn auch nur wenig, aber im Hinterkopf meldete sich immer wieder eine laute Stimme, die sagte »Du irrst«, doch er versuchte sie so gut es ging auszublenden. Der Fahrstuhl raste in unglaublich schnellem Tempo die unzähligen Stockwerke des Appartementhauses hoch und hielt so abrupt, dass Jazmin sich fast übergeben musste.

Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich und sofort strahlte helles Licht in jede Ecke. Bruce ging voraus und bedeutete ihr ihm zu folgen.

„Gut, da wären wir. Schau dich nur um, ich muss gleich wieder los. Falls du ein Problem hast“, und mit gesenkter Stimme fügte er hinzu, „oder eines machst, die Security ist nicht weit“

Mit diesen Worten verschwand er in einem Zimmer und ließ Jazmin allein.
 

Vorsichtig durchquerte sie das riesige Appartement, dessen Wände geschätzt mindestens 5 Meter maßen. Alle Außenwände waren verglast und das hinein scheinende Sonnenlicht zog Jazmin magisch an. Sie blickte hinaus auf das wunderschöne, in ein seichtes rot getauchte Gotham, das sie mit blendend geputzten, stählernen Mauern begrüßte, die das Sonnenlicht in allen möglichen Farben reflektierten.

Irgendwo da draußen war ihre Heimat, die, die nun mehr ein Häufchen Asche war und die, die wahrscheinlich darauf brannte, sie wieder in ihre schmierigen Finger zu bekommen. Doch warum sorgen, warum ein Problem dort entstehen lassen, wo keines war. Wie bitte sollte ER herausfinden, dass sie noch am Leben war.

Vielleicht hatte Bruce ja recht. Sie hatte diese zweite Chance bekommen, ein neues Leben zu beginnen, nachdem sie ihr altes beendet hatte. Vielleicht sollte sie doch noch einmal in ihrem trostlosen Leben so etwas wie Glück haben, vielleicht war das die Wiedergutmachung von dem >Da Oben«, der sie nicht unbedingt mit einer glücklichen Kindheit gesegnet hatte.

Die Zeit des Sorgens sollte, nein, musste ein Ende haben. Und zur Hölle, ja, sie hatte ein Ende!

Just Dreamin'

Es war dunkel. Eiskalte, unbarmherzige Dunkelheit, die einem jede Sicht in die klare Wahrheit verwehrte. Dennoch fror Jazmin nicht. Sie trug ihr kurzes Kostümchen, welches, zu ihrer Verwunderung, nicht zerissen auf dem Badezimmerboden im Wayne Manor lag, sondern wie angegossen an ihrer Porzellanhaut saß. Verwirrt blickte sie sich um, doch konnte nichts und niemanden sehen. Sie fühlte sich unwohl, denn obwohl sie niemanden sah, spürte sie ganz deutlich, dass jemand hinter stand. Ganz. Nah.

Doch als sie sich umdrehte, um zu sehen, wer da war, war es lediglich die bekannte Dunkelheit, die sie umwarb.
 

Mit den Händen fuhr sie durch die Luft, um etwas oder jemanden zu ertasten, doch vergebens. Nichts geschah. Diese Stille, diese unglaublich laute Stille schmerzte ihr in den Ohren, sodass sie das Gefühl hatte, ihr Kopf zerplatze in tausend Stücke. Sie ging einige Schritte, schneller, immer schneller, rannte durch die auffressende Dunkelheit, weiter, weiter, immer weiter, doch kam nirgends an. Und plötzlich spürte sie wieder diesen Schatten, der sich hinter ihrem Rücken verbarg. Der warme Hauch streifte ihre Haut, verpasste ihr eine Gänsehaut. Ihr Herz machte einige Sprünge, sie wusste nicht warum, denn sie fürchtete sich nicht mehr. Die Dunkelheit machte ihr Angst, aber der Schatten hüllte sich um sie und vergrub sie in dieser eiskalten Wärme.

Und mit auftauchen des Schattens ertönte ein leises Geräusch, das immer lauter wurde und sich wie ein Lachen anhörte. Es erinnerte sie an etwas, doch ihr fiel nicht ein, an was. Doch es kam ihr bekannt vor und gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Das Lachen wandelte sich in eine Stimme um, still aber bestimmt. Sie war sanft und verbannte die schmerzende Stille aus ihrem Kopf. Die Stimme sagte ihr etwas, doch sie verstand nicht was. Sie drehte sich hektisch um, in der Hoffnung, sie besser zu verstehen, doch die leise Stimme erstarb und ein neues Geräusch, lauer, viel, viel lauter, kam auf sie zugezischt.
 

Es hörte sich an wie ein Feuerwerk und durch die Dunkelheit kam auf einmal ein heller Blitz auf sie zu gerast. Und so schnell der Blitz auftauche, so schnell und unerwartet traf er sie wie derber Schlag in den Bauch. Es schmerzte unglaublich. Jazmins Knie wurden weich, betäubt vom zerrendem Schmerz, der sich rasant durch ihren ganzen Körper verbreite. Doch als sie zusammenbrach, als ihre dünnen Beinchen sie nicht mehr halten konnten, fing der warme Schatten sie auf und umschloss sie, hielt sie so fest, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte.

Und sie ließ sich fallen, der Schmerz ließ nach. Die unglaubliche Wärme rückte an dessen Stelle und erfüllte sie mit Ruhe und Müdigkeit.

Endlich.
 

Jazmin schrak schweißgebadet auf und blickte sich um. Was war das? Was ist passiert? Sie brauchte einige Zeit um zu begreifen, dass es nur ein Traum war. Nur. Ein. Traum. Nichts weiter.

Erst auf den zweiten Blick erkannte sie, dass es sich um ihre neue Heimat, dem großen Appartement von Bruce Wayne handelte. Mit ihren feuchten Fingern rieb sie sich den Kopf, der tatsächlich weh tat und versuchte ihr schnelles Atmen unter Kontrolle zu bringen. Sie schüttelte sich und versuchte, die schlechten Erinnerungen an den Traum loszuwerden. Was er zu bedeuten hatte, sofern er überhaupt eine Bedeutung hatte, war ihr ein Rätsel. Doch sie wollte nicht an die Dunkelheit denken und an den hellen Blitz, der ihr soviel Schmerz zugefügt hatte. Lediglich der warme Schatten blieb in ihrem Gedächtnis. Sie versuchte sich in diesen guten Erinnerungen zu wiegen und zu beruhigen und legte sich wieder in ihr Bett, dessen eine Seite genau an einem der riesigen Fenster lag. Sie drehte sich auf diese Seite und blickte mit verschlafenen Augen hinaus auf die von Leuchtreklame und Straßenlaternen erhellte Stadt. Es war mitten in der Nacht und Jazmin konnte sich gar nicht lange wach halten, bis ihre Äuglein erschöpft wieder zufielen und sie in einen traumlosen, tiefen Schlaf gezogen wurde.

Puzzle

Am nächsten Morgen wachte Jazmin nach dieser unruhigen Nacht erst spät auf, doch zu ihrer Überraschung war sie nicht allein. Als sie sich schlaftrunken über die Augen rieb, sah sie aus der Ferne, dass Bruce mit einer Zeitung in der Hand am Küchentisch saß.

Das Appartement war sehr groß und hatte so gut wie keine Raumbegrenzung. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche war so gut wie in einem riesigen Zimmer. Durch die Wohnung zog sich ein fast neurotisch perfekter Einrichtungsstil. Der Boden, Teppiche, Möbel, sowie Betten, Tische, Stühle und so weiter waren in einem schlichten weis gehalten. Jazmin hätte meinen können, sie sei im Jahre 2300 aufgewacht.
 

Sie schlug die dünne Bettdecke beiseite und schlurfte in trägen, aber leisen Schritten hinüber zu Bruce. Sie trug ein weites Nachthemd, das so gut wie jede Kurve ihres Körpers unter weißem Stoff versteckte.

Bruce schien sie kommen zu hören, doch machte kaum Anstalten sie zu bemerken. Erst als sie einen Stuhl unter dem Tisch hervor schob und sich drauf setzte, blickte er auf und schenkte ihr ein seliges, aber verhaltenes »Guten Morgen«. Jazmin erwiderte den Gruß mit einem gut gemeintem Knurren in Form eines »Hmm«. Geknickt saß sie am Tisch und suchte ihn nach Frühstück ab, doch die Oberfläche war so leer wie ein Freibad im Winter. Doch als Bruce sie fragte, ob sie einen Kaffee wolle, schüttelte sie den Kopf.

„Hast du gut geschlafen?“, fragte er und suchte ihren Blick, der allerdings starr auf den Tisch gerichtet war.

„Ja, geht so“

Bruce verzweifelte fast daran, ein Gespräch mit diesem Mädchen zu beginnen. Sie blockte ja jegliche Versuche einer Konversation ab und erstickte seine Hoffnungen, ihr etwas entlocken zu können, im Keim. Doch er konnte nicht aufgeben. Alles was sie bräuchte war Zeit.

„Wenn dir das Nachthemd nicht gefällt, tut's mir Leid. Ich lass dir ein neues besorgen“

Nun blickte Jazmin leicht amüsiert auf und erwiderte: „Na, hässlicher als die schwarzen Klamotten ist es nicht“ und versuche ihr leises Kichern zu verbergen. Bruce war erleichtert, dass sie ihm in dieser Sackgasse entgegen kam und setzte in das Lachen ein.

„Am besten, du gehst selbst und suchst dir was schönes aus“, fügte er hinzu und nahm eine entspanntere Sitzposition ein. Das Eis war so gut wie gebrochen, wenn auch nur ein wenig angekratzt, aber das würde reichen. Aller Anfang war schwer. Immerhin redete sie.
 

Er beschloss diesem Redefluss Jazmins keinen Abbruch zu tun und begann das oberflächliche Thema weiterzustricken.

„Am besten gleich heute Nachmittag. Ich rufe in ein paar Boutiquen an, die dich bedienen werden“

Jazmin schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht, ich kenn' mich in der City überhaupt nicht aus. Ich würde mich wahrscheinlich hoffnungslos verlaufen“ Wieder ein zuckersüßes Kichern, das wieder schnell und schüchtern verschwand.

„Kein Problem, ich schick dir Alfred mit“

Nun war der perfekte Grundstein gelegt, um ihr Fragen zu stellen, die ihn interessierten, ganz unverfänglich, versteht sich.

„Also hast du früher nicht IN Gotham gelebt? Wohl in den Suburbs, oder?“
 

Bruce wusste aus verlässlichen Quellen, dass sie außerhalb Gothams wohnte, in einem der großen, alten Herrenhäuser. Später brannte sie es gemeinsam mit dem Joker ab, es erschien in allen Nachrichten. Soviel er wusste, lebte dort nur noch ihr Vater, der tragischer Weise dabei ums Leben gekommen ist. Grund dieses Verbrechens kannte werde er noch sonst irgendjemand. Es wurden die tollsten Vermutungen seitens der Polizei aufgestellt, doch Bruce wollte es selbst hören, aus dem Mund der Täterin. Die schlichte Wahrheit.
 

Doch sofort kühlte Jazmin ihre gute Laune wieder auf ein Minimum herunter. Sie schien zu ahnen, worauf dieses Gespräch hinaus laufen sollte.

Sie antwortete mit einem kurzem und knappem »Ja«.

„Hast du dort mit deiner Familie gelebt? Erzähl mal ein bisschen“

„Nein“

Bruce schaute sie verwirrt an.

„Nein. Ich möchte darüber nicht reden“ Verdammt. Die Brücke, die er sich gerade aufgebaut hatte, riss er im selbem Atemzug wieder ein. Er war so kurz davor, das konnte es noch nicht gewesen sein.

„Wieso? Was ist passiert?“, es klang flehend und er flehte auch. Er flehte um eine Antwort. Er brauchte sie, nur mit ihr konnte er ihr Rätsel und damit vielleicht auch ihre Probleme lösen. Es war doch nur um ihr selbst zu helfen. Begriff sie das nicht?

„Ich habe gesagt, ich will darüber nicht reden“, sagte sie in bestimmtem Ton, stand auf und ging wieder hinüber zu ihrem Bett. Sie setzte sich, schlang die Arme um die Knie und lehnte sich an die Glasscheibe. Wie konnte er es nur wagen, sie danach zu fragen. Was bildete er sich ein? Dass sie ihm alles auf dem Silbertablett präsentieren würde? So leicht würde sie es ihm nicht machen.
 

Bruce senkte den Kopf. Doch anstatt wütend zu sein, strich er sich nur über die Haare und seufzte. Gut, das hatte er versaut. Er hatte einen Fehler gemacht, weil seine Ungeduld ihn in den Wahnsinn trieb. Sonst löste er Probleme mit einem kräftigen Schlag ins Genick oder in den Bauch. Doch das hier war um einiges anstrengender. Und es zehrte an seine Nerven.

Er beschloss, Geschehenes wieder gut zu machen und stand ebenfalls auf. Er ging zu Jazmin und stellte sich mit einem Sicherheitsabstand von gut 2 Metern entfernt von ihrem Bett hin und sagte in reumütigem Ton: „Es tut mir Leid. Ich hätte dich nicht drängen sollen“

Doch sie schüttelte nur den Kopf, „Schon gut“, und schaute weiter aus dem Fenster.

Er wollte noch etwas sagen, doch merkte, dass es genug war. Er hatte Zeit und er musste sie ihr lassen. Doch zu seiner Überraschung drehte Jazmin sich zu ihm und bedeute ihm sich zu setzten.

„Du kannst ja nichts dafür. Du hast es verdient zu erfahren, wer hier mit bei dir wohnt“

Jazmin nahm eine bequemere Haltung ein und ließ die Beine von Bett baumeln.
 

„Ja, ich lebte dort mit meiner Familie. Wir unternahmen immer viele Sachen. Gingen in die City einkaufen oder spazierten durch den Park. Doch als ich 6 Jahre alt war, starb meine Mutter. Was das witzige ist, ich hab nie erfahren warum sie damals starb. Sie war von einem Tag auf den anderen einfach weg. Und mein Vater redete auch nie über sie, so hatte ich das Gefühl, nie eine Mutter besessen zu haben. Sie existierte bis zu einem Zeitpunkt und danach verschwand sie wie Luft. Vielleicht starb sie an irgendeiner Krankheit oder sie hatte einen schrecklichen Unfall. Ich hab keine Ahnung“
 

Jazmin starrte die ganze Zeit auf den Boden, während sie erzählte. Doch Bruce saß ihr aufmerksam gegenüber und lauschte jedem Wort, das sie ihm erzählte.

„Naja, von da an lebte ich mit meinem Vater dort... allein...in dem großen Haus. Ich weiß noch, dass ich mich immer schrecklich gefürchtet habe, als nachts die alten Wände knackten und merkwürdige Geräusche machten. Ich hab mich dann immer in meinem Bett versteckt...bei meinen Puppen, wenn es wieder laut wurde...und wenn sich meine Zimmertür öffnete...und-“ Sie brach ab und machte eine kurze Pause, ohne sich zu bewegen oder aufzublicken. Ihr Gesicht verzog sich, als hätte sie irgendwelche Schmerzen. Nervös knetete sie ihre Finger.
 

Doch plötzlich schaute sie auf und machte ein lächelndes Gesicht. „Ich hatte viele Puppen...aus Porzellan. Die waren wunderschön. Einige müssten jetzt einen richtig hohen Wert haben“ Jazmin wusste, dass Bruce bekannt war, dass ihr Haus nun nicht mehr stand und auch warum. Und auch, dass sie daran beteiligt war. Doch sie erzählte diese Geschichte, als wäre sie die Unschuld vom Lande. Und er glaubte es ihr. Wie könnte er ihr auch nicht über den Weg trauen?

Sie ließ die wichtigsten Ereignisse weg, das Monster, dass sie floh, wie sie auf den Joker traf, dass sie zwei Jahre in der Psychiatrie war und dann entführt wurde. Und der Rest, der unweigerlich folgte.
 

Bruce wollte Jazmin nicht unterbrechen, doch es schien, als hätte sie ihre Rede beendet, denn nun schaute sie ihn an. Er wusste, dass nun der Teil kommen würde, der ihr Leben veränderte. Wie sie den Joker traf, würde er auch noch erfahren, später. Doch warum sie sich ihm anschloss, was sie dazu trieb, konnte er aus der kurzen Erzählung ihrer Kindheit nicht heraus hören.

Seine Eltern starben auch als er noch sehr jung war, doch trotzdem kämpfte er nun auf der guten Seite. Ihr muss etwas widerfahren sein, dass ihre Kenntnisse über Gut und Böse über den Haufen geworfen hatte. War es der Joker? War er der Schuldige?

Bruce beschloss, es dabei zu belassen. Er hatte nun keine andere Wahl, als ihren Worten glauben zu schenken, die Wahrheit würde schon zu ihm finden. Alles nur eine Frage der Zeit.

Das Phantom

Es sollte der Abend werden, an dem Jazmin das erste mal in ihrem Leben etwas tat, was für normale Menschen fast zum Alltag gehörte, doch für sie so ungewöhnlich war, wie für die Menschen große Häuser in die Luft jagen. Bruce hatte sie ins Theater eingeladen mit den Worten »Dass du auch mal in den Genuss der Kultur kommst« . Jazmin hatte nichts dagegen. Schaden kann's ja nicht.

Sie hatte eines der schwarzen Kleider an. Es ähnelte dem, dass sie trug, als sie hier her kam, doch war vom Schnitt her total anders. Es erinnerte an das gelbe Sommerkleid, nur dass das „kleine Schwarze“ ihr gerade bis zu den Knien reichte und wie ein BabyDoll geschnitten war. Eine große schwarze Schleife war an dem Rücken befestigt und hielt die wacklig gebundene Konstruktion mit Mühen zusammen. Skeptisch musterte Jazmin sich im Spiegel. Sie sah viel erwachsener aus und kam ihrem wahren Alter optisch gefährlich nahe. Das Püppchen war tatsächlich ein für alle Male gestorben und vor ihr stand ein neuer Mensch, der zwar nicht unbedingt in grenzenloser Schönheit erstrahlte, aber immerhin nicht schlecht anzusehen war. Ihr blondes Haar trug sie offen, es fiel in lockeren Korkenzieherlocken über ihre dünnen Schultern. Geschminkt war sie so gut wie gar nicht, denn spätestens als sie sich den Eyeliner zum dritten Mal in ihr Auge gerammt hatte, gab sie den Versuch, sich „hübsch“ zu machen endgültig auf.
 

„Bist du fertig?“, fragte eine zaghafte Stimme hinter ihr. Sie drehte sich um, dabei wehte ihr Kleid in großen Schwüngen um ihren Körper. Jazmin wusste zwar nicht, was fertig genau bedeuten solle, aber sie nickte zuversichtlich und sagte kaum hörbar „Ja“

Doch als sie der misstrauische Blick von Bruce traf, der grübelnd die Hand an das Kinn legte, sich dann umdrehte und verschwand, wurde sie nervös. Schnell überlegte sie, ob sie ihr Kleid nicht falsch herum an hatte oder kein Höschen trug. Nach einigen Minuten kam Bruce zurück und sagte:

"Da fehlt noch was“ Er nahm ihr Handgelenk und schmückte es mit einem schlichten, dünnen Silberarmband. Es fiel kaum auf Jazmins blasser Haut auf, doch im richtigen Licht glänzte es um sein Leben. Jazmin hob ihr Handgelenk nah vor ihr Gesicht, um sich das Schmuckstück genau anzusehen. „Danke“

Doch anstatt etwas zu sagen, lächelte Bruce nur und wendete sich zum gehen. Das Armbändchen war Nichts, im Gegensatz zu dem Schmuck, den Frauen in der „Upper Class“ so trugen, doch irgendwie gab es Jazmin das unscheinbare Gefühl, ein Mensch zu sein.
 

Sie fuhren gemeinsam mit der dezenten Limosine zum kleinen Theater, das eigentlich gar nicht so klein war. Es war ein großes Gebäude, gebaut im klassischem Barock Stil und ähnelte irgendwie dem Wayne Manor. In großen Leuchtbuchstaben stand der Name des Theaters „Le Plaisir“ an die Hauswand geschrieben und darunter tummelten sich hunderte von Leuten, die mit dem blendendem Blitzlicht der Kameras dem hell erleuchteten Gebäude den Glanz stahlen.

Wieder diese elenden Paparazzis. Jazmin begann innerlich schon zu fluchen, noch bevor die Kameras ein Bild schießen konnten. Zögerlich stiegen beide aus der schwarzen Limosine und liefen über den Teppich, der zum Eingang führte. Von beiden Seiten drangen Rufe hervor.

Ein „Mr. Wayne!“ von hier, ein „Wer ist Ihre Begleitung heute Abend?“ von da.

Bruce ging mit dem Getummel um, als kenne er seiner Lebzeit nichts anderes. Freundlich Lächelnd und nickend schritt er durch die kurze Gasse.

Jazmin hielt sich dicht an ihm, doch bemühte sich, ihn nicht zu berühren.

Fast hatten sie es geschafft, fast waren sie an der großen Glastür. Doch kurz bevor der entspannende Teil des Abend beginnen konnte, beugte sich eine Reporterin weit über die Abgrenzung hinüber zu Bruce, „Mr. Wayne, dürfen wir erfahren, wer sich heute mit Ihnen das Stück anschaut?“

Bruce lächelte weiter nett und sagte so belanglos wie möglich: „Eine nette Freundin“ und ging weiter.
 

