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Mission Erholung

von

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MISSION ERHOLUNG - Kapitel 6
 

Die beiden japanischen Jungen lagen im Halbschatten unter einer großen Birke ausgestreckt auf dem Rücken und hingen jeder seinen Gedanken nach. Die Stimmung war bedrückt.

Tatsuomi betrachtete das Spiel von Licht und Schatten, dass die Blätter auf Baumstamm und Äste warfen.

"Siehst du die Lichtflecken? Wie schön." sagte er leise.

Nagi schloss kurz die Augen und bewegte sacht die Blätter wie in einem leichten Wind und erzeugte so den Eindruck, als würden Wellen aus Licht den Baum entlang gleiten, nur um Tatsuomi eine Freude zu machen. Schweigend beobachteten sie das Lichtspiel.

Nagi hörte, wie Tatsuomi zitternd einatmete und sah ihn an. Tatsuomi weinte.

Ohne nachzudenken zog Nagi den warmen Körper in seine Arme. Er spürte heiße Tränen an seinem Hals entlang laufen.

Tatsuomi erwiderte die Umarmung sofort und klammerte sich wie ein Ertrinkender an den Älteren. Auch als er sich schon wieder beruhigt hatte, löste er sich nicht von Nagi. Wie dünn er war! Und immer fühlte er sich so kalt an.

"Frierst du?" schniefte Tatsuomi schließlich, als ihm wieder nach Reden zumute war.

"Nein."

Nagi rückte gerade so weit ab, dass er ihn ansehen konnte. Seine nachtblauen Augen trafen auf warmes, helles Braun.

Nicht nur ihre Augenfarbe, auch in ihrem Wesen waren sie so unterschiedlich wie sie nur sein konnten. Doch genau das machte ihnen die Gegenwart des anderen so angenehm. Tatsuomi fühlte sich von Nagis ruhiger und ernster Art angezogen. Eine geheimnisvolle Aura schien ihn zu umgeben.

Nagi mochte Tatsuomis Unschuld, den Ausdruck von Vertrauen, mit dem der Jüngere ihn manchmal ansah, und wie seine Augen leuchten konnten, wenn er sich freute. Tatsuomi hatte ja keine Ahnung, mit wem er es zu tun hatte! Er wirkte wie Licht in dem Schatten, von dem Nagi umgeben war.

"Gomen", nuschelte Tatsuomi und Nagi strich ihm durch das schwarze kurzgeschnittene Haar, wie sein Bruder es bei ihm immer getan hatte, wenn er traurig gewesen war. Tatsuomi lächelte verlegen.

"Ich bin ganz schön durcheinander."

Nagi nickte. Das war auch kein Wunder. Es war erst ein oder zwei Stunden her, dass Nagi herausgefunden hatte, wer im Moment die Spitze der Joto-Konzern-Gruppe bildete, die den Nanjos gehörte.
 

Sie waren mit Schuldig in der Stadt gewesen. Während der Telepath sich bei einem Frisör hatte verunstalten lassen (Nagi verstand das Grün in den Haaren nicht, von dem Schuldig nur gesagt hatte, es sei für Crawford), hatte der kleine Computerfreak das ersehnte Kabel gekauft, mit dem er über Handy endlich wieder ins World Wide Web eintauchen konnte!

Kaum in der Frischen Brise angekommen, waren die Jungs sofort in Nagis Zimmer verschwunden. Nagi stellte die Verbindung her und seine dünnen Finger huschten über die Tastatur.

Tatsuomi zappelte nervös auf seinem Stuhl hin und her und bestaunte einmal mehr Nagis professionellen Umgang mit dem Computer. Wie gut, dass er von diesen Dingen so wenig Ahnung hatte, sonst wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass das, was sich auf dem Bildschirm abspielte nicht unbedingt zu den betätigten Tasten passte.

Nagi vermied zwar in seiner Gegenwart sorgsam, Telekinese anzuwenden, was ihm nicht sonderlich schwer fiel, solange er sich nicht ängstigte oder aufregte; zu gut hatte sich in seinem Gedächtnis eingebrannt, wie "normale" Menschen auf paranormale Fähigkeiten reagierten. Und er wollte auf keinen Fall, dass sich Tatsuomis Verhalten ihm gegenüber änderte. An seinem Rechner jedoch hatte er einige Änderungen vorgenommen, die den Einsatz von Telekinese voraussetzten. Zum einen, weil es sich so wesentlich schneller arbeiten ließ, zum anderen, um Unbefugten (und das waren alle außer ihm selbst) den Umgang mit seiner Software unmöglich zu machen.

"Wie hieß die Firma deines Vaters?" hatte er gefragt.

Tatsuomi sah ihn groß an. "Woher weißt du, dass er eine Firma hatte?"

//Von Schuldig natürlich.// Nach außen tat er unwissend: "Hat er? Ich meinte eigentlich, wo er gearbeitet hat. Irgendwo müssen wir mit der Recherche anfangen."

"Ach..." machte Tatsuomi verlegen und wurde rot. "Joto-Konzern-Gruppe. Er ist... er war der Direktor." Seine Stimme zitterte vor Aufregung. Was erwartete ihn? Wer aus seiner Verwandtschaft würde die Firma jetzt leiten nach Vaters Tod, die Firma, deren rechtmäßiger Erbe doch er, Tatsuomi, war! Wer hatte ihm das angetan?

Und das Dôjô? Ihm wurde ganz schlecht, als er den Gedanken weiter spann. Tante Nadeshiko leitete die Schule, solange, bis er alt genug sein würde... was war jetzt mit ihr? Ob sie auch...?

Nagi sog scharf die Luft ein und lenkte so seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm:

FIRMENLEITUNG: NANJO HIROSE stand da in japanischer Schrift.

Oh nein! Das konnte doch nicht wahr sein...! Tatsuomi fühlte sich, als ob der Boden unter ihm zu schwanken begann oder seine Beine zu Pudding wurden oder beides. Ihm wurde schwarz vor Augen.

"Das ist doch dein Vater..." sagte Nagi und sah, wie Tatsuomi schneeweiß im Gesicht wurde. Seine Lippen formten ein fassungsloses "Iie", doch heraus kam kein Ton. Dann drehte er sich um und rannte davon.

Nagi war einen Moment hin und her gerissen zwischen dem Drang, weiter zu recherchieren oder dem Jungen zu folgen. Bei jeder anderen Person wäre es keine Frage gewesen, aber hier lagen die Prioritäten anders. Irgendwie mochte er Tatsuomi und hatte den seltsamen Drang, ihn beschützen zu wollen. Seufzend ließ er den PC herunterfahren und lief aus dem Zimmer.

Dank Schuldigs Hinweis fand er ihn auch gleich, vor der kleinen Heidelandschaft östlich der Wohnanlage, unter einer Birke sitzend und ins Leere starrend. Schweigend ließ er sich neben Tatsuomi im Sand nieder.

Da die Stille zwischen ihnen anhielt, ließ sich Nagi wortlos nach hinten sinken und streckte sich auf dem sandigen Boden aus. Tatsuomi tat es ihm irgendwann nach.

Erst nach einer Stunde hatte Tatsuomi das Schweigen gebrochen mit der Bemerkung über das Spiel von Licht und Schatten.
 

"Und was jetzt?" fragte Nagi schließlich.

Tatsuomi löste sich aus der Umarmung, was bei Nagi ein Gefühl des Bedauerns auslöste. Natürlich ließ er sich nichts anmerken und stand auf.

Ratlos sahen sie sich an.

"Naja... Ich werd ihn anrufen." Tatsuomis Stimme begann wieder ein wenig zu zittern.

Nagi schüttelte leicht den Kopf: "Und was, wenn er dahinter steckt? Wenn er dich irgendwie... los werden wollte?"

Dafür erntete er einen fassungslosen Blick. "Unmöglich! So etwas würde er niemals tun!! Er war immer so stolz auf mich... Wie kannst du so was sagen?!"

"Vielleicht aus eigener Erfahrung?" sagte Nagi mit seiner ruhigen Stimme Er sah, dass Tatsuomi die Bemerkung sofort leid tat:

"Haben deine Eltern dich etwa..."

"Du bist echt naiv!" unterbrach Nagi ihn schnell. Er hatte überhaupt keine Lust, Erinnerungen herauf zu beschwören. "Ich an deiner Stelle würde erst mal versuchen, mehr Informationen zu bekommen. Ich war ja grad dabei, da bist du rausgerannt."

"Ja. Entschuldige. Ich dachte nur... ich hatte gedacht, wenn ich sehe, wer jetzt die Firma leitet, dann weiß ich, wer mich fort gebracht hat. Aber mein Vater...? Das kann nicht sein... er... er liebt mich doch!" Seine Augen füllten sich schon wieder mit Tränen.

"Wie du meinst." bemerkte Nagi kühl. "Ich kann ja trotzdem nochmal...", er unterbrach sich schnell, denn beinahe hätte er dem anderen erzählt, dass er sich bei der japanischen Polizei einhacken wollte. "... Du kannst ihn ja anrufen. Wenn du unbedingt willst."

"Natürlich will ich!" Tatsuomi nickte eifrig. "Das hätte ich gleich machen sollen! Er wird mich bestimmt sofort abholen! Und dann klärt sich alles. Oder, Nagi-Kun? Oder?" Hilfesuchend sah er den Älteren an. Der zuckte nur leicht die Schultern.

"Oder... meinst du, er ist böse mit mir, weil ich geglaubt habe, was die mir erzählt haben, Nagi? Ich hätte das nicht glauben sollen, oder? Ich hätte weg laufen sollen..."

"Komm. Ruf ihn an", murmelte Nagi und nahm Tatsuomis warme Hand. Sollte Tatsuomi doch seine eigenen Erfahrungen machen. Nagi traute allen Vätern dieser Welt alles mögliche zu. Aber er würde Tatsuomi helfen. Egal, was geschehen würde. Er konnte die Verzweiflung in diesen goldbraunen Augen nicht ertragen.

"Nach zwei Jahren ist er dir bestimmt nicht mehr böse, baka." sagte er sanft. Und hoffte nur, dass Tatsuomi Recht, und sein Vater mit der ganzen Lügengeschichte nichts zu tun hatte.
 

Nagi streckte gerade die Hand aus, um den Schlüssel in das Schloss zu stecken, als die Tür des Apartments von innen geöffnet wurde.

//Komisch.// dachte Tatsuomi. //Als hätte er gewusst, dass wir kommen...//

Schuldig hielt einen kleinen viereckigen Kasten in der Hand.

"Du hast dein Handy nicht dabei gehabt", sagte er zu Nagi. //Crawford möchte, dass du ihn SOFORT zurückrufst.//

Er zog Nagi in die Wohnung, und gleichzeitig schob er mit der anderen Hand Tatsuomi, der automatisch folgen wollte, auf den Flur zurück.

"Du nicht."

Und damit fiel die Tür zu. Tatsuomi starrte perplex auf die glatte Fläche, wo er gerade noch in Schuldigs eiskalte Augen geblickt hatte. Eigentlich mochte er den Deutschen richtig gerne, obwohl er so schroff zu ihm war. Wohl weil er Nagi so gut behandelte. Aber manchmal sah er aus..., so wie gerade eben, dass es ihm fast eine Gänsehaut machte.

Er wartete noch eine Weile in der Hoffnung, dass Nagi ihn doch noch hinein holen würde, aber nichts geschah. Sollte er einfach klingeln? Nein, das traute er sich nicht. Nicht nach diesem Blick von Schuldig. Was war bloß los? Warum schickte er ihn weg? Vorhin in Cuxhaven war doch noch alles in Ordnung gewesen. Was hatte ihn so verärgert?

Er fühlte sich klein und verlassen... Wie schon die ganze Zeit, seit er in Deutschland war. Er schluckte die Tränen hinunter und ging langsam zu den Fahrstühlen zurück. Er hatte grenzenloses Heimweh nach Japan, nach zuhause, nach der Zeit, wo er sich geliebt gefühlt hatte, wo er wichtig war und etwas Besonderes.

Die ganze Zeit hatte er gedacht, daß seine Eltern tot waren. Doch jetzt... Sein Vater war am Leben! Alles war Lüge gewesen. Vielleicht genügte ein einziges Telefonat, um wieder nach Hause zu kommen. Je länger er darüber nachdachte, desto weniger verstand er, warum er seinen Vater nicht gleich angerufen hatte! Wie konnte er nur einen Augenblick zögern? Und er konnte ihn auch allein anrufen, dazu brauchte er Nagi schließlich nicht!

Die letzten Meter rannte er.
 

Mit klopfendem Herzen betrat er die Wohnung. Erleichtert stellte er fest, dass seine Adoptiveltern nicht da waren.

Er nahm mit zittrigen Händen das Telefonbuch und wählte dann die Nummer der Auskunft.

"Ich bräuchte eine Nummer in Japan, Tokyo..." Seine Stimme klang so dünn und leise, dass er sein Anliegen zweimal vortragen musste, bis die Dame am anderen Ende der Leitung ihn verstand.

"Die Nummer wird durchgegeben. Soll ich Sie gleich verbinden?"

"Oh ja..."

Tatsuomi stieß einen erschreckten Schrei aus, als ihm der Hörer aus der Hand genommen wurde. Sein Adoptivvater baute sich vor ihm auf.

"Mit wem telefonierst du denn?"

"M-mit N-Nagi", stotterte er und beobachtete in Panik, wie Herr Mauritz den Hörer an sein Ohr hob.

"Ihr seid doch sowieso den ganzen Tag zus-" Er verstummte plötzlich und sein Gesicht verzerrte sich vor Wut. Er knallte das Telefon auf den Tisch und holte aus, um Tatsuomi zu schlagen. Der konnte sich jedoch rechtzeitig ducken, schließlich war er seit seinem dritten Lebensjahr in Kampfsport geübt, sodass die Faust nur auf Luft traf und sein Adoptivvater fast aus dem Gleichgewicht kam.

"Geh sofort in dein Zimmer!" donnerte er also stattdessen. Zu gut wusste er, dass er den flinken Jungen jetzt sowieso nicht zu fassen bekommen würde. Aber das würde - das KONNTE - nicht ohne Folgen bleiben. Der Elfjährige gehorchte stumm, ohne nachzudenken. Schließlich war er von klein auf gewohnt, keinen Widerspruch zu leisten.

"Wir haben dir verboten, nach Japan zu telefonieren! Und dann lügst du mich auch noch an! Du bleibst von jetzt an in deinem Zimmer!"

Tatsuomi kauerte sich zitternd auf seinem Bett zusammen und hörte, wie die Tür hinter ihm abgeschlossen wurde. Er presste eine Faust vor seinen Mund, um sein Schluchzen zu unterdrücken. Er wusste, was Stubenarrest bedeutete: Kein Essen, kein Trinken auf unbestimmte Zeit - und auf Toilette frühestens, wenn die Wut seiner Eltern verraucht war. Und das konnte diesmal lange dauern!

Eine Flut von Tränen rollte über seine Wangen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2007-07-25T19:34:24+00:00 25.07.2007 21:34
Moin moin,
erst Mal: hach, da sind die grünen Haare wieder *freu* ... obwohl es hier einen gibt, der meint, es beißt sich (Schu, dein Haar beißt sich mit deinen Augen! Happ ... *grins*).
Und dann, dieses sensible Thema 'Mißbrauch' so ehrlich aufzugreifen, ist eine Kunst, die du wirklich beherrschst.
Dein Tier.
Von:  tough
2006-04-17T11:45:22+00:00 17.04.2006 13:45
Haarfarbe? Wichtig? - Egal...
Mich stört im Moment die Heulsuse.
Habe keine Geduld mit dem weinerlichen Jungen.
Ein Elfjähriger, der dauernd flennt - ekelhaft.*g*

Hatte Deine FF angefangen, ohne Deinen Steckbrief zu lesen,
also, ohne zu wis´sen, wie 'alt' Du bist.
Jetzt lehn ich mich mal weit aus dem Fenster:
Man kann Deine Reife lesen - wohltuenderweise!

tough
Von: abgemeldet
2005-07-15T09:36:09+00:00 15.07.2005 11:36
wenn ich´s richtig verstanden habe, hatte schu blonde haare und hat sie sich jetzt grün färben lassen? also mit orangen haaren fin ich den echt geil, in grünen allerdings auch, wobei mir aber orange besser gefallen, aber eine BLONDEN schu? das sähe echt lustig aus^^

kamui_san


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