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Weihe des Siegelschwerts (neu)

von

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Die täglichen Fechtübungen haben bereits begonnen, als wir langsam zum Orden zurückkehren. Mit jedem weiteren Schritt ersterben die Geräusche von Metall auf Metall, um neugierigem Raunen zu weichen. Ich muss nicht aufblicken, um zu wissen, dass sie alle das eingetrocknete Blut auf meinem Gesicht anstarren, sowie das große, schwarze Pferd, das ich an den Zügeln führe. Ich kann’s immer noch nicht fassen, diesen Nachtmahr mitgenommen zu haben. Das Ding ist mit genauso hoher Wahrscheinlichkeit direkt aus der Hölle gekommen wie sein Reiter! Aber nein, die kleine Pferdeliebhaberin Sara könnte nicht im Traum verstehen, warum ich fürchte, jeden Moment mindestens meine Hand abgebissen zu bekommen.
 

Das Pferd ist stolz und störrisch – und furchteinflößend gelassen. Es hat sich keinen Deut gerührt, als es zugesehen hat, wie ich den Kerl, den es getragen hat, niedergestreckt habe. Ich mag es nicht. Kein bisschen.
 

Ich höre eine Tür aufgehen und Schritte, die sich, von einem sich aufbauschenden, weißen und braunen Kleid begleitet, nähern, als meine Mutter auf uns zuläuft. „Bei den Himmeln!“ ruft sie, „Marin, Sara! Was ist passiert?!“ Bevor ich antworten kann, hat sie bereits ihre prallen Arme um uns geschlungen und schaut mit Tränen in den Augen auf meine Wunde. Ihre Lippen beben wortlos. Sara klammert sich an sie und ruft, „Ein Toter im Wald! Auf einem Pferd, der hat versucht, mir wehzutun, und... und er hatte kein Gesicht, aber ein Schwert, und er hat mich beinahe geschlagen, aber Marin hat-“
 

„Beruhige dich doch, Sara! Bitte, du redest ja völlig wirr!“
 

„Aber es ist wahr,“ erkläre ich, „Da war dieses Ding, dieser Mann, dem das Gesicht runtergerissen worden ist – aber der bestand bloß aus Knochen und hat uns angegriffen!“
 

„Stimmt das wirklich?“ Orson ist zu uns getreten. Sein fleischiges Gesicht starrt noch vor Schweiß von den Übungen und das Schwert liegt nach wie vor in seiner Linken. Skeptisch beäugt er mich, doch ein finsterer Schatten von Besorgnis hat sich über sein Antlitz gelegt wie ein Schleier. „Du bindest uns keinen Bären auf? Du bist wirklich... einem Wiedergänger begegnet?“
 

„Ich schwör‘s bei den Göttern!“ entgegne ich standfest mit einem Fingerzeig auf meine Stirn, „Ich hab mehr als einen kleinen Denkzettel verpasst bekommen! Dies mal müsst Ihr mir glauben!“
 

„Die Wunde beweist gar nichts,“ merkt Korogra an, während er aus der Menge der Novizen tritt. Nicht der schon wieder. Nun, wenigstens sieht er dies mal nicht ganz so selbstzufrieden aus. Muss ihm ganz schon auf die Laune geschlagen haben, zu hören, dass ich doch nicht mehr verstoßen bin. Umso mehr Ansporn für ihn, seine eigene, verdrehte Geschichte zu präsentieren, „Sieht für mich eher so aus, als hättest du dir an irgendeinem Stein den Kopf gestoßen und fantasierst jetzt.“
 

„Ah, natürlich,“ nähert sich noch eine Stimme, langsam sprechend. Sie ist tief und steht dem Alter ihres Besitzers in nichts nach. „Bestimmt hast du dann auch eine Erklärung für das Pferd an seiner Seite, oder, Korogra?“ spöttelt Simmias, der Amarius, ein hagerer Ikaner von sechzig Jahren. Selbst krumm über seinen dicken, knorrigen Gehstock gebeugt, überragt er noch die meisten anderen Männer im Orden und ist der Älteste von uns allen. Sein Bart ist weiß wie Asche und kunstvoll geflochten über seine Schultern gelegt wie ein schwerer Schal. Nur seine Augen sind noch so scharf und aufmerksam wie die eines Kindes. Dieselben Augen starren nun Korogra zu Boden, bis dieser beschämt den Kopf senkt. Da treibt es mir doch ein wenig die Schadensfreude ins Gesicht. Doch nun dreht sich der Amarius zu mir.
 

