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Lincolns Geheimprojekt

von

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Nachts um halb zwei

Wütend und verletzt schlug Lincoln die Tür zu seinem Zimmer lautstark ins Schloss. Warum traf es immer ihn? Alles war so gekommen, wie er gedacht hatte. Genau darum wollte er, dass sein Comic niemand aus seiner Familie zu Gesicht bekam, ehe es nicht fertiggestellt und eingereicht war. Alberne Kritzeleien. Ständig hallten die Worte seines Vaters in seinem Kopf wieder, doch das war nicht einmal das schlimmste. Alles Woran er das letzte Jahr so hart gearbeitet hatte, war in Rauch aufgegangen. Und wie schon so oft waren alleine die Zwillinge dafür verantwortlich gewesen und er bekam trotzdem noch das Fett weg, weil er seinen beiden Schwestern mal richtig die Meinung gesagt hatte. Sollen sie doch heulen, verdient hatten sie es ja. Er lehnte sich an die Tür und ließ sich zu Boden gleiten. Eine Weile lang hatte er nicht gewusst, ob er wütend oder traurig sein sollte. Doch jetzt wo er alleine war, sammelten sich die ersten Tränen in seinen Augen. Seine große Chance war verpufft. Endlich hatte er die Möglichkeit gehabt, aus dem Schatten seiner Schwestern herauszutreten. Mit etwas glänzen zu können, das er als einziger seiner Familie wirklich gut beherrschte, Zeichnerisches Geschick. Und nun das. Das Klingeln seines Handys holte ihn aus seiner trübsinnigen Gemütsverfassung, sofort schlug die Trauer in Wut um. Wer wollte denn ausgerechnet um halb zwei Uhr Nachts etwas von ihm? Er zog das Handy aus der Tasche und nahm den Anruf entgegen, ohne vorher nachzusehen, um wem es sich eigentlich handelte.
 

„Lincoln hier, wer stört?“, erkundigte er sich maßlos verärgert, bei seinem unliebsamen Anrufer.

„He, Lincoln. Ronnie Anne hier... Bist du sauer auf mich?“, erkundigte sich seine Freundin bei ihm. Zunächst hatte sie sein wütender Ton abgeschreckt, doch eigentlich konnte sie es ihm schwer verübeln. Immerhin hatte sie ihm neulich mitten ins Gesicht gelogen.

„Ronnie Anne? Nein… Das heißt ja. Aber nicht auf dich.“ Kaum hatte er ihre Stimme vernommen, hatte sich seine Laune etwas gebessert.

„Warum rufst du so spät noch an? Ist irgendetwas passiert?“, wollte er im nächsten Moment von ihr wissen. Sorge schwang in seiner Stimme mit. Ein Umstand, der ihr ein Lächeln ins Gesicht zauberte.

„Nein… Ich konnte nur nicht schlafen, und wollte mich darum bei dir melden…“

Ronnie Anne unterbrach sich selbst. Eigentlich wollte sie etwas Wichtiges mit ihm besprechen, doch plötzlich hatte sie der Mut verlassen, darum wechselte sie das Thema: „Wenn du nicht auf mich sauer bist, auf wenn denn dann?“, wollte sie plötzlich von ihm wissen.

„Auf die Zwillinge. Aber das langweilt dich bestimmt.“ Lincoln hatte keine Interesse mit Ronnie Anne über seine Probleme mit seinen Schwestern zu sprechen und im Moment auch wenig Lust dazu.

„Nein, gar nicht“, beteuerte Ronnie Anne. Sie schämte sich selbst für ihr unreifes Verhalten, aber sie konnte nicht leugnen, dass sie neugierig war.

„Na gut. Es geht um meinen Comic. Ich weiß nicht wie die beiden ihn gefunden haben, aber als ich mit Lori und Lilly zuhause angekommen bin, haben sie sich darum gestritten. Erst auf den zweiten Blick habe ich bemerkt, um was genau es sich handelt. Doch noch ehe ich etwas sagen konnte, kam Dad aus seinem Zimmer. Wahrscheinlich haben Lana und Lola ihn mit ihrem Streit geweckt. Es ist mir ohnehin ein Rätsel, warum die Zwillinge so spät überhaupt noch wach waren. Im jeden Fall wollte er wissen, was der Lärm soll und hat schnell meinen Comic als den Grund für ihren Zank identifiziert. Und von da an lief irgendwie alles schief…“ Lincoln erzählte seiner Freundin, genau was in den letzten fünfzehn Minuten alles passiert war.
 

