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Lincolns Geheimprojekt

von

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Eskalation

Während Lola gemütlich vor den Kamin saß, hielt ein einsamer Wagen vor der Hauzufahrt. Schnell öffnete Lana die Beifahrertür und stieg aus dem kuschelig, warmen Auto. Kaum draußen, prasselten der Regen heftig gegen ihre Winterjacke. Sie war früher nachhause gekommen, weil ihre Freundin Sally am späten Abend überraschend krank geworden war. Als sie sich gerade fertig für die Nacht gemacht hatten, hatte Sally plötzlich hohes Fieber bekommen und sich mit üblen Schüttelfrost in ihr Bett gekuschelt. Besorgt um ihre Freundin hatte Lana sich dann an Sallys Eltern gewandt, die glücklicherweise noch wach gewesen waren, und sich im Wohnzimmer ein Film angesehen hatten.

Nachdem ihre Eltern sich von Sallys Zustand einen ersten Eindruck verschaffen konnten, hatte Sallys Vater Lana schließlich darum gebeten, doch besser nachhause zu gehen. Schweren Herzens hatte Lana sich darauf eingelassen. Sie wäre ihrer Freundin gerne beigestanden, hatte aber eingesehen, dass sie eigentlich nicht viel tun hätte können. Freundlicherweise wurde sie dann von Sallys Mutter nachhause gefahren, während ihr Vater einen Arzt verständigte. Am Ende war also aus Lanas und Sallys Übernachtungsparty nichts geworden.
 

„Danke, dass Sie mich nach Hause gebracht haben, Miss Smith.“ Ein heftiger, nasskalter Windstoß peitsche schroff gegen Lanas Winterjacke. Zitternd schlug sie ihre Arme um ihre Brust.

„Dafür musst du dich wirklich nicht bedanken, Lana. Das war doch Ehrensache. Ich konnte dich bei diesen Wetter und zu dieser späten Stunde unmöglich zu Fuß nachhause schicken. Jetzt aber schnell rein mit dir, bevor du dich am Ende auch noch erkältest.“

„Trotzdem... Vielen Dank. Bitte richten Sie Sally gute Besserung von mir aus“, antwortete Lana.

„Das mache ich gerne. Auf wiedersehen.“ Freundlich lächelte ihr Miss Smith entgegen und wandte ihren Blick sodann wieder auf die Straße vor ihr.

„Auf wiedersehen“, erwiderte Lana und schloss eiligst die Beifahrertür hinter sich. Keine Sekunde später beeilte sie sich bereits wieder ins Warme zu kommen. Zügig lief sie durch den Regen, auf die Haustüre zu und öffnete diese mit ihren Schlüssel. Im nächsten Moment stand Lana bereits zwischen Küche und Wohnzimmer. Für den Fall der Fälle hatten sie und ihre Geschwister alle einen eigenen Schlüssel.
 

Abwesend und mit ihren Gedanken bei Sally schloss Lana die Tür hinter sich. Obwohl Sallys Eltern ihr versichert hatte, dass es ihrer Freundin bald wieder besser gehen würde, sorgte Lana sich sehr um sie. Gerade wollte Lana hinauf in ihr Zimmer gehen, als sie überraschend bemerkte, dass es im Wohnzimmer noch hell war. Neugierig, wer von ihrer Familie so spät noch wach war, warf Lana einen Blick hinein und sah natürlich ihre Zwillingsschwester vor den Kamin sitzen, die nach wie vor Lincolns Schnellhefter in ihren Händen hielt. Ohnehin in Sorge um ihre Freundin, wirkte Lolas stille, in sich gekehrte Gestallt alarmierend auf Lana. Wie war das noch gleich? Ein Unglück kommt selten allein. Mit diesen bitteren Gedanken im Hinterkopf, ging Lana auf ihre Zwillingsschwester zu, um mit ihr zu reden. Vergeben und vergessen war ihr unterschwelliger Ärger über Lola.

„He, Lola. Alles in Ordnung bei dir?“, erkundigte sich Lana besorgt. Kreidebleich drehte Lola sich zu ihrer Schwester. Ihre Stimme würde sie unter tausenden wiedererkennen. Luna war eine Sache gewesen, doch Lana eine ganz andere. Von wegen heute Abend konnte nichts schieflaufen. Gerade lief irgendwie alles schief, was nur schieflaufen konnte. Auf viel Verständnis würde sie bei Lana bestimmt nicht hoffen können.