Der Theatersaal erinnerte an eine dieser imposanten Operngebäude aus dem 18. Jahrhundert. Gold schmückte das Parkett und die Logen. Schwere, rote Vorhänge verdeckten die große Bühne und schummrige Lichter erleuchteten spärlich den knapp 20 Meter hohen Raum. Bruce und Jazmin saßen in der zweiten Etage und hatten eine ganze Loge für sich. Jazmin verbrachte nach dem Hinsetzen Minuten damit, sich aufmerksam umszuschauen, die aufwendigen Verzierungen auf dem Golden bemalten Holzbrüstungen zu studieren und den Geruch der Illusion einzuatmen, den das Theater ausstrahlte. Doch worauf sie sich eigentlich so intensiv vorbereitete, wusste sie gar nicht.

Sie lehne sich zu Bruce hinüber und fragte so leise sie konnte, was sie überhaupt sehen würden.

„Oh, hab ich dir das nicht erzählt? Wir schauen uns »Das Phantom der Oper« an“

Jazmin traute ihren Ohren kaum, denn das »Phantom der Oper« folgte auf ihrer Rangliste des guten Geschmacks gleich nach »Alice im Wunderland«.

Interessiert fragte sie weiter, „Du gehst bestimmt oft ins Theater, oder?“-

„Nein, nicht wirklich“, antwortete Bruce und grinste verlegen, „Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung, um was es hier überhaupt geht“ Teilweise stimmte das, teilweise wollte er Jazmin nur locken, ihm etwas zu erzählen, da sie sich scheinbar sehr für Theater zu interessieren schien.

In Jazmins Kopf läuteten die Alarmglocken und sofort sagte sie in gespielt schockiertem Ton: „Was? Dann bist wohl du eher der jenige, der mal in den » Genuss der Kultur« kommen muss“, sagte sie mit einem kecken Lächeln auf ihren Lippen, dass für ihre schüchterne Art eher ungewöhnlich war.

„Dann erzähl mir doch bitte, was ich mir heute Abend antue“, sagte Bruce.

Das musste er Jazmin nicht zweimal sagen, die sofort auftaute und ihre zurückhaltende Art über den Haufen warf.

„Also, es geht um Christine Daaé, die in einer französischen Oper im Ballett tanzte, aber durch ihre außergewöhnliche Stimme, die von den neuen Besitzern der Oper entdeckt wurde, zur Primadonna wird. Alle fragen sich, wie das Mädchen so eine ungewöhnlich schöne Stimme entwickeln konnte, bis sie heraus finden, dass sie Unterricht in Gesang vom berüchtigten Phantom der Oper, der sich für den eigentlichen Eigentümer der Oper hält, bekommt. Christine verliebt sich ihren »Engel der Musik«. Doch als ihr Freund aus Kindertagen, Raoul, wieder auftaucht, gewinnt er ihr Herz. Das Phantom wird eifersüchtig und lockt Raoul in eine Falle. Christine muss sich nun zwischen beiden entscheiden“
 

Jazmin lehnte sich wieder erleichtert zurück in ihren Stuhl und wartete zufrieden auf Bruce' Reaktion. Dieser schaute noch genauso gespannt, wie am Anfang.

„Und wie entscheidet sie sich?“-

„Tja“, sagte sie geheimnisvoll, „Sieh's dir an“
 

Und als läge es in den Händen einer übernatürlichen Macht, wurde das Licht dunkler und die Vorhänge öffneten sich.

Das Stück begann mit der eindrucksvollen Ouvertüre, deren schwere Orgelmusik durch die dicken Mauern des opernähnlichen Baus hallte. Die Musik hatte etwas geheimnisvolles, als wäre es das Mittel, dass die Zuschauer in den Bann der ungewöhnlichen Geschichte locke und die Menschen dazu auffordere, sich vollkommen in diese andere Welt fallenzulassen.

Das Orchester, welches im tief gelegenen Orchestergraben spielte, fiedelte um sein Leben.

Die Bühne war leer, bis ein Mädchen die Leere füllte. Sprungartig schlug die Musik von laut und tosend auf langsam und ruhig um. Nun sollte eines von Jazmins Lieblingsliedern kommen. In zarten Tönen begannen die ersten Zeilen.
 

Denk an mich

Denk an mich zärtlich

Wie an einen Traum
 

Jazmin tat genau das, was die Musik von ihr verlangte. Sie schaltete ihr Denken aus und lies sich nur noch von den leichten Tönen und der schönen Stimme tragen.

Bruce allerdings brauchte etwas Zeit, um überhaupt zu verstehen, wo sich der Stand der Dinge im Augenblick befand. Anfänglich langweilte ihn das Stück. Liebesgeschichten waren nur etwas für Menschen mit kindischen Träumen und unerfüllbaren Sehnsüchten. Doch als das Phantom der Oper seinen ersten Auftritt hatte, wurde er nachdenklich. Er beobachtete diese Schattengestalt genau. Er konnte nicht verstehen, warum das Phantom so an jemandem festhielt, der nicht ihm gehörte. Was musste mit ihm geschehen sein, damit er so grausam, so unbarmherzig wurde. Die arme Christine, musste sich den Launen und dem Willen seines „Schöpfers“ beugen, wie er es wollte.
 

Die anfängliche Langeweile wandelte sich tatsächlich in eine Art Neugier um. Doch nicht die Neugier, die ein Zuschauer aufbaute, der nur unterhalten werden wollte. Bruce interpretierte in die Geschichte seine eigene hinein. Irgendwie ähnelte seine derzeitige Situation der des Stücks. Umso mehr interessierte ihn das Ende. Und plötzlich schien ihm die Lösung all seiner Probleme so einfach. Wenn es doch eine Patentlösung für diese Farce gab. Wenn er sich nicht mit Gedult

und Zeit beweisen müsste, sondern mit Scharfsinn. Er würde zu gern sehen wollen, was Christine tut.

Christine, die Frau, die zwischen zwei Seiten steht. Auf der einen Raoul, der Mann, der ihr Sicherheit und ein erfülltes Leben schenken kann. Auf der anderen das Phantom, welches schon ein Leben lang allein kämpfte, gegen alles und jeden. Welches seine Ziele mit solch einem Starrsinn verfolgte und nicht scheute, über Leichen zu gehen, nur um Rache an der grausamen Welt zu üben, die ihm zu dem machte, was er nun war.
 

Nach knappen zwei Stunden fanden sich Christine und das Phantom in seiner geheimen Höhle wieder, wartend auf Raoul, der Christine aus den Klauen dieses Monsters befreien wollte. Als Raoul auftrat, stürzte sich das Phantom auf ihn und band ihm die Schlinge um den Hals. Inbrünstig fragte es nun Christine, für wen sie sich entscheide und stellte sie vor folgende Alternativen:

Entweder Christine entscheide sich für ihn, das Phantom, und Raoul dürfte weiter leben. Oder sie verstoße ihn aus ihrem Herzen und Raoul würde sterben.

An dieser Stelle überlegte Bruce, wie er sich entscheiden hätte, rein hypothetisch. Wie würde er denken, dass es ausgeht?
 

Christine brachte es nicht über ihr Herz, das Phantom zu verletzen und damit den Tod ihres Geliebten verantworten zu müssen. So schwor sie dem Phantom ewige Treue und Raoul durfte fliehen. Doch dem Phantom reichte es, dass Christine sich für ihn hätte entschieden. Er war dankbar dafür, dass diese liebe Seele ihm diesen kurzen Augenblick des Glücks schenkte und ließ beide gehen. Die Vorhänge schlossen sich und wieder ertönte das charakteristische Thema des Phantoms.
 

Das Mädchen würde sich also für das richtige entscheiden, es würde reinen Herzens handeln und letztendlich ihr Leben auf der guten Seite leben. Auf seiner Seite. Das Böse würde zusammenbrechen. Auch wenn das Bruce nicht zu hundert Prozent zufrieden stellte, war es doch ein Lichtblick. Es gab also eine Chance, dass das Gute siegte. Und das Gute würde siegen. Schließlich kämpfte er auf dieser Seite. Schließlich war er verantwortlich für diesen Sieg.
 

Das schummrige Licht ging langsam wieder an und der allgemeine Trubel des Aufstehens riss Jazmin mit, welche sogleich ihre Sachen zusammen suchte und sich zum gehen wandte. Doch Bruce schaltete schnell und legte sanft seine Hand auf die ihrige.

„Warte noch“

Jazmin setzte sich wieder verwundert.

„Oder willst du dich durch das Gedränge kämpfen?“, sagte er mit einem seligen Lächeln auf den Lippen und versuchte sich nichts anmerken zulassen.

Doch Jazmin ließ sich nicht ablenken und merkte, dass seine Hand immer noch auf ihrer ruhte. Genau 10 Sekunden zu lange. Körperliche Kontakte waren ihr ein Dorn im Auge, denn sie ließen

sie erinnern. Und sie wollte sich nicht erinnern.

Sie versuchte sich der Berührung zu entziehen, doch traute sich nicht, stattdessen zuckte sie nur kurz mit den Fingern. Doch es fing an, auf ihrer Haut zu brenne und schließlich ballte sie die Hand zur Faust und tat so, als müsste sie etwas in ihrer Jackentasche suchen. Bruce nahm ihre Reaktion etwas geknickt hin, doch versuchte sie zu tolerieren. Solange er nicht wusste, was der Grund für des Mädchens sonderliche Art war, müsste er sich zurückhalten.

Jazmin tat es Leid, was sie getan hatte und versuchte sie Stimmung kurz vorm kippen zu retten.

„Und wie hat dir das Ende gefallen?“, fragte sie gespielt interessiert mit ihrer leisen Stimme.

„Ich war...überrascht“
 

Und das war er tatsächlich. Jazmin würde

sich für seine Seite entscheiden und die Böse des Jokers hinter sich lassen, dann würde, nein, dann musste alles gut werden.

Jazmin lächelte.

Sie mochte die Geschichte des Phantoms, denn sie hatte soviel Wahrheit, in ihr lag der trübe Blick auf die Welt, den das Phantom hatte. Sie hatte Mitleid mit dem armen Wesen, denn sie wusste nur zu gut wie es war, ausgeschlossen zu werden. Sie hätte sich reinen Herzens für das Phantom entschieden. Was hätte sie bei Raoul gewollt, dieser langweilige Schnösel. Er wusste nicht, was Leid ist, was es bedeutet, Schmerzen zu fühlen.

Picture Perfect

Zeitungen stapelten sich auf dem kleinen, zerschrammten Tisch. Einige lagen unachtsam oder zerknüllt in der Ecke, anderen weit aufgeschlagen in der Mitte. Worte über Worte. Berichte, Reportagen, Nachrichten. Doch das alles war nur Schall und Rauch. Erlogen und Erstunken.

Bilder, nur Bilder konnten die Wahrheit erzählen. Und diese Bilder würden auch ihm die Wahrheit verraten, wenn sie es nicht schon getan hatten.

Die bekannteste Klatschzeitschrift Gotham Citys lag ausgebreitet vor dem Joker. Soweit musste man gar nicht blättern, denn schon auf der ersten Seite prangte ein großes Bild von vorzeige Playboy Bruce Wayne und einer hübschen, jungen Dame, die sich vor dem Appartementhaus des Millionärs befanden. Bruce, wie immer mit dem unergiebig, netten Lächeln auf den Lippen, in die Menge blickend. Unzählig viele Menschen, die ihn umrangen. Man musste schon genauer hinschauen, um das unscheinbare, blonde Mädchen an seiner Seite zu erkennen. Als er das Bild erblickte, wusste er sofort, um wen es sich handelte. Auch wenn diese Person, der, die er kannte, kaum ähnlich sah, doch diese leeren, grauen Augen, die halb abgewandt, halb aufmerksam die Mengen streiften, diese blutroten Lippen, zu einem hilflosen Lachen verzogen waren und diese überschminkten, hauchzarten Narben, die nur er sah, machten sie unverkennbar.
 

Ganz Gotham fragte sich wahrscheinlich, wer diese neue Flamme des Millionärs war und er wusste es. Ist schon witzig, dabei interessierte er sich überhaupt nicht für den Klatsch und Tratsch.

Es war doch leichter, als er gedacht hatte. Tja, ist halt nicht so günstig, wenn man Feinde hat, die einen suchen, sich da mit jemanden abzugeben, der regelmäßig die Schlagzeilen füllt.

Dummes, dummes Püppchen.

Doch dank ihrer Dummheit war es nun ein Kinderspiel, seine Marionette wiederzuholen.

Pass' nur gut auf, Püppchen. Der angenehme Teil ist vorüber, nun wird’s endlich wieder lustig!

Nun folgte der Anfang vom Ende, von ihrem Ende.

Let The Show Begin!

The Call of Conscience

Es war spät und Bruce und Jazmin waren gerade von ihrem Besuch des wundervollen Stücks »Das Phantom der Oper« zurück gekehrt.

Jazmin hatte sich schon in Schale für ihr Bett geworfen und lag nun an die Decke starrend auf ihrem Bett. Sie dachte über den heutigen Abend nach und welche Bedeutung er einnehmen sollte. Sie fühlte sich mehr und mehr wie ein Mensch, sie begann zu handeln und zu denken wie einer. Sie machte sich Gedanken über ihr Aussehen und all die nebensächlichen Sachen, die sonst so gut wie keinen Stellenwert in ihrem Leben eingenommen hatten. Und zu ihrer Überraschung gefiel es ihr.
 

Das Appartement war komplett erleuchtet, doch weit und breit gab es kein Lebenszeichen von ihrem Mitbewohner. Das helle Licht blendete in ihren müden Augen und ungeduldig wartete sie darauf, dass es endlich erlosch. Sie konnte kaum ihre Augen offen halten und nach und nach schalteten sich ihre Sinne auf Stand-By. Doch plötzlich riss sie ein schrilles Geräusch von dem Weg ins Traumland zurück in die Wirklichkeit. Genervt setzte sie sich auf und versuchte die Quelle des Geräusches auszumachen. Tatsächlich handelte es sich um das Klingeln des Telefons, das in der Mitte des Raums auf einem Couchtisch in sterilem weis stand. Sie beschloss zu warten, bis das Klingeln erstarb, doch als es sich nach einer Weile immer noch nicht erbarmte, quälte sie sich auf die dünnen Beine und ging hinüber zum Telefon. Sie nahm den ungewöhnlich altmodisch aussehenden Hörer von der alten Drehscheibe und hielt ihn an ihr Ohr. Mit müder Stimme flüsterte sie fast ein gehauchtes »Ja«.
 

„Hallo, mein Püppchen. Hast du dich schön amüsiert im Theater?“, fragte eine merkwürdig krächzende, raue Stimme am anderen Ende.

Sofort erwachte Jazmin aus ihrer Trance. Diese Stimme, sie kannte sie. Sie dachte, sie würde sie nie wieder hören, dass sie jetzt an ihr Ohr drang, verwirrte sie umso mehr. Ihr Herz hielt an, ihr Atmen setzte aus. Nein, nein, das kann nicht sein. Das DARF nicht sein!

Jazmin brachte kein Wort heraus, ein starker Schwindel übermannte ihre Sinne, sie musste sich mit den nun Schweiß nassen Fingern am Tisch festhalten. Doch die Stimme am anderen Ende der Leitung schien kein Problem damit zu haben, dass diese Unterhaltung sehr einseitig begann.
 

„Hast wohl gedacht, ich finde dich nicht, hmm? Tja, so kann man sich irren. HIHI

Und wie gefällt es uns so bei unserem Mister Hero? Ist schön hier, nicht? Man hat einen guten Ausblick von da oben...“

Jazmin fror ein, sie konnte keines ihrer Glieder mehr bewegen. Die Stimme, diese verrückte Stimme und das kranke Kichern hallten durch ihren leeren Kopf. Sie wollte den Kopf schütteln, wollte nein rufen, nein, nein, das kann nicht sein! Das...das geht einfach nicht! Das gehörte nicht hierher, diese Stimme gehörte nicht in diese Welt! Sie gehörte in die Vergangenheit, nicht hier her. Nein...

"Oh, was ist los? Hat's dir die Sprache verschlagen...schon wieder? Dabei höre ich doch so gerne deine zuckersüße Stimme. Sag was, Püppchen. Sag was. SAG WAS!“

Die Stimme schrie durch den Hörer und Jazmin zuckte zusammen. Ihre Gedärme verkrampften sich und sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Sie wollte etwas sagen, sie wollte es wirklich, doch es ging einfach nicht. Das schien die Stimme aber nicht zu stören. Sofort sprang sie von diesem lauten, erbosten Ton wieder auf dieses bedrohlich leise Flüstern.
 

„Genieß' deine Zeit hier, denn du wirst nicht mehr viel haben. Denn ich sehe dich, ich sehe jeden Schritt, den du gehst. Ich sehe wie du in deinem süßen, kleinen Nachthemd am Telefon stehst. HIHI Und irgendwann werde ich kommen und dich holen. Ganz recht, Püppi, ich hole dich zurück, dorthin, wo du hin gehörst. Aber diesmal wird es nicht so spaßig. HIHI

Diesmal musst du zahlen...Nun schlaf' schön und träum' von mir, Püppchen...“

Plötzlich brach die Verbindung ab und Jazmin ließ den Hörer fallen. Er schlug laut auf dem Tisch auf. Minutenlang stand sie in die Helligkeit starrend da und dachte...nichts.

Sie versuchte sich zu beruhigen und diese Starre, die ihren Körper erfasst hatte, beiseite zu schieben. Sie atmete tief durch und legte den Hörer wieder auf.

Sie durfte sich davon nicht ihre derzeitige Hochstimmung vermiesen lassen. Vielleicht war es ja gar nicht der, von dem sie dachte, dass er es war. Vielleicht war es nur irgend so ein Verrückter. Bruce musste ständig solche Anrufe haben. Sie schüttelte den Kopf und versuchte sich ein Lächeln abzuringen, dass niemand sehen konnte, außer vielleicht ER.
 

Ich sehe dich
 

Nervös drehte sie sich zu den riesigen Fenstern um und versuchte draußen in den Dunkelheit irgend etwas auszumachen. Doch lediglich die spärlich beleuchteten Fenster in den Hochhäusern gegenüber stachen ihr ins Auge. Es war unmöglich von hier aus jemanden zu sehen. Man hatte keine Chance, nicht beobachtet zu werden.

Vielleicht hatte sie sich den Anruf ja auch nur eingebildet. Schließlich war sie so müde, das ihr derzeitiger Zustand eher Schlafwandeln glich. Doch umso länger sie versuchte, sich diese Sache zu erklären, umso schneller wurde ihr bewusst, dass sie irrte. Sie war so klar bei Verstand, wie sonst nie. Sie konnte sich an das gehörte erinnern, wie an ihren eigenen Namen und diese Stimme war ihr so vertraut wie die ihrige. Sie begann zu zittern, doch versuchte, es zu unterdrücken. Nein, nein, schoss es ihr immer nur durch den Kopf. Nein, dass darf nicht sein. Nein.

Benommen taumelte sie zum Bett.
 

Ich sehe jeden Schritt, den du gehst
 

Jazmin blieb stehen und starrte wie besessen aus dem Fenster. Sie blickte zu dem Haus ihr gegenüber. Es war fast komplett unbeleuchtet, nur hier und da drang gelbes Licht aus einem Fenster. Bewegte sich dort etwas? Ja, sie war sich sicher, dort, knappe 500 Meter entfernt, hatte sich etwas bewegt! Hundertprozentig.

Sie bemerkt selbst nicht, wie unrealistisch dies schien. Doch sie wusste, sie würde diese Nacht nicht am Fenster schlafen. Doch wo sonst? Das ganze Appartement bestand aus Fenstern, jede einzelne, verdammte Wand!

Sie taumelte rückwärts, blickte sich hektisch um. Der einzige Raum, der von undurchsichtigen Wänden umringt war, war das Badezimmer. Hastig stürzte sie in den kleinen Raum, riss die Tür hinter sich zu und schloss ab. Sie machte das Licht aus und hockte sich neben das Waschbecken. Hier würde er sie nicht finden. Bestimmt nicht. Hier waren keine Fenster, hier konnte er sie nicht sehen. Hier konnte sie niemand sehen. Nein, nein, nein. Mit weit aufgerissenen Augen durchfurchte sie die Dunkelheit, heute Nacht würde sie kein Auge zu tun. Nicht eine Sekunde.
 

Nun kam der eine Augenblick, den sie hoffte, nie erleben zu müssen. Sie bereute. Oh ja, sie bereute es, jetzt auf der falschen Seite zu stehen. Und sie misste die Zeit, in der sie noch auf der sicheren war.

Drink Me

Tage vergingen. Nicht schnell. Nicht so, dass man das Gefühl hatte, eine Atempause einzulegen und erstmal verschnaufen zu müssen. So kam es Jazmin jedenfalls vor. Ihr altes Leben war geprägt von Tempo und Hast. Rennen, Laufen, ohne Pause, jetzt im hier, später im morgen. Dagegen war es hier wie auf einer Rolltreppe. Man steht ganz unten blickt hinauf zum Ziel. Man kann noch nicht über den Rand schauen, doch man weiß, was einen dort erwartet. Und die Zeit scheint nicht ein kleines bisschen zu vergehen. Zentimeter für Zentimeter bewegt man sich nach oben. Doch neben der Neugier, die sie für diese neue Ebene empfand, war da noch etwas, was sie dämpfte. Sie wollte gar nicht ans Ziel kommen, sie wollte die Zeit so lange es ging hinaus zögern. Denn was sie dort erwartete, war nicht das Leben in Freiheit, nein, es war das Ende. Das Ende, das ihr der Joker prophezeite. Und man muss wissen, er steht zu seinem Wort.

