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Though Choices

♡ Tᴏᴜʏᴀ × ℕ ♡
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Tut mir leid, dass dieses Kapitel vom Stil ein wenig anders geschrieben ist, als die vorherigen Kapitel, aber es lag ein längerer Zeitraum zwischen Kapitel 2 und 3 und ich kam in der Zeit nicht so zum weiterschreiben... Ich hoffe, dass es nicht zu sehr stört. :) Komplett anzeigen

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Kapitel 03

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, schlief N glücklicherweise noch neben mir und war nicht im Laufe der Nacht in sein eigenes Zimmer verschwunden. Es tat gut, ihn wieder so ruhig und friedlich zu sehen, und ich hoffte, dass er nicht sofort aufwachen würde. Ich streichelte ihm sanft über die Wange und beschloss, auch noch ein wenig weiterzuschlafen, und so beobachtete ich ihn, bis auch ich wieder eingenickt war. Erst nach ungefähr zwei Stunden wachte ich wieder auf, da ich spürte, dass N sich bewegte.
 

»Ugh...« N stöhnte, als er wieder zu sich kam. Nach den Geräuschen zu urteilen, die er von sich gab, schien er sich grauenhaft zu fühlen. Kein Wunder, so wie er sich die Nacht zuvor verausgabt hatte. Zuerst hatte er den halben Tag mit seinen Pokémon-Freunden gespielt, wobei ich nur rätseln konnte, wie man sich dieses Spielen vorstellen konnte, und dann hatte er in der Nacht so fürchterlich geweint, bis die gesamte Kraft aus seinem Körper verschwunden und er nur vor Erschöpfung eingeschlafen war. Ich sah, wie er damit kämpfte, seine Augen zu öffnen, aber es wollte nicht funktionieren. Durch die Tränen waren sie wie zugeklebt und mit einem Seufzen schloss er sie wieder. »Grauenhaft. Einfach grauenhaft«, murmelte er.
 

»Guten Morgen, N.« Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn und er zuckte überrascht zusammen. Hatte er etwa vergessen, dass er noch immer in meinem Bett lag? Spätestens jetzt sollten seine Erinnerungen zurückkehrt sein. Mit etwas mehr Willenskraft schaffte er es diesmal, seine Augen zu öffnen, und er sah mich überrascht an. Mir fiel auf, wie mitgenommen er doch aussah. Seine Wangen waren noch immer rot und ich musste mir eingestehen, dass seine Stirn sich auch ziemlich heiß angefühlt hatte. »Oh nein, N. Du wirst doch nicht etwa krank, oder?« Besorgt legte ich meine Hand auf seine Stirn und es gab keinen Zweifel, aber irgendwie wunderte es mich kein bisschen. »Nein, werde ich nicht«, widersprach er. »Ich bin nur ein bisschen erledigt von gestern, nichts Ernstes.« Wie immer konnte er sich nicht eingestehen, auch mal schwach zu sein. »Ich glaube eher weniger«, meinte ich. Erschöpft schloss N die Augen erneut und jeder, der ihn so gesehen hätte, hätte mir zugestimmt, dass er eindeutig nicht in Ordnung war. Als sein Atem langsamer wurde und er anscheinend wieder kurz vorm Einschlafen war, beschloss ich, dass es Zeit war, ins Bad zu gehen.
 

N erschrak und schlug überrascht die Augen auf, als er spürte, wie ich das Bett verließ. »Hey, Touya. Wo gehst du hin?«, fragte er, als ich bereits dabei war, die Zimmertür zu öffnen. »Es geht dir nicht gut. Deshalb ruh dich gut aus, in Ordnung?«, schlug ich vor und wollte nicht, dass er sich weiter anstrengte. Seine Stimme klang so leise, dass ich merkte, dass ihm das Sprechen schwerfallen musste. Verzweifelt sah er mich an. »Und du gehst wohin?«, fragte er noch einmal. Ich wusste, dass er wollte, dass ich bei ihm blieb. Es ging ihm immerhin schlecht, das merkte ich ihm an, auch wenn er mit letzter Kraft versuchte, seinen schlechten Zustand zu überspielen. Es musste für ihn unangenehm sein, dass er mir den Abend zuvor so viele private Dinge offenbart hatte, und ich konnte mir vorstellen, dass er sich im Nachhinein dafür schämte, geweint zu haben. N war die Nacht zuvor so anders gewesen als sonst, so zerbrechlich und offen mir gegenüber. Ich wäre gerne bei ihm geblieben, da er sich immer noch schlecht fühlte.
 

Aber ich musste zur Pokémon-Liga und ich war bereits spät dran, da der Weg immer sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Doch ich fragte mich, ob es wirklich richtig war, heute das Haus zu verlassen. Sollte ich N wirklich alleine lassen? Mir fiel auf die Schnelle niemand ein, der auf ihn hätte aufpassen können. Viele meiner Freunde hassten ihn noch immer und ich war die einzige Person, die sich im Moment für ihn interessierte. Es war eine schwierige Situation und ich war mir sicher, dass es sich in Zukunft bestimmt ändern würde und N mehr Freunde finden würde. Aber ich brauche jetzt einen Freund, der für ihn da sein konnte und, solange ich weg sein würde, auf ihn aufpasste. Warum war es nur so schwierig mit N?
 

»Ruh dich bitte den ganzen Tag aus und verlasse auf gar keinen Fall die Wohnung«, bat ich ihn. »Ich mache dir gleich was zu essen und bring es dir hier ins Zimmer.« Das war leider alles, was ich tun konnte, denn ich konnte nicht wegen Ns Zustand zuhause bleiben. Mir war bereits die Tage zuvor klar geworden, dass ich meine Rolle als Champion nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Jeder freie Tag ohne Training war Verschwendung und ich hatte schon lange nicht mehr trainiert. Vielleicht würde ich es bitter bereuen, wenn ich jetzt sogar zuhause bleiben würde. Als Champion hatte ich eine noch größere Verantwortung als die Arenaleiter der Region. Es ging nicht nur um mich, sondern auch um die jungen Trainer, deren Traum es war, ebenfalls Champion zu werden. Ich hatte nun eine Verantwortung gegenüber ihnen allen und deshalb musste ich sofort zur Pokémon-Liga.
 

»Du hast meine Nummer, sodass du mich immer auf meinem Viso-Caster erreichen kannst. Bitte melde dich, wenn etwas Wichtiges oder Schlimmes passiert ist. Ich meine es ernst!«, rief ich noch, als ich bereits die Treppe herunterging. N antwortete nichts mehr, denn er hatte verstanden und war zu schwach, um noch etwas zu antworten. Hatte ich mir nicht letzten Abend noch geschworen immer für ihn da zu sein? Aber ich hatte eben auch meine Aufgaben als Champion, also musste ich gehen. Ob er wollte oder nicht und ob ich wollte oder nicht. Mir stieg die ganze Aufgabe des Champions ebenfalls schon über den Kopf, aber es war eben immer mein Traum gewesen.
 

Nur wegen N wurde es kompliziert und ich bekam mein Leben nicht mehr auf die Reihe. N war doch ein erwachsener Mann und ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so schwer werden würde, für ihn da zu sein, weil er sich eben doch noch mehr wie ein kleines Kind verhielt, zumindest wenn es um selbstverständliche Dinge ging. Durch die Isolation im Schloss gab es zahlreiche Dinge, die er nie gelernt hatte und von denen ich nicht glauben konnte, dass er noch nie etwas davon gehört hatte. Sein Vater hatte eindeutig bei der Erziehung versagt, oder viel mehr dafür gesorgt, dass aus N ein eigenartiger Mann geworden war. Immerhin hatten wir bereits herausgefunden, dass sein Vater ihn nur für die Rolle des Königs benötigt hatte und ihn vermutlich nach der Erfüllung seines Ziels sogar wie ein benutztes Werkzeug entsorgt hätte. Als ich N darüber aufgeklärt hatte, dass sein Vater ihm viele Dinge verschwiegen oder falsch beigebracht hatte, hatte es uns beide nicht verwundert. Der Mann hatte sich nie wirklich darum gekümmert, was später aus N werden würde.
 

Hätte ich nicht die Aufgabe, N in ein gewöhnliches Leben zu helfen, würde mir die Rolle als Champion vielleicht auch nicht so schwerfallen. Aber sich auf zwei so wichtige, bedeutende Sachen zu konzentrieren, fiel mir einfach schwer. Ich hatte nicht einmal mehr Zeit, mir etwas Richtiges zu essen zu machen, weil ich bereits so spät dran war und mich nicht verspäten durfte. Ich wollte diesen Tag als eine Chance für einen Neuanfang nutzen. Mit N lief alles wieder bestens und die Distanz zwischen uns war verschwunden. Dass wir nun sogar ein Paar waren, machte mich glücklich und ich wollte dafür sorgen, dass ich nun auch meine Rolle als Champion besser ausführen würde als je zuvor.
 

»Touya, du wirst mich nicht wirklich in diesem Zustand alleine lassen?«, hörte ich plötzlich Ns schwache Stimme und erschrak. Er war irgendwie die Treppe heruntergekommen, ohne dass ich ihn bemerkt hatte. Nun stand er unten am Geländer und versuchte, sich so gut es ging aufrechtzuhalten. Ich konnte genau sehen, dass er in keinem Zustand war, in dem ich ihn hätte alleine lassen sollen. Seine Beine zitterten und es sah aus, als würden sie jeden Augenblick nachgeben. Ohne den Halt am Geländer wäre er sicherlich bereits zusammengebrochen. Auch seine Augen sahen traurig aus, weil er genau wusste, dass ich nicht bei ihm bleiben würde. »Tut mir leid...!« Ich war verzweifelt. Warum konnte er nicht einfach im Bett liegen bleiben? Warum musste er mich nun auch noch so traurig ansehen, sodass ich fast ein schlechtes Gewissen bekam, wenn ich ihn nur ansah? Ich konnte doch nichts an der Situation ändern und hätte ich nicht die Aufgabe des Champions, dann wäre ich bei ihm geblieben.
 