„Die Arbeit von mehr als zwölf Monaten ist also in Rauch aufgegangen, mit etwas Glück haben ein paar Seiten überlebt, doch der Großteil davon wärmt jetzt unser Wohnzimmer. Das ist nicht fair Ronnie Anne. Und am Ende bin trotzdem ich der Böse. Manchmal habe ich echt das Gefühl, Mom und Dad stehen immer auf der Seite der Mädels, egal wie viel Mist sie auch bauen.“

Lincoln haderte erneut mit den Tränen, doch konnte seine Gemütsverfassung durchaus vor seiner Freundin verbergen.

„Tut mir echt Leid, das zu hören. Ich habe deinen Comic und deine Figuren wirklich gemocht“, ergriff Ronnie Anne schließlich das Wort. Vielleicht sollte sie es später nochmal versuchen, wenn Lincoln wieder bessere Laune hatte? Doch dann kamen ihr Sids Worte in den Sinn. »Steh zu deinen Gefühlen und sag es ihm endlich« Und das reichte, um ihren Mut neu zu entfachen. Immerhin hatte sie nur deshalb angerufen, um mit ihren Freund reinen Tisch zu machen. Diesmal wollte und konnte sie einfach nicht kneifen.

„Sag, Lincoln. Können wir unser Gespräch bitte per Videoanruf fortsetzten. Es gibt da etwas, das ich dir unbedingt sagen möchte und ich möchte dich dabei gerne sehen können.

„Ronnie Anne. Können wir das nicht ein anderes Mal klären? Ich bin müde, habe genug anderen Mist in meinen Kopf und möchte mich eigentlich nur noch unter meiner Bettdecke verkriechen…“

„Nein“, fiel ihm Ronnie Anne ins Wort, ohne das ihr sein deprimierter Ton aufgefallen wäre.

„Ich muss das endlich loswerden, bevor mich wieder der Mut verlässt.“

„Wenn es denn unbedingt sein muss“, ging Lincoln schließlich auf den Vorschlag seiner Freundin ein. Er hatte ein ungutes Gefühl im Magen, doch konnte Ronnie Annes Bitte schlecht ablehnen. Seiner Meinung nach konnte sie ihm nur sagen wollen, dass sie bemerkt hatte, dass er sich in sie verknallt hatte, und klarstellen, dass es ihr eben anders ging. Hatte er heute nicht schon genug gelitten?

„Danke… Ich melde mich gleich wieder. Bye.“ Ronnie Anne beendete den Anruf und Lincoln machte sich sodann auf dem Weg zu seinem Bett, um dort Platz zu nehmen. Wenige Augenblicke später klingelte es erneut. Diesmal zeigt ihm sein Handy tatsächlich einen eingehenden Videoanruf an. Er atmete einmal tief durch und hob ab. Mit beiden Händen hielt er die Kamera seines Telefons etwas von seinem Gesicht entfernt.
 

„Hallo nochmal“, begann Ronnie Anne, als sie Lincolns Gesicht auf ihren Smartphone erkannte. Täuschte Lincoln sich oder wirkte seine Freundin verlegen. Doch bevor er nach dem Grund dafür fragen konnte, nahm Ronnie Anne erneut das Wort an sich:

„Hör zu, Lincoln. Es tut mir Leid, dass ich dich neulich angelogen habe. Sid hat mir erzählt, dass du ihr gestern Abend über den Weg gelaufen bist, und mich hat das schlechte Gewissen geplagt…“

Ronnie Anne unterbrach sich selbst und Lincolns Laune sank weiter in den Keller. Offensichtlich hatte er vorhin richtig vermutet.

„Doch der Grund für meinen Anruf ist der… Ich wollte dir nur sagen: Ich steh auf dich…“ Ronnie Annes Wangen glühten vor Scharm. Endlich war es raus, doch was würde ihr Freund dazu sagen?

