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Das rote Tuch

von

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Täume und Adler

Die Glocken hörten nicht auf. Ihr Schlagen hallte viel zu laut in Malik's empfindlichen Ohren wider und die Fingernägel Kadar's bohrten sich unerträglich fest in seinen linken Arm. Der Jüngere rief irgendetwas Unverständliches und zerrte an seinem Bruder, sein schmerzhafter Griff verstärkte sich immer weiter. Es tat weh. Es tat so weh!

Malik wollte schreien, doch seinen bebenden Lippen entkam kein Laut. Er wollte die Augen öffnen, denn er konnte auf einmal... er konnte nichts mehr sehen, doch er schaffte auch dies nicht. Ein seltsamer Schwindel holte ihn ein, er rang vergebens nach Atem, stolperte. Und die Glocken, sie läuteten und läuteten. Lauter und immer lauter. Sie sollten aufhören, sie sollten-

Kehlig schnappte Malik nach Luft, als er sich ruckartig aufrichtete und die dunkelbraunen Augen panisch aufschlug. Reflexartig fasste er an seine linke Seite und wollte dort nach der Hand seines kleinen Bruders haschen, die sich so wahnsinnig schmerzhaft in seinen Unterarm krallte, doch er griff ins Leere.

Kein Kadar.

Kein Arm, an dem man sich festklammern konnte.

Doch die fürchterlichen Schmerzen waren trotzdem da.

Ein leises Schluchzen mischte sich in das schwere Atmen des Mannes und er realisierte erst Bruchteile von Sekunden später, dass es sein Eigenes gewesen war.

Malik stöhnte gequält und schlug die Augen nieder, als er mit zittrig vorsichtigen Fingern an den einbandagierten Stumpf fasste, der von seinem linken Arm noch übrig war: Ein unter der weißen Bandage stark vernarbter Teil eines Oberarmes, sauber knapp oberhalb des Ellbogens abgetrennt.

Seit er ein... ein Krüppel war, suchten ihn immer wieder diese verdammten Phantomschmerzen heim. Meistens Nachts. Zusammen mit den schrecklichen Alpträumen. Man konnte in geringen Ausmaßen etwas gegen sie beide tun – beruhigend oder betäubend wirkende Medizin schlucken etwa - doch ganz verschwinden, das würden sie wohl nie.

Ein paar Mal atmete Malik tief ein und aus, er ermahnte sich selbst zur Fassung und hob seinen brummenden Kopf an, um schlaftrunken in die Dunkelheit vor sich zu blinzeln. Kalter Schweiß klebte ihm die schwarzen Haare an die Stirn und ein unwohliger Schauer lief dem Mann über den nackten Rücken hinab, als er sich über die nassen Wangen wischte.
 

… Moment.

Die Glocken.

Malik zuckte zusammen, als er realisierte, dass es jene seinen Schmerzen gleich taten und nach wie vor hämmerten. Der 25-Jährige tastete im Dunkel leise fluchend nach der alten Öllampe, die neben seiner Schlafgelegenheit am Boden stand, um sie daraufhin zu entzünden. Das Licht der Lampe tauchte den sporadisch eingerichteten Hinterraum des Assassinenbüros in ein warmes Licht und malte orange und gelbe Farbtöne an die Wände und Schränke. Der tanzende Schatten Maliks durchbrach das flackernde Farbenspiel, als sich der ächzende Mann schwerfällig von seiner dicken Bettmatte erhob und nach dem schwarzen Mantel fasste, der über dem einzigen Stuhl im kleinen Raum hing. Der Dunkelhaarige trug nur eine leichte, graue Stoffhose und war nass geschwitzt, er wollte sich in der kühlen Nachtluft nicht noch erkälten...

Sich das schwere, weiß bestickte Kleidungsstück über die Schultern werfend, hielt der noch immer etwas verwirrte Rafik auf die 'Türe' nach draußen, in sein Büro zu. Eines seiner gut bestückten Bücherregale fungierte hier als eine Art Geheimtür. Nicht selten beherbergte er nämlich verwundete Brüder in seinen privaten Gemächern; Verletzte, die er vor 'normalen' Besuchern verstecken musste. Eine Geheimtüre war daher von Vorteil, denn gerade die Stammkunden des vermeintlichen Kartografen und die Stadtwachen waren äußerst... neugierig. Er durfte seine Tarnung nicht auffliegen lassen.

Malik schob die breite Türe mithilfe seiner Hüfte auf - denn in seiner Hand trug er die hell scheinende Lampe mit sich - und drängte sich in den Bürobereich seines Heimes; das entfernte Glockenschlagen begleitete ihn.

Er blieb hinter dem langen Tresen stehen, der sich vor den Bücherregalen entlangzog und seine prüfenden Augen wanderten sofort in die Richtung seines kleinen, überdachten Vorgartens. Er hatte das, mit Efeu überwucherte und aus aneinander genagelten Holzgittern bestehende Gartendach geschlossen und gut verriegelt, als er zu Bett gegangen war. So wie er es jeden Tag tat. Das Einzige, das dort hindurch kam war also eine kühle Brise, die dem müden Malik eine Gänsehaut bescherte. Der Rafik zog sich den wärmenden Mantel enger um die Schultern und fröstelte. So heiß es in dieser Gegend tagsüber auch werden konnte... Nachts war es zur vorherrschenden Jahreszeit oftmals richtig frisch draußen.
 

Nachdem Malik die Öllampe auf dem Tresen vor sich abgestellt hatte, stützte er sich mit dem Ellbogen auf die abgenutzte Holzablagefläche und fuhr sich mit den Fingern entnervt stöhnend durch das kurze Haar.

Er hatte es beinahe vergessen. Oder nein, besser: verdrängt. Al-Mualim hatte ihm vor zwei Wochen eine Brieftaube geschickt. Die Nachricht, die ihm das grau gefiederte Tier gebracht hatte, hatte den Mann wie zur Eissäule erstarren lassen. Er hatte eine halbe Ewigkeit lange vor seinem Taubenschlag am Dach gestanden und die Schriftzeichen auf dem kleinen, zerknitterten Papierstück angesehen. So, als hätte er geglaubt, sie würden verschwinden, wenn man sich mit dem Starren einfach nur genug Mühe gab. Verschwunden, tja, das waren sie aber bedauerlicherweise nicht: 'Der Adler kommt nach Jerusalem.'.

Altaïr.

Nur wenige Tage nach der Brieftaube war der Raubvogel dann tatsächlich hier aufgetaucht, war erhobenen Hauptes und mit grimmigem Blick in Malik's Büro stolziert. Der Kartograf hatte geglaubt, die grenzenlose Arroganz des Anderen würde ihn erschlagen und die eiskalten Augen seines ehemaligen - mehr oder weniger... geschätzten - Kumpanen wollten ihn an die Wand nageln. Doch der missgestimmte Malik hatte dem unglaublichen Verhalten Altaïrs mit abschätzigem Unglauben entgegengehalten, mit Sturheit, wenn man es denn so wollte. Eine gewisse Schadensfreude hatte dabei ebenso mitgespielt, denn Al-Mualim hatte dem egozentrischen Altaïr, dem ach so großen Meisterassassinen, nach der Sache in Solomon's Tempel seinen Titel entzogen. Der 'Adler aus Masyaf' war zu einem Novizen degradiert worden, der dazu aufgefordert worden war sich als vorbildliches Mitglied der Bruderschaft zu beweisen.

War ihm recht geschehen, diesem Sohn einer Hündin, diesem... diesem Verräter!

Malik presste seine Kiefer fest aufeinander und blickte aus schmalen, abwesenden Augen auf eine unvollendete Karte Akkon's, die auf seinem alten Verkaufstisch lag.

Er hatte damit gerechnet Altaïr eines Tages wieder zu sehen, ja, doch nicht damit, dass dies so bald nach dem verheerenden Vorfall im Tempel geschehen würde. Fast ein Jahr war seither vergangen und der junge Rafik war noch immer nicht über... über alles hinweg. Und er würde es vermutlich auch niemals sein; zu groß waren die Verluste gewesen: Zuerst Kadar, dann sein Arm; schlussendlich hatte er seinen hohen Rang innerhalb des Kreises der Assassinen verloren und war als Schreiberling in das Büro in der gefährlichsten Stadt in der Umgebung verdammt worden.

Er träumte häufig sehr schlecht. Immer wieder suchten ihn verzerrte Erinnerungen heim, Alpträume, in denen er seinen toten Bruder umher straucheln sah, in denen gesichtslose Templer mit schweren Waffen auf ihn einschlugen, in denen dieser... leuchtende Apfel mit ihm sprach und in denen Altaïr, dieser Feigling, manisch über ihn lachte.
 

… Malik wünschte sich, er wäre damals mit Kadar gestorben. Manchmal, wenn es ihm richtig schlecht ging, ertappte er sich dabei darüber nachzudenken ob er sich nicht selbst-

Ach. Verflucht.

Der gedankenverlorene Rafik seufzte erneut und schüttelte seinen wirren Kopf, als könne er dadurch die vielen düsteren Erinnerungen an sein bisheriges Leben und die Träume, die ihn plagten, verscheuchen wie lästige Fliegen. Es funktionierte nicht.
 

II
 

Malik bewegte sich vorsichtigen Schrittes auf den Vorgarten seines Büros zu, nachdem die Stadtglocken Jerusalems endlich aufgehört hatten zu schlagen. Abwartend lehnte er sich dort in den Türrahmen und hob seinen finsteren Blick dem dürren Efeu entgegen, der sich über das vergitterte Holzdach hier wand. Der verschlafene Rafik lauschte in die kühle Nacht hinein. Es war still, lediglich das ruhige Plätschern des Trinkwasserbrunnens des Gärtchens und weit entfernte, unverständlich miteinander sprechende Stimmen waren zu vernehmen. Dinge, die Malik ignorierte, denn seine Ohren suchten nach einem anderen Geräusch. Nach Schritten auf dem Flachdach seines