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Tobrisches Schattenspiel

Lares und Zylya im Dienste des KGIA 27 Hal
von

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Der Kampf auf dem Hof

Der Kampf auf dem Hof

Lares. Tsa 27 Hal.
 

Sein Rücken schmerzte, als hätte sich jemand stundenlang die Zeit genommen, geduldig hineinzutreten. Mit einem Stöhnen fasste Lares sich ins Kreuz und versuchte sich zu strecken. Seine Muskeln, die stundenlanges Bücken gewohnt waren, rebellierten mit grimmigem Ernst.

" Was ist, du Weichei ?" grinste Travian und hieb ihm mit seiner Pranke auf die Schulter, Lares wäre beinahe zusammengebrochen. "Fünf Monate Feldarbeit und immer noch keinen Mumm in den Knochen ?" Radul und Hagen lachten. Über den Schultern der Brüder lagen die schweren Tragstöcke mit der Ernte des Tages: Säckeweise Schwarzwurzeln. Sie waren verschwitzt und schmutzig, aber ihre Arme zitterten nicht, und in ihren Gesichtern lag nicht der Schmerz der Erschöpfung. Travian grinste und legte Lares mit einem Arm den letzten Tragstock auf. Er hielt sich nur mühevoll auf den Beinen, aber er grinste zurück. Der Spott der Tagelöhner war gutmütig, und rein körperlich gesehen war er nun mal bei weitem der schwächste in der Gruppe, die heute auf den Feldern gearbeitet hatte.

Der Weg zurück zum Hof ging, obwohl sie bereits den ganzen Tag im hartgefrorenen Winterboden Wurzeln gestochen hatten, kameradschaftlich fröhlich vonstatten: Travian erzählte mit dröhnender Stimme von dem neuen Schankmädchen im Dorf und was er am liebsten alles mit ihr machen würde, was Hagen zu einer kleinen, halbernstgemeinten Schimpfkanone über seine Frau, eine Magd am Hof, bewegte, die ebenfalls zur allgemeinen Ermunterung beitrug. Lares blieb recht schweigsam. Er war inzwischen den eher derben Humor der Tobrier gewöhnt und hatte sich auch schon des öfteren den Schäkereien über Frauen angeschlossen, aber ihm war heute nicht danach. Die Kameraden ließen ihn. Sie hatten ihm nicht einmal dumme Fragen über seinen Streit mit Zylya gestellt, wie er es befürchtet hatte. Er war ihnen sehr dankbar. Es waren gute Kameraden. Auch wenn sie viel über seinen Körperbau lachten und ihn einen Gelehrten nannten, nur weil er einmal bewiesen hatte, dass er schreiben konnte, so ließen sie ihn immer die leichteste Arbeit verrichten, die anstand (welche ihm schon schlimm genug zusetzte), stellten sein Schweigen zu manchen Themen nicht in Frage und wollten nicht wissen, warum er die Handschuhe trug.

Er starrte auf seine Hände. Ein Magier soll immer zu erkennen sein und die Zugehörigkeit zu seiner Zunft nicht verbergen. Seit Wochen hatte er seinen Stab nicht in der Hand gehabt, seit Monaten das Magiersiegel in der Handfläche seiner Rechten nur beim Waschen gesehen. Was würden seine Lehrer wohl sagen, wenn sie wüssten, dass er Landarbeit verrichtete ?

Der Hof kam in Sicht. Das gute Gefühl, die Last bald loszuwerden, etwas zu essen und zu trinken zu bekommen und auf warmes Stroh sinken zu können, wurde fast sofort von seiner Angst, Zylya zu begegnen, getrübt. Eine kalte Faust ballte sich um seinen Magen zusammen. Er wich ihr seit Tagen aus, und er hatte das Gefühl, dass sie dasselbe tat. Kein Wunder. Seine Gedanken schweiften, ohne dass er es wollte, zurück zu dem Moment hinter dem Holzschuppen. Ihre Tränen. Er hatte sie trösten wollen. Er hatte ihr zeigen wollen, dass er für sie da sein wollte. Dass er immer ... dass er ... Er kniff die Augen zusammen, um die Gedanken abzublocken. Sie verfolgten ihn jede Nacht in seinen Träumen, warum ließen sie ihn nicht wenigstens tagsüber in Ruhe ?

Du hast doch nicht im Ernst geglaubt, mir so zu helfen ? Ich will deinen Trost nicht und schon gar nicht das, was du scheinbar dafür hältst! Ich brauche überhaupt keine Hilfe, auch nicht von dir, erst recht nicht von dir!! Du bist genauso egoistisch, wie alle anderen, und ich habe auch noch ernsthaft geglaubt, dir vertrauen zu können!

Die scharfe Stimme schnitt selbst nur als Erinnerung tief in sein Herz. Sie hasste ihn sicher, am Ende zu Recht ... vielleicht hatte sie nie ... er hatte sich alles nur eingebildet ... aber so schlimm, so schlimm war es doch nun auch nicht, um ihre Reaktion zu rechtfertigen ... oder ? Das kommt davon, wenn man sich in eine Freundin verliebt... gerade in eine solche ... Gewagt, verloren ... alles ... alles...

Plötzlich.

Es war ein Gefühl wie ein unvermittelter Laut an einem Ort, wo vorher nur Schweigen geherrscht hatte. Wo Schweigen herrschen sollte. Wie ein Herzschlag aus einem Grab. Er erstarrte mitten im Schritt. Ein Zucken in den feinen Astrallinien, die sie umgaben, die ihn durchdrangen und sich um ihm sammelten. Ein unheilvolles Zucken. Als würde sich eine Leiche bewegen.

Eine Augen irrten suchend umher, um die Quelle dieses Gefühls auszumachen, er konnte es sich nicht erklären, die Angst krallte sich so tief in ihn, dass sein Kinn zu zittern begann. Er sah zum Hof. Es schnürte ihm die Kehle zu, bevor er auch nur hinsah.

Feuerzungen leckten aus den Küchenfenstern, quälend langsam rutschten Eisschollen vom Dach und zerstoben beim Aufprall, dann begann das Strohdach sich zu verfärben, dunkler, dunkler, bis das Feuer sich durchfraß und sich gleich einer Schlangenzunge in die klare Luft wand.

Dämonenpräsenz.

