Zum Inhalt der Seite

Sherlock Holmes - Das Heulen des Wendigo

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Auf der Hut

Ich war gezwungen all meine Anstrengung aufzufahren um Ruhe und Ordnung unter jene Gruppe zu bringen, die sich nun im Gemeinschaftssaal des alten Herrenhauses versammelt hatte. Am meisten Aufmerksamkeit widmete ich der armen Miss Cresswell, die durch den Fund der Leiche den größten Schock davon getragen hatte. Ich hatte ihr ein Glas Brandy eingeschenkt, während sich die Herren Foster und Palmer etwas Stärkeres genehmigten. Miss Pembroke saß auf ihrem Stuhl und starrte lediglich zu Boden. Ihre Hände in einander verschränkt wirkte sie nervös und unsicher.

Endlich kehrte Holmes zu uns zurück. Es war mir nicht möglich in seinem Gesicht zu lesen, was er herausgefunden hatte.

„Sind alle wohl auf?“, erkundigte er sich.

„Ja, wir alle außer Thomas.“, murrte Foster unzufrieden.

Der Detektiv ging nicht drauf ein.

„Holmes, konnten Sie die Leiche sicherstellen?“, versuchte ich es stattdessen.

Leider musste mich mein Freund enttäuschen

„Nein, Doktor, das konnte ich nicht. Da wir uns vor der Treppe zum ersten Stock befanden, und auch die Zimmer neben dem Wintergarten leer sind, kann der arme Mr. Driscoll lediglich hinaus auf die Terrasse geschafft worden sein.“, kombinierte er.

So wie er den letzten Satz lang zog, wusste ich, dass etwas in der Luft liegen musste.

„Aber?“, tat ich ihm den Gefallen.

Mein Freund holte tief Luft.

„Die Tür zur Terrasse war zwar geöffnet, aber... ich konnte keinerlei Spuren eines Transportes feststellen. Weder Fußabdrücke, noch Schleifspuren.“, fuhr er fort.

Ich verstand was er meinte. Thomas Driscoll war ein stämmiger Mann gewesen, wenn er also nicht geschleift wurde, konnte er nur fortgetragen worden sein. Dies ließ ebenfalls Rückschlüsse auf den Täter zu. Dieser musste ebenfalls muskulös und zu allem entschlossen gewesen sein.

„Auf Anhieb... würde mir etwas einfallen, dass den armen Thomas hätte fortbringen können. Etwas gewaltiges, das keinerlei Mühe gehabt hätte, sich Thomas um die Schultern zu hieven.“, kam es nun von Mr. Palmer.

Ich hatte eine düstere Ahnung was genau er ansprechen wollte. Es war Miss Pembroke, die er damit köderte.

„Der... Wendigo! Darauf wollen Sie doch hinaus, oder? Aber... ich habe ihn wirklich gesehen. Ich habe dieses Monster wirklich gesehen!“, beharrte sie auf ihrer Beobachtung.

Ich wusste, dass Holmes ihren Ausführungen Ernsthaftigkeit beimaß, zumindest dass unsere Klientin irgendetwas in dieser Art hatte beobachten können. Angesichts der Ereignisse konnte ich auch den restlichen Gästen ansehen, dass diese Idee in ihren Köpfen Früchte getragen hatte.

„Wenn Sie sagen, Sie konnten den Wendigo sehen, wie darf ich mir jenes vorstellen? Ich meine, zu dieser Zeit war das Licht im Haus erloschen. Und draußen war es finstere Nacht.“, begann Holmes Miss Pembroke zu befragen.

Dieser fiel es offensichtlich schwer sich die schockierenden Ereignisse wieder ins Gedächtnis zu rufen.

„Ein... Licht. Ja, da war ein Licht. Er... trug eine Laterne in seiner rechten Hand.“, entsann sie sich.

Holmes und ich warfen uns Blicke zu.

„Ein mythisches Monster, das mit einer Laterne umgehen kann?“, hakte der Detektiv nochmals nach.

Miss Pembroke blieb allerdings bei ihren Ausführungen.

Dann schien Holmes etwas aufzufallen.

„Wo ist eigentlich der Butler Daniel hin? Ich sehe ihn hier nirgends.“, fragte er scharf und ich spürte etwas Kritik in seiner Stimme. Immerhin hatte er mir aufgetragen die Gruppe beisammen zuhalten.

„Daniel wollte in den Keller. Er meinte, dort würde sich noch ein alter Generator befinden, den er zum Laufen bringen wollte.“, erklärte ich.

Miss Cresswell erhob sich.