Noch Tage nach dem erschreckendem Anruf war Jazmin ein Häufchen Elend, das mit tiefen Augenringen, die trotz dessen, dass sie angeschwollen waren wie ein Gummiboot, wachsam und schreckhaft um sich blickten. Jeden Stein umzudrehen vermochten, hinter jede Ecke schauten und sich nicht eine Sekunde der Ruhe gönnen, die hätte zum Verhängnis werden können. Nachts träumte sie davon, von ihm, wie er aus der Dunkelheit kam, wie eine Katze, im Sprung zum Tiger wurde und ihr die Augen auskratze und ihr in Arme und Beine biss.

Bruce bekam davon nichts mit. Er hatte nie etwas von dem Anruf erfahren. Es war ja nichts neues, das Jazmin wenig sprach, dass sie Kontakte mied und Opfer ihres geistigen Gefängnisses war. Nicht aus dem Bann der Fantasie und Fabelwelt ausbrechen konnte, so sehr sie es auch wollte.
 

Aus Tagen wurden Wochen. Und nichts geschah. Kein Clown, der mit geschärfter Klinge hinter der Tür auf sein Opfer wartete, keine Drohanrufe, kein gar nichts.

Jazmin kam zu dem Entschluss, das alles nur Einbildung war.

Ich war müde..., sagte sie sich. Alles Traum oder Trance. Alles nur ein Produkt ihrer grandiosen, Angst einflößenden Fantasie. Zu viel Phantom der Oper und Alice im Wunderland im Hirn. Und eines nachts träumte sie weder vom Tiger noch von der Dunkelheit. Sie träumte von einer Wiese. Nichts besonderes. Auf ihr wuchsen nicht einmal Blumen. Einfach nur saftig grünes Gras, das ihr an den nackten Knöcheln kitzelte.

Und am morgen danach beschloss sie, alles ein für alle Male zu vergessen. Alles. Den ganzen Anfang, ihre komplette bisherige Existenz, ihre Erinnerungen. Am liebsten hätte sie sogar sich selbst vergessen. Und die Motivation, der Übermut der Veränderung, der guten Veränderung überkam sie ein zweites Mal, wie im Wayne Manor.

Nun lebte sie. Zwar tat sie jeden Tag nichts anderes, außer im großen Appartement Bruces zu sitzen und sich Gedanken zu machen. Aber nicht Gedanken über wichtige Sachen, nicht wie sonst, sondern darüber, was sie wohl am Abend tragen würde. Welcher Schmuck und welche Schuhe zu dem Weinroten Kleid passen würde, dass sie heute im Restaurant tragen würde. Über die Frisur und wie sie ihr hübsches Gesicht am besten zur Geltung bringen würde.

Bruce traf sich am Abend mit einigen wichtigen Leuten in der Stadt. Er hatte ein Hotelzimmer gemietet für Jazmin, versteht sich, da er danach noch geschäftliche Dinge außerhalb der Stadt erledigen müsste und Jazmin besser im Hotel aufgehoben wäre, als allein im Appartement.
 

Das weinrote Kleid war wirklich ein Traum. Es war ziemlich kurz und sah daher zwar eher aus wie ein langes Top als ein Kleid, doch stand dem nichts in Sachen Eleganz nach. Es bedeckte kaum Jazmins Oberschenkel und presste ihre dünne Figur in einen Schlauch aus Stoff. Das Dekolleté war tief, wahrscheinlich zu tief für ein Restaurant, aber Jazmin hatte nichts dagegen aufzufallen, außerdem konnte sie ja zeigen, was sie hatte. Alles, was noch von diesem Anblick hätte ablenken können, wären die 15 Zentimeter Absätze an den roten Lackschuhen gewesen. Ihre Haare waren etwas schlampig hoch gesteckt, sodass einige Strähnen an den Seiten achtlos heraus fielen. Ihre vollen Lippen zierte ein dunkel roter Lippenstift, der sich farblich perfekt an das Kleid anzupassen schien.

Der Anblick dieser Frau unterschied sich so sehr von dem vor einigen Wochen. Aus schwarz ward rot. Aus grauer Zurückhaltung wurde auffallende Provokation.

Wenn sie nicht in eine Limosine eingestiegen wäre, hätte man meinen können, sie würde sich auf die dunklen Straßen in zwiespältige Lokale begeben.
 

Das schwarze Gefährt im Strech- Stil fuhr sie in die City in eine Straße, die schon von weitem strahlte und schien und die Nacht Gothams erhellte. Am Eingang des Restaurants das übliche Spiel, Blicke, Rufe, Kameras. Doch anders als zuvor mochte Jazmin es jetzt, mit der Aufmerksamkeit anderer zu spielen. Blicke auf sich zu ziehen und vielleicht sogar etwas Empörung zu ernten. Sie tat doch sonst nichts anderes. Hey, sie hatte halb Gotham in Brand gesteckt, da war so ein kurzes Kleidchen doch gar nichts.

Sie betraten das Restaurant, Bruce ging voran und bahnte sich und Jazmin einen Weg durch Stühle, Tische und Kellner. Von außen strahlte das nette lokal nicht halb soviel Charme aus, wie es das von innen tat. Es erinnerte an den Spiegelsaal in Versailles, die Wände waren golden und Glas und aufwendigen Verzierungen bestimmten den edlen Stil, der fast verschwenderisch schien. Genau wie Schmuckstücke in Form von Perlen, Diamanten und Smaragden an schlanken Hälsen zu junger Damen in Begleitungen zu alter Herren, die ihre Väter hätten sein können, schimmerte und versuchten, sich gegenseitig zu überbieten. Jazmin fiel also kaum auf in ihrem zu engen und zu kurzem Kleid, denn den Preis für das tiefste Dekoltée und die höchsten Absätze waren schon längst an blutjunge, Geld geile Frauen gegangen.
 

Bruce steuerte auf einen gut gedeckten Tisch in der hinteren Ecke des Lokals zu, an dem schon zwei Pärchen saßen und sich gemütlich bei der zweiten Runde Wein unterhielten. Bruce begrüße alle auffällig, als hielte er eine Rede über schon längst vergangene Freundschaften, die nun wieder gemeinsame Bande fanden. Jazmin hielt sich diskret hinter ihm, die Arme schüchtern die kleine Handtasche, die nicht größer als ein Portemonnaie war, vor dem Körper haltend und freundlich, aber zurückhaltend und taxierend in die Runde nickend. Und noch bevor die ersten neugierigen Fragen nach seiner Begleitung und derer verwechselnden Ähnlichkeit mit der aus dem Theater gestellt wurden konnten, nahm Bruce diese für ihn keines Wegs unangenehme Aufgabe in die Hand. Er trat zur Seite und legte den Arm leicht um Jazmins Hüfte. Doch anstatt nun die Katze aus dem Sack zu lassen, wiederholte er lediglich seine Worte, die nun in fetten Lettern in allen Boulevardzeitschriften prangten und fügte nur noch den Namen der Unbekannten hinzu. Beide setzten sich und dann begann der Teil, den Jazmin schon den ganzen Abend gefürchtet hatte: die Langeweile. Nun würde sich der Geschäftsmann mit den anderen Geschäftsmännern stundenlang über Geschäfte unterhalten. Schon bei dem Gedanken musste sie gähnen.

Neben den zwei älteren Herren im teuren Armani Anzug saßen noch zwei junge Hüpfer mit am Tisch, die nicht älter waren als Jazmin selbst. Sie saßen ihr ebenfalls gelangweilt dreinschauend gegenüber, doch musterten Jazmin mit einem argwöhnischen Blick. Aus zugeschminkten Augen starrte sie der pure Neid an. Dazu brauchte man kein Psychologe sein, um das herauszufinden. Sie hatten wahrscheinlich die selben Vorurteile gegenüber Jazmin. Kein Wunder, denn Frauen die sich mit Bruce Wayne abgaben hatten nur einmal im Lotto Glück. Am nächsten Abend würde auf Jazmins Platz eine andere blutjunge Schönheit sitzen und am Tag darauf wieder eine andere. Da war es doch schon Vorteilhafter die alten Säcke auch zu heiraten, denn wenn sie einmal gestorben sind, lässt sich's leichter Leben mit dem Erbe.
 

Die Zeit schlich dahin, genau wie der Kellner, der schon vor einer halben Stunde die Getränke bringen wollte und Jazmins aufrechte Haltung sank langsam in sich zusammen. In Gedanken versunken lauschte sie den Gesprächen, die von hier und da an ihr Ohr drangen. Verfolgte eine Weile die Konversation auf hohem Niveau über die neuste Kollektion von Louis Vuitton ihrer beiden Tischnachbarinnen, schwenkte weiter zu den Geschäftsmännern, als es zum Tratsch über Jazmins zu enges Kleid abdriftete und spielte, das Kinn auf der einen Hand abgestützt, mit der anderen an der Tischdecke.

„Wie geht es überhaupt Wayne Enterprises? Naja, du weißt schon, nachdem...“, fragte der eine ältere Herr im adretten Anzug, der Bruce direkt gegenüber saß. Dieser machte sogleich gute Miene zum bösen Spiel und versuchte so souverän es ging zu antworten.

„Der Einsturz des Wayne Tower war keinesfalls ein Einsturz von Wayne Enterprises. Natürlich ist es sehr tragisch, was geschehen ist, doch wir versuchen unser Möglichstes, den Angehörigen der Opfer Beistand zu leisten...auch finanziellen“

Die Stimmung am Tisch wurde schlagartig ruhig. Jegliche Gespräche wurden eingestellt und auch Jazmin blickte nun aufmerksam auf.

Es war wahrscheinlich das größte Unglück gewesen, dass Gotham City je erlebt hatte und wahrscheinlich auch das schlimmste, was Bruce Wayne zugestoßen war.

„Wurden schon genauere Ursachen des Einsturzes herausgefunden?“, klinkte sich nun der andere Herr ein.

Doch bevor Bruce antworten konnte, fiel ihm die junge Dame zu seitens des älteren der beiden Herren ins Wort.

„Also, ich habe gehört, dass der Wayne Tower nicht eingestürzt ist, sondern dass eine Art Anschlag auf ihn verübt wurde. In den Nachrichten brachten sie etwas über eine Explosion. Ich...ich glaube, der Joker hatte da seine Finger im Spiel“, sie senkte die Stimme verschwörerisch ab und schien froh darüber zu sein, mal was produktives beigetragen zu haben.

Doch Bruce schüttelte sogleich den Kopf mit seinem „Don't Worry“- Lächeln auf den Lippen, dabei schaute er dem jungen Fräulein fest in die Augen. „Hören Sie doch nicht auf solchen Unsinn. Die Stahlträger waren gerostet und brachen nun unter der Last der Wände zusammen. Der Joker hatte rein gar nichts damit zu tun“

Er wollte dem Thema so schnell es ging ein Ende setzen. Und wie gerufen erschien der Kellner, der schon vermisst gemeldet werden wollte, und brachte sie lang ersehnten Getränke. Sofort kühlte die angeheizte Unterhaltung am Tisch ab und alle fixierten nur ihre Getränke und hofften insgeheim, dass der Keller auch so schnell wieder verschwinden würde, wie er aufgetaucht war.

Bruce lehnte sich erleichtert zurück, genoss die kurzweilige Stille und überlegte schon angestrengt, mit welchem belanglosen Thema er das unangenehmere im Zaum halten könne. Doch sobald der Kellner dem Tisch den Rücken kehrte, beugten sich alle Beteiligten wieder über den Tisch, um die Unterhaltung so diskret es ihnen möglich war, fortzuführen.
 

"Man hat lange nichts mehr von dem Joker gehört. Vielleicht war das ja sein letzter großer Auftritt und Gotham könnte nun endlich wieder aufatmen“, sagte nun der andere Herr, der sich bisher zurück hielt.

Bruce wollte dem etwas entgegnen, doch als ihm die junge Frau wieder das Wortabschnitt, merkte er, dass es nun keine Chance mehr gab, die Diskussion aufzuhalten.

Jazmin hingegen hörte aufmerksam zu. Es war interessant, alles was geschah einmal von der anderen Seite, von der unschuldigen, außen stehenden Seite zu hören. Vielleicht war die Sache, in die sie verwickelt war doch nicht so „klein“. Sie beschloss das selbe zu tun, wie schon den ganzen Abend: zuhören.

„Vielleicht hat der Dunkle Ritter die Straßen nun ein für alle Male von diesem Gesindel freigeräumt“, sagte nun die andere junge Dame, mit einem schwärmerischen Grinsen auf den Lippen.

„Und was ist eigentlich mit dieser anderen, mir der Psychopathin, die aus der Klapse entflohen ist?“ Sofort blickte Jazmin das Fräulein ihr gegenüber an. Also erst einmal wurde sie entführt und ist nicht geflohen. Über das mit der Psychopathin könnte man sich auch streiten. Jazmin verzog verärgert das Gesicht. So dachte man also über sie. Kein Ruhm, keine Ehre, nur Verachtung. Schönen Dank auch.
 

„Wer weiß, vielleicht planen sie auch wieder irgendwas. Bei dem Gedanken wird mir ganz übel. Vielleicht steht morgen schon unser Haus in Brand, Liebling“, ängstlich schaute sie zu ihrem Gatten hinüber, der aber nur Jazmin mit einem nachdenklichen Blick anschaute. Doch das schien die junge Dame wenig zu stören, die sie setzte gleich fort: „Wie kann man nur so krank sein? Das ist doch unmenschlich! Solche Leute gehören hinter Gitter und dann auf den Elektrischen Stuhl. Ich kann es gar nicht glauben, dass man die beiden noch nicht geschnappt hat! Ich kann erst wieder ruhig schlafen, wenn ich weiß, dass sie sie festgenommen haben. Bis dahin tu' ich kein Auge zu!“, nachdem sie ihrer künstlichen Empörung Luft gemacht hatte, schaute sie wieder ihren Gatten an und folgte seinem Blick in Richtung Jazmin. Die anderen taten dasselbe, bis die ganze Aufmerksamkeit bei Jazmin lag. Diese blickte verwirrt auf und konnte sich gar nicht daran erinnern, das Wort ergreifen gewollt zu haben.
 

Der Herr ihr gegenüber löste seinen intensiven Blick und begann ein wenig in sich hineinzulächeln.

„Tut mir Leid, ich wollte Sie nicht so aufdringlich anstarren, es ist nur...“, er lachte wieder beschämt in seinen imaginären Bart, „Sie sehen dem entflohenen Mädchen, das, was in den Nachrichten war, ziemlich ähnlich“ Doch anstatt, dass sich die Stimmung wieder lockerte, ruhten nun alle Blicke angespannt auf ihrem Gesicht und nickten in stiller Zustimmung. Bruce ließ sich seine aufkommende Nervosität nicht anmerken, er grinste nur weiter dämlich in die Runde.

Jazmins Herz tat einen Sprung und erschrocken riss sie ihre hellgrauen Augen auf. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch es kamen nur gestotterte Wortfetzen heraus. Doch sie fing sich schnell und antwortete auf diese unverschämte Bemerkung: „Na, wenn das so ist, muss ich wohl demnächst anderes Make-up auftragen“

Stille.

Plötzliches Gelächter aller Anwesenden. Jazmin lächelte zufrieden und setzte mit in das Lachen ein.

„Bruce, dein Mädchen hat echt Sinn für Humor!“, sagte der eine Herr und bekam Zustimmung von allen Seiten.

Bruces Gesichtszüge entspannten sich und belustigt nickte er.

„Das hat sie. Ich weiß zwar nicht woher, aber ja, das hat sie“

At The Bottom Of The Toy Box

Ab diesem Zeitpunkt verlief der Abend eigentlich ganz angenehm. Jazmin wurde in eine oberflächliche Unterhaltung über die Vor- und Nachteile von Presseleuten hineingezogen, in der sie ihrem Ärger über die nervenden Blitzlichter endlich Luft machen konnte. Es wurde gelacht und getrunken und getrunken und gelacht und das nette Zusammentreffen nahte sich dem Ende. Bruce blickte auf die Uhr und beschloss sich zu verabschieden, da er noch einem Termin außerhalb der Stadt nachkommen müsse. Er stand auf und die anderen Tischnachbarn erhoben sich ebenfalls. Die beiden jungen Damen umarmten Jazmin zur Verabschiedung, als wäre das der letzte Moment, an dem sie sich sehen würden, gaben sich Küsschen, links, rechts und nochmal links. Jazmin versuchte dabei direkten Körperkontakt zu vermeiden. Berührte nur leicht die Oberarme der Fräuleins und hauchte ihnen ein Küsschen auf die Wangen und die Frage nach dem Sinn dieser Prozedur ließ nicht lange auf sich warten. Wem's gefällt...
 

Die Herren schüttelten sich die Hände, als gäbe es keinen Morgen mehr, lachten, schlugen sich freundschaftlich auf die Schultern. Der ältere Herr flüsterte Bruce noch auffällig entgegen: „Halt' dir dein Mädchen warm, die ist was Besonderes“ Darauf antwortete Bruce nur mit einem Seufzer ähnlichem: „Allerdings“, das von einem verschwörerischem Unterton begleitet wurde. Jazmin grinste nur nett und entfernte sich schon leicht von der aufgewühlten Masse. Bruce drehte auch zum gehen und folgte ihr. Sie gingen zum Hinterausgang hinaus, der direkt in das Treppenhaus führte, das der Anschluss in das darüber liegende Hotel war, in dem Jazmin ein Zimmer hatte.
 

Es zog leicht, als sie durch die Glastür gingen und in das Foyer des Hotels kamen. Beide verloren kein Wort, gingen nur hinüber zu dem Lift und warteten bis sich seine roten Türen öffneten. Jazmin blickte auf den Boden und musterte ihre Füße, die eine merkwürdig rote Färbung angenommen hatten, was wahrscheinlich an den unmenschlich hohen Schuhen lag, die aus ihnen jegliches Blut pressten. Bruce stand neben ihr und schaute anders als Jazmin hinauf auf die Anzeige des Fahrstuhls und verfolgte sehr interessiert den Weg des Lifts vom 35. in den 1. Stock, er hatte seine Hände in die Taschen gesteckt und wippte gelangweilt hin und her. Er wusste nicht, was er sagen sollte, aber er war froh, dass der Abend nach anfänglichen Startschwierigkeiten doch noch so gut verlaufen war. Jazmin hatte wirklich eine Chance zurück in das normale Leben zu finden. Er glaubte fest daran.
 

Ein sanftes „Bling“ riss beide aus ihren Gedanken und in gemächlichem Tempo öffneten sich die Türen des Barock bemalten Lifts. Beide taten einen Schritt hinein.

Als Jazmin sich umdrehte blickte sie hinaus durch die Glastür, die hinaus auf die Straße führte. Plötzlich sah sie, wie eine Gestalt sich in plötzlicher Bewegung in den Schutz des Schattens stellte. Sie konnte nur deren Silhouette erkennen, doch als das Licht der Straßenlaterne die Gestalt kurz streifte, hätte sie schwören können, dass sie violetten Stoff aufblitzen sah. Doch anstatt, dass wieder der übliche Schauer in ihr aufkam, schüttelte sie den Gedanken sofort wieder ab, der ihr kam, denn bei genauem Hinschauen stand da gar keiner. Sie lächelte über ihre eigene Torheit.
 

„Was ist?“, fragte Bruce, dem das nicht entgangen war. Doch Jazmin schüttelte nur den Kopf, „Nein, nichts. Ich war nur...in Gedanken“, sagte sie mit ihrer zarten, Glocken hellen Stimme, die Bruce sofort wieder einlullte.

Sie fuhren hinauf bis in den 8. Stock. Bruce begleitete sie noch bis zu ihrer Tür, schließlich hatte er ja den Schlüssel. Der Weg war nicht weit bis zum Zimmer 804. Roter Teppich zierte den in Weiß und Gold gehaltenen Gang. Das Zimmer befand sich genau in der Mitte, Bruce zückte den Schlüssel und schloss mal wieder ganz Gentlemen- like die Tür auf und überreichte Jazmin den Schlüssel. Sie stellte sich in die Tür und stand Bruce nun genau gegenüber.

„Gut, ich muss jetzt los. Wenn du Probleme hast, ruf mich an. Ich hole dich morgen früh wieder ab“ Jazmin blickte leicht gekränkt auf den Boden. Das war das erste Mal seit, sie weiß nicht wie lang, dass sie allein war. So richtig allein. Sonst war er doch immer da gewesen. Immer in der Nähe. Wenn sie jetzt allein wäre...
 

Und sofort überkam sie wieder die schreckliche Erinnerung an den Anruf, die sie schon fast vergessen hatte. Er könnte sie jetzt unmöglich allein lassen. Sie würde alles dafür tun, jetzt nicht allein zu sein. Und plötzlich überkam sie das Gefühl, dass sie bisher nur ganz selten spürte, das Bedürfnis nach menschlicher Nähe, nach Zuneigung und Wärme.

Sie hob den Kopf und setzte ihre traurigste Miene auf. Mit großen blauen Kinderaugen schaute sie ihn an und legte den Kopf schief.

„Was ist denn?“, fragte er, sich kaum los reisen könnend von diesem betörendem Blick, der sich tief in sein Gedächtnis brannte.