Die Tragstange glitt von seinen Schultern, die Säcke schlugen hart am Boden auf. Sein erster Impuls war einfach nur Flucht. Aber wie immer waren sein Verstand schneller zur Stelle, als es ihm eigentlich recht war. Die Gegend hier ist von Borbarads Heer nahezu unberührt. Hier gibt es keine Dämonen, die einfach so auftauchen. Sie müssen aus einem bestimmten Grund hier sein. Man muss sie geschickt haben. Wegen uns. Sie sind wegen Zylya und mir hier. Kein Mensch auf dem Hof hat eine magische Waffe. Wie sollen sie sich verteidigen ? Zylya kann keinen Kampfzauber. Sie ist völlig wehrlos.

"Was ist los ?" fragte Radulf. Seine Stimme klang leicht beunruhigt.

"Scheiße" , flüsterte Lares. "Scheiße !"

" Was denn ?" Die Männer folgten seinem Blick. "Oh verdammt, es brennt !"

" Es brennt !"

" Verdammt, hin !" Die Männer ließen die Wurzeln fallen und rannten los.

" Halt !!" schrie Lares. "Nein !"

" Komm schon !" rief Travian über die Schulter zurück.

"Halt, wartet ... !" Lares spurtete hinterher. "Da sind ..."

Ein Zant trat auf den Hof, langsam, seine riesigen Tatzen wirbelten Staub auf, Blut troff von seinen Lefzen und platschte in riesigen Tropfen zu Boden, seine violett gestreiften Flanken glänzten in grausiger Schönheit. Die Männer vergaßen mitten im Lauf, die Beine zu bewegen; Hagen fiel, Radulf, der direkt hinter ihm gewesen war, stolperte über ihn und stürzte der Länge nach. Travian stoppte gerade noch so, das Gesicht aschfahl, und taumelte zurück, sobald er es schaffte, sich wieder zu bewegen.

"Verschwindet!" schrie Lares und rannte an ihnen vorbei. "Schnell !" Er stoppte zwischen den Tagelöhnern und dem Dämon, nicht wissend, woher er eigentlich den Mut dazu nahm oder was er tun sollte, staubfeiner Schnee wirbelte um sie herum auf.

Der Zant wandte ihm fast träge das erschreckend humanoide Raubkatzengesicht zu, in seinen Augen leuchtete es auf, seine schweren Kiefer bebten im Jagdfieber. Hinter ihm löste sich eine zweite Riesenkatze aus den Schatten, das fast orangefarbene Fell aschebestäubt und blutbespritzt.

" Oh Peraine ! Peraine !" schrie Hagen und versuchte wild, aufzustehen, wobei er seinen Bruder wieder umwarf.

"Jetzt haut endlich ab !" schrie Lares ihnen halb wütend, halb panisch zu, während er sich die Handschuhe mit den Zähnen von den Fingern riss und einen festen Stand suchte. In seinem Kopf liefen routiniert Konzentrationsmuster ab, Übungen, die er schon so lange machte, um sich auf den Astralfluss einzustellen, dass sie kaum noch Zeit in Anspruch nahmen. Er hatte das Gefühl, es würde Ewigkeiten dauern. Die Angst ließ ihn zittern, er wusste vom Hörensagen, wie verdammt schnell diese vierbeinigen Kampfmaschinen waren, und er wusste, wenn er sie nicht sofort erledigte, hatte er kaum eine Chance. Niemand entkam einem Dämon, der auf ihn angesetzt war. Zylya ! Was war mit ihr ? Wieso waren die beiden Zantim hier ? Hatten sie sie am Ende bereits ... ?

"Zylya !" rief er und hoffte verzweifelt, sie möge irgendwie antworten, ihm zeigen, dass sie lebte. "Zylya !"

Die Zantim setzten sich in Bewegung. Beinahe gemütlich setzten sie Pranke vor Pranke, setzten sich in Trab, die Kiefer klafften auf, Blut und Speichel rann ihnen am Kinn hinab. Die Tagelöhner begannen zu kreischen, Lares hob mit blutleerem Gesicht die Hände, formte sie vor der Brust zu einer Schale und webte Astralenergie hinein. Die Geräusche erstarben bis auf seine eigene Stimme. Dumpf vibrierte der Boden unter den Tatzen der Zantim, die in weiten Sprüngen auf sie zu setzten, mit einer seltsamen Geschwindigkeit, als würde alles in Zeitlupe ablaufen. In goldenen Schlieren manifestierte sich Astralkraft zwischen seinen Fingern, glühte, brannte, verfärbte sich gleißend blau, dann gelb, rot ...

Die Zantim waren fast da, es blitzte in ihren Augen, einer drehte halb ab. Lares konnte das intelligente Funkeln sehen, als sie erkannten, dass er angriff, er sah, wie sie ihre Pläne überdachten, änderten...

" Ignisphaero !!! " Er schleuderte den Feuerball von sich, und mit ihm die Astralenergie aus seinem Leib. Es war so viel auf einmal, dass es sich anfühlte, als würde man das Fleisch von seinen Knochen reißen. Er schnappte keuchend nach Luft, die Zeit rastete wieder in ihre normalen Bahnen ein, die Geräusche kehrten mit einem Knall zurück. Fauchend schnitt der Feuerball durch die Luft, schneller noch als die Zantim. Lares versuchte verzweifelt, ihn nicht aus den Augen zu verlieren, ihn zu lenken, hob schwach eine Hand, als könne er die Astralfäden mit den Fingern bewegen.

Die Explosion, als der Ignisphaero den vorderen Zant traf, war gewaltig. Ein Flammenmeer breitet sich kreisförmig um den Herd aus, schleuderte den zweiten Dämon, Steine und Grasfetzen davon, als würde ein Kind Spielfiguren umwerfen. Lares riss die Arme vor das Gesicht, um die heiße Druckwelle abzuhalten, die ihn mit feurigem Schlag traf und beinahe aus dem Gleichgewicht brachte. Zu nah. Nur einen Lidschlag später, und er wäre selbst mit in den Explosionsherd geraten. Seine Ärmel begannen zu schwelen, und als er das bemerkte, wurde ihm auch der andere Schmerz bewusst: Die unangenehme Nebenwirkung, wenn man einen Feuerball in der Hand hält. Die Haut in seinen Handflächen war verbrannt, krebsrot und rußverschmiert, stellenweise begann sie Brandblasen zu werfen. Der Schmerz war so schlimm, dass er keinen Laut hervorbrachte, nur ein seltsames Luftausstoßen, dann biß er die Kiefer aufeinander und krümmte sich qualvoll, schlug hastig die Brände am Hemd aus.