Ich wusste, dass N meine Nähe nun brauchte, und nachdem ich ihn zuvor aufgemuntert hatte, indem ich ihn versichert hatte, ich wäre nun für immer für ihn da, tat es mir weh, dass ich nun doch gehen musste, obwohl es ihm so schlecht ging. »Wenn du jetzt schläfst, vergeht die Zeit ganz schnell. Dann bin ich schon bald wieder bei dir«, versicherte ich ihm. »Ich muss jetzt ins Bad und mich für die Pokémon-Liga fertigmachen. Ich komme gleich noch einmal zu dir ins Zimmer. Versprich mir, einfach im Bett liegen zu blieben.« Er nickte, doch ich sah, dass er zu schwach war, um die Treppe wieder alleine nach oben zu gehen. Wie war er überhaupt nach unten gekommen? Dann legte ich einen Arm um ihn und half ihm dabei, wieder in mein Zimmer zurückzugehen.
 

Manchmal war N wirklich dickköpfig. Aber ich wusste, dass er es nicht böse meinte, denn er war krank und sicherlich noch verwirrt vom letzten Abend. Außerdem war es sein gutes Recht, in einem solchen Zustand auf meine Gesellschaft zu hoffen. Dass er nicht akzeptieren wollte, dass es meine Aufgabe war und ich wirklich nicht nur zum Spaß das Haus verlassen musste, war schwierig für uns beide. Ich konnte ihm einfach nicht klarmachen, dass es für mich wichtig war, meinen Titel als Champion nicht zu verlieren, doch er machte sich nichts daraus. Er verstand nicht, wozu ein Champion überhaupt gut war. Es entzog sich seinem Verstand, warum mir dieser Titel so wichtig war.
 

Als ich kurz darauf noch einmal nach ihm sah, schlief er bereits wieder, also machte ich mir keine weiteren Sorgen. Ich ließ ihm etwas Kleines zu essen im Zimmer und konnte nur hoffen, dass er sich durch den Schlaf erholen würde. »Ruf mich an, wenn etwas ist. Dann komme ich sofort nach Hause!«, schrieb ich auf einen kleinen Zettel, den ich neben das Bett legte, um ihn daran zu erinnern, dass ich zu ihm kommen würde und ihm helfen würde, sollte es ihm wirklich so schlecht gehen, dass er meine Hilfe brauchte. Ich wünschte mir zwar, dass es nicht soweit kommen würde, doch ich wollte ihm im Notfall nicht alleine lassen müssen. Auch wenn er schlief, zweifelte ich daran, dass es ihn bis zum Abend besser gehen würde. Doch zum Arzt schicken wollte ich ihn nicht, denn ich fürchtete, dass ihm auf dem Weg etwas passieren würde; er war außerdem noch immer der ehemalige König von Team Plasma und so hatte ich Angst, dass ihm außerhalb der Wohnung jemand auflauern und seinen Zustand ausnutzen könnte. Dem Finstrio zumindest traute ich alles Mögliche zu, um sich an N zu rächen.
 

Ich musste ihn wohl oder übel alleine lassen und machte mich auf den Weg zur Liga. Ich begab mich zum nächstgelegenen Pokémon-Center und durchsuchte meine PC-Boxen nach Pokémon, die ich mitnehmen wollte und die ich stark genug fand, um sie in den heutigen Kämpfen einzusetzen. Vielleicht erwartete mich ja mal wieder ein starker Trainer und meine Pokémon würden dieses Mal zum Einsatz kommen. Mein Kampfgeist war zurück und ich war motiviert, die anderen Mitglieder der Top 4 nicht zu enttäuschen. Ich würde ihnen zeigen, dass ich, trotz meines weit entfernten Wohnorts und meines Lebens mit N, immer noch ein motivierter Trainer war und nicht schwächelte, weil ich lange nicht mehr trainiert hatte. Ich suchte fünf Pokémon aus, dazu ein zusätzliches, das fliegen konnte, weil ich so schneller zur Siegesstraße kommen würde. Im Pokémon-Center der Liga legte ich es dann ab und wechselte es gegen ein starkes Pokémon aus.
 

Als ich die Eingangshalle betrat , warteten bereits Anissa und Kattlea und unterhielten sich. Ob sie auf mich gewartete hatten? Ich ahnte nichts Gutes, als ihr Blick auf mich fiel. Sie hatten eindeutig auf mich gewartet. »Wir müssen reden«, kam es sofort von Anissa. Kattlea hielt sich die Hand vor den Mund. Ich war nicht sicher, ob sie lachte und es zu verstecken versuchte, oder ob sie vor Müdigkeit gähnte, denn sie war oft sehr schläfrig. Ihre Augen verrieten nichts, sie sah wie immer ein wenig müde und gleichgültig aus. »Worum geht es denn?«, wollte ich wissen und ich sah mich um, denn Astor und Marshall schienen nicht in der Nähe zu sein. Ob es nur die beiden Mädchen betraf? Vermutlich hatte ich zu früh Angst gehabt, dass die beiden etwas bezüglich meines Verhaltens mit mir besprechen wollten. Vielleicht ging es ja um etwas völlig anderes. »Wo sind denn die beiden anderen?«, fragte ich.
 

»Die beiden Feiglinge? Die hatten keinen Mut mit dir zu reden, deshalb haben sie Kattlea und mich hierher geschickt«, erklärte Anissa und verschränkte die Arme. Es schien also wirklich um nichts Gutes zu gehen. Als Anissa meinen verwirrten Blick bemerkte, wurde ihre Miene noch finsterer und sie sah mich mit herablassendem Blick an. »Du bist mit Abstand der unzuverlässigste Champion aller Zeiten. Man kann dir einfach nicht vertrauen!«, schimpfte sie und Kattlea nickte, sagte jedoch nichts weiter dazu. Wie immer war sie schweigsam, war jedoch Anissas Meinung. Diese seufzte. Ich konnte ihr regelrecht ansehen, dass sie nicht wirklich böse, sondern auch besorgt war. »Wir meinen es nicht böse, aber... « Sie suchte nach den richtigen Worten. »Es ist eben deine Pflicht, dass du als Champion jeder Zeit bereit bist, herausgefordert zu werden. Du hättest schon vor einem Monat versprochen, dass du von nun an in der Pokémon-Liga bleiben wirst, damit du jederzeit bereit bist. Stattdessen wanderst du hin und her. Alles nur wegen deines Freundes... So geht das nicht weiter.«
 

»Als Champion habe ich doch auch meine Privilegien und... « Leider vielen mir keine vernünftigen Gegenargumente ein. Die Mädchen hatten Recht. Nur wegen N reiste ich zwischen der Liga und meiner Wohnung hin und her, anstatt einfach wie die anderen im Gebäude der Pokémon-Liga zu wohnen. Das war sicherlich kein gutes, richtiges Verhalten, wie es sich für einen Champion gehörte. Sogar die Arenaleiter waren jederzeit bereit und als Champion war ich um ein Vielfaches wichtiger. Ich war der angesehene, stärkste Trainer der Region und es war verständlich, dass meine ständige Abwesenheit und meine Faulheit und mein immer häufiger ausfallendes Training ein schlechtes Licht auf die gesamte Pokémon-Liga der Einall-Region warf. Aber ich versuchte dennoch, den beiden einzureden, dass die Situation nicht so schlimm war, wie sie dachten, denn ein wenig fürchtete ich mich vor Anissas bösen Blick und Kattlea war für mich noch immer eine unberechenbare Person. Ich musste sie besänftigen, denn immerhin hatte ich vor, mich zu bessern und ein guter Champion zu werden. »Ich meine, so viele Herausforderer können das doch nicht sein, oder?«, fragte ich.
 

Mit einem Handgriff klappte Anissa ein Buch auf und schrieb mit ihrem Füller, den sie schnell aus einer kleinen Tasche in ihrer Bluse zog, etwas auf eine der Seiten. »Das hier ist die Anzahl der Herausforderer, die, seitdem du wieder Champion bist, keinen Kampf gegen dich austragen konnten, weil du nicht da warst!« Dann hielt sie mir das Buch vor die Nase. Verblüfft starrte ich auf die Zahl, die sie hastig in das Buch geschrieben hatte. »Oh, das sind...« Ich staunte, da die Zahl höher war, als ich vermutet hatte. »Das sind eine Menge Trainer!«, gab ich zu und wurde rot, da ich meine Sache wohl noch schlechter machte, als ich es erwartet hatte. Ich war noch nicht lange wieder Champion und es war nett von Lilia gewesen, mir so viel Vertrauen entgegenzubringen. Anscheinend hatte ich ihr Vertrauen bereits enttäuscht und war eine Schande für alle Beteiligten. Wie sollte ich ihnen nur klar machen, dass ich mich von nun an ändern wollte?
 

»Wie zu erwarten, dass er es nicht versteht... « Kattlea gähnte in ihr Kissen, das sie zuvor einfach unter ihrem Arm getragen hatte, und meldete sich zu Wort, nachdem sie so lange still gewesen war und einfach nur zugehört hatte. »Lass es mich dir erklären, damit du es nachvollziehen kannst.« Sie rieb sich die Augen, begann dann jedoch mit sicherer Stimme zu erläutern: »Vor zwei Jahren, als du dein Starterpokémon erhalten hast und innerhalb eines Monats bis zum Champion aufgestiegen bist, hat sich Professor Esche aus Avenitia dazu entschieden, nach mehr potenziellen jungen Trainern zu suchen. Diese haben zwar nicht so enorm schnelle Fortschritte gemacht wie du, jedoch sind sie jetzt, nach zwei Jahren, fast alle stark genug, um die Top 4 herauszufordern.«
 

Ich verstand sofort, was Kattlea damit meinte. All die Trainer, die in den letzten zwei Jahren, in denen ich nur nach N gesucht hatte, ihre Pokémon-Reise begonnen hatten, wollten nun gegen uns kämpfen und ich musste stark genug sein, um ihnen standhalten zu können. Ich hatte bereits Mei und Kyouhei getroffen und wusste deshalb, dass in vielen von ihnen ein großes Potential schlummerte. Erst durch die Worte der beiden Mädchen wurde mir bewusst, dass ich mich viel zu lange auf meinem Erfolg ausgeruht hatte. Ich hatte zwar immer noch meinen Drachen, doch war ich mir nicht mehr sicher, ob dies alleine reichen würde, um gegen solche Trainer zu gewinnen. Nur ein schlechter Tag würde dazu führen, dass auch mein Drache besiegt werden würde. Die Scham über meine eigene Faulheit wurde immer größer. Ich musste so schnell wie möglich Taten folgen lassen, um wieder zu einem würdigen Champion zu werden.
 