Für einen kurzen Moment blieb die Zeit für Lincoln stehen. Hatte er sich da gerade verhört? Doch dann durchschaute er das Spiel seine Freundin, und seine aufgestaute Wut kam zurück.

„Ronnie Anne, ich bin gerade nicht in Stimmung für deine blöden Scherze.“

Aus Rücksicht auf seine langjährige Freundin versuchte er seine Stimmlage dennoch so neutral wie möglich zu halten. Das Letzte was er wollte, war einen Streit vom Zaun zu brechen.

„Was?“, fragte Ronnie Anne trotz allem etwas verärgert, doch auch sie fasste sich rechtzeitig am Riemen.

„Das ist kein Scherz… Ich meine es ernst... Hör zu. Ich kann verstehen wenn…“
 

„Nein. Du hörst mir jetzt zu“, unterbrach Lincoln sie unerwartet. „Ich bin nicht von Gestern, Ronnie Anne. In den letzten Monaten hast du deutlich gemacht, dass du nicht mit mir gesehen werden willst. Ich weiß nicht was ich falsch gemacht habe… Ehrlich nicht. Aber hör bitte auf mich für dumm zu verkaufen und sag mir einfach, was genau dich stört. Du stehst auf mich? Das ich nicht lache… Warum versuchst du dann, alles dir möglich, um nichts mit mir unternehmen zu müssen? Weißt du eigentlich, wie sich das anfühlt? Zu wissen, dass das Mädchen in das ich mich Hals über Kopf verknallt habe mir ständig ins Gesicht lügt? …“

Lincoln unterbrach sich selbst. Erneut fanden ein paar Tränen ihren Weg in seine Augen. Er fühlte sich richtig miss. Bestimmt war er eben zu weit gegangen, doch er konnte nicht anders.

„Das ist nicht witzig“, sagte er noch und verstummte. Ronnie Anne verschlug es glatt die Sprache. Alles hatte sie erwartet, aber nicht das.

„Sag das noch mal“, kam es ihr über die Lippen. Sämtliche zurückgehaltene Wut auf ihren Freund war schlagartig verschwunden. Sie hatte ihre Beziehung zu Lincoln ordentlich verbockt. Soviel stand fest, aber es war vielleicht noch möglich, eine ganze Menge zu retten.

„Willst du das wirklich ein zweites Mal hören?“, fragte er sarkastisch und fügte ohne ihre Antwort abzuwarten hinzu: „Ich steh auf dich… so richtig übel. Zufrieden, Ronnie Anne?“

Ein glückliches Lächeln stahl sich über ihre Lippen. Dass sie das ausgerechnet aus seinem Mund hören würde, hätte sie bis vor kurzem kaum für möglich gehalten.

„Ich doch auch… Glaub mir bitte, Lincoln. Ich lüge nicht, ehrlich. Was hätte ich denn davon?“, antwortete seine Freundin. Jetzt wo es raus war, fühlte sie sich deutlich besser.

„Ronnie Anne, bitte…“ Wieder wurde Lincoln von seiner Freundin unterbrochen.

„Nichts bitte. Ich habe mir angehört, was du zu sagen hattest. Da ist es nur fair, du hörst dir an, was ich zu sagen habe. Findest du nicht auch?“

„Meinetwegen“, stimmte Lincoln seiner Freundin zu. Der Umstand, dass Ronnie Anne sich trotz seines Geständnisses noch unbefangen mit ihm unterhielt, war Balsam für seine Laune.
 

„Der Grund warum ich mich die letzten Monate vor einen persönlichen Treffen mit dir gedrückt habe war, dass ich Schiss davor hatte, ich könnte mich zu etwas hinreißen lassen, das ich später bestimmt bereut hätte. Ein Kinobesuch, eine Zaubershow, eine Einladung zum Essen in das Restaurant deines Vaters… Wirklich, Lincoln? Hättest du nicht etwas weniger romantisches vorschlagen können. Ich hatte voll die Panik davor, dass ich dich hätte küssen können, wenn ich zugesagt hätte. Und glaub mir, es wäre bestimmt dazu gekommen. Seit Wochen muss ich ständig an dich und dein albernes Grinsen denken.“

Ein fettes Lächeln schlich sich über seine Mundwinkel, kaum hatte sie das gesagt.

