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Trick or Treat

eine Halloween-Kurzgeschichte
von

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Nightmare

Schwer atmend renne ich durch den Wald. Ich bekomme kaum Luft, weil meine Lungen vor Anstrengung brennen. Irgendetwas verfolgt mich. Es ist mir auf den Fersen.

Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Immer wieder rufe ich Tais Namen …

»Tai … Tai …«

Doch er antwortet nicht. Niemand antwortet. Weil ich ganz allein bin.

Plötzlich packt mich etwas am Knöchel und ich falle der Länge nach hin. Ich schneide mir die Wange an einem spitzen Ast auf, der am Boden liegt. Ich berühre die Stelle und merke sofort, dass ich blute. Es schmerzt. Ich will wieder aufstehen, aber ich kann nicht. Etwas liegt wie eine Last auf mir, hält mich am Boden fest. Als ich mich schwerfällig umdrehe, sehe ich in ein vertrautes Gesicht.

»Tai?«

Er ist über mir gebeugt, drückt mich mit aller Kraft in den feuchten Waldboden. Seine Augen leuchten blutrot, als wäre er ein wildes, ausgehungertes Tier, das mich gleich in Fetzen reißt. Ein tiefes Knurren dringt aus seiner Kehle, ein Geräusch, was definitiv nicht von dieser Welt ist. Was ist nur in ihn gefahren? Das ist nicht mein Tai.

»Tai, lass mich los.« Meine Stimme bricht, doch er grinst nur. Ich habe Angst. Was soll das? Ich habe noch nie Angst vor ihm gehabt. Sein Grinsen wird immer diabolischer, sein Griff immer fester. Sein Mund öffnet sich und senkt sich an meine Kehle.

Ich schreie vor Schmerz … dann …
 

… wache ich auf.

Keuchend und bis auf die Knochen durchnässt, sitze ich im Bett und greife mir an die Brust. Der kalte Schweiß auf meiner Haut fühlt sich an wie der nasse Waldboden. Orientierungslos blicke ich ins Dunkel.

»Hey.« Eine Hand berührt mich von hinten und ich schreie auf. Mit einem Satz springe ich aus dem Bett und stolpere zurück, bis ich auf den Boden knalle.

»Mimi, hey«, kommt es verwirrt von Tai, als er auch schon das Licht anschaltet. Mit aufgerissenen Augen steht er vor mir, halb nackt, genauso wie ich. Schwer atmend sehe ich mich um. Wir sind in unserem Schlafzimmer. Es ist mitten in der Nacht.

»Mimi, was hast du?«, will Tai wissen und kommt auf mich zugestürmt, während ich immer noch am Boden hocke.

Vorsichtig sehe ich in seine Augen, während die Bilder meines Albtraums in meinem Kopf aufblitzen. Doch es ist Tai. Einfach nur Tai, der mich besorgt, mit seinen warmen Augen ansieht.

»Ich …«, beginne ich und schlucke. Meine Kehle ist staubtrocken. »Ich hatte nur einen Albtraum. Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.« Dabei habe ich mich selbst am meisten erschreckt.

Ich stehe auf und krieche zurück unter die Bettdecke, während Tai sich neben mich setzt und an sich zieht.

»Ist es wegen vorhin?«, fragt er und meine Finger wandern unwillkürlich an meine Wange, an der ein Pflaster klebt. Zum Glück war es nur eine leichte Verbrennung, weshalb ich nicht ins Krankenhaus musste.

Ich schüttle den Kopf. »Nein, es ist nur …« Ich überlege, ob ich ihm die Wahrheit sagen soll. »Es ist nur die fremde Umgebung, sonst nichts weiter. In fremden Betten schlafe ich für gewöhnlich nicht gut.« Ich entscheide mich für die Lüge. Jetzt auszusprechen, dass dieser ganze Schwachsinn von gestern mich anscheinend ein wenig wahnsinnig macht, wäre albern. Tai würde mich sicher auslachen und ich mich ehrlich gesagt auch. Wie konnte ich auch nur eine Minute lang glauben, dass es diesen Fluch wirklich gibt?

