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Das rote Tuch

von

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Nichts

Malik klaubte das dicke, alte Buch von seinem Tresen und stellte es in das dahinter stehende Regal, fuhr dabei mit den Fingerspitzen noch einmal nahezu liebevoll über den ledernen Buchrücken. Es war das letzte Mal, dass er dieses halb voll geschriebene Schriftwerk, mit dem er nun so lange gearbeitet hatte, berühren würde. Und es war das letzte Mal, dass er daraufhin im Assassinenbüro Jerusalems süßen Weihrauch entzündete und die breite Dachluke im Außengarten öffnete, um Brüder herein zu lassen.

Er hatte gestern Nacht noch ein paar Worte mit Altaïr gewechselt, irgendwo zwischen seichtem Schlaf und Wachsein; doch sie waren von großer Bedeutung gewesen. Von Bedeutung für die Zukunft des schwarzhaarigen Assassinen. Ob diese nun rosig und... naja, so aussah, wie er es sich vorstellte, wusste er nicht; er hatte wahrlich keine Ahnung wie es mit ihm weitergehen würde, denn der Adler hatte ihm noch vor einem geflüsterten 'Gute Nacht' den Titel entzogen. Einfach so. Klar, es war als Großmeister sein gutes Recht gewesen über den Rang des... ehemaligen Dais mit dem verknoteten Magen zu entscheiden und dennoch fühlte sich das Ganze außerordentlich unwohl an. Denn zum ersten Mal seit Malik vor etwa 18 Jahren in die Bruderschaft eingetreten war, war er nun... nichts. Gleichzustellen mit einem Anwärter war er vielleicht, aber nicht mehr.

Was seinen, nun freien, Posten als Kontaktmann anging war bereits alles entschieden: Der alte Informant Jerusalems solle das hiesige Büro besetzen, bis ein neuer Rafik aus Masyaf geschickt werden würde, hatte der herrscherliche Altaïr gemeint. Gelehrte gäbe es schließlich genug und die Neubesetzung eilte auch nicht, denn die Assassinen hatten momentan so und so keine Ziele; alle Krieger - bis auf die einzelnen Wachen und Informanten der Städte - waren zurück in der Festung oder eben umgehend auf dem Weg dorthin. Gerade, da gab es nämlich keinen Kampf gegen irgendjemanden und auch die schwer getroffenen Templer hatten sich für eine Zeit lang zurückgezogen, um sich zu erholen. Es lag eine richtige Umbruchstimmung in der Luft... und dem Gewohnheitstier Malik gefiel dies nicht.

Entnervt atmete er aus, als er seine Waffen auf seinen-... den Bürotresen legte und ein, zwei ordentlich zusammengefaltete Kleidungsstücke folgen ließ. Seine forschenden Augen suchten nach, für ihn persönlich wichtige, Karten und Bilder, die er gezeichnet hatte. Auch sie wollte er mitnehmen. Nach Masyaf. Er hatte Altaïr nämlich versprochen ihn zurück in das Dorf zu begleiten und nun, da er innerhalb der Bruderschaft kein Amt mehr belegte, konnte er es auch ohne Bedenken tun. Er hatte ja sonst keine Aufgaben oder Verpflichtungen mehr.

Er, ein Niemand hinsichtlich der Hierarchie, würde also neben dem neuen, glorreichen Großmeister gen Assassinendorf reiten. Wie... tragikomisch. Malik's Mundwinkel zuckte leicht zur Seite.

Was hatte der sprunghafte Adler nun bloß mit ihm vor? Wollte er ihn in Masyaf, einem Haustier gleich, in sein Zimmer sperren, damit ihn keiner sah? Ihn rachsüchtig dazu verdonnern sich seine Ränge wieder zurück zu erkämpfen, so, wie er es selbst die letzten Monate über getan hatte? Wenn ja, wie? Oder sollte Malik fortan Wäsche waschen und den staubigen Boden der Burg Masyafs schrubben?

Oh, seine depperten Gedankenzüge wurden ja immer besser! Mürrisch starrte der degradierte Mann auf seine Sachen auf der abgenutzten Ablage vor sich. Es fühlte sich fürchterlich an keinen Titel mehr zu besitzen und seine Zukunft nun freiwillig in die Hände eines Anderen zu legen; man kam sich dabei so wertlos und... und unbeholfen vor. Aber es schien nun mal so als müsse man manchmal Opfer bringen, damit es weitergehen konnte, nicht..? Der ehemalige Büroleiter hatte sich der Befehlsgewalt seines neuen Meisters unterwerfen müssen - was sich, wie besagt, nicht besonders gut angefühlt und ihm die Eingeweide umgedreht hatte... doch wenn er ganz, ganz ehrlich zu sich selbst war, dann hatte sich Malik nicht sehr widerwillig gegen diese verheerenden Entscheidungen und Bestimmungen gestellt, denn er wollte mit Altaïr gehen. Und das implizierte, dass er sein bisheriges Leben mehr oder weniger hinter sich ließ. Punkt.

Ach, er hatte unangenehm gemischte Gefühle, ja, vielleicht sogar etwas Angst, bei der Sache. Hoffentlich wusste der schnell entschlossene Raubvogel was er getan hatte und noch tun würde...
 

„Frühstück?“ die Stimme hinter ihm riss den unruhigen Malik gewaltsam aus seinen trüben Gedanken und er wendete sich um. Ah, Altaïr war also wach. Und er hielt dem Jüngeren eine Schüssel Hummus von gestern entgegen. Die hatte er wohl in der kleinen Küche des Büros gefunden.

„Nein danke...“ der Schwarzhaarige wendete seinen matten Blick wieder fort, um weiterhin melancholisch sein Hab und Gut zusammenzupacken. Er fasste nach seinem Langschwert, das dem Altaïrs glich, und steckte es sich in die dazugehörige Scheide an seinem breiten Gürtel. Malik konnte die goldenen Augen dabei in seinem Nacken spüren, wie sie ihn aufmerksam beobachteten und, wie immer, förmlich durchbohrten.

„Hast du schon gegessen?“ hakte Altaïr hartnäckig nach. Offenbar war er darauf aus den Anderen zum Frühstücken zu zwingen. Und er tat gut daran. Denn sie wollten heute schon losziehen, um gen Masyaf zu reisen; niemand sollte das mit einem leeren Magen tun.

„Nein.“

„Das solltest du aber, Malik.“

„Mir ist etwas übel... später vielleicht.“ Fünf kleine Wurfmesser zierten mittlerweile den Waffengürtel des 25-Jährigen und er schulterte den Ledergurt mit der Halterung für sein geschwungenes Kampfmesser. Er mochte zwar kein Meisterassassine sein, doch die dafür passende Ausrüstung – ausgenommen einer versteckten Klinge - hatte er. Im gefährlichen Jerusalem war ihm das auch nur zu oft zugute gekommen. Man konnte hier nicht unbewaffnet auf die Straße; nicht, wenn man Gefahr lief von feindlich Gesinnten erkannt oder von Banditen überfallen zu werden. In diesem Sinne war die 'heilige Stadt' wie ein... überdimensionierter Fleischwolf. Wehrlose wurden in ihn hinein geworfen und kamen, mit etwas Pech, als zäher Fleischhaufen wieder heraus. Blutend und entstellt.

„Bevor du nichts gegessen hast, gehen wir nicht.“ brummte der noch etwas schlaftrunkene Adler in Malik's Rücken und trat schließlich neben ihn, um die Dinge auf dem Tresen eingehend neugierig zu beäugen. Es waren nicht viele, denn das Meiste, das sich hier im Büro befand, war kein Privatbesitz. Der Schwarzhaarige würde heute also ähnlich unbepackt reisen wie der, der neben ihm stand – und das, obwohl er praktisch umzog. Malik's Blick fiel aus den Augenwinkeln auf Altaïr und dieser erwiderte diesen Sekunden später auch schon mit einem seltsam tiefen Ausdruck im ernsten Gesicht.

Es war eigenartig. Dieser Kerl mit den strubbeligen Haaren hier war nun der neue, gefeierte Großmeister der hiesigen Assassinen und damit einer der mächtigsten Männer Syriens. Doch man sah es ihm nicht an. Keineswegs. Relativ simpel fiel ihm seine weiße, etwas verdreckte Robe über die Schultern hinab und wenn man nicht genauer hinsah oder sich in der Kleiderordnung auskannte, sah er aus wie einer der gewöhnlichen Brüder mit einer, etwas zu übertrieben ausfallenden, Bewaffnung.

„Was?“ kam es dem ehemaligen Dai auf seinen forschenden Blick hin skeptisch entgegen.

„Ach, nichts...“

Aber warum dachte er überhaupt über Altaïr's täuschendes Äußeres nach? Er selbst war nicht besser. Er trug die Kleidung eines Rafiks obwohl ihm nun nicht einmal mehr dieser Schreibertitel zustand. Malik war nichts mehr, weniger noch als ein Novize. Und eigentlich... eigentlich unterstand er dem anderen Anwesenden somit auch gar nicht mehr. Warum tat er es sich also an mit ihm zu reisen und sich Hals über Kopf in eine, in seinen Augen, planlose Aktion zu stürzen?

Gewisse... starke Gefühle für jemanden, die einen zu Dummheiten verleiteten, waren manchmal wahrhaftig unergründlich. Und man konnte nichts gegen sie tun – jedenfalls nicht, wenn man Frieden finden wollte; so schien es.

Ach, herrje.

Ein knappes Schmunzeln seitens des selbstsicheren Adlers zerstreute die großen Sorgen des Jüngeren im nächsten Augenblick auch schon ein klein wenig. Dessen freie Hand gab ihm einen Klaps in die Seite „Mach dir keine Sorgen, Mal, ich schaukel das.“.

Malik runzelte die Stirn, als er Altaïr auf diese legere Aussage hin eindringlich beäugte. Dann drehte er sein Haupt jedoch von dem etwas Größeren fort, damit dieser das leichte Lächeln, das die triste Miene des Kartografen gerade auflockerte, nicht sah.
 

II
 

Die folgende Reise war lang, geprägt von zu heißen Tagen und von viel zu kalten Nächten. Malik zeigte sich auch weiterhin als recht grüblerisch und still; auch der Adler, der auf seinem weißen Pferd neben ihm her ritt, sprach kaum wein Wort. Aber es war schon gut so. Vielleicht waren sie beide einfach viel zu beschäftigt damit ihre wirren Gedanken zu ordnen und über ihre weiteren Ziele und Pläne nachzudenken – über ihre Zukunft und ihre neuen Leben. Gut, dass Altaïr dies tat, denn im Gegensatz zu Malik wurde es von ihm von der gesamten Bruderschaft Syriens abverlangt. Viele neue, ungewohnte Aufgaben standen ihm bevor und eine enorme Verantwortung lastete auf seinen Schultern. Ihm, dem flatterhaften Assassinen mit dem dummen Dickkopf und dem ausgeprägten Freiheitsdrang. Ja, Altaïr verfügte nun praktisch über dutzende, wertvolle Menschenleben, über fähige Männer, die seinen Anordnungen bedingungslos Folge leisteten und sich für die Assassinen in den Tod stürzen würden. Es lief - dem vielleicht zurecht zweifelnden - Malik kalt den Rücken herunter, wenn er darüber nachdachte. Besser er ließ es also bleiben.
 

Wie die beiden nachdenklichen Männer gestaltete sich auch der lange Ritt in Richtung Masyaf als ruhig; es gab keine Zwischenfälle mit feindseligen Templern oder argwöhnischen Soldaten. Jedenfalls bis zur zweiten Nacht nicht:

Malik blinzelte und sah etwas irritiert aus dem Schlaf auf, als er ein leises Knacken hinter sich vernahm. Mit angezogenen Beinen und in eine dicke Baumwolldecke eingewickelt war er vor gefühlten fünf Minuten erst eingenickt. Altaïr hatte gemeint Wache halten zu wollen und hatte dem Jüngeren seinen Schoß als Kopfkissen-Ersatz angeboten. Zögerlich hatte der kritische Malik dieses Angebot auch angenommen, denn in kühlen Nächten war es nur von Vorteil sich eng beieinander aufzuhalten. Erst recht, wenn man kein großes Feuer entzünden konnte. Hoch flammende Lagerfeuer waren zu auffällig und schließlich wollten sie beide ja unbeschadet und so schnell es ging zurück zur Festung. Der Adler hatte das Kommando dort und während seiner Abwesenheit nämlich recht leichtfertig an Rauf übergeben – ein guter Mann und Mentor und dennoch niemand, der den Respekt aller Anderen so sehr genoss wie der neue Großmeister. Besser, man war also schnell wieder zu Hause und überließ Rauf wieder – und nur - seinen Trainingsring.

Den schlaftrunkenen Kopf unter Altaïr's Hand etwas anhebend sah der 25-Jährige um sich. Der wache Adler, auf dessen Schoß er gelegen hatte, reagierte nicht darauf. Starr waren seine goldenen Augen in die Dunkelheit vor ihrem kleinen Lagerplatz gerichtet, er wirkte nahezu abwesend. Man sah dem alarmierten Altaïr an, dass er die Welt gerade in Blaugrau sah und konnte nur hoffen, dass kein Funken Rot darin auftauchen würde.

„Hm?“ gab der Jüngere ein wenig verplant von sich, als er sich etwas aufrichtete und den Blick des Anderen fragend suchte. Ein Funken Nervosität fuhr ihm in die matten Glieder. Altaïr schob Malik dann auch schon beiläufig zur Seite und erhob sich vorsichtig, mit der Hand am Schwertknauf und bereit zum Kampf trat der Mann ein paar Schritte weit vom Lagerfeuer weg; das beinahe lautlos.

Auch Malik rappelte sich wenige Herzschläge später unaufgefordert auf und ließ seine suchenden Augen über den Platz schweifen. Er schluckte trocken, konzentrierte sich krampfhaft auf seine unmittelbare Umgebung. Dann war da ein weiteres Geräusch hinter ihm und er fuhr reflexartig herum. Sein erstaunter Blick fiel sofort auf einen 'Jungen' in einer knielangen, etwas zerschlissenen Assassinenrobe. Mit, von seiner hellen Kapuze versteckten Augen, stand er da, regungslos und so, als warte er auf irgendetwas „Karim!“.
 

Dem ehemaligen Büroleiter entfuhr ein überwältigter Laut, als er, abgelenkt von dem Kleineren vor sich, von der Seite umgerissen wurde. Blankes Metall warf sich dermaßen wuchtig gegen ihn, dass ihm der Atem wegblieb und er stürzte bevor er einen sicheren Stand einnehmen konnte. Ein Ächzen entfuhr dem Mann, als er hart am ausgedörrten Grund aufkam. Schwer drückte ihn das fremde Gewicht gen Boden und unweit neben ihm ertönte das helle Klirren von aufeinander treffenden Waffen. Auch sein Gefährte, Altaïr, war aus der Dunkelheit der Nacht heraus angegriffen worden.

Instinktiv schlang der konfrontierte Malik eines seiner Beine um den über ihn Gebeugten und drückte seinen Oberarm defensiv gegen dessen Hals; mit seinem zweiten Bein stieß er sich ruckartig vom Boden ab und brachte damit genug Schwung auf, um den Fremden in einer abrupten Körperdrehung unter sich zu befördern. Rüstung hin oder her, mit der richtigen Technik schaffte man es auch den größten und schwersten Krieger umzuwerfen. Und im Geiste dankte der 25-Jährige seinem damaligen Mentor gerade dafür ihn so oft im Bodenkampf in den Dreck geworfen zu haben.

Schwer atmete Malik aus, als er ausholte und zuschlug, bevor er nachdachte. Seine Fingerknöchel trafen viel zu fest auf den dicken Stahl eines Helmes und er stieß, seine schmerzenden Finger kurz streckend und ballend, einen derben Fluch aus. Der Andere unter ihm lachte bloß gehässig auf, schlug nun ebenso - und im Gegensatz zu dem ungerüsteten Assassinen mit eisenbewehrten Fäusten - zu. Malik sah für wenige, scharfe Atemzüge lange kleine Funken, als sein ungeschützter Kopf durch den harten Hieb herumgerissen wurde. Für eine Sekunde lang verschwamm die düstere Kulisse vor ihm zu einem tanzenden Wirrwarr aus Farben und Formen und der Kartograf glaubte sogleich rücklings umkippen zu müssen. Er schmeckte Blut und befühlte seine Zähne vorsichtig mit der Zunge – sie waren noch alle da; Allah sei Dank.

Zwei weitere Hände packten ihn von hinten und zerrten ihn nun auf die Füße; etwas benommen taumelte Malik mit dem Rücken voran gegen den zweiten Kerl hinter sich und er versuchte sich wieder einigermaßen zu fassen. Seine Finger ertasteten dabei hastig eines der Wurfmesser in seinem Gürtel und er entwand sich geschickt dem Griff des eher dürftig gerüsteten Anderen. Mit dem kleinen Messer in der Hand hob Malik etwas desorientiert gegen ihn und der fremde Mann riss einen seiner Arme schützend hoch. Nur oberflächlich schnitt ihm die Wurfwaffe also am Unterarm entlang; es war ein Kratzer, nicht mehr. Doch der ehemalige Dai schien sich deswegen keine Sorgen zu machen; ein überlegenes Grinsen huschte für einen Moment lange über sein Gesicht bevor er rot ausspuckte. Und im nächsten kippte der fremde Templer auch schon, ungesund röchelnd und mit Schaum vorm Mund, rücklings um.

Doch da war noch der, der den erschrockenen Malik vorhin umgeworfen hatte. Und gerade jener schlug nun mit seinem Breitschwert auf den Schwarzhaarigen ein. Gerade noch rechtzeitig wich der zusammenfahrende Malik aus und ließ sein zuvor benutztes, vergiftetes Wurfmesser achtlos fallen, um seinen langen Dolch zu ziehen. Seine prüfenden Augen taxierten die polierte Rüstung des Anderen dabei hektisch. Kehle und Augen, sie waren ungeschützt. Er musste, um sie zu erreichen, näher an den Fremden heran. Verdammt.

Wieder duckte sich der Ranglose unter einem schwerfälligen Schwerthieb fort – dann ging er auch schon urplötzlich in die Offensive: Sein groß gewachsenes Gegenüber laut anbrüllend lief er direkt auf jenes zu. Und der angegriffene Gerüstete zeigte sich über diese vermeintlich kopflose Aktion dermaßen verwirrt, dass er ein, zwei Wimpernschläge lang gar darauf vergaß zu handeln. Etwas, das Malik, der sich solch eine Situation erwünscht hatte, ausnutzte. Er sprang den irritierten Templer frontal an und rammte ihm seinen, nach Blut lechzenden, Dolch direkt in den ungeschützten Hals, als jener aufsah. Zusammen mit dem japsenden Krieger ging der junge Kartograf zu Boden und blieb dort ein paar tiefe Atemzüge lange auf dem Sterbenden sitzen wie ein Raubtier, das gerade seine Beute erlegt hatte.

Dann sah er auf. Altaïr stand ihm in Sachen toter Gegner in nichts nach, schlug sich aber noch immer gegen einen verbleibenden 'Feind': Weiß prallte hier auf Weiß, eine versteckte Klinge auf ein Schwert aus Masyaf. Es war Karim, der sich gegen den Großmeister gestellt hatte. Malik's braune Augen weiteten sich und erhob sich eilig.
 

Karim!!“ blaffte Malik zwischen die zwei Kämpfenden hinein „Altaïr! Hört auf!“. Doch sie hörten nicht auf ihn. Während sich der geübte Adler ein Spielchen aus der Konfrontation mit dem jüngeren Gesellen machte, hatte dieser dicke Tränen in den Augen. Er kämpfte augenscheinlich nicht aus Überzeugung sondern blanker Verzweiflung wegen. Er gehörte nicht zu den Templern, nicht wahr? Er hatte sie bloß hierher gelockt, weil er sich allein gegen den Meister auf verlorenem Posten gesehen hatte. Das hier war also nicht recht!

Stopp!“ brüllte der ehemalige Büroleiter bevor er sich auch schon zwischen die beiden, ihn ignorierenden, Assassinen warf. Wie ein Schild... für sie beide. Mit schützend ausgebreitetem Arm stand der zittrige Malik dem Adler jetzt gegenüber, grimmigen Blickes starrte er ihn an und fühlte, wie ihn der Hauch einer plötzlich abgebremsten Klinge im Nacken kitzelte. Karim hatte ihn nicht verletzen wollen. Und auch Altaïr nicht; natürlich nicht.

Ärgerlich ließ der Raubvogel seinen Waffenarm sinken und seine Augenbrauen zogen sich zusammen „Malik??“.

„Das hier ist nicht richtig.“ versuchte der Schwarzhaarige so ruhig von sich zu geben wie möglich, doch sein Herz raste und seine aufgeregte Stimme bebte „Hört auf. Beide.“

„Bist du blind?? Er hat die Templer hierher gelockt!“

„Das mag sein. Aber er ist gerade verblendet von seiner Verzweiflung, siehst du das denn nicht?“

„Er hat das Kredo gebrochen.“

„Das hast du auch, Altaïr.“

Eine zähe Stille legte sich nun über die drei Anwesenden; äußerst klamm und drückend lag sie in der Luft. Karim wischte sich mit dem Ärmel über die nasse Wange und schniefte, ließ seine scharfe Waffe sinken. Er sah dabei so aus, als würde er dem überheblichen Altaïr soeben alle erdenklichen, tiefen Beleidigungen entgegen brüllen und daraufhin kraftlos in sich zusammensacken wollen. Erkennbare, bittere Rachsucht übermannte ihn in diesem Moment - Eine, die man nicht noch weiter anstacheln sollte, fand Malik. Die beiden dummen Assassinen hier sollten aufhören. Denn die ganze Sache war witzlos, der arme Karim hatte keine Chance gegen einen, nein, seinen gefährlichen Großmeister.

„Und sieh dir an was es aus dir gemacht hat...“ Worte mit denen der anwesende Kartograf das pikierte Schweigen dann plötzlich brach. Er nickte in die Richtung des Adlers und versuchte ein gespielt ruhiges Lächeln zustande zu bringen anstatt sich aufgebracht auf die trockene Unterlippe zu beißen „Sieh dich an. Hat Al-Mualim nicht gut daran getan dich leben zu lassen?“.

Wieder ein langes, nachdenkliches Schweigen. Doch die Antwort seitens des Größeren war schlussendlich ein tiefes, nachgiebiges Seufzen und ein böser Blick in Richtung Karim. Dieser stand nach wie vor völlig aufgelöst hinter seinem Schutzschild aus Fleisch. An jenes richtete der Meister der Bruderschaft auch seine nächsten Worte; offenbar konnte er dem gewitzten Malik nichts abschlagen, wenn es dieser erst einmal darauf ansetzte „Na schön. Wir nehmen ihn mit und er kommt vorerst in den Kerker. Ich entscheide später über sein Leben.“.

„Danke Altaïr...“ anerkennend nickte ihm der positiv überraschte Schwarzhaarige zu und atmete erleichtert aus, als er sich kurz daraufhin zu dem jüngsten Anwesenden umsah.

Er tat dies zu spät. Denn als seine braunen, ungläubig geweiteten Augen auf Karim fielen, rammte sich dieser selbst sein breites Kampfmesser in die Nierengegend. Malik's Unterkiefer klappte leicht auf, als sein Blick unruhig wanderte und er in einen Zustand, in dem die verdammte Zeit regelrecht still zu stehen schien, gerissen wurde. Seine, zuvor noch zum Schutz erhobene, Hand sank langsam und ehe sein Hirn überhaupt realisieren konnte, was geschah, knickte der Geselle vor ihm ein.

Karim schlug mit dem Kopf hörbar hart am staubigen Boden auf, ein langgezogenes Keuchen entkam seiner heiseren Kehle. Und während sich der weniger überraschte Altaïr keinen Zentimeter rührte, zuckte der entrüstete Malik heftigst zurück. Noch immer lag sein zunehmend entsetzter Blick auf dem leise stöhnenden Jüngeren am Boden. Blut färbte den Grund unter seinem bebenden Körper rot, tränkte die trockene Erde und sickerte in kleine Risse, die sich unter der Hitze des Tages darin aufgetan hatten.

Es war zu spät, als der ehemalige Dai vor dem Verwundeten auf die wackeligen Knie fiel und ihn eilig umdrehte, um sich dessen Stichverletzung ansehen zu können. Die schmalen Augen Karims blinzelten ein letztes Mal benommen und fingen den völlig neben sich stehenden Malik ein. Tonlos flüsterten die trockenen Lippen des blassen Gesellen ein „Es... tut so weh...“. Dann war es still.

Der Kopf des Jüngeren sank schlaff zur Seite, als der 25-Jährige ober ihm dazu ansetzte ihn an den Schultern rütteln zu wollen; denn der schockierte Malik wollte nicht begreifen, dass sein... Freund gerade starb.

„Karim!“ stieß der degradierte Assassine aus „Karim! Sieh mich an!“. Doch es folgte keinerlei Reaktion; die sonst so lebhaften Augen des Jüngeren sahen durch ihn hindurch, als wäre er gar nicht anwesend, und seine stets so breit lächelnden Lippen blieben ohne jegliche Regung – so wie der Rest des ruhig daliegenden, blutenden Körpers über dem Malik kauerte.

„... Karim...“ die Stimme des Mannes brach, er biss sich so fest auf die Innenseiten der Wangen, dass es schmerzte und zog die Augenbrauen zusammen.

Es war zu spät.
 

Erst als er eine sanft zudrückende Hand auf seiner Schulter spürte, sah der verbitterte Malik wieder auf. Altaïr sagte irgendetwas, das wohl beschwichtigend wirken sollte und forderte ihn ruhig dazu auf zu gehen. Aber am liebsten hätte der am Boden Sitzende den Adler nun für den Tod des Gesellen zu seinen Knien beschuldigt, ihn angeschrien und ihm Eine verpasst... doch dies wäre falsch gewesen, nicht wahr? Altaïr traf keine Schuld. Also nicht wirklich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2013-08-14T10:56:44+00:00 14.08.2013 12:56
.... Ich hasse dich.


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