„Genau das meine ich. Warum bitte, grinst du so überglücklich? Hör auf damit.“

„Ich kann nichts dafür. Ich freue mich eben über deine Zuneigung. Wo liegt überhaupt das Problem, wir haben uns doch schon geküsst. Und das mehr als nur einmal“, erwiderte Lincoln kokett. Ronnie Annes offene und ehrliche Art beflügelte seinen Mut.

„Das war etwas anderes. Und das weist du genauso gut wie ich. Damals vor deinem Haus, hast du es doch nur gemacht, weil deine Schwestern dich dazu genötigt haben. Und bei unserem Doppeldate mit Bobby und Lori.“ Das Wort Doppeldate betonte Ronnie Anne ganz besonders. „Dort war es dasselbe. Du hast mich nur geküsst, damit Lori aufhört, sauer auf dich zu sein. Weil Bobby nicht damit klargekommen ist, was du mir keinen Tag zuvor alles an den Kopf geworfen hast.“

„Aber das habe ich doch nicht ernst gemeint“, versuchte Lincoln seine Ehre zu verteidigen.
 

„Bist du dir sicher? Ich könnte es durchaus verstehen, wenn du alles genauso gemeint hast, wie du es auch gesagt hast. Schließlich habe ich mich selten wie ein vorbildlicher Freund verhalten. Das ist mir durchaus bewusst.“ Reumütig senkte Ronnie Anne ihren Blick. Im Nachhinein betrachtet hätte sie öfters deutlich freundlicher sein können.

„Ganz sicher. Ich war nur sauer auf die Jungs und ihr blödes Gelaber, das war dumm von mir. Dabei hätte ich wissen müssen, dass sie nur eifersüchtig auf mich waren. Schließlich war ich der Erste in unserer Klasse, der so etwas wie eine feste Freundin hatte, und sie auch geküsst hat.“

„Glaubst du wirklich, das trifft zu?“, wollte Ronnie Anne von ihm wissen.

„Selbstverständlich. Warum sonst sollten sie mich einerseits ärgern, aber sich andererseits Tipps von mir holen wollen, wie man Mädchen für sich gewinnen kann. Und das so sehr, dass sie bereit dazu waren, Geld dafür zu bezahlen.“

„Oh ja… Ich erinnere mich. Dieses Mädchenguru Desaster, womit du dir am Ende den Zorn der ganzen Schule zugezogen hast. Selbst den der Lehrer.“ Ronnie Anne musste Schmunzeln, als sie daran zurückdachte. Auch sie hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn mit einer Torte zu bewerfen. Jetzt, Jahre später dagegen, tat es ihr unheimlich Leid.

„Ganz genau“, antwortete Lincoln verlegen. Unlängst war ihm das Blut in die Wangen geschossen.

„Mach dir nichts draus. Du weißt durchaus, wie man Mädchen für sich gewinnt. Ich bin schließlich eines und bin deinem albernen Charme am Ende erlegen. Doch du kannst schlecht leugnen, dass du damals keinerlei romantische Gefühl für mich empfunden hast. Versteh mich nicht falsch. Ich habe es gemocht mit dir abzuhängen und genieße es euch heute noch. Du warst mein erster Freund in Royal Woods und bist neben Sid mein bester Freund überhaupt. Und auch unsere Küsse waren eigentlich ganz nett, doch am Ende waren sie alle nur gestellt, ohne großartige Emotionen dahinter. Theaterküsse, wenn du so willst. Das hat sich jetzt aber geändert.“

„Geändert? In wie fern?“ Er wusste natürlich, was seine Freundin ihm damit sagen wollte, doch er wollte sie dazu bewegen, erneut die schönsten Worte dieses Abends an ihn zu richten.
 