Anissa blätterte in ihrem Notizbuch. »Aber das ist nicht alles«, fügte sie hinzu. Noch nicht alles? Ich konnte es kaum fassen, dass es noch mehr schlechte Nachrichten gab. »Dazu kommen alle anderen Trainer, die durch andere Umstände ihre Pokémon erhalten haben, und die Trainer mit Starterpokémon, die Professor Esche noch innerhalb dieser zwei Jahre verteilt hat. Nicht zu vergessen all die anderen armen Trainer, die schon seit Jahren die Top 4 herausfordern und so weiter... Verstehst du jetzt, wie groß die Konkurrenz ist?« Ich verstand sofort, was sie damit sagen wollte. Ohne weiter darauf zu warten, dass die beiden von sich aus die Forderung stellen würden, sagte ich es geradewegs heraus: »Das heißt, dass ihr wollt, dass ich hierher ziehe, damit ich Tag und Nacht bereit bin, um gegen all diese zahlreichen Trainer antreten zu können? «
 

Anissa nickte eifrig und Kattlea gab ein leicht gelangweilt klingendes Gähnen von sich. »Genau. Du musst damit rechnen, dass jeden Tag mindestens ein Trainer dich herausfordern will. Der Andrang ist so groß wie seit Jahren nicht mehr!« Anissas Augen strahlten, als sie die Worte nur aussprach. »Wir von der Top 4 leben für den Kampf! Sobald du dich richtig an dieses Leben gewöhnt hast, wirst du gar nicht mehr genug davon bekommen. Sobald du hier in der Pokémon-Liga wohnen wirst, wirst du erst zum richtigen Champion der Einall-Region. Glaub mir, sobald du hier bist, wird dein Kampfgeist erst richtig erblühen!« Ich spürte, dass die beiden trotz des Tadels es nicht böse mit mir meinten. Anscheinend wollten sie mich zu einem von ihnen machen und dafür sorgen, dass sie sich nicht mehr für meine Unzuverlässigkeit schämen mussten. Ich schämte mich selbst, dass ich meinen großen Traum so auf die leichte Schulter genommen hatte.
 

»Du bist der Stärkste der Pokémon-Liga, stärker als wir.« Kattlea rieb sich eine Müdigkeitsträne aus dem linken Auge. »Wir verlassen uns auf dich. Du darfst unser Vertrauen nicht enttäuschen. Du darfst das Vertrauen von Lilia nicht enttäuschen. Sie hat ihren Titel an dich zurückgegeben und du darfst nie vergessen, was sie wegen dir aufgegeben hat. Es war auch ihr Traum!« Da hatte Kattlea nicht ganz unrecht. Ich war bereits vor Jahren zum Champion der Einall-Liga geworden, doch ich hatte den Titel bereits ein paar Tage danach aufgegeben, um nach N zu suchen. Vermutlich war mein Verschwinden für Lilia die große Chance gewesen und sie war unheimlich glücklich gewesen, dass sie nur so doch zum Champion hatte werden können. Es war eine einmalige Chance gewesen und sie hatte sie sofort ergriffen. Nun hatte sie diesen Traum wieder aufgegeben, nur wegen mir. Nicht nur, dass ich keine Ahnung davon hatte, welche Verantwortung ich als Champion hatte, sondern auch Lilias Großzügigkeit, mir den Titel wiederzugeben, nachdem ich sie in einer Revanche besiegt hatte, waren Dinge, über die ich mir nie richtig Gedanken gemacht hatte. Ich hatte in letzter Zeit zu viel über N nachgedacht.
 

Ich hatte es schon fast vergessen und nicht mehr an Ns momentane Situation gedacht. Ob es ihm wohl immer noch so schlecht ging? Er hatte sich bis jetzt nicht gemeldet, doch ich war auch noch nicht lange fort. Ich konnte nur hoffen, dass er inzwischen eingeschlafen war und es ihm bald besser gehen würde. Vielleicht würde ich ihn sogar zu einem Arzt begleiten. Die beiden Mädchen merkten, dass ich wieder in Gedanken war, deshalb räusperte Kattlea und ich erschrak, als ich merkte, dass N mich schon wieder abgelenkt hatte. Selbst hier verfolgten die Gedanken an ihn mich immer noch. »Wir können nur hoffen, dass du eines Tages ein so großartiger Champion wirst, wie Lauro es war«, merkte Kattlea an. »Aber wir vertrauen dir. Du wirst das Richtige tun...« Sie klammerte sich an ihr Kissen und lächelte. Ich erwiderte das Lächeln so gut ich konnte. »In Ordnung. Ich werde darüber nachdenken, was ihr gesagt habt. Ich sage euch nachher Bescheid, aber ich werde auf jeden Fall noch einmal zurück nach Hause gehen, bevor ich hierbleibe... Einverstanden?«
 

Die beiden freuten sich über meine Antwort, denn sie spürten, dass ich ernsthaft darüber nachdachte, hierher zu ziehen. Sofort, als sie verschwunden waren, klappte ich den Viso-Caster auf und rief N an. Es fühlte sich zwar falsch an, mich sofort nach ihm zu erkundigen, anstatt mir die Worte der Mädchen noch weiter durch den Kopf gehen zu lassen oder zu trainieren, aber er war krank und so war es eine Ausnahme. Ich würde mich nur kurz erkundigen und dann würde ich trainieren. Irgendwie ging er mir einfach nicht aus dem Kopf und ich musste die ganze Zeit daran denken, wie süß er am Abend zuvor gewesen war. Es dauerte ein wenig, bis er den Anruf annahm, vermutlich weil er erst mal aufstehen musste. Dann hörte ich ein Piepen – er hatte mich weggedrückt. »N! Geh doch dran, verdammt!«, fluchte ich, weil ich sofort wissen wollte, ob es ihm bereits besser ging, und rief ihn noch einmal an. Vielleicht hatte er aus Versehen aufgelegt. Doch wieder legte er einfach auf und ich fragte mich wirklich, was nur los war. Immerhin war es wichtig und ich machte mir Sorgen um ihn. Wieso drückte er meinen Anruf weg?
 

Plötzlich kam eine Textnachricht: »Was soll der Unsinn, Touya? Ich bin zu schwach zum Reden. Meinem Hals hat der gestrige Abend ziemlich geschadet. Das ist alles deine Schuld!« Ein Schauer lief mir über den Rücken. Wieso gab N mir die Schuld für seine Heulattacke? Aber er hatte nicht ganz unrecht. Ich hatte es einfach zu weit getrieben. Wenigstens hatte ich nun ein Lebenszeichen von ihm, aber ich konnte nicht anders, als mir Sorgen zu machen. Vielleicht war ich ein wenig zu paranoid, doch jeder hätte diese Nachricht getippt haben können. Ich wollte seine Stimme hören, aber wenn es ihm wirklich so schlecht ging, konnte ich nichts machen. Im Nächsten Augenblick kam noch ein Nachtrag: »Wozu überhaupt Pokémon-Champion sein? Dass ich mich überhaupt mit dir abgebe, ist mir ein Rätsel! Das soll nicht heißen, dass ich will, dass du schnell nach Hause kommst und ich dich vermisse. Obwohl, vielleicht heißt das doch, dass ich dich vermisse, Touya ♥« Fieber und N war wohl keine gute Kombination. Der Mann drehte ja völlig am Rad. Seine Nachrichten ergaben schon fast gar keinen Sinn mehr. Aber ich gab mich damit zufrieden, denn dass er noch so viel tippen konnte, musste bedeuten, dass es ihm einigermaßen gut ging. Und das war eindeutig von N.
 

Ich ging durch die Eingangshalle und dann die große Treppe hinauf bis zum Raum des Champions. Schon komisch, dass ich das erste Mal hier gewesen war, nur um N zu besiegen. Und nun war ich Champion und sollte hier wohnen. Ich öffnete die große Tür zu dem Raum, in dem ich mich am meisten aufhielt. Der Raum war sehr groß und hinter ihm waren ein paar Türen zu einem Badezimmer und einem Schlafzimmer. Ich fragte mich, ob dieser Ort groß genug wäre, um mit N hier zu wohnen, aber das war er eindeutig nicht. In das Schlafzimmer passten gerade mal ein kleines Bett und sicherlich nicht mal alle meine Besitztümer von zu Hause. Wie sollte dann N mit mir hier wohnen? Wenn N hier wohnen sollte, dann müsste er seine ganzen Spielsachen weggeben, da hier nicht genug Platz dafür war. Auch das Badezimmer war sehr klein. Nur der Raum des Champions war besonders groß, da hier die Kämpfe um den Champion-Titel ausgetragen wurden und weil auch die größten Pokémon dort hineinpassen mussten, ohne an die Decke des Raumes zu stoßen oder etwas zu zerstören.. Aber zum Wohnen konnte man diesen Raum nicht nutzen, dafür war er nicht da. Das würde nur während der Kämpfe stören, wenn ich irgendwas in diesen Raum gebracht hätte.
 

Mir wurde klar, dass, sollte ich meine Pflichten als Champion voll und ganz erfüllen, N nicht mit mir hier leben konnte. Das Gebäude war so konstruiert, dass es gerade für eine Person reichte. Die Räume der anderen Mitglieder der Top 4 waren ähnlich konstruiert, auch, wenn Kattlea ihr Bett trotzdem in den Kampfraum gestellt hatte und Anissa ihre Bücher überall verteilt hatte. Die Kampfbereiche von Marshall und Astor waren ebenfalls nur für Pokémon-Kämpfe zu gebrauchen. Aber die Top 4 liebte den Kampf, deshalb war es ihnen egal. Es gab für sie nichts Größeres als Pokémon-Kämpfe. Sie machten sich nichts aus Menschen, auf die sie aufpassen müssten, denn ich war der Einzige mit einer solchen Aufgabe. Solche Sorgen gab es für sie gar nicht. Ich fragte mich allmählich, ob dies wirklich das Leben war, das ich führen wollte.
 

Ich hatte die Top 4 eigentlich nur herausgefordert, weil ich N aufhalten wollte. Ich hatte die Top 4 besiegen müssen, um ihn zu erreichen. Vielleicht wäre ich ohne N niemals bereit dazu gewesen. Vielleicht hätte ich es nie gewollt. Ich war einfach glücklich, wenn ich Pokémon trainieren konnte, und der Titel des Champions war ein weitentfernter Traum gewesen. Ich war immer sicher gewesen, dass Cheren diesen Titel tragen würde, und hatte mir eingeredet, dass ich es niemals wirklich hätte schaffen können. Es war einfach unglaublich, dass ich mithilfe von N wirklich so weit gekommen war und tatsächlich Champion wurde. Doch damals war es mir mehr um N gegangen. Ich war damals Champion geworden, weil ich zu N wollte. Und nun schien es so, als müsste ich ihn aufgeben, weil ich Champion war. Das war nicht fair. Ich konnte wohl nicht beides haben.
 

