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Krieg der Zimtsterne

von

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Arm- und Kopflos

Frustriert und genervt pustet sich Lisa erst eine Haarsträhne aus dem Gesicht und dann den Kakao in ihrer Hand. Seit Tagen hängt sie nun schon im Herrenhaus fest. In der letzten Woche des Novembers hat es aus heiterem Himmel angefangen zu schneien; und seither nicht mehr wirklich aufgehört.

Die junge Frau mochte Schnee generell nicht sonderlich, aber dieser Wintereinbruch schlägt ihr besonders schrecklich aufs Gemüt. Die weißen Massen türmen sich draußen so hoch, dass die Universität geschlossen hat. Die Wege und Straßen der Stadt sind inzwischen unpassierbar. Ganz Mystery Spell liegt unter einer dicken Schicht Schnee begraben und hält Winterschlaf. Es bleibt den Bewohnern auch nichts Anderes übrig. Alle hocken zu Hause und warten, dass das Treiben endlich aufhört und man endlich mit den Räumarbeiten beginnen kann. Wahrscheinlich fehlt nicht mehr viel und der Notstand muss ausgerufen werden.

Das Kindermädchen seufzt und sieht zum Fenster. Immer noch rieselt es vom Himmel. Nicolae hat gesagt, dass er einen derartigen Schneefall noch nicht erlebt hat. Und das will schon etwas heißen bei jemandem, der schon über zweihundert Jahre alt ist!

Ja, sie mag die Bartholys, aber hier so eingesperrt mit ihnen zu sein ist ganz schön belastend. Vor allem weil ihre Gastfamilie trotz der Witterung jeder Zeit vor die Tür kann, theoretisch. Die junge Frau spürt einen gewissen Neid. Sie möchte kein Vampir sein, dass nicht. Aber auf ihre komplette Unempfindlichkeit gegen Kälte ist sie im Augenblick extrem neidisch, und auf ihre Kraft und Schnelligkeit die es ihnen erlaubt sich durch diese gefühlten 10 Meter Schnee zu bewegen als wäre es nichts.

Tja, sie selbst ist eben nur ein schnöder Mensch; der in einem großen Haus festsitzt. Mit vier Vampiren, die trotz ihrer gewissen Freiheit in der aktuellen Lage, auch unter dem Zusammengepfercht-Sein leiden. Sie können ja nicht ständig draußen sein, dass würde nur auffallen, also verbringen sie eben auch den Tag zum großen Teil hier.

Vier derart verschieden Persönlichkeiten auf so engen Raum, das liefert Zündstoff ohne Ende. Allen voran die kleine Lorie, die inzwischen jede Gelegenheit nutzt nicht nur ihr Kindermädchen, sondern auch ihre Brüder zu drangsalieren und zu ärgern. Selbst der sonst so verständnisvolle Nicolae ist gestern aus der Haut gefahren. Und Peter ist die letzten Tage auch mehr als einmal laut geworden. Von Drogo, der inzwischen nur noch Häme und Beleidigungen für alles und jeden übrig hat ganz zu schweigen …

Lisa hat das Gefühl das die Luft immer dicker und drückender wird. Die Bartholys scheinen überfordert mit sich und der Situation. Das hätte sie sich nie träumen lassen. Irgendwie dachte sie, dass die Familie es in gewisser Weise gewöhnt ist; sie sind ja schon Jahrzehnte unter sich. Aber dieses gezwungene Zusammensein ist wohl doch eine andere Hausnummer.

Ein schriller, ohrenbetäubender Schrei reißt die Stille im Haus nieder.

Das Kindermädchen seufzt. Lorie wieder … Sie will gar nicht wissen, was der Madame wieder nicht passt. Doch sie wird sofort hellhörig, als die Kleine anfängt zu weinen. Sie kennt das Weinen des Mini-Vampirs; jede Form davon. Erpresser-, Wut- oder Mitleidsweinen, alles schon tausendmal gehört. Doch das hier jetzt ist selten, das ist echt.

Lisa stellt die Tasse ab, eilt aus dem Wohnzimmer und die Treppe hoch. Die Tür zum Kinderzimmer steht offen, aber kein Mädchen weit und breit. Das Weinen kommt aus dem Raum ein paar Türen weiter. Ihr rutscht das Herz in die Hose. Lorie ist offenbar im Zimmer von Drogo.

Nicht gut. Gar nicht gut.

Gerade als das Kindermädchen überlegt, ob es so eine gute Idee wäre sich da einzumischen, kommt die Kleine tränenüberströmt heraus gestürmt. Ihre Verzweiflung ist greifbar und lässt Lisas Herz kurz schwer werden. Ja, das Kind ist womöglich schon hundert, oder zweihundert Jahre alt, aber trotzdem wird sie nicht nur optisch immer sechs Jahre alt sein, sondern auch mental. Irgendetwas ist hier gerade passiert, dass Lorie wirklich getroffen hat.

Das Mädchen wirft sich völlig verzweifelt in die Arme der jungen Frau und schluchzt. Sie beginnt immer wieder einige Worte zu stammeln, bekommt aber vor lauter Tränen keinen Satz zusammen.