„Was du erzählst, ist besorgniserregend,“ sagt er, „Und dennoch will ich hoffen, dass du die Wahrheit sprichst. So sage uns, wo ist der Wiedergänger jetzt?“
 

„Auf der kleinen Lichtung im Osten des Waldes. Ich hab ihn niedergestreckt, als er uns angegriffen hat.“ Aber... was wenn das gar nicht stimmt? Nach allem, was ich gesehen habe, könnte diese Kreatur längst wieder aufgestanden und über alle Berge sein!
 

Ich kann spüren, wie ich leichenblass werde. Falls Simmias meine Zweifel bemerkt, zeigt er es nicht. Eine Weile lang ist er still, doch Orson kann sich nicht länger im Schweigen üben. In einem plötzlichen Anfall von Raserei stampft er auf den Boden wie ein kleines Kind und flucht, „Zwanzig Jahre! Zwanzig Jahre und dieser Grund ist immer noch Heidenland! Diese verruchten Affen müssen dahinter stecken, so wie ich es immer vorausgesagt habe! Dämonen im Gewande einfacher Tiere!“ Er rastet ja total aus! Was ist denn in ihn gefahren?!
 

„Ich denke nicht, dass sie schuld sind, Orson,“ meint Simmias gelassen und nicht das kleinste bisschen eingeschüchtert von Orsons wutverzerrter Fratze, „Das sind Störenfriede... aber keine Adepten der dunklen Künste.“
 

Ich wage, die Gelegenheit zu nutzen, ihm zuzustimmen, „Ich glaube auch nicht, dass sie dahinter stecken.“ Als Orson mich mit einem ungläubigen, wütenden Blick bedenkt, bereu ich das fast. Doch anstatt mir das eine Lehre zu sein, nächstes mal besser vorauszudenken, erkläre ich, „Nun... dieses Ding... der Wiedergänger... er hat die Affen gejagt. Sie sind vor ihm geflohen. Genau genommen... waren sie es, die ihm das Gesicht abgerissen haben, sodass wir wussten, dass es kein Mensch war.“
 

„Wahrscheinlich,“ spricht Simmias mit einem Kopfnicken.
 

„Und was nun?“ fragt meine Mutter, die Sara und mich immer noch fest umklammert hält. Sie zittert wie Espenlaub, ist unentschieden, ob sie Sara, mich, oder Orson und Simmias ansehen soll.
 

„Wir könnten soviel diskutieren und planen, wie wir wollen – wenn wir nicht vorher und schnellstmöglich diese Sichtung eines Wiedergängers bestätigen, verlieren wir nur Zeit. Wir sollten gleich nachsehen, oder, Orson?“ Der nickt nur grimmig. „Die Übungen sind für heute beendet,“ knurrt er.
 

Da erhebt jemand seine Stimme, „Ich würde gern mitkommen und mir das selber ansehen!“ Es ist Hendrik. Und Korogra schließt sich ihm gleich an, „Ich auch!“ Oh nein, nicht mit mir! Dies mal verleumden sie mich nicht! Drum sage ich, „Ich zeige euch, wo es is-“
 

„Nein, das wirst du nicht!“ schreit Mama da, „Du gehst nie wieder in den Wald! Ich hab dir gesagt, dass es gefährlich ist, und dass du nicht fechten solltest, und jetzt geben die Götter mir Recht!“
 

„Aber Mama-“
 

„Genug! Wir müssen uns um deine Wunde kümmern. Komm!“ Oh nein, das wird nicht gut gehen! Aber es ist zwecklos, mich dagegen aufzubäumen. Obwohl ihr für eine Frau stämmiges Kreuz zugegeben ihre Schönheit mindert, überzeugt sie einen recht schnell von ihrer Meinung, wenn sie ihn erst mal mit ihren kräftigen Armen wegschleift. So wie mich jetzt, ins Haus. Ich höre ein paar der anderen hinter vorgehaltener Hand lachen. Heute rührt mich das aber kaum.
 

Denn egal, was Mama denkt, das war schon richtig, dass ich gelernt habe, wie man ein Schwert führt. Ansonsten würden wir jetzt nicht streiten – sondern Sara und ich würden tot auf der Lichtung liegen.
 