„Geh' nicht“, sagte sie kaum hörbar und berührte ihn ganz leicht am Arm. Ihre klare, leise Stimme ließ seine Sinne betäuben. Ihre leichte Berührung auf seinem Arm war so warm und so zart. Er konnte nicht nach links oder rechts schauen. Ihre Anwesenheit zog seine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Die weise Wand und der rote Teppich verschwanden für einen kurzen Moment und nur die großen blauen Augen, die ihn wehmütig anschauten und die blutroten Lippen stahlen sich in seinen Kopf.

Die blutroten Lippen...
 

Jazmin ging einen kleinen Schritt vorwärts, stolperte fast über ihre eigenen Füße und kam seinem Gesicht so noch näher. Trotz der High-Heels war Bruce doch noch ein ganzes Stück größer als Jazmin und er musste den Kopf senken, um ihr nun in die Augen schauen zu können. Jazmin hob den ihrigen und schloss die Augen, kurz bevor Bruce ihre Lippen küssen konnte. Dieser Moment dauerte nicht lange, einige Sekunden, denn schon legte Jazmin ihre Hände auf seine Schultern und zog ihn mit sich in ihr dunkles Zimmer. Bruce machte keine Anstalten, sich dem zu entziehen und folgte ihr, immer tief in ihre blauen Augen blickend. Das Zimmer war nicht groß, nur ein Bett stand in der Mitte und gegenüber ein kleiner Schreibtisch. Doch in der Dunkelheit war all das kaum zu erkennen. Nur durch das Fenster drang spärlich Mondlicht, das einen Streifen Helligkeit auf das Bett warf. Jazmin löste ihre Hände, doch Bruce umfasste sofort ihre Hüfte und zog sie wieder näher zu sich heran. Beide ließen sich auf das Bett fallen, mehr oder weniger freiwillig. Hektisch berührten sich nun ihre Lippen, als würden sie jeden Moment entdeckt werden. Bruce berührte Jazmins Hals, strich über ihr Schlüsselbein, bis er zu dem Reißverschluss ihres Kleides kam, der an der Seite war. Er zog ihn auf, erst langsam, dann bis zum Anschlag. Ein Träger rutschte und enthüllte Jazmins schwarzen Spitzen BH. Ihre Haut war so weich und kühl, ihre blonden Locken fielen aus den Spangen und kitzelten Bruce am Hals. Ihre blauen Augen nahmen im Schein des Mondes wieder einen fast grauen Farbton an und blitzen auf in der Dunkelheit, wie glasklare Diamanten. Dieses Mädchen war wirklich etwas Besonderes, er wusste nicht inwiefern, er wusste auch nicht, ob das, was er tat, das richtige war, doch es fühlte sich gut an. Dieses zarte Püppchen hatte tatsächlich eine Seele. Und sie war so unergründlich tief, aber doch wunderschön. Er hatte keine Ahnung was ihn dazu trieb, aber das war auch egal. Nun war er sich ganz sicher, sie war in dieser Welt angekommen. Sie lebte.
 

Jazmin hatte um ehrlich zu sein keinen blassen Schimmer, was sie da tat. Noch nie hatte sie Menschen freiwillig so nah an sich heran gelassen. Doch zu ihrer Verwunderung spürte nicht dieses Brennen, dieses unangenehme Kratzen einer Berührung. Sie hatte nicht das Gefühl, alles von sich stoßen zu müssen. Um genau zu sein lechzte ihre verletzte, misshandelte Haut nach ein Stückchen Wärme und Nähe, menschlicher Wärme und Nähe. Ihr geschundener Körper brauchte diese sanften Berührungen, diese Zuneigung, das, was sie sonst nie bekam, aber das, was sie verdient hatte. Sie war doch auch nur ein Mensch. Sie war kein Monster. Sie war keine Psychopathin. Sie war ein ganz normaler Mensch, dem unnormale Sachen wieder fahren sind. Grausame, unmenschliche Sachen.

Bruce zog ihr nun auch noch den anderen Träger von der Schulter. Jazmin ließ sich alles gefallen, doch als seine Hand zum Verschluss ihres BHs wanderte, hielt sie plötzlich inne und richtete sich auf, sodass auch er sich nicht weiter bewegte.
 

Sie wollte nicht das, was er wollte. Es würde sie zu sehr an das erinnern, was das Monster ihr antat. Sie wollte nur Nähe und Geborgenheit spüren, wollte nur ihren ganzen Schmerz in dem kurzen Moment der Hingabe vergessen, aber sie wollte nicht, dass DAS geschehen würde. Sie schüttelte den Kopf und rutschte langsam von ihm herunter.

Ganz leise sagte sie nur immer wieder: „Nein. Nein“ Sie taumelte rückwärts und zog langsam wieder ihre Träger über die Arme.

Bruce setzte sich verwundert auf. „Jazmin...“, doch sie winkte nur ab mit einem müden Lächeln auf den Lippen. „Sch-schon gut...Ich-“

sie sammelte ihre Schuhe zusammen und verließ das Hotelzimmer. Bruce wollte ihr hinterher, doch sie bedeutete ihm, da zu bleiben, wo er war.
 

Der Gang war kühl und nur schlecht beleuchtet, durch ein paar kleine Lämpchen, die links und rechts den Gang zierten. Jazmin atmete tief durch und versuchte ihr zerzaustes Haar zu richten. Zu spät merkte sie, dass sie keine Jacke dabei hatte und auch ihre Handtasche im Zimmer vergessen hatte, doch sie würde nicht zurück gehen. Egal wohin, aber nicht zurück. Im Gehen zog sie den Reißverschluss ihres Kleids wieder zu und zog ihren linken Schuh an. Der Gang zog sich und der endlos rote Teppich verschwand in der aufkommenden Dunkelheit des kreuzenden Ganges, in dessen Richtung sie unterwegs war. Ihr war leicht schwindelig und der Gang verschwamm kurz zu einem weiß rotem Farbgemisch.
 

Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Sie hatte eben nicht das Recht, anderen Menschen nahe zu sein, sie ist schon in ihrer Kindheit dafür bestraft worden, was sie heute war, was sie tat. Es war eben Schicksal, dass sie litt. Sie versuchte nur so schnell es ging, wieder ihre Fassung wieder zu bekommen und humpelte auf einem Schuh und mit dem anderen Fuß barfuß über den kalten Teppich, den anderen Schuh in der rechten haltend. Ihr kamen Tränen, doch sie wollte nicht weinen. Wie kindisch. Sie wischte sich über die Augen und verschmierte dabei ihr Make-up, so dass es nun doch aussah, als hätte sie sich die Augen ausgeweint. Mit beschlagenem Blick taumelte sie den Gang entlang, der Finsternis entgegen. Sie bückte sich um auch den zweiten Schuh anzuziehen, kam ins schwanken, und schlüpfte in den roten Lack-Pumps. Langsam richtete sie sich wieder auf, sich noch einmal durch die blonden Locken fahrend und wollte gerade um die Ecke biegen, als ihre Augen das erblickten, was sie nie wieder erblicken sollten. Die grauen Äuglein weiteten sich und starrten nun die Gestalt vor sich an, als würden sie dem nicht trauen, was sie sahen.

Plötzlich schien das Schwarz der Dunkelheit noch schwärzer, die Kälte im Gang noch kühler, der Schmerz im kleinen Puppenherz noch schmerzlicher.

Der Moment blieb stehen, für einige Sekunden oder waren es doch Minuten?
 

Der Clown, der mit seinen wirren grünen Haaren, mit dem zu einem grotesken Narbenlächeln verzogenem, roten Mund und seinem auffälligem, leuchtenden violetten Mantel vor ihr stand, brauchte kein Wort sagen, denn sofort machte Jazmin auf den Absätzen kehrt und rannte, als gäbe es keinen Morgen mehr, was auch sehr wahrscheinlich gewesen war. Sie rannte durch den Gang, der nun noch länger schien, als er eben noch war, der Teppich schien jeden Schritt abzubremsen, den sie tat. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um herauszufinden, dass er ihr folgte, dass seine Schritte größer und schneller waren als ihre. Doch sie rannte, in der Hoffnung, ein Wunder würde geschehen. Warum zur Hölle hatte sie auch wieder ihre Absatzschuhe angezogen? Am Ende des Flurs war eine Glastür, die den vermeintlich sicheren Weg in das Treppenhaus hinter sich verbarg. Im Rennen lösten sich nun die letzten Strähnen und wehten aufgeregt um ihren Kopf, der nur starr nach vorn gerichtet war. Sie knickte einige Male um, fing sich wieder und riss hektisch die schwere Tür aus Glas auf. Treppenhäuser schienen ein Teil in ihrem Leben zu sein, der einfach immer wieder auftauchte um ihr das Leben und insbesondere das Fliehen schwer zu machen.

Es war dunkel und ein Blick zwischen die Geländer hinunter verriet ihr nicht, wie weit ihr Weg sein würde. Sie rannte einfach Stufe für Stufe, Etage für Etage, hörte nur immer wieder das Geräusch von schnellen Schritten, die ihr folgten. Sie kamen immer näher, wäre ja auch mal ein Wunder gewesen, wenn sie leiser geworden wären. Sie umfasste das kühle Stahlgeländer mit ihren zarten Fingerchen, nahm gleich 4 Stufen auf einmal, wäre am liebsten die ganze Treppe hinunter gesprungen. Sie rannte und rannte, ohne einen Gedanken an den verschwendeten Atmen, an das schmerzende Seitenstechen oder an den nun noch stärker werdenden Schwindel zu verschwenden. Wenn sie jetzt hielt, dann würde sie verlieren. Dann würde sie das verlieren, wofür sie in letzter Zeit gekämpft hatte. Freiheit. Freunde. Menschlichkeit. Leben. Ihr Leben.

Und sie würde es nicht nur verlieren, wie man seinen Schlüssel verlor. Ein unwiederbringliches Ding, dessen Verlust keinen großen Kummer bereitete. Kein Problem.

Aber ihr würde es entrissen werden. Aus ihrer Seele hinaus geschnitten, mit ihrem Blut besiegelt. Es gab keine Gnade für Betrüger und sie wusste nur zu gut, dass sie einer war, sie wusste nicht viel, aber das war sonnenklar.
 

Sie kam dem Erdboden immer näher, doch merkwürdiger Weise gab es hier keinen Ausgang im Erdgeschoss, nur eine Tür, die in die Tiefgarage führte. Die Schritte hinter ihr wurden nicht leiser, sie klebten ihr an den hohen Hacken wie eine Fliege am Honig, sie hatte keine Chance. Da war die Tiefgarage nicht gerade eine Rettung, eher eine Sackgasse, das Netz, dass sie Fliege fing. Und die Spinne würde nicht lange auf sich warten lassen. Auch diese Tür öffnete sie, heftig ein- und ausatmend, kaum noch frische Luft in den Lungen spürend. Es schien hier wie leer gefegt, kein Mensch weit und breit, zu ihrer Enttäuschung, doch womöglich hätte ihr auch niemand helfen können. Er würde wahrscheinlich selbst zum Opfer werden.

Die kleinen Deckenlampen erleuchteten die Garage in einem hässlichen orange- gelbem Licht und warfen schaurige Schatten an Wände und Boden. Jazmin blickte sich kurz um, überlegte wohin. Sie könnte sich zwischen einigen Autos verstecken, das war die einzige Möglichkeit, die sie hatte. Es machte ihr nicht viel Hoffnung, die Autos könnten sie auch nicht in sicherem Schutz wiegen, doch hatte sie eine Wahl? Er war zu dicht an ihr dran. Und er würde aufholen. Er würde sie kriegen. Er wird sie kriegen.
 

Ohne groß darüber nachzudenken warf sie sich zwischen die erst besten Autos, einem schwarzen Hummer und einem kleinen roten Ford. Sie setzte sich auf den Boden und versuchte ihr heftiges Atmen unter Kontrolle zu bringen, bevor es sie verriet. Sie hielt die Luft an und legte ihre Hand auf ihren Brustkorb, in der Hoffnung, sie könnte dessen hektische Auf- und Abwärtsbewegung eindämmen. Nun war es ganz still, nicht einmal die Schritte des Clowns waren noch zu hören. Kein Mucks. Hatte sie ihn etwa abgehängt? Unmöglich. Er war so dicht an ihr dran. Bestimmt war ihm auch nicht entgangen, wo sie sich versteckt hatte. Doch nachschauen wollte sie auch nicht. Zu groß war die Angst, vor der bösen Überraschung und der Blick in das entstellte Clownsgesicht. Sie schloss kurz die Äuglein, biss sich auf die Unterlippe, um nicht vor Angst loszuschreien und wartete bis das warme Blut in ihren Mund lief.

Der Albtraum würde Wahrheit...

Als nach einigen Sekunden, die wie eine Ewigkeit andauerten, noch nichts geschah, lehnte sie sich langsam vor und lugte, ganz, ganz langsam zwischen den zwei Autos hervor auf die leere Straße zwischen den ganzen gefüllten Parkplätze. Keine Menschenseele war zu sehen. Aber sie hielt ja auch nicht Ausschau nach einem Menschen...

Sie beugte sich noch weiter vor, um auch den Rest der Gasse zu sehen, als sie auf einmal eine kalte Hand gewaltvoll im Nacken packte und auf die Beinchen zog. Der Joker schleuderte sie an den schwarze Hummer, sodass die getönten Scheiben knackten. Er hielt sie fest an der Kehle, drückte ihr jegliche Luft mit nur einer Hand ab. Jazmin fing an nach Luft zu schnappen, wie ein Fisch, der auf dem Trockenen lag, wollte schreien, doch es kam kein Ton aus ihrem Hals. Sie packte den Unterarm, der ihr die Kehle zusammen quetschte, mit beiden Händen und versuchte den starken Griff zu lockern, doch vergebens.
 

„Kaum bin ich mal ein Weilchen weg, lässt du gleich das Höschen für deinen neuen Freund fallen. TsTs...schäm dich, Püppchen“, er schüttelte missbilligend den Kopf und verstärkte seinen Griff um des Püppchens Kehle, das japsend versuchte, sich zu wehren. Doch sie konnte weder treten noch um sich schlagen, denn die Kraft verließ ihren Körper.

„Weißt du, das tut ganz schön weh, betrogen zu werden. Du kleines Miststück, ist dir das klar?“, Seine Stimme war so ungewöhnlich ruhig, dennoch lies dieser bedrohliche Unterton Jazmin zittern. Es war die Ruhe vor dem Sturm.

Sie konnte ihn hören, den Wahnsinn, der in seinen Worten lag, darin, wie er es sagte und was ihr seine kleinen, rabenschwarzen Augen verrieten, die ihr starr entgegen blickten und sich in die ihrigen bohrte.

„Tja, nun ist es leider zu spät, sich zu entschuldigen“, sagte er mit einem beängstigenden Lächeln auf den rot geschminkten Lippen. Mit dem Daumen der linken Hand, die sie am Hals festhielt, strich er ihr über die Lippen und verschmierte dabei ihren Lippenstift.

Im Schein des orange- gelben Lichtes hätte sie schwören können, für einen Moment lodernde Flammen in seinen Augen gesehen zu haben, die wild um sich schlugen.

„Oh, du hast doch keine Ahnung! Lass mich einfach in Frieden, du Bastard!“, schrie sie ihm mit der restlich verbliebenen Luft entgegen, scheiterte fast daran, ihren Worten einen wütenden Ausdruck zu verleihen, es klang mehr wie das Krächzen eines Raben.

„Na, na, Püppchen, werd' mal nicht übermütig!“, antwortete er auf diese dreiste Bemerkung in einem Ton, der zunehmend wütender wurde und die anfängliche Schadenfreude verbannte.

Er holte aus und schlug mit voller Wucht gerade aus, doch noch im selben Moment beugte Jazmin ihren Oberkörper zur Seite und entkam so dem Schlag. Stattdessen zertrümmerte der Joker die Fensterscheibe des Hummers, die vorher schon einige Risse abbekommen hatte. Sie zersplitterte und die Glasscherben rasselten auf den Boden. Die Lederhandschuhe des Jokers platzten auf sowie seine Knöchel, über denen nun ein dünner Film aus Blut lag. Jazmin war immer noch halb gebückt und als sie die Glasscherben auf dem Boden sah, kam ihr sofort eine Idee. Sie griff sich schnell eine Scherbe, bevor der Joker es merken konnte, richtete sich auf und wollte zurückschlagen mit dem scharfen Glas in den Händen, doch der Joker reagierte schnell, packte ihr Handgelenk und drückte es schmerzhaft zusammen, sodass sie die Glasscherbe fallen ließ.
 

„Ganz ruhig, Püppchen. Shhhhhh“ sagte er, griff in seine Manteltasche und holte ein kleines unscheinbares Messer heraus, dass Jazmin erst gar nicht als solches identifizierte.

„Jetzt halt still, Püppchen. Ich werde dir eine kleine Geschichte erzählen“, mit diesen Worten rammte er das Messer in ihren Bauch, so tief es nur ging. Jazmin knickte schreiend zusammen, doch bevor sie auf dem Boden zusammenbrechen konnte, packte der Joker wieder ihren Hals und drückte sie wieder an das Auto. Die Wunde begann langsam zu bluten und schien schwarze Flecken auf dem weinroten Kleid zu hinterlassen. Jazmin kniff die Augen zusammen, verkrampfte all ihre Glieder, als umgebe sie eine Eises Kälte und kämpfte nun zusätzlich neben dem Problem der Atemnot gegen den immer stärker werdenden Schmerz im Bauch.

„Es war einmal ein kleines, hässliches Püppchen“, begann der Joker. Er zischte seine Worte nunmehr wie eine Schlange und ließ keine Sekunde von Jazmins grauen Augen ab.

„Das lebte auf dem Grund einer Spielzeugkiste. Eines Tages wollte das kleine, hässliche Püppchen dort hinaus, wollte sehen, wie die Welt dort draußen aussahen. So kletterte es hoch, machte den Deckel auf und schaute über den Rand der Kiste. Was sie sah, war eine wunderschöne Blumenwiese und ein Wald, der dahinter stand“, mit jedem seiner Worte drehte er das Messer in Jazmins Bauch ein bisschen weiter und schnitt immer tiefer in ihr Fleisch, sodass Jazmin vor Schmerz kaum noch Luft bekam. Das Blut hatte ihr Kleid im Umkreis des Schnittes vollständig eingeweicht und lief an ihren Beinen hinunter auf den Boden.

„Doch hinter dem Wald, wartete ein Drache, der alles und jeden vernichtete, das ihm in den Weg kam. Doch das wusste das Püppchen ja nicht, denn schließlich sah sie nur die Blumenwiese, direkt vor ihr“, er machte eine kurze Pause, als schien er vergessen zu haben um was es eigentlich ging, schaute kurz in die Luft, fing seine Worte wieder ein und blickte wieder zu Jazmin, deren blasses Gesicht nun noch blässer war. Sie konnte ihre Augen kaum offen halten, eine Art Ohnmacht überkam sie und ließ die Lider ihrer Augen immer weiter nach unten sinken. Den Joker schien das fehlende Interesse Jazmins an seiner Geschichte wenig zu stören, er redete langsam weiter, so, als wähle er jedes seiner Worte sorgfältig aus.

„Das kleine Püppchen streckte seine Arme aus der Kiste, wollte die schöne Welt fassen, die sie sah, doch BAM!, in diesem Augenblick flog der Deckel zu und das Püppchen fiel wieder auf den harten Boden der Spielzeugkiste zurück. Und beschloss nie, nie, nie wieder nach oben zu klettern, denn der Deckel könnte ja wieder zu fallen und das wäre die ganze Mühe doch nicht Wert gewesen“

Der Joker machte wieder eine Pause, um Jazmins Reaktion darauf zu sehen, doch sie war nur mehr wie ein nasser Sack, der an eine Wand gelehnt war. Sie hatte Mühe, ihre Augen offen zu halten.

„So gesehen“, sagte er mit einem Schulterzucken, „hab ich nur den Deckel zugeschlagen und dich so vor der bösen, bösen Welt bewahrt“
 

Er senkte seine Stimme, „Doch anscheinend konntest du es einfach nicht lassen, immer und immer wieder nach oben zu klettern!“, seine erbosten Worte drangen leise an Jazmins Ohr, die kaum noch geradeaus schauen konnte.

„Und was lernen wir daraus? Hm?“, fragte er in unschuldigem Ton und suchten ihren Blick, der immer zwischen Boden und Dunkelheit wechselte. Er stupste leicht ihren fast leblosen Kopf hin und her.

„Widersetzte dich nicht deinem Schicksal, denn es wird dich immer auf den Boden der Tatsachen zurück werfen“, er zog das Messer aus ihrem Bauch und ließ auch von ihrer Kehle ab. Jazmin rutschte sofort am Auto hinunter auf den Boden und auf eine makabere Art und Weise bestätigte sich des Jokers Moral.

Sie fiel in ihre Pfütze aus Blut mit dem Gesicht nach unten und verfiel sofort in eine betäubende Ohnmacht. Ihre Augen fielen zu, die Geräusche der Schritte des Jokers, die sich wieder langsam entfernten, hallten in ihrem Kopf wie ein Echo, bis sie verstummten und nur noch eine erlösende Dunkelheit ihre Sinne füllte.

Gewohnheitsding

Piep. Piep. Piep.

Ein weiterer Tag in der Geschichte der Zeitrechnung näherte sich dem Ende. Er war nicht unbedingt schön gewesen, man hatte nichts verpasst, aber er war doch ganz nett gewesen.

Piep. Piep. Piep.

Ein wenig Regen, hier und da, eigentlich war es sogar nur Niesel, der still und heimlich kam und fast gar nicht auffiel.

