Sterne
Wieder saß ich unter dem Kirschbaum und hielt die kleine Keksdose in der Hand. Doch diesmal wusste ich, dass noch jemand kommen würde. Mimi hatte es fest versprochen.
Und - auch wenn ich es nur ungern zugebe - ich freute mich darauf.
Wir verbrachten in den letzten Monaten viel Zeit miteinander und wurden immer engere Freunde. Ich war gerne in ihrer Gegenwart. Mit ihr war Spaß vorprogrammiert, sie verlor nie ihr Lachen. Doch auch über ernstere Angelegenheiten konnte man mit ihr sprechen. Es gab noch Hunderte weitere Eigenschaften, die Mimi zu einem Menschen machten, der liebenswürdiger nicht hätte sein können.
Ich schaute auf meine Uhr und merkte, dass sie zu spät war. Hatte sie es vielleicht doch vergessen? Unruhe und Enttäuschung machten sich in mir breit.
Doch all das erlosch in dem Moment, als ihre sanfte Stimme erklang.
„Tai, Entschuldige die Verspätung. Ich hatte Probleme, meinen Kimono richtig zu binden“, sie stand abgehetzt vor mir und lächelte mich an.
Und ich? Ich konnte nichts sagen, so sprachlos machte mich ihr Anblick. Sie trug einen hellrosa Yukata mit Blumenmuster und ihre Haare zierte ein passendes Haarband. Mimi war schon immer schön, doch heute fiel mir zum ersten Mal auf, wie schön sie war.
„Puh, jetzt geht es wieder“, lachend ließ sie sich neben mich fallen. Meinen Blick konnte ich einfach nicht von ihr lösen. Mimis Wunsch, den sie letztes Jahr für uns aufschrieb, war eingetreten: Ich hatte mich gerade unsterblich verliebt. Und zwar in sie. Ich meine, ich hatte schon immer so ein kleines Kribbeln im Bauch, wenn wir gemeinsam etwas unternommen hatten oder sie beim DVD-Abend auf meiner Schulter eingeschlafen ist, aber ich wusste nie, was das bedeutete. Wie konnte ich nur so blind sein?
Ein Fingerknipsen vor meinen Augen holte mich zurück in die Realität.
„Erde an Tai. Ist alles okay?“, fragte sie grinsend.
„Ähm, sorry. Ich war nur…“, verdammt, was sollte ich sagen? Doch die Entscheidung nahm sie mir ab.
„Ich bin auch abgelenkt von den Sternen“, sagte sie, als hätte sie nicht gemerkt, dass ich nicht die Sterne, sondern die ganze Zeit sie angeschaut hatte. „Ich finde, heute strahlen sie noch intensiver als sonst, oder? Als wüssten sie, dass es ein besonderer Tag ist“, ihre Wangen wurden leicht rot und sie schaute verträumt in den Sternenhimmel.
„Hm, ist mir noch nicht aufgefallen“, murmelte ich und schaute nun auch nach oben.
„Euch Kerlen fällt sowas ja auch nicht auf“, lachte sie und stand plötzlich auf. „Komm, lass uns über den Platz schlendern bevor wir unsere Wünsche aufschreiben.“
Die Keksdose verstaute ich in ihrem Beutel und folgte ihr dann. Im Moment war mir egal, was wir machen würden, Hauptsache Mimi war an meiner Seite. Die Zeit verflog wie im Flug. Wir aßen etwas und ich schoss ihr sogar einen kleinen Plüschkaktus. Immer mal wieder stießen wir beim Laufen zusammen. So, als würden wir die Nähe des anderen suchen.
Kurz bevor das Feuerwerk, der Höhepunkt des Abends, anfing, setzten wir uns wieder unter unseren Kirschbaum.
„Tai, wir müssen noch unsere Wünsche aufschreiben“, erinnerte Mimi mich und holte die Dose hervor.
Schweigend schrieben wir unsere Wünsche auf. Was sie wohl notierte?
„Ist dein Wunsch von letztem Jahr eigentlich in Erfüllung gegangen?“, fragte ich schüchtern.
„Ja“, sagte sie mit einem Strahlen, dass die Sterne über uns verblassen ließ. „Und mein Wunsch heute baut darauf auf.“
„Was wünschst du dir denn?“, hakte ich nach und lehnte mich zu ihr.
„Dass das heute unser erstes Date von vielen war.“
Und in diesem Moment begannen die Schmetterlinge zu fliegen. Es gab nur eine Sache, die ich tun konnte: mich zu ihr beugen und sie küssen.