* * *
 

Sara zuliebe tue ich so, als sei das alles heute nicht passiert, während wir den Rest des Tages in der Küche verbringen. Nachdem Mama meine Wunde ausgewaschen, betastet und mir dabei rund hundert mal unsichtbare Nägel in den Kopf gejagt hat, hat sie uns hier behalten, um zu arbeiten. Zumindest bei Sara scheint es Wunder zu wirken, sie von den Erinnerungen an den Wiedergänger abzulenken. Und da wenigstens sie verdient hat, heute Nacht ruhig zu schlafen, erwähne ich dieses Ding genauso wenig.
 

Nicht mal, als ich durchs Fenster Orson und die anderen zurückkommen sehe. Er sieht wütend aus – nicht auf mich, sonst hätte er längst die Tür eingeschlagen und mich windelweich geprügelt dafür, nicht nur gelogen sondern auch noch den Namen der Götter zu Unrecht in den Mund genommen zu haben bei meinem Schwur. Was ich jedoch in seiner Hand erblicke, lässt unentwegt Schuldgefühle in mir aufschäumen: mein Schwert. Gah, ich hab’s einfach im Wald zurückgelassen! Heißt, statt Prügel gibt es zumindest einen Vortrag über den sorgfältigen Umgang mit Waffen. Eine Kleinigkeit gegenüber allem, was ich heute schon durchstanden habe – aber eine Verschnaufspause wäre wenigstens einmal ganz nett gewesen.
 

Später gehe ich wieder in den Stall, um endlich das Ausmisten aufzuholen. Finster starre ich zu der letzten Box, in der unser Neuzugang Platz gefunden hat. Ich kann diesen Gaul immer noch nicht ab und ich hasse, mich jetzt auch um ihn kümmern zu müssen. Er glotzt mich seltsam an, ich starre zurück.
 

„Sobald du auch nur irgendwas anstellst, gehörst du der Katz‘,“ sage ich ihm.
 

„Mit wem redest du?“
 

Erschrocken wirble ich herum, als jemand den Stall betritt. Es ist Hendrik. Oh, toll. Mein Gesicht verliert nichts an seiner Härte.
 

„Was willst du?“ frage ich, statt ihm zu antworten. Moment, was ist denn mit ihm? Er weicht meinem Blick aus, sich nervös den Arm reibend.
 

„Ich möchte... mich entschuldigen,“ sagt er, bemüht, beherrscht zu klingen, „Für heut morgen. Ich hab den Untoten gesehen im Wald. Ich glaube dir jetzt und... mir ist klar geworden, dass ich mich dir gegenüber nicht fair benommen habe.“
 

„Oh?“ Ich... bin etwas um Worte verlegen. Aber auch skeptisch. Meint er das ernst?
 

Da spricht er, „Du bist ein ordentlicher Kerl, Marin, und ein würdiges Mitglied des Ordens – egal, wer deine Eltern sein mögen. Es tut mir wirklich leid. Nicht bloß das heute, aber das ganz besonders. War Korogras Idee und eigentlich wollte ich nicht mitmachen, bis... na ja, bis du mich so angeschnauzt hast. Da hab ich gedacht, das wäre nur gerecht. War es aber nicht.“
 

„Nun, da kann ich dir immerhin zustimmen. Aber... nur so eine dahergesagte Entschuldigung hilft mir auch nichts. Bei Kin, ihr habt mich fast aus dem Orden schmeißen lassen! Wenn du willst, dass ich so tue, als sei das nie gewesen, vielleicht könntest du zu Orson gehen und ihm erzählen, dass es Korogra war und nicht ich, der die Bücher in den Stall getan hat!“
 

„Hör zu, Marin,“ seufzt er und schafft es dann, mich anzusehen. Nicht mehr ganz wie ein reuiger Sünder, sondern ein bisschen wie ein großer Bruder. „So einfach ist das nicht. Das weißt du nicht, weil du noch relativ neu bist. Im Orden geht’s um mehr, als beigebracht zu bekommen, wie man liest, kämpft und betet. Wir sind sowas wie eine Familie. Wir müssen zusammenhalten und unsere Scherereien begraben. Ich kann Korogra nicht einfach so verpetzen, er hat auch ein paar gute Eigenschaften. Wenn du einfach nicht so... heftig reagieren würdest...“ Er wollte dämlich sagen, ich weiß es einfach. „Dann würde er bestimmt aufhören. Aber ich versprech‘ dir was: ich nehm‘ ihn mir zur Brust, damit er sich besser benimmt. Wenn nicht, gibt’s genug andere Möglichkeiten, ihn zu maßregeln, ohne ihn aus dem Orden zu jagen.“ Er grinst kurz. „Manchmal wirkt ein Schlag auf den Hinterkopf wahre Wunder.“ Ich kann nicht anders, als auch darüber zu schmunzeln. Dann werden wir beide still.
 

