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Tobrisches Schattenspiel

Lares und Zylya im Dienste des KGIA 27 Hal
von

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Zaubergesten

Zaubergesten

Lares. Rondra 27 Hal.
 

Lares war mehrere Dutzend Meter entfernt von seinem eigentlichen Ziel angekommen, mitten in der prallen Sonne, inmitten eines reifen Weizenfeldes. Hatte sich kurz stumpf umgesehen und war dann einfach umgekippt, hatte Minuten auf der würzig duftenden Erde gelegen und versucht zu begreifen, dass er entkommen war. Sein Kopf war schwer wie Blei, nur zu groben Gedanken fähig. Weiter. Hier kann man dich sehen. Versteck dich. Warte auf Zylya. Sie kommt bestimmt. Bestimmt.

Als er den Eindruck hatte, dass sein Herz wieder ruhig und gleichmäßig schlug, war er schwerfällig losgekrochen, auf das Wäldchen zu, hatte sich ins schützende Unterholz gezogen und war dort liegengeblieben. Starrte ins bewegte Blätterwerk über ihm, bis er einschlief. Es war ein seichter, unruhiger Schlaf, in dem die Bilder der Ereignisse herumwirbelten und der ihm kaum Erholung schenkte, aber als der die Augen das nächste Mal öffnete, war es beinahe dunkel.

Erschrocken fuhr er hoch, sah sich wild um. In einiger Entfernung glommen die Lichter von Hohenfels Siedlung, die Burg war ebenfalls hell erleuchtet. Einige einzelne Lampen wanderten gemächlich über die Felder. Suchtruppen ? Ihm wurde klar, was für ein Glück er gehabt haben musste, wenn ihm tatsächlich Leute nachgeschickt worden waren. Fast unnatürliches Glück wäre das ... Vielleicht waren es ja nur Bauern oder Ballgäste auf dem Weg nach Hause. Er sank wieder ein bisschen in sich zusammen, duckte sich tiefer in die Schatten. Es war recht kühl geworden. Fröstelnd zog er den bordeauxroten Samtrock enger um sich zusammen. Die weißen Manschetten waren voller Blutflecken.

Erst als er dies sah, bemerkte er, wie sehr seine rechte Gesichtshälfte schmerzte. Vorsichtig tastete er hoch - und zog die Finger fast sofort wieder zurück, als er die klaffende Wunde über seinem rechten Ohr berührte und sich greller Schmerz in seinen Kopf fraß. Die Narbe. Sie muss wieder aufgebrochen sein. Er realisierte, dass es nicht nur an den Nachwirkungen des Schlafs lag, dass er sein rechtes Auge nicht ganz öffnen konnte. Tsa. Ich muss aussehen wie eine Chimäre.

Die Erinnerungen schlichen sich in sein Bewusstsein. Er schloss die Augen, versuchte, sie zu ordnen, sie nicht von sich Besitz ergreifen zu lassen. Nach der Dunkelheit zu schließen, muss alles etwa sechs Stunden her sein ... sechs Stunden ... und keiner hat mich gefunden ? So weit weg war ich nun auch wieder nicht vom Schloss ... was hat sie aufgehalten ? Oder hat Galotta niemanden losgeschickt ? Wieso ?

Er musste an Zylya denken. Sie war nicht hier ... was konnte das bedeuten ? Versteckte sie sich irgendwo ? Hatte man sie geschnappt ? Oh mein Gott, wenn Galotta sie in die Finger bekommt ... er wird es an ihr auslassen, dass ich entkommen bin ... er wird ... Er hielt sich beinahe gewaltsam vom Weiterdenken ab, kniff die Lider zusammen und presste die Lippen aufeinander. Ganz ruhig, Lares. Warte einfach noch etwas ab. Es hat nichts zu sagen, dass sie noch nicht hier ist. Das muss nichts heißen. Sie ist doch so vorsichtig. Oder sie ist in eine andere Richtung geflohen. Und hat nicht daran gedacht, hierher zu kommen.

Wenn sie ihn nun vergessen hatte ? Wenn sie dachte, er sei tot ? Seine Brust schnürte sich zusammen. Wenn sie fort war ... was dann ?

Er stand auf, trat ein wenig zwischen den Büschen hervor, suchte den Horizont mit den Augen ab. Dann wandte er sich um und musterte die Bäume. Nein, das war der richtige Wald ... oder? Ein Kloß bildete sich in seiner Kehle, als er den Blick wieder auf die leeren, sich im Wind wiegenden Felder lenkte, graublau gefärbt von der eintretenden Dunkelheit. Er fühlte sich, als hätte man etwas aus ihm herausgerissen. Habe ich sie nur wiedergefunden, um sie wieder zu verlieren ? Es tat weh. Es tat mehr weh, als er gedacht hätte. Seine Hand schloss sich fest, beinahe brutal um einen Ast, dann wandte er sich abrupt um und erschütterte den dazugehörigen jungen Baum mit einem Tritt. "Verdammt !!!"

