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Fate/Royale

von

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Magische Feder

„Mist“, fluchte ich unterdrückt, als mir ein Stückchen Eierschale in das Rührei fiel. Eilig fischte ich die ungeplante Beilage aus der Pfanne. Elisabeth konnte ich bereits in ihrem Zimmer rumoren hören, also würde sie wohl jeden Moment in der Küche auflaufen und sicher über ein leckeres Frühstück bestimmt freuen. Ein bisschen seltsam war es schon, wie sehr der Alltag uns beide, meinen Master und mich, in diesem Gralskrieg eingeholt hatte. Es fühlte sich irgendwie überhaupt nicht nach Krieg an und beinahe könnte man vergessen, welche Gefahren in einem Gralskrieg drohten. Selbst unterwegs hatte immer alles ganz normal gewirkt und wüsste ich nicht um die Heldengeister, hätte ich womöglich gar nicht geahnt, was sich anbahnte. Allein der Kampf Tristans hatte mich daran erinnert, dass die ganze Stadt Schauplatz eines gigantischen Krieges sein würde, in dem viele Leute sterben würden, Heldengeister und Menschen. Zeuge eines Kampfes war ich allerdings bisher nicht direkt geworden. Man könnte glatt meinen, es gäbe gar keine Auseinandersetzungen, doch wer konnte schon sagen, wie schnell sich das ändern würde? Vermutlich konnte ich von Glück sagen, dass alle Servants, auf die ich bisher getroffen war, mir freundlich begegnet waren.

Merlin sah ich zwar zwiegespalten, aber ich glaubte nicht, dass er ohne Vorwarnung mit dem Schwert auf mich losginge. Diogenes schien eher desinteressiert. Tristan mochte mich zwar offenkundig nicht, jedoch waren wir Verbündete und solange wir umzingelt waren von Feinden und er nicht wusste, wie machtlos ich in Wahrheit war, stünde ich nicht oben auf seiner Abschussliste. Bei Cú Chulainn war ich mir nicht ganz so sicher. Zwar hatte Caster versucht, uns als Verbündete zu gewinnen, aber ich traute ihm zu, mich gnadenlos wegzuputzen, wenn wir uns als Gegner gegenüberstünden. Gleiches galt für Gilgamesh. Wobei all diese Gegner wohl nur mich auslöschen und Elisabeth verschonen würden. Während dieser Gedanke etwas Tröstliches hatte, machte er mir zugleich auch Angst. Ich wollte nicht sterben! Einen Kampf gegen einen dieser Helden konnte ich jedoch nicht gewinnen. Außerdem gab es ja noch den ominösen Heldengeist, der Elisabeth den Katalysator gegeben hatte, der zu meiner Beschwörung führte. Wer immer es war, er hatte meinen ersten Master getötet und dann aus mir unerklärlichen Gründen entschieden, dass ich dennoch an diesem Gralskrieg teilnehmen sollte. Kannte er vielleicht die Person, die das Buch früher besessen hatte? Vielleicht war er ja sogar der Liebste der Zauberin, der Gilgamesh das Buch überlassen hatte und die dafür ihre Heimat hatte verlassen müssen?

Angestrengt rieb ich mir die Schläfen. Auch wenn ich keine Kopfschmerzen hatte, fühlte es sich an, als müsste ich sie haben. Wenn Elisabeth gefrühstückt hatte, könnte ich sie ja noch einmal nach dem Servant fragen. Ihre letzte Beschreibung war zwar absolut nicht hilfreich gewesen, doch vielleicht war mir ja das Glück hold und mein kleiner Master wurde dieses Mal etwas konkreter in ihren Angaben. Wenn ich auch nicht davon ausging, den Servant mit Namen zu kennen, wäre es doch nicht schlecht, wenigstens Ausschau nach ihm halten zu können, während wir unterwegs waren. Das letzte Mal hatten wir uns ja leider verpasst, aber vielleicht wollte er ja auch mit mir sprechen? Wenn ich mit meiner Vermutung richtig lag, könnte ich viel über die Zauberin von einst lernen und vielleicht auch darüber, wie sie das Buch benutzt hatte. Natürlich könnte ich auch das Buch fragen, aber ich war mir fast sicher, dass es mir darüber nichts erzählen würde. Bisher hatten wir irgendwie keinen so guten Draht zueinander gefunden und dann ausgerechnet nach jemandem zu fragen, der für es gestorben war, erschien mir unpassend.
 

„Morgen, Caster“, murmelte Elisabeth mit einem unterdrückten Gähnen. „Guten Morgen, Master“, erwiderte ich den Gruß und schmunzelte etwas ob des Anblicks, der sich mir bot. Eli war offenbar wirklich gerade erst aufgewacht, denn sie war noch nicht umgezogen und ihr ungekämmtes Haar stand in alle Richtungen ab. „Was gibt es zum Frühstück?“, nuschelte Elisabeth leise und rieb sich dabei müde über die Augen. „Rührei und Toast. Möchtest du ein paar Schinkenwürfel in deinem Ei?“ Elisabeths Antwort auf meine Frage war ein träges Kopfschütteln. „Hast du nicht gut geschlafen, Master?“, hakte ich vorsichtig nach, als ich ihr den Teller mit zwei Scheiben Toast und dem Rührei vor die Nase schob. Wieder schüttelte Eli den Kopf. „Ich glaube“, meinte sie und griff nach ihrer Gabel, „dass ich schlimme Träume hatte, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wovon ich geträumt habe.“ Nachsichtig strich ich ihr über den Rücken. „Es waren nur Träume. Bestimmt kommt das von den Süßigkeiten vorm Zubettgehen“, feixte ich und erntete sofort einen empörten Blick. „Gar nicht wahr! Das denkst du dir doch nur aus, Caster“, beschwerte sich mein kleiner Master wie auf Knopfdruck, wirkte nun aber schon ein gutes Stückchen wacher als zuvor. „Ich habe dich gewarnt“, merkte ich scherzend an. Mit einer ähnlichen Lüge hatten meine Eltern meine Schwester und mich damals auch davon abhalten wollen, spät am Abend noch zu naschen. Elisabeth zog eine Schnute und wandte sich ihrem Frühstück zu.

„Besuchen wir heute deinen Onkel Marlin?“, fragte ich nach einer Weile betont beiläufig. Elisabeth musste ja nicht erfahren, dass ich ausnahmsweise ganz scharf darauf war, ein paar Worte mit ihrem Onkel zu wechseln. Auch wenn sie die Streitigkeiten zwischen den Magier der Blumen und mir bisher nie aktiv mitbekommen hatte, war ich mir doch ziemlich sicher, dass Eli sehr genau wusste, dass Merlin und ich uns nicht grün waren. Elisabeth war einfach zu alt, als dass man das noch vor ihr geheim halten könnte. „Au ja! Dann gibt es bestimmt auch wieder superleckeren Nudelauflauf“, begeisterte Elisabeth sich sofort mit strahlenden Augen. Das verbuchte ich als „Ja“. „Was hältst du davon, wenn du ihm ein Foto von Conny machst, damit er sieht, wie schön sie hier blüht?“, schlug ihr Eli vor, die sofort nickte. „Das mache ich!“, freute sie sich. „Connys Blume ist schon richtig groß geworden. Da wird Onkel Marlin bestimmt stolz sein.“ Das hoffte ich doch für ihn. Nicht, dass ich an Elisabeths Fähigkeiten zweifelte, aber bei mir starben Pflanzen für gewöhnlich und Conny hielt sich wacker.