„Sehr gut! Dann wird auch hoffentlich das Telefongerät wieder funktionieren und wir können Hilfe holen. Soll sich doch die Polizei mit diesem angeblichen Monster herumschlagen.“

Doch mein Freund enttäuschte sie.

„Eher nicht. Das Telefon habe ich bereits überprüft, die Kabel wurden durchtrennt wie zuvor jene des Sicherungskastens. Vorerst können wir keine Hilfe rufen, tut mir leid.“

Miss Cresswell traf der Schlag, aber auch Mr. Foster verlor die Fassung.

„Das kann doch nicht wahr sein! Was wenn sich wirklich etwas da draußen herumtreibt? Denken Sie ernsthaft, dass wir hier drin sicher wären? Thomas dachte das sicherlich auch und nun? Wenn wir keine Hilfe rufen können, dann müssen wir sie uns selbst verschaffen!“, sagte er entschieden und trat auf den Gang.

„Mister Foster, was bezwecken Sie mit Ihrer Aktion? Wollen Sie hinaus in den Schnee? Es hat inzwischen zu schneien begonnen. Selbst ohne mythische Kreatur würden Sie den langen Weg zum Bahnhof niemals überleben. Ich gebe Ihnen nicht einmal eine Stunde, bis Sie erfroren wären.“, sagte der Detektiv scharf.

Foster starrte ihn erzürnt an, musste aber eingestehen, dass sein Gegenüber richtig lag.

„Der Kutscher wird erst morgen kommen um uns abzuholen, solange bleibt uns nichts übrig als hier im Haus zu bleiben.“, setzte Holmes noch dran, auch wenn er einigen damit die Hoffnung auf schnelle Rettung nahm.

Foster nickte.

„Gut, ich bin auf meinem Zimmer. Schlafen werde ich ohnehin nicht können, klopfen Sie, wenn Sie etwas von mir benötigen.“, entschied er und verließ die Gruppe.

Dann wand ich mich an meinen Freund.

„Holmes, sollen wir uns vielleicht bewaffnen? Ich selbst habe meinen Revolver dabei, aber wird uns dieser gegen so ein Ungeheuer überhaupt helfen?“, sah ich schwarz.

Dieser bedachte mich eines abschätzigen Blickes.

„Ich bitte Sie, Watson! Ungeheuer sind immer noch in der Welt der Fabeln und Mythen zu suchen.“

Auch Miss Pembrokes Hilfe suchenden Blick wies er ab.

„Wir werden schon herausfinden, was genau Sie da glauben gesehen zu haben. Aber in erster Linie ist es am wichtigsten uns Sicht zu verschaffen. Sie erwähnten einen Generator, Watson? Können Sie mich hinführen?“

Ich bejahte, auch wenn ich nur die Richtung gesehen hatte, in welcher Daniel verschwunden war. Die beiden Frauen beschlossen gemeinsam ein Zimmer aufzusuchen, während Mr. Palmer entschloss, uns zu begleiten. Niemand wollte in diesem Moment alleine sein.

Also setzten wir uns in Bewegung und suchten die Tür, die in den Keller führte. Tiefe Dunkelheit erwartete uns, doch mit unseren Lampen gelang uns der Abstieg irgendwie. Holmes ging voran, während Palmer und ich ihm dicht folgten. Unten angekommen erwartete uns bereits eine Helligkeit, die durch die Petroleumlampe des Butlers hervorgerufen wurde. Von diesem selbst war allerdings nichts zu sehen. Auch etwas das einem Generator glich, konnte ich nicht ausmachen.

„Seltsam, er sollte eigentlich hier sein.“, murmelte ich.

Holmes wurde auf etwas aufmerksam.

„Die Decke endet da vorne. Das sieht mir beinahe wie ein Schacht aus. Wissen Sie etwas darüber, Mr. Palmer?“

Dieser musste einen Moment überlegen.

„Ja, das ist ein alter Lastenaufzug. Ich glaube er endet auf dem Dachboden. Damit wurden früher verschiedene Gegenstände, die im Haus gelagert wurden transportiert.

„Halten Sie mal.“, reichte mir der Detektiv die Lampe und ich versuchte in den Schacht zu leuchten. Ich konnte eine Bewegung ausmachen, irgendetwas schien vor uns zu baumeln. Es dauerte etwas, bis ich es erkennen konnte. Waren das... Schuhe?

Holmes schien sie nun auch zu erkennen, vor allem, da etwas in ihnen steckte. Ich leuchtete nach oben und wir beide reckten unsere Köpfe in den Schacht.

Ich erinnerte mich später nicht mehr an meinen Gesichtsausdruck, jedoch musste jenes eine äußerst bleiche Farbe angenommen haben.