Die Feuer- und Rauchwolken verzogen sich langsam. Mit tränenden Augen suchte er die Wiese nach den Zantim ab. Hoffentlich, oh Hesinde, hoffentlich ...

Ein verkohltes, rauchendes Etwas begann sich gerade zu verflüchtigen, als würde ein Schatten durch darauffallendes Licht zerstreut. Nicht einmal Asche blieb zurück. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Keuchend tappte er einige Schritte vor, sich immer noch umsehend. Wo war der zweite ?

"Pendrain ...", rief Travian hinter im mit leiser Stimme.

Lares brauchte einen Moment, um sich angesprochen zu fühlen. Blinzelnd drehte er sich um, die Hände unter den Achseln vergraben. Die drei Männer sahen ihn an, als wäre er der Zant: Ihre Augen waren geweitet, die Gesichter aschfahl, sie drängten rückwärts, die Bewegungen vor Angst lahm und starr. Er schaute mit wehem Gesichtsausdruck zurück.

" Pendrain, was ... ?"

" Ein Feuerball. Ihr müsst unbedingt verschwinden ..."

Sie fanden auf der Füße zurück, sich gegenseitig helfend, und stolperten zurück, von ihm fort. "Feuerball ?!"

" Ich bin Magier." Er zog seine Rechte hervor, zeigte ihnen das Siegel, soweit es noch zu erkennen war. "Die Dämonen sind wegen mir hier." Es fiel ihm schwer, all das auszusprechen. Diese Leute hatten gegenüber Magie großen Respekt, fast Angst, und dann auch noch gesagt zu bekommen, dass der heimatliche Hof wegen einem dahergelaufenen Kerl zerstört und alle Lieben getötet wurden ... Der Ausdruck in ihren Augen tat ihm weh. Wo waren die vertrauten, freundschaftlichen Blicke ? "Bitte. Flieht, solange nicht noch mehr auftauchen. Ich kann nicht ... noch einen Feuerball werfen."

Sie starrten ihn an, rührten keinen Finger. Er wandte sich ab und stolperte auf das lichterloh brennende Gebäude zu. Die Tränen in seinen Augen rührten nicht nur vom dichter werdenden Qualm her.

Der Hof war äußerlich intakt, aber schon bald entdeckte er die ersten Leichen. Knechte und Mägde waren an den Mauern zusammengesunken, ihr Blut und ihre Eingeweide über die Wände und den Boden verteilt. Gesichter, die er kannte und zu schätzen gelernt hatte, hatten den Blick in unbekannte Ferne gewandt, als ihre Körper zerstört wurden. Das Feuer erfasste die Haare einer Magd, die auf ihre Locken immer sehr stolz gewesen war. Lares' Kehle entwand sich ein ersticktes Schluchzen, während er auf dem Hof zum stehen kam. Es war grausig still, nur das Prasseln des Feuers wütete.

" Zylya", flüsterte er stumpf, tastete mit Blicken die Leichen ab, aber entdeckte sie nicht. Wo konnte sie sein ? Was könnte sie beim Angriff getan haben ?

Sich wehren. Womit ? Fieberhaft dachte er nach, das Feuer breitete sich schnell aus, ihm blieb nicht viel Zeit. Sein Stab. Der Magierstab. Er stand in seinem Zimmer in einer Ecke. Vielleicht hatte sie ...

Mit einem Krachen brach ein orangefarbener Blitz durch die Hauswand zu seiner rechten. Instinktiv warf Lares sich nach vorne. Krallen schnitten durch die Luft, wo eben noch sein Kopf gewesen war, die riesige Dämonenkatze flog über ihn hinweg.

Noch im Fallen tauchte Lares in die Astralwelt, ein Blauschleier legte sich über Zeit, Licht und Geräusche. Er rollte über die Rechte ab - und hätte beinahe aufgeschrien, als das verbrannte Fleisch auf den Boden traf, seine Konzentration wurde erschüttert, beinahe hätte er den Zustand, den er brauchte, um die magischen Fäden zu kontrollieren, verloren. Mit einem mentalen Kraftaufwand klammerte er den Schmerz aus, kam auf die Füße. Staub wirbelte in Zeitlupe um ihn herum auf, in der vor Hitze flimmerten Luft landete der Zant einige Meter entfernt auf dem Boden, Erschütterungswellen ließen Steinchen und verstreutes Stroh tanzen. Der Lares zog Astralfäden aus ihrer Verankerung an seinem Körper, ballte sie um seine Finger zu einem Keil, fixierte den Zant. Es war ein etwas kleineres Tier, die violetten Wellenmuster auf seinen Flanken saßen bedeutend enger als bei denen, die er schon gesehen hatte. Und er war verletzt, die eine Hälfte des Kopfes war geschwollen, ein Auge fast geschlossen.

" Fulminictus !!!"

Von unsichtbarem Hieb getroffen taumelte der Dämon mit einem Fauchen zurück, Lares schwindelte es bei dem erneuten Verlust von Astralkraft. Noch bevor er sich wieder richtig unter Kontrolle hatte, rannte er los und sprang durch das feuerumloderte Loch, das der Zant in die Mauer gerissen hatte, ins Innere des Hauses. Irgendjemand hatte gegen den Dämon gekämpft, hatte ihn verletzt. Zylya ... er musste Zylya finden. Und seinen Stab. Rauchschwaden ließen ihn husten, er stolperte beinahe über die Leiche eines der Küchenmädchen. Von Grauen erfüllt eilte er aus dem Raum in den Flur, von dem aus die Treppen nach oben ging, wo sich seine Kammer befand. Er hatte nicht mehr viel Astralenergie. Ohne den Stab war er verloren. Seine Hände pulsierten schmerzhaft und brannten wie wahnsinnig. Hoffentlich konnte er den Stab überhaupt halten.

In weiten Sätzen rannte er die Treppe hinauf. Unten splitterte etwas unter einem gewaltigen Schlag, und mit einem Rumpeln stürzte etwas um. Der Zant folgte ihm. So schnell er konnte rannte er um die Kurve und stürzte beinahe. Langsam begann sich seine körperliche Erschöpfung wieder bemerkbar zu machen, die er über der Aufregung fast vergessen hatte. Nicht mehr lange, und er würde die Grenzen seiner Kraft erreicht haben.