„Aber erst nach dem Frühstück“, bremste ich Elisabeth, die vor lauter Enthusiasmus schon von ihrem Stuhl gesprungen war, um ihren Worten Taten folgen zu lassen. Bestimmt nickte ich zu ihrem Teller. „So lange wird Onkel Marlin bestimmt noch warten können.“ Betont gelassen setzte ich mich Eli gegenüber, doch insgeheim ging es mir wie ihr. Am liebsten wäre ich direkt losgerannt, um Merlin mit Fragen bezüglich magischer Federn zu bombardieren. Wenn irgendjemand wusste, wo man eine herbekam oder sogar selbst eine besaß, dann doch wohl er, immerhin gehörte der Magier der Blumen zu den drei Grand Castern des Fate-Universums. Mit etwas Glück könnte ich Merlin überzeugen, mir eine seiner magischen Federn auszuleihen, immerhin ging es dabei vor allem um Elisabeths Wohl. Wenn ihn das nicht überzeugte, müsste ich meinen eigenen Schlüsse daraus ziehen, insbesondere im Hinblick auf Merlins Beziehung zu meinem Master. Dass längst irgendetwas lief, in das Merlin verwickelt war, war ja ohnehin offensichtlich. Erst hatte ich Tristan bei ihm getroffen, dann Arthur ganz in der Nähe. Wer da noch an Zufälle glaubte, war naiv. Und irgendwie war auch Elisabeth Teil der Pläne des Incubus, wenn ich auch noch nicht wusste wie. Sollte er die kleine Eli wirklich nur benutzen wollen, für welchen irren Plan auch immer, würde ich ihm einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen!
 

„Schach matt!“, freute sich Elisabeth ungeniert über ihren dritten Sieg in Folge, während ich nichts tun konnte, als wieder überrascht auf das Schachbrett zu starren. Anfangs hatte ich noch gedacht, ich müsse Rücksicht nehmen, weil Eli so jung war, aber wie sich schnell herausstellte, hatte sie sehr viel mehr Übung im Schachspiel als ich und schlug mich mühelos. Das letzte Mal, dass ich Schach gespielt hatte, war ich so alt gewesen wie Eli jetzt. So gut wie sie war ich allerdings nicht gewesen, da war ich mir sicher. Schon allein, weil mein einziger Gegner meine jüngere Schwester gewesen war. Das weckte Erinnerungen. Wie es meiner Schwester wohl ging? Bestimmt fragte sie sich, was mit mir passiert war. Einfach abzutauchen war so gar nicht meine Art und auch wenn es so ein Ding in unserer Familie war, sich nur alle paar Wochen überhaupt mal zu melden, müsste sich mein Verschwinden inzwischen herumgesprochen haben. Schon allein, weil ich nicht zur Arbeit gekommen war. Vorausgesetzt natürlich, irgendjemand hatte sich ins Büro bewegt. Sonst würde auch da tagelang keinem auffallen, dass ich fehlte. Irgendwie erschreckend, dass ich das für gar nicht so unwahrscheinlich hielt. Allerdings brachte es mir überhaupt nichts, mir das Hirn darüber zu zermartern, was bei mir zuhause passierte, solange ich hier festsaß und nichts daran ändern konnte. Ich brauchte den verdammten Gral und musste dann darauf bauen, dass der meine Vorstellung davon, wie ich nach Hause kam, auch umgesetzt bekam. Daran, was dabei alles schief gehen konnte, selbst wenn ich den Gral in die Finger bekam, wollte ich gar nicht denken. Einen Schritt nach dem anderen - und der Erste war, diesen Krieg zu gewinnen. Mit Gilgameshs Hilfe hatten wir jetzt sogar realistische Chancen, auch wenn ich dessen Master auf keinen Fall außer acht lassen durfte. Wie der darüber dachte, dass sein Servant so eigenwillig war und sehr wahrscheinlich wenig für ihn übrig hatte, wusste ich nicht, aber es würde mich nicht wundern, wenn Gilgameshs Master ziemlich genervt von seiner einzigen Verteidigung in diesem Krieg war. Wenigstens kannte zumindest ich den König der Helden gut genug, um zu wissen, dass er wenig darauf gab, was sein Master wollte oder nicht, und keine Hemmungen hatte, sich eines in seinen Augen langweiligen Masters zu entledigen. Er hatte es einmal getan und wäre ich Gilgameshs Master würde ich dafür Sorge tragen, interessant genug bleiben, um nicht mit einem Dolch im Rücken mein Ende zu finden, während mein Servant lächelnd danebensaß. Dass das Leben als Servant sicherer war, konnte ich jedoch auch nicht behaupten. Nicht nur, dass mir so ziemlich jeder andere Servant früher oder später an den Kragen wollte, musste ich auch an Elisabeth denken. Mein Leben war an ihres gebunden, in mehr als einer Hinsicht. Starb sie, verlor ich meine Manaquelle. Gleichzeitig sorgte meine Anwesenheit dafür, dass sie überhaupt erst in Gefahr geriet. Entledigte sie sich meiner, wäre sie als ausgeschiedene Magierin sicher.

„Du spielst wirklich nicht besonders gut, Caster“, riss mich Elisabeths Kichern aus meinen Gedanken. Ertappt starrte ich meinen Master einen Moment lang an, bevor ich mir verlegen den Hinterkopf rieb. „Ich fürchte nicht. Tut mir leid, Master“, murmelte ich halbherzig. „Ich bringe es dir bei! Dann wirst du richtig gut und kannst mit dem König spielen. Bestimmt würde ihm das gefallen“, ereiferte sich Elisabeth begeistert, ehe sie mich plötzlich bitterernst ansah. „Aber keine Erwachsenensachen machen, wenn ich da bin!“ Verdattert starrte ich sie an. Was in aller Welt ging nur in ihrem Kopf vor sich, dass sie allen Ernstes glauben konnte, zwischen Gilgamesh und mir würde irgendetwas laufen? Okay, ja, vielleicht hatte ich ein bisschen sehr an seinen Lippen gehangen, als er aus dem Nähkästchen geplaudert hatte, aber es kam ja auch nicht alle Tage vor, dass man einen Zeitzeugen seiner Epoche in die Finger bekam! „Versprochen, Caster?“, drängte Eli, wobei sie sich über das Schachspiel zu mir beugte. Ich nickte starr. „Versprochen“, antwortete ich platt. Zählte Alkohol auch zu Erwachsenendingen? Vermutlich sollte ich nicht versuchen, das mit dem König der Helden auszudiskutieren. Seufzend schob ich den Gedanken beiseite. „Komm, wir machen uns auf den Weg zum Onkel Marlin. Wir wollen doch nicht zu spät zum Mittagessen kommen, oder?“ Eli war so schnell aufgesprungen, dass sie das Schachbrett beinahe umgerissen hatte. „Ich hole nur schnell meine Jacke“, flötete sie mir entgegen und war auch schon gen Flur gerast. Schmunzelnd sah ich ihr nach.
 