„Stell dich nicht dümmer als du bist. Du weißt genau was ich damit meine. Ich kann unmöglich sagen, wann das Ganze angefangen hat. Als ich von Royal Woods in die Stadt gezogen bin, habe ich dich die meiste Zeit über richtig vermisst, und das obwohl du dich regelmäßig bei mir gemeldet hast. Trotz der Entfernung hast du es immer geschafft, meinen Tag etwas besser zu machen. Es war toll mich mit dir zu unterhalten. Egal ob über Videochat, per Telefon, oder über E-Mail. Und wenn du dann doch mal persönlich vorbeigeschaut hast, habe ich mich unheimlich darüber gefreut. Selbst deine altmodischen Briefe, die du gelegentlich schickst, sind irgendwie etwas Besonderes für mich. Ich schäme mich fast, dass zu sagen, aber jeden Einzelnen davon habe ich aufgehoben. Gut versteckt in einer kleinen Box unter meinem Bett, verborgen vor neugierigen Blicken meiner Familie, versteht sich. Aber was zählt ist, dass ich sie noch habe… Kitschig nicht wahr?“

„Ein wenig“, meinte Lincoln. Verlegen kratze er sich am Hinterkopf. „Aber ich freu mich darüber.“

„Das ist süß von dir“, antwortete Ronnie Anne und fügte hinzu:

„Man sollte meinen, das alles hätte mich früher ins Grübeln bringen müssen, doch wirklich überrissen habe ich es erst, als du angefangen hast, während unserer Unterhaltungen, über diese Stella zu schwärmen.“

„Du willst mir ernsthaft weiß machen, du warst eifersüchtig?“, fragte Lincoln seine langjährige Freundin frei heraus. Das konnte er beim besten Willen nicht glauben. „Stella und ich sind nur gute Freunde.“

„Das waren wir einst auch. Oder etwa nicht?

„Guter Einwand“, antwortete Lincoln. Plötzlich musste er daran zurückdenken, wie er, Rusty, Liam, Zack und Clyde gedacht hatten, Stella könnte etwas von einen von ihnen wollen. Er konnte unmöglich leugnen, dass er eine Weile lang etwas für Stella übrig hatte.
 

„Wie du schon richtig bemerkt hast, war ich auf dieses Mädchen, von dem du scheinbar so eine hohe Meinung hattest, eifersüchtig. Und dann hat es plötzlich klick gemacht. Ehe ich mich versah habe ich damit begonnen, alles was ich zu dir gesagt habe zu hinterfragen. War das jetzt zweideutig? Denkt er, ich flirte mit ihm?“

Lincolns zurückhaltendes Lachen unterbrach sie in ihren Redefluss.

„Genau… Lach du nur. Für mich war das Ganze aber alles andere als amüsant. Ich habe mich daran erinnert, wie ich mich einst verhalten habe, nachdem ich gedacht hatte, du könntest dich in mich verknallt haben. Damals, als du mir diesen einen Zaubertrick mit den Ringen vorführen wolltest. Und irgendwie dachte ich wohl, solltest du je Verdacht schöpfen, könntest du dich womöglich genauso peinlich verhalten. Und das wollte ich nicht. Außerdem war ich davon überzeugt, du würdest auf diese Stella stehen. Kannst du dir denken, was für alberne Horrorszenarien ich mir ausgemalt habe, die passieren könnten, solltest du jemals Wind von meinen Gefühlen für dich bekommen? Ich wollte einfach, dass alles so bleibt wie es war. Doch am Ende habe ich mit meinen Verhalten mehr kaputt gemacht, als ich retten konnte...“

Ein kurzes Schweigen folgte.

„Es tut mir wirklich leid, Lincoln: Die Ohrfeigen, die dummen Scherze und Streiche, die ich mir mit dir erlaubt habe. Mein unreifes und verletzendes Verhalten. Einfach alles davon… Ich weiß nicht, ob das mit uns klappen kann, aber wollen wir es trotzdem versuchen?“

„Du meinst, gemeinsam als Paar?“, fragte Lincoln vorsichtshalber nach. Hoffentlich hatte er sie richtig verstanden. Sollte am Ende dieses Tages noch eine Sache so laufen, wie er es sich gerne gewünscht hätte? Könnte das wirklich wahr sein?

„Genau… Gemeinsam als Paar. Nächstes Wochenende läuft ein Film im Kino an, den ich gerne sehen möchte. Ich habe auch genug Geld für eine Fahrkarte nach Royal Woods. Was denkst du, Lust darauf, gemeinsam mit mir ins Kino zu gehen?“

„Ist das eine Einladung auf ein Date?“, fragte Lincoln sie kokett.

„Wenn du es so nennen möchtest“, antwortete Ronnie Anne mit ähnlicher Tonlage.

„Sehr gerne“, erwiderte Lincoln mit überglücklicher Stimme. Doch eine Frage blieb dennoch offen.

„Aber warum so plötzlich? Warum redest du ausgerechnet heute mit mir über deine Gefühle?“

„Ganz ehrlich? Sid hat mir ordentlich den Kopf gewaschen, nachdem sie dir über den Weg gelaufen war, und erfahren hat, dass ich dich angelogen habe. Als sie dann von mir den Grund für alles erfahren hat, meinte sie nur: Ich weiß gar nicht wo dein Problem liegt. Ihr könnt denselben Quatsch machen wie immer, zuzüglich einiger feiner Extras.“
 

„Feine Extras?“, wiederholte Lincoln. Eine zarte Röte legte sich über seine Wangen.

„Genau… Feine Extras. Du weißt schon: Herumknutschen, hemmungslos miteinander vögeln und rummachen. Alles was Paare ebenso tun“, antwortete sie mit neckender Stimme.

„Ich habe dich schon verstanden, Ronnie Anne“, erwiderte Lincoln furchtbar verlegen. Das gut gelaunte Lachen seiner Freundin drang durch den Lautsprecher seines Handys.

„Keine Panik… Wir müssen nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Lass uns damit beginnen, das zu machen, was wir schon kennen. Diesmal aber nicht aus irgendwelchen selten dämlichen Gründen, wie etwa, es deinen Schwestern recht zu machen, oder die sinnlosen Beziehungsprobleme unserer älteren Geschwister beizulegen… Kannst du damit leben?“

„Und wie ich damit leben kann“, antwortete Lincoln glücklich. Besser konnte es kaum laufen.

„Das ist ein guter Anfang. Aber eine Sache wäre da noch. Ich möchte gerne über Nacht bleiben. Doch du bist der einzige Freund in Royal Woods, den ich habe. Habt ihr in eurem Haus zufällig noch Platz für eine weitere Person?“

„Schwierig… Jetzt wo du meine feste Freundin bist, werden meine Eltern wohl kaum erlauben, dass du in meinem Zimmer übernachtest. Ich kann mir buchstäblich ihre Gesichter vorstellen, wenn ich sie darum bitten würde.“ Lincoln und Ronnie Anne mussten zeitgleich schmunzeln.

„Doch Lori fährt Montagabends wieder zurück zum College und wird erst zu Thanksgiving wieder zuhause sein. Ihr Bett wäre also frei. Wenn es dich nicht stört, mit Leni ein Zimmer zu teilen, haben wir durchaus Platz für dich. Lori hat sicher nichts dagegen.“
 

„Toll… Dann ist es beschlossene Sache. Bye, Lincoln, und das mit deinem Comic tut mir wirklich leid. Hast du keine Sicherheitskopie erstellt?“

„Dummerweise nicht. Wir haben keinen Scanner, den ich benützen könnte, um meine Bilder auf den PC zu übertragen und zu speichern. Und mit Zeichenprogrammen habe ich derzeit noch so meine Probleme.“

„Verstehe“, antwortete Ronnie Anne bedauernd. Sie litt still mit ihren Freund.

„Kannst du dann nicht versuchen, es nochmal zu zeichnen?“

„Natürlich könnte ich das. Aber das hätte keinen Sinn. Ich habe Wochen zum Plotten gebraucht und Monate zum Zeichnen. Selbst wenn mir Mom und Dad erlauben würden, das gesamte nächste Monat die Schule zu schwänzen, würde ich nie im Leben rechtzeitig damit fertig werden.“

„Und wenn du es nächstes Jahr wieder probierst?“

„Es ist nicht sicher, ob dieser Wettbewerb nächstes Jahr ein Comeback feiert, und selbst wenn doch, ich könnte nicht mehr daran teilnehmen. Die Regel sagen deutlich, dass nur Jugendliche unter fünfzehn daran teilnehmen dürfen. Nächstes Jahr um diese Zeit bin ich jedoch bereits fünfzehn.“

„Und vielleicht keine Jungfrau mehr.“ Augenblicklich machte Lincolns Kopf einer reifen Tomate Konkurrenz. Ein breites Grinsen schlich sich über Ronnie Annes Lippen. Selbst wenn sie es nicht ganz ernst gemeint hatte. Es machte Spaß ihren Freund in Verlegenheit zu bringen.

„Du bist süß, Lincoln… Weißt du das? Doch was ist, wenn du versuchst, ein kürzeres zu zeichnen?“

„Ähm… Danke“, begann Lincoln furchtbar verlegen. Ihr Kompliment und ihr Scherz von vorhin, hatten ihr Ziel erreicht, doch bald fand er zu seiner alten Gelassenheit zurück:

„Theoretisch möglich. Aber ich würde trotzdem höchstens zwanzig Seiten schaffen. Und das macht bestimmt keinen guten Eindruck, egal ob mir die Zeichnungen nun gut gelingen würden oder nicht. Außerdem habe ich keine Großartigen neuen Ideen. Unabhängig davon, ob ich nun gewonnen hätte oder nicht, wollte ich die Geschichte erst zu einem Abschluss bringen, bevor ich mich an etwas Neues Setzte. Ab und zu mal eine Landschaftsaufnahme zwischendurch zu Papier zu bringen, um auf andere Gedanken zu kommen, kann ich durchaus mal machen. Ich bin aber schlecht darin, an zwei Projekten gleichzeitig zu arbeiten. Sollte ich etwas Neues anfangen, dann wandern meine Gedanken bestimmt ständig zum Alten zurück, sodass ich mich unmöglich auf das Neue konzentrieren kann. Egal was ich auch versuche, diese Chance ist endgültig vorbei.“

„Schade… Aber du zeichnest die Geschichte trotzdem zu Ende, wenn ich dich eben richtig verstanden habe. Ich bin nämlich durchaus gespannt darauf, wie du das Ganze fortführen möchtest. Selbst dann, wenn ich schon weiß, dass die Blacks am Ende die Bösen sein werden. Zumindest ein Teil davon. Rosanna selbst wirkt doch ziemlich loyal.“
 

„Respekt, Ronnie Anne. Du hast sehr gut aufgepasst“, merkte Lincoln an.

„Das war auch leicht rauszubekommen. Das Haus Fernandes wurde zum Opfer, wenn man so will. Die Familie Redmoor, oder was von dieser übrig ist, steht offensichtlich auf der Seite der Guten, und Raven Heartfilia scheint augenscheinlich auch aus familiären Gründen zu handeln, oder wie sonst soll ich den Satz »Ich hol mir zurück was einst uns gehörte, Vater« deuten. Aber da wir gerade davon sprechen. Wie lange wolltest du die Geschichte eigentlich machen?“

„Ich dachte an fünfzig Kapitel, also fünf Bände zu je zehn Kapitel. Die Anfänge, falsche Verdächtige, allmählich auf der richtigen Spur, die letzten Hinweis und das große Finale, wenn man so möchte“, erklärte sich Lincoln bereitwillig. Er freute sich sichtlich über ihr Interesse an seinem Projekt.

„Wow… Da hast du noch eine Menge Arbeit vor dir. Ich hoffe, du lässt mich auch die neuen Kapitel Probelesen. Ich will schließlich wissen, wie Ronalda und Logan zusammenfinden.“

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Lincoln seine frischgebacken Freundin. Unlängst waren seine Wangen wieder ein paar Nuancen dunklerer geworden.

„Nenne es weiblich Intuition, wenn du so möchtest. Tatsache ist aber, dass du dir nicht gerade viel Mühe gegeben hast, Logans Faszination für Ronalda zu verbergen. Wie lange stehst du eigentlich schon auf mich? Doch bestimmt länger als du an deinem Comic gearbeitet hast.“ Ronnie Annes Mundwinkel wanderten nach oben. Das würde sie wirklich sehr gerne wissen.

„Schwer zu sagen, doch richtig erwischt hat es mich im jeden Fall damals, als ich dir letzten Herbst bei deinem Skateboard-Wettbewerb zugesehen habe. Deine Peformens hat mich umgehauen und das hübsche Lächeln, das du im Gesicht hattest, als du den Wettbewerb schließlich für dich entscheiden konntest, wie auch das strahlende Funkeln deiner Augen auf dem Siegertreppchen haben mich regelrecht verzaubert. Zum ersten Mal ist mir richtig bewusste geworden, was für ein hübsches und cooles Mädchen du wirklich bist. Dein Verhalten mir gegenüber, das du im Siegestaumel an den Tag gelegt hast, war auch nicht ganz unschuldig daran.“ Auch Lincolns Mundwinkel wanderten nach oben, als er daran zurückdachte. Dieser Wettbewerb war im jeden Fall ein Highlight seines Lebens gewesen.
 

