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The great talent of always making things more complicated

von

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One night in Tokyo

~02. Februar~

Izzy hatte nicht übertrieben, als er gesagt hatte, dass es viel Papierarbeit war, einen Club zu gründen. Die letzten Tage hatte Mimi damit verbracht, Zettel vorzuzeigen, zu unterschreiben und sie irgendwelchen Lehrern in die Hand zu drücken, die mehr oder weniger für die Klubaktivitäten an der Odaiba High School zuständig waren. Glücklicherweise aber war das nun vorbei, denn nun hatte sie eine Hallenzeit zugeteilt bekommen, was sie heute ausnutzen würde. Zwar vermutete sie dunkel, dass die Lehrer einfach nur genervt von ihren täglichen Belagerungen des Lehrerzimmers gewesen waren, aber immerhin hatte sie nun früher ihr Ziel erreicht, als erwartet. Sie hatte sogar schon fünf Clubmitglieder beisammen, also die Mindestanzahl, um einen Klub an dieser Schule anzumelden.

Voller Vorfreude auf die erste Stunde stieß Mimi die Tür der privaten Turnhalle der Odaiba High auf. Sie wusste schon genau, was sie den Mädchen als Erstes beibringen würde und hatte in den letzten Tagen einen Trainingsplan erstellt, wegen dem sie ihre Mathehausaufgaben deutlich vernachlässigt hatte. Es sollte aber eben alles perfekt sein, wenn sie schon so weit war, überhaupt einen solchen Klub zu starten.

Mimis breites Grinsen verblasste allerdings schnell, als sie in der Halle ein paar Jungs sah. „Das darf doch wohl nicht wahr sein“, murmelte sie, und stiefelte geradewegs auf einen der Jungs zu, der ihr verdächtig bekannt vorkam. „Kamiya!“, schrie sie lauthals, und sofort hörte jeder auf, sich zu bewegen, und starrte sie stattdessen an, als wäre sie von allen guten Geistern verlassen. Mimi aber interessierte das herzlich wenig, denn im Moment ging es einzig und allein darum, ihre Halle zurückzubekommen. „Was soll das werden, wenn es fertig ist?“

„Tachikawa“, erwiderte Tai verwirrt, und zuckte lasch mit den Schultern. „Na, was wohl? Wir spielen Fußball.“

„Das sehe ich, aber die Halle ist heute für uns reserviert“, erwiderte Mimi stur.

Einige der Jungs begannen zu tuscheln, während die wenigen Mädchen des Cheerleadingklubs peinlich berührt daneben standen und Mimi dabei zusahen, wie sie mit den Fußballern diskutierte.

Tai sah erst verblüfft aus, doch dann grinste er nur sein typisches breites Vollidioten-Grinsen. „Was redest du da eigentlich? Heute ist Donnerstagnachmittag. Wir sind um diese Zeit immer hier.“

„Ich hab eine Sondergenehmigung von Direktor Yukata dafür“, erwiderte Mimi schließlich.

„Ach, ja? Diese 'Sondergenehmigung' würde ich zu gerne mal sehen.“

Mimi lief rot an, aber nicht vor Scham, sondern weil Tai ihr unglaublich auf die Nerven ging. „Ich – ich habe das natürlich nicht schriftlich“, sagte sie schließlich.

Tais Grinsen wurde breiter. „Natürlich nicht. Weißt du, ich hab auch eine Sondergenehmigung – aber leider auch nicht schriftlich.“ Einige Jungs begannen zu lachen.

Als Mimi merkte, dass sie mit diesem Argument nicht weiterkam, versuchte sie es mit einem anderen: „Warum seid ihr überhaupt hier drinnen? Fußball spielt man doch draußen!“

„Ja, aber nicht wenn es draußen schneit und Minustemperaturen herrschen.“

„Dann müsst ihr euch eben wärmer anziehen!“

Tai hob belustigt eine Braue. Ihm schien es Spaß zu machen, Mimi so wütend zu sehen, und genau das brachte sie nur noch mehr zur Weißglut. „Wir würden uns nicht nur eine Erkältung einfangen, sondern auch noch den Platz kaputt machen. Aber weißt du was? Warum geht ihr denn nicht nach draußen, wenn ihr unbedingt einen Platz zum Trainieren braucht?“

Während Mimi krampfhaft überlegte, welches Schimpfwort sie diesem Blödmann nun am besten an den Kopf schmeißen konnte, hörte sie Yolei neben sich: „Komm, lass es gut sein... wir können ja wiederkommen, wenn sie weg sind.“

„Nein, dann ist die Halle wieder besetzt“, erwiderte Mimi, ohne Yolei dabei anzusehen. „Du bist so ein Idiot, Kamiya! Ihr habt doch schon trainiert, warum könnt ihr uns dann nicht jetzt die Halle überlassen?“

„Weil sie anderthalb Stunden lang für uns vorgesehen ist. Du kannst aber natürlich gerne mitspielen, wenn du willst!“

„Du bist so ein Arsch“, knurrte Mimi, bevor sie sich schließlich endgültig umdrehte und unter dem Gelächter der Jungs in die Umkleidekabine verschwand.
 

-
 

Rätselnd stand Sora vor ihrem Schrank, in dem sich die T-Shirts, Jeans und Sportklamotten häuften, aber leider nicht die Klamotten, die man anziehen konnte, wenn man am Abend mit seinen Freunden feiern ging.

Plötzlich klopfte jemand an ihre Zimmertür, und kurz darauf stand ihre Mutter bei ihr im Zimmer, und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sag mal, willst du noch irgendwohin?“

„Nur zu Matt auf ein Konzert“, erwähnte Sora beiläufig, während sie weiterhin in ihren Klamotten wühlte. Leider aber trug sie sehr viel lieber bequeme Sachen, als welche, in denen sie die Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Ah“, machte ihre Mutter mit ihrer typischen „der-Junge-wäre-doch-auch-etwas-für-dich“-Stimme. Wenn es darum ging, ihre Tochter an Typen zu vermitteln, gab sie wirklich nahezu alles. „Nun, Yamato ist ja schon unheimlich attraktiv. Ich hoffe, du willst dich noch umziehen!“

„Stell dir vor, ich hatte nicht vor, in Jogginghose dahin zu gehen“, murmelte Sora, genervt davon, dass ihre Mutter sich ständig in ihre Angelegenheiten einmischen musste.

Tachiko trat näher an ihre Tochter heran, und fischte ein schwarzes Top mit tiefem Ausschnitt aus dem Schrank. „Wie wäre es denn damit? Das hast du noch nie angezogen!“

„Ja, das hat ja auch einen Ausschnitt bis zum Bauchnabel“, erwiderte Sora genervt.

Ihre Mutter schüttelte bloß den Kopf. „So ein Quatsch. In deinem Alter kann man so etwas tragen!“

„Das sieht aber aus, als müsste ich irgendjemanden beeindrucken...“

„Das kann ja bei Yamato nun wirklich nicht schaden. Er ist ein anständiger Junge und wäre vermutlich ein sehr guter Schwiegersohn.“

Einige Sekunden wartete Sora ab, ob ihre Mutter das wirklich ernst gemeint hatte, doch offensichtlich schien sie wirklich zu denken, dass Matt außerordentlich vernünftig war. Sie wusste offensichtlich nicht, dass er bereits mit fünfzehn angefangen zu rauchen hatte, und sich so ziemlich jedes Wochenende betrank, aber das zu erwähnen, wollte Sora ihrem besten Freund nun wirklich nicht antun.

„Mum, ich gehe nur auf das Konzert meines besten Freundes...“, versuchte Sora es erneut, ihrer Mutter den Stand der Dinge zu erläutern, doch offensichtlich redete man da bei ihr gegen eine Wand.

„Das schließt ja nicht aus, dass aus Freunden nicht noch mehr werden könnte“, erwiderte diese ungerührt, und zwinkerte ihrer Tochter zu.

Sora seufzte. „Sag mal, wolltest du nicht essen gehen?“

„Richtig, und ich bin auch schon viel zu spät dran“, stellte Tachiko erschrocken beim Anblick ihrer Armbanduhr fest. „Na dann wünsche ich dir noch viel Spaß auf dem 'Konzert deines besten Freundes'.“

Sie schloss die Zimmertür, und für einen kurzen Moment atmete Sora erleichtert aus. Ihre Mutter konnte extrem anstrengend sein, wenn sie es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ihrer Tochter Modetipps zu geben. Allerdings hatte Tachiko schon vor längerer Zeit einsehen müssen, dass Sora sich kaum für Klamotten interessierte, sich nur in Ausnahmefällen mal schminkte und die meiste Zeit mit ihren Freunden aus dem Fußballverein oder mit Jungs verbrachte. Und das alles nur auf freundschaftlicher Ebene.

Sora konnte nicht all zu lange darüber nachdenken, denn kurz darauf klingelte es an der Wohnungstür der Takenouchis. Etwas verwirrt, wer denn um halb sechs bei ihnen klingelte, ging sie hin, und wurde danach fast von Mimi überrannt.

„Hi, Sora!“, begrüßte diese sie, und wartete gar nicht auf Soras Antwort, sondern spazierte einfach an dieser vorbei in die Wohnung.

Etwas perplex machte Sora die Tür wieder zu. „Was genau machst du eigentlich hier? Wir wollten uns erst um acht hier treffen!“

Mimi atmete tief ein und aus, was ein klares Zeichen dafür war, dass sie einen ewigen Monolog führen würde. Sora kannte sie bereits lange genug, um das feststellen zu können, und genau aus dem Grund ging sie schon einmal in ihr Zimmer, um wenigstens bequem sitzen zu können, während Mimi ihre Storys erzählte.

„Also eigentlich bin ich auch hier, weil ich Tai nicht begegnen will. Weißt du, ich bin nämlich nicht so gut auf ihn zu sprechen...“ Mimi erzählte ihrer besten Freundin von der Aktion in der Sporthalle, und davon, dass Tai jetzt ihr selbsterklärter Feind wäre. Nachdem sie ihren Sprachrausch beendet hatte, rang sie japsend nach Luft.

Sora hob eine Braue. „Und deswegen willst du ihn heute nicht mehr sehen?“

„Ja!“, bestätigte Mimi, und seufzte tief. „Sora, du ahnst gar nicht, wie viel mir Cheerleading bedeutet... das ist bei mir genauso wie bei deinem Tennis und Fußball!“

„Klar, das verstehe ich ja“, versuchte Sora sie zu besänftigen, obwohl das noch nicht einmal die Wahrheit war, „Aber meinst du nicht, dass das etwas übertrieben ist? Ich meine... Tai bedeutet der Fußball ja auch sehr viel.“

„Ja, schon“, stimmte Mimi zu. Sora erwartete eigentlich, dass danach etwas noch von ihrer Seite kommen würde, aber offensichtlich musste Mimi sich geschlagen geben.

„Ich wette, er hat schon wieder vergessen, dass ihr euch gestritten habt“, fuhr Sora schließlich fort.

Mimi sah sie mit großen Augen an. „Meinst du wirklich?“

„Klar. Ich kenne Tai seit dem Kindergarten und er ist sicherlich nicht nachtragend, was solche Dinge angeht. Mach dir da mal keinen Kopf.“

Mimi schien tatsächlich zu überlegen, ob sie ihm in diesem Leben noch eine Chance gab, und seufzte schließlich resigniert. „Na gut, dann komme ich doch heute Abend noch mit euch allen mit. Aber ich werde nicht mit ihm reden!“

Sora schnaubte belustigt, denn nicht mit Tai zu reden war die größte Strafe, die man dem extrem gesprächigen Chaoten antun konnte. Er hasste es, ignoriert zu werden. „Alles klar“, sagte Sora schließlich trotzdem.

Als hätte es das Gepspräch über Tai und Mimis schlechte Laune niemals gegeben, sprang diese auf einmal von Soras Bett wieder auf, und riss ihren Kleiderschrank auf. „Sag mal, was genau wolltest du eigentlich heute Abend anziehen?“, wechselte sie das Thema, und inspizierte mit gerunzelter Stirn das Innenleben ihres Kleiderschranks.

Sora seufzte. Sie wollte fast lieber wieder über Mimis Probleme mit Tai reden, als über ihre Klamottenwahl für heute Abend.
 

-
 

Am Abend hatten Sora, Tai, Mimi und sogar Izzy und Joe sich getroffen, um zusammen ins Gravity, einer der berühmtesten Rockklubs Tokios, zu gehen. Zwar hatten Mimi und Tai wie bereits angekündtigt kein einziges Wort miteinander gewechselt, aber Sora schwor sich, sich deswegen nicht die Laune verderben zu lassen. Sie liebte Matts Musik, aber was sie noch faszinierender fand als seinen Gesang oder sein Gitarrenspiel war es, ihn auf der Bühne zu sehen. Wo er doch sonst so introvertiert war, ging er richtig auf, sobald er seine Musik spielte und die Menge ihm zujubelte.

Gerade beendete seine Band bereits den ersten Song, und erntete dafür sehr viel mehr Applaus als die beiden Bands, die vor ihnen an der Reihe gewesen waren. Das war aber auch kein Wunder, denn das, was die Jungs da oben machten, sah in Soras Augen schon sehr professionell aus.

„Wow, krass, dass so viel Talent so lange in Tokio versteckt bleibt!“, schrie Mimi ihrer besten Freundin ins Ohr, um gegen das Gekreische des überwiegend weiblichen Publikums anzukommen.

Tai schnaubte bloß. „Jetzt tu mal nicht so, als wäre er irgendwie das achte Weltwunder oder so...“

„Er ist zumindest talentierter als du!“

„Na, das ist ja auch nicht so schwer...“

Als Sora ahnte, dass die Diskussion wieder drohte, zu eskalieren, mischte sie sich schnell in das Gespräch ein: „Ich hab dir doch gesagt, dass sie gut sind!“

Weiter allerdings kam sie nicht, denn in diesem Moment trat Matt wieder ans Mikrofon, da der Applaus halbwegs verebbt war, und lächelte in die Menge. „Hey, wir sind die Band Knife of Day.“

Der Zwischenapplaus unterbrach ihn, und auch Mimi gab so ziemlich alles, um sich von der Lautstärke her über die anderen Menschen hinwegzusetzen. Etwas verstört sah Tai zu ihr herüber.

„Das ist bereits der zweite Auftritt in diesem Klub, und diejenigen, die uns hier bereits gesehen haben, werden vielleicht wissen, dass das erste Mal nicht ganz so glatt hier gelaufen ist. Aber obwohl wir es irgendwie geschafft haben, den Verstärker kaputt zu machen, Riku zwischendurch von der Bühne gefallen ist und wir zehn Minuten lang überzogen haben, hat uns Masaru Hashiyase freundlicherweise nochmal gefragt, ob wir nicht doch noch kommen wollen. Danke dafür, dass wir heute hier sein dürfen!“

Die Menge schrie erneut, und Sora starrte ihren besten Freund fasziniert an. Es war unglaublich, dass er in der Schule eher still und abweisend war, denn sobald seine Gitarre in der Nähe war und er seine Band im Rücken hatte, entwickelte er eine ganz neue Persönlichkeit. Dieser Matt wirkte viel freier, offener und fröhlicher als der 'echte' Matt, der im Chemieunterricht die meiste Zeit schlief und sich in Kunst dieses Schuljahr bislang kein einziges Mal gemeldet hatte.

Matt stimmte ein neues Lied an, und sehr bald versuchte das Publikum, die Texte mitzusingen, wenn auch falsch und unsäglich schief. Sora allerdings kannte sie alle auswendig – die meisten hatte Matt ihr privat vorgesungen, ganz einfach, weil er wusste, dass sie so etwas wie sein größter Fan war.

Sieben weitere Songs folgten, doch dann war die Zeit für die Band offensichtlich auch schon wieder um. Als das Publikum noch eine Zugabe forderte, überzogen sie sogar wieder so lange, bis der Eigentümer persönlich sie erneut von der Bühne schmiss.

Mimi kreischte so laut wie selten zuvor, sodass Tai sich theatralisch sein rechtes Ohr hielt. „Kannst du eigentlich mal aufhören, in mein Ohr zu schreien?“, beschwerte er sich direkt.

„Was?!“, erwiderte Mimi absichtlich noch einmal lauter, und beugte sich etwas mehr zu seinem Gesicht vor, „Ich versteh' dich nicht!“

„Ich dich bald auch nicht mehr, wenn du weiterhin so herumschreist!“

Sora seufzte schwer. „Leute, bitte, reißt euch doch mal zusammen...“

Tai wandte sich erstmals wieder seiner besten Freundin zu. „Na, immerhin halten wir keine Schilder hoch mit der Aufschrift 'Matt, ich will ein Kind von dir'...“

„Wer will ein Kind von mir?“, hörten sie eine ihnen sehr bekannte Stimme, und drehten sich direkt um. Matt stand vor ihnen, und sah ziemlich verstört aus, doch er grinste eindeutig. Schweiß glitzerte auf seiner Stirn und sein Haar war etwas unförmig, ein Zeichen dafür, dass er sich auf der Bühne vollkommen verausgabt hatte.

„Ich“, antwortete Tai sarkastisch. „Wegen Mimi hab ich jetzt Ohrenschmerzen!“

„Das sagst du immer, und trotzdem kommst du immer wieder“, erwiderte Matt unbeeindruckt.

„Ich möchte eben die Männerquote hier steigern.“

„Ihr wart auf jeden Fall richtig gut“, lenkte Sora wieder vom Thema ab, und lächelte Matt an. „Wie immer eben.“

„Plant ihr schon eine Tour durch Amerika?“, fragte Mimi, die offensichtlich sehr einverstanden mit dem Themen- und Gesprächspartnerwechsel zu sein schien.

Matt hob perplex die Augenbrauen. „Äh, gerade sind wir schon begeistert, dass wir überhaupt noch einmal hier spielen durften, seitdem beim letzten Mal so ziemlich alles schief gegangen ist... hey, Izzy und Joe, ihr seid ja auch da! Wie fandet ihr es so?“, wandte er sich schließlich an die beiden, die die ganze Zeit etwas abgeschlagen in ihren gebügelten Hemden herumstanden und so aussahen, als würden sie hier nicht hingehören.

„Laut und beengt“, erwiderte Izzy, der ein wenig verstört aussah.

Joe allerdings machte eine abschweifende Handbewegung. „Ach, das ist doch unwichtig... die Hauptsache ist doch, dass ihr Spaß hattet!“

Tai grinste. „Da habt ihr die Bestätigung, dass ihr scheiße wart.“

Matt grinste ebenfalls, denn dass eher das Gegenteil der Fall war, hatte sich vorhin durch den immensen Applaus bestätigt. „Ja, ich merk's schon... Also, wer gibt die nächste Runde aus?“ Er sah erwartungsvoll seine Freunde der Reihe nach an.

„Ich glaube, Tai ist dran“, meldete Mimi sich zu Wort, und auch, wenn sie damit nicht Unrecht hatte, sah Tai sie genervt an.

„Okay, ich bin ja schon unterwegs“, murmelte dieser nur, und machte sich direkt auf den Weg zur Bar. Er drängte sich vorbei an die vielen betrunkenen, tanzenden Menschen, bis schließlich jemand in ihn hereinrannte. „Hey, pass doch auf!“, fluchte er.

Er hörte ein Kichern, das ihm gar nicht mal so unbekannt vorkam. „Sorry, aber Boden is' hier irgendwie so uneben...“

Tai sah das Mädchen schockiert an. „Kari?!“

„Tai?!“, erwiderte seine Schwester in demselben Tonfall, und schien erst jetzt ebenfalls zu bemerken, in wen sie da eigentlich hineingelaufen war. „Ooh, was ne Überraschung... willst du mir zufällig was ausgeben? Wodka-O oder so?“

Tai starrte seine kleine, 15-jährige Schwester fassungslos an. Es waren so viele Fragen, die er ihr stellen wollte, und legte deshalb direkt drauflos: „Kari, wie zum Teufel bist du hier reingekommen? Der Klub ist erst ab achtzehn!“

Kari grinste. „T.K. Und ich sind durchs Klofenster geklettert. Gut, oder?“, fragte sie stolz.

„Auf so ne bescheuerte Idee sind Matt und ich damals noch nicht einmal gekommen“, murmelte Tai etwas überfordert.

„Dann ein Hoch auf unsere geniale Idee! Cheers!“, rief Kari, streckte ihr Glas in die Höhe und nahm einen kräftigen Schluck daraus.

Tai fackelte nicht lange, sondern riss ihr das Glas danach direkt aus der Hand und nippte daran. Schließlich verzog er angewidert das Gesicht. „Ieh, was ist das?“

„Cola!“, erwiderte seine Schwester unschuldig, und kicherte.

„40% Cola und 60% Wodka, oder was?!“

Kari sah ihn mit großen Augen an. „Du weißt, dass Mathe nich' meine Stärke is'...“

Darauf ging Tai nicht weiter ein, sondern stellte direkt die nächste Frage: „Wo ist T.K. Überhaupt jetzt?“

„Der ist vor einiger Zeit aufs Klo gegangen, glaub ich...“

Tai seufzte abgrundtief. „Na klar, wohin sonst?“ Er griff nach Karis Handgelenk und zog sie hinter sich her, wobei er vollkommen ignorierte, was sie ihm noch mitzuteilen hatte.

„Heey! Ich werde gekidnapt!“, protestierte sie, doch da war Tai bereits wieder bei seinen Freunden angekommen.

Er tippte Matt auf die Schulter, der sich bis dahin angeregt mit Mimi und Sora unterhalten hatte, und welcher sich nun überrascht umdrehte. Zwar wollte er erst fragen, wie Tai es wagen konnte, ohne Bier zurückzukehren, doch dann fiel sein Blick auf Kari und er schluckte seine Worte hinunter.

„Es gibt ein kleines Problem“, sagte Tai, obwohl Matt sich das fast hätte denken können. „Kari hat gesagt, T.K. Wäre gerade schon seit längerer Zeit auf dem Klo...“

Matt und Tai brauchten nur kurze Blicke auszutauschen, als Matt sich schließlich von den anderen verabschiedete und aufs Jungsklo eilte. Die beiden Jungs wussten aus Erfahrung zu gut, was betrunkene Menschen so lange auf dem Klo machten, und dabei war Hilfe meistens gar nicht mal so unangemessen.

„Boaah, irgendwie dreht sich hier alles“, meldete schließlich Kari sich wieder zu Wort, und machte einen Ausweichschritt, um nicht umzukippen.

„Komm, wir gehen auch mal kurz aufs Klo“, murmelte Tai, und zog sie weiter mit sich bis zum anderen Ende des Klubs.

„Hää, ich muss aber gar nich'!“, erwiderte Kari verwirrt.

Tai ignorierte all ihre Einwände, bis sie die Mädchentoilette erreicht hatten.

Drinnen standen gerade zwei Mädchen vor den Spiegeln und hätten sich fast bei Tais Anblick vor Schreck mit der Mascara ins Auge gestochen. „Hallo, wenn ihr schon rummachen müsst, dann bitte woanders!“, sagte eine von ihnen entrüstet, doch Tai schubste Kari einfach weiter in Richtung Kabinentür.

„Er is' mein Bruder!“, rief Kari noch schockiert, bevor Tai die Tür hinter ihnen zuknallte.

„Du wirst mir morgen dafür danken“, sagte Tai, und sah seine Schwester direkt an.

„Ganz sicher nich'!“, erwiderte diese, und gestikulierte wild mit dem Zeigefinger vor sich herum. „Ich bin erwachs'n und ich weiß, was gut ist und was – Gott, ist mir schlecht...“

Sie beugte sich sofort über die Toilette, und erbrach sich.
 

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"Ich gehe schonmal mit Kari nach Hause. Also wenn sie gehen könnte – wir haben ein Taxi bestellt", erschien wenig später eine Nachricht von Tai auf Soras Handy in der What's App-Gruppe ihrer Clique.

"T.K. und ich auch, feiert noch schön", kam kurz darauf eine Nachricht von Matt dazu.

Sora seufzte, und legte ihr Handy weg. Sie hatte sich eigentlich darauf gefreut, mal wieder mit allen zusammen feiern zu gehen und alle Sorgen zu vergessen, doch nun mussten Matt und Tai ihre betrunkenen Geschwister nach Hause bringen, Joe und Izzy schwebten in einem Zustand zwischen Schlaf und Wachsamkeit und Mimi unterhielt sich schon seit einigen Minuten mit Riku, dem Gitarristen von Matts Band. Das einzige, was Sora von ihrem Gespräch mitbekommen hatte, war ein schlechter Witz von Riku über Amerikaner gewesen. Mimi wäre fast vom Hocker gefallen vor Lachen.

„Und, werdet ihr beim nächsten Mal wiederkommen?“, fragte sie schließlich an Joe und Izzy gewandt, um sich wenigstens mit irgendjemanden zu unterhalten.

„Nur, wenn ich nicht gerade zufällig ganz viel zu tun habe“, erwiderte Izzy.

„Und ich, wenn ich nicht gerade für einen Test lernen muss“, stimmte Joe zu. „Sagt mal, wann wollt ihr eigentlich so gehen?“

„Am Liebsten jetzt, aber ich wollte nicht der Spießer sein, der es zuerst anspricht“, sagte Izzy, und sprang sofort erleichtert auf. Dann sah er zu Sora herüber, die nur müde lächelte, und gedankenverloren an ihrem Glas nippte. „Willst du nicht mitkommen, Sora?“, fragte er ein wenig besorgt, denn es war kaum zu übersehen, dass Sora sich definitiv nicht in der Gesellschaft von Mimi und Riku amüsierte.

Sora sah zu ihrer besten Freundin herüber, welche gerade einen Arm um Rikus Schulter gelegt hatte. „Eigentlich schon, aber ich fürchte, ich kann Mimi jetzt nicht alleine lassen“, sagte sie schließlich. „Aber kommt gut nach Hause.“

Izzy hob die Schultern. „Okay, dann mach's gut. Und schick' uns 'ne Nachricht, sobald du zu Hause angekommen bist!“

Sora sah den beiden hinterher, wie sie erleichtert diesen Klub verließen. Izzy und Joe würde sie hier so schnell nicht wiedersehen, aber sie musste zugeben, dass das auch so ziemlich der beschissenste Abend seit Langem gewesen war. Ohne Matt und Tai war es irgendwie gleich sehr viel langweiliger, vor allem, wenn Mimi die ganze Zeit nur mit einem rothaarigen Gitarristen flirtete.

Sie zog ihr Handy wieder aus der Hosentasche und tippte darauf herum, ohne überhaupt zu registrieren, was sie sich da anschaute. Sie wollte einfach nur so wirken, als hätte sie irgendetwas zu tun. Nicht, dass man ihr auch noch anmerkte, dass all ihre Freunde sie verlassen hatten, und die letzte Freundin ihr absolut keine Aufmerksamkeit schenkte.

„Hey, hast du Matt gesehen?“, fragte schließlich jemand hinter ihr, und als sie sich umsah, blickte sie in die dunklen, freundlichen Augen von Yoshi, dem Drummer von Matts Band. Sie kannte Yoshi gut und hatte sich bereits unzählige Male mit ihm unterhalten, weshalb sie ihm auch mehr vertraute als Riku, der offensichtlich hin und wieder nur mal für seine kurzen Affären bekannt war.

Sora lächelte ihn erleichtert an. „Der ist schon nach Hause gegangen... seinem Bruder ging es nicht so gut.“

„Oh“, machte Yoshi nur mit gehobener Braue, und setzte sich zu Sora, wofür sie ihm sehr dankbar war. Gleichzeitig aber wusste auch sie, dass er das vermutlich nur machte, weil sie wirklich einsam ausgesehen haben musste.

Riku und Mimi prusteten nun laut auf vor Lachen und Mimi ruderte hilflos mit ihren Armen um nicht vom Stuhl zu fallen, weshalb Yoshi sie perplex ansah. „Ich bin mir nicht so sicher, ob es den beiden gut geht“, sagte er schließlich.

Sora fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, da sie jetzt erst merkte, wie müde sie eigentlich war. „Deswegen bin ich auch nur überhaupt noch hier geblieben...um auf Mimi aufzupassen.“

Yoshi sah sie verwirrt an. „Hä?“

Sora setzte gerade zur Erklärung an, als sie auf einmal jemand von hinten antippte. „Hey Sora, Riku und ich gehen schonmal nach Hause“, gab Mimi zu bemerken, und klammerte sich krampfhaft an Soras Stuhllehne fest, um nicht umzukippen.

Alarmiert sah Sora sie an. „Zusammen?“

Mimi kicherte. „Ja, natürlich, du Dummerchen! Riku wollte mir seine Gitarren zeigen...“

Sora tauschte vielsagende Blicke mit Yoshi. Denn dass er ihr nicht nur seine 'Gitarren zeigen' wollte, war ja wohl so offensichtlich, dass selbst Mimi das eigentlich bemerken sollte, obwohl sie schon ziemlich betrunken war.

„Mimi, ich weiß echt nicht, ob das so eine gute Idee ist“, versuchte sie erst vorsichtig, ihre beste Freundin davon abzubringen, mit einem Typen mitzugehen, den sie gerade erst kennengelernt hatte. Allerdings wusste sie auch, dass Mimi sich nur selten von irgendjemandem etwas sagen ließ, auch, wenn sie kurz davor war, schwere Fehler zu begehen.

„Warum nicht?“, protestierte Mimi sofort, und unterbrach sich selbst, weil sie langsam Schluckauf bekam. „Sora, du bist nicht meine Mum!“

Sora sah hilflos zu Yoshi herüber, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. „Ich kenne Riku. Er wird sie schon nicht vergewaltigen, und außerdem ist er einer von meinen und Matts besten Freunden.“

Sora seufzte tief. „Ja, genau das beunruhigt mich ehrlich gesagt nur noch mehr...“

„Also, wir gehen dann jetzt... schönen Abend euch noch!“, verabschiedete Mimi sich, und verschwand dann mit Riku nach draußen.

Sora sah ihnen hinterher, und merkte, wie sie ihr schlechtes Gewissen jetzt schon einholte.



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