„Ja… Natürlich“, antwortete Lola furchtbar nervös.

„Wieso bist du schon zuhause?“, fragte sie wenig später, während sie Lincolns Comic mit beiden Händen fest gegen ihre Brust drückte.

„Sally ist dummerweise Krank geworden“, erwiderte Lana bereitwillig. Schuldbewusst wanderte ihr Blick Richtung Boden.

„Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, es könnte meine Schuld sein. Obwohl heute ein überraschend unfreundlicher Tag gewesen war, habe ich Sally davon überzeugen können, mit mir zusammen ein wenig draußen im Regen zu spielen. Bestimmt hat sie sich dabei erkältet.“
 

„Das ist sicher nur ein dummer Zufall“, antwortete ihr Lola. Obwohl sie Lana eigentlich gut zureden wollte, klang ihre Stimme weiterhin sehr angespannt. Natürlich konnte das ihrer Zwillingschwester schlecht verborgen bleiben. Nachdenklich betrachtete sie Lola genau und plötzlich sprang ihr der Schnellhefter ins Auge, den Lola fast schon krampfhaft umarmte.

„Was hast du da?“, erkundigte sich Lana neugierig, als ihr sogleich ein Wortlaut auffiel, der auf der Rückseite zu lesen war:

« The famous fifteen. By Lincoln Loud » las sie laut vor.

„Nichts Besonderes. Nur ein Comic, den Lincoln gezeichnet hat“, antwortete Lola möglichst gefasst. Doch ihre Unsicherheit war deutlich zu hören gewesen.

„Ein Comic?“, fragte Lana überrascht. „Das wollte Lincoln mir also zeigen, sobald es fertig ist.“

„Was? Du… Du wusstest davon?“, erkundigte sich Lola. Ihre Angespanntheit war verschwunden. Vielleicht ging das Ganze, entgegen allen schlechten Vorahnungen, doch noch gut aus. Auf der anderen Seite aber: Warum wusste Lana überhaupt über den Comic Bescheid, wenn sie selbst nur durch Zufall darüber gestolpert war? In ihren Augen konnte das weiter nichts, als ein neues Indiz dafür sein, das Lincoln Lana doch mehr mochte als sie.

„Ich habe ihn zufällig dabei gesehen, wie er in seinem Zimmer etwas verstecken wollte. Gestern, nachdem er wieder zuhause war. Ich habe ihn gefragt, was er denn vor uns verheimlichen möchte und er meinte, er würde es mir gerne zeigen, wenn es fertig ist“, erklärte sich Lana. Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, allerdings konnte Lana ihr schlecht sagen, dass sie Lincoln den Tipp gegeben hatte, dass Lola sich in sein Zimmer geschlichen hatte.

„Aber was ist mit dir? Weiß Lincoln, dass du seinen Comic gelesen hast?“, erkundigte sich Lana ungehalten. Vor wenigen Minuten noch, hatte sie ihren Ärger über Lola vergessen, doch nun war er zurück. Das Einzig, was sie daran hinderte, Handgreiflich zu werden, war die Gewissheit, dass Lola und Lincoln sich seit gestern Abend besser verstanden. Es könnte also sein, dass Lincoln Lola den Comic überlassen hat, um sich eine zweite Meinung einzuholen. Auf der einen Seite verletzte Lana das, andererseits aber, hoffte sie fast, es würde genauso sein. Ansonsten hätte Lola nämlich wieder vorsätzlich und mit voller Absicht sein Vertrauen missbraucht. So gerne Lana auch die Erwachsene sein wollte, bei diesem Gedanken fiel es ihr schwer.
 

„Ähm… Nicht so richtig“, erklärte sich Lola. Augenblicklich verabschiedete sich erneut jede Farbe aus ihrem Gesicht. Warum bitte, hatte sie das gerade gesagt?

„Echt jetzt!“, wurde Lana überraschend lauter. „Nach allem was gestern zwischen dir und unseren Bruder vorgefallen ist, schleichst du dich trotzdem wieder in sein Zimmer, um heimlich seine Sachen zu klauen. Ich dachte, du hättest ihn fest versprochen, das zukünftig bleiben zu lassen.“

Ein paar Tränen bildeten sich in Lanas Augen. Es verletzte sie zu tiefst, wie scharmlos Lola Lincolns Vertrauen und seinen guten Willen ignorierte.