Ich wurde völlig aus den Gedanken gerissen, da sich plötzlich die Tür zu meinem Raum öffnete. Anscheinend war es ein neuer Herausforderer. »Touyaaa!«, hörte ich eine vertraute Stimme und ein braunhaariger Junge rannte sofort auf mich zu und fiel mir um den Hals. Ich war überrascht ihn hier zu sehen, denn es war schon lange her, dass wir uns das letzte Mal getroffen hatten. »Kyouhei, was machst du hier?«, fragte ich ihn überrascht. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich ihn hier wiedersehen würde. »Was soll ich denn schon hier machen? Natürlich will ich einen Pokémon-Kampf gegen den Champion!« Kyouhei hibbelte wild herum und schien voller Tatendrang hierhergekommen zu sein. War er etwa ohne Schwierigkeiten und die kleinsten Anstrengungen durch alle vier Mitglieder der Top 4 gekommen? »Bitte, nur einen Kampf! Einer reicht mir schon!«, bat er mich aufgeregt, als hätte er Angst, dass ich ablehnen könnte. »Was meinst du mit 'Bitte'?« Ich lächelte »Da du bis hier gekommen bist, steht dir ein Kampf zu... Also, lass uns anfangen!«
 

Wie ungewohnt es war, den Jungen wiederzutreffen. Ich hatte mich in letzter Zeit so viel mit meinen Problemen beschäftigt, dass es eine gelungene Abwechslung war, dass ausgerechnet er auftauchte. Kyouhei war wie immer gutgelaunt und ich hatte keine Ahnung, ob dies nur eine Fassade war oder ob er sich tatsächlich über die unspektakulärsten Kleinigkeiten auf dieser Welt so dermaßen freute. Aber was auch immer der Grund war, warum er ausgerechnet jetzt zu mir kam, ich war einverstanden mit dieser Situation. Ich würde ihn schnell besiegen und ein wenig Spaß würde es bestimmt auch noch machen.
 

»Ah! Ich kann es kaum erwarten zu sehen, was Touya so draufhat, jetzt wo er wieder Champion ist!«, sagte Kyouhei und war aufgedreht wie immer. »Es ist so lange her, seit ich deine Pokemon das letzte Mal gesehen habe. Ich kann mich kaum noch an sie erinnern.« »Übertreib nicht, Kyouhei.« Ich verdrehte die Augen, denn so lange her war unser letztes Treffen nun auch nicht. »Das war doch gerade erst vor einem Monat. So lange ist das nicht her.« »Aber da warst du noch nicht wieder offiziell Champion! «, jammerte der Junge. »Ich will gegen den Champion Touya kämpfen. Ich kann es kaum erwarten. Zeig mir alles, was du hast! Los, los, los!«
 

Kyouhei verhielt sich wie ein Fanboy. Vermutlich wirkte dieses Verhalten auf viele Menschen lästig, doch mir kam er seit den Ereignissen wie ein kleiner Bruder vor. »Ich kann nur hoffen, dass N keine falsche Entscheidung getroffen hat, als er dir damals seinen Drachen anvertraut hat«, neckte ich ihn, aber Kyouhei schüttelte nur den Kopf. »Auf keinen Fall. Aber trotzdem habe ich eine Bitte an dich, Touya.« Ich hatte keine Ahnung, was er jetzt schon wieder wollte. Aber ich war es ja von Kyouhei gewohnt, dass er immer mit irgendwelchen Überraschungen ankam. Obwohl ich ihn erst seit zwei Monaten kannte, war er mir sympathisch und ich würde wahrscheinlich ohnehin nicht ablehnen.
 

»Ich will unbedingt, dass wir die Drachen in diesem Kampf nicht einsetzen. Ich will wissen, wer von uns beiden der Stärkere ist. Es geht hier nicht um die Drachen, sondern um uns. Ich will wissen, ob ich stark genug geworden bin, um dich zu besiegen. Ich habe bereits Lilia besiegt, deshalb muss ich sichergehen!« Kyouhei wurde plötzlich ernst, fast verzweifelt. Er schien es mit seiner Bitte wirklich ernst zu meinen. Ich hob eine Augenbraue. »Und was ist, wenn ich der Bedingung nicht zustimme?«, fragte ich. Ich hatte meinen Drachen nicht einmal dabei, weil ich wusste, dass ich ihn nicht brauchen würde. Aber ich wollte wissen, was Kyouhei antworten würde. »Das ist egal. Ich werde meinen Drachen eh nicht einsetzen, Touya. Solltest du Zekrom benutzen und ich besiege dich trotzdem, zeigt das nur, dass ich selbst mit meinem normalen Team gegen deinen Drachen ankomme.« Kyouhei schien selbstbewusst. Ich sollte ihn lieber nicht unterschätzen.
 

»Wie bist du eigentlich so schnell durch die Top 4 bis hierher gekommen?«, fragte ich ihn verwundert. Es hatte mich vorher schon gewundert, dass er kurz nach meiner Ankunft sofort durch die Tür gestürmt war. Immerhin hatte ich gerade noch mit Anissa und Kattlea geredet und es war sehr ungewöhnlich, dass Kyouhei nun schon vor mir stand. Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, wie diese Kämpfe abgelaufen sein könnten. »Ich habe mich gestern schon qualifiziert, aber du warst ja nicht da«, erklärte Kyouhei. »Deshalb durfte ich heute einfach direkt bis zu dir durchgehen. Ach ja und wie gesagt, ich habe die Top 4 ohnehin in der Vergangenheit schon geschlagen, vergiss das nicht!« Kyouhei war zwar jünger als ich, aber was ich an ihm bewunderte war, dass er, sobald er einen Kampf bestritt, plötzlich ernst und willensstark wurde. Das schien ein harter Kampf zu werden. Wir gingen auf unsere Positionen, die durch die Markierungen am Boden angezeigt wurden, und ich eröffnete den Kampf: »Dann zeig mir mal, was du draufhast und ob du wirklich gegen mich gewinnen kannst, Kyouhei.«
 

»Aber nehm' du bloß keine Rücksicht auf mich!« Mit diesen Worten schickte Kyouhei sein Flambirex in den Kampf. Sobald es aus seinem Pokéball befreit worden war, schossen sofort zwei Flammen aus seinen Nasenlöchern. »Dein treuer Starter, hm? Lass mich sehen, was er drauf hat!« , rief ich und befreite mein Admurai. »Das hier ist mein Starter. Ob deiner es wohl mit ihm aufnehmen kann?« Das Pokémon gab einen Kampfschrei von sich und stampfte auf den Boden. Ich besaß dieses Pokémon schon sehr lange und es hatte mir sehr in meinem Kampf gegen Team Plasma geholfen. Damals war es noch ein kleines Ottaro gewesen, doch es hatte sich so enorm schnell entwickelt, dass ich wirklich stolz auf seine Kräfte war. Auch, wenn das Flambirex von Kyouhei noch so stark wäre, würde er nicht gegen mein Admurai ankommen. Das war sicher.
 

»Wasser schlägt Feuer... Schon jetzt ist mir dein Pokémon vom Typ überlegen.« Kyouhei lachte. »Was für ein Glück für dich, Touya. Aber warte nur ab, es geht hier nicht nur um Stärken und Schwächen, sondern vor allem um die Stärke und Willenskraft, und davon hat mein Team mehr als genug!« Kyouhei war wirklich sehr überheblich, wenn es um seine Pokémon ging, doch es störte mich nicht. Immerhin wusste ich genau, dass er wirklich etwas auf dem Kasten hatte. Selbst N hatte mir ein paar Geschichten über ihn erzählt und darüber, dass Kyouhei selbst seinen Vater besiegt hatte. Es war eine Menge vorgefallen, bei dem ich zwar nicht dabei gewesen war, doch ich hörte immer davon, dass Kyouhei sich außerordentlich gut geschlagen hatte. Deshalb war mir bewusst, dass es nicht nur Sprüche waren. Ich wusste genau, dass er ein starker Trainer war, auch wenn es noch nicht entschieden war, ob er es wirklich mit mir aufnehmen könnte.
 

»Dann zeig mir, dass du nicht bloß Sprüche klopfen kannst! Zeig mir deine ganze Stärke, Kyouhei!« Mit diesen Worten begann der Kampf. Flambirex attackierte ohne Vorwarnung, und auch ohne dass Kyouhei einen Befehl geben musste, mein Admurai, doch durch die Typen-Schwäche nahm Admurai trotz des Überraschungsangriff, der selbst mich verblüffte, kaum Schaden, auch wenn Flambirex ein ernstzunehmender Gegner war. Es brachte Admurai wieder und wieder zu Fall und nutze seine ganze Stärke gegen mein Pokémon. Doch Admurais Verteidigung und seine Überlegenheit waren Flambirex Verhängnis. Alleine durchs Beobachten sah ich, dass diese Runde an mich gehen würde, auch wenn sein Pokémon sich noch so sehr anstrengte. Schon bald hatte es jede seiner Attacken mindestens einmal gezeigt und ich hatte genug Wissen darüber erlangt, in welchem Augenblick es besonders verwundbar war.
 

Ich schrie den Namen meines Pokémon und es wusste genau, was es zu tun hatte. Sofort schossen Wassermassen neben ihm aus dem Boden und es startete den Gegenangriff. Durch eine Kaskade-Attacke wurde Flambirex schwer verletzt und vor Kyouheis Füße geschleudert. »Flambirex!«, schrie Kyouhei, »Steh auf, ich weiß du kannst das!« Natürlich war das Pokémon noch nicht besiegt, doch ich sah genau, dass es bereits dermaßen mitgenommen aussah, weil es nicht gegen ein Wasserpokémon ankommen konnte. »Warum wechselst du nicht aus? Eine weitere Attacke reicht, um ihn zu besiegen.« Ich gab Admurai ein Zeichen und es machte sich bereit für den nächsten Angriff. Sobald Flambirex aufstehen würde, würde es ihn sofort wieder attackieren. Dieser Kampf würde ein Kinderspiel werden, sollte Kyouhei weiterhin nur auf seine Pokémon vertrauen und nicht auf die Schwächen achtgeben. »Niemals, ich...! Ich kann dich auch so besiegen. Meine Pokémon sind trotzdem stark genug und ich vertraue ihnen.« Als Flambirex diese Worte gehört hatte, regte es sich und stand langsam auf. »Oh mein Flambirex!«, freute sich Kyouhei. »Ich habe doch gesagt, dass es noch kämpfen kann.« Als Flambirex wieder auf den Beinen war, dauerte es nur wenige Sekunden, bis es schon voller Kampfkraft auf Admurai zustürmte und es in die Luft schmiss. Ich hatte nicht einen Augenblick Zeit, darauf zu reagieren und auch Admurai war so überrascht, dass es keine Zeit hatte, sich dagegen zu wehren. »Nein, das ist unmöglich!«

Ich war erstaunt, dass es immer noch kämpfen konnte und nun sein wahres Potential entfaltete. Jedes andere Feuer-Pokémon hatte Admurai immer mit einem Angriff besiegt.
 