Im Lauf stieß er die Tür zu seiner Kammer auf, die er mit zwei anderen bewohnte, sein Blick irrte durch den Raum in die Ecke, wo sein Stab stehen müsste. Er war nicht da. Auf dem Boden eine Spur aus Blutstropfen, eines der Betten war zu Bruch gegangen, und als Lares sich den Boden etwas genauer fixierte, bemerkte er tiefe Kratzer in den Dielen. Klauenspuren.

Mit einem Krachen landete der Zant auf dem Treppenabsatz. Mit einem heiseren Schrei stieß Lares sich vom Türrahmen ab und floh, der zweiten Treppe entgegen, die wieder nach unten führte.

Jemand hat den Stab genommen. Jemand, der wusste, dass er magisch ist. Oh Zwölfgötter, lasst es Zylya gewesen sein !

Er erreichte die Treppe, griff nach dem Geländer - heißer Schmerz ließ ihn die Hand sofort wieder zurückziehen, aber er war so schnell, er hätte die Stabilität des Geländers gebraucht. Die ersten paar Stufen konnte er das Gleichgewicht gerade noch halten, aber dann, als der Zant selbst die Treppe erreichte und das Holz unter seinem Gewicht erbebte, war es vorbei. Lares stürzte, zog automatisch Arme, Beine und Kopf ein. Polternd fiel er die restlichen Stufen hinab, wurde dabei an die Wand geworfen, und als er endlich am Fuße der Treppe ankam, konnte er keinerlei Spannung aufrecht erhalten, sein Körper erschlaffte, ein übler Schmerz aus seinem linken Knie brandete in sein Bewußtsein und verlangte absolute Aufmerksamkeit. Verzweifelt versuchte er, diesen roten Horden Herr zu werden, seinen Körper so weit unter Kontrolle zu kriegen, dass er aufstehen konnte. Heißes Blut geriet ihm ins Auge, er konnte die Quelle nicht fühlen, sein Schädel brummte. Mehr mit purem Willen als aus körperlicher Kraft- seine Muskeln zitterten vor Überlastung - schaffte er es, den Oberkörper halb aufzurichten, als sein Blick den Zant erhaschte, der gerade oben am Treppenabsatz absprang.

Alles in Lares' Kopf lief in Sekundenbruchteilen ab: Er bemerkte das astrale Zupfen, als wollte jemand seine Aufmerksamkeit erregen. Das Einfangen einer vertrauten Form aus dem Augenwinkel, ein hastiger Griff zur Seite. Die Erleichterung, dass es das war, was er vermutet hatte, als sich das Gefühl einstellte, irgendwie wieder vollständig zu sein. Er riß seinen Magierstab schützend vor sich, und nur einen Augenblick später krachte der Zant darauf. Lares hatte das Gefühl, seine Arme müssten brechen, zu zweit schlitterten sie fast zwei Schritte über die Flurdielen. Das geifernde Maul, die um den Stab geschlossenen, reißzahnbewehrten Kiefer der Bestie waren nur um Armlänge von seinem Gesicht entfernt, die Klauen lagen rechts und links wie Gewichte auf dem Stab und drückten seinen hilflosen Widerstand allmählich mit roher Gewalt weg. Das Holz schnitt tief in seine aufgesprungenen Handflächen.

Muss etwas tun. Sobald er das Maul frei bekommt, hab ich keine Chance mehr.

Astralwelt ... wacklig... Schlieren ... er bekam sie kaum zu fassen, die Fäden ...

Die Tatzen des Zants hatten seinen Widerstand fast gebrochen, gleich, gleich würden seine Ellenbogen sich biegen. Die schwarzen, leeren Augen hielten seine mit ihrem wahnsinnigen, bluthungrigen Blick gefangen, der Triumph war in ihnen bereits beschrieben, völlig konzentriert auf den baldigen Sieg...

Da ! Er ergriff die Astralkraft und schleuderte sie beinahe unkontrolliert von sich: "Fulminictus !!!"

... einen schrecklichen Moment lang dachte er, er hätte die Fäden doch nicht richtig geballt, und sie wären wirkungslos verpufft. Aber dann brüllte der Zant auf, stieß sich ab und wich einen Schritt zurück, schüttelte heftig den Kopf, um dem zweiten, plötzlichen Schmerz Herr zu werden.

Mit letzter Kraft nutzte Lares den plötzlichen Schwung, den das Verschwinden des Gewichtes auf seinen Armen ihm verlieh, warf den Stab herum und hieb nach dem Dämon. Er traf. Mit einem beinahe bemitleidenswerten Laut erstarrte die Gestalt des Zants und flog dann auseinander wie Blätter im Wind.

Lares starrte einen Augenblick auf die Stelle, wo das Untier gesessen hatte, und nutzte dann die Gelegenheit, um für einige Minuten in Ohnmacht zu fallen. Als er wieder erwachte, wünschte er sich, er hätte es nicht getan. Er war so erschöpft und hatte solche Schmerzen, dass er es sich nicht vorstellen konnte, jemals wieder aufzustehen. Seine Arme fühlten sich beinahe tot an, wäre nicht das heftige, pulsierende Brennen der Brandwunden gewesen, er musste sich bei der Rutschpartie über Treppe und Boden Splitter in den Rücken eingerissen haben. Sein linkes Knie war entweder gestaucht, verrenkt oder gebrochen, und sein Kopf dröhnte. Er fühlte, wie getrocknetes Blut auf seiner Haut spannte. Weitere Minuten lag er einfach nur da, schwer atmend, und zuckte jedes Mal zusammen, wenn er sich auch nur ein Stück bewegte. Seine Gedanken jedoch rasten.

Mein Stab war hier. Wieso liegt er hier herum ? Hab ich das tatsächlich überlebt ? Es brennt noch. Meine Sachen sind noch oben. Das Verbandszeug. Ich kann nicht aufstehen. Wann wird das Feuer hier angekommen sein ? Bin ich bis dahin wieder fit ? Ich hab fast keine Astralenergie mehr. Zylya. Wo ist sie ?

Der letzte Gedanke war es, der ihn in seiner Beharrlichkeit letztendlich wieder auf die Beine brachte. Er konnte die Unwissenheit kaum ertragen, immer wieder gaukelte seine Phantasie ihm schreckliche Bilder vor, auf welche Weisen sie gestorben sein könnte, eine grausamer als die andere. Er musste sie finden. Vielleicht war jede Sekunde kostbar. Wenn sie es war, die den Stab geholt hatte, und wer sollte es sonst gewesen sein, musste sie doch hier irgendwo in der Nähe sein.