Nach einer Weile frage ich, „Was machen wir eigentlich wegen dem Wiedergänger?“
 

Hendrik zuckt mit den Achseln. „Wissen wir noch nicht. Orson und die Ältesten diskutieren noch. Höchstwahrscheinlich werden sie die Überreste des Toten verbrennen, aber danach? Keine Ahnung.“ Er sieht mich ernst an. „Ich hoffe nur, dass wir morgen unsere verpassten Übungen heute aufholen werden. Ich könnte gut noch etwas Übung vertragen, wenn da draußen noch mehr von diesen Dingern umgehen.“ Ich werde es ihm nicht sagen, aber mir geht es kein bisschen anders.
 

* * *
 

In der Nacht wälzt Sara sich unruhig neben mir hin und her. Sie muss schreckliche Alpträume haben. Selbst wenn sie mir nicht ständig ihren Ellbogen in den Bauch rammen würde, während sie mit den Dämonen in ihrem Kopf kämpft, könnte ich auch nicht schlafen. Ich weiß, dass ich die Nacht genauso durchleiden würde wie sie. Und das hält mich wach. Dennoch gebärt meine Fantasie immer schrecklichere Bilder, eines nach dem anderen. Der einzige Ausweg ist, meinen Kopf von den immer gleichen Fragen beackern zu lassen. Wie ist das möglich? Wie kann ein Toter plötzlich wieder aufrecht gehen? Woher kam dieses Ding? Warum hierher? Mir fallen noch Hunderte weiterer Dinge ein, die ich daran einfach nicht begreife. Normalerweise, wenn das passiert, schleiche ich mich dann in Simmias‘ Refugium und schmökere in den Bestiarien und Reisetagebüchern, die er gesammelt hat. Ob darin steht, was ein Wiedergänger ist?
 

Ich wäge ab, nach unten zu gehen und es herauszufinden, wobei eine Stimme in meinem Hinterkopf sich fragt, wie blöd man eigentlich sein kann, genau denselben Fehler zu begehen, bei dem man am selben Tag erst erwischt worden ist. Sie und meine Gedanken verstummen aber, als ich Schritte die Treppe hinaufkommen höre. Wer kann das sein um diese Zeit? Soll Olphe ihn holen, wenn das der Untote ist! Ich schnappe mir das nächstbeste Mittel zur Verteidigung, was in diesem Fall meine Sandale ist – und senke meine Hand wieder, als mir nicht nur bewusst wird, wie lächerlich ich aussehen muss, sondern auch, dass es Hendrik ist, der herauf schleicht. Verwirrt starre ich ihn an.
 

„Zieh dich an und komm runter,“ wispert er, sein Gesicht so todernst wie noch nie, „Wir durchkämmen den Wald.“ Ich stelle keine Fragen und mache sofort, was er sagt. Während ich ihm nacheile, kann ich draußen das Licht mehrerer Fackeln ausmachen. Hendrik erklärt, „Orson hat eine Entscheidung gefällt. Jeden einzelnen Stein sollen wir umdrehen, um zu schauen, ob noch irgendwo ein Wiedergänger lauert. Ich wusste, dass du dir nicht entgehen lassen würdest, mitzuhelfen.“
 

„Alles ist besser, als da oben mit den ganzen Fragen allein zu sein,“ erwidere ich, was seine Mundwinkel nach oben zucken lässt.
 