Von der Wohnung aus konnte man den Park schon sehen, der auf etwa halber Strecke lag, und der für mich der einzige Wegpunkt war, an dem ich mich orientieren konnte. Wurde wirklich höchste Zeit, dass ich mir eine Karte der Stadt ansah, immerhin wusste ich bis jetzt immer noch nicht, wie groß Chronos eigentlich war. Generell wusste ich einfach noch viel zu wenig über die Gegebenheiten. Nicht, dass ich einen Plan hätte, wie irgendetwas davon mir weiterhelfen könnte, Elisabeths und mein Leben zu schützen, aber so hätte ich wenigstens das Gefühl, etwas versucht zu haben. Es war frustrierend, so machtlos zu sein, und ich wollte mich nicht darauf verlassen, dass das Buch mir zuverlässig aus der Patsche half, auch wenn es offenbar eine gewisse Loyalität Eli gegenüber empfand, sofern Bücher denn etwas empfinden konnten. Das warf in gewisser Weise nur noch mehr Fragen auf, die ich lieber auf später verschob, auch wenn es an mir nagte, nicht zu wissen, ob das Buch vielleicht selbst einen Wunsch an den Gral hatte und ich hingegen selbst im Falle eines Sieges überhaupt nichts zu melden hätte. Was würde dann aus mir werden? Kehrte ich in meine Welt zurück oder würde ich einfach sterben und… was auch immer dann folgte. Ich hatte es nicht eilig, das herauszufinden.

Eine frische Brise wehte uns entgegen, als Eli und ich die Straße an einem Zebrastreifen überquerten. Die hohen Bäume, die das Parkgelände umrahmten, konnte ich schon sehen, doch der Rest lag noch verborgen hinter einer Reihe Häusern, die den Rand des Stadtkerns bildeten. Außer Elisabeth und mir war jedoch kaum jemand unterwegs, sodass alles verlassen und recht kahl wirkte. Die Ausgangssperre galt zwar erst für abends, aber offenbar hatte sie bei vielen Leuten für Unwohlsein gesorgt. Verstehen konnte ich das allemal. Auch wenn Ruler nicht ins Detail gegangen war, was die Gründe für die Sperre anging, konnte sich doch jeder seinen Teil denken. Wäre ich ein Master, ich würde auch versuchen, mir zuhause eine sichere Festung zu schaffen, anstatt sorglos durch die Innenstadt zu bummeln. Selbst wenn man kein Teilnehmer war, musste das Ganze einen unangenehmen Beigeschmack haben. Wer immer servantlose Master attackierte, würde wohl nicht erst nett fragen, ob man bereits ausgeschieden war oder ausscheiden wollte. Die Stadt war gefährlich geworden. Nein. Sie war es schon die ganze Zeit, ich hatte das nur nicht wirklich erkannt. Niemand könnte sagen, wie viele Opfer dieser Krieg fordern würde. Wie viele Leute nahmen überhaupt teil? War ihnen denn nicht klar, dass das Ganze in ein Gemetzel ausarten und vielleicht hunderte Leben kosten würde? Wurden Morde im Gralskrieg eigentlich danach rechtlich verfolgt? Wenn ja, würde das hier wohl eher ein kalter Krieg mit einer Handvoll Wahnsinniger, die dennoch bereit wären, sich die Hände mit Blut zu beflecken.

Am liebsten hätte ich mir einfach alle Teilnehmer geschnappt und ihnen einen gesalzenen Vortrag darüber gehalten, warum es eine wirklich selten blöde Idee war, dem Gral seinen Wunsch mitzuteilen. Mal ehrlich: War ihnen nicht aufgefallen, dass dabei irgendwie nie etwas Gutes bei rumkam? Jedes Mal endete ein Wunsch in Leichen und Zerstörung. Man sollte meinen, inzwischen wäre jemand auf den Trichter gekommen, dass der Gral vielleicht doch nicht so die allerbeste Problemlösung darstellte. Obendrein wollten mit Sicherheit einige das Gleiche, sodass es Sinn machen würde, sich zusammenzutun. Ob schonmal jemandem die Idee gekommen war, demokratisch wählen zu lassen, welchen Wunsch der Gral erfüllen sollte? Dann könnten alle anderen Teilnehmer im Fragefall ausscheiden und das Problem Krieg hätte sich von ganz alleine gelöst. Aber nein! Nein, natürlich nicht! Lieber gab man sich kräftig aufs Maul, ungeachtet der Folgen für die Beteiligten und ihre Angehörigen. Für eine Spezies, die sich selbst als zivilisiert bezeichnete, war das schon ein ziemliches Armutszeugnis, aber letztlich war die Gier wohl in den meisten Menschen einfach zu stark, als dass die bereit wären, auf ein so mächtiges, magisches Relikt und den damit verbundenen Wunsch zu verzichten. Vermutlich sollte ich bei einigen meiner Verbündeten genauer hinterfragen, was sie sich überhaupt wünschen wollten. Gilgamesh glaubte ich, dass es ihm ums Prinzip ging, aber was war mit Cú Chulainn, Merlin, Diogenes oder auch Tristan und Mary? Zumindest bei Tristan würde ich wetten, dass er mit seiner liebsten Isolde wiedervereint werden wollte, aber besonders bei Merlin bereitete mir das Ganze Bauchschmerzen. Der Magier der Blumen erschien mir wie ein nicht lösbares Rätsel, dessen Fragestellung ich noch nicht einmal begriffen hatte. Ein bisschen wie Astrophysik.
 

„Pst, Caster.“ Elisabeth zuppelte an meinem Ärmel, doch ihr Blick war von mir abgewandt. „Mh?“, machte ich noch, dann entdeckte ich auch schon, worauf sie mich hatte aufmerksam machen wollen. Cú Chulainn. Wenn man an den Teufel dachte, war er nicht weit. Ob es zu spät war, um einfach umzudrehen und wegzugehen, bevor er uns erreichte? Vermutlich schon, denn er winkte uns bereits zu. Stumm seufzte ich in mich hinein, hob dann aber die Hand zum Gruß. Vielleicht könnte mir der Ire ja weiterhelfen, an eine magische Feder zu kommen. Zwar war er mit seiner Runenmagie sicher nicht der belesene Typ Caster, aber fragen kostete bekanntlich ja nichts. „Hey Caster“, begrüßte ich Cú Chulainn eher halbherzig, der sich davon nicht beirren ließ und über das ganze Gesicht strahlte, als habe ich ihm Kuchen angeboten. „Kleine Dame und Caster, wie schön euch zu sehen“, flötete der blauhaarige Mann uns entgegen. „Hallo Caster“, meinte Elisabeth fröhlich. Ihre Freude konnte ich nicht so richtig teilen. Ob Cú Chulainn unser Verbündeter wurde, war noch nicht endgültig geklärt, auch wenn ich zu einem „Ja“ tendierte, allein, um ihm nicht zeitnah als Feind gegenüberstehen zu müssen.„Macht ihr etwa einen Spaziergang?“, wollte er wissen, wartete aber keine Antwort ab, sondern fuhr direkt fort. „Ihr habt doch sicher nichts dagegen, wenn ich euch begleite.“

Ehe ich es mich versah, hatte sich Cú zwischen Eli und mich gedrängt, uns beiden je einen seiner Arme anbietend. Mein kleiner Master hakte sich sofort ein, sodass ich nach kurzem Zögern ihrem Beispiel folgte. „Ist dein Master nicht bei dir, Caster?“, wollte Eli neugierig wissen. Cú schüttelte nur den Kopf. „Heute nicht. Er hat viel zu tun“, erklärte er gelassen, doch in meinen Ohren klang das wie eine Ausrede, weil Cú eigentlich geschickt worden war, um irgendetwas zu tun. Was auch immer Lord El-Melloi III. dem Kind des Lichts auftragen mochte, es beinhaltete bestimmt nicht, gemütlich mit Eli und mir am Parkrand entlangzuschlendern. „Und wohin seid ihr zwei unterwegs?“, erkundigte sich Cú, der jedoch gar nicht zuzuhören schien, wie Elisabeth ihm erklärte, dass sie auf dem Weg zu ihrem Onkel war. Vielmehr fixierte der Caster mich mit seinem Blick, als erhoffe er sich von mir eine andere Antwort. Einige Sekundenbruchteile hielt ich seinem Blick stand, dann wandte ich mich ab. Es fühlte sich fast etwas gruselig an, wenn er einen so aus roten Augen anstarrte. Beinahe, als ahne er, dass ich einen ganz anderen Grund für diesen Ausflug hatte, dabei konnte er davon unmöglich wissen. Noch nicht zumindest. Ich musste einen günstigen Moment abpassen, um ihn nach einer magischen Feder zu fragen. Selbst wenn er selbst keine besaß, könnte Cú mir vielleicht sagen, wo ich eine fände.

„Ich möchte Onkel Marlin von Conny erzählen“, meinte Elisabeth gerade, als ein kleiner Hund ihre Aufmerksamkeit weckte. Das zottelige Tier, das mich an eine Mischung aus einem dieser potthässlichen Pelzkissen und einem Flummi erinnerte, hing am Ende einer roten Leine, deren genauer Zweck sich mir ein bisschen entzog. Solange der Hund sich nicht bewegte, sah er einem altmodischen Wischmopp zum Verwechseln ähnlich. „Oh, der ist aber niedlich!“, entfuhr es Elisabeth begeistert, was der Besitzerin, einer älteren Dame mit grauem Haar, ein Lachen entlockte. „Möchtest du ihn streicheln?“, bot sie an. Eli ließ sich nicht zweimal bitten und ging sofort vor dem kleinen Tier in die Hocke, bei dem ich nicht einmal sagen konnte, ob Eli nun seinen Kopf oder das Hinterteil tätschelte. „So ein lieber Hund!“, freute Elisabeth sich. Wenn es denn überhaupt ein Hund war. Soweit es mich betraf, könnte es sich ebenso gut um einen überaus hässlichen Chinchilla oder einen Badezimmervorleger handeln. Könnte ich tatsächlich zaubern, wäre ich vielleicht der Versuchung erlegen, der Flusenkugel ein paar Wackelaugen anzuzaubern. Vielleicht auch am falschen Ende, welches das auch immer sein mochte.

Elis ganze Aufmerksamkeit galt dem Vierbeiner. Meine jedoch gehörte ganz Cú Chulainn. Auch wenn ich ihm eben noch hatte ausweichen wollen, kam er im Grunde wie gerufen und das gleich aus zwei Gründen. „Mit dir wollte ich ohnehin sprechen“, begann ich ohne Umschweife, als Cú meinen bohrenden Blick auffing. Schnell warf ich einen prüfenden Blick zu Elisabeth, die sich inzwischen angeregt mit der Hundebesitzerin unterhielt. Beide machten einen ziemlich zufriedenen Eindruck und ein prüfender Blick verriet mir, dass auf der Hand der alten Lady keine Befehlszauber prangten. Sie war also kein Master. Gut. So konnte auch ich mich etwas entspannen und guten Gewissens Cú Chulainn zuwenden, der mich neugierig ansah. „Das klingt ja fast, als hättest du nach mir gesucht, Süße“, flötete der blauhaarige Mann mir entgegen. Demonstrativ rollte ich mit den Augen. „Nicht ganz, aber ich es trifft sich gut, dass wir uns treffen“, entgegnete ich trocken. „Ich komme direkt zum Punkt: Wir ziehen ein Bündnis in Betracht, doch dafür müssen natürlich gewisse Details geklärt werden, besonders, da wir auch andere Verbündete haben, denen gegenüber wir natürlich zur Loyalität verpflichtet sind.“ Und dann war da auch noch Gilgamesh, aber das würde Cú früh genug erfahren. Cú Chulainns Miene verhärtete sich kurz, bevor der Ire auch schon wieder ein breites Grinsen zur Schau trug. „Dann treffen wir zwei uns wohl am besten mal unter vier Augen, ganz privat, um alles in Ruhe zu besprechen. Zu dir oder zu mir?“, feixte der blauhaarige Caster. Ich verengte die Augen. Diese Zweideutigkeiten konnte er sich wirklich nicht kneifen, oder?

„Morgen Nacht bei uns. Wir brauchen etwas Zeit“, fasste ich mich kurz, um dann das Thema zu wechseln. „Bis dahin könntest du mir sagen, ob du zufällig eine magische Feder übrig hast.“ Erwartungsvoll sah ich den Iren an, der eine gefühlte Ewigkeit einfach zurückstarrte, um dann nur mit den Schultern zu zucken. „So etwas besitze ich nicht und wüsste auch nicht, was man damit anstellen soll.“ Ernüchtert seufzte ich. Wäre ja auch zu schön gewesen. Dann musste ich wohl doch Merlin und Diogenes fragen. „Was hast du denn mit dieser ominösen magischen Feder vor?“, erkundigte sich Cú Chulainn, wobei er sich zu mir herunterbeugte, sodass er auf Augenhöhe war. Seine roten Augen blitzten schelmisch. „Mir fielen da schon ein paar lustige Dinge ein, die man mit einer Feder machen könnte, magisch oder nicht.“ Nein, er konnte es wirklich nicht lassen. „Lass dich mal flachlegen“, entfuhr es mir genervt, obwohl ich die Worte eigentlich nur hatte denken wollen. Verschämt zuckte ich zusammen, doch bevor ich eine Entschuldigung stammeln konnte, war Cú Chulainn auch schon in heiteres Gelächter ausgebrochen. „Ich versuchs“, entgegnete er flüsternd und zwinkerte mir zu. „Bis heute Nacht, Caster.“ Ungläubig starrte ich dem Blauhaarigen nach, der mich mit diesen Worten einfach hatte stehen lassen. Wie gerne hätte ich ihm etwas schlagfertiges hinterhergerufen, aber mir wollte partout nichts einfallen. Im nächsten Augenblick zuppelte auch schon etwas an meinem Ärmel. „Caster, gehen wir jetzt weiter zu Onkel Marlin?“
 

„Onkel Marlin, Onkel Marlin!“ Elisabeths unbändige Freude teilte ich zwar absolut nicht, aber es war wirklich herzerwärmend zu sehen, wie fröhlich sie dem Magier der Blumen entgegeneilte, der sie in seinen Armen auffing und einmal im Kreis wirbelte, was Eli ein freudiges Jauchzen entlockte. „Hallo Elisabeth“, begrüßte der weißhaarige Zauberer meinen Master mit einem arglos anmutenden Lächeln. Mit keiner Geste ließ er ahnen, dass er mich überhaupt bemerkt hatte. Gleiches hatte aber auch für alle anderen Leute gegolten, seit wir im Labor angekommen waren. Jeder grüßte Elisabeth, doch niemand sah mich auch nur an. Es fühlte sich befremdlich an, so ignoriert zu werden, doch die Gründe waren offensichtlich. Der Gralskrieg war ein wiederkehrendes Event, ich nur ein Gast, der bald wieder verschwinden und an den sich danach niemand mehr erinnern würde. „Hattest du einen schönen Vormittag?“, erkundigte Merlin sich aufmerksam. Mein kleiner Master strahlte und nickte heftig. „Ja! Heute Morgen hat Caster mit mir Schach gespielt, aber sie ist ziemlich schlecht und eben haben wir einen total süßen Hund getroffen!“, ereiferte sie sich und entlockte Merlin damit ein Kichern. „Vielleicht möchtest du ja später gegen mich spielen? Aber jetzt geh erst einmal Mittagessen. Ich habe dafür gesorgt, dass man dir eine extragroße Portion Nudelauflauf reserviert“, behauptete der Magier der Blumen mit einem verschmitzten Schmunzeln. Ob seine Worte nun wahr waren oder nicht, sie genügten, um Elisabeth zu veranlassen, sofort weiterzusprinten. „Ich halte euch Plätze frei!“, konnte ich sie noch rufen hören, dann war sie auch schon um eine Ecke verschwunden. Sorgen machte ich mir keine. Inzwischen vertraute ich darauf, dass die Leute hier die kleine Eli nicht nur schon lange kannten, sondern sie auch entsprechend behandeln würden. Dass die beiden Damen am Schalter in der Eingangshalle sie immer direkt durchwinkten, war nur eines von vielen Zeichen, die dafür sprachen. Obendrein hatte ich so langsam das Gefühl, dass die Cafeteria auffallend oft Elisabeths Leibspeise auf dem Plan stehen hatte. Zu oft, als dass ich an einen Zufall glauben könnte.

„Haha, so ein aufgewecktes Mädchen“, amüsierte sich Marlin-Merlin leise. Wüsste ich nicht, wer er hinter der Maske des netten Onkels wirklich war, ich hätte ihm sein versonnen anmutendes Lächeln sicherlich abgekauft. „Das ist sie wirklich“, stimmte ich zu. „Und darum müssen wir beide sie beschützen.“ Ernst wandte ich mich nun gänzlich dem Magier der Blumen zu, der meinen Blick ruhig erwiderte und schließlich nickte. „Das müssen wir, Caster.“ Einen Moment lang wog ich ab, wie ich am besten auf das Thema magische Feder zu sprechen kommen sollte, dann entschied ich, einfach mit der Tür ins Haus zu fallen. „Sagt, Grand Caster Merlin, Ihr habt nicht zufällig noch eine magische Feder herumliegen, die Ihr mir leihen könntet, um die kleine Elisabeth vor den drohenden Gefahren des nahen Krieges zu beschützen?“, fragte ich direkt heraus und verhaspelte mich dabei beinahe, weil meine Worte so hochgestochen klangen. Vermutlich hatte ich einfach doch zu viel darüber nachgedacht, wie ich meine Bitte in Worte fassen sollte, ohne als total unfähig dazustehen, weil ich absolut keine Ahnung hatte, wo ich eine dieser Federn herbekam. Genau genommen wusste ich ja nicht einmal, wie man magische Federn genau benutzte, doch ein Problem nach dem anderen. Erst einmal musste ich so eine Feder auftreiben. Wie man sie anwandte, bekäme ich dann auch noch heraus. So schwer konnte das ja eigentlich nicht sein, oder?

„Eine magische Feder?“ Merlins Miene hellte sich auf, dann lachte er. „Ich habe eine hier“, erklärte der Magier entspannt und steuerte auf eine Vitrine zu, der ich bisher keine weitere Beachtung geschenkt hatte. Jetzt jedoch, wo Merlins Geste meinen Blick darauf lenkte, konnte ich hinter dem Glas eine purpurne Feder entdecken, deren Kiel in glänzendes Silber getaucht zu sein schien. Neugierig trat ich an Merlins Seite, um das magische Schreibutensil näher in Augenschein zu nehmen. Hübsch war es, doch hätte man mir erzählt, dass Merlin die Feder auf einem Fantasy-Mittelaltermarkt gekauft hatte, hätte ich das auch geglaubt. Auf der anderen Seite stellte man sich genau so wohl auch eine magische Feder vor, überlegte ich, die feinen Linien studierend, die sich durch das Silber zogen und ein verworrenes Muster bildeten, von dem ich nicht sicher sagen konnte, ob es allein der Optik geschuldet war oder nicht doch einen tieferen Zweck erfüllte. „Bedauerlicherweise wird dir diese Feder nichts nutzen. Andernfalls hätte ich sie dir natürlich gerne überlassen“, seufzte der Magier der Blumen neben mir theatralisch. Argwöhnisch sah ich ihn an. „Was meinst du damit, dass sie mir nichts nutzen würde?“ Konnte ich sie etwa nicht benutzen, weil ich eigentlich gar keine Magierin war? Prinzipiell wäre das eine Möglichkeit, aber dann hätte mir das Buch doch bestimmt nicht diesen Tipp gegeben. „Wo liegt das Problem?“, hakte ich nach und erntete ein unterdrücktes Glucksen. Als Merlin keine Anstalten machte, mir zu antworten, verzog ich das Gesicht. Glaubte er wirklich, ich ließe ihn jetzt einfach vom Haken? „Wieso kann ich sie nicht benutzen?“ Anstatt mir dieses Mal eine Antwort zu geben, wandte Merlin sich einfach ab und meinte gespielt verwundert: „So spät schon! Ich sollte mich um Elisabeths Tests kümmern!“ Von wegen! Missgelaunt wollte ich ihn gerade anraunzen, als mein kleiner Master wie aufs Stichwort hereingeplatzt kam. „Onkel Marlin, da bin ich wieder“, freute sie sich, nicht ahnend, dass sie dem weißhaarigen Magus gerade ein sehr unangenehmes Gespräch ersparte. „Ah, sehr schön. Wollen wir dann loslegen, Elisabeth?“, meinte Merlin, der dem nichtsahnenden Mädchen bei diesen Worten über den Kopf streichelte. „Macht Caster heute auch mit?“, wollte Eli wissen, doch Merlin schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich mache mit. Wie klingt das?“ Elisabeths strahlende Augen waren eigentlich Antwort genug. „Au ja! Dann probieren wir heute auch Windmagie, ja?“, sprang mein Master vor Freude förmlich in die Luft, während ich ihren Lehrmeister stumm verfluchte.
 

Mit verschränkten Armen blieb ich zurück, während Elisabeth und Merlin-Marlin fröhlich plaudernd den Raum verließen, um diese ominösen Tests zu machen, für die mein kleiner Master immer wieder hierherkam. Was die anging, fragte ich mich ohnehin immer mehr, was Merlin damit bezweckte. Einige verfolgten scheinbar das Ziel, Elisabeth darin zu unterstützen, ihre magischen Kräfte lenken zu lernen, doch da wäre meiner Meinung nach letzten Endes ordentlicher Unterricht die bessere Wahl gewesen. Das Ganze roch einfach förmlich danach, dass etwas nicht stimmte. Dass ich einfach keine Informationen aus Merlin herausbekam, ganz egal, worum es ging, war einfach nur frustrierend. Nicht nur, dass er mir überhaupt nichts über die magische Feder verraten hatte, er hatte sich auch über Tristan, die dunkle Elisabeth und Arthur ausgeschwiegen. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass all das zusammenhing und ich nur noch nicht wusste, wie. Auf jeden Fall sollte ich die Augen offenhalten, falls hier noch mehr Ritter der Tafelrunde herumliefen. Die würden sich bestimmt wieder zusammentun wollen. Im Moment kam mir das vielleicht sogar zugute. Dadurch, dass mein Master Merlins Mündel war und Tristan unser Verbündeter, lag es nahe, auch ein Bündnis mit Arthur zu schließen. Sollten Bedivere, Agravain, Lancelot und Gawain auch beschworen worden sein, würden sie sich dem Bündnis bestimmt nur zu gerne anschließen. Blieb die Frage, was es mit der dunklen Elisabeth auf sich hatte und wieso Merlin meinte, deren Mana müsse Tristan bekannt vorkommen. War das vielleicht ein Hinweis auf Isolde gewesen? Dann hätte Tristan vermutlich weniger angepisst ausgesehen, also schloss ich diese Möglichkeit aus. Vielleicht der Geist eines Druiden oder einer Priesterin der alten Religion, die durch die Ritter der Tafelrunde und Arthurs Beschlüsse ihr Leben hatte lassen müssen? Der Wechsel des Königs zum Christentum hatte so einige im Volk gegen ihn aufgebracht, die dem alten Glauben anhingen und die alten Traditionen beschützen wollten, allen voran seine Schwester Morgaine le Fay.

Angestrengt rieb ich mir über die Nasenwurzel. Wäre Merlin doch nur ein klein wenig gesprächiger, wenn es um die wichtigen Dinge ging! Vermutlich sollte ich mich für den Moment darauf konzentrieren, dieses Bündnischaos unter einen Hut zu kriegen. Gilgamesh war unabwendbar, Tristan beschlossene Sache, Merlin wurde ich auch nicht los. Neben den dreien waren Arthur und Cú Chulainn naheliegende Wahlen. Solange keiner von ihnen raffte, wie nutzlos ich eigentlich war, konnte ich mich in ihrem Schutz sicher fühlen. Der Einzige jedoch, der mir später nicht in den Rücken fiele, sofern ich ihn bei Laune hielt, war Gilgamesh. Alle anderen hatten selbst Master, die ihren Wunsch nicht aufgeben würden. Bei Gilgameshs Master würde ich zwar nicht dagegen wetten, doch ich traute dem König der Helden mehr als zu, dass er sich seines Masters entledigte, wenn er ihn nicht mehr brauchte. Arthur würde zumindest nicht versuchen, mich zu meucheln, aber bei Tristan und Cú war ich mir da wiederum nicht so sicher. Auf diese beiden müsste ich immer ein besonders aufmerksames Auge haben. Übrig blieb Merlin. Wollte Merlin den Gral? Falls ja, wusste ich nicht, wofür. Ich meinte mich zu erinnern, dass er laut Fate eigentlich auf Avalon gefangen war, doch auf mich wirkte er ziemlich frei und obendrein war er nicht als Servant, sondern als Mensch hier. Das führte mich zudem Schluss, dass er vielleicht schon einen Krieg gewonnen hatte und sich dabei ein neues Leben gewünscht hatte. Welche Ziele verfolgte er jetzt und welche Rolle spielte Elisabeth darin?

Am liebsten hätte ich meinen Kopf einfach gegen eine Wand gehauen. Meine Gedanken schienen sich immer mehr zu verheddern, anstatt einer Lösung näherzukommen. Genau genommen hatte ich ja sogar noch ein weiteres Problem, sah man von Diogenes ab, der mich aus den Augenwinkeln musterte, wie ich jetzt erst bemerkte. Ich wusste noch immer nichts über die Person, die Elisabeth meinen Katalysator gegeben und meinen ersten Master getötet hatte. Dass es sich um einen männlichen Servant handelte, half dabei nicht gerade weiter, den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen. Die meisten Helden der Geschichte waren männlich, allein schon, weil fast überall auf der Welt patriarchische Gesellschaften vorgeherrscht hatten. Die wenigsten Frauen hatten auch nur eine Chance gehabt, sich als Helden hervorzutun. Ansonsten hatte mir Elisabeth nichts über diesen seltsamen Typen verraten, sodass mir auch seine Beweggründe ein totales Rätsel blieben. Wieso hatte er meine Beschwörung erst verhindert, um sie dann doch anzustoßen? Ging es dabei nicht eher um das Buch? Vielleicht hatte der Servant einfach meinen Master töten wollen und erst zu spät das Zauberbuch erkannt. Womöglich hatte er es selbst einmal besessen und wollte es wiederhaben? Dann könnte er sich direkt mit Gilgamesh darum streiten, denn der gäbe sein Eigentum bestimmt nicht so einfach her.

„Dein Master wird gleich zurückkommen.“ Erschrocken zuckte ich zusammen. Zwar war mein Blick nun schon geraume Weile auf Diogenes gerichtet gewesen, doch so richtig wahrgenommen hatte ich den griechischen Philosophen irgendwie nicht, sodass mich seine Worte gänzlich unerwartet aus meinen Gedanken rissen. Eilig nickte ich, zögerte kurz, entschied dann jedoch, dass ich diese Chance nicht verstreichen lassen durfte. Diogenes war immerhin auch ein Caster. Vielleicht könnte er mir mehr über magische Federn erzählen? „Sag, Diogenes, wieso meint dein Master, dass mir seine magische Feder nicht von Nutzen wäre? Sollte sie mir nicht helfen können, meinen Master besser zu beschützen?“ Ich hasste es, Diogenes damit im Grunde zu offenbaren, dass ich absolut nichts von Magie und Zaubern verstand, aber das war besser, als jemanden fragen zu müssen, der dieses Wissen direkt gegen mich verwandte. „Auf diese Frage kann dir niemand eine Antwort geben, ebenso wenig wie dir jemand eine magische Feder geben kann“, erwiderte der Philosoph kryptisch, bevor er ungeniert gähnte. Ich konnte mir ein tiefes Seufzen nicht verkneifen. „Und wieso nicht?“, hakte ich nach, doch Diogenes rollte zur Antwort nur mit den Augen, ehe er noch meinte: „Weil es eben so ist.“ Wow, danke! Das half mir wirklich total weiter! Verstimmt starrte ich Diogenes an, der das entweder nicht bemerkte oder sich nicht dafür interessierte, denn er schlurfte nun einfach zur Couch herüber, auf der er es sich bequem machte. „Erklär es mir“, verlangte ich von dem anderen Caster, da flog auch schon die Tür auf, durch die Merlin und Elisabeth zurückkehrten. „Caster, Caster! Ich habe heute richtig gut abgeschnitten!“, ereiferte sich mein Master überschwänglich und sauste dabei auf mich zu, um sich dann so heftig in meine Arme zu werfen, dass sie mich damit beinahe aus dem Gleichgewicht brachte. „Das ist super, Master“, lobte ich Eli, die über das ganze Gesicht strahlte. „Als Belohnung habe ich sogar etwas Nudelauflauf in der Cafeteria bekommen. Den können wir heute Abend essen!“
 

Mit einem leisen Klicken drehte ich den Schlüssel im Schloss herum, während Elisabeth neben mir noch immer voller Begeisterung davon erzählte, dass es ihr heute endlich gelungen war, das Rätsel mit den blauen Kreisen zu lösen, das ihr immer solche Probleme bereitet hatte. „Onkel Marlin hat gesagt, dass ich das wirklich gut gemacht habe, weil ganz viele kluge Menschen das Rätsel nicht gelöst bekommen“, erzählte sie voller Stolz bestimmt schon zum vierten Mal und wieder lächelte ich ihr ermutigend zu. „Eines Tages wirst du bestimmt eine große Magierin, Master.“ „So wie du, Caster?“ Oh, hoffentlich nicht, denn dann könntest du gar nichts, meine Kleine. Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Noch viel besser.“ Das wäre zugegeben keine Kunst, doch ich glaubte an das Mädchen. Sie war mit so viel Energie bei der Sache, dass es schon irgendwie klappen würde, sofern ihr Lehrer Merlin seinen Job ordentlich machte und sein umfangreiches magisches Wissen an Elisabeth weitergab. „Meinst du, dann werde ich auch eines Tages ein Servant?“, wollte Eli wissen und wieder musste ich dem Drang widerstehen, einfach nur mit dem Kopf zu schütteln. „Vielleicht. Auch wenn ich mir für dich ein ruhiges, sicheres Leben wünsche, in der es nicht nötig ist, dass du dich als Heldin erprobst“, versuchte ich, meinen kleinen Master ein bisschen zu bremsen. So richtig überzeugt sah die jedoch nicht aus. Vielmehr zog sie eine beleidigte Schnute. „Aber auch dann kann ich doch eine Heldin werden“, protestierte sie, als ich ihr sanft über den Kopf strich. „Natürlich, doch die meisten Helden“, fuhr ich leise fort, „sterben einen frühen und schrecklichen Tod. Das wünsche ich dir einfach nicht, Master. Ich möchte, dass du ein langes, glückliches Leben führst.“ Jetzt zog Elisabeth die Stirn kraus, widersprach jedoch nicht mehr, sondern betrat vielmehr vor mir die Wohnung.

Irgendetwas stimmte nicht. Ich wusste es sofort, noch bevor die Tür hinter uns ins Schloss fiel. Natürlich hätte ich behaupten können, dass meine Sinne als Servant Alarm schlugen, aber das wäre gelogen. Vielmehr war mir aufgefallen, dass durch den Türspalt zum Wohnzimmer Licht drang. Ich war mir allerdings absolut sicher, dass kein Licht gebrannt hatte, als Eli und ich uns auf den Weg gemacht hatten. Vorsichtig tippte ich meinem Master auf die Schulter und bedeutete ihr mit dem Zeigefinger auf den Lippen, dass sie still sein sollte. Verwirrt sah Elisabeth mich an. „Bitte warte kurz hier. Jemand ist im Wohnzimmer. Ich werde nachsehen“, flüsterte ich meinem kleinen Master zu, deren Augen sich nun erschrocken weiteten. Offenbar machte ich ihr Angst, doch vielleicht zurecht. Mit Glück war es nur Gil oder Cú, doch ich war nicht bereit, Elisabeths Leben darauf zu verwetten. Also schlich ich so leise, wie ich konnte, zur Tür. Deren Griff gab keinen Laut, als ich ihn herunterdrückte, doch bemerkt wurde ich dennoch. „Da bist du ja endlich“, begrüßte mich Gilgameshs Stimme, noch bevor ich den König der Helden überhaupt sehen konnte. Mit einer Mischung aus Ärger und Erleichterung seufzte ich und stieß die Tür auf. „Mein König, welch unerwarteter Besuch“, kommentierte ich seine Anwesenheit trocken. Der gereizte Unterton meiner Stimme entging dem blonden Heldengeist sichtlich nicht, denn er hob vielsagend eine Braue, sagte jedoch nichts, sondern wandte sich vielmehr wieder seinem goldenen Weinkelch zu. „Ihr habt mich lange warten lassen“, galten seine Worte schließlich gleichermaßen Elisabeth, welche nun auch näher trat, wie mir. „Das tut uns schrecklich Leid“, beeilte sich Eli direkt um eine Entschuldigung, die meiner Meinung nach überhaupt nicht nötig war. Wir hatten Gil ja nicht gerade eingeladen. Wenn er meinte, hier herumhängen zu müssen, war das sein Bier. Er sollte lieber froh sein, dass wir nicht sauer waren, weil er schon wieder uneingeladen hier war.