Piep. Piep. Piep.

Auch die Sonne schien ein wenig. Nur ein bisschen. Lugte mal von Zeit zu Zeit hinter den Wolken hervor und verschwand sogleich auch wieder.

Piep. Piep. Piep.

Also wie man sieht, der Tag hatte von allem ein bisschen und doch nichts ganzes. Aber er war doch ganz okay gewesen.

Alles was einen an diesem doch eigentlich recht netten Tag störte, war dieses verdammte Piepen, dass die ganze Zeit erbarmungslos sein Unwesen trieb und sich wie ein fürchterlicher Tinitus in die Ohrmuschel vergrub.
 

Dabei war es noch gar nicht solange da. Erst seitdem die Vöglein begannen zu zwitschern und die Autos begannen mit ihrem lauten Motor auf der Straße herumzurollen. Doch es wollte und wollte nicht aufhören und fand einfach kein Ende.

Was zur Hölle war das bloß?

Es störte die Ruhe, sie seither den stummen Geist, der durch den Raum schwebte erfüllte und riss ihn aus seinem Schlaf.

Piep. Piep. Piep.

Der Geist wurde immer unruhiger, schwebte von Ecke zu Ecke, drehte und wendete sich, hielt sich die Ohren zu, die unter dieser Qual litten, bis er schließlich erschöpft zu Boden sank und sich mit dem leblosen Körper auf dem Krankenbett verband.

Der Puls des Körpers begann schneller zu schlagen, die Brust hob und senkte sich und die Augenlider begannen ganz leicht zu zucken, genau wie die Fingerspitzen, die ruhig auf den weißen Laken lagen.
 

Jazmin öffnete die Augen, erst langsam, schloss sie wieder und öffnete sie erneut, um dem einfallenden, grell weißen Licht, das von oben hinab schien, zu entkommen. Sofort fiel ihr ein, wo sie war und was passiert ist. Der Gedanke war weder verschwommen noch unvollständig, er war glasklar und die Bilder waren so scharf, als stünden sie im Bilderrahmen vor ihr. Sie riss die Augen auf und im Schein des unbarmherzigen stechenden Lichts zogen sich ihre Pupillen so weit es ging zusammen. Sie schreckte auf, als sie sich an diese schreckliche Clownsfratze erinnerte, ihr wurde übel beim Gedanken an das ganze Blut. Es schien überall gewesen zu sein. Auf dem Boden, an ihrem Kleid, an ihrem Körper. Überall.

Doch im Eifer des Gefechts, ließ sie sich sofort wieder nach hinten fallen, als ein stechender Schmerz ihre Bauchhöhle erfüllte. Sie knallte zurück auf das Kopfkissen und reflexartig schnellte ihre Hand auf den Platz, wo sie den unangenehmen Schmerz verspürte. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nichts weiter als einen der schicken Operationskittel trug. Ihre Hand grub sich unter den Stoff. Ganz langsam, sie wollte gar nicht wissen, was sie erwartete. Über den gesamten Bauch, von den Beckenknocken bis zu den Rippen zog sich ein riesiger Verband. Schon der sachte Druck ihrer dürren Hand verursachte ein schreckliches Ziehen, als würde einem in den Bauch geschlagen werden. Sie zog ihre Hand zurück und legte sie nun über ihr Gesicht. Durch ihre Finger starrte sie zur Decke und versuchte sich kein Stück zu bewegen, sodass der Schmerz fern blieb.

Sie ordnete ihre Gedanken und atmete schwer ein und aus. Sie spürte, dass sie kaum Kraft hatte, schon das bisschen Aufregung ließ ihr Herz pochen, dass sie es bis in den Kopf spüren konnte. Sie bekam Kopfschmerzen, als das Blut durch ihre Schläfen gepresst wurde. Plötzlich hörte sie wieder das Piepen, das nun schneller wurde. Sie neigte den Kopf leicht zur Seite und ließ dabei ihre Hand auf das Kopfkissen sinken. Neben ihr standen verschiedene Apparaturen unterschiedlicher Größen. Direkt neben ihrem Kopf war ein Gerüst auf dem eine Art Fernseher thronte, der in sinusförmigen Kurven ihre Herzschlagfrequenz anzeigte. Etwas dahinter stand der Tropf, durch den verschiedene Flüssigkeiten durch dünne Schläuche in ihre Venen gepumpt wurden. Sie drehte den Kopf nun zur anderen Seite, auf der sie ein wunderschöner Ausblick auf das nächtliche Gotham City erwartete. Sie konnte die Skyscraper sehen, die mit ihren erleuchteten Fenstern aussahen wie kleine Sternschnuppen. Ihr Zimmer war ebenfalls komplett erleuchtet, was sogleich wieder dazu beitrug, die Paranoia in ihr zu erwecken. Am liebsten hätte sie die Vorhänge zugezogen oder das Licht ausgeschaltet. So hätte man auch den Ausblick viel mehr genießen können. Denn jetzt spiegelte sich nur eine bleiche Gestalt mit tiefen Augenringen im Fenster, die erschöpft und müde in die Nacht hinein starrte.

Sie legte sich wieder hin und schloss die Augen. Sie war so müde. Wer weiß, mit was sie sie zugedröhnt hatten.
 

Soweit hätte es nicht kommen dürfen. Was war geschehen? Was hatte sie falsch gemacht? Wo war der Punkt ihres Handelns, an dem sie sich hätte anders entscheiden sollen? Und leider fiel ihr auf diese Frage sofort die Antwort ein, die sie lieber verdrängt hätte. Es musste soweit kommen. Sie hatte einfach keine Wahl gehabt. Das war vorhersehbar, so vorhersehbar wie das Amen in der Kirche. Und sie war so dumm und hatte gedacht, sie könne ausbrechen. Aber anscheinend gab es kein Ausbrechen. Es war ihre eigene Schuld gewesen. Sie war gefangen, gefangen in dieser Welt, in der es einfach kein Glück und vor allem keine Zukunft gab. Vielleicht hatte der Joker recht gehabt. Sie hätte am Boden bleiben sollen, man sieht ja, was sie nun davon hatte, was ändern zu wollen. Sie war nicht für das Leben außerhalb der Spielzeugkiste bestimmt, sie sollte am besten darin bleiben. Schließlich konnte ihr dort nichts passieren. Die Dunkelheit war ihr Schutz, ihr eiserner Mantel, den sie abgelegt hatte, als sie an das Tageslicht kam. Der warme Schatten, der sie umhüllte, war sowieso viel angenehmer als der kalte Wind auf der zugigen Spitze der Realität. Sie hatte es verdient.
 

Als Jazmin gerade dabei war, wieder in einen leichten Schlaf zu verfallen, öffnete sich auf einmal die Tür des Krankenzimmers. Herein kam eine kleine, dickliche Krankenschwester. Sie hatte ihre langen, braunen Haare zu einem Zopf im Nacken zusammengebunden. Ihr nettes, rundes Gesicht brachte ein wenig Wärme in die kalte Atmosphäre. Sie trug ein Tablett, auf dem verschiedene Medikamente standen. Als sie Jazmin erblickte, die ihr nun etwas ärgerlich entgegen starrte, zog sich das Erstaunen durch ihr Gesicht. Sie stellte das Tablett schnell auf dem kleinen Tisch ab, der dem Bett gegenüber stand und ging sogleich zu Jazmin.

„Sie sind wach! Wie geht es Ihnen? Haben sie schmerzen?“ Jazmin war leicht überfordert, da mehr als eine Frage in ihrem Kopf ein kleines Chaos verursachte und starrte ihr nur leicht verwirrte entgegen.

Die Schwester nahm Jazmins Handgelenk in Beschlag und maß den Puls, der tobte wie eine Horde wilder Pferde. Doch das tat der Erleichterung der Schwester keinen Abbruch.

„Ich werde sofort Mr. Wayne informieren. Er wartet schon seit Tagen, dass sie aufwachen“ und mit diesen Worten verschwand sie auch wieder.

Nett, dass Sie fragen, ob ich überhaupt jemanden sehen will…, dachte sich Jazmin.

Seit Tagen…Wie lange war sie denn nicht wach gewesen?

Eigentlich waren es nur zwei Tage. Sie wurde noch in derselben Nacht operiert und lag einen Tag im künstlichen Koma, um sich zu erholen. Die Krankenschwester schien zur leichten Übertreibung zu neigen.
 

Jazmin vergrub sich wieder unter der Decke, als sich die Tür zu ihrem Zimmer erneut öffnete. Es war ihr mehr als peinlich in diesem Aufzug gesehen zu werden. Schwäche war etwas, dass sie schon oft genug verspürt hatte, doch es nie zeigen wollte.

Bruce kam hinein, blieb kurz an der Tür stehen, ihm schien die Situation ebenfalls unangenehm zu sein. Es bestand kein Zweifel, dass er sich die Schuld an dem ganzen gab. Schließlich hatte er sich es ja selbst zur Aufgabe gemacht, sie vor allem zu beschützen, bis sie allein in dieser gottlosen Welt zu Recht kam. Er hatte sich geschworen, einmal nicht mit Waffen zu kämpfen sondern mit bloßer Menschlichkeit. Und er hatte versagt.

Doch Bruce machte gute Miene zum bösen Spiel, mit einem bedrückten, aufgesetzten Lächeln trat er näher und setzte sich auf den Stuhl, der direkt neben Jazmins Bett stand. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Dazu war diese Situation zu absurd. Jazmin versuchte nicht, sich ein gekünsteltes Lächeln abzuringen. Was würde das schon bringen. Sie standen vor vollendeten Tatsachen. Was geschehen war, konnten jetzt auch keine aufgesetzten Floskeln wieder gut machen.

Bruce schaute Jazmin aus gesenktem Blick an und begann mit zögerlichen Worten:

„Es tut mir Leid. Ich meine, dass ich nicht da war. Ich hätte…“ Doch Jazmin winkte ab. „Das brauch dir nicht Leid zu tun. Ich war schon so oft kurz davor zu sterben. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran, dass es wohl einfach nicht klappen soll“

Bruce schien nicht den Sarkasmus darin zu erkennen, viel mehr hatte er sich in seiner geistigen Verzweiflung verbissen und fand nun keinen Weg aus dieser Misere.

„Was ist eigentlich passiert?“ Jazmin versuchte sich ganz dumm zu stellen, um zu sehen, wie weit Bruce über den Verlauf des gestrigen Abends wusste. Wusste er, dass der Joker der Täter war?
 

Bruce räusperte sich und blickte auf den Boden.

„Naja, du wurdest gefunden, du lagst auf dem Boden des Parkhauses, blutend. Ein Zivilist hatte dich entdeckt und sofort den Notarzt gerufen. Du wärst fast verblutet“

Ihm fiel es sichtlich schwer, darüber zu reden. Nervös strich er sich über die Hosenbeine.

„Schade“, flüsterte Jazmin. So kurz vorm Ziel…

„Man wird dich vernehmen, sobald es dir wieder besser geht. Man braucht noch deine Seite der Geschichte. Hast du eine Ahnung, wer der Täter war?“ Er blickte besorgt auf, in der Hoffnung, Jazmin könnte ihm weiter helfen. Schließlich war es nun sein Job, Rache zu üben. Denn schließlich war er der „Racheengel Gothams“. Keine Rücksicht auf Verluste.

Jazmin zögerte und schüttelte schließlich langsam den Kopf.

„Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich bin ins Parkhaus gegangen und dann hat mich jemand von hinten überfallen. Ich konnte niemanden sehen“

Bruce runzelte die Stirn. „Warum warst du eigentlich im Parkhaus?“ Jazmin krallte sich nervös in ihre Bettdecke. „Ich-ich wurde verfolgt und da bin ich die Treppen hinunter gerannt“, beschwichtigte sie mit zittriger Stimme. Sie log ja nicht, sie sagte nur nicht die ganze Wahrheit.
 

Doch Bruce blickte sie immer noch misstrauisch an. „Von hinten, sagst du? Hm…“, doch er wollte seine Vermutungen nicht aussprechen, damit würde er sein Misstrauen gegenüber ihr nur noch deutlicher zeigen und dazu war er nicht im Recht. Schließlich vertraute er Jazmin, sie müsse sicherlich erst ihre Gedanken ordnen, ehe sie alles schildern könnte.

Sein Blick wechselte nun wieder zu besorgt und die Ernsthaftigkeit in seinen Augen ließ Jazmin sofort erraten, was nun käme.

„Also, ich will dich ja nicht beunruhigen, aber ich denke, es könnte der Joker gewesen sein oder einer seiner Handlanger“, er senkte seine Stimme, sodass sie nur noch ganz leise zu Jazmin drang. Diese biss sich auf die Lippe, doch versuchte so souverän es ihr möglich war, darauf zu antworten.

„Nein, nein, dass glaube ich nicht, ich meine, dass hätte ich gemerkt. Ganz sicher“-

„Wie denn, wenn du den Täter nicht gesehen hast. Wäre doch möglich“-

„Nein. Ähm…Ich denke, ich sollte mich noch ein wenig ausruhen“ Jazmin ließ sich tiefer in die Kissen sinken und deutete starke Schläfrigkeit an.

„Ja, du hast Recht. Ruh dich aus. Ich komme wieder, wenn du wieder ganz wohl auf bist“, er erhob sich von seinem Platz und ging Richtung Tür.

Jazmin nickte und legte sich auf die Seite, auf der sie in die Nacht hinaus schauen konnte. Sie merkte nicht, dass Bruce noch stehen blieb und Jazmin mit großer Besorgnis anschaute. Irgendetwas sagte ihm, das nicht alles mit rechten Dingen vor sich ging. Er hatte das Gefühl, dass sie ihm etwas verschwieg. Die Karten lagen zwar auf dem Tisch, doch irgendjemand schien noch einen Joker zu haben, um ihn im letzten Moment auszuspielen…im wahrsten Sinne des Wortes…
 

Jazmin schloss die Augen und wartete gespannt darauf, endlich die Tür zu hören und sich damit über Bruces Abwesenheit sicher zu sein.

Als sie endlich das sanfte Aufschlagen des Stahls auf dem Rahmen hörte, öffnete sie wieder ihre Augen und drehte sich mit einem Seufzer auf den Rücken.

Egal was sie spielte, sie wusste es ja selbst einmal nicht, sie bräuchte das richtige Blatt um zu Bluffen, sie bräuchte die rettende Karte auf der Hand.
 

Sie war mehr als verwirrt. Vor einigen Tagen noch war sie sich so sicher, nun endlich im richtigen Leben angekommen zu sein, doch nun glaubte sie, geirrt zu haben. Wenn das die richtige Seite wäre, dann ist sie mit sehr viel Schmerz und Leiden verbunden. Da wo sie vorher war, war der Schmerz nicht da. Er wurde erstickt in der drückenden Schwere der Dunkelheit, er wurde ersetzt durch das labende Gefühl der Rache, des Todes, des vergossenen Blutes gebrachter Opfer.

Wäre sie doch nur an jenem Abend gestorben, an dem sie von dem Dach gesprungen ist, dann würden sie jetzt nicht diese Probleme quälen, dann wäre sie allem Übel, aller Hin- und Hergerissenheit entflohen. Dieses ganze Gerede von der richtigen Seite, von Gut und Böse, von Richtig und Falsch bereitete ihr Kopfschmerzen. Was finden nur alle an ihr, dass sie sich so darum reisen, sie auf ihrer Seite zu haben? Ihr war es doch egal wo sie war, Hauptsache, sie müsse nicht mehr dieser schrecklichen Welt ausgesetzt sein. Sie schien gefangen in einem Teufelskreis, ging einen Schritt, wurde wieder zwei zurück geworfen. Sie befand sich auf dem dünnen Grat zwischen Wirklichkeit und Traumwelt, zwischen stupider Engstirnigkeit und dem grenzenlosen Wahnsinn.

Sie kniff die Augen zusammen und hoffte die Erkenntnis im Traum zu finden. Im gefühlslosen, schmerzfreien Schlaf.

Mini Me

Es war mitten in der Nacht, als Jazmin auf einmal aufwachte. Sie wusste nicht warum, es gab nichts, was ihren Schlaf gestört hatte. Mit müdem Blick suchte sie das Zimmer ab, doch das monotone Piepen war das einzige, was ein Lebenszeichen von sich gab. Sie rieb sich die Augen und wollte sie wieder schließen, als sie auf einmal das Licht aufflackern sah. Sie hielt inne und schaute nochmals genau hin, um sich zu vergewissern, dass jetzt zu dem geistigen Defizit jetzt auch nicht noch ihre Augen betroffen waren. Doch noch im selben Moment ging das Licht aus und sie saß im Dunkeln. Gut, ein Stromausfall. Nicht schön, aber in einer Großstadt nicht selten. Trotzdem setzte sie sich etwas beunruhigt auf und zog ihre Decke mit sich. Es war komplett finster, nicht mal die Lichter Gothams konnten auch nur einen Funken Erleuchtung in ihr Zimmer bringen. Sie saß da und bewegte sich kein Stückchen. Paranoid huschten ihre Äuglein durch die Dunkelheit doch erspähten nichts weiter als nichts Sagendes schwarz. Sie atmete tief durch und ermahnte sich zur Disziplin. Kein Grund, einen Aufstand zu machen. Das bisschen Dunkelheit.
 

Sie meinte ein Knacken zu hören, ja fast wie Schritte, die aber schon im selben Moment, in dem sie auftauchten, wieder verschwanden. Kein Grund zur Aufregung. Glücklicherweise schaltete sich der Strom nun wieder ein und mit einem verschlafenen Flackern meldete sich die Glühbirne zurück. Jazmin atmete erleichtert aus und wollte sich gerade wieder hinlegen, als sie auf einmal etwas am Fußende ihres Bettes entdeckte. Sie schaute genauer hin, der Schlaf in ihren Augen raubte ihre die Sehkraft. Sie beugte sich vor und identifizierte diese dunkle Etwas als eine Puppe…ihre Puppe. Sie rieb sich abermals die Augen, glaubte nicht was sie dort sah. Sie streckte ihr dünnes Ärmchen hervor, um sie zu greifen. Es war tatsächlich ihre Puppe, die, die sie vor einigen Jahren gefunden hatte und die sie in den zwei Jahren Aufenthalt in der Psychiatrie begleitete. Sie erkannte die blonden Zöpfe und das blaue Kleid, das sie trug. Doch als Jazmin genauer hinschaute entdeckte sie etwas, das ihr unbekannt war. Des Püppchens Augen waren pechschwarz ummalt. Die dunkle Farbe zog sich von den Augenbrauen bis hin zu den Wangenknochen, sie war ungewöhnlich blass und ein blutroter Mund zierte ihr schmales Gesicht und lachte Jazmin hämisch an. Es schien, als blicke ihr ein kleiner Totenkopf entgegen. Sofort hatte sie wieder das schreckliche Clownsgrinsen vor Augen und umso länger sie in die toten Augen der Puppe blickte umso heftiger begann sie zu zittern. Aus dem Zittern entstand ein Impuls, der Jazmins Arm hervor schnellen ließ und die Puppe in hohem Bogen an die gegenüberliegende Wand geworfen wurde. Mit einem lauten Plumps prallte sie an der Wand ab und fiel zu Boden.
 

Jazmin hatte keine Ahnung, was hier gespielt wurde. Kaum war mal kurz das Licht aus, suchten sie schon Halluzinationen heim. Doch als ein leises Lachen rechts von ihr ertönte, war sie sicher, dass dies keine Halluzination war. Sie riss die Äuglein auf und drehte das Köpfchen zur rechten, und was sie dort erblickte, ließ ihre Wunde auf dem Bauch pulsieren.

Lässig ans Fenster gelehnt stand dort der Joker, der aus pechschwarzen Augenhöhlen Jazmin entgegen starrte. Der rote Mund war zu einem schaurigen Grinsen verzogen und aus ihm drang ein tiefes Lachen, was den Boden beben ließ. Jazmin starrte zurück, wusste nicht, wie ihr geschah, versuchte bloß ganz perplex ihren Gegenüber zu fixieren.

Der Joker löste seine Haltung und ging zu dem Püppchen, dass nun achtlos auf dem Boden lag. Er bückte sich, um es aufzuheben.

„Na, na, Püppchen, nicht so unartig…das fällt dir irgendwann noch mal auf die Füße“ Er hob die Puppe mit unerwarteter Sorgfalt auf und wendete sich nun Jazmin zu, die ihn immer noch mit großen Äuglein anstarrte. Oh, sie hoffte inständig, zu halluzinieren, doch leider schien dies doch Realität.

„Freust du dich nicht, mich zu sehen? Ich meine, so ein bisschen Besuch…zur Genesung“ Er ging um ihr Bett herum, die Puppe in der Hand haltend und setzte sie schließlich sanft auf Jazmins Bauch ab. Diese tat keinen Atmenzug und umso näher der Joker kam, desto mehr verschwamm die Welt vor ihren Augen. Sie kam sich vor wie in einem schlechten Film. Äußert schlecht. Und auch kein bisschen witzig.
 

„Tja, da bist du selbst schuld dran“, er zog die Brauen argwöhnisch in die Höhe, „Unartige Püppchen müssen eben bestraft werden…Das siehst du doch ein, oder?“

Er hob die Hand und fuhr Jazmin durch die blonden, zerzausten Locken. Dabei hielt er ihren Kopf so fest, dass sie ihn nicht abwenden konnte und so gezwungen war, ihn anzuschauen.