„Verdammt! Das ist Stanhope! Er baumelt an einem Seil!“, informierte Holmes auch Mr. Palmer, der sich hinter uns befand.

Ich konnte meinem Freund leider nur recht geben. Das Licht reichte aus um die Butleruniform und das Gesicht des armen Mannes zu erhellen. Dieses war blutverschmiert und um seinen Hals hing der Strick des Seils, welches ihn in dem Schacht baumeln ließ.

„Watson, Palmer, helfen Sie mir den Mann loszubinden.“, wies der Detektiv uns an.

Unter normalen Umständen hätte er uns dies nicht zweimal sagen müssen, doch an diesem Abend war nichts normal. Ich hielt inne als wir ein seltsames Geräusch vernahmen. Der schwache Versuch mir einzureden, das der Wind dafür verantwortlich war, zerschlug sich augenblicklich. Es war eindeutig das Geräusch eines Tiers. Ein bis ins Mark gehendes Heulen.

Holmes erkannte es kurz vor mir. Oben im Schacht regte sich etwas. Ich leuchtete in eine erschreckende Fratze. Den Schädel eines Hirsches, nein seinen Skalp besser gesagt. Links und rechts prangte sein imposantes Geweih aus seinem Kopf. Das Ungetüm starrte uns an und ich verstand nun, was Miss Pembroke hatte empfinden müssen. Ungläubig sahen wir mitan, wie der Wendigo begann, den armen Daniel mit dem Seil nach oben zu ziehen. Er schien eine enorme Kraft zu besitzen, wir konnten nicht einmal reagieren. Erst als die Leiche über der Kante verschwunden und auch der Wendigo verstummt war, packte mich Holmes an der Schulter.

„Kommen Sie, Watson! Wir müssen auf den Dachboden!“, drängte er.

Ich hätte ihm am liebsten widersprochen, immerhin konnten wir uns doch wohl kaum mit einem Ungeheuer anlegen. Zwar hatte ich meinen Revolver eingesteckt, doch wäre dieses Wesen überhaupt empfänglich für Kugeln gewesen? Ich erinnerte mich, dass es nicht einmal Spuren im Schnee hinterließ. Hatten wir es hier also mit einer Art Geisterwesen zu tun, würden meine Kugeln einfach durch es durchgehen,

Doch Holmes schien zu allem entschlossen zu sein. Wir rannten los und ließen Mr. Palmer verdutzt stehen.

Wir erklommen die Treppe zum ersten Stock wo wir nach dem Aufstieg zum Dachboden suchten. Bald hatten wir die Klapptreppe gefunden und kletterten nach oben.

Sofort leuchtete ich nach allen Seiten, damit wir nicht hinterrücks angegriffen wurden.

Doch da war nichts. Egal wohin ich leuchtete, auf dem Dachboden blieb es ruhig. In wenigen Metern Entfernung erblickten wir den Schacht, in dem der arme Daniel aufgeknüpft worden war. Ein durchtrenntes Seil bestätigte uns, dass es keine Einbildung war. Doch wie verlief es mit dem Wendigo?

„Holmes... Sie... haben es doch auch gesehen, oder?“, begann ich langsam an mir selbst zu zweifeln.

Der Detektiv nickte nur leicht und schritt voran. Ich folgte ihm bis zur anderen Seite des Dachbodens, welcher vor einem breiten Fenster endete. Dieses war geöffnet und Schneeflocken drangen ins Innere. Dies schien der einzige Weg gewesen zu sein, wie das Ungetüm hätte entkommen können. Holmes nahm mir die Lampe ab und leuchtete nach draußen.

Dann ächzte er.

„Natürlich. Und schon wieder keinerlei Fuß oder Schleifspuren“, setzte er mich ins Bild.

Ich schluckte.

„Also... haben wir es wirklich mit einem Geisterwesen zu tun, Holmes?“

Ich hatte erwartet, dass er mich zurechtwies, doch dies blieb aus. Nun wurde mir erstmals bewusst, wer sehr mich Holmes' rationale Art über die Jahre Weg immer beruhigt hatte. Sollte er nun selbst die Fassung verlieren, so hätte ich nicht weiter gewusst. Er war mein fester Punkt in einem sich stets wandelnden Zeitalter.

Uns blieb nichts übrig als das Fenster zu schließen und den Rückweg anzutreten. Uns blieb nun die Aufgabe, den anderen Gästen vom Tod des Butlers Daniels zu berichten, obgleich wir wussten, dass sie dies nur zusätzlich verängstigen würde.