„Was meinst du? Was habe ich den gemacht?“, wollte Ronnie Anne sichtbar verlegen von ihm wissen. Aus welchen Gründen auch immer konnte sie sich nicht mehr genau daran erinnern. Sicher war nur, dass sie sich unheimlich über den ersten Platz gefreut hatte.

„Nun ja… Du bist mir um den Hals gefallen, hast mir eine Kuss auf die Wange gegeben und mich über eine Minute lang fest an dich gedrückt, während du dich bestimmt ein Dutzend Mal bei mir dafür bedankt hast, dass ich mir Zeit genommen habe und mit dabei sein konnte.“

„Das klingt aber überhaupt nicht nach mir“, antwortete Ronnie Anne furchtbar verlegen.

„Dem kann ich nicht wiedersprechen, aber ich habe mich trotzdem sehr darüber gefreut. Selbst dann, wenn ich mir sicher den Unmut des einen oder anderen Jungen zugezogen habe, der zufällig anwesend gewesen war und deinem Charme erlegen ist. Lori hat das Ganze auch auf Video, wenn du mir nicht glauben solltest. Immerhin waren sie und Bobby mit dabei. Und du weißt inzwischen bestimmt, wie sie manchmal sein kann. Ihr kleiner Bruder, der von einem Mädchen umarmt wird, das zufällig nicht eines seiner Schwestern war, das konnte Lori sich unmöglich entgehen lassen.“

„Gut möglich. Das bleibt aber unter uns… Wehe dir, du erzählst das weiter.“

„Meine Lippen sind fest versiegelt. Hoch und heilig versprochen, Ronnie Anne.“

„Das will ich doch hoffen. Aber was ist jetzt mit Lana und Lola? Du weißt hoffentlich, dass du nicht ewig auf die beiden sauer sein kannst. Oder?“

„Natürlich. Selbst wenn ich wollte, ich könnte es nicht. Aber heute haben die beiden echt den Vogel abgeschossen. Eine einfache Entschuldigung werde ich diesmal nicht gelten lassen. Es wird Zeit, dass sie lernen, dass ihr Verhalten auch Konsequenzen haben kann, die sich nicht so ohne weiteres aus der Welt schaffen lassen.“

„Das ist dein gutes Recht. Sei aber bitte nicht zu hart zu ihnen. Ich habe es dir nie gesagt, aber die Art wie du mit deinen Schwestern umgehst, besonders mit deinen jüngeren, hat mich schon immer fasziniert. Vergiss das bitte nicht. Gute Nacht, Lincoln. Wir sehen uns nächste Woche. Wenn du möchtest natürlich auch schon früher. Inzwischen habe ich mich mit unseren Videotelefonaten und Videochats durchaus angefreundet.“
 

Ronnie Anne formte mit ihren beiden Händen ein Herz vor ihrer Brust und beendete keine Sekunde später auch schon das Videotelefonat. Scheinbar war ihr ihre letzte Aktion schnell peinlich geworden. Die reizende Röte ihrer Wangen, die Lincoln als Letztes zu Gesicht bekommen hatte, würde sich auf ewig in sein Gedächtnis einbrennen. Ob Ronnie Anne wusste, wie süß sie sein konnte?

Gut gelaunt ließ er sich zurück in seine Mattratze fallen. Alles im allem war nicht alles an diesen Tag ein Desaster gewesen. Die Zaubershow war toll, er hatte Lilly für die Magie begeistern können, das Abendessen mit Lori und Bobby war deutlich weniger anstrengen, als er gedacht hätte und Ronnie Anne war tatsächlich seine feste Freundin geworden. Das Ende seines Comics war möglicherweise nicht gleichzusetzten mit dem Ende der Welt. Vielleicht hatte er überreagiert, doch konnte man es ihm wirklich verübeln? Gerade wollte er die Augen schließen, da klopfte es an der Tür.



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