Es blieb ihm nichts, als zu warten. Unruhig saß er zwischen den Zweigen, den Blick auf die Felder gerichtet. An Schlaf war nicht zu denken, selbst, als Mitternacht lange vorbei war. Er beobachtete die tanzenden Lichter der Handlaternen in der Dunkelheit, mal näher kommend, mal ferner, er glaubte einmal, ein Bellen zu hören. Man sucht doch nach uns. Oder nach mir ?

Die Gedankenspirale aus Angst, Ungewissheit und Fantasie, in der er sich befand, drehte sich immer schneller, quälte ihn. Er verband seine Wunde nicht, um noch etwas anderes zu spüren als das. Zählte die Blutstropfen, die seinen Hals hinunterliefen.

Irgendwann ... ein Geräusch. Er hob den Kopf ruckartig in die Richtung, in der er es zu orten glaubte. Keine Laterne. Ein Tier ? Ein Dieb, der im Schutze der Nacht im Dorf gewesen war ? Oder ... ? Langsam stützte er sich hoch, suchte mit den Augen die nur von Mond- und Sternenlicht erhellte Umgebung ab. Schatten. Und ... Schritte ?

Plötzlich hatte er Angst, tastete in sich hinein, berührte die Astralquelle. Die Fäden glommen sachte auf, bereit zur Benutzung. Es waren nicht mehr besonders viele. Er drückte den Rücken an den Baum hinter ihm, sehnte sich nach seinem Stab.

Eine graue Silhouette tauchte am Fuße der Hecken auf, weißfleckig. Er schob mit den Fingerspitzen einige Blätter zur Seite, beobachtete sie. Sie bewegte sich rasch, etwas ungelenk, wie von Erschöpfung oder falschem Schuhwerk. Hastig. Sein Herz schlug schneller, wilde Hoffnung breitete sich in ihm aus. Konnte eine Frau sein ... das konnte ein Dienstmädchenkleid sein ...

Die Person war jetzt ganz nahe an das Wäldchen herangekommen, wurde langsamer, blieb stehen. Wartete, schien bereit, im nächsten Moment einfach weiterzulaufen. Starrte ins Dunkel, ohne ihn zu entdecken. Sie war fast völlig in eine mattfarbene Decke gewickelt, die das Haar und den größten Teil des Körpers verbarg. Ein blasser Arm schob sich aus den schweren Stofffalten, strich über den Schatten, der das Gesicht bedeckte. Eine fahrige Bewegung, unsicher. Dann, eine leise, brüchige Stimme: "Lares ?"

Sie war es.

Ohne einen weiteren Gedanken trat er aus dem Schutz des Wäldchens, legte die paar Schritte zu ihr fast laufend zurück, warf beide Arme um sie und drückte sie mit aller Kraft an sich. Ein Schluchzer. Von ihm ? Von ihr ? Dann klammerte Zylya sich an ihn, und seine letzten Zweifel verflogen, lösten sich auf in einer Woge aus Erleichterung und Glück. Er wollte irgendetwas sagen, aber so viel, das es zu sagen gab, stürzte auf ihn ein, dass er nichts über die Lippen brachte. So hielt er sie nur, atmete ihren Geruch ein und dankte im Stillen ununterbrochen den Zwölfen, dass ihr nichts passiert war.

Irgendwann lockerte sie ihre Umarmung, schob ihn ein wenig von sich, um ihn anzusehen. Scheinbar hatte sie etwas sagen wollen, aber nun stockte sie mit geweiteten Augen und flüsterte: "Phex ! Du blutest !" Sie hob die Finger an sein Gesicht, und er zuckte unter plötzlichem Schmerz zusammen, als sie den Wundrand federleicht betastete. Gleichzeitig war ihre Berührung süß ... so süß, dass er sie noch einmal an sich zog. "Wie gut, dass du da ist", wisperte er. "Ich fürchtete ... ich dachte ..."

" Niemand kriegt mich, wenn ich das nicht will", sagte sie kühl und hob spürbar das Kinn. Dann lächelte sie rasch und zupfte an seinem Ärmel. "Komm. Weg hier."

Natürlich. Sie konnten hier nicht bleiben. Er nickte, löste sich von ihr. Einen Moment hatte er den Eindruck, ein befreites, beinahe zärtliches Lächeln auf ihrem Gesicht zu entdecken, als sie ihn betrachtete, aber der Augenblick war so schnell vorbei, dass es auch nur ein Schatten gewesen sein konnte. Sein Herz machte einen seltsamen Sprung. Einen wirklich seltsamen. Für einen Augenblick runzelte er die Stirn - und unterließ es mit einem Schmerzenslaut wieder.