Sein Knie war offenbar weder gebrochen noch sonst wie offenkundlich verletzt, aber nichtsdestotrotz schmerzte es wie die Hölle, als er aufstand und an die Wand gelehnt Atem holte. Keuchend sah er sich um, Rauch quoll oben aus dem Flur. Mit einem Stöhnen riß er ein Stück Stoff aus seinem Ärmel, die ohnehin bis fast zum Ellbogen weggeschmort waren, hielt es sich vors Gesicht und eilte, so rasch er konnte, nach oben. Der Flur war mit Rauch gefüllt, trotz des Tuches musste er heftig husten, und als er mit dem Rucksack wieder aus dem Zimmer humpelte, brannte bereits die Treppe, die zur Küche führte.

Er entdeckte plötzlich wieder die Blutspur am Boden. Wenn er ihr einfach folgte ... Etwas in ihm bekam bei Anblick der roten Tropfen Panik, er schob die erneuten Schreckensbilder so weit zurück, wie er irgendwie konnte. Der Schmerz in seinem Knie begann glücklicherweise abzuebben, ein weiterer Beweis, dass es nichts wirklich gravierendes war, aber nichtsdestotrotz kam er, besonders auf der Treppe, bedeutend langsamer voran, als er wollte. Er wickelte sich den Stofffetzen um die Rechte, um den Stab etwas schmerzloser halten zu können, damit er sich wenigstens aufstützen konnte.

Da war ein mächtiges Loch in der Wand, nur einige Meter von der Stelle entfernt, wo er mit dem Zant gekämpft hatte. Er starrte es an. Verdammt, warum hatte er sich beim Aufstehen bloß nicht in diese Richtung gedreht? Er folgte mit Blicken der Blutspur.

Sie hat den Stab hier verloren.

Eine eiskalte Hand griff in seine Magengrube. Er sah zu dem Loch in der Wand. Oh Ihr Götter, er wollte dort nicht hingehen, nein, nein ... Vielleicht braucht sie deine Hilfe, Schwachkopf ! Mit einem Wimmern stolperte er vorwärts.

Das dünne, brüchige Fachwerk war mit immenser Kraft nach außen gedrückt worden, überall lagen Lehmstaub und Trümmer. Die Blutspur endete direkt dort. Er schluckte, tastete sich langsam voran. Das Feuer erfasste mit einem Fauchen den Heuboden, der über den Quartieren lag, er duckte sich impulsiv. Schaute durch das Loch.

Unweit des Kräutergartens, nur zehn Meter von hier entfernt, lagen zusammengesunken auf von Blut rotgefärbtem Schnee zwei Gestalten. Er riß den Kopf zurück und kniff die Augen zusammen. Nein ! Bitte, bitte nicht ...!

Raus, jetzt beweg dich, vielleicht ist sie es gar nicht, und wenn sie es ist könnte sie dich brauchen JETZT MACH SCHON VERDAMMTER SCHWÄCHLING !!!

Er zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen, stieg, mühsam das verletzte Bein nachziehend, durch die zerstörte Mauer, und ging auf die beiden zu; es war Zylya, er musste sie kaum ansehen, um das zu wissen; er wurde schneller, so viel Blut, überall war Blut ...

Sie war über dem zweiten Körper, dem Mädchen Tanit, zusammengesunken, hielt ihn mit beiden Armen umklammert und halb unter dem Oberkörper verborgen, so dass er von dem Kind nur Rücken und Beine sehen konnte, ihr schönes, weißblondes Haar war von Blut fleckig rot gefärbt.

Lares sank vor ihnen auf die Knie, sie hatten sich kein Stück bewegt, berührte sie vorsichtig an der Schulter. "Zylya ..." Sie war seltsam schlaff in seinen Armen, als er sie hochzog. "Nein ...", flüsterte er, "bitte ..." Er zog sie an sich, ihr Kopf rollte unkontrolliert in den Nacken, stieß gegen seine Schulter. Ihr Gesicht war blass, die Augen geschlossen, Haarsträhnen waren mit Blut daran festgeklebt, er strich sie ihr in einer sinnlos fürsorglichen Geste aus dem Gesicht, während ihm Tränen aus den Augen sprangen. Ein Alptraum. Das hier war sein schlimmster Alptraum. "Bitte ... sag doch was ... Zylya..."

Erst jetzt fiel sein Blick auf das Mädchen. Er musste würgen und wandte ruckartig sich ab, zerrte Zylya von dem kleinen, zerfetzten Körper fort, in seiner Hast vergaß er sein verletztes Knie und schrie kurz auf, als er es verdrehte. "Oh Tsa ..." Zitternd versuchte er Zylya weiter weg zu ziehen, aber seine Kraft, nun doch endlich an einem Punkt angelangt, wo sie zu keinen weiteren Zugeständnissen an ihn mehr bereit war, reichte dazu nicht mehr. Warme Feuchtigkeit durchtränkte allmählich sein Hemd. Er sah an sich herab: Er war völlig blutverschmiert. "Tsa ..."

Zylya hatte eine klaffende Wunde im Bauch, knapp über dem rechten Hüftknochen beginnend bis schräg hinauf zum Rippenbogen. Ihre Hosen waren von Blut schwarz gefärbt, sie war so kalt ... "Nein !!! Zylya, bitte, sieh mich an, mach die Augen auf ... verdammt ..." Seine Stimme brach, er presste sie an sich. "IHR GÖTTER TUT MIR DAS NICHT AN ! NEIN!!!!" Er wuchtete sie so herum, das er die Rechte zur Faust ballen und auf die Wunde pressen konnte, um die Blutung zu stoppen. Die Wunde war viel zu lang für diesen Versuch. "Gebt sie mir zurück ... Zylya ..." Er zog ihren Kopf zu sich heran und umarmte sie, wollte sie wärmen. Tränen flossen über sein Gesicht, tropften in ihr Haar. "Tsa, ich bitte dich ..." Seine Stimme war nur noch ein Flüstern.

Etwas kitzelte an seinem Hals. Er riß die Augen auf, konzentrierte sich auf diese Empfindung. Atem. Sie atmete. Hastig schob er sie von sich, legte sein Ohr über ihr Gesicht und lauschte, tatsächlich, Atem ! Wilde Hoffnung flackerte in ihm auf, er legte sie schnell, aber vorsichtig auf den Rücken in den Schnee, er hatte nicht mehr die Kraft, einen mächtigen Balsam zu sprechen, aber er wollte verdammt sein, wenn er es nicht versuchte, wenn er diese Wunde nicht schließen konnte ! Solange sie noch lebte, hatte er eine Chance sie zu heilen.