»Okay«, sagt Tai, drückt mir einen Kuss aufs Haar und zieht mich noch enger an sich. »Dann halte ich dich eben ganz fest, bis du wieder einschläfst.«

Ich nicke und kuschel mich dankend an ihn. Mein Innersten beruhigt sich. Ich hatte schließlich schon öfter Albträume. Kein Grund, deswegen durchzudrehen, oder?
 

Am nächsten Morgen beschließen wir alle, wandern zu gehen, während Matt zu Hause bleibt und das Haus dekoriert. Anscheinend hat er viel vor, wenn er dafür einen ganzen Tag benötigt. Aber gut.

Das Wetter ist fantastisch und ich genieße die Zeit mit meinen Freunden. Tai ist zauberhaft und weicht mir nicht von der Seite. Die ganze Zeit macht er blöde Witze und will mich aufheitern, was ich wirklich zu schätzen weiß. Doch im Grunde ist mir klar, dass er sich einfach ein bisschen Sorgen macht. Vermutlich hat er sich letzte Nacht mehr erschrocken, als er es gezeigt hat.

Am späten Nachmittag machen wir eine Pause und essen ein paar Kleinigkeiten. Mein Orientierungssinn war noch nie der Beste und überhaupt bin ich den ganzen Tag nur hinter den anderen her gelaufen. Tai meint, wir wären nicht weit von der Hütte entfernt, aber für mich sieht hier jeder Baum gleich aus. Ich bewundere ihn dafür, dass er immer bei allem den Überblick behält. Manchmal verlasse ich mich auch zu sehr darauf, das ist mir durchaus bewusst. So, wie jetzt, als er mir vorschlägt, dass ich mich ein wenig ausruhen kann.

»Mach einfach ein bisschen die Augen zu und entspann dich«, meint er, als wir beide gegen einen Baum gelehnt da sitzen und ich meinen Kopf an seine Schulter lege.

»Aber ich bin entspannt«, widerspreche ich, kann jedoch ein Gähnen nicht unterdrücken.

Tai lacht auf. »Du hast letzte Nacht kaum geschlafen, Mimi. Und warst den ganzen Tag auf den Beinen. Es ist nicht schlimm, wenn du dich kurz ausruhst. Ich wecke dich, sobald wir weiter gehen.«

Ich seufze. Vielleicht hat er recht. Bevor ich die Augen schließe, vergewissere ich mich noch mal, dass alle noch mit essen und plaudern beschäftigt sind und keiner weiter auf mich achtet. Was macht es da schon, wenn ich für ein paar Sekunden die Augen schließe …? Ich spüre noch Tais Hand, die meine festhält, dann gebe ich der Müdigkeit nach.
 

Mir ist kalt und ich fühle mich unwohl. Mein Rücken tut weh, also öffne ich die Augen - und fahre sogleich zusammen.

Es ist dunkel.

Lediglich ein kleines Lagerfeuer brennt wenige Meter vor mir. Erschrocken wirble ich herum.

Wo sind die anderen?

Wie lange habe ich geschlafen?

Warum ist niemand hier?

Mir stockt der Atem. Träume ich etwa schon wieder?

Meine Finger krallen sich in den kühlen Waldboden. Nein, diesmal ist es echt. Zu echt.

Aufgebracht stehe ich auf und halte mich am Baumstamm fest, weil ich immer noch ganz benommen bin. Ich muss stundenlang geschlafen haben.

Wo ist nur Tai? Warum hat er mich hier allein zurück gelassen?

Mein Herz pocht wie wild, als ich ein paar Schritte nach vorne mache und versuche, in die Dunkelheit zu spähen. Weil ich absolut nichts erkennen kann, will ich mein Handy aus der Tasche ziehen und leuchten, doch dann fällt mir ein, dass es ja kaputt ist.