„Woher weißt du davon?“, erkundigte sich Lola geschockt. Ein paar Schweißperlen bildeten sich in ihrem Gesicht. Das konnte nicht gut enden.

„Das ist verdammt nochmal völlig unwichtig! Wichtig ist nur, dass du dich nicht an dein Versprechen gehalten und Lincolns Vertrauen mit Füßen getreten hast. Wie viel Chancen soll er dir denn noch geben, bist du dich endlich änderst? Eine einzige Sache, die Einhaltung einer einzigen kleinen Regel ist alles, was er von uns verlangt, mehr nicht. Und trotzdem… Und trotzdem…“

Lana unterbrach sich selbst, ihr Ärger über ihre Zwillingsschwester war inzwischen größer, als je zuvor. Besser sie war still, bevor sie etwas sagte, was sie später bereuen würde. Wiederholt atmete sie fest ein und aus. So schwer es Lana auch fiel, sie wollte ihren Ärger herunterschluck, diplomatisch vorgehen. Versöhnlich streckte sie ihrer Schwester die Hand entgegen und sagte:

„Bitte, Lola. Gib mir den Schnellhefter und ich gebe ihn Lincoln zurück, sobald er wieder zuhause ist.“

„Niemals…“ Vehement schlug Lola mit ihrer Linken, Lanas Hand zur Seite.

Absolut fassungslos über Lolas aggressive Reaktion, auf ihr Friedensagenbot, fixierten Lanas Augen ihre Schwester. Wütend, verletzt und furchtbar enttäuscht. So viele Emotion und dennoch fehlten ihr die Worte.
 

„Damit du ihm sagen kannst, was ich getan habe, um mir damit vorsätzlich meinen morgigen Tag zu versauen? Das kannst du sowas von vergessen. Ich lege den Comic einfach dahin zurück, wo ich ihn gefunden habe, und alles bleibt wie es ist.“

Alle guten Ratschläge, die ihr Luna vor kurzem noch gegeben hatte, waren vergessen. Im nu hatte Lolas Angst vor Lincolns Reaktion die Oberhand zurückgewonnen. Allmählich sammelte sich in ihren Augen die eine oder andere Träne. Was sie vorhin gemacht hatte, tat ihr plötzlich leid, doch sie konnte einfach nicht auf Lanas Vorschlag eingehen. Zu viel hing davon ab.

„Bitte Lana, behalte das einfach für dich. Kannst du mir nicht einmal diesen einen Gefallen tun. Ich verstehe mich gerade so gut mit Lincoln. Mach mir das doch bitte nicht kaputt.“

„Ich…“ Kurz dachte Lana ernsthaft über Lolas Vorschlag nach, aber bald schüttelte sie energisch mit ihren Kopf. Lana durchschaute Lolas Absicht. Egal wie sehr ihre Zwillingschwester auf die Tränendrüse drückte, sie würde sich nicht von ihren Vorhaben abbringen lassen.

„Nein. Diesmal nicht… Diesmal redest du mir kein schlechtes Gewissen ein.“

„Was? Aber das hatte ich doch überhaupt nicht vor“, verteidigte sich Lola entsetzt. Die ersten Tränen kullerten ihre Wangen hinunter. Wie konnte Lana ihr sowas unterstellen?

„Und ob du das vorhattest. Bei Lincolns Modelflugzeug war es genau dasselbe“, entgegnete Lana aufgebracht. Warum sollte sie schweigen, wenn sie wusste, dass Lola Mist gebaut hatte?

„Das war auch alleine deine Schuld. Hättest du mich einfach in Frieden gelassen, wäre sein Modelflugzeug heute noch ganz, und bestimmt längst fertig zusammengebaut.“
 

„Erzähl keinen Dreck. Hättest du es mir einfach gegeben, als ich dich darum gebeten habe, damit ich es an seinen Platz zurückstellen kann, wäre es gar nicht erst zu Bruch gegangen.“

„Das ist doch Jacke wie Hose, Lana!“, versuchte Lola ihre aufgebrachte Schwester zu beruhigen. Doch schnell merkte sie, dass das keinen Sinn hatte. Im Moment war Lana auf hundertachtzig. Obwohl die Schuld damals gleichermaßen sie beide getroffen hatte, wollte diese das gegenwertig einfach nicht hören. Offensichtlich musste Lola ihre Strategie überdenken.