Gerade wollte er beginnen, den Zauber vorzubereiten, als er wieder Dämonenpräsenz fühlte. Er erstarrte, hatte das Gefühl, in einen tiefen Abgrund zu fallen. Das kann nicht wahr sein ! Nicht noch einer! Nicht jetzt !

Zitternd drehte er sich um, nur einige Meter von ihm entfernt saß ein mächtiger Raubkatzendämon im schmelzenden Schnee, sein Schwanz schlug im Jagdfieber hin und her, er war sprungbereit, wartete aber auf irgend etwas. Lares wusste, wenn der Zant sich wirklich entschied, ihn anzugreifen, hatte er keine Chance. Er war zu ausgelaugt, um schnell reagieren zu können, seine Arme hatten kein Quentchen Kraft mehr, und mit dem verletzten Knie konnte er nicht weglaufen, mal ganz abgesehen davon, dass er dann Zylya hätte hier liegen lassen müssen, und das war etwas, was er sich selbst niemals wieder würde verzeihen können. Sie noch einmal zurücklassen. Außerdem - vor einem Dämon weglaufen ? Ein bitteres Grinsen schob sich auf sein Gesicht, er tastete nach seinem Stab. Er würde sein Leben teuer verkaufen.

Er schloss die Finger um das glatte Holz, hob die Waffe und richtete sie mit dem Kopfstück voraus auf den Zant.

Der Dämon beobachtete ihn interessiert, ohne einen Muskel zu rühren. Sie sahen sich an, ein stummes Duell. Lares bemerkte, dass er diesen Zant kennen musste, denn sein Fell war an der linken Körperhälfte völlig verschmort und rußgeschwärzt: Es war der zweite Dämon, der, den der Ignisphaero davongeschleudert hatte. Lares hatte zwar inzwischen eine ungefähre Ahnung davon, wie viel Schaden er anrichten musste, um einen Zant zurück in die Niederhöllen zu befördern, aber er wusste nicht, wie viel bei diesem noch nötig war. Rondra steh mir bei ...

" Du willst nicht im Ernst kämpfen", sagte der Dämon jetzt. Seine Stimme war so tief und grollend, das Lares sie in seinen Knochen spürte.

Er hatte davon gehört, dass Dämonen der Sprache mächtig waren, aber es überraschte ihn doch, und in jeder anderen Situation wäre er vor Schreck halb gestorben, aber seine Nerven waren schon viel zu abgenutzt, als dass es ihn jetzt wirklich beeindruckt hätte. Eine seltsame Ruhe ergriff Besitz von ihm. "Doch. Ich werde kämpfen."

Der Dämon musterte ihn, Lares hätte beinahe aufgelacht, natürlich, er musste beeindruckend aussehen: Gesicht und Hemd blutüberströmt, verbrannte Hände, von den eine mit einem schmutzigen, blutigen Tuch umwickelt war, vor Erschöpfung zitternder Körper, zerrissene Kleidung, Tränenspuren auf den Wangen und von Staub und Asche bedeckt. Wirklich sehr glaubwürdig.

Eine Weile war es still, die einzigsten Geräusche waren das Prasseln des Feuers und Lares' keuchender Atem. Dann spannte sich der Dämon, und Lares schob sich ein Stück vor Zylya, machte sich bereit.

" Du kannst nicht beides tun. Kämpfen und sie schützen. Und du hast keine Astralkraft mehr."

" Die Göttin Hesinde verlieh mir einen Teil ihrer Kraft", antwortete Lares in mehreren Atemstößen. "Und wenn meine eigene Kraft nicht reicht, werde ich ihre verwenden, um dich dahin zurückzuschicken, wo du hergekommen bist !"

" Das kannst du nicht."

" Doch, das kann ich."

Wieder ein stummes Blickduell. Die Zeit stand still, wenn der Dämon ihm nicht glaubte ... Lares bemühte sich, seinem Gesicht die nötige Entschlossenheit zu geben, es fiel ihm schwer, seine Züge überhaupt irgendwie zu modulieren, solche Angst hatte er. Und gleichzeitig hatte er irgendwie gar keine Angst. Es war, als stünde er auf einem dünnen Seil über einem Abgrund, und wenn er sich nur die geringste, auch nur gedankliche Schwäche erlaubte, würde er das Gleichgewicht verlieren und stürzen.

Dann erhob sich der Dämon und wandte sich halb ab. "Ich lasse dich... für dieses Mal..." - er atmete ein, ein Geräusch, als würde er vor Erwartung beinahe bersten - "am Leben. Zeit bedeutet mir nichts, ob ich dein Blut jetzt oder ein andermal trinke, ob ich meine Zähne heute oder morgen in dein Fleisch bohren darf, ist mir gleichgültig." Er schaute Lares abschätzig an. "Dich jetzt zu töten, wäre langweilig." Seine Augen glitzerten böse, als er Lares ein letztes Mal fixierte. "Wir sehen uns wieder, Lares Alfaran. Und deine Freundin ... werde ich sicher auch ... wieder ... sehen ? Schmecken ?" Ein grollendes Lachen folgte, dann trottete der Zant davon.

Lares ließ den Stab fallen, er hätte ihn keine Sekunde länger in der Waagerechten halten können. Lange Momente starrte er dem Dämon hinterher, der keine Anstalten machte, umzukehren. War er tatsächlich Golgari von den Schwingen gesprungen ?

Mühsam wandte er sich wieder Zylya zu, nahm sich einen Augenblick die Zeit, ihr Gesicht zu betrachten - am Leben ! Noch waren sie beide am Leben ! - während er den Stoff von der Rechten wickelte. Dann schob er die zerrissene Bluse beiseite, legte beide Hände auf die Wunde und unterzog die letzten goldenen Astralfäden an seinem Körper einer raschen Kontrolle. Es war nicht genug, um die zerstörten Organe zu heilen und die Wunde zu schließen. Fast ohne zu zögern tastete er tiefer in sich hinein, bis er die rot sprudelnde Quelle seiner Lebenskraft fand. Etwas Angst hatte er schon ... ob sie sich anfühlte wie die astrale Meditation, die Blutmagie ?

Er sah sich noch einmal nach dem Zant um. Verschwunden.