" Warum hast du keinen Balsam auf dich gesprochen, du Idiot ?!" sagte sie prompt und klang schon fast wieder normal. "Was lässt du dich auch zusammenschlagen !"

" Als ob ich es mir ausgesucht hätte !" grollte er. "Der Kerl hat ..."

" Sch sch ! Erklär mir das später ! Lass uns diese Klamotten wechseln und unser Zeug holen. Ich hab' das Artefakt."

" Du hast es ?" Das Artefakt. Ja, richtig.

" Hörst du mir nicht zu oder was ? Ja, ich hab' es. Jetzt beweg dich !" Sanft, aber bestimmt schob sie ihn Richtung Feld. Er ließ es zu, war zu verwirrt, um selbst irgendeine Entscheidung zu treffen.

Es war ein schweigender Marsch, geduckt am Rande der Hecken durch die Wassergräben, die ob des heißen Rondra glücklicherweise beinahe leer waren. Trockene Blätter rieselten ihnen in Haar und Kragen, Zweige kratzten über ihre Wangen. Zylya, die vorging, legte ein recht harsches Tempo vor, obwohl sie oft stolperte und sich mehrere Male irgendwo festhalten musste, um nicht zu fallen. Er überlegte besorgt, ob sie nicht doch verletzt war, wollte sie fragen, aber seine Ausdauer ließ so sehr zu wünschen übrig, dass er fast all seine Kraft dafür brauchte, ihr überhaupt folgen zu können. Seine Gedanken waren lahm, bewegten sich nur äußerst träge, und irgendwann begann seine Sicht wieder zu verschwimmen, als würde er durch einen schwarzen Schleier blicken. Was war eigentlich mit ihm los ?

Er wurde langsamer, seine Knie waren seltsam weich. Einige Minuten später musste er stehen bleiben, klammerte sich an den überhängenden Ästen der Hecke fest, schloß die Augen und atmete tief durch. Er schwitzte, obwohl ihm eher kalt war. Nervös blickte er zurück. Hohenfels war inzwischen nur noch ein dunkler Fleck vor dem glitzernden Himmel, die Lichter der Siedlung und auf den Feldern kaum noch zu erkennen. Gut. Dann konnte er sich einen Moment ausruhen. Seine Knie gaben wie auf Kommando nach, er rutschte ab und landete in der Böschung. Nie war ihm der Boden so bequem vorgekommen.

" Lares ?!" rief Zylya erschrocken. Einige Schritte, dann war sie bei ihm, zerrte an seinen Schultern, bis er den Kopf drehte und sie ansah. Ihr Gesicht war fahl, alarmiert, die Augen weit offen.

" Geht schon ...", murmelte er, versuchte, seine Kräfte zu sammeln. "Muß nur einen Augenblick ... ausruhen ..."

" Was ist denn los ? Tut dir was weh ?"

" Nein ..." Das stimmte sogar. Er spürte die Wunde kaum. Es war eher einfach ... Schwäche. Als hätte jemand seinen inneren Mechanismus aus dem Takt gebracht.

Einen Moment schwieg sie, dann begann sie plötzlich, ihn systematisch abzutasten, rasch, rigoros drehte sie seine Gelenke, ihre Hände strichen forschend über Brust und Beine. "Hei", sagte er mit schwacher Gegenwehr. "Ich sagte doch, ich bin nicht verletzt."

" Du sagtest, dir tut nichts weh", blaffte sie. "Das heißt gar nichts !" Sie zog die Hände zurück in ihren Schoß, zu Fäusten geballt, die Lippen fest zusammengepresst. Einige Augenblicke schwieg sie. Als sie wieder sprach, hatte sich ihre Stimme verändert, war spröder, leiser. "Was ... wer ... was hat dieser Kerl ... ich meine ..." Sie machte eine heftige, allumfassende Handbewegung und wendete sich dann mit verkniffenem Gesicht ab, schniefte leise. Sie weinte doch nicht etwa ? Nein. Er hatte sie nie weinen sehen, und er war sicher, dass sie den Teufel tun würde, als jetzt damit anzufangen.

Ein flüchtiges Lächeln glitt über sein Gesicht. Aber wie sollte er es ihr erklären ? Er hatte ja nicht einmal selbst alles begriffen. Er suchte nach Worten. "Hör zu ... dieser Mann ..."

Hörte sie ihm zu ?