Palmer war der erste, welcher unter der Leiter bereits auf uns wartete. Er war tief in Gedanken versunken und zeigte das erste Mal, seit ich ihn erkannte eine gewisse Bestürzung. Dann suchten wir das Zimmer auf, in welches sich die Damen Pembroke und Cresswell zurückgezogen hatten. Auch wenn sie den Butler kaum gekannt hatten, begannen sie einander zu trösten. Zum Schluss folgte Mr. Foster, welcher uns nur widerwillig öffnete. Er reagierte am schockiertesten. Jedoch weniger was den Tod des Butlers anging, sondern eher über die Existenz einer solchen Kreatur.

„Es... ist Victor. Er muss es sein! Es ist sein Geist!“, hatte er uns noch angeschrien, bevor er uns die Tür vors Gesicht zuschlug. Sowohl mir als auch meinem Freund war klar, dass es keinen Sinn machte, ihn weiter zu befragen.

„Was unternehmen wir nun, Holmes?“, fragte ich, hatte aber nicht mit seiner Antwort gerechnet.

„Nichts. Im Moment können wir nicht weiter agieren, Lediglich reagieren, Und dies missfällt mir zutiefst, treuer Freund. Wir können nur auf den Tagesanbruch warten und dann auf den Kutscher. Erst dann wird es uns erlaubt sein, Hilfe zu rufen.“

Ich verstand ihn, doch wir mussten doch zumindest irgendetwas tun können.

„Was wenn wir die Fenster und Türen vernageln würden?“, schlug ich vor.

Mein Vorschlag wurde unverzüglich abgetan.

„Nein, das wäre sinnlos. Das Haus besitzt zu viele Fenster und Türen. Selbst wenn wir ausreichend Werkzeug und Holz finden würden, es würde etliche Stunden kosten. Nein, unser bester Plan ist es jetzt bis zum Morgen zu warten und uns dann neu zu sortieren.“, entschied er.

Ich gab ihm recht, merkte aber an, dass es bis zum Morgengrauen noch mindestens 6 Stunden her war. Holmes schlug mir vor, den Rest zu schlafen, eine Aufgabe, bei der ich mir sicher war, sie nicht erfüllen zu können. Nachdem ich ihm versicherte auch ohne Schlaf noch ausreichend über Kraft zu verfügen, durfte ich ihn begleiten. Wir kehrten in den Keller zurück, wo wir Stanhopes Petroleumlampe löschten. Ein Brand wäre das Letzte gewesen, das wir in dieser Situation noch hätten gebrauchen können. Holmes sah sich im gründlich im Keller um, wirkte aber unzufrieden. Wenn Daniel hier angegriffen wurde, warum existierten keine Kampfspuren? Konnte es sich bei diesem Wendigo... tatsächlich um ein Geisterwesen handeln? Hatte Foster mit seiner Theorie recht? War Victor Pembrokes Geist in Form des Wendigos zurückgekehrt und wollte nun Rache nehmen? Holmes tat diese These mit seinem nächsten Satz ab.

„Interessant. Haare.“, murmelte er.

Er hatte sich vor den Schacht gekniet und etwas aufgesammelt. Ich kniete mich neben ihn und gab ihm recht. Auf dem Boden des Schachts lagen einige weiße Haare verstreut.

„Gehören sie etwa dem Wendigo? Dann muss es sich dabei ja doch um ein physisches Wesen handeln!“, entkam es mir.

Mein Freund äußerte sich nicht dazu, sondern sammelte die Haare ein.

„Watson, ich möchte Sie um etwas bitten. Bitte lassen Sie unsere Klientin diese Nacht in unserem Zimmer übernachten. Ich schlafe dafür in dem ihrigen“, entschied er.

Ich konnte seinem Vorschlag erst nicht glauben.

„Aber... Miss Pembroke ist eine Dame! Ich kann ihr nicht zumuten...“, begann ich, wurde aber schnell unterbrochen.

„Watson! Ihr Leben könnte in Gefahr sein! Ich denke unter diesen Umständen können wir wohl eine Ausnahme machen.“

Schließlich stimmte ich meinem Freund zu. Während er eine andere Richtung einschlug, begab ich mich zu den Frauen und bat unsere Klientin alleine sprechen zu dürfen. Erst wirkte sie verblüfft, vertraute Mr. Holmes' Urteil dann aber völlig.

Wir zogen uns in unser Zimmer zurück, wo ich noch einmal meinen Revolver überprüfte. Trotz ihrer Aufregung verließ Miss Pembroke bald die Kraft und entschwand ins Land der Träume. Ein Luxus, den ich mir selbst nicht gönnte. Ich erinnerte mich an die nächtlichen Überfälle in Afghanistan, auch nur eine Minute Schlaf konnte einem das Leben kosten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück