1.1
Kapitel eins (1.1)
Gemeinsam mit Kevin-der sich extra frei genommen hatte-fuhr unsere Mutter Sandra uns mit dem Auto zum Flughafen Berlin.
Wir mussten eine Weile auf die Autobahn und hatten eiskalte minus drei Grad Celsius, immerhin hatten wir es Anfang Januar.
Genau genommen hatten wir den neunten Januar.
Wir hatten uns dick angezogen und froren deshalb nicht, als wir endlich den Flughafen erreichten. Kevin parkte den Wagen und holte schnell einen Gepäckwagen, auf den er unser Gepäck lud. Als er damit fertig war, schob er diesen schnell ins Gebäude und wir folgten ihm. Routiniert gab er unser Gepäck auf und händigte uns die Tickets aus. Dann herzte er uns und wünschte uns eine angenehme Reise.
Artig bedankten wir uns und baten ihn gut auf unsere Mutter zu achten, was er uns nur zu gerne versprach. Dann ging er und ließ uns mit Mutter allein. Damit wir uns in Ruhe verabschieden konnten.
Ashley lag als erstes in den Armen unserer Mutter, beide hatten Tränen in den Augen und Mutter schluchzte bebend.
Ich stand etwas unbeholfen daneben, denn ich fühlte mich bei den beiden immer wie nicht dazu gehörig. Ich hatte dennoch selbst ganz feuchte Augen. Ashleys Kopf ruhte auf Mutters Schulter und sie weinte Herz erweichend. Mutter hob ihren Kopf an und versuchte sie zu beruhigen: „Ash, willst du nicht doch lieber bei mir bleiben? Du bist ja völlig fertig. Es wäre nicht schlimm, mein Kind.“
Sofort war ich alarmiert und mein stechender Blick ruhte auf Ash. Ich wusste genau, dass sie es spüren würde und sie sah mich nun auch ganz kurz an.
„Nein Mum, das ist schon okay so, ich freue mich total Dad mal wieder zu sehen.“ Ash wischte sich die Tränen weg und schnaubte sich die Nase, auch unsere Mutter wischte sich die Tränen weg. Noch eine letzte Umarmung und Ash trat beiseite.
Ich zögerte kurz, denn meine Mutter zu küssen, würde ihr sicher nicht gefallen. Denn Ash war ihr Liebling und unsere Beziehung war sehr unterkühlt. Ich hatte sogar manchmal das Gefühl, dass sie Ash mehr liebte als mich.
Dennoch gab ich mir einen Ruck und nahm sie in den Arm, wir würden uns eine längere Zeit nicht sehen und sie würde mir fehlen. Ich sah nun auf und sah in zwei verwirrt schauende Augen. „Du wirst mir fehlen, Mutter. Mach dir aber keine Sorgen, wir kommen schon klar.“
Ich drückte sie noch mal, was sie nur halbherzig erwiderte. Unser Handgepäck bestand nur aus unseren Jacken und Rucksäcken.
Unser Ziel ist die Jungfernhalbinsel St.John, auf der die kleine unbedeutende Stadt Christiansted, Ashleys Geburtsstadt liegt. Ich dagegen wurde in einem kleinen Örtchen, namens Cruz Bay geboren, ganz in der Nähe von Christiansted.
Mum war von dort mit uns-als ich noch ein Baby war und meine Schwester knapp zwei Jahre-fortgegangen, weil sie Heimweh hatte.
Sie ist Deutsche, wollte wieder zurück nach Europa und ließ sich von unserem Vater Daniel scheiden. Jedes Jahr verbrachten wir vier Wochen unserer Ferien dort, was mir viel zu wenig erschien, aber ich versuchte mich nicht zu beklagen.
Bis Ashley etwa zwölf war und sich durchsetzte, dass Dad im Sommer für diese Zeit nach Deutschland kommt. Sie hasste Christiansted und Cruz Bay, ich dagegen liebte diese Orte.
Seit etwa fünf Jahren geht das schon so. Ich sehnte mich danach, wieder nach Christiansted zu kommen. Egal was passieren würde, ich würde es nie mehr wieder verlassen.
Ich hatte bereits meine deutsche Staatsbürgerschaft abgegeben und Ashley hatte ihre Amerikanische abgegeben. Was sie nicht wusste war, dass sie ein Geburtsrecht auf eben diese Staatsbürgerschaft hat.
Wir fuhren in den letzten Jahren mit Dad an die Ost- bzw. an die Nordsee. Es ist schön dort und ich habe es immer genossen, mir das Meer um die Füße spülen zu lassen. Auch die Temperatur des Wassers ist mir dabei egal.