Wir kommen gerade rechtzeitig draußen an, um Orsons Schlachtplan zu hören. Sein Gesicht ist im Fackellicht noch rötlicher als sonst, doch die Flammen scheinen kein wirkliches Licht zu spenden, sondern nur noch tiefere Schatten zu schaffen, die alle jetzt schon alt und erschöpft aussehen lassen. Orson ruft laut und für alle verständlich, „Wir teilen uns in vier Gruppen auf! Simmias wird den Süden absuchen, ich den Norden und Janus und Phellis kümmern sich jeweils um den Osten und den Westen! Während wir tiefer in die Wälder vordringen, werden wir immer nach einer Meile jeweils eine Dreiergruppe nach links und nach rechts schicken, um den Umkreis abzusuchen. Wenn sich zwei Gruppen in der Mitte treffen, setzen sie gemeinsam den Weg fort und trennen sich nach einer Meile wieder, um zum Haupttrupp zurückzustoßen.“ Er will wirklich keinen einzigen Grashalm übersehen werden lassen.
 

Dann weist er uns unseren Trupps und Gruppen zu. Hendrik und ich landen beide in Simmias‘ Einheit... und in derselben Gruppe. Und ich könnte Hendrik würgen, denn das war bestimmt seine Idee, dass Korogra der Dritte im Bunde ist! Aber es nützt nichts, sich zu beklagen. Nicht bei Orson. Er hat sich seinen Titel als Schwertmeister verdient. Manchmal glaube ich, ihm ein Schwert zu gaben, macht es fairer als sich ihm entgegenzustellen, wenn er bloß seine Fäuste hat.
 

Wer hätte es also kommen sehen? Ich bin zurück im Wald, dies mal im Dunkeln mit einer kümmerlichen Lampe, einer Art neuem Freund und meinem Erzfeind. Und wir suchen nach mehr Gerippen, die mich grundlos umbringen wollen. Wunderbar.
 

Nach einer Weile haben wir Simmias bereits aus den Augen verloren und setzen unseren Weg südwärts alleine fort, uns langsam durchs düstere Unterholz arbeitend. Eine Wand aus Finsternis scheint den Lichtkreis unserer Lampe zu begrenzen. Langsam versteh ich, warum manche Leute vermeiden, hierher zu kommen. Es ist nämlich nicht völlig dunkel. Da sind noch große, gelbe Kreise, welche uns auf Schritt und Tritt verfolgen – die Affen. Mir ist nie bewusst gewesen, dass ihre Augen so glühen. Keiner von ihnen blinzelt, wovon ich eine richtige Gänsehaut bekomme und mich selbst erinnern muss, Du hast zu Orson gesagt, dass die Affen nicht die Übeltäter sind. Sie haben den Untoten angegriffen, weil er ungefragt in ihr Territorium eingedrungen ist.
 

Werden sie uns dann unbehelligt passieren lassen? Denk an was Schönes, verdammt, irgendwas Beruhigendes!
 

„Nässt du dich schon ein, Marin?“ spöttelt Korogra, nur um plötzlich Hendriks Ellbogen in der Seite zu spüren. Mit ruhiger Miene sagt er, „Er behält die Augen offen im Gegensatz zu dir.“ Mit einem dezenten Lächeln danke ich ihm.
 

„Dann sollten wir uns noch mal aufteilen. Wenn hier irgendwas rumschleicht, lassen wir ihm viel zu viel Raum, sich um uns herumzubewegen,“ beharrt Korogra.
 

Da kann ich nicht anders als selbst zu höhnen, „Wieso? Willst du etwa abhauen und dich ins Bett verkrümeln, wenn wir nicht hinschauen? Orson hat schon seine Gründe für seine Anweisungen.“
 

„Vielleicht will er einfach nicht, dass der Bauer es vermasselt.“
 

Plötzlich verpasst Hendrik uns beiden eine. „Hört endlich auf!“ zischt er, „Ihr seid schlimmer als ein Phellache und ein Illamari gemeinsam auf der Jagd, die mit ihrem Gezanke alle Beute verscheuchen!“ Ah, das hat gesessen... Nun, ich werd Hendrik nicht widersprechen. Zumindest insofern, dass ich Korogra immer noch leidenschaftlich hasse-woah! Als ich den nächsten Schritt mache, merke ich plötzlich, wie abschüssig der Boden ist. Mein Fuß tritt ins Leere, da gerate ich schon ins Rollen. Halme über meinem Kopf, im nächsten Moment die Baumkronen, dann wieder der Boden und plötzlich der Himmel. Mein Rücken kann mir währenddessen ganz eigene Geschichten erzählen, wie mehr und mehr Stein meinen Weg pflastert. Ich muss was unternehmen! Irgendwas!
 