Vorsichtig begann er die Astralfäden von seinem Körper abzuziehen und in einem bestimmten Muster um seine Hände zu legen, zu einer Art Trichter, der die Astralkraft in Lebenskraft für sie umwandeln sollte. Minutenlang fütterte er diesen Trichter vorsichtig, ganz vorsichtig mit Energie, hielt die Augen geschlossen, um sich besser konzentrieren zu können. Er mochte diesen Zauber, Balsam Salabunde, er hatte etwas ungeheuer ... beruhigendes und positives, fast meditatives. In regelmäßigen Abständen flüsterte er Formeln, wie ein Mantra. Dann kam der Moment, wo seine Astralkraft aufgebraucht war. Seine Augenbrauen rückten näher zusammen. "Bring das Maß der roten Quelle in dir, den du gebrauchen willst, in Fadenform, damit du sie so verweben kannst, wie du es mit deiner Astralkraft tust. Die Macht deiner Lebenskraft ist dem astralen Atem gleichwertig, doch ist es gefährlich, sie zu gebrauchen. Wandle nie mehr davon um als bis zu einem bestimmten Punkt, denn ab diesem Punkt greifst du dein Sirkayan an, den Hauch des Lebens, den die Götter dir gaben, und du wirst dauerhaft weniger Kraft haben als zuvor oder noch schlimmere bleibende Schäden erleiden." Die Stimme seines Meisters für Magietheorie drang ganz klar durch seine Erinnerung zu ihm. Behutsam griff er in die rote Quelle, nahm davon eine kleine Menge und formte sie zu einem neuen Trichter, ein Trichter, der die Lebenskraft in gebrauchsfähige Fäden verwandeln sollte. In der Peripherie spürte er ein kurzes, schmerzhaftes Reißen und einen Strom heißen Blutes, der über sein Gesicht floß. Bebend holte er Atem, versuchte ruhig zu bleiben. Dann lenkte er seine Lebenskraft durch den Trichter. Die Wunden an seinem Rücken vergrößerten sich, neue rissen an Bauch und Brust auf, Blut floß seinen Körper hinab. Ein gepresster Schmerzenslaut kam über seine Lippen, er kniff die Lider zusammen. Nicht aufhören ! Langsam webte er die neuen, dunkelrot gefärbten Fäden in den Balsamtrichter. Minuten später fühlte er den kritischen Punkt nahen, sein Herz begann immer schneller zu schlagen, er hatte den Eindruck, es würde einige Male aussetzen. Er blinzelte, Schweiß tropfte von seinem Kinn. Zylyas Wunde hatte sich geschlossen. Er löste beide Trichter auf, ließ die Konzentration fahren. Der Schmerz stürzte auf ihn ein wie ein Wasserfall, er brachte keinen Laut hervor, krümmte sich über ihr zusammen. Lange Augenblicke konnte er wieder denken noch sich irgendwie bewegen, bevor er in sich zusammensackte und schwer atmend versuchte, sich wieder zu fangen, beide Hände an der Brust zu Fäusten geballt, als könnte ihm das dabei helfen.

Wir können hier nicht bleiben. Was, wenn der Dämon es sich anders überlegt ? Wir müssen hier weg. Na komm schon, du bist schon mit schlimmeren Schmerzen rumgelaufen. Na gut, eine Lüge. Aber so ein großer Unterscheid war's nicht. Also hoch mit dir. Na komm schon. Hoch. Auf die Füße, Lares. Nicht hier rumhängen wie ein gekochter Flusskrebs.

Er hob den Kopf, presste verbissen die Kiefer aufeinander, zog die Luft durch die Zähne. Er musste sich irgendwie verbinden, Blutgeruch lockte nicht nur Dämonen an. Er tastete nach einem Rucksackriemen, um ihn von den Schultern zuschieben, und hätte beinahe aufgeschrieen. Und die Finger muß ich mir umwickeln. So kann ich ja nichts anfassen.

Vorsichtig, mit so wenig Berührungsfläche wie möglich, knüpfte er den Rucksack auf und suchte darin nach Verbandszeug. Keines da. "Scheiße", murmelte er ohne echten Enthusiasmus, irgendwie war ihm mit den letzten Ereignissen die Fähigkeit, etwas schrecklich zu finden, aufgebraucht worden. Aber er fand ein Tiegelchen mit Wundsalbe. Als er es musterte, flogen seine Gedanken zurück zu dem Moment, wann er es gekauft hatte.

In einem Dorf, vor fast einem halben Jahr. Zylya hatte sich schrecklich aufgeregt, dass er sich in der brütensten Mittagshitze auf die Suche nach einem Medicus machte, um Salbe zu kaufen, die sie nicht wirklich brauchten. Er hatte das ja selbst nicht gern gemacht, die Sache war nur die gewesen, dass es so heiß war, das wirklich sonst niemand außer ihnen draußen gewesen war, und das hatte seiner Meinung nach die Chance, dass sich jemand an sie erinnern konnte, beträchtlich gesenkt. Aber im Schatten geblieben war sie nicht, sie war ihm hinterhergelaufen und hatte ihn beschimpft, und als er anfing, sich darüber zu amüsieren und sie ein wenig hochzunehmen, hatte sie ihn mit Tannenzapfen beworfen.

Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, ein Schatten aus besseren Zeiten war diese Erinnerung, keine wirklich guten Zeiten, aber allemal besser als jetzt. Er sah sie an. Und sah gerade noch, wie ihr Blick von ihm abglitt und sie wieder das Bewusstsein verlor. "Zylya !" Er beugte sich rasch über sie, berührte ihre Wange. "Zylya ?" Sie kehrte nicht zurück, ihr Atem ging noch immer sehr flach. Langsam richtete er sich wieder auf, ohne den Blick von ihrem Gesicht zu nehmen, nahm ganz langsam, fast widerwillig die Fingerspitzen von ihrer Haut.

Plötzlich, wo die Anspannung von ihm gewichen war, war es wieder seltsam, sie zu berühren, als würde er etwas anfassen, das nach ihm schnappen könnte. Sie hatten seit Tagen nicht miteinander gesprochen, sich seit Tagen kaum angesehen. Ob sie wohl jemals wieder mit ihm umgehen würde wie zuvor ? Ob sie ihm jemals verzeihen würde ? Und ob, ja ob er sie jemals würde behandeln können wie vorher, solange diese Worte zwischen ihnen standen, die schrecklichen Worte von dem Tag, als sie sich gleichzeitig einander mehr genähert und weiter voneinander entfernt hatten als je zuvor ?