»Manchmal muss man eben auch Risiken eingehen, um schwierige Situationen zu meistern!« Kyouheis Augen funkelten. »Los, Flambirex! Besiege Admurai mit deiner Durchbruch-Attacke!« Wie von seinem Trainer befohlen rannte Flambirex ein weiteres Mal los und war viel zu schnell, sodass mein Pokémon wieder keine Zeit hatte, ihm auszuweichen. Zwar konterte Admurai mit einer Wasserattacke, doch Flambirex war auf einmal außer sich, rannte einfach durch die Wassermassen hindurch und schlug auf Admurai ein, wobei es sogar den Boden um sie herum zertrümmerte. Admurai blieb am Boden liegen und gab nur noch ein Stöhnen von sich. Es war nicht mehr fähig, weiterzukämpfen.
 

»Ich muss sagen, dass ich wirklich beeindruckt von dir bin...« Mit diesen Worten rief ich mein Pokémon zurück. Mit diesem Flambirex war nicht zu spaßen. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Ich versuchte mich gelassen zu geben und ihm zu zeigen, dass Admurai nicht mein stärkstes Pokémon gewesen war. Doch innerlich zitterte ich ein wenig davor, dass auch Kyouhei noch stärkere Pokémon besaß. Zwar wollte er den Drachen von N nicht benutzen, doch es gab auch noch andere starke Arten und ich konnte nur hoffen, dass ich von nun an nicht im Nachteil sein würde. »Du solltest diesen Kampf von jetzt an ernst nehmen, Touya. Ansonsten bin ich nicht nur bald in Besitz des Drachen deines Freundes, sondern auch in Besitz deines Champion-Titels!«, freute sich Kyouhei und rief sein Pokémon ebenfalls zurück. Die letzte Attacke hatte dem Flambirex so zu schaffen gemacht, dass auch es völlig kaputt war. »Ich will sehen, was du noch so zu bieten hast.«
 

»Du willst also, dass ich diesmal zuerst das Pokémon wähle, so?« Das war nicht gut. Ein Pokémon von mir war bereits besiegt und egal, welches ich nun in den Kampf schicken würde, Kyouhei würde ein Pokémon wählen, das ihm überlegen wäre. Aber es brachte nichts, weiter darüber nachzudenken. Ich musste handeln. Ich wollte nicht sofort mein stärkstes Pokémon benutzen, deshalb rief ich mein Cerapendra in den Kampf. Es war ein besonders gefährliches Pokémon, das schon viele Gegner ohne Rücksicht besiegt hatte. Oft wurden die gegnerischen Pokémon durch seine rücksichtlosen und giftigen Angriffe sogar ohnmächtig. Damit sollte das doch zu schaffen sein, egal, was er für ein Pokémon er auswählen würde. Kyouhei wählte sein Morbitesse, das vom Typ her meinem Pokémon überlegen war. Ich konnte nur darauf vertrauen, dass dieses Morbitesse kein besonders guter Kämpfer war und hoffte darauf, dass ich dennoch gewinnen würde.
 

Doch leider bewahrheitete sich meine Befürchtung. Mit Psychokinese verletzte Morbitesse mein Pokémon, dann verwirrte es Cerapendra auch noch mit Psystrahl. Ich schaffte es zwar, meinem Pokémon den Befehl zu geben, Morbitesse mit seinem Giftschweif zu vergiften, doch am Ende siegte das gegnerische Pokémon. Es ging so schnell, dass ich es kaum fassen konnte. Zuerst dieses Flambirex und nun ein Morbitesse, das meine Pokémon einfach so fertigmachte. Hatte ich überhaupt eine Chance gegen dieses mächtige Pokémon? Ich konnte es kaum fassen, dass Kyouhei überhaupt Pokémon mit einem solch hohen Angriff besaß. Es reichten schon so wenige Treffer, um meine Pokémon, die ich jahrelang trainiert hatte, einfach so zu besiegen.
 

Und so ging es weiter. Ich konnte fast gar nicht hinschauen, wie ein Pokémon nach dem anderen besiegt wurde, bis schließlich fünf Pokémon aus meinem Team keine Kraft mehr hatte. Bereits während des Kampfes war mir klargeworden, dass es auf ein solches Finale hinauslaufen würde. Ich hatte nur ein Pokémon in meinem Team und Kyouhei besaß noch zwei völlig gesunde Pokémon. Wie sollte ich ihn jetzt noch besiegen? Meine allerletzte Hoffnung war, dass Kyouhei nur noch zwei schwache Pokémon besaß und seine Trumpfkarte bereits ausgespielt hatte. Aber auch ich hatte noch ein relativ gutes Pokémon auf Lager, bis Kyouhei noch zwei Pokémon und ich nur noch eins übrig hatte. Es handelte sich um mein Zytomega, das ein beachtlich hohes Level erreicht hatte.
 

Zu meinem Glück schickte Kyouhei ein Skelabra in den Kampf. Zumindest dieses eine Pokémon, da war ich mir sicher, konnte ich ohne Probleme besiegen. Ich konnte nur hoffen, dass mein Pokémon auch dem verbliebenen Pokémon von Kyouhei überlegen sein würde. Was auch immer es war, ich war mir sicher, würde ich Skelabra schnell besiegen, dann würde ich vielleicht noch gewinnen können. Dann würde ich nicht alle enttäuschen müssen. »Das ist also dein letztes Pokémon... Enttäusch mich nicht, Touya!«, stichelte Kyouhei und sein Skelabra flog auf mein Zytomega zu. Zytomega wich ohne Probleme aus, flog hoch in die Luft und zielte mit seinem Konfustrahl auf Skelabra. Das Kronleuchter-ähnliche Pokémon geriet ins Wanken, konnte jedoch die Kontrolle behalten und flog erneut auf mein Pokémon zu. Es war ziemlich hartnäckig, doch ich war mir sicher, dass ich diese Runde gewinnen würde. Das Pokémon hatte keine Chance gegen meines. Endlich war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich zeigen konnte, dass ich genug Kraft hatte, um Kyouhei zu besiegen. So schnell würde ich meinen Titel nicht verlieren.
 

Zytomega schoss seine Psychokinese-Wellen auf das Skelabra und ich war sicher, dass dies ausreichen würde, um es zu besiegen und zum eigentlichen Finale des Kampfes zu kommen. Doch Kyouhei schrie im gleichen Augenblick: »Jetzt!« Mit einem Mal flog sein Pokémon viel schneller als zuvor direkt auf mein Pokémon zu und verletzte es direkt mit seinem Körper. Geschockt sah ich zu, wie Zytomega zu Boden flog und sein geleeartiger Körper es sofort wieder in die Luft beförderte. Ich sah in seinem Blick, dass es genauso ratlos war wie ich. »Wie... wie ist das möglich? Was ist das für eine Attacke?«, fragte ich verwirrt. Ein Skelabra konnte so eine Attacke nicht einsetzen, da war ich mir sicher. »Und jetzt noch Nachtflut!«, rief Kyouhei und schwarze Wellen schossen aus der Flamme des Skelabras. Irgendwas stimmte nicht und ich hätte es mir denken können. Jetzt wurde mir klar, warum dieses Pokémon diese Attacken beherrschte.
 

Als Skelabra gerade wieder mein Pokémon direkt mit seinem Körper attackierte, erwischte Zytomega es mit einer Irrschlag-Attacke und meine Vermutung wurde bestätigt. Die Tarnung des Pokemon wurde aufgehoben und Zoroark kam zum Vorschein. Kyouhei begann zu schmunzeln. Nur wegen dieses Tricks hatte mein Zytomega viel zu viel Schaden genommen. Ich wusste jetzt zwar, dass das letzte Pokémon in seinem Team ein Skelabra war, doch nun musste ich erst mal dieses Zoroark besiegen und ich war mir nicht sicher, ob der Sieg nun noch immer so gewiss wäre. »Erinnerst du dich noch an ihn? Dieses Pokemon hat ebenfalls damals N gehört. Ich glaube kaum, dass du es besiegen kannst. N hat seine Pokémon ziemlich gut trainiert und es ist durch mich noch stärker geworden«, meinte Kyouhei.
 

War dies also schon das Ende meines Traumes? Nein, ich konnte es noch schaffen. Ich musste nur daran glauben, denn ich wusste, wie stark meine Pokémon immer waren. Es war unmöglich, dass Kyouheis gesamtes Team mir überlegen war. Ich musste einfach genau so viel Vertrauen in mein letztes Pokémon haben, wie Kyouhei seinen Pokémon vertraute. Er glaubte an ihre Kraft und deshalb war er mir nun überlegen. Doch ich war bereit, ihm zu zeigen, dass auch ich noch nicht aufgegeben hatte. Es ging um meinen Titel als Champion und dies sollte der Tag des Neuanfangs sein. Ich würde nicht verlieren, sondern endlich ein würdiger Champion sein.
 

Ich wurde völlig überrascht, als plötzlich mein Viso-Caster klingelte. »Wieso ausgerechnet gerade jetzt?«, fluchte ich und sah auf den Bildschirm. Kyouhei grinste und sein Zoroark rührte sich nicht. Es schien mein Zytomega zu verspotten und darauf zu warten, dass ich nachgeschaut hatte, wer mich ausgerechnet jetzt anrufen musste. »Verflucht!« Es machte mich unheimlich wütend, dass ich genau in diesem Augenblick einen Anruf bekam. Aber dann sah ich, es war nicht mal ein Anruf, sondern eine Textnachricht.
 

»Komm nach Hause!«
 

N?
 