»Verdammt«, fluche ich und mache noch ein paar Schritte.

»Tai?«, rufe ich zaghaft, aber niemand antwortet. Scheiße. Ich bin hier mutterseelenallein.

Das ist ein Albtraum. Ich muss sofort hier weg!

Panisch stolpere ich weiter nach vorne. Die anderen haben gesagt, dass das Haus nicht weit von hier weg sei. Also muss ich es ja irgendwie finden. Aber ich sehe einfach nichts. Es ist so dunkel, dass ich nicht ein mal genau erkenne, wo ich hintrete. Meine Augen füllen sich mit Tränen und es fällt mir immer schwerer, Luft zu holen. Ich bekomme eine Heidenangst, klammere mich an einen Baum, weil ich sonst womöglich zusammenbreche und fange an zu weinen.

Plötzlich höre ich ein Knacken, unmittelbar neben mir. Instinktiv schrecke ich auf und will weglaufen, doch etwas packt mich am Handgelenk und zerrt mich zurück. Ich schreie, schlage wie wild um mich, aber es gibt kein Entkommen. Gott … es ist genau wie in meinem Traum.

Mein Schreien hallt durch den ganzen Wald, bis ich heftig geschüttelt werde und eine vertraute Stimme zu mir durch dringt.

»Mimi, Mimi, ich bin's!«

Ich verstumme und sehe in das Gesicht von Tai. Nun ist es auch nicht mehr dunkel. Erst jetzt fällt mir auf, dass er eine Taschenlampe bei sich hat, die alles in unserer näheren Umgebung erhellt. Verwirrt sehe ich mich um.

»Mimi, was soll das?«, fragt Tai mich aufgebracht und hält mich immer noch an den Armen fest, wahrscheinlich aus Angst, ich könnte wieder anfangen, um mich zu schlagen.

»Wieso warst du plötzlich weg?«

»Ich?«, entgegne ich schockiert. »Du warst doch nicht da, Tai. Ich meine, wie lang habe ich denn geschlafen? Es ist bereits dunkel und ich wache auf und bin plötzlich ganz allein. Was sollte das?«

Tai seufzst und lässt mich los.

»Du bist heute Nachmittag so tief eingeschlafen, dass dich niemand von uns wach gekriegt hat. Ich habe zu den anderen gesagt, dass sie ruhig schon vor gehen können und wir dann nachkommen, sobald du wach bist. Ich war die ganze Zeit bei dir, Mimi. Ich musste vorhin nur mal … na ja, für kleine Jungs eben. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du gleich so durchdrehst, wenn du wach wirst. Ich hatte dir doch extra ein Feuer angemacht.«

Erleichtert atme ich auf, obwohl mir der Schreck immer noch in den Gliedern steckt. »Tut mir leid«, sage ich ehrlich und fahre mir durchs Haar. »Ist irgendwie nicht mein Tag. Es ist lieb von dir, dass du die ganze Zeit auf mich aufgepasst hast.«

»Hmm«, macht Tai und legt einen verzweifelten Blick auf. »Anscheinend nicht gut genug. Bist du sicher, dass alles okay ist?«

Ich nicke schwach. »Ja. Ja, ich denke schon. Können wir jetzt bitte gehen? Ich will raus aus diesem Wald.«

»Keine Sorge«, meint Tai liebevoll und zieht mich in eine Umarmung. »In diesem Wald ist absolut nichts, wovor du dich fürchten müsstest.«

Tai hat recht. Ich habe wirklich das Gefühl, langsam durchzudrehen. Erst diese Wahrsagerin, die mir offensichtlich mehr Angst eingejagt hat, als ich zugeben möchte, dann dieser Albtraum … das ist alles ein wenig zu viel für mich. Ich bereue diesen Ausflug. Wir hätten alle niemals herkommen sollen.



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