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Bruder

von
Koautor:  YoungMasterWei

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Sorge

Als die Nachricht vom Angriff auf Langya Jiang Cheng erreichte, versteinerte seine Miene.

Jin Ling.

Er wollte nicht wie eine Glucke wirken. Aber wann immer Jin Ling in Gefahr geraten könnte, umkrallte eine unbeschreibliche Ohnmacht sein Herz und sein Kopf malte sich die wildesten Horrorszenarien aus, wie er auch das letzte Mitglied seiner Familie verlor - den Jungen, den er zur Hälfte selbst aufgezogen hatte.

Konnte er nach Lanling reisen? Es würde seinen Clan verletzlich machen. Der Yunmeng Jiang-Clan hatte in den letzten Jahren ganz guten Zulauf erhalten, jüngst nicht zuletzt durch den Fall des Lanling Jin-Clans, doch seit die Zeiten mehr oder minder friedlich geworden waren, waren die Mitglieder einfach nicht mehr aus demselben Holz geschnitzt wie früher. Sie hatten keine höheren Ambitionen. Sie hängten sich nicht mehr so ins Training rein. Sie machten kaum Fortschritte. Und sie waren unselbstständig. Gut, für die paar Tage, die er in Lanling sein würde, konnte er den Clan getrost seiner rechten Hand, Shou Duanhai, und Dan Xiandan, dem ältesten Schüler überlassen. Aber was ihm am meisten Kopfzerbrechen bereitete, war der Besuch des Runan Wang-Clans, der in drei Tagen bevorstand. Es würde schwierig werden, rechtzeitig zurück zu Hause zu sein.

Und schließlich war da noch Jin Ling. Wie machte er seinem Neffen den plötzlichen Besuch, noch dazu gerade während dieser brenzlichen Zeit, klar, ohne wie eine besorgte Mutter zu klingen?

“Clan-Führer Jiang, Ihr solltet nach dem Rechten sehen. Wir werden schon auf den Pier und Yunmeng aufpassen”, ermutigte ihn Shou Duanhai, der ihm die Nachricht überbracht hatte. Jiang Cheng maß ihn mit einem abschätzigen Blick.

“Das hast du nicht zu entscheiden.”

Er wedelte mit seiner Hand, um seinem Bediensteten zu signalisieren, dass dieser sich nun entfernen könne. Es gefiel Jiang Cheng nicht, dass Shou Duanhai ihm seine Gedanken so leicht am Gesicht ablesen konnte. Aber er war ein fähiger Mann, der ihn noch dazu schon lange kannte - länger als jeder andere des Clans. Er stammte aus Yunmeng, hatte die Zerstörung durch die Wen vor vierzehn Jahren aus nächster Nähe miterlebt und sich als einer der ersten gemeldet, um beim Wiederaufbau zu helfen und das Kultivieren zu lernen. Seine spirituellen Fähigkeiten waren nicht herausragend, aber er kompensierte es mit Erfahrung und einer guten Beobachtungsgabe. Es war wohl kein Wunder, dass ihm Jiang Chengs Gedanken nicht verborgen geblieben waren. Und vielleicht hatte er ja recht. Er würde bei Rulan Wang anfragen, ob sich deren Besuch um zwei Tage verschieben ließe. Und sollte das nicht gehen, so müssten Shou Duanhai und Dan Xiandan ihre Gäste die Anfangszeit bewirten. Es wäre vielleicht eine gute Gelegenheit für die Jüngeren, um neue Erfahrungen zu sammeln.

Jiang Cheng machte sich auf den Weg in seine Residenz, Vorbereitungen treffen. Auf dem Weg dahin gab er Anweisungen an die Bediensteten.

“Sendet eine Mitteilung nach Lanling, dass ich in zwei Tagen in der Nähe sein werde. Morgen breche ich auf. Verstärkt die Verteidigungsanlagen. Bereitet die Quartiere für die Ankunft des Rulan Wang-Clans vor. Ich bin in ein paar Tagen zurück. Und sollte ich irgendjemanden erwischen, der sein Training vernachlässigt hat, breche ich ihm die Beine!”

“Zu Befehl, Clanführer Jiang!”

Die Bediensteten stoben auseinander.

Jiang Cheng erreichte sein Zimmer. Aus dem Schrank suchte er einen unbenutzten Geister-Beutel und einen Speicher-Beutel, dazu ein kleines Säckchen für Heilkräuter. Seinen Talisman-Vorrat musste er auch aufstocken. Aber zuerst war das Schreiben an den Rulan Wang-Clan aufzusetzen. Und … Sein Blick glitt über Suibian.

Das Schwert sollte er wohl polieren. Die Gespräche, die er mit Wei Wuxian geführt hatte, hallten in seinen Ohren wider. Wei Wuxian hatte seine Penibilität bei der Schwertpflege stets belächelt.

‘Wie oft polierst du dein Schwert denn noch?’

‘Dreimal am Tag. Und du? Wann hast du dein Schwert das letzte Mal poliert?’

Das vertraut gewordene schlechte Gewissen schnürte ihm die Brust ein.

Suibian war wie ein Teil seines Körpers! Und er hat keine Gelegenheit für einen Zweikampf ausgelassen. Warum bin ich nicht skeptisch geworden, als er so plötzlich vorgab, jegliches Interesse verloren zu haben?

Doch die Gewissensbisse bezogen sich nicht allein auf Wei Wuxian. Sein Blick wanderte weiter, auf den dahinterliegenden Schwertständer, den eigentlichen Herrn dieses Hauses: Sandu. Wie ein Beschützer ragte Suibian vor ihm auf, ein Vasall, der keine Gefahr zu seinem Herrn hindurch lassen würde. Dafür war aus der ehemals gefürchteten Klinge ein betagter, träger Mönch geworden, der kaum noch das Tageslicht erblickte.