»Du solltest dich lieber auf den Kampf konzentrieren, anstatt deine Nachrichten zu lesen! Los Zoroark, greif Zytomega an und bring diesen Kampf endgültig zu Ende!«, schrie Kyouhei und sein Zoroark sprang sofort auf Zytomega zu. Es war bereit, den Kampf sofort zu beenden. Aber nein, so durfte es nicht enden. Ich schüttelte den Kopf. Ich musste mich jetzt konzentrieren! »Zytomega, du kannst es schaffen! Setz Psychokinese ein!«, befahl ich, obwohl ich wusste, dass mein Pokémon Zoroark unterlegen war. Verdammt, warum musste er auch nur dieses Pokémon im Team haben? Und dann auch noch das Zoroark von N.
 

N... Ob mit ihm alles in Ordnung war? Diese Nachricht machte mir dermaßen Sorgen. Was hatte er nur damit gemeint? Ich malte mir aus, wie er zusammengebrochen war und auf meine Hilfe wartete. Oder war er vielleicht einfach nur einsam? Alles Mögliche hätte Grund für diese Nachricht sein können. Warum musste ich ausgerechnet jetzt an ihn denken? Es ging doch um meinen Titel. Warum konnte ich mich nicht konzentrieren?
 

Ich war so in Gedanken, dass ich gerade noch sah, wie mein Pokémon von Zoroark zu Boden geworfen wurde und die Krallen des Fuchses die empfindliche Hülle meines Pokémon zerkratzte. Zytomega hatte keine Chance. Zoroark war viel zu stark, es war übernatürlich stark. Es war noch viel stärker als damals, als ich es das erste Mal bekämpft hatte. »Zytomega...!« Ich konnte nicht zusehen. Es war dabei zu verlieren, es konnte nichts gegen das Unlicht-Pokémon ausrichten. Und dann waren da noch diese anderen Gedanken. Nein, ich durfte mich nicht von der Nachricht von N ablenken lassen. Es ging ihm gut, Zytomega brauchte jetzt meine Hilfe! Warum machten die Gedanken an N alles so kompliziert? Warum konnte er nicht wenigstens jetzt aus meinem Kopf gehen? Und wenn er in Gefahr war?
 

»Zytomega, setz Schutzschild ein!«, schrie ich und eine glänzende Wand erschien zwischen Zoroark und Zytomega. So hatte ich wenigstens kurz Zeit, um nachzudenken. Aber mir ging immer nur der eine Satz durch den Kopf. »Komm nach Hause.« War mit N alles okay? War ihm irgendwas Schlimmes passiert? Ich konnte nicht klar denken, aber es war unglaublich wichtig, dass ich jetzt klar dachte. Ich musste für mein Pokémon da sein. Ein Trainer, der nicht auf den Kampf achtete, brachte ihm nichts. Ich war dafür verantwortlich, dass es selbst in dieser Situation an sich glauben konnte. »Zytomega... du schaffst das, ich glaube an dich! Du bist die letzte Hoffnung unseres Teams! Benutze Donnerschlag, um Zoroark zu verletzen!«
 

Sofort mobilisierte Zytomega seine Kräfte und ein gelber Strahl kam aus meinem Körper. Zoroark wollte ausweichen, doch es stand zu nah an Zytomega und wurde deshalb schwer vom Donnerstrahl, der von Zytomega ausging, getroffen. Es wurde durch die Wucht der Attacke bis hinter seinen Trainer geschleudert und ein paar Stromstöße gingen einige Sekunden nach der Attacke noch durch seinen Körper. »Zoroark!«, schrie Kyouhei in Panik und rannte zu seinem Pokemon. »Bist du in Ordnung?« Zoroark begann zu knurren und stand langsam auf, immer noch geschwächt durch die Elektro-Attacke. Aber das war nicht genug gewesen, um es zu besiegen.
 

Erst jetzt wurde mir bewusst, wie Recht die Mädchen doch gehabt hatten. Ich hatte, seit ich Champion geworden war, nicht einmal trainiert und die Kämpfe bis jetzt waren ein Kinderspiel gewesen. Aber in einem richtigen Kampf, in dem sechs gegen sechs Pokémon kämpften, musste ich immer mein Bestes geben. Der eine Monat, in dem ich kaum mehr gekämpft hatte, rächte sich. Ich war nicht mit Herzblut bei der Sache gewesen. All die Kraft, die ich gehabt hatte, hatte ich nur noch in N gesteckt. Und selbst in dieser Situation machte ich mir mehr Sorgen um ihn als um mich. Ich konnte nicht aufhören an ihn zu denken. Sobald dieser Kampf zu Ende war und egal, wie es ausgehen würde, ich würde sofort zu ihm zurückkehren und nach ihm sehen.
 

»Und nun wird das Pokémon deines Freundes dich besiegen, Touya!«, rief Kyouhei und gab Zoroark ein Zeichen, wodurch dieses losstürmte und sich wieder auf Zytomega stürzte. Ich befahl meinem Pokémon, den Gegner mit Psychokinese anzugreifen, doch Zoroark sprang durch die Wellen hindurch, nahm nur minimalen Schaden und griff Zytomega mit einer Biss-Attacke an. Anschließend schleuderte es mein Pokémon aus der Arena. »Das darf nicht wahr sein...« Schockiert sah ich zu, wie Zytomega auf den Boden aufschlug, völlig regungslos und nicht mehr dazu fähig weiterzukämpfen. »Es kann nicht... verloren haben...«
 

»Ich habe es geschafft!« Kyouhei rannte auf Zoroark zu und umarmte es. »Ich danke dir so sehr, Zoroark! Wir haben gewonnen!« Triumphierend umarmte Kyouhei sein Pokémon und beide hüpften glücklich auf und ab. Langsam ging ich auf mein besiegtes Pokémon zu und rief es zurück in seinen Pokéball. Es war so schnell zu Ende gewesen. »Das war's, du hast gewonnen, Kyouhei. Ich gratuliere dir.« Betrübt sah ich zu ihm. Ich konnte mich nicht für ihn freuen. Ich war zu sehr mit meinen eigenen Sorgen beschäftigt. Wie konnte ich nur so schnell besiegt werden? Ich fühlte mich unnütz und nicht mehr würdig der Champion zu sein. Es war gut gewesen, dass Kyouhei hierhergekommen war. Er hatte den Titel mehr verdient als ich.
 

»Ich hoffe wirklich, dass du deine Lektion daraus gelernt hat.« Erschrocken drehte ich mich um, als ich die helle Stimme hinter mir wahrnahm. Anissa stand im Türrahmen und hielt ihr Notizbuch in der Hand. »Hast du jetzt eingesehen, dass Champion-Sein keine halbherzige Sache ist?« Was meinte sie damit? Gab es etwa etwas, wovon ich nichts wusste, oder warum hatte sie uns anscheinend die ganze Zeit beobachtet? »Was hat das zu bedeuten, Anissa?« , wollte ich wissen und sie schlug ihr Heft zu. »Ganz einfach. Wir haben Kyouhei extra zu dir geschickt, um dir zu zeigen, was passiert, wenn du weiterhin ein halbherziger Champion bist. Natürlich war dies kein offizieller Kampf, denn Kyouhei hat die Top 4 nicht besiegt, aber zumindest hat dir dieser Kampf gezeigt, wie schnell du deinen Titel verlieren kannst!«
 

»Wie bitte...? Das war abgesprochen?« Ich sah schockiert zu Kyouhei und er nickte. Beschämt sah er zu Boden, als er spürte, dass ich es ihm übel nahm. All dies war also nur ein Schauspiel gewesen. Waren dies überhaupt seine echten Pokémon gewesen oder hatten sie ihm extra zu einem besonders starken Team verholfen? Anscheinend steckte die ganze Top 4 mit drin. »Es tut mir so leid«, jammerte Kyouhei. »Ich habe gelogen. Ich habe die Top 4 nicht besiegt, sondern sie haben mich zu dir geschickt. Bitte sei mir nicht böse! Anissa hat mich... gezwungen. Sie kann sehr gruselig sein, also habe ich zugestimmt. Aber auch nur, weil sie mir versicherte, dass dies nur zu deinem Besten ist...«
 

Nun betrat auch Astor den Raum und stellte sich neben Anissa. Überrascht sah er sich um und als er bemerkte, dass der Kampf bereits zu Ende war, zuckte er mit den Schultern. »Oh, also schon zu Ende. Sehr schade, ich hätte auch gerne was von der Show miterlebt.« Anissa lachte: »Du hast nicht viel verpasst. Kyouhei hat Touya ohne Probleme besiegt. Das war kein spannender Kampf!«
 

Wie bitte? Sollte das alles ein Witz sein? Wie konnten die Mitglieder der Top 4 es nur wagen sich so über mich lustig zu machen? »Hört sofort auf damit!« , befahl ich und wurde langsam ziemlich sauer. Ich hatte in den letzten Minuten solche Angst um meinen Titel gehabt und nun sollte all dies nur ein Witz sein. Eine abgemachte Sache, um mir eins reinzuwürgen. Inzwischen bereute ich es nicht mehr, dass ich mich mehr um N kümmerte. Bei ihm war ich wenigstens sicher, dass er sich niemals so etwas erlauben würde. Ihm konnte ich vertrauen, meinen Partnern in der Liga anscheinend eher weniger. »Ich habe genug hiervon. Ich habe jetzt verstanden, dass ich meinen Titel auf die leichte Schulter genommen habe und dass ich ohne die Kraft meines Drachens ausgeliefert bin. Das war es, was ihr mir zeigen wolltet, nicht wahr?«
 

»Die Wahrheit ist, wir wollen dir helfen«, erklärte Astor. »Also, glaub uns bitte, dass dies hier nur zu deinem Besten ist. Stell dir vor, dies wäre ein offizieller Kampf gewesen! Du hättest ihn haushoch verloren und das Kind dort wäre nun der neue Champion. Nun ja, nicht, dass wir nicht schon mal ein Kind als Boss hatten... Du weißt, was wir dir damit sagen wollen, Touya.« »Auf jeden Fall merkt hier jeder von uns, Touya, dass es anscheinend etwas gibt, das dir sehr wichtig ist und das ich bedrückt. Du solltest langsam eine Entscheidung treffen, was dir wichtiger ist. Der Titel des Champions oder was auch immer das andere ist, das dir solche Sorgen bereitet und dich selbst während eines Pokémonkampfes ablenkt!«, erklärte Anissa. »Das ist nicht gut. Du musst endlich die Entscheidung treffen, dass dir der Kampf wichtiger ist als alles andere! Fälle deine Entscheidung, auch wenn es dir schwerfällt!«
 