Blind strecke ich mich eine Arme aus, klammere mich im letzten Moment an den erstbesten Fels und spüre einen Ruck an meinen Beinen, die frei unter mir hängen. Ich... ich bin beinahe eine Klippe von gut vier Mannshöhen hinuntergestürzt! Meine Güte... die Götter haben wirklich noch einen Tropfen Liebe für mich übrig. Da höre ich Korogra und Hendrik herbei eilen. Letzterer ruft, „Marin! Bist du wohlauf?!“
 

Korogra bevorzugt zu fluchen, dann ordnet er an, „Wir müssen ihn hochziehen, schnell!“
 

Zu meiner Überraschung lässt er sich tatsächlich selber auf die Knie fallen und hilft mir mit Hendrik zusammen auf den Felsvorsprung. Jeder von uns ist außer Atem, als es endlich geschafft ist. Man, meine Hände bringen mich um! Voll mit blutigen Schrammen. „Das... das war echt knapp,“ keuche ich, „D... danke.“
 

„Hab doch gesagt... der ist nachtblind,“ zischt Korogra, seinen Kopf schüttelnd, bis ihm Hendrik von hinten drauf haut. Er meint, „Wir hatten Glück, dass niemand verletzt ist. Leider scheinen wir auch niemanden geschnappt zu haben.“
 

„Vielleicht nicht jemanden,“ erzähle ich da, „aber ich glaube, ich habe etwas am Strand gesehen. Lasst uns nachschauen!“ Da war dieser seltsame, dunkle Umriss inmitten des Weiß‘ des Strandes. Könnte ein Fels sein. Oder endlich etwas Gutes an dieser ganzen Suche. Schnell suchen wir einen sicheren Weg nach unten, während das Meer sanft unter uns rauscht. Leider führt nichts daran vorbei, ein Stück des Weges zu klettern. Der Schmerz in meinen Handflächen entbrennt von neuem, aber ich lasse meine Neugier mich davon ablenken, so gut es geht. As ich endlich unten bin und die Qualen ihr Ende nehmen, danke ich Vas. Und vielleicht auch Olphe, da schließlich ihr silbernes Auge grade am Himmel steht und auf uns Acht gibt, nicht das feurige, weiße von Vas.
 

Hendrik und Korogra sehen beide skeptisch aus. Ich hänge sie schnell ab, sobald ich losrenne. Als ich bei dem Gegenstand ankomme, rufe ich, „Ein Boot! Es ist ein Boot! Vielleicht ist der Untote hiermit hergekommen.“ Hendrik ist nun auch da, während Korogra zurückbleibt.
 

„Nicht gerade hochseetauglich,“ stellt Hendrik stirnrunzelnd fest, während er sich das nasse Holz genauer besiegt. Ich hätte fast vergessen, dass er eigentlich aus einem der Fischerdörfer nördlich von hier kommt. Er kennt sich ziemlich gut aus mit Booten. „Falls jemand hiermit hergefahren ist, kann er nicht weit von hier abgelegt sein. Wahrscheinlich ist er die Salzader runtergefahren... oder er hat sie überquert, maximal von Aqulvar, wenn er draufgängerisch war.“
 

„Ich weiß gar nicht, ob dieses Ding das Wort Risiko überhaupt kannte,“ sage ich, wobei es mir kalt den Rücken runterläuft. Der Wiedergänger hat nicht mal gezuckt, als ich ihm den Schädel durchstoßen habe. Da fällt mir noch etwas auf, „Hier sind auch noch zwei große Fässer und etwas Seil.“
 

Hendrik grinst mich an. „Nun, dann ist es tatsächlich möglich, dass unser ungebetener Gast hiermit übergesetzt hat. Die Fässer sind bestimmt abgedichtet und innen drin leer. Der Wiedergänger muss sie an sein Pferd gebunden haben, damit es oben auf schwimmt. Wir wissen vielleicht nicht, woher er kam... aber wenn ich mir diese Nussschale so ansehe, könnte ich schwören, dass er alleine war.“
 

„Da liegst du falsch,“ ruft Korogra plötzlich zu uns hinüber. Wieso kniet er denn jetzt im Sand? Hendrik und ich setzen uns in Bewegung. Sobald wir bei ihm angekommen sind, hat Korogra längst das zweite, vergrabene Boot freigelegt. Finsterer Miene spricht er, „Hier war noch jemand anders.“
 