„Aber ich habe Verständnis, Püppchen, ich bin ja nun auch kein Unmensch“, er lachte selbstgefällig in sich hinein, „Ich weiß, dass in deinem kleinen Köpfchen ein riesen…großes…Chaos herrscht“, dabei drehte er ihren Kopf hin und her. Er beugte sich zu ihr hinab, sodass sie seinen Atmen auf ihrem Gesicht spüren konnte. „Aber ich gebe dir noch eine zweite Chance…da du ja anscheinend sowieso nicht tot zu kriegen bist…“, fügte er leicht verärgert hinzu, „Doch entscheide gut, an wen du dich jetzt hältst. Denn wie du gesehen hast, unser Dunkler Ritter konnte das hier ja auch nicht verhindern…Außerdem ist das Leben viel zu kurz, um falsche Entscheidungen zu treffen, findest du nicht?“

Jazmin konnte es einfach nicht begreifen. Verwirrung war kein Ausdruck ihres derzeitigen Befindens. Einen Moment erlaubte sie sich, über das nachzudenken, was der Joker gesagt hatte.

Vielleicht hatte er ja Recht.

Ja, vielleicht war sie selbst schuld…vielleicht, vielleicht war es gut, dass das passiert…Nein!

Er wollte sie töten, gerade da, wo sie an dem Punkt war, doch leben zu wollen. Er hatte ihr fast alles genommen, für was sie in den letzten Wochen gekämpft hatte! Dafür gab es keine Rechtfertigung!
 

Sie nahm all ihre Kraft zusammen und stieß den Joker von sich.

„Wenn du es schon nicht geschafft hast, dem Elend hier ein Ende zu bereiten, dann lass mich doch einfach da, wo ich gerade bin! Ich hab keine Lust mehr auf diese Spielchen! Such dir eine andere Marionette!“

Sofort lehnte er wieder über ihr und hielt ihre Ärmchen fest, sodass sie sich nicht bewegen konnte.

„Oh, ohne dich ist es aber nur halb so lustig. Außerdem geht es hier nicht darum, worauf DU Lust hast. Es geht hier in keinster Weise um dich. Du bist nur Mittel zum Zweck. Du gehörst mir. Du bist mein Spielzeug. Und wenn ICH keine Lust mehr auf dich habe, dann bring ich dich wieder dahin, wo du hingehörst. In deine einsame, trostlose Welt, in der du qualvoll verrecken kannst. Wie wär’s damit? Hm, Püppchen? Was sagst du?“ Er erhob sich wieder und trat einige Schritte zurück. „Du hast zwar keine Wahl, aber überleg’s dir. In dieser Welt wirst du keine Zukunft haben, dafür werde ich sorgen. Ich geb’ dir Zeit, es liegt in deinen Händen“ Er drehte sich um und verließ den Raum. Das letzte was sie von ihm sah, war der Stoff des violetten Mantels, der um die Ecke huschte.
 

Jazmin saß wie angewurzelt da und verzog keine Miene. Doch irgendwie hatte sie das Bedürfnis, laut loszulachen. Einfach so, einfach weil das alles hier so absurd und paradox war…so wie sie es sich eigentlich immer gewünscht hatte.

Sie hatte keine Wahl, sollte es sich aber trotzdem überlegen. Das machte wenig Sinn, aber für sinnlastige Worte war der Joker ja nun auch nicht bekannt. Sie sollte sich also überlegen, ob sie wieder dahin zurück wolle, wo sie herkam. In die Welt, die von Abhängigkeit und Zwang gezeichnet war. In der es keinen Lichtblick gab, keine Zukunft, sondern nur abnormale, verrückte, grausame Dinge. Kein Licht am Ende des Tunnels, aber Blutbefleckte Hände.
 

Jazmin lehnte sich wieder zurück und und nahm die Puppe auf ihrem Bauch in die Hand. Sie fuhr ihr über das blasse Porzellangesicht und schaute sie intensiv an, als könne sie ihr verraten, was nun geschehen würde. Ihr wurde die Qual der Wahl sicherlich abgenommen werden, doch es wäre besser für sie, sich selbst für „das richtige“ zu entscheiden. Besser für ihre Gesundheit. Sie stand in einer Sackgasse und der einzige Ausweg war der Gullideckel, der gerade Wegs in die Hölle führte. Es war ein Nullsummenspiel. Und sie war am verlieren.

The Origin Of Good And Bad

„Erzähl mir was. Ich meine alles“

Jazmin blickte Bruce verwirrt an. „Was soll ich denn erzählen?“, fragte sie mit verständnislosem Blick.

„Du bist nicht die, für die du dich ausgibst. Zumindest nicht in meiner Gegenwart. Du verschweigst mir was. Und tu' nicht so, als wüsstest du nicht, wovon ich rede“-

„Ich weiß nicht wovon du redest“

Bruce seufzte und rieb sich genervt über das Nasenbein.

Er hob den Blick und schaute ihr ausdruckslos entgegen. Er erhoffte das zu hören, was er schon seit so langer Zeit hatte hören wollen, was ihn aber nie erreichte. Er gab ihr Zeit, er gab ihr alles, was sie brauchte und alles was er wollte, war doch nur eine Antwort. Er hatte sie doch verdient. Er hatte Geduld gehabt, viel Geduld, hatte sich immer wieder eingeredet, dass er irgendwann den Lohn für diese Farce erhielt. Es war auch Arbeit für ihn. Schließlich war sie sein „Job“. Über sie könnte er so vieles über den Joker herausfinden und gleichzeitig über den kompletten Untergrund Gothams. Er hätte die Fäden in der Hand, er könnte ein für alle Male die Straßen Gothams frei räumen. Doch das Mädchen versperrte sich gegen alles, gegen jedes Gespräch, ließ jeden Ball fallen, den er ihr zuspielte. Nur ab und an gewährte sie ihm einmal Einblick in ihre absurde Welt, in ihren chaotischen Kopf, doch nicht lang und sie war wieder das verschlossene, kleine Mädchen, das kein Wort sprach. Sie war ihm ein Rätsel, ein ungeklärtes Phänomen. Dabei wollte er doch nur helfen...
 

Jazmin hatte die kleine Puppe unter ihrer Bettdecke versteckt und streichelte ihr nun nervös durchs Haar. Bruce' Fragen verwirrten sie, warum wollte er sie so ausquetschen? Ihn hatte es doch die ganze Zeit nicht interessiert, wer sie war, wo sie herkam und der ganze Mist. Das war das gute an dieser merkwürdigen Beziehung. Er vertraute ihr, ohne auch nur ein Stück von dem Eisberg zu kennen, der unter der Wasseroberfläche schwamm. Was wäre dieses parasitische Verhältnis noch wert, wenn er die ganze Wahrheit kannte?
 

„Ich habe dich in diese Welt gebracht, damit du mir helfen kannst dir zu helfen“
 

Ach ja, so war das. Nicht etwa, damit sie ihn mit diversen Informationen füttern kann. Zu ihrem eigenem Wohl also, wie immer.
 

„Und das geht nicht, solange ich nicht alles weiß. Solange ich mir nicht sicher bin, dass du mir komplett vertraust“
 

Vertrauen? Was heißt schon vertrauen...In dieser Welt heiß Vertrauen Naivität. Glaube niemanden, denn sie wollen alle nur dein Schlechtestes. Verlass dich auf andere und du bist verlassen.
 

Jazmin kniff nachdenklich die Augen zusammen, doch ihre Miene blieb kühl und ernst.
 

Doch was nützte ihr diese „Beziehung“, wenn doch schon festgelegt war, wo ihr Platz ist. Sie müsse diese Welt, seine Welt sowieso verlassen. Der Joker würde sie holen, früher oder später. Sie würde zurück in die Welt kehren, in der sie ihrem Ärger Luft machen konnte, in der Rache das einzige Gefühl war, das sie spürte. Rache und die pure Lust am Töten. Sie würde wieder auf der sicheren Seite stehen, denn wenn sie die Gesellschaft des Jokers teilte, konnte ihr nichts und niemand etwas anhaben. Es war besser auf seiner Seite zu stehen, als auf der des Dunklen Ritters. Es war besser dort zu sein, wo es keine Regeln gab und wo die reine Anarchie herrschte. Denn wer Regeln brach, hatte immer mehr Macht, als derjenige, der fair spielte. Fairness war nicht das, was diese Welt beherrschte. Nur der Stärkere überlebte. Und der Stärkere kannte keine Grenzen. Das Chaos kannte keine Grenzen. Und wer das Chaos beherrschte, beherrschte die Welt. Wozu da noch fair spielen und verlieren, wenn man doch gewinnen konnte? Wozu auf der schwachen Seite stehen, die einen nicht schützen konnte? Denn wenn die Welt brennt, fragt keiner mehr, wer hier fair gespielt hat. Dann kontrolliert nur noch der Verrückte das Chaos.
 

„Was willst du hören? Dass ich eine schwere Kindheit hatte und ich deshalb auf die falsche Bahn gekommen bin und dass du derjenige bist, der mich wieder auf den richtigen Pfand bringen kann, indem du mir die schöne Seite des Lebens zeigst?“, sie zuckte die Schultern, „Vielleicht stimmt das auch...ich hatte keine schöne Kindheit und das, was ich erlebt habe, hat mir gezeigt, wie die Welt wirklich ist. Ich habe von Anfang an kein Licht am Ende des Tunnels gesehen und bin auch nie davon ausgegangen, dass mir irgendwann mal was gegenteiliges passieren wird. Ich musste mich schon mein ganzes Leben lang unterordnen. Ich habe getan, was andere von mir wollten. Ich habe mich benutzen lassen...“, sie schluckte schwer, „Ich habe alles über mich ergehen lassen, denn ich war es ja gewohnt. Weißt du, so ist das nun mal. Warum sollte ich anders denken, anders handeln, besser handeln, als es mir beigebracht wurde? Wenn du dein ganzes Leben lang kein Licht siehst, wird du nicht irgendwann auf die Idee kommen, danach zu suchen, du wirst alles so leben, wie du es gelernt hast. Und ich habe gelernt, mich an den Stärkeren zu halten. Vielleicht muss ich dabei viel von mir weggeben, doch nur so überlebe ich. Die Welt, aus der ich komme, war nicht wie diese. Sie gab mir das, was ich bisher brauchte. Sie erlaubte mir meine Wut gegenüber dieser hässlichen Gesellschaft auszuleben. Ich konnte mich endlich rächen. Ich konnte Menschen den Schmerz spüren lassen, den ich selbst erfuhr. Und weißt du, was das witzige daran war, ich tat es gerne, so wurde es mir schließlich vorgelebt. Ich lernte wie ein kleines Kind, dass das der richtige Weg sei, zu überleben. Und ich glaubte es, weil es sich richtig anfühlte“, sie sprach so nüchtern, dass es sich fast normal anhörte, was sie da sagte. Bruce konnte kaum glauben, was er da hörte. Langsam klappte ihm die Kinnlade hinunter. Etwas benommen schüttelte er den Kopf. Nachdem Jazmin fertig war, saß er einfach nur da und ließ sich all das nochmals durch den Kopf gehen.
 

„Willst du damit sagen, du bereust nicht, was du getan hast? Du bereust nicht, dass du unschuldige Menschen getötet hast?“, sagte er fassungslos.

„Kein bisschen“, brachte sie ihm mit ihrer zarten Stimme entgegen.

Bruce stand auf und ging zu dem Fenster, das einen außergewöhnlichen Ausblick auf das nächtliche Gotham gewährte. Er lachte leise auf, ein ungläubiges, verzweifeltes Lachen.

„Also ist es dir egal, was geschehen ist? Ich dachte, du wärst belehrbar, könntest aus deinen Fehlern lernen. Stattdessen ist es dir total egal“-

„Warum sollte ich ein besserer Mensch sein, als es die anderen sind? Du glaubst tatsächlich immer noch, jeder Mensch wäre gut. So wie du. Aber das stimmt nicht. Menschen sind so, wie sie geschaffen wurden. Manche gut, manche böse. Doch was störst du dich so an denen, die nicht gut sind? „Gut und Böse“ haben doch im Endeffekt das selbe Ziel, beide wollen den anderen übertrumpfen und die Schlacht gewinnen. Wenn „Gut“ die bessere Seite wäre, hätte sie schon längst den Krieg gewonnen. Doch das hat sie nicht. Weil Gut und Böse den selben Ursprung haben. Sie unterscheiden sich lediglich durch ihre Herangehensweisen“
 

Bruce drehte sich zu ihr herum und blickte Jazmin fest in die Äuglein. Er hatte gedacht, er könne es schaffen, doch nun war ihm klar, er hatte verloren. Und was das schlimmste war: Sie hatte recht. Gut könnte nicht gewinnen. Er hatte immer gedacht, er könnte etwas verändern, denn schließlich war er der Schatten, der Gotham schützte. Er war der Übermensch, den niemand etwas anhaben konnte. Er schlug Verbrecher in die Flucht, raubte ihnen jegliche Möglichkeiten, weiter Unglück über diese Stadt zu bringen. Und jedes mal, als er wieder einen hinter Gitter gebracht hatte, dachte er, er hätte die Welt ein kleines Stückchen besser gemacht. Doch es war unmöglich sie alle zu besiegen. Denn wenn einer beseitigt war, tauchten wieder zwei neue auf. Wie Jazmin. Sie wurden geschaffen von einer Laune der Natur, damit diese Seite nie ausstirbt, damit das Gleichgewicht auf der Welt nicht außer Kontrolle gerät. Diese Erkenntnis machte ihn nicht wütend, sondern einfach nur traurig. Denn sie stellte alles, was er bisher geschafft hatte, in Frage.

Und ihm tat es Leid, das aus dem Mund des Mädchens zu hören. Die Welt war wahrhaft gottlos. Denn dieser Konflikt machte nicht einmal halt vor der vermeintlichen Unschuld in Person.
 

„Ich kann nichts dafür. Das einzige was ich tun kann, ist mich dem zu beugen“, sie blickte auf den Boden, als fiele es ihr schwer, das zu sagen.

Und Bruce müsse sich dem genauso beugen. War diese Lage wirklich so aussichtslos, wie sie schien? War alles verloren? Alles für umsonst? Warum hat sie ihre Meinung so schnell geändert? Es war, als hätte der Joker ihr persönlich befohlen, wieder zu ihm zurück zu kehren...
 

„Wenn das deine Meinung ist...“, sagte er mit gesenktem Blick, „Auch wenn ich finde, es ist die falsche“, waren seine letzten Worte, ehe er das Krankenzimmer und damit das Gotham General verließ.

The Comeback

Bruce saß in seinem Appartement, die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen am Küchentisch. Er versuchte, sich klar darüber zu werden, was soeben geschah. Er konnte es immer noch nicht glauben, was er gehört hatte und er hoffte wieder und wieder sich getäuscht zu haben, doch dazu waren seine Erinnerungen an das Gesagte zu deutlich. Schon seit einer Stunde kauerte er in der selben Haltung, den Blick starr auf die glänzend polierte Tischplatte gerichtet, als könnte sie ihm sagen, wie es nun weitergeht. Die Tasse Tee, die ihm Alfred vor einer viertel Stunde gebracht hatte, stand nun kalt und unberührt ihm gegenüber.

„Ich konnte mich nicht daran erinnern, Ihnen etwas in den Tee getan zu haben. Sind Sie überhaupt noch wach?“, witzelte Alfred und nahm die abgekühlte Tasse wieder auf. Bruce rührte sich kein Stück. Alfred seufzte. Nun würde es an ihm sein, seinen Schützling wieder aufzubauen. „Was bringt es Ihnen, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. »Was wäre wenn«- Theorien können daran jetzt auch nichts ändern“, sagte er in ungewohnt mitfühlenden Ton, der aber sofort wieder auf ernst und tadelnd umschlug, als Bruce keinerlei Regung zeigte.
 

„Zur Hölle, ich habe es Ihnen ja gesagt! Es war von Anfang an eine schlechte Idee gewesen, sie aufzunehmen. Ich werde Ihnen jetzt nicht sagen, dass es nicht Ihre Schuld ist, weil es Ihre ist. Sie können es ja nicht lassen, anderen helfen zu wollen. Das ist ja fast krankhaft. Master Wayne, sie müssen unterscheiden lernen, wer Hilfe verdient hat und bei wem es nichts bringt. Alles was sie jetzt tun können, ist die Sache ins reine zu bringen“

Bruce drehte leicht den Kopf zur Seite, sodass er Alfred aus gequälten Augen anschauen konnte.

„Ich habe schon mit ihr geredet“, brachte er mit piepsiger Stimme hervor. Alfred verdrehte die Augen.

„Master Wayne, ich meine nicht reden. Ich meine die Anstalt. Bringen Sie sie dorthin, wo sie schon von Anfang an hin gehört hatte. Nach Arkham“

Bruce drehte wieder den Kopf nach unten und schwieg weiter. Um jetzt alles so banal abzubrechen, war es schon zu spät. Wenn er nur lang genug darüber nachdachte, könnte er heraus finden, wie der Joker seine Opfer manipuliert. Und wenn er das herausgefunden hätte, dann stünde ihm ein ganz neuer Weg der Verbrechensbekämpfung bevor. Er müsste nur schnell genug hinter das Geheimnis des Jokers steigen.

Alfred schaute besorgt zu Bruce hinab. In solch einer Verfassung hatte er ihn noch nicht oft erlebt. Der sonst vor Elan und Kraft strotzende Dunkle Ritter war nun der am Boden liegende Hund. Obwohl es nicht dazu hätte kommen müssen, wenn er sich nicht eingemischt hätte.

Solche kranken Leute müssen selbst sehen, wie sie im Leben zurecht kommen. Und wenn sie meinen ihre Gefühle durch Mordgelüste ausdrücken zu müssen, dann könne man das mit keiner Therapie der Welt kurieren. Da würde nur noch Zwangsjacke und Gummizelle helfen.

Plötzlich stand Bruce auf und schlurfte hinüber zur Küchenanrichte, dabei nahm er Alfred die Tasse ab und schaffte sie selbst in die Spüle.

„Mit Ihnen stimmt wirklich was nicht...“, flüsterte Alfred zu sich selbst.

Bruce nahm sich ein Glas und wollte sich gerade Wasser einschenken, als er einen kleinen Zettel mit handschriftlichem Text rechts von sich liegen sah. Er nahm in in die Hand und hielt ihn sich vor seine Augen.
 


 

Das Püppchen ist fort,

und du musst es finden.

Sonst droht ihm der Mord,

und ich werd's an dich binden.
 


 

Als er diese vier Zeilen las, wusste er erst gar nicht was er damit anfangen sollte. Doch schon im nächsten Moment weiteten sich seine Augen. Wie zum Teufel kam das hier her...in seine Wohnung? Er las den kurzen Vers nochmals, um zu zu verstehen, was er meinte.
 

Jazmin...,

war sein nächster Gedanke und in einer Kurzschlussreaktion legte er den Zettel wieder hin und rannte zur Tür. Er schnappte sich seine Jacke und verließ das Appartement. Alfred wusste nicht, wie ihm geschah. Eben noch war Bruce ein Häufchen Elend, doch schon rannte er wie von der Tarantel gestochen nach draußen.

„Also heute kein Abendbrot mehr?...Master Wayne?“, rief Alfred Bruce hinterher, doch der war schon auf dem Weg zum Gotham General.
 

"Komm her. Komm. Komm her zu mir, Püppchen. Nun komm schon und folge mir“, hallte die schaurige Stimme des Jokers durch den dunklen Krankenhausflur. Von ihr betäubt taumelte Jazmin durch die Finsternis. Ihre Socken schleiften auf dem Boden.

Schritt für Schritt.

Immer weiter, der Stimme folgend. Jetzt war es soweit. Er war gekommen, um sie zu holen. Nun endlich würde sie kein Leid mehr erfahren müssen.

Schritt für Schritt.

Sie schaltete ihre Sinne aus. Die hohle Stimme des Jokers hallte wie ein Echo in ihrem Kopf wieder.

„Nun komm, beeil' dich, Püppchen. Komm her“

Und sie folgte ihm. Kein Gedanke an Geschehenes verschwendet, kein Blick zurück. Vergangenes ist vergessen. Zukunft in den Wind geschrieben. Nur das hier und jetzt, das tiefe Atmen, die zaghaften Schritte, das war die Gegenwart. Das war alles was zählte.

Und sie gab alles auf. Sie gab sich auf. Nun galt es nur noch zu folgen. Stumm und starr.

Schritt für Schritt.
 


 

Äuglein auf,

das Herzlein aus
 


 

Schritt für Schritt dem Verderben entgegen. Dem Verderben, dass das Leben bedeutete. Es war ihr Schicksal. Warum sollte sie sich dem Widersetzen? Das war ihr Glück. Das war die Welt, die ihr Freude bereite. Und sie ging ihr entgegen.

Schritt für Schritt.
 


 

Der Motor des Lamborghini heulte auf, als er zum wiederholten Male eine rote Ampel überfuhr. Von den Seiten drang aufgeregtes Hupen und empörte Rufe. Doch der Bleifuß auf dem Gaspedal kannte kein Erbarmen. Vor allen Dingen keinen Zeitverlust. Als wäre er allein auf einer Rennbahn, raste Bruce über den Highway, durch die City und schließlich zum Gotham General. Am liebsten wäre er im Fahren ausgestiegen.

Er parkte direkt vor dem Eingang, der eigentlich für Krankenwagen reserviert waren und sprang aus seinem Wagen an verdutzen Besuchern vorbei in das Krankenhaus. Oh, er hoffte inständig, dass es noch nicht zu spät war. Obwohl sein klarer Verstand versuchte ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Er eilte die Treppen hinauf in den zweiten Stock und rannte durch die dunklen Gänge zu Jazmins Zimmer. Die Dunkelheit färbte alles schwarz, sodass Bruce Mühe hatte, sich nicht zu verlaufen.