Und doch ... solange sie lebte ... solange sie beide lebten ... würde es auch eine Chance geben, sich wieder zu verstehen. Und sollte es Jahre dauern. Etwas in ihm schrie bei der Vorstellung, sie nicht unbefangen ansehen, mit ihr reden und lachen zu können, am Ende jahrelang, auf wie ein waidwundes Tier. Der Gedanke war...

Er schob ihn stracks zur Seite, für heute war es genug, es reichte, mehr konnte er nicht bewältigen, also weg damit !

Er konzentrierte sich auf die Behandlung seiner Brandwunden, rieb sich vorsichtig mit Salbe ein und umwickelte beide Hände dick mit Stoffstreifen, die er aus seinem Hemd riss. Dann untersuchte er Zylyas Körper nach weiteren Wunden und fand auch noch einige kleinere an ihrem Rücken, zum Glück aber keine ähnlich schlimmen wie die am Bauch. Da er sich nicht überwinden konnte sie auszuziehen, um ihren Rumpf zu verbinden, wickelte er die Hemdstreifen um ihre Kleidung. Eigentlich der falsche Moment für Schüchternheit, aber sein Hemd war schmutzig, ihr eigenes war sauberer, und vielleicht würde das Risiko, sich Wundbrand einzufangen, so geringer sein.

Wundfieber, ja, überlegte er, als er sich mit starrem Gesicht die letzten Hemdstreifen um den Oberkörper zurrte, um die Blutung zu stoppen, das würde jetzt wirklich gerade noch fehlen.

Ein Teil des Hauses fiel in sich zusammen, Asche wirbelte weit hinauf in den Himmel. Er erschrak, wurde sich wieder all der Menschen bewusst, die auf diesem Hof lebten ... gelebt hatten.

Hoffentlich sind Travian, Radul und Hagen davongekommen ...

Er sah hinüber zu Tanits kleiner Leiche. Er hatte das Mädchen gemocht, hatte es gerne gesehen, wenn sie und Zylya beisammen gesessen und gekichert hatten, als wären sie zwei kleine Mädchen und nicht nur eines. Obwohl ihre Anwesenheit Zylyas Gedanken auch in die Vergangenheit zu Juraviel gerissen hatte. Zumindest hatte er das vermutet, wenn Zylya in einem Moment, in dem sie sich unbeobachtet fühlte, das Mädchen mit einem stumpfen, leidenden Blick betrachtet hatte, und er vermutete inzwischen auch, dass ihr Ausbruch am Holzschuppen etwas damit zu tun hatte. Ja, wenn das stimmte, wenn sie an Juraviel gedacht hatte, während sie weinte und er ... er konnte ihre Reaktion fast verstehen. Er starrte auf seine Finger. Er hätte fragen sollen. Irgendwann. Du bist schon ein dummer Arsch. Hast ihren Hass verdient ... hoffentlich hasst sie mich nicht...

Wackelig stand er auf, kämpfte gegen die schwarzen Nebel, sie vor seinen Augen wallten, an, ging hinüber zu Tanit, versuchte, sie so wenig wie möglich anzusehen, als er sie aufhob - erstaunlich, was so ein Körper alles leisten konnte, seine Muskeln waren so erschöpft, dass sie schon fast wieder widerspruchslos arbeiteten - und sie zum Haus trug. Legte sie hinter dem von Rauch gefüllten Durchbruch ab, hustete. Seine Lungen kratzten inzwischen erbärmlich, ihm war schlecht. Einen Moment überlegte er, Zylyas Sachen noch zu holen, aber just in diesem Moment schlugen die Flammen durch das Dach des Gesindetraktes. Zu spät. Nun, es wäre ohnehin nichts wirklich wertvolles gewesen ... hoffte er. Zylya war immer sehr eigen mit ihren Sachen. Vor allen Dingen mit ihrem Geld.

Er ging zurück zu ihr, betrachtete sie. Wärme durchflutete sein Herz, er seufzte. Und wenn sie ihn hasste. Er liebte sie.

Fröstelnd suchte er in seinem Rucksack nach Kleidung, streifte sich ein dunkelbraunes Hemd über, wusch sich mit Speichel und dem letzten Stofffetzen das Blut aus dem Gesicht, so gut es ging. Die Sonne am Horizont begann unterzugehen. In der Nacht würde es kalt werden. Hier war es wegen des Feuers warm, aber da draußen ... Er schaute auf Zylya, sie durfte nicht auskühlen. Er wickelte sie vorsichtig in den rostroten Mantel, der zwar die Verschleißerscheinungen zweier Jahre Wanderschaft zeigte, sie aber wärmen würde.

" Zylya ? Hörst du mich ? Kannst du aufstehen ? Wir müssen weg hier." Sie gab einen Laut von sich, ihre Lieder zitterten kurz, aber sie konnte sich offenbar nicht bewegen, wenn sie überhaupt wirklich bei Bewusstsein war.

Er seufzte erneut. Ihr Götter, Tsa, gebt mir Kraft. Firun, Hesinde, verwischt unsere Spuren, verwirrt den Dämon, lenkt ihn tief ins Land, bis wir in Sicherheit sind. Bitte. Ich bitte euch. Ich flehe euch an...

Mühsam wuchtete er ihren schlaffen Körper hoch, legte ihn sich über die Schultern. Soweit gekommen, musste er erst einmal ausruhen, keuchte vor Anstrengung, oh nein, so konnte er sie nicht lange tragen, sie war zu schwer für ihn. Meine Güte, du hast in der letzten Zeit schon viele Kartoffelsäcke getragen, die schwerer waren als sie. Bestimmt.

Zumindest eine Weile, um vom Hof wegzukommen, würde er es schon schaffen. Und bis dahin war sie sicher wieder wach und konnte selbst laufen. Sie haßte es ja, Hilfe annehmen zu müssen. Sobald sie es merkte, würde sie darauf bestehen, runtergelassen zu werden. Ja, genau.

Es dauerte sicher Stunden, bis er sich er sich auf die Beine gekämpft hatte, selbst mit Hilfe des Stabes als Stütze war es fast unmöglich, und als er endlich stand, hatte er das Gefühl, sein Knie sei inzwischen wirklich gebrochen. "Verdammt, du solltest etwas abnehmen", murmelte er und tappte langsam los, schwer auf den Stab gestützt.

Ohne zurückzusehen, ließen sie er den brennenden Hof, der ihnen zwei Monate lang Heimat gewesen war, hinter sich. Aber der Schein des Feuers erhellte den Himmel noch lange, selbst nach Einbruch der Dunkelheit.



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