»Wie dem auch sei, ich habe tatsächlich eine Entscheidung getroffen!« Ich sah zu Kyouhei. Es war die Wahrheit. Ich hatte wirklich eine Entscheidung getroffen und mir durch den Kopf gehen lassen, was mir wichtiger war. Ich musste bloß dazwischen wählen, ob ich lieber bei N wäre oder weiterhin mit dem Titel des Champion kämpfen würde und mit aller Macht versuchen würde, ihn weiterhin zu verteidigen. Nach den Erkenntnissen an diesem Tag war dies wirklich keine schwere Entscheidung. »Ich habe mich entschieden. Nämlich, dass ich nicht als Champion geeignet bin. Ich denke, auch wenn dieser Kampf nicht offiziell war, sollte von nun an Kyouhei den Titel tragen.«
 

Kyouhei erschrak. »Aber Touya!«, flehte er. »Das kannst du nicht ernst meinen! Es war nur ein Test! Mit deinem Drachen hättest du mich sofort besiegt...! Bitte, gib deinen Titel nicht einfach so auf! Das kannst du doch nicht tun. Du bist doch mein Idol....«
 

Aber ich hatte einen Entschluss gefasst. Ich war inzwischen wirklich nur noch glücklich, solange ich bei N war. Er hatte mich meine ganze Reise lang begleitet und irgendwie angetrieben, auch wenn wir zunächst Feinde gewesen waren. Ich war gerne bei ihm und ohne ihn fühlten sich die Kämpfe anders an. Es war, als wäre mein Kampfgeist längst erloschen. Zwar war der Titel des Champions immer das Größte für mich, doch ich war inzwischen älter geworden und ich war vernünftig genug, einzusehen, dass selbst Kyouhei stärker war als ich. Ich wollte nicht in der ständigen Angst leben, den Titel jederzeit zu verlieren. Stattdessen wäre es das Beste, für N da zu sein und ihn zu beschützen. Diese Aufgabe war mir inzwischen wichtiger als alles andere. Vor allem jetzt, wo ich wusste, dass ich zwar ihn hatte besiegen können, es jedoch noch andere starke Gegner gab.
 

»Der heutige Tag hat mir gezeigt, dass es in meinem Leben etwas Wichtigeres gibt, als der stärkste der Einall-Region zu sein. Das Leben als Champion wird mich niemals glücklich machen. Es gibt noch so viele Dinge, die ich machen will. Und es gibt so viele Menschen, die mir wichtig sind. Ich will nicht jeden Tag nur kämpfen und ich will nicht kämpfen nur um meinen Titel zu verteidigen, sondern weil es mir Spaß macht. Aber ich habe den Spaß am Kampf schon vor einiger Zeit verloren, weil es im Moment wichtigere Dinge in meinem Leben gibt« gab Touya zu. Kyouhei war viel ambitionierter als er. Es war richtig, den Titel an ihn weiterzugeben.
 

Doch Kyouhei war außer sich, »Wie kannst du deinen Titel einfach so wegwerfen? Ich habe zu dir aufgesehen! Wie kann der Champion so wenig Wert auf seinen Titel legen? Wenn du so einfach aufgeben willst, dann bist du es nicht mal würdig, dich überhaupt als Champion zu bezeichnen!« »Genau deshalb bist du viel besser als Champion geeignet als ich, Kyouhei«, ich legte meine Hand auf seine Schulter. »Pokémon-Kämpfe sind für dich das Größte. Ich habe nur gekämpft, weil ich einem Freund helfen wollte und jetzt, wo ich alles erreicht habe, was ich wollte, will ich bei diesem Freund sein und für ihn da sein. Ich habe keinen Grund mehr, weshalb ich jetzt noch kämpfen sollte, jetzt, wo er in Sicherheit ist. Ich will nur noch für ihn da sein. Ich habe keinen Grund mehr, zu kämpfen.«
 

»Touya...«
 

»Tut mir leid, Kyouhei.«
 

»Dann soll es so sein!«, verkündete Astor. »Also trittst du von deinem Posten als Champion zurück und überlässt diese Aufgabe von nun an dem Herausforderer, der dich gerade besiegt hat?« Ich nickte. Die Entscheidung war bereits gefällt und ich wusste genau, dass es das Richtige war. »Ich habe so viele andere Träume« , murmelte ich. »Das hier ist nicht meine Welt. Es gibt so viele andere Trainer, die das hier so viel mehr lieben als ich. Ich liebe Pokémon zwar, doch ich bin das Kämpfen leid. Natürlich ist der Titel des Champions das Größte, was man in ganz Einall erreichen kann... Doch...« Langsam zweifelte ich daran, ob ich nicht zu voreilig gewesen war. Aber nein, es war richtig so. Es war das Beste für N und für mich.
 

»Ich werde allen Bescheid sagen.« Anissa klappte ihr Heft auf und begann etwas hineinzuschreiben. »Alle sollen sich hier versammeln. Ich werde zu Kattlea und Marshall gehen und ihnen die Nachricht überbringen. Touya, wenn das wirklich deine Entscheidung ist, dann... können wir dich nicht aufhalten. Du weißt, was das Beste für dich ist.« »Es ist in Ordnung. Es ist das Beste für meinen Freund. Ich bin es ihm schuldig. Ich tue das Richtige für ihn und für mich«, versicherte ich, dann drehte ich mich wieder zu Kyouhei. »Als ich dein Zoroark sah, wurde es mir klar. Das Pokémon ist nur so stark geworden, weil es mit meinem Freund aufgewachsen ist. Er ist etwas ganz Besonderes und er bedeutet mir mehr alles andere hier. Deshalb muss ich gehen und für ihn da sein. Er hat so viel für andere getan. Selbst dich hat er gerettet. Ich denke, ich sollte für ihn da sein und derjenige sein, der ihm hilft.« Kyouhei schien gerührt zu sein. Er sah zu Zoroark hinüber und dieses nickte ihm zu. »Ich werde dich nicht enttäuschen und deine Aufgabe übernehmen. Du wirst stolz auf mich sein!«, versicherte Kyouhei mir. Er verstand genau, wovon ich sprach. »Ich bin jetzt schon stolz auf dich, Kyouhei«, antwortete ich.
 

Was danach geschah, bekam ich kaum noch mit. Ich wollte es nicht mitbekommen.
 

Ich bemerkte, wie ich mich immer weiter verschloss, und als ich abends nach Hause zurückkehrte, hatte ich das Gefühl, als wären alle Ereignisse des heutigen Tages bereits über eine Woche her, wenn nicht sogar länger. Wie konnte ich nur so leichtfertig mit meinem Titel umgehen? Es machte mich krank, nur daran zu denken. Aber ich hatte die richtige Entscheidung getroffen. Ich war immerhin einfach nicht für den Titel geschaffen. Ich hatte ihn doch schon einmal aufgegeben und das aus gutem Grund. Nun konnte ich endlich für N da sein. Ich musste eben eine wichtige Sache aufgeben, wenn ich nicht beides haben konnte und mir beides so wichtig war wie sonst nichts. Aber N war mir wichtiger und ich konnte mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Vor allem jetzt, wo wir ein Paar waren und ich ihn so liebgewonnen hatte, wollte ich ihn nicht mehr verlassen.
 

Als ich die Haustür öffnete, sah ich ihn auf der Couch liegen, wie immer mit einem Buch in der Hand. »Oh, schon zurück?«, fragte er beiläufig, während er etwas las, das er vermutlich schon tausend Mal durchhatte. Ich sah N nie neue Bücher kaufen. Aber solange es ihm gefiel und er glücklich war, war auch ich glücklich. Anscheinend liebte ich ihn inzwischen wirklich sehr. Das Einzige, was mich verwunderte, war, dass er überhaupt nicht mehr schlecht aussah. »N, was... Dir geht es ja richtig gut«, murmelte ich, als ich sah, wie munter er in seinem Buch blätterte. »Ich würde es nicht als gut bezeichnen, aber ja. Schlecht gehen tut es mir nicht«, erklärte er ein wenig desinteressiert. Ich setzte mich neben ihn auf die Couch. Ich wollte so viel mit ihm besprechen und ihm von meiner Entscheidung erzählen. Ich brauchte nun jemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Aber erst mal wollte ich wissen, warum es ihm wieder so gut ging. Irgendwas stimmte da nicht.
 

»N... Es geht dir also schon besser als heute Morgen?«, fragte ich und betrachtete ihn. Er sah kein wenig krank aus. »Das kann doch nicht wahr sein, dass du schon wieder so munter bist.« »Aber wieso denn nicht?«, fragte N und sah mich dann erwartungsvoll an. »Werden wir jetzt endlich das Date haben, nach dem ich dich gestern gefragt habe? Immerhin bist du heute so früh zu Hause, dass wir noch etwas essen gehen können!« Er schien sich zu freuen, dass ich so früh zu Hause war. Doch ich wusste nicht, was ich denken sollte. Mir ging so viel durch den Kopf. »N, ich weiß nicht, ob du es weißt, aber es ist ziemlich ungewöhnlich, innerhalb eines Tages wieder vollständig gesund zu sein «, murmelte ich und sah ihn besorgt an. »Kann es sein, dass du... Kann es sein, dass du simuliert hast?«
 

N sah mich überrascht an. »Oh, ich... Ich dachte, das wäre inzwischen klar. Natürlich habe ich simuliert. Ich hatte heute Morgen nicht im geringsten Lust, schon wieder einen Tag ohne dich zu verbringen. Ohne dich ist es einfach langweilig und du weißt doch, dass mich andere Menschen nicht besonders interessieren« , erklärte er beiläufig und las dann weiter auf der Seite vor ihm. »Touya, du weißt, dass du mir so wichtig bist, dass ich wünschte, du würdest gar nicht mehr zur Pokémon-Liga müssen. Ich wünschte, du wärst immer bei mir. Ich liebe d - « Er wurde unterbrochen, denn ohne Vorwarnung griff ich nach dem Buch und nahm es ihm weg. »Hey!«, protestierte er. »Was ist denn in dich gefahren, Touya? Das ist mein Eigentum. Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung dafür!«
 

»Und gestern Abend... Hast du da auch nur simuliert, um deinen Willen zu kriegen, N?« Ich war völlig außer mir. Ich hatte die ganze Zeit gedacht, dass ich der Bösewicht wäre und N in eine für ihn völlig unangenehme Situation gebracht hatte. Doch anscheinend war es genau das Gegenteil. »Nein! Natürlich nicht!«, schrie er und sprang auf. »Was gestern Abend passiert ist, ist die Wahrheit. Warum sollte ich sowas vorspielen? Ich habe immerhin geweint. Glaubst du, ich würde mich freiwillig so vor jemandem zeigen?« N sah verzweifelt aus, doch ich war mir nicht mehr sicher, ob ich ihm glauben sollte. Ihm schien ebenfalls inzwischen klar zu sein, dass ich wirklich sauer auf ihn war.
 