Nachts sind alle Katzen grau.

Er überholte eine Schwester, die sogleich verdutzt ihr Klemmbrett fallen ließ. Ansonsten war der Gang leer.

Er zählte die Türen zu seiner linken und stieß schließlich Jazmins auf. Die Tür knallte an die dahinter liegende Wand und gewährte Einblick in ein hell erleuchtetes, leeres Zimmer. Die Bettdecke lag fein säuberlich zusammen gelegt auf der Matratze. Sofort drehte er sich wieder um und lief zu der Schwester zurück, die ihn immer noch mit missbilligenden Blicken strafte. Doch ehe sie ihm zuvor kommen konnte, fragte Bruce heftig atmend, wo die Patientin des Zimmers 209 sei, diese antwortete ihm darauf nüchtern, dass diese vor einer dreiviertel Stunde abgeholt wurde.
 

„Abgeholt? Von wem?“-

„Einem Mann. Der Patientin ging es wieder gut, sie hatte sich gut erholt. Daraufhin nahm er sie mit“-

„Was für ein Mann? Hatte er grüne Haar, einen lila Mantel?“

Die Krankenschwester begann zu lachen, doch im selben Moment wurde sie wieder tot ernst.

„Geht es Ihnen gut?“ Bruce verstand erst nicht, dann schüttelte er hoffnungslos den Kopf und wendete sich von ihr ab.

Es war zu spät. Nun galt es eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Oder zu warten, bis ihm verraten wurde, wo sie steckte. Und so wie er den Joker kannte, würde das nicht lange auf sich warten lassen.
 

Hier war Endstation für Bruce Wayne. Nur der Dunkle Ritter könne das Schicksal des Mädchens noch ändern. Und er wird es ändern. Auf. Jeden. Fall.

Finally oder: Aller guten Dinge sind drei

Die beißende Kälte dieser pechschwarzen Nacht schien ein Omen zu sein. Denn so, wie sie sich in Gordons angespannte Muskeln bohrte, konnte sie nichts guten verheißen. Er zog den Reißverschluss seiner Jacke bis zum Anschlag hoch und vergrub sein Kinn im Kragen. Warten war etwas, was ihm noch nie gefallen hat. Und bei diesen Temperaturen sagte ihm die Warterrei noch weniger zu. Er hielt Ausschau nach ihm, durchfurchte die Nacht mit seinen kleinen, wachen Augen.

Die paar Tage Ruhe, die er hinter sich hatte, dienten nur für diesen einen Moment. Er müsste jetzt seine komplette Aufmerksamkeit und Konzentration auf die nächsten Stunden richten. Ihm durfte kein Fehler unterlaufen. Zu lange schon hatte er darauf gewartet und die Zeit der Erfüllung rutschte in unendliche Ferne. Doch nun war sie ganz nah. So nah, dass er sie nur packen brauchte, mit der bloßen Hand. Doch dazu würde er Hilfe benötigen. Seine Hilfe.
 

Gordon zog seine linke Hand aus der Jackentasche und schaute angestrengt auf seine Armbanduhr. Zehn vor Elf. Er seufzte und starrte wieder hinaus in die ewig dunkle Nacht.

„Hier bin ich“, sagte auf einmal eine tiefe und raue Stimme hinter ihm. Er kannte sie, doch sie zu hören, ließ ihm jedes mal einen Schauer über den Rücken laufen. Er drehte sich um und vor ihm im Schutze der Dunkelheit stand er. Der Dunkle Ritter. Sein schwarzes Gewand verschmolz förmlich mit der Finsternis und ließ ihn noch größer und mächtiger erscheinen.

„Sie haben einen Krankenwagen entführt. Vor etwa einer dreiviertel Stunde“, sagte Gordon mit besorgter Stimme. Er wusste, dass hinter dieser Sache mehr steckte, als eine einfache Entführung. Es war ein Spiel. Ein Spiel das ihnen drohte aus der Hand zu gleiten.

„Wo sind sie hin?“, fragte die raue Stimme.

„Wir haben die Spur noch nicht aufgenommen. Es sind einige Wagen in Gotham unterwegs, um sie zu suchen. Aber sie könnten überall sein. Wir können nur auf Meldungen warten“

„Sag deinen Leuten, sie können zurück kommen. Der Joker wird uns schon sagen, wo er ist. Und wenn es soweit ist, kann ich keine trotteligen Streifenpolizisten gebrauchen“, raunte ihm der Dunkle Ritter entgegen.

„Du schaffst das nicht allein, du brauchst Verstärkung. Der Typ ist gefährlich“, entgegnete ihm Gordon, der nun nervös von einem Fuß auf den anderen hüpfte.

„Das brauchst du mir nicht sagen. Wenn es soweit ist, gib mir eine halbe Stunde Vorsprung. Ich möchte das gern allein erledigen. Ihr könnt dann den Leichenwagen vor schicken, denn es wird nichts mehr zu verhaften geben“, mit diesen Worten schwang sich der Dunkle Ritter auf den Dachvorsprung des Hochhauses, auf dem sie standen und sprang hinaus in die Nacht.

„Vergiss nicht, wir wollen ihn lebend!“, rief Gordon ihm noch hinterher, doch da war er schon verschwunden.
 

Jazmin wurde auf der Krankentrage im Rückteil des Krankenwagens langsam wach. Verwirrt blickte sie sich um, bis sie sich wieder daran erinnert konnte, was passierte. In rasantem Tempo eilte der Wagen durch die Nacht, nahm jede Kurve ohne vom Gas zu gehen und fuhr ohne Rücksicht über Bänke und Briefkästen. Jazmin hatte Mühe sich festzuhalten, ohne auf dem Boden hin und her geschleudert zu werden. Wo wollte er mit ihr hin? Plötzlich hielt der Wagen, er schien gegen irgendetwas gefahren zu sein. Jazmin knallte erst gegen die eine Wand und fiel schließlich von der Trage auf den Boden mit dem Kopf voraus. Sie versuchte sich aufzurappeln und schüttelte den Kopf, als wolle sie die Vöglein vertreiben, die um sie herum flogen. Ihr schmerzten die Knochen und ihre Handflächen, die sie aufgefangen haben. Als das Wummern in ihrem Kopf langsam wieder leiser wurde und schließlich verstummte, bemerkte sie, dass es um sie herum Totenstill geworden war. Sie lauschte, dachte, das Zuklappen einer Tür vernommen zu haben und hob ihren Kopf, um den aufkommenden Schwindel zu unterdrücken. Langsam stellte sie sich auf ihre wackeligen Beinchen und klopfte sich ihr Kleid ab. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nicht mehr den Krankenhauskittel trug, sondern das weinrote Kleid, auf dessen Bauchseite ein riesiger Schlitz prangte. Doch ehe sie sich darüber wundern konnte, lenkte sie ein seichtes Atmen ab, dass direkt hinter ihr war. Sie hielt die Luft an und konzentrierte sich auf die Person hinter ihrem Rücken.

„Du hast dich doch richtig entschieden, Püppchen. Fein gemacht“

Jazmin sog diese Worte auf, als gäben sie ihr die Luft zum atmen. Immerhin war das jetzt der Weg, dem sie folgen müsste. Der Weg, der ihr Leben bedeutete.

Plötzlich drehte sich die Gestalt weg und riss die hintere Tür des Krankenwagens auf. Es wurde nicht unbedingt heller, nur einige Straßenlaternen erleuchteten spärlich die Straßen und drangen vorsichtig in den Wagen hinein. Der Joker hüpfte hinaus, doch als Jazmin ihm nach draußen folgen wollte, knallte er ihr die Tür vor der Nase zu.

Von draußen erklang seine krächzende Stimme: „Nein, nein, Püppchen, der erste Zug ist der meinige. Wir wollen doch unserem Dunklen Ritter nicht gleich alles verraten“ Jazmin blieb in der wieder eingekehrten Dunkelheit stehen und blickte verdutzt zur Tür. Ihm nicht alles verraten? Hatte der Joker etwa ein Geheimnis? Verwirrt taumelte sie rückwärts und setzte sich wieder auf die Krankentrage. Gut, wenn sie hier drin bleiben sollte, dann tat sie das auch. Schließlich war sie die Marionette und er der Puppenspieler.
 

Der Joker schlenderte vergnügt durch die dunkle Sackgasse, in der er den Krankenwagen mehr oder weniger geparkt hatte. Die Schnauze des Wagens klebte zusammen gequetscht an der Mauer ihnen gegenüber. Von dem Aufprall war ihm noch ein wenig schummrig, doch das schüttelte seine Vorfreude ab. Nun galt es, den Dunklen Ritter zu rufen und ihm einen kleinen Streich zu spielen. Oh, wie er sich darauf freute. Die ganze Arbeit würde sich nun auszahlen. Er hatte alles erreicht, was er erreichen wollte. Wenn sein Plan auch ein paar mal aus den Fugen geriet, so taten sich doch hier und da neue Möglichkeiten auf. Pläne schmieden war sowieso nicht sein Ding. Denn die spontane Reaktion, das, was ihm gerade durch seinen chaotischen Kopf huschte, war meist die bessere Entscheidung.

Nun würde er endlich nicht nur dem Dunklen Ritter sondern auch ganz Gotham, ach, der ganzen Welt zeigen, dass das Böse in jedem schlummert und nur erweckt werden muss. Ihm kribbelte es in den Fingerspitzen, als er darüber nachdachte.
 

Er lief aus der Sackgasse hinüber auf die andere Straßenseite. Diese Gegend hier befand sich am Stadtrand Gothams und hier war es so trist und tot wie auf einem Friedhof. Hier könnte er ungestört sein Werk verrichten. Genau vor ihm lag ein altes Fabrikgebäude. Es war nicht größer als 4 Stockwerke und in einer Stadt wie Gotham City ein regelrechter Winzling, doch es würde reichen. Die Fensterscheiben des rot-brauen Gebäudes waren schon zum größten Teil ausgeschlagen und die Wände mit Graffiti besprüht. Es war von Grund auf hässlich und um dessen Abwesenheit würde sicherlich nicht getrauert werden. Fast ein bisschen Schade. Es starb nicht einmal jemand. Noch nicht.

Er seufzte und griff in seine Manteltasche. Heraus holte er eine Packung Streichhölzer, klein und unscheinbar. Er ging zu dem verfallenen Eingang. Als er dem Haus näher kam, stieg ihm ein stechender Geruch in die Nase. Auf dem Boden war eine durchsichtige Flüssigkeit verteilt. Er nahm ein Streichholz und zündete es an. Kurz flammte es vor seinem Gesicht mit einem leisen Zischen auf und gewährte den Ratten, die hier umher liefen, einen Blick auf seine groteske Fratze.

„Showtime...!“, sagte er zu sich selbst und ließ das Streichholz fallen. Sofort entzündete sich das Benzin und bahnte sich seinen Weg durch das alte Gebäude. Der Joker trat zufrieden zurück und bestaunte seine Tat. Langsam entwuchsen aus den kleinen Flammen immer größere, die sich Stock für Stock hinauf fraßen und ein riesiges Lagerfeuer veranstalteten. Die roten Flammen schlugen dem pechschwarzen Nachthimmel empor und peitschten um sich.

Nun müsse der Joker nur noch auf seinen Gast warten. Den Hauptdarsteller in seiner Komödie.

Oh ja, es würde verdammt lustig werden.
 

„Brandmeldung Ecke 49. Palm Street“, dröhnte es durch das Telefon.

„Gut. Gib mir eine halbe Stunde. Ich bin unterwegs“, entgegnete die raue Stimme angespannt.

„Aber es brennt, wenn keiner löschen kommt, fackelt uns ganz Gotham ab!“-

„Ich sagte, gib mir eine halbe Stunde“, damit war der Kontakt abgebrochen.
 

Der Dunkle Ritter raste auf seinem Batpod durch die Straßen, immer dem beißendem Geruch des Rauchs folgend. Der Joker hatte „Hier“ gerufen und nun wäre es an ihm, dem Ruf zu folgen und ihn im Keim zu ersticken. Er konnte es kaum erwarten, ihn endlich zu schnappen, ihm endlich das zuzufügen, was er anderen angetan hatte. Er sah dies nicht als Rache, sondern als gerechte Strafe. Er hatte es verdient. Er sollte Leiden, wie es seine Opfer taten, er sollte vor Schmerz schreien, sein Blut sollte die Straßen Gothams entlang fließen.

Und er war der Henker, der die Strafe vollzog. Nicht, dass es ihm Spaß machte, doch ein gewisses Gefühl der Freude überkam ihn, beim Gedanken an Vergeltung.

Langsam sah er das glutrote Flackern durch die Straßen scheinen. Er fuhr auf das brennende Fabrikgebäude zu und hielt abrupt davor.

Nicht lange ließ er sich von dem schrecklichen Anblick des brennenden Hauses ablenken. Sofort stieg er ab und blickte sich um. Diese Nacht schien besonders schwarz, als wolle sie ihm davor bewahren, dass zu finden, was er suchte. Als wolle sie ihm den Blick versperren. Er ging einige Schritte auf die Straße und entdeckte die Sackgasse genau vor ihm. Als er etwas genauer hinschaute, vermochte er auch den Schimmer reflektierenden Metalls zu sehen. Der Krankenwagen. Auf leisen Tatzen, ähnlich wie eine Katze, schlich er in die Gasse.

Er hatte den Krankenwagen gefunden. Das war schon mal erstens. Das musste bedeuten, der Joker und Jazmin sich hier irgendwo aufhielten. Er bemerkte, dass die Motorhaube des Wagens eine schreckliche Delle in der Karosserie aufwies. Langsam ging er auf den Wagen zu.

Sie mussten hier irgendwo sein.

Er hoffte inständig, dass es noch nicht zu spät war. Hoffentlich würde der unterhaltsame Vers des Jokers nicht Wahrheit werden. Er trat an die Hintertür des Wagens heran und streckte den Arm aus, um sie zu öffnen, als er auf einmal einen Druck in Rückenmitte verspürte.
 

„Eh, eh, schön hier geblieben, mein Freund“, krächzte ihm eine bekannte Stimme entgegen. Der Dunkle Ritter wendete den Kopf und blickte zuerst in den Lauf eines Maschinengewehrs und dann in das blurote Grinsen des Jokers. Sofort drehte sich der Dunkle Ritter ganz herum, schlug dem Joker die Waffe aus der Hand, sodass sie einige Meter weit auf dem Boden schlitterte und packte ihn am Kragen.

„Wo ist sie?!“, bellte er ihn an.

„Wo ist wer?“, antwortete der Joker ganz unschuldig und blickte dem Dunklen Ritter argwöhnisch entgegen. Als er seinen Griff um des Jokers Kragen verstärkte und ihn noch näher an sich heran zog, sodass er des Dunklen Ritters Zähnefletschen aus nächster Nähe betrachten konnte, versuchte der Joker seinen Gegenüber wieder zu beruhigen. So konnte ja kein ordentliches Gespräch zu Stande kommen.

„Ach so, du meinst das Püppchen! Sag das doch gleich“, er griff selbstgefällig in seine Manteltasche und holte Jazmins kleines, verunstaltetes Püppchen heraus.

„Hier bitte. Da ist sie“, sagte er glucksend. Der Dunkle Ritter begann grauenvoll zu knurren und machte seiner Wut Luft, in dem er den Joker genau wie das Maschinengewehr zu Boden warf. Beim Fallen wirbelte er den Dreck, der auf der Straße lag, auf und versuchte sich mit seinen Händen aufzufangen, die jedoch unter der gewaltigen Kraft zusammen brachen. Der Joker blieb einige Sekunden liegen, spuckte Dreck aus und schüttelte ihn aus seinen wirren Haaren.

Der Dunkle Ritter stapfte wieder zu dem Krankenwagen hinüber und rüttelte am Türgriff. Als die Tür sich nicht öffnen ließ, schlug er einmal kräftig dagegen, sodass das Schloss knackte und die Tür aufschwang.

„Jazmin?“, rief er hinein. Keine Antwort. Es war zu dunkel, um ihre Anwesenheit festzustellen. Nur spärlich drang das Licht der wenigen Straßenlaternen in den hinteren Teil des Wagens. Er lehnte sich weiter hinein, bis er ein blasses Paar Beine erkennen konnte.

„Jazmin! Komm hier raus!“, rief er ein weiteres Mal. Keine Regung.

Ihre grauen Augen starrten nur tot in die Leere.

Die Worte des Dunklen Ritters rauschten durch ihren Kopf und verklangen in der Dunkelheit.
 

„Sie wird nicht heraus kommen. Da kannst du rufen, bis dir die Stimme wegbleibt“, rief der Joker. Er hatte sich aufgerappelt, sich den Dreck vom Anzug geklopft und sein Maschinengewehr aufgehoben, dass er nun locker in der rechten hielt. Der Dunkle Ritter ließ sich von seinem Geschwätz nicht ablenken. Natürlich würde sie heraus kommen. Sie war sicher nur verängstigt. Doch nun war er ja da, um sie zu retten. „Jazmin“, rief er ein weiteres mal, ohne Erfolg. Die Puppe bliebt sitzen.

„Bist du taub? Ich hab doch gesagt, sie wird nicht kommen. Nicht wenn DU sie rufst“, der Joker trat hinter den Dunklen Ritter.

„Komm raus, Püppchen!“, rief er hinein. Es klang, als würde ein Herrchen seinen Hund rufen.

Und wie von Zauberhand stand das Püppchen auf und wankte auf wackeligen Beinen aus dem Wagen hinaus an dem Dunklen Ritter vorbei. Dieser schaute nur verwirrt. Aber, er war doch der Retter, der Held, warum kam sie nicht zu ihm?

Jazmin tappelte zum Joker und stellte sich neben ihn, ganz dicht. Der Dunkle Ritter stand den beiden leicht verstört gegenüber, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen. Alles was er hatte war Wut. Wenn der Joker nicht mehr wäre, dann würde Jazmin auch zurück zu ihm kehren.

„Na, wie fühlt es sich an, so allein da drüben?“, brachte ihm der Joker entgegen. Mit gesenkter Stimme fügte er hinzu, „Und versagt zu haben?“-

„Ich habe nicht versagt!“, blaffte in der Dunkle Ritter an.

„Oh nein, natürlich nicht“, sagte der Joker und lachte leise auf.

„Lass mich dir an dieser Stelle mein Experiment vorstellen: Man nehme eine zerbrochene Persönlichkeit, füge ein wenig Boshaftigkeit und Terrorismus hinzu und man erhält die perfekte Marionette. Doch zu deiner Überraschung ist nicht das Püppchen hier die Hauptperson in meiner Horrorkomödie gewesen, sondern das bist du“

Der Dunkle Ritter konnte kaum noch seine Aggressionen unter Kontrolle halten, er ballte seine Hände zur Faust.

„Hör auf, mich mit diesem Schwachsinn zu langweilen! Die einzige Strategie, die du verfolgst, ist die Leute um dich herum in den Wahnsinn zu treiben. Du hast vielleicht die Überzeugungskraft, um Menschen auf den falschen Weg zu leiten, aber du hast nicht die Kraft, einen schlechten Mensch zu schaffen“

„Ist das nicht dasselbe?“, fragte der Joker, „Du hast kein bisschen von dem verstanden, was ich dir gerade versuche, verständlich zu machen. Also noch mal, für kleine, dumme Fledermäuse: Jeder Mensch ist Produkt seiner Erfahrungen. Natürlich gibt es Menschen, die nur Glück haben, ein schönes Leben haben, die keiner Fliege was zu Leide tun würden. Doch nehme diesen Menschen einmal das, was sie zu dem macht, was sie sind. Nehme ihnen Glück, Freude, und du wirst sehen, alles was bleibt ist Hass und Rache. Und jetzt stelle dir vor, du gibst diesen Menschen auch noch einen Grund, sich an der Gesellschaft zu vergehen. Oh, und du wirst sehen, heraus kommt ein hochexplosives Gemisch aus Gewalt und Terror.

Und jetzt sieh dich an. Du bist auch nur ein Produkt dieser trostlosen, gottverlassenen Welt, wie ich und das Püppchen. Und jetzt sag mir nicht, dass das, was du tust, etwas anderes ist. Denn was machst du? Du rächst dich an denen, die Unrecht taten. Wenn man es so sieht, bist du sogar noch schlimmer, denn du hältst das, was du tust, für gut und gerecht. Ich weiß wenigstens, dass das, was ich mache, nicht unbedingt der rechte Weg des Handelns ist, aber ich habe ja auch meine Gründe, die wir nicht näher beleuchten müssen“-

„Ich kann mir das nicht länger anhören! Hast du dir mal beim Reden zugehört? Du stellst alles so dar, wie es dir gefällt, wie du denkst, dass es sein sollte. Es ist gut, dass der Großteil der Menschheit anders denkt als du. Du bist ein Freak. Du gehörst weg gesperrt. Da kannst du ja den Ratten was von deiner Chaostheorie erzählen“-

„Oh, das hab ich schon. Hat sie nicht sonderlich interessiert. Aber ich gehe davon aus, dass dein Intelligenzquotient den einer Ratte übersteigt... minimal“, er kicherte, „Und was gedenkst du jetzt zu tun, du Held? Mich festzunehmen, das Püppchen zu retten?“-

„So was in der Art“, mit diesen Worten wollte er sich auf den Joker stürzen, doch dieser hielt ihm sogleich wieder sein Maschinengewehr unter die Nase, doch anstatt den Abzug zu betätigen, warf er sie in die Luft und fing sie verkehrt herum wieder auf, sodass der Griff nun in die Richtung des Dunklen Ritters zeigte.
 