‘Ich hab es in mein Zimmer geworfen. Einmal im Monat reicht’, hallte der Rest ihres Arguments zur Schwertpflege in Jiang Chengs Ohren nach.

Mit einer tiefen Verbeugung entschuldigte sich Jiang Cheng bei seiner Klinge - und seinem Vater, der sie ihm geschenkt hatte. Er würde heute beide Schwerter polieren. Das war das Mindeste, was er tun konnte, wenn er es momentan schon nicht fertig brachte, sein eigenes Schwert mit sich zu führen.

 

Jiang Cheng war geradewegs zu Goldschuppenplateau geflogen, nur um unverrichteter Dinge wieder umzukehren. Der Clanführer sei nicht zu Hause, hieß es. Jagte derzeit ein mutiertes Wildschwein.

Nun zog Jiang Cheng Kreise über den Baumwipfeln und hielt Ausschau nach seinem Neffen. Wo steckte dieser Bengel nur?

Etwas Dunkles erregte seine Aufmerksamkeit. Suibian beschrieb einen Bogen und steuerte auf den großen zottigen Kadaver am Waldboden zu. Es musste sich um das Wildschwein handeln, welches Langya angegriffen hatte. Es war wahrhaft gigantisch. Seine Borsten waren büschelweise ausgefallen, die Haut darunter war trocken und ansatzweise ledrig. Ein beißender Geruch lag in der Luft, und Jiang Cheng wollte den Berg von einem Leichnam nicht einmal mit seiner Schuhspitze berühren aus Angst, irgendeine faulige Blase aufplatzen zu lassen und vor lauter Gestank sein Frühstück wieder herauszubringen.

Trotz allen Ekels zwang er sich jedoch dazu, nicht einfach kehrt zu machen und den Kadaver sowie seine Umgebung genauer zu inspizieren. Nicht nur der Zustand des Kadavers war ein einziger Widerspruch - von ihm ging auch keinerlei negative Energie aus. So sehr er sich auch konzentrierte, das Tier war rein. Die gesamte Umgebung wies kaum eine Spur Negativität  auf. Das konnte nicht sein. Positive Energie konnte nicht allein existieren. Bei einem Wesen, das eines unnatürlichen Todes gestorben war, schon gar nicht. Und kein Groll verflüchtigte sich einfach so. Es dauerte lange, bis er sich unter natürlichen Bedingungen zersetzt hatte.

Ein goldenes Aufleuchten am Himmel unterbrach Jiang Cheng in seiner Inspektion.

Eine goldene Pfingstrose. Das Wappen des Lanling Jin-Clans.

Eisige Furcht umklammerte Jiang Chengs Herz und Kehle.

Jin Ling!

Suibian schoss wie ein roter Blitz aus seiner Scheide, doch als Jiang Cheng aufspringen wollte, hielt ihn ein stechender Schmerz am Knöchel zurück.

Das fehlte gerade noch!

Eine Schlange hatte sich in seinem Fuß verbissen. Solch ein schwaches Tier hätte eigentlich überhaupt nicht in der Lage sein sollen, das Leder seiner Stiefel zu durchbohren. Und nicht nur das: Neben dem Gift spürte Jiang Cheng, wie noch etwas anderes über die Wunde in seinen Körper strömte - dunkle Energie. Dieses Tier war verseucht davon!

Was stimmt mit diesem Wald nicht?!

Ein Hieb von Suibian und Schlangenkopf und -körper fielen reglos zu Boden, doch der Schaden an seinem rechten Fuß war bereits angerichtet. Das Gift brannte und fraß sich zusammen mit der negativen Energie höher. Hastig riss Jiang Cheng den Stiefel herunter, löste sein Haarband, schnürte seinen Knöchel ab und schnitt eine tiefe Wunde quer über die Bisswunde. Er regulierte seine Atmung, zwang seinen Kreislauf zur Ruhe. Die Bisslöcher befanden sich an der Außenseite seines Fußes, er erreichte sie nicht, um das Gift herauszusaugen. So konnte er nur mit weiteren Schnitten und massierenden Bewegungen nachhelfen, um möglichst viel Blut herauszudrücken. Doch noch immer quollen dichte Schwaden dunkler Energie aus dem zerschnittenen Schlangenkörper, griffen nach seiner Wunde, versuchten weiter vorzudringen. Er zog eine Handvoll Geister-anziehende Talismane aus seinem Ärmel, klatschte sie auf den Schlangenkörper und atmete erleichtert auf, als die dunklen Schwaden sich zurückzogen, seinen Körper verließen, sich in der Schlange konzentrierten.

Wenigstens  etwas  Nützliches, das dieser Idiot zustande gebracht hat.

Kaum dass der letzte Rest seinen Körper verlassen hatte, hob er Suibian, jagte so viel Qi in seine Klinge, dass seine rote Aura fast weiß erstrahlte, und ließ sie niederschmettern. Als der Staub sich legte, waren Schlange, Talismane und die negative Energie restlos verschwunden. Mit einem erschöpften Ausatmen ließ Jiang Cheng die Klinge sinken und widmete sich wieder seinem Fuß. Das Gift musste unter Kontrolle gebracht werden, sonst käme er hier nicht weg. Mit zwei routinierten Schlägen verschloss er die Druckpunkte für den Blutfluss um seinen Fuß, verzögerte so die Ausbreitung des Giftes, und versorgte zusätzlich die Wunde mit Heilkräutern aus seinem Speicher-Beutel. Es würde das Problem nicht lösen, seine Verschlimmerung aber zumindest lange genug hinauszögern, dass er sich zuerst dem dringlicheren Problem widmen konnte.

Jin Ling.

Jin Ling!!!



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