„Okay, Lana. Du hast Recht… Sowas von Recht. Ich alleine habe damals Mist gebaut, zufrieden? Aber bitte… Nur dieses eine Mal. Lass mich selbst zu meinen Fehlern stehen.“

Lolas Plan funktionierte. Von jetzt auf gleich beruhigte sich Lana. Alles was diese von ihr verlangte war, Einsicht zu zeigen. Diesen einen Gefallen würde sie ihrer Zwillingsschwester gerne tun.

„Na schön, Lola. Aber du machst das hier und heute. Wir warten gemeinsam auf Lincoln und du kannst ihn dann sagen, was Sache ist.“

„Geht in Ordnung“, antwortete Lola kleinlaut. Das war verdammt knapp gewesen. Lincolns Comic war vorerst gerettet, doch ihre Angst auf seine Reaktion blieb. Selbst Lanas aufmunterndes Lächeln und ihre Hand, die sie ihr erneut als Friedensangebot entgegenstreckte, änderten wenig daran. Doch dennoch nahm Lola die versöhnliche Geste ihrer Zwillingsschwester an.

„Kopf hoch. Du packst das schon. Ganz bestimmt“, versuchte Lana ihr gut zuzusprechen. Mit einen mulmigen Gefühl fasste Lola nach ihrer Hand, und schnell half Lana ihr auf die Beine.
 

Kaum stand Lola fest auf beiden Füßen hörten sie und Lana, wie ein Auto vorfuhr. Scheinbar waren Lori, Lincoln und Lilly zurück von ihrem Stadtausflug. Plötzlich hatte Lola die drohende Konfrontation mit ihren Bruder unmittelbar vor Augen, weshalb sie in letzter Sekunde die Nerven verlor. Wenn sie schnell in Lincolns Zimmer laufen und den Comic zurücklegen würde, dann würde am Ende vielleicht doch noch alles gut werden.

Eiligst riss Lola sich von Lana los und wollte sodann nach oben, allerdings reagierte ihre Zwillingsschwester überraschend flott. Noch ehe Lola überhaupt einen Schritt machen konnte, hatte Lana sich bereits auf sie gestürzt, gewaltsam Richtung Boden geworfen. Natürlich rutschte Lola der Comic dabei aus den Händen. Ein paar der Charakterskizzen segelten auf den Boden, der Schnellhefter selbst, hingegen schlitterte ein paar Meter über den selbigen und kam schließlich vor den Füßen ihres Vaters zum Erliegen. Der andauernde Lärm im Wohnzimmer, hatte ihn, mit der Absicht aus dem Schlafzimmer gelockt, endlich für Ruhe zu sorgen.

Überrascht bückte sich Lynn Senior nach dem Schnellhefter und sah sodann zu seinen beiden Töchtern hinüber, die sich unermüdlich auf den Boden wälzten, sich an den Haaren zogen und vergeblich versuchten, sich voneinander loszureißen.
 

„Natürlich versuchst du dich vor der Verantwortung zu drücken. Das war sowas von klar“, hörte er Lanas verärgertet Stimme sagen.

„Du verstehst das nicht, Lana“, erwiderte Lola angestrengt. Mit aller Macht versuchte sie von ihrer Zwillingsschwester loszukommen.

„Und ob ich das verstehen“, sagte Lana, ohne recht zu wissen, was Lola eigentlich damit meinte. „Ich dachte wirklich, diesmal hättest du endlich was gelernt…“

Überraschend gewann Lola die Oberhand. Sie drehte ihre Kontrahentin auf den Rücken, setzte sich auf dessen Hüfte und schüttelte heftig an Lanas Schultern während sie sagte:

„Verdammt nochmal, Lana. Ich habe etwas gelernt, ehrlich. Ich sage Lincoln bestimmt noch, was ich angestellt habe, aber ein anderes Mal. Du warst gestern nicht dabei. So ein Gespräch mit ihm stehe ich kein zweites Mal durch.“

„Das hättest du dir vorher überlegen sollen“, keifte Lana zurück. Im nächsten Moment fasste sie nach Lolas Handgelenken und drehte diese rasch zurück auf dem Rücken.

„Schluss jetzt!“, hörten sie ihren Vater plötzlich lautstark von der Seite. Erschrocken sahen Lola und Lana zu ihm hinüber. In seinen Händen hielt er Lincoln Schnellhefter, während das Feuer des Kamins zu seiner Rechten weiterhin gemächlich vor sich hin loderte, den Raum erwärmte.