»Und deine Textnachricht, ich solle nach Hause kommen? Hast du die auch nur geschrieben, weil dir langweilig war?«, fragte ich ihn ernst und N wich meinem Blick aus. Er schien endgültig zu begreifen, dass er etwas Falsches gemacht hatte. Vermutlich hatte er als König immer den Verletzlichen gespielt, damit sein Vater ihm alles gab, was er wollte und er seinen Willen durchsetzen konnte. Ob das einfach seine Masche war? Er spürte selbst, dass es falsch war, diese Masche bei mir abzuziehen. Er hatte einen Fehler gemacht. »Ich habe dich eben vermisst, Touya. Du bist mir seit gestern Abend so unglaublich wichtig -«
 

»Ich kann es nicht fassen, N!«, schrie ich ihn an und musste mich beherrschen, ihm keine Ohrfeige zu geben. »Wie kannst du nur etwas so außerordentlich Dummes machen? Ausgerechnet du, N!« Sonst war N klug und ich kannte niemanden, der so schlau war wie er. Doch in dieser Hinsicht verhielt er sich gerade so tollpatschig, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. »Du verstehst das gerade völlig falsch!«, protestierte er und rannte mir hinterher, als ich mit seinem Buch in der Hand Richtung Küche ging. »Ich habe nur heute Morgen simuliert, das schwöre ich! Wie hätte ich das denn gestern Abend schauspielern können? Touya, jetzt hör mir doch zu!«
 

Verwirrt sah N zu, wie ich das Buch wütend auf den Boden schmiss und meine Verärgerung nicht weiter zurückhalten konnte. »N. Es geht nicht um gestern Abend oder heute Morgen. Es geht darum, dass du mir eine verdammte Nachricht geschickt hast, dass ich nach Hause kommen soll und ich mir wirklich Sorgen um dich gemacht habe. Jetzt erfahre ich, dass all dies nur gespielt war... Aber jetzt macht das nichts mehr, denn jetzt habe ich meinen Titel schon aufgegeben, weil ich deinetwegen einen sehr wichtigen Kampf verloren habe. Weil ich mich um dich gesorgt habe!« , schrie ich ihn an und N zuckte mit den Schultern. »Es war nur ein Pokémon-Kampf«, merkte er an. »Sowas braucht doch eh niemand. Es schadet doch nur den Pokémon. Ich bin froh, dass du deinen Titel aufgegeben hast.«
 

Er wollte mir gerade um den Hals fallen, doch ich stieß ihn von mir. Er schien nicht zu verstehen, dass ich keine Lust hatte, mich weiter mit ihm zu beschäftigen. Er verstand wohl nicht einmal, wie wichtig mir dieser Titel gewesen war. Wieso konnte ausgerechnet N nicht nachvollziehen, dass der Titel des Champions immer mein Traum gewesen war? Und nur, weil ich ihn nicht aus meinem Kopf gekriegt hatte, hatte ich nun verloren. Es war ganz allein seine Schuld, dass ich verloren hatte. »Was soll das, Touya? Warum rennst du vor mir weg?«, fragte N verwirrt, als ich ihn wieder zur Seite schob und an ihm vorbei stapfte.
 

»Ich will dich nicht mehr sehen!«, schrie ich, als ich die Treppe hinauf rannte und meine Zimmertür hinter mir schloss. Ich bereute es nicht, sie im gleichen Augenblick abzuschließen, denn einige Sekunden später hörte ich schon, wie N von außen versuchte, die Tür zu öffnen. Er schien wirklich verzweifelt zu sein, doch ich war mir nicht sicher, ob dies auch wieder nur geschauspielert war. Und gestern Abend? Langsam wusste ich wirklich nicht mehr, was ich glauben sollte. Was waren Ns wahre Gefühle und was spielte er nur vor, um mich rumzukriegen? War er wirklich so unschuldig, wie er vorgegeben hatte? Oder war das einfach seine Art, mich dazu zu bringen, bei ihm zu sein? Anscheinend schien es bestens zu funktionieren.
 

»Bitte, Touya! Sei nicht sauer auf mich! Ich habe doch nur dich!«, flehte er, doch ich schüttelte den Kopf. Ich hatte die ganze Zeit schon das Gefühl gehabt, dass ich bei diesem Mann aufpassen müsste. Er war eben zu eigenartig. Er war teilweise nicht einmal menschlich. Dafür wusste er viel zu wenig über Menschen. Ich konnte bis jetzt darüber hinwegsehen, doch ich wusste bislang auch nicht, dass er so merkwürdig war. Er hatte sich mir gegenüber bis jetzt immer höflich und normal verhalten. Geschichten darüber, dass er gruselig wäre und dass man ihn unheimlich schwer verstehen könne, kannte ich nur von anderen. Wir hatten zwar auch bis gestern ein paar Differenzen gehabt, doch das war etwas, worüber ich hatte hinwegsehen können. Nur, weil er distanziert war, war das kein Grund gewesen, ihn zu verurteilen.
 

»Ich habe es wirklich nicht so gemeint. Ich habe dich doch nur vermisst. Tut mir so leid, Touya...«, hörte ich seine Stimme durch die Tür und seufzend stand ich auf, um sie doch aufzuschließen. Ich konnte die Verzweiflung in Ns Gesicht regelrecht sehen. Außerdem würde er eh nicht aufgeben, weil er eben dickköpfig war. Als ich genau vor ihm stand, sah er mich wirklich verzweifelt an und schien zu hoffen, dass ich ihm irgendwie vergeben würde.
 

Ich hatte an diesem Tag bereits eine wichtige Entscheidung gefällt. Es war unüberlegt gewesen und vielleicht hätte ich länger darüber nachdenken sollen. Vielleicht war ich einfach zu nett zu N und wenn ich ehrlich war, kannte ich ihn wirklich nicht. Bis heute Morgen war noch alles in Ordnung gewesen. Aber viele Leute hatten mich bereits davor gewarnt, ich sollte ihm nicht zu nah kommen. Selbst meine Freunde meinten, obwohl sie es einigermaßen akzeptierten, dass er bei mir wohnte, dass ich bei ihm vorsichtig sein sollte. Anscheinend hatten sie die ganze Zeit über recht gehabt. N war gefährlich für mich. »Es gibt nur eine Lösung«, meinte ich und starrte ihn ernst an. »Du hast mir gesagt, wenn es nicht funktioniert, dann kann ich unsere Beziehung wieder beenden, nicht wahr?« »Was?« N erschrak. Er wusste sofort, worauf ich hinauswollte.
 

»Pokémon-Champion zu werden war immer mein Traum und jetzt habe ich es zweimal wegen dir aufgegeben. Denkst du, dass ich diesen Titel jemals wieder zurückbekommen werde? Aber das scheint dich ja nicht mal zu interessieren. Du siehst in mir nur das, was du sehen willst. Solange ich für dich da bin und mich um dich kümmere, bist du zufrieden, nicht wahr?« Ich konnte sehen, wie sehr N meine Worte zu schaffen machten, doch ich konnte jetzt nicht aufhören. Ich war einfach zu sauer auf ihn. Ich hatte meinen Titel für ihn aufgegeben. Meinen Titel als Champion! Und es interessierte ihn nicht einmal!
 

»Du bist eben doch noch der selbstsüchtige König von damals, auch wenn ich mir eingebildet hatte, das wäre alles nur eine Fassade gewesen. Ich bin nicht stark genug, um dir zu helfen, N. Ich kann es nicht. Nicht, wenn dabei meine Träume kaputt gehen.« »Aber was willst du damit sagen? Willst du mich etwa einfach aufgeben? Nach alldem, was wir gemeinsam durchgemacht haben?«, fragte er verzweifelt und ich schüttelte den Kopf. »Nein, N. Dafür bist du mir viel zu wichtig. Ich würde dich niemals aufgeben. Aber unsere Beziehung schon.«
 

»Das kann nicht dein Ernst sein!« Ich konnte die Panik in Ns Stimme regelrecht hören. »Touya, ich habe doch nur dich! Ich liebe dich! Du kannst nicht ernsthaft... Oh... Nein, nein nein nein!« Sofort hielt sich N die Hand vor sein Gesicht. Ich war selbst überrascht, wie kalt es mich dieses Mal ließ. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich jetzt im Hinterkopf hatte, dass er nur schauspielte. Woher sollte ich wissen, ob diese Tränen überhaupt echt waren? N wollte anscheinend doch nur irgendjemanden, der für ihn da wäre. Jetzt, wo sein Vater nicht mehr für ihn da war, suchte er sich eben den nächstbesten. Ich müsste mich nicht wundern, wenn auch seine Liebe zu mir nur gespielt wäre. »Hör auf zu weinen. Du hast keinen Grund dazu. Bitte, N... Das ist lächerlich. Du kannst doch nicht einer Beziehung hinterher trauern, die so gut wie gar nicht existiert hat.«
 

»Touya! Du kannst mir das nicht antun! Ich schwöre dir, Touya! Ich werde dich nie, nie, nie wieder verletzen! Bitte, gibt mir noch eine Chance...!«, bettelte er und ich seufzte. »N, wenn du mir wirklich vergewissern könntest, dass du wenigstens endlich versuchst dich zu bessern und dich in die Gesellschaft einzufügen. Wenn du nur endlich einen Job finden würdest und dich anstrengen würdest. Aber stattdessen lehnst du alles ab und freust dich darüber, dass ich meinen Traum aufgegeben habe. Ich will dich nicht mehr sehen!« Mit diesen Worten knallte ich die Tür wieder vor ihm zu.
 

Wie konnte ich nur einen Abend davor so blind sein? Solange ich mit N alleine war, war alles gut. Doch sobald andere Menschen dazu kamen und unsere Verantwortungen und Träume, war einfach alles an uns und unsere bloße Existenz zum Scheitern verurteilt.



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