„Möchtest du mit uns Nudelauflauf essen? Den habe ich aus Onkel Marlins Mensa mitnehmen dürfen“, bot mein Master an, als müsse sie Wiedergutmachung leisten. Gilgameshs Züge wurden sofort sanfter. Mit einer beiläufigen Geste winkte der König der Helden ab und hielt sich dabei vermutlich noch für großmütig. „Iss du nur, kleine Elisabeth, damit du zur Frau heranwächst. Der Wein meiner Dienerin wird genügen, um mich wohlwollend zu stimmen.“ Bei diesen Worten wanderte Gilgameshs Blick zu mir. Ein Teil von mir hatte nicht übel Lust, herauszufinden, ob Heldengeister ertrinken konnten. Gil wäre sicher der erste König, der an Wein ertrank, und könnte damit glatt noch einmal in die Geschichte eingehen. Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Natürlich, Majestät“, presste ich hervor und sah dann zu Elisabeth. „Mach du dir ruhig den Auflauf heiß, wenn du Hunger hast, ja?“ Eli sah mich mit großen Augen an, blickte dann zu Gilgamesh, schließlich zurück zu mir und nickte dann, bevor sie in der Küche verschwand. Ich hingegen schnappte mir ohne Federlesens die Glaskaraffe aus der Vitrine und stiefelte damit demonstrativ ins Bad, um sie mit Wasser zu füllen. Zurück im Wohnzimmer stellte ich das Gefäß auf den Tisch und setzte mich direkt davor. Hoffentlich würde der Zauber mir heute erneut gelingen. Wenn nicht, müsste ich mir etwas überlegen. Nervös schluckte ich, den Blick auf die klare Flüssigkeit fixierend, während die Worte des Zaubers geflüstert über meine Lippen kamen. Im ersten Moment schien überhaupt nichts zu passieren, doch gerade, als ich erwog, die Formel noch einmal zu sprechen, verfärbte sich das Wasser dunkelrot. Auffordernd hielt mir Gilgamesh seinen Kelch hin, den ich wortlos füllte. Erstick dran, arroganter Fatzke, grollte ich im Stillen.

„Hervorragend. Nicht weniger habe ich erwartet“, sinnierte Gil, nachdem er gekostet hatte. „Du erweist dich durchaus als nützliche Dienerin, Daelis.“ Meine Augen verengten sich misstrauisch. Irrte ich mich, oder hatte Gilgamesh mich gerade zum ersten Mal beim Namen genannt? Den kannte er eigentlich schon eine ganze Weile, aber bisher war ich immer mit „Caster“ betitelt worden, soweit ich mich nicht täuschte. Was hatte ihn auf einmal zu diesem Wechsel bewogen? Nicht, dass ich mich beschweren wollte, aber es war zu auffällig, um es nicht zu bemerken. „Mach so weiter und du wirst auch zukünftig in der Gunst deines Königs stehen“, fuhr Gil fort, der offenbar sowieso keine Antwort erwartet hatte. „Und dann wird auch dein sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen und der deines kleinen Masters ebenfalls.“ Ein herablassendes Lächeln zog sich über Gilgameshs Lippen. Mein sehnlichster Wunsch. Was wusste er schon davon? Er hatte immer alles gehabt, was er wollte, und wenn nicht, hatte er die Macht besessen, es sich zu nehmen. Was ich wollte, lag jedoch in unerreichbarer Ferne. Verkniffen starrte ich ihn an und zwang mich, ruhig durchzuatmen. So einfach war es nicht, das wusste ich. Auch Gilgamesh wünschte sich bestimmt etwas, das genauso unmöglich war, wie mein Wunsch. Wir beide hatten jemanden verloren, hatten jemanden nicht retten können, der uns lieb und teuer war, und gäben alles dafür, diese Person wiederzusehen. Doch wir beide wussten auch, dass die Toten nicht ins Leben zurückkehren sollten, war es doch wider der Natur.

Vielleicht sollte ich die Gelegenheit lieber nutzen, dass der König der Helden bei guter Laune war. „Erlaubt mir eine Frage, mein König“, ergriff ich das Wort und hatte sofort die volle Aufmerksamkeit des Angesprochenen, der mich musterte und schließlich nickte, als brauche ich wirklich seine Zustimmung, um weiterzusprechen. „Gibt es unter all Euren Schätzen womöglich eine magische Feder?“, fragte ich direkt heraus. Darum, sie mir zu geben, wagte ich nicht, direkt zu bitten. Sonst könnte die Laune des Königs der Helden schneller kippen, als mir lieb sein konnte. „Tch, was für eine närrische Frage“, amüsierte sich Gilgamesh ungehemmt. „Die ungezählten Schätze in meiner Schatzkammer überragen selbst meine Kenntnis längst bei weitem. Ich weiß es also nicht, auch wenn ich bezweifele, dass ein solch nichtiges Kleinod es wert wäre, als Schatz zu gelten, der seinen Weg zu mir fände“, winkte er das Thema ab, als wäre es nichts. „Wenn dies dein Wunsch an den Gral sein sollte, enttäuschst du mich, Caster“, fuhr der König der Helden fort, mich nun mit seinen roten Augen fixierend. Ich schüttelte den Kopf. „Ist es nicht. Mein Wunsch ist unendlich viel größer, unendlich viel komplizierter und kein Zauberer der Welt könnte vollbringen, wonach ich verlange. Eine magische Feder ist daneben wie ein einziger Tropfen Wasser in der Wüste“, erklärte ich bestimmt, was mir ein zufriedenes Nicken des Archer-Servants einbrachte, der nun wieder von seinem Wein trank. „Sehr gut. Du wirst mir noch viel Freude bereiten“, lachte er leise in sein Getränk. Mir lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Warum nur hatte ich das Gefühl, dass das nichts Gutes war?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:
1. Aufgabe: Elisabeth wacht am nächsten Tag auf. Auf dem Plan steht Nudelauflauf und magische Feder. Der Besuch bei Marlin ist also Pflicht. Bereit Eli dennoch ein ausreichendes Frühstück.

Aufgabe 2: Auf dem Weg zu Marlins Labor begegnet Cu. Er lädt Eli auf ein Eis ein, nutze die Chance und frage nach magischen Federn. Cu wird davon aber keine Ahnung haben

Aufgabe 3: Im Labor geht Eli gleich in die Mensa. Nudelauflauf, yay. Nutze die Chance mit Marlin über die magische Feder zu sprechen. Er wird dir eine zeigen, wird aber geheimnisvoll meinen, dass sie dir nichts bringt. Auf genaues Nachfragen antwortet er nicht.

Aufgabe 4: Marlin macht wieder tests mit Eli, Dio bleibt bei dir. Da er Caster ist, kannst du auch ihn nach einer Feder fragen. Er wird dir sagen, dass niemand dir eine Antwort darauf geben kann oder dir eine magische Feder geben kann.

Aufgabe 5: Abend wartet der König auf euch, Eli bietet ihm den Nudelauflauf an, den sie aus der Mensa mitgenommen hat, an. Er lehnt ab, verlangt aber deinen Wein. Frag ihn doch mal nach der Feder. Er wird auch keine geben können. Komplett anzeigen

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