„Um was geht es hier bitte?“, fragte er dann, als er sich der Aufmerksamkeit seiner beiden Töchter sicher war. Im selben Moment betraten Lincoln und Lori mit Lilly zusammen das Haus.
 

„Das würde ich auch gerne wissen“, ergriff Lori sogleich das Wort. Der heftige Streit zwischen Lana und Lola war selbst draußen vor der Tür noch deutlich zu hören gewesen. Ihre Stimme alarmierte die zwei zusätzlich. Wenn Lori in der Nähe war, dann konnte Lincoln nicht weit sein. Reumütig sahen sie zu ihren drei Geschwistern hinüber.

Lori funkelte die Zwillinge verärgert an, während sie mit verschränkten Armen auf eine Erklärung wartete. Lincoln und Lilly dagegen, wirkten sichtlich verwirrt. Beschämt ließ Lana ihre Schwester los, die ihre Chance sofort ergriff und hinüber zu ihren Vater lief. Noch ehe er etwas dagegen unternehmen konnte, umklammerten Lolas Finger den Schnellhefter in seinen Händen.

„Bitte, Dad. Gib das zurück“, sagte sie und zog sogleich am Schnellhefter, doch zunächst ohne Erfolg, ihr Vater war stärker. Allmählich ergab das Ganze einen Sinn, um das Ding in seinen Händen hatten sich die Zwillinge also gestritten.

„Warum sollte ich?“, erkundigte sich Lynn Senior streng bei seiner Tochter. Diese Art von Benehmen würde er nicht ohne weiteres dulden. Unlängst lag auch Lincolns Aufmerksamkeit auf seinem Vater. Es dauerte eine Weile, doch bald identifizierte er den Schnellhefter in dessen Händen als seinen Comic. Sogleich schlug seine anfängliche Verwirrung in blankes Entsetzen um. Auch für ihn war der Grund des Streites von Lana und Lola jetzt offensichtlich.

„Weil er Lincoln gehört“, hörte er Lola antworten. Ruckartig zog sie fester am Schnellhefter und riss diesen ihren Vater im nächsten Moment aus der Hand, doch der plötzlich fehlende Wiederstand ließ Lola nach hinten taumeln. Nahe des Kamins landete sie unsanft auf ihren Hintern. Zu ihrem Schreck entglitt ihr dabei der Schnellhefter und fiel geradewegs in den Kamin hinein. Schneller als es allen Versammelten lieb war, fing er Feuer. In Panik versuchte Lola in aus den Flammen zu ziehen, doch wurde gerade noch rechtzeitig von Lana daran gehindert.

„Bist du verrück geworden?“ erkundigte sich Lana eindringlich, als sie Lola schließlich gewaltsam zu sich gezogen hatte. Lincolns Comic war einmal, aber ihrer Zwillingschwester ging es glücklicherweise gut.

„Aber die vielen schönen Zeichnungen, die ganze Arbeit.“ Sofort begann Lola bitterlich zu weinen. Das hatte sie nicht gewollt. Weder sie noch Lana.
 

Ungläubig verfolgten Lincolns Augen, wie sein Comic von den Flammen verschlungen wurde. Besorgt schielte Lori hinüber zu ihren Bruder. Sie wusste genau, wie lange er an diesen Projekt gearbeitet hatte, und was er damit erreichen wollte. Warum passierte das ausgerechnet heute, wo das mit Ronnie Anne geschehen war, und Lincoln der Kopf sonst wo stand? Das würde noch schlimm enden. Für Lana, Lola und Lincoln. Ganz bestimmt.

„Das war alles. Wegen ein paar alberner Kritzeleien dieser ganze Ärger?“, erkundigte sich sein Vater verständnislos.

Kaum hatte sie das vernommen, schlug Loris Sorge um Lincoln in unbändige Wut auf ihren Vater um. Das konnte unmöglich sein Ernst sein. Schön es war mitten in der Nacht, doch das war sowas von unnötig gewesen. Hatte ihr alter Herr denn kein Feingefühl?

„Was stimmt nicht mit euch!?“, vernahm Lori sodann die gefährlich brodelnde Stimme ihres Bruders. Es war soweit. Endlich hatte sich alles vor seinem inneren Auge zu einen Bild zusammengefügt. Lola, Lana und Lilly zuckten gleichermaßen vor Schreck zusammen und selbst Lynn Senior verlor für einen kurzen Moment seine Fassung.