"Sagt dir der Name Galotta irgend etwas ?" Ihr Gesicht blieb wie aus Stein gemeißelt. Er versuchte, sich aufzusetzen, verfluchte seine Schwäche, verdammt, ein paar klare Gedanken würde er ja wohl noch hinbekommen ! "Nein ...? Oh ... hm ... also ... er ist ein Magier ..." Das hat sie sich sicher selbst schon gedacht. Sie erkennt Zaubergesten inzwischen meistens, wenn sie welche sieht. "Und..." Schwachsinn. Das kann man nicht in zwei drei Sätze fassen. Er seufzte. "Laß mich es dir später erklären, ich ..."

" Kannst du aufstehen ?!" Ihre Stimme war hart und laut, wie ein Schlag ins Gesicht. Er zuckte zusammen, starrte sie Momente lang an, sie hatte noch immer den Blick irgendwo ins Leere gerichtet. Hob dann unsicher die Schultern. "Ich versuch's ..."

Sie stand sofort auf, klopfte sich harsch den Schmutz von den Kleidern. Er blickte zu ihr auf, hatte das Gefühl, irgend etwas falsch gemacht zu haben und wusste nicht was.

" Komm schon !"

Er nickte, stand hastig auf. Sein Herz schlug protestierend schneller, ihm wurde schwindelig und schlecht. Sie fasste nach seinem Ellenbogen, hielt ihn im Gleichgewicht. Er fühlte sich wie ein Versager, machte sich los. Kurz bohrte sich ihr Blick in seinen, dann wandte sie sich um und ging weiter.

Er sah ihr kurz nach, war irgendwie sauer, ob auf sie oder auf sich selbst, wusste er nicht. Folgte ihr, erst mit einigen vorsichtigen Schritten, aber als sein Herz wieder gleichmäßiger zu schlagen begann, traute er sich, kräftiger auszuschreiten. Sein Herz ... er legte eine Hand auf die linke Brusthälfte. Es pochte fühlbar in seiner Handfläche, sogar durch den Stoff. Vielleicht stimmte tatsächlich etwas mit seinem Herzen nicht. Immerhin hatte es vorhin für ... ja, für wie lange eigentlich ? ... aufgehört zu schlagen.

Herzschlag ruhe, Atem stocke.

Das war es ! Das musste es sein ! Der einzige Zauber, von dem er gehört hatte, der diesen Effekt haben könnte. Aber ...

Das ist ein Spruch mit borbaradianischer Komponente.

Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Galotta ... Borbaradianer ... das merkwürdige, anscheinend wichtige Artefakt ... die Heere, die unter der Dämonenkrone marschierten ... was passiert hier in Tobrien ?!

Etwa eine Stunde später erreichten sie das nächste Dorf, eine kleine Siedlung am Rande eines Handelsweges, gebaut um den einzigen Brunnen in der Gegend, der immer Wasser führte. Sein Gluckern war in der Stille der Nacht deutlich zu hören. Lares verspürte Durst, aber Zylya schüttelte den Kopf, als er es ihr mit einer Geste signalisierte, formte einige Worte mit den Lippen, die er nicht deuten konnte. Etwas verdrießlich folgte er ihr weiter. Seine Laune war ohnehin nicht mehr die Beste, seit er angefangen hatte, nachzudenken. Zu viel, was schlüssig erschien, war alles andere als ermutigend.

Zylya orientierte sich mehrere Male in den Gassen, bevor sie ihn recht zielstrebig zu einem Kellereingang zog. Nach einem wachsamen Blick in alle Richtungen eilte sie die Stufen hinab und stieß die mürbe aussehende Tür auf. Sie sah aus, als würde sie knarren, aber sie tat es nicht.

Der Raum dahinter war dunkel, muffig und ziemlich feucht. Die grauen Wände hatten große Flecken, die hier gelagerten Kisten waren mit verfärbten Öltüchern bedeckt, auf denen dick Staub lag. Es war zu vermuten, dass dieser Keller sich einer großen Spinnenpopulation erfreute. Er unterdrückte ein Seufzen.

Aber wie eine kleine Oase lagen in einer Ecke des Raumes Strohmatratzen, einige verschnürte Bündel, eine Laterne, ihre Rucksäcke und noch besser: Sein Stab. Während Zylya die Tür schloß, ging er hinüber und schloß die Finger um das unbehandelte Holz. Ein willkommenheißendes Kribbeln wanderte über seine Haut, er schloß die Augen, erleichtert, und spürte, wie müde er war.