„Bitte, du willst dich rächen, gerne. Du hast nun die Qual der Wahl. Entweder du erschießt mich, den, den du schon seit so langer Zeit um die Ecke bringen willst, deinen größten und dir sicher auch einzig überlegenen Feind. Oder du machst das Püppchen kalt. Die kleine Hure, die dich hat sitzen lassen. Oder, ja, oder du richtest die Waffe auf dich selbst, und bereitest dem Leiden hier ein Ende“, er nickte beschwichtigend. Der Dunkle Ritter hob langsam die Hand und nahm das Gewehr. Es überraschte ihn selbst, dass er das tat. Doch das Ende war so nah, er müsste nur zielen und abdrücken, und aller Leid hätte ein Ende. Jazmin würde endlich wieder frei, mit der richtigen Hilfe könnte sie wieder ein ganz normales Leben führen. Sie würde wieder ein Mensch werden und sich nicht mehr von solchen Geisteskranken beeinflussen lassen. Man stelle sich nur vor, wie viel Opfer verschont geblieben würden. Weniger Morde, weniger Tod, weniger Angst. Utopia oder eine reale Zukunft?
 

Das Gewehr lag schwer in seiner Hand. Es strahlte trotz der Handschuhe eine unangenehme Kälte aus. Der Joker trat einen Schritt zurück, Jazmin tat es ihm gleich. Ihr leeres Puppengesicht starrte in den Lauf der Waffe, als würde sie ahnen, was sogleich geschah. Was in ihrem Kopf vorging, wusste nicht einmal sie selbst. Sie wusste nicht, wo sie war, sie wusste nicht wer sie war. Sie wusste nicht, wie es zu all dem gekommen ist. Doch warum sollte sie es auch wissen? Wozu? Was bringt das? Was hätte es für einen Sinn? Von nun an müsste sie nicht mehr selber denken, nicht mehr selber handeln. Es war der Punkt, an dem sie aufhörte zu existieren.
 

Der Dunkle Ritter hob die Waffe und richtete sie zielsicher auf den Joker, der ihm mit einem beschwörerischen Grinsen auf den Lippen gegenüber stand. Seine funkelnden Augen schrien förmlich: Schieß! Tu' es! Umso länger der Dunkle Ritter in das wahnsinnige Gesicht seines Gegenübers schaute, desto sicherer wurde er sich seiner Sache. Er hatte sich geschworen, alle Opfer zu rächen, an denen, die ihnen Leid zugefügt hatten. Er wollte Gotham frei von diesem Dreck, von Mördern, Betrügern, Dealern und Spielern räumen. Und auch, wenn er die Welt nicht verbessern konnte, er konnte doch einen kleinen Lichtblick in den trüben Tag einer zerrütteten Gesellschaft zaubern. Man müsste nur genau hinschauen.

Er entsicherte und zielte genau auf die Brust des Jokers.

So nah. Endlich. Und er drückte ab. Und im selben Moment bereute er es.
 

Der Joker packte Jazmin am Arm und zog sie blitzschnell vor sich, als hätte er diesen Zeitpunkt genau vorhergesehen. Die Kugel bohrte sich in ihren Brustkorb, ihre zarte Porzellanhaut riss auf, ihre Rippen zersprangen und Arterien platzen. Die Krafteinwirkung der Kugel drückte sie an den Joker, der sofort seinen Arm um sie schnellen ließ und sie festhielt. Jazmins Beine wurden schwach und gaben schließlich dem Druck nach. Der Joker folgte ihr auf den Boden, sie auf seinem Schoß liegend.

Er hätte es ahnen müssen. Das war zu leicht gewesen. Viel zu leicht. Wie konnte er nur so dumm sein? Warum? Warum...Der Dunkle Ritter ließ das Gewehr fallen. Das schwere Metall landete mit einem lauten Klirren auf dem Boden und vergrub sich in einer Staubwolke aus Dreck. Dieser Moment schien still zustehen. Der Wind hörte auf durch die Straßen zu fegen, Blätter blieben im Fall stehen, nur der Klang des Schusses hallte durch die Gassen wie ein grausiges Echo.

„Oh, sieh nur, was du angerichtet hast...“, sagte der Joker in gespielt traurigem Ton. Ein hässliches Grinsen umspielte sein Gesicht. Es war diese Art von Gesichtsausdruck, bei denen man Rache verspürte.

Jazmin hatte ihre Hand auf die Einschussstelle gelegt. Sie versuchte nicht das Blut davon abzuhalten, zu fließen, dazu fehlte ihr die Kraft. Sie hatte ihre Augen aufgerissen, sodass die grauen Pupillen vollständig zu sehen waren.

„Du hast sie erschossen...“, der Joker blickte den Dunklen Ritter aus missbilligenden Augen heraus an.

Diese Worte trafen den ihn wie Nadelstiche. Er konnte nicht antworten, er konnte sich nicht bewegen. Was hatte er getan? Was hatte der Joker getan? Die Kugel war für ihn bestimmt!

„Und, wie fühlt es sich an, einmal Mörder zu spielen? Hast du auch so viel Spaß gehabt, wie ich ihn immer habe?“, seine Stimme war leise, dennoch lebhaft. Er betonte jedes einzelne Wort.
 

Jazmin japste nach Luft, die Kugel hat ihre Lunge in Stücke zerrissen.

Sie wollte atmend, die frische Luft, die sie umgab. So wie auf den Dächern Gothams, dort wo der eisige Wind sie umarmte. Plötzlich merkte sie, dass es dazu nie wieder kommen wird. Jetzt war der Punkt, auf den sie solange gewartet hatte. Sie starb. Dabei hatte sie es sooft versucht, war kurz davor gescheitert, doch nun schien dieser Moment näher denn je. Er war da. Nun gab es kein zurück. Nun würde sie wieder dahin zurück kehren, wo sie einst herkam. Wie der Joker gesagt hatte.
 

Von weitem her durchzechten Polizeisirenen die Nacht. Sie waren pünktlich. Sie hatten ihm genau eine halbe Stunde gegeben. In seinem Kopf drehte sich alles. Er wollte weg, doch seine Beine waren am Erdboden angewachsen. Dabei musste er gehen. Wenn sie ihn sehen würden, wenn sie herausfinden würden, was er getan hatte. Er fasste sich an den Kopf, doch der Schwindel verstärkte sich nur noch. Die Nacht verschwamm mit dem roten Blut, dass aus Jazmins Körper floss, zu einem unergründlichen Grau. Er dachte an nichts, nur immer wieder hallten ihm die Worte durch den Kopf: Warum? Ja, gute Frage. Warum. Weil der Joker es ihm befohlen hatte. Er hatte es ihm befohlen zu schießen, er hatte ihn manipuliert, wie er Jazmin manipuliert hatte.

Er hatte gewonnen.
 

Die schrillen Sirenen rissen ihn aus seinen Gedanken. Sie kamen immer näher. Du musst weg!, sagte ihm eine Stimme, doch er konnte nicht. Benommen blickte er auf Jazmin, die regungslos am Boden lag. Doch was ihm mehr an diesem Bild störte, war, dass der Joker sie hielt. Was für ein absurdes Ding! Ihm wurde übel. Der Joker hatte von Anfang an vorgehabt, sie zu töten. Und er, der Dunkle Ritter, sollte der Mörder sein. Und nun hielt der Joker sie, wie ein kleiner Junge sein zerbrochenes Spielzeugauto beweinte. Dieser Mann war krank, er war so was von krank. Es widerte ihn an, die beiden anzuschauen.

Warum? Warum...Er verstand nicht. Er verstand gar nichts. Wer war das Mädchen, dass sie so dumm war, sich darauf einzulassen. Wer war der Joker, dass er dachte, so etwas tun zu können. Wer war er selbst, dass er das ganze nicht kommen sah.

Dies war nicht seine Welt. Es war die Welt der Verrückten und da gehörte er nicht hinein. Er hätte sich raus halten sollen. In einer Welt, in der man keine Macht hat, soll man nicht den Retter spielen.
 

Fairness war nicht das, was diese Welt beherrschte. Nur der Stärkere überlebte. Und der Stärkere kannte keine Grenzen. Das Chaos kannte keine Grenzen. Und wer das Chaos beherrschte, beherrschte die Welt.
 

Er war machtlos. Und er tat jetzt das, was er schon vor langer Zeit hätte tun sollen. Wegrennen. Die Sirenen wurden lauter und lauter und das rote Blinklicht durchstreifte die Nacht. Doch das sah er nicht mehr. Er war schon weit weg, über den Dächern Gothams, über Zeit und Raum, über Vergangenheit und Zukunft. Alles, was ihm nun noch helfen würde, wäre vergessen. Er würde Jazmin vergessen, er würde vergessen, dass er die Waffe in der Hand hielt, die sie tötete. Aber was er nicht vergessen würde, war der Joker. Denn schließlich traf ihn die Schuld an allem. Und was tut man mit Schuldigen? Genau: man rächt sich.
 

Jazmins Äuglein waren fast geschlossen, nur aller paar Sekunden zuckten ihre Lider nach oben, um einen letzten Blick in die Nacht zu werfen. Das warme Blut hatte sich über den Boden verteilt. Ihre Hände waren eiskalt, ihr Herzschlag wurde immer langsamer, ihr Atmen flacher.

„Muss-muss ich jetzt sterben...?“, klang ihre süße Stimme leise wie fallender Schnee durch die Dunkelheit.

Der warme Schatten fing sie auf und umschloss sie, hielt sie so fest, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte.

Genauso leise antwortete der Joker: „Ja, Püppchen, jetzt kannst du endlich sterben“

Jazmin versuchte zu lächeln, doch ihr Herz hörte langsam auf zu schlagen. Ihr schweres Atmen verstummte und die grauen Äuglein schlossen sich...auf Ewig. Die Hand, die auf ihrem Bauch lag, rutschte langsam auf den Boden.

Nun fand sie ihr Ende, in einer schäbigen Gasse, doch was nicht zählte war das wo oder das wie. Einfach, dass es passiert ist. Das Püppchen wurde geboren, doch lebte nie. Es wurde gelehrt, was es bedeutete zu leiden. Es wurde in ihre Haut gebrannt. Sie war ein Spielzeug, eine Marionette, sie brauchte nicht leben, sie brauchte nicht fühlen. Alles was sie brauchte, war jemand, der sie führte, der ihr den Weg zeigte. Egal, wo er hinführen würde, sie würde folgen. Und wenn er ihr das ende aufzeigen würde, dann würde sie dem entgegen gehen. Es war ihr Schicksal, ihre Bestimmung. Sie war ein Geist. Kein Mensch hat sie je gesehen. Leblos immer nur schwebte sie durch die Welt, war nur ein Schatten der Gesellschaft. Sie konnte nichts dafür, wie sie war, sie spiegelte doch nur die grausame Welt wieder, kann man dafür Strafe verlangen? Und selbst der Tod wäre ihr keine Hürde, nein, er wäre das Ziel. Das Ziel, dem sie entgegen rannte, seitdem sie denken konnte. Und nun war sie angekommen. Und sie kam nicht dahin, wo andere Menschen hinkommen, in die Hölle und schon gar nicht in den Himmel. Sie kam dorthin, wo sie endlich erlöst sein würde. Denn wen kein Glück im Leben erwartet, dem erwartet es nach dem Tod. Dies war nicht das Ende, es war der Anfang einer wundervollen Unendlichkeit. Keiner würde an dieser Stelle Strafe und Sühne erwarten, nur die Erlösung, egal was geschah. Das Glück war für jeden bestimmt. Und es definierte sich bei jedem individuell. Das Püppchen hatte das Monster besiegt und sie würde dem ewig danken, der ihr dabei half, unabhängig davon, was er sonst noch angerichtet hatte. Das Leben war nicht dazu da, um sinnlose Sachen zu tun, es ist nur der Übergang, der Weg zur Erkenntnis. Vielleicht zu der Erkenntnis, dass alle Menschen Monster sind, vielleicht aber auch, dass man nicht im Mittelpunkt stehen muss, um in Zentrum des Welt zu sein. Es war alles eine Erfahrung, nichts weiter. Und sollte ihr noch einmal eine Chance gegeben werden, sie würde das selbe tun. Denn sie war das Mittel zum Zweck, sie war dazu da, der Welt zu zeigen, was sie ist. Sie war die Souffleuse, die der Menschheit unterschwellig Parolen in die Köpfe gezaubert hat. Manchmal muss man nicht existieren, um zu leben, Leute zum denken anzuregen, manchmal muss man einfach folgen, blind, ohne zu sein. Eine Marionette eben.
 

Quietschend hielten Polizeiautos, es waren zu viele, um sie zu zählen. Türen sprangen auf, laute Rufe, schnelle Schritte. Drei Polizisten rannten auf den Joker zu. Es war ein Bild des Grauens, wie er das tote Mädchen im Arm hielt und dabei total gleichgültig in die Leere schaute. Zwei von ihnen packten ihn an den Armen, zogen ihn auf die Beine. Der andere konnte kaum den Blick von der Leiche abwenden. Der Joker wehrte sich nicht, stand auf, ließ sich Handschellen anlegen. Die grünen Haaren fielen ihm ins Gesicht. Seine roten Lippen waren zu einem Lächeln verzogen. Eingefroren. Tot.

Sie brachten ihm zu einem Polizeiauto und setzten ihn hinein. Der Polizist, der bei der Leiche war, zog sein Funkgerät heraus und sprach hinein. Jetzt brauchten sie tatsächlich einen Leichenwagen, aber nicht für den Joker.

Es kamen zwei Sanitäter mit einer schwarzen Folientüte, die die Ausmaße eines Menschen hatte. Vorsichtig legten sie das Mädchen dort hinein und zogen den Reißverschluss zu.
 

Im Polizeiwagen war es kalt und es roch nach Zigarettenrauch. Der Joker saß auf der Rückbank, blickte in den Rückspiegel des Autos und suchte Blickkontakt zu seinem Chauffeur. Dieser versuchte genau das aber zu vermeiden und schaute starr durch die Frontscheibe, verzog dabei keine Miene.

Sie waren durch ein Gitter getrennt, doch dem Fahrer lief der Angstschweiß den Nacken hinunter. Er hatte nicht oft mit solchen Verrückten zu tun. Die „normalen“ Verbrecher waren kein Vergleich. Mal hier ein Banküberfall, mal dort ein Einbruch, vielleicht sogar mal ein Mord. Doch das hier übertraf alles. Es war der pure Horror.
 

Der Joker legte neckisch den Kopf schief und entblößte seine gelben Zähne mit einem breiten Grinsen. Er liebte es, Leuten Angst einzujagen.

„Hey, Officer“, rief er vor. Der Polizist wagte einen kurzen Blick in den Rückspiegel, doch wendete sofort wieder den Blick ab.

„Was willst du?“, bellte dieser zurück.

„Lass mich dir eine Geschichte erzählen...“, fuhr der Joker fort.

Der Polizist ballte die Hand, die auf dem Lenkrad lag zur Faust.

„Solche Kranken wie dich sollte man einsperren und nie wieder raus lassen. In deiner Zelle kannst du ja dem Ungeziefer deine Geschichte erzählen“-

„Kein Grund ausfällig zu werden“, sagte der Joker beleidigt. Es vergingen einige Sekunden.

Er atmete tief ein und begann: „Es war einmal ein kleines, hässliches Püppchen. Das lebte auf dem Grund einer Spielzeugkiste“, er seufzte, „Naja, und dann kommt der ganze Mist zwischen drin. Bla bla bla. Auf jeden Fall endet die Geschichte damit, dass das Püppchen drauf geht. Und weißt du, wer sie umgebracht hat?“, rief er nach vorn. Der Polizist kniff die Augen zusammen, er konnte seine Wut kaum noch unterdrücken. Was für ein Freak...

„Na, wahrscheinlich du“, knurrte er zurück.

Der Joker grinste breit und gönnte sich den Moment der viel sagenden Pause.

„Nein. Diesmal nicht...“
 

HAPPY END
 

______________________________________________________________________

so gut, das wars, finito, sense, schluss, aus, klappe zu, affe tot

ich will jetzt hier nicht ewig reden halten, von wegen, wie toll es war, das zu schreiben oder so, weil sich das 1) sowieso keiner durchliest und 2)ich die geschichte nicht überbewerten will.

ich fands einfach nur klasse, dass ich mal was zu ende geschrieben hab. sonst haben meine ffs schon immer nach 5 kappis geendet, weil ich keine lust mehr hatte. ich weiß nicht, woran es lag, aber irgendwie hats mir die story angetan.

ok, ich rede schon wieder mist...einfach danke schön an alle, die mitgelesen und kommentiert haben! *keks für jeden*

salut, au revoir et bon voyage...

~cleo



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Kommentare zu dieser Fanfic (25)
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Von: abgemeldet
2009-03-19T14:25:17+00:00 19.03.2009 15:25
huhu
also das Ende war wirklich anders als ich gedacht habe :D
aber toll!! wirklich klasse!!
nur Schade das Jazmin doch stirbt... Bruce wird wohl nie ne Freundin finden die 1) nicht stirbt 2) ihn schnell wieder verlässt oder 3) ein ähnliches geheimniss wie er hat... armer Bruce! Und das er dann doch abdrück.. OO
würd mich freuen wenn es eine Fortsetzung gäbe!! :)
auf jeden fall hat diese FF schonmal einen beifall verdient! :D


Von: abgemeldet
2009-03-14T09:02:55+00:00 14.03.2009 10:02
hayy
tolles Kappi!!
bin wirklich gespannt aufs nächste!! Joker ist fieß aber soooo genial x3 Bruce Gefühlslage hast du echt gut beschrieben und auch Alfreds berühmtes "Ich habs Ihnen ja gesagt" kam vor :D
Bruce veränderung als er den Zettel gelesen hatte war großartig, genau so wie Alfred kurzzeitige Verwirrung (:
Ich hoffe mal er kann sie noch vor dem schlimmsten Retten!! Bruce Wayne kann wirklich nicht mehr viel tun, ohne sich zu verraten! Aber dann kommt jetzt Batman!! :D :D
freu mich schon aufs nächste!!
hdl
Von: abgemeldet
2009-03-10T15:51:14+00:00 10.03.2009 16:51
das gespräch ist einfach atemberaubend *.*
ich liebe deine FF!!!!
hoffentlich sieht Jaz ein, das sie was falsch gemacht hat.. ich denke aber schon.. vllt. hat sie das nur gespielt, das sie es nicht berreut!! Hoffe ich zumindest.. die beiden sind sooo toll zusammen!! :D
aber vielleicht kann Bats ja mehr aus ihr "rausquetschen" xD xD
die arme würde allerdings einen Schock erleiden, glaube ich...
nya.. schreib bitte schnell weiter!!
hdl
Von: abgemeldet
2009-03-08T21:06:18+00:00 08.03.2009 22:06
Man muss ihr doch weh getan haben wenn er sich auf ihren bauch setzte wenn die wunden noch frisch sind u.u
+seufz+
armes püppen
Von: abgemeldet
2009-03-08T09:41:28+00:00 08.03.2009 10:41
Jokeeer :D x3
aber fieß issa jez schon! xD
Armes, armes Püppchen :| :D
aber ich freu mich schon wieder aufs nächste Kapitel!!
Schreib so schön weiter!
hdl
Von: abgemeldet
2009-03-06T21:36:57+00:00 06.03.2009 22:36
es geht weiter! *freu*
das Kapitel ist wirklich schön!! Ein Glück das sie es weitgehend unbeschadet überstanden hat!
Ich hoffe das sie sich nicht davon abschrecken lässt, und ihr Glück mit Bruce nochmal versucht.. die beiden sind so toll zusammen!! ^-^
freu mich schon aufs nächste!!
hdl
Von: abgemeldet
2009-02-28T21:50:01+00:00 28.02.2009 22:50
Ist das toll! :D
du hast mich voll in den Bann deiner FF gerissen! :D
LOS weiterschreiben D;
Von: abgemeldet
2009-02-28T21:49:23+00:00 28.02.2009 22:49
Ist das toll! :D
du hast mich voll in den Bann deiner FF gerissen! :D
LOS weiterschreiben D;
Von:  pink-strawberry
2009-02-27T14:53:26+00:00 27.02.2009 15:53
haiii xDD
das kappi war einfach mega-hamma-geil!!!
aber die ganze ff is einfach super!
das war so ewigst spannend!
wetten? bruce/batman rettet sie?? xDD
aufjedenfall überlebt sie oder??

erfährt jazmin dass bruce batman is??
iwie glaub ich dasss nämlich xDDD weiß auch nich warum....

aufjedenfall is deine ff soooooooo ewigst geil!!
schreib bitte bitte schnell weiter!!
freu mich schon so xDDD

liebst grüße <3333
Von: abgemeldet
2009-02-25T19:43:02+00:00 25.02.2009 20:43
ahhhhh!! das ist so mega endless geil!!!
kann man echt nicht beschreiben!!!!! *.*
DAS war wirklich richtig übelst spannend!!
Hoffe sie kommt durch... wäre seeehr doof wenn nicht :´(
denke aber schon das sie überlebt :D
Bruce oder Batsy wird sie sicher wieder retten!!
freu mich schon tierisch aufs nächste Kappi!!!!!!
hdl


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