Lisa fühlt sich überfordert und streicht der Kleinen behutsam über den Rücken. Was um Himmels Willen ist passiert, dass das Mädchen derart aufgelöst ist? Vorsichtig setzt sie das Kind ab und sieht in die großen rehbraunen Augen. „Na, sag mir was passiert ist.“

„Drogo …“, schluchzt Lorie und wischt sich über die Augen. „Er … Er hat … Herr Kopflos …“ Sofort bricht sie wieder in Tränen aus.

Oh, oh. Das Kindermädchen ahnt Schlimmes. Frau Spitz und Herr Kopflos sind die absoluten Lieblings-Puppen der Kleinen. Ihr Zimmer ist zwar bis unter die Decke voll mit Puppen, Spielsachen und anderen Dingen, aber diese beiden haben einen besonderen Wert für das Mädchen. Lisa atmet durch und streicht dem Kind über den Kopf. „Geh in dein Zimmer, ich gehe zu Drogo.“

Lorie nickt, schluchzt und verschwindet in ihrem Reich.

Normalerweise würde sich Nicolae des Problems hier annehmen, aber dass er nicht mal vorbeigeschaut hat spricht Bände. Den Großteil des Tages verbringt er inzwischen in der Bibliothek … Wenn sie so darüber nachdenkt hat sie ihn, seit er so aus der Haut gefahren ist, gar nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Lisa schluckt schwer und ist sich unsicher, ob das eine so gute Idee von ihr ist. Sie sollte dringend erst nachdenken bevor sie spricht. Das Verhältnis zwischen ihr und dem Jüngsten der Brüder ist extrem angespannt seit sie weiß was damals bei ihrer Ankunft hier wirklich passiert ist. Und die belastende Situation mit dem Eingesperrt-Sein tut ihr übriges, das Ganze noch zu verschlimmern. Selbst unter normalen Bedingungen hat sie immer diese diffuse Anspannung in seiner Gegenwart seit sie weiß, dass er sie beinahe gebissen hat.

Die junge Frau gibt sich einen Ruck, oder eher einen mentalen Tritt in den Hintern. Mit Anlauf und Schwung. Mit klopfendem Herzen geht sie zum Zimmer des Blonden. Vorsichtig sieht sie um die Ecke.

Drogo sitzt auf dem Fensterbrett und starrt hinaus. Sein Blick ist entrückt auf die tanzenden Flocken draußen gerichtet.

Er hat sie gehört, dass weiß das Kindermädchen. Er ist ein Vampir und wird ihr unruhig pumpendes Herz wahrscheinlich mehr als deutlich wahrnehmen. Dass er nicht reagiert ist … kein gutes Zeichen. Sie lässt ihren Blick durch den Raum schweifen und entdeckt das Malheur. „Herrgott, Drogo“, herrscht sie ihn an.

Der Angesprochene brummt nur, wendet seine Augen aber nicht von der verschneiten Außenwelt ab. Eine gewisse Melancholie und Sehnsucht spiegelt sich in dem Nussbraun wider.

Lisa spürt wie Wut in ihr aufkeimt. Auf dem Boden liegt Herr Kopflos, der jetzt auch noch armlos ist. Der Stoffpuppe wurde der linke Arm ausgerissen; Lories Reaktion berücksichtigend gibt es auch nur eine Option wer das war. „Wie konntest du nur?!“, faucht sie und betritt den Raum.

„Ist doch bloß ein dämliches Spielzeug“, brummt der Blonde und dreht endlich den Kopf. „Sie hat tausende.“ Sein Blick richtet sich auf Herrn Kopflos und er wirkt entgegen seiner Worte doch recht betreten und schuldbewusst.

Die junge Frau geht in die Hocke. Sie verzieht betroffen und traurig das Gesicht während sie die Puppe und deren Arm aufhebt. „Du weißt genau, dass es nicht darum geht“, knurrt sie. Scheiße, da hat er wirklich großen Mist gebaut. Der Stoff ist durch die Jahrzehnte bereits sehr dünn und die Ränder sind dementsprechend extrem ausgefranst. Auch wenn sie nicht unbedingt viel Ahnung davon hat sagt ihr irgendetwas, dass das schlecht oder vielleicht sogar überhaupt nicht zu flicken ist. Während sie wieder aufsteht richtet sich ihr wütender Blick auf den Vampir. „Und? Was denkst du wie du das wieder in Ordnung bringen kannst?“, fragt sie vorwurfsvoll nach.

Drogo funkelt sauer und öffne den Mund, da hört man deutlich das Weinen mehrere Zimmer weiter. Er sinkt förmlich in sich zusammen und senkt den Blick.

Das Kindermädchen weiß, dass unter dem Deckmantel des arroganten Idioten ein weicher Kern steckt, dem das Wohl seiner Nächsten am Herzen liegt. Er zeigt das nur ungern und selten, aber gerade der kleinen Lorie gegenüber zeigt es sich dann doch recht häufig. „Nun?“, hakt sie fordernd nach und verschränkt die Arme vor der Brust.

Der Blonde sieht genervt auf und brummt, dann seufzt er und steht auf.



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