* * *
 

Es dauert nicht lange, bis auch der Rest des Suchtrupps sich um unseren Fund versammelt hat. Orsons Lippen sind so fest aufeinandergepresst, dass sie nur noch einen dünnen Strich bilden, und Simmias streicht sich gedankenversunken durch seinen Bart. Irgendwann fragt er dann, „Es war also hier vergraben?“
 

„Jawohl,“ sagt Korogra, kläglich scheiternd, nicht stolz zu klingen, „Sie haben ihr Bestes gegeben, es zu verstecken. Trotzdem habe ich es gefunden.“
 

„Haben Marin, Hendrik und du auch irgendwelche Fußspuren gesehen, bevor wir herkamen, um zu sehen, wieviele es waren und wohin sie gegangen sind?“ In Schande senken wir alle drei unsere Köpfe. Verflucht, jetzt ist das natürlich unmöglich, noch irgendwas im Sand zu sehen, nachdem jeder den ganzen Strand platt getreten hat! Orson stößt einen genervten Seufzer aus. Doch ausnahmsweise überspringt er die Vorhaltungen, „Nun, es ist gut, dass ihr wenigstens die Boote gefunden habt. Jetzt wissen wir ein wenig mehr. Offensichtlich haben mehr Leute als nur der Untote, dem Marin begegnet ist, unseren Wald passiert.“
 

„Habt Ihr denn jemanden entdeckt?“ will ich wissen. Orson schüttelt zähneknirschend den Kopf, „Nur diese verlausten Affen!“
 

Hendrik vermutet, „Das heißt wohl, dass die Anderen, die hier waren, bereits den Wald verlassen haben.“
 

„Vielleicht waren sie auf der Flucht!“ spinne ich das Ganze weiter, „Sie wollten nicht, dass jemand ihr Boot entdeckt. Das andere aber liegt völlig offen herum. Der Wiedergänger muss sie verfolgt haben!“ Kein Wunder, dass sie keine Spuren hinterlassen wollten, wenn dieses Ding hinter ihnen her war. Aber scheinbar hat nicht nur Korogra den Trick durchschaut.
 

„Schlau gedacht,“ lobt Simmias mich, obwohl er immer noch zu grübeln scheint. Orsons Unterlippe wandert grimm von Seite zu Seite, während seine gesenkten Brauen seine Augen in Schatten hüllen. Plötzlich sagt der Armarius, „Nun, dann ist ja alles klar.“ Alle schauen ihn verblüfft an, bis er die Notwendigkeit sieht, sich zu erklären, „Wir wissen jetzt, dass der Orden und Welsdorf sicher sind. Marin hat den Untoten niedergestreckt, und, wen auch immer der gejagt hat, ist sehr daran interessiert, viel Abstand zwischen sich und diese Kreatur zu bringen. Schließlich haben wir niemanden gefunden, der sich im Wald versteckt hat.“
 

„Ja, ja, und was wenn noch mehr von diesen Ausgeburten der Hölle hierherkommen?!“ platzt es aus Orson heraus.
 

„Daran hab ich auch gedacht. Wir müssen unsere Suche ausdehnen. Jemand von uns wird in den umliegenden Dörfern und bei unseren Schwesterorden Kunde einholen müssen. Der Rest von uns wird um jeden Preis hier bleiben und sich vorbereiten für den Fall, dass mehr Ungeheuer auftauchen. Wir wollen die Verteidigung des Dorfes ja nicht den Affen überlassen, oder?“
 

Man, Orsons Gesicht hat einen völlig neuen Rotton angenommen, während seine Lippen schon weiß sind, so fest lasten sie aufeinander. Trotzdem nickt er. Simmias fügt an, „Und wenn jemand sich dieser Aufklärungsmission würdig erwiesen hat, dann ist es sicher Marin!“
 

„M-meint Ihr das ernst?!“ fragen ich und mindestens ein Dutzend anderer Novizen wie im Chor. Beinahe neckisch grinst Simmias unter seinem Bart. „Wolltest du nicht immer ein wenig reisen? Jetzt hast du die Gelegenheit. Wirst du dem Ruf deines Ordens folgen?“
 

„Werde ich!“ entgegne ich ohne Zögern. Das ist zu schön, um wahr zu sein! Ich grinse von einem Ohr zum anderen. Endlich kein Rumhocken auf der Mühle und gelangweilt in die Ferne starren mehr. Jetzt werde ich doch einmal die Außenwelt mit eigenen Augen sehen!



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