„Habt ihr beide überhaupt eine Ahnung, wie lange ich daran gearbeitet habe!?“ Furchtbar eingeschüchtert schüttelten Lana und Lola mit ihren Kopf.

„Ein ganzes Jahr. Zwölf verdammte Monate. Und ihr habt wirklich nichts Besseres zu tun, als es als Brandbeschleuniger zu benutzen… Ist das euer Ernst!?“

Ängstlich krallte sich Lilly an Loris Jacke fest. Nie zuvor hatte sie ihren Bruder so wütend erlebt. Doch ihre Furcht war nichts in Vergleich zu Lolas und Lanas. Auf sie beide alleine richtete sich Lincolns ganzer Zorn. Und das wussten die Zwillinge sehr genau.

„Lincoln, bitte… Lass die beiden sich doch erklären“, versuchte Lori in gut zuzusprechen, doch ohne nennenswerten Erfolg. Wenn überhaupt, hatte sie seine Wut nur noch weiter geschürt.
 

„Was gibt es da zu erklären?“, erkundigte sich Lincoln bei ihr. „Es ist ja wohl offensichtlich, dass Lana und Lola nichts Besseres zu tun haben, als meine Sachen zu vernichten.“

„Das stimmt nicht“, erwiderten die Zwillinge kleinlaut. Unlängst kullerten auch Lana die Tränen übers Gesicht. Die letzte Äußerung ihres Bruders hatte auch sie massiv getroffen.

„Ach nein?“, fragte Lincoln ungehalten. „Mein Comic, mein Modelflugzeug, und noch hundert Dinge mehr. Es ist immer dasselbe. Kaum bin ich bereit dazu, euch eine Sache zu verzeihen, schon passiert die nächste. Ich habe die Nase sowas von gestrichen voll von euch!“

„Lincoln Loud. Schluss jetzt damit!“, hörte er überraschend, die Stimme seines Vaters.

„Natürlich... Wie immer stellst du dich auf die Seite der Mädchen, Dad! Ganz genau so, wie Mom es ständig tut. Selbst wenn Lisa das Haus abfackeln würde, ist es bestimmt mit einem einfachen » Tut mir leid « gegessen. Aber wenn ich etwas verbocke, bekomme ich, kaum ist es passiert, wochenlang Hausarrest, egal wie oft ich mich auch entschuldige. Oder ich werde – besser noch – mal eben so aus dem Haus geworfen. Es ist fast so, als wäre ich der Prügelknabe dieser Familie!“

Lynn Senior verschlug es glatt die Sprache und selbst Lori konnte schwer glauben, was sie gerade gehört hatte. Alle beide wussten sehr genau auf welchen Vorfall sich Lincoln gerade bezogen hatte. In Lori wuchs die Sympathie für ihren Bruder, bei ihren Vater dagegen steigerte sich der Ärger über seinen Sohn weiter. Doch Lincoln war noch nicht fertig:

„Was würdest du sagen, wenn ich aus einer Laune heraus, dein schickes Restorant niederbrenne, für das du Jahre lang geschuftet hast? Nichts anders haben Lola und Lana nämlich gerade gemacht.“

Wäre die Lage nicht bereits schlimm genug gewesen, hätte Lori über diesen Vergleich geschmunzelt. Ob nun mit Absicht oder nicht. Auf seine eigene Art hatte Lincoln durchaus Recht.
 

„Das reicht jetzt endgültig!“, platzte Lynn Senior schließlich der Kragen: „Auf dein Zimmer. Wir reden morgen darüber. Für heute habe ich genug von dir.“

„Gerne doch… Ich habe nämlich auch mehr als genug von euch.“ Ohne einen weiteren Kommentar drehte Lincoln ihnen den Rücken zu und steuerte sodann auf die Treppe zu.

„Lincoln, warte doch!“, reifen Lana und Lola im selben Moment nach ihrem Bruder. Sofort liefen sie ihm hinter her. So wollten sie sich keinesfalls von Lincoln trennen.

„Stopp!“ Augenblicklich hielten die beiden in ihrer Bewegung inne. „Bleibt verdammt noch mal, wo ihr seid. Bevor ich mich vergesse.“ Gerade hatten die Zwillinge ihre Tränen niedergekämpft, da kamen schon die nächsten. Diesmal hatte sie es gründlich verbockt.