Zylya verriegelte die Tür. Auch der Riegel quietschte nicht, obwohl er mehr als rostig war. Er erinnerte sich vage daran, dass sie davon gesprochen hatte, dass die Mondschatten ihnen eine Nacht an einem sicheren Ort versprochen hatten. Er sah sich erneut um. Komfortabel war es nicht, aber wenn er sicher war, wenn er einige Stunden ruhig und sorglos schlafen konnte, war es mehr als genug. Er setzte sich auf die Matratze, die näher an der Wand lag, lehnte sich an die kalte Mauer und streckte die Beine aus. Einige Augenblicke war es einfach nur angenehm. Dann, allmählich, als würde sein Körper aus einer Art Stagmatie erwachen, begann er, seine Schmerzen endlich zu spüren, wenn auch dumpf und nahezu unwirklich.

Zylya starrte noch kurz durch die Fenster, dann kam sie herüber, setzte sich ihm gegenüber auf die zweite Matratzen und begann, die Bündel aufzuknoten. Er beobachtete, wie sie Brot und Käse, Möhren und eine Milchkanne zutage förderte, ohne viel Federlesens etwas von dem Laib abriß und zu essen begann, schnell und gierig. Er sah ihr zu, lächelte ein wenig. Zweifellos lebendig, unversehrt. Es war gut, das zu sehen. Galotta hatte ihr nichts tun können.

Zwischen einem Schluck Milch und einem Bissen Käse schaute sie kurz auf, kauend, misstrauisch dreinblickend. "Iß etwas", sagte sie.

Er schüttelte den Kopf.

" Du musst etwas essen." Sie musterte ihn, schluckte, griff nach dem Brot. "Wenn du noch dünner wirst, brauchst du keinen Visibili mehr."

Er lächelte, wiederholte seine Geste aber. "Ich habe keinen Hunger." Das stimmte nicht ganz, aber er war so erschöpft, dass Hunger etwas weiter hinten auf der Liste seiner Bedürfnisse stand. Hinter Schlafen. Und hinter einfach sitzen bleiben und ihr zusehen.

" Du und keinen Hunger? Erzähl mir doch nichts." Sie sah allmählich etwas beunruhigt aus, trank ihre Tasse in einem Zug leer, musterte ihn weiter. Lange. Er hatte nicht die Kraft und nicht den Willen, ihrem grauen Blick auszuweichen.

" Wie geht es dir ?" fragte sie irgendwann, recht forsch, aber ihre Sorge war deutlich herauszuhören, obwohl ihr Gesicht glatt blieb.

" Nicht so gut", musste er zugeben. "Der Zauber, mit dem er mich belegt hat ... ich ..." Er stockte, musste nach Worten suchen. "Ich weiß nicht, wie lange ... wie nah ich ... wenn du den Dolch nicht geworfen hättest ..." Er strich sich über die vor Müdigkeit brennenden Augen. "Ich weiß nicht, ob ich dem hätte entkommen können."

Einige Momente Schweigen. "Es sah nicht so aus", flüsterte sie mit bebender Stimme. "Es sah aus, als ob ..." Sie stockte, strich sich plötzlich mit dem Ärmel über das Gesicht und atmete hörbar durch.

Er ertappte sich dabei, dass er sie beobachtete, gespannt beobachtete. Etwas in ihm wurde weich und durchlässig, er spürte, wie er zu lächeln begann. "Ist schon gut. Wir sitzen ja beide hier, oder ?" Irgendwie erschien ihm das Vergangene plötzlich weniger schlimm. "Morgen gehen wir los nach Warunk, geben das Artefakt ab und dann spannen wir aus."

Sie betrachtete ihn mit sichtbarer Verblüffung, dann lächelte sie schief. "Du bist ja ganz schön zuversichtlich."

" Na klar. Es gibt nichts, was wir bisher noch nicht geschafft hätten." Grinste.

" Das stimmt allerdings", sagte Zylya mit einem gewichtigen Nicken, riß Brot ab und hielt es ihm hin. "Und passend zu deinem neuen Lebenswillen wirst du jetzt was essen !"

" Oh, denkst du, du entscheidest das, ja ?"

" Ja, ich entscheide das. Mund auf !"

Er ließ sich überzeugen, lachte und nahm das Brot. Sie stand auf, strich mit einem unwilligen Knurren die bauschigen Röcke glatt und wickelte sich aus der Decke. Die weiße Schürze strahlte im graublauen Nachtlicht, als sie hinüber zur Tür ging und die aus schwerem Stoff genähten Vorhänge schloss. Schlagartig wurde es noch dunkler und scheinbar kühler. Ihm fröstelte es, er nagte an der Brotkruste und zog die Beine an. "Au !" entfuhr es ihm. Seine Rippen taten weh.

Er hörte sie seufzen, zurückkommen. "Mach mal Licht !"