Jetzt kehrten wir nun endlich dahin zurück, wo ich mich wohl fühlte. Ich wusste nur nicht, wie Ash dort klar kommen wollte. Da sie es doch so sehr hasste. Sie sagte mir gestern, dass sie sich fühlt, als müsse sie ins Exil gehen.
Es käme ihr wie eine Strafe vor, genau dahin zu müssen, was sie so sehr hasste. Ich hatte nicht anders gekonnt und musste grinsen. Dabei dachte ich mir meinen Teil, den ich ihr lieber nicht verriet.
Sie liebte Spandau und vor allem die Sonne. Ihre liebste Freizeitbeschäftigung ist es mit ihrer Clique abzuhängen und die Stadt unsicher zu machen. Ich war eher die ruhige und strebsame von uns beiden.
„Ashley, Lou!“ sagte unsere Mutter, bevor wir durch die Absperrung gingen, zum mindestens tausendsten und vor allem letzten Mal. Sie sah uns eindringlich an.
„Ihr müsst das nicht tun, wenn ihr das nicht wollt.“ Ash wirkte als wolle sie im letzten Moment umdrehen, doch mein warnender Blick hielt sie noch einmal davon ab, weil wir uns einig waren, dass unsere Mutter es sich verdient hatte. Sie sollte ihr Glück mit Kevin endlich genießen.
Ashley ist Mutter, wie aus dem Gesicht geschnitten. Beide hatten kurzes Haar, welches die Farbe von Mahagoni hatte. Ihre Augen waren hellblau und Mutter hatte viele Lachfältchen in ihrem Gesicht.
Panik durchzuckte vor allem Ash, weil sie sich immer um Mutter und ihre kleinen Eskapaden gekümmert hatte. Da sie der Meinung war, ich wär zu jung dafür.
Beide sind ab und an chaotisch und unberechenbar, aber auch sehr liebevoll.
Ash ist, nur einige Zentimeter größer als Mutter.
Waren wir selbstsüchtig, weil wir sie hier ließen?
Nein, ich glaube nicht, dass wir dies sind. Sandra hatte jetzt Kevin und er sorgte schon dafür, dass der Kühlschrank stets voll war.
Auch das die Rechnungen bezahlt und der Tank an ihrem Auto immer voll war.
Zudem konnte sie ihn immer anrufen, wenn sie sich wieder einmal verirrt hatte und deshalb Hilfe brauchte. Trotz allem war es ein seltsames Gefühl…
„Wir wollen aber zu Daddy und er freut sich doch schon so sehr auf uns.“, gab ich zu. Ash stimmte mir zu und zum Glück ist sie eine hundsmiserable Lügnerin.
Diesen Satz hatten wir im letzten halben Jahr so extrem oft wiederholt, dass wir mittlerweile überzeugend klangen.
Plötzlich ertönte eine Lautsprecherdurchsage: „Sehr geehrte Damen und Herren des Fluges nach Jacksonville. Bitte gehen Sie an Bord und nehmen Ihre Plätze ein. Vielen Dank und einen angenehmen Flug.“
Ärgerlich schüttelte Ash den Kopf darüber und ich freute mich. „Mutter, wir müssen los und ich hab dich lieb. Bis Bald.“, verabschiedete ich mich und herzte sie noch mal.
„Grüßt Danny und alle anderen, die mich noch kennen, von mir.“, sagte sie resignierend.
„Kein Problem, wird gemacht. Komm jetzt Ash, sonst fliege ich allein…“, antwortete ich.
„Wir sehen uns bald wieder Mädels und nicht streiten. Gehorcht eurem Vater.“, beteuerte sie ermahnend.
„Ja, Mum.“, antworteten wir im Chor und gingen.
„Ihr könnt, wann immer ihr wollt, nach Hause kommen–ich werde hier sein, wenn ihr mich braucht.“, rief sie uns nach.
„Machen wir und mach dir bitte keine Sorgen um uns. Wir lieben dich und Amerika wird super“, rief ich bestimmt zurück. Ash hatte sie bereits umarmt und folgte mir schnell.
Wir warfen einen kurzen Blick zurück und sahen, dass sie bereits in den Mengen von Menschen verschwunden war. Auf dem Weg in ihr Glück mit Kevin.
Der Flug von Berlin nach Jacksonville dauert über elf Stunden. Wir schliefen die meiste Zeit.
Nach dem Aufwachen stellte ich fest, dass wir noch mindestens vier Stunden Flug vor uns hatten.
Also nahm ich mein kleines Netbook und schloss es ans Stromnetz an, loggte mich bei Skype ein und sah, dass meine Freundin Joanne online war.