„Lincoln…“ mahnte sein Vater ihn eindringlich, doch bevor er noch etwas sagen konnte fiel ihn jemand überraschend ins Wort:

„Lynn Loud Senior. Noch ein Wort und du verbringst den Rest der Nacht auf der Couch!“, hörten alle Versammelten plötzlich Ritas Stimme. Ursprünglich wollte sie es ihren Ehemann überlassen, für Ruhe zu sorgen, doch die wütenden Worte ihres Sohnes hatten sie schließlich aus dem Schlafzimmer gelockt.
 

Lincoln kümmerte sich auffallend wenig um sie. Mit einer unbändigen Wut im Bauch schritt er geradewegs weiter auf sein Zimmer zu, doch bevor Rita ihn zurückrufen konnte, fiel ihr etwas ins Auge. Vor ihren Füßen lag ein Blatt Papier. Sie bückte sich, hob es auf und betrachtete dieses genauer. Es war eine von Lincolns Zeichnungen gewesen, die vor den Fall in den Kamin aus dem Ordner gesegelt waren, und wie es der Zufall so wollte, direkt vor ihrer Schlafzimmertür zum Erliegen gekommen war.

Denn Großteil des Streites hatte sie mitbekommen, laut genug waren die Beteiligten ja gewesen. Sie wusste das Lana und Lola irgendetwas zerstört hatte, woran ihr Sohn, nach eigener Aussage, ewig gearbeitet und das ihr Eheman als alberne Krizeleien verunglimpft hatte. Plötzlich wusste sie, um was es sich handelte und auch in ihr stieg der Ärger auf. Aufgebracht schritt sie auf ihren Ehemann zu. Hatte Lynn überhaupt eine Ahnung, was er gerade angerichtet hatte?
 

„He, Bruder, was ist eigentlich los?“, erkundigte sich Luna, als Lincoln die Treppe hinter sich gelassen hatte. Neben ihr auf den Flur standen Lisa, Lucy, Lynn, Luan und Leni versammelt. Der Streit im Wohnzimmer war heftig genug gewesen, um alle seine übrigen Schwestern aus dem Zimmer zu locken, egal ob sie bereits geschlafen hatten oder nicht.

„Lass mich einfach in Frieden...“, antwortete Lincoln unfreundlich.

„Das gilt für euch alle“, fügte er noch hinzu, als er bemerkte, dass Leni noch etwas sagen wollte. Wenig später war Lincoln in seinem Zimmer verschwunden. Das lautstarke aufbäumen der Tür, die er gewaltsam ins Schloss geschlagen hatte, war bestimmt selbst unten noch deutlich zu hören gewesen, und dennoch wollte Luna wissen, was vorgefallen war. Um Lincoln aber nicht noch mehr zu verärgern, beherzigte sie jedoch seinen Wunsch und ging, anstatt mit ihm zu sprechen, nach unten ins Wohnzimmer. Eine andere Alternative war im Moment schwer vorstellbar.

Dort angekommen wollte sie zunächst ihren Augen kaum trauen. Lola und Lana weinten krampfhaft. Ihre Eltern funkelten sich wütend an und Lilly krallte sich ängstlich an Lori fest. Einzig diese schien noch einen klaren Kopf zu haben, doch ihr besorgter Blick stach Luna sofort ins Auge.

„Alberne Kritzeleien… Ist das dein Ernst? Von allen möglichen Dingen, die du hättest sagen können, musstest du ausgerechnet das sagen? Hier für dich...“

Ohne auf eine Reaktion ihres Ehemannes zu warten, drückte sie diesen Lincolns Zeichnung in die Hände. Es war die Charakterskizze von Lucy gewesen. Geschockt studierte er die Skizze. Lana und Lola waren keinesfalls die Einzigen, die heute Abend Mist gebaut hatten.

„Das sind die albernen Kritzeleien von dem du gesprochen hast. Unser Sohn hat ein wunderbares Talent. Eines von dem wir absolut keine Ahnung hatten, und alles was du dazu zu sagen hast ist, alberne Kritzeleien. Ich kann mir kaum vorstellen, wie Lincoln sich gerade fühlen muss. Hunderte seiner Zeichnungen sind in Flammen aufgegangen, und trotzdem kommst du ihm Dumm, weil er diesmal zu Recht wütend auf die Zwillinge ist. Bei aller Liebe, Schatz, das hättest du deutlich besser handhaben können, eigentlich fast schon müssen.“
 

„He, Leute… Ich traue mich kaum, das zu fragen, aber was ist überhaupt passiert?“, erkundigte sich Luna von der Seite. Selten zuvor hatte sie ihre Familie in diesem Zustand gesehen. Überraschend legten sich die Blicke aller Anwesenden sogleich auf sie.