" Stab zu Fackel", murmelte er, ein Feuerstreifen tanzte über den obersten Teil des Kopfstückes seines Stabes und begann gleichmäßig zu brennen. Warmes Licht erhellte den Raum. Sie blinzelte mit nachtgewohnten Augen in die Flamme, nahm dann die Kerze aus der Laterne, stand auf und hielt den Docht in die Flamme. Er fing Feuer, und mit schützend vorgehaltener Hand setzte sie sich wieder und stellte die Kerze in die Laterne. "Okay."

" Fackel zu Stab." Das Licht erlosch zugunsten einer schwächeren, aber auch unauffälligeren Helligkeit. Müde legte er den Stab beiseite und schälte sich mühsam aus dem Samtrock. Zu seinem Erstaunen sah sie ihm einen Augenblick zu und ging ihm dann zur Hand. Ich muß mich benehmen wie ein Greis. Trotzdem tat es weh, sich zu bewegen; er wollte schlafen, einfach nur schlafen.

Sie faltete den Rock grob zusammen, legte ihn zur Seite und reichte ihm seinen eigenen Mantel aus einem der Bündel. "Den Rest musst du selber machen. Ich zieh mich um. Wehe..."

" ... du kuckst", sprach er den Satz mit ihr zu Ende. "Schon klar. Da gibt's ja eh nichts zu sehen."

Sie knuffte ihn unsanft, worauf er stöhnte. "Baby", schnaubte sie, richtete sich auf und ging mit ihren Sachen in die Schatten rechts neben den Kisten, wo das kleine Licht der Laterne nicht hinreichte. Schemenhaft sah er sie beginnen, die Knöpfe an der Rückseite des Kleides zu öffnen, seufzte innerlich und begann, seinen Mantel anzuziehen. Es kostete ihn seine ganze Konzentration, und als der gefütterte Stoff ihn endlich wärmte, war er so erschöpft, dass er sich hinlegte und die Augen schloß. Minuten lag er so da, wäre eingedöst, wenn sie ihn plötzlich nicht an der Schulter berührt hätte.

" Sag mal, willst du dich nicht heilen und wenigstens das Blut abwaschen ?"

" Ich kann nicht", sagte er schläfrig. Kaum angesprochen, wurde er sich der Wunde an seinem Kopf wieder bewusst, deren Blut sein halbes Gesicht, Haar und Hals verklebte. Er sollte sich wirklich drum kümmern, aber er war zu müde zum Zaubern und zum Verarzten erst recht. Mal ganz abgesehen davon, dass seine Astralkräfte sich dem Ende zuneigten und es hier keinen Spiegel gab, mit dem er die Wunde hätte fachmännisch behandeln können.

" Wieso nicht ? Du fängst dir Wundbrand ein, du Schwachkopf. Komm, hoch mit dir !" Sie zog so lange an seinem Ärmel, bis er sich stöhnend wieder aufsetzte.

" Ich hab kaum noch Astralenergie", jammerte er. "Laß gut sein, bis morgen ist das doch zugeheilt."

" Das glaube ich nicht." Sie stellte die Laterne auf die andere Seite, so dass das Licht auf die Verletzung über seinem Ohr fiel. "Es blutet seit acht Stunden. Kein Wunder, dass du so aus den Latschen kippst. Wir müssen die Wunde versorgen, sonst verblutest du mir hier noch über Nacht."

Er glaubte nicht, dass es so schlimm war, aber ihm war beim Aufrichten irgendwie schwummrig geworden, so dass er nicht protestierte, als sie in ihrem Rucksack nach Verbandsmaterial suchte. Er lehnte sich wieder zurück, wartete, versuchte, sich wachzublinzeln. "Zylya ... sag mal ..."

" Hm ?"

" Wo warst du den ganzen Tag ? Wieso bist du erst so spät gekommen ?"

Sie stapelte Zeug neben sich auf die Matratze. "Na ja ... ich war zunächst in einem Schrank auf der Burg. Habe dort gewartet, bis die Luft rein war, und bin in die Ställe, habe mich mit einem Harmlose Gestalt in einen Stalljungen verwandelt und bin mit der nächsten Kutsche raus. Dann habe ich mich im Dorf versteckt, bis es dunkel war."

Er dachte einige Momente nach. "Hast du Suchtruppen gesehen ?"

" Na ja, in der Burg wohl die Wachen."

" Wieso hatte er die Wachen unter Kontrolle ? Ich verstehe das nicht."

" Was will Galotta" - die Art und Weise, wie sie den Namen aussprach, ließ durchblicken, dass sie den Namen sehr wohl kannte und auch, was sich dahinter verbarg - "überhaupt auf Hohenfels ? Was wollte er von dir ?" Sie goß Wasser aus ihrem Schlauch in eine Tasse, nahm einen Lappen und krabbelte hinüber zu ihm. Er ahnte schlimmes.

" Hmm ... ich habe auch schon darüber nachgedacht ... wir haben doch den Auftrag, das Artefakt zu stehlen, damit es nicht in die Hände der Borbaradianer fällt ... Nun, Charissia ist bekanntermaßen eine. Und Galotta ..." Er seufzte und zuckte zusammen, als sie begann, mit angefeuchteten Tuchzipfel das Blut an seinem Hals abzuwaschen. "Ein Herzschlag ruhe zählt zu den Sprüchen mit borbaradianischer Komponente." Er glaubte zu spüren, dass sie bei der Erwähnung des Zaubers innehielt, und wollte sie ansehen, aber mit einem rüden "Stillhalten!" hielt sie ihn zurück und machte emsig weiter. Das Wasser war kalt, und sie war nicht gerade sanft, so dass er kurz murrte. Sie spritzte ihm strafend einige Tropfen ins Gesicht. "Also, was hast du dir gedacht, großer Denker ?"

" Hmm. Na ja, vielleicht wollten sie das Artefakt."

" Das wir jetzt haben."

" Was Ihnen ganz sicher nicht gefällt, sollte ich recht haben. Aber wenn ich falsch liege, was wollte sie dann dort ? Und wieso sind sie im offiziellen Gefolge Gurdners ?"

" Im offiziellen ?" Auch Zylya klang verwundert.

" Anell sagte das. Charissia wohl mit falschem Namen, wahrscheinlich also auch Galotta. Weiß der Fürst, wen er da dabei hat ?"

" Viele Mächtige haben Dreck am Stecken", kommentierte sie trocken und begann, die Wundumgebung vorsichtig abzutupfen. Er wäre vor Schmerz beinahe in Ohnmacht gefallen, versteifte sich ruckartig und zog den Kopf weg. "Uuh ..."

Sie musterte ihn kurz und meinte dann ernst: "Lares, das sieht nicht gut aus. Ich glaube nicht, dass das einfach zuheilt ... Die Narbe ist aufgesprungen, es klafft richtig auseinander ..." Sie wollte weitermachen, aber er lehnte sich fluchtartig zurück, kurz in Erwartung des Schmerzes die Luft durch die Zähne ziehend. Sie ließ die Hand mit dem Lappen in den Schoß fallen, seufzte. "So wird das nichts !"

" Das tut weh !"

" Das glaube ich. Aber es wird sich entzünden, wenn ich's nicht saubermache. Und dann kommen ein paar Fliegen und legen ihre Eier rein, und schon hast du Maden im Kopf rumkriechen."

" Urgh ! Hör auf, mir solche Bilder in den Kopf zu setzen !"

" Selber schuld. Memmst hier herum wie ein Kind." Sie griff über seine Beine hinweg nach dem Verbandszeug. Er sah ihr zu, Furcht im Gesicht.

" Wie auch immer, Anell sprach gut von Gurdner, ich denke eigentlich nicht, dass er ..."

" Du und deine Anell !" Sie warf die grob zusammengefaltete Decke auf seinen Schoß und setzte sich rittlings darauf. Er erschrak so sehr, dass er zurück zuckte - und sich prompt den Hinterkopf an der Wand stieß. "Au !"

" Genau deshalb mache ich das: Damit du deinen Kopf nicht wegziehen kannst !" Mit einem selbstgefälligen Lächeln breitete sie die Utensilien zwischen ihnen aus, sah dann auf und lachte, als sie seine weit aufgerissenen Augen sah. "Was ist ? Bin ich nicht die Frau, die du gerne auf dem Schoß haben willst ?" Ordnete sorgfältig die Sachen.

Lares öffnete den Mund, um zu antworten, zu protestieren, irgend etwas zu sagen ... Ihre plötzliche Nähe überrumpelte ihn, machte ihn stumm. Er musterte ihre gesenkten Augen, ihr argloses Gesicht. Dachte sie sich wirklich nichts dabei ?

" So", sagte sie fast fröhlich. "Weiter geht's." Lehnte sich vor, stützte sich mit einer Hand auf seiner Schulter ab, während sie mit der anderen erneut die Wunde zu reinigen begann. Es tat schrecklich weh, aber sein Impuls, sich zu entgegengesetzten Seite zu entziehen, wurde durch sanften Gegendruck vereitelt. Er grub die Hände in die Matratze, um den Schmerzen Herr zu werden, zuckte bei jeder Berührung zusammen, aber konnte nicht ausweichen. Wurde von ihren Händen und Knien an der Stelle gehalten. "Das ist gemein", murmelte er.

" Ich bin halt gemein", lächelte sie.

Minuten Stille. Ihre sachliche Berührung. Eine seltsame Aufregung glomm in ihm, erhitzte seine Wangen. War ihm der Blutverlust zu Kopf gestiegen ?

" Ich werde das nähen müssen", sagte sie irgendwann in das Schweigen.

Es riß ihn aus seinen Gedanken. "Muß das sein ?"

" Wenn du es nicht magisch heilen kannst ..." Sie nestelte an einem Ledertäschchen in ihrer beider Schoß, zog eine Nadel heraus, klemmte sie sich zwischen die Zähne und wickelte Zwirn von einer Spule.

" Sieht gefährlich aus", brummte er, betrachtete die unheilvoll blitzende Nadel. Betrachtete ihre Lippen. Ein vages Begehren regte sich in ihm ... Oh oh. Er wandte den Blick ab.

" Vielleicht sollte ich einen Balsam lernen", meinte sie und ließ es so klingen, als wäre das nur wegen seiner Unfähigkeit nötig, fädelte den Zwirn durch das Nadelöhr, schaute ihn an. Ihr Blick wurde misstrauisch. "Was ist ?"

Ja, was ist, zum Teufel ? Die Situation ist einfach zuviel für meine Phantasie. "Nichts, schon in Ordnung."

" Hm. Ich bin auch müde. Dauert nicht lang ... hoffe ich. Dreh mal den Kopf so, dass ich da mit der rechten Hand rankomme."

Er gehorchte. Vielleicht war es gut, wenn er sie nicht mehr ansehen musste.

" So ..." Ihre Linke packte in Erwartung einer Reaktion fest seine Schulter. "Vorsicht ..."

Als sie die Nadel durch die Wundränder stach, konnte er einen Schrei nicht unterdrücken, sein Körper streckte sich im verzweifelten Versuch, den Schmerz zu katalysieren. Sie quiekte, als sie mit einem Ruck von der Wand wegrutschten. "Lares ! Halt still !"

" Das sagst du so", keuchte er mit zusammengekniffenen Augen.

" Halt dich irgendwo fest ! Wir haben leider keinen Beißring für dich."

Er ergriff ihre Knie, die sich gegen seine Hüften drückten. Ihre Blicke bohrten sich ineinander, herausfordernd, kampflustig. "Na dann", sagte sie mit tiefer Stimme. "Wollen wir doch mal sehen, wer hier der Stärkere ist."

Es hatte wirklich etwas von einem Zweikampf, nur, dass Arzt gegen Patient ging. Als sie den Zwirn nach ihrem Sieg verknotete, lag er rücklings am Boden, sie saß auf seinem Bauch. "So! Erlegt." Sie lächelte schwer atmend, ließ sich zur Seite gleiten und rollte hinüber auf ihre Matratze, die Hände blutig. "Yurks", machte sie, als sie es bemerkte, setzte sich auf und wischte sie mit dem Lappen sauber.

" Das ist mein Blut an deinen Händen", stöhnte er vorwurfsvoll. "Ihr Götter ! Aua !"

" Wenn du so weiter jammerst, wird's noch mehr sein", sagte sie mit unheilvollem Grinsen, dann lachte sie kurz auf. "Du siehst aus wie ein Pirat."

" Tja, sehe schon lange nicht mehr aus wie ein Magier."

" Hey, du bist ein Magier, stimmt. Hätte ich fast vergessen."

" Haha."

" Geh schlafen, Waschlappen. Aber verbind dich vorher."

Er griff nach der Bandage und rollte sie seufzend auf. Als er fertig war, schlief sie bereits. Hatte sich auf ihrer Matratze zusammengerollt, atmete ruhig und tief. Er schmunzelte. Griff nach der zerknäulten Decke, die irgendwann von seinem Schoß gerutscht war, faltete sie auseinander und deckte sie zu. Strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Ertappte sich dabei, vor sich hin zu lächeln.

Was, verdammt ...?

Löschte das Licht, legte sich mit schmerzendem Rippen hin, zog seine Decke über die Schultern und betrachtete ihr vertrautes Gesicht. Erforschte sich selbst. Irgendwie fühlte er etwas, dass er vorher nicht gespürt hatte: Eine Wärme, tief in ihm, eine fast qualvolle Zärtlichkeit für sie, eine ...

Oh nein. Ihr Götter, tut mir das nicht an.

Das konnte doch nicht wahr sein ! Er hatte sich nicht allen Ernstes ... ?! War er nicht gebrannt genug, was Frauen anging ? War er nicht gebrannt genug, was Zylya anging ? Hatte er derzeit nicht genug Probleme am Hals ?

" Lares, sei vernünftig", flüsterte er in die kühle Nachtluft. Hatte sofort ihre Stimme im Kopf: "Vernunft war nie deine Stärke".

Er legte die Hände über die Augen, wimmerte.

Zylya wird mich umbringen, wenn sie das rauskriegt.



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