„Oh, Luna. Ich hab dich gar nicht bemerkt… Die Kurzfassung: Lana und Lola haben es sich gründlich mit Lincoln verscherzt. Dein Vater war unfähig die Situation zu entschärfen und hat es am Ende nur tausendmal schlimmer gemacht. Und ich habe beschämenderweise zu spät eingegriffen. Aber das ist Nichts, was wir nicht wieder hinbekommen werden“, erklärte sich Rita und sagte dann zu ihrer ältesten Tochter:

„Lori, kannst du dich bitte um die Zwillinge kümmern?“

„Sicher doch“, war Loris knappe Antwort. „Aber was ist mit Lilly?“, wollte sie kurz darauf von ihrer Mutter wissen. Im Moment wollte Lori Lilly ungern aus ihren Händen geben.

„Luna soll sich um sie kümmern und ich versuche, mit Lincoln zu sprechen“, erwiderte Rita und wandte sich sogleich an ihre musikbegeisterte Tochter:

„Luna, kannst du Lilly bitte ins Bett bringen? Für heute hatte sie im jeden Fall genug Aufregung.“

„Klare Sache, Mom“, antwortete Luna bereitwillig. Alles was sie wollte, war dabei zu helfen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Und wenn sie dafür auf Lilly achten musste, sollte es ihr recht sein.

„Danke“, erwiderte ihre Mutter und machte sich sodann auf den Weg nach oben.
 

Mit Elan machte sich Luna, an die, ihr zu Teil gewordene Aufgabe. Sie merkte durchaus, dass Lilly der Schock noch in den Gliedern saß, darum ging sie zu ihr hinüber und kniete sich vor ihr auf den Boden. Gutmütig Lächelte Luna Lilly entgegen und versuchte, ihre Laune etwas zu heben:

„Wollen wir nach oben gehen? Unser lieber Bruder mag im Moment zwar schlecht drauf sein, aber morgen sieht die Welt bestimmt schon wieder ganz anders aus.“

„Bist du dir sicher?“, fragte Lilly zurückhaltend. So recht konnte sie ihrer Schwester nicht glauben.

„Ganz sicher… Aber wie war eigentlich dein Ausflug in die Stadt? Ich bin gespannt darauf zu hören, was du dort alles erlebt hast.“ Lunas unbeschwerte Stimme bewirkte echte Wunder. Von jetzt auf gleich hellte sich Lillys Gesicht auf. Schneller als Luna es für möglich gehalten hatte, löste sich Lilly von Lori, ergriff ihre rechte Hand und begann sogleich von ihren Tag in der Stadt zu schwärmen. Während Lilly Luna allerhand erzählte, gingen die beiden gemeinsam die Treppe hoch. Ein Weile lang sah Lori ihren Schwestern hinterher, bevor sie sich schließlich an Lana und Lola wandte:

„Kommt mit ihr beiden. Gehen wir nach oben zu mir, und dann erzählt ihr mir in Ruhe, wie um alles in der Welt, das gerade passiert ist.“

„Muss das denn sein?“, fragten die Zwillinge, wie aus einem Mund. Ihr Ton ließ vermuten, dass sie der Meinung waren, auch Lori könnte sauer auf sie sein.

„Wenn wir die Sache wieder in Ordnung bringen wollen, dann werdet ihr kaum darum herum kommen. Ich werde bestimmt nicht mit euch schimpfen. Hoch und heilig versprochen. Aber ich will wissen, was ihr euch dabei gedacht habt.“

Wie aufeinander abgesprochen, wischten sich Lana uns Lola gleichzeitig die Tränen aus dem Gesicht und steuerten auf ihre ältere Schwester zu. Lori ging in die Hocke und nahm die Zwillinge sodann kurz in die Arme. Hoffentlich konnte sie ihnen so die Angst vor dem kommenden Gespräch nehmen.

„Keine Sorge, ihr beiden. Wir kriegen das wieder hin“, sagte Lori aufmunternd zu ihnen und machte sich sodann mit ihnen zusammen auf den Weg nach oben.

Einzig Lynn Senior blieb im Wohnzimmer zurück. Unzufrieden mit sich selbst, setzte er sich auf die Couch und betrachtete traurig die Zeichnung seines Sohnes. Ob er das wieder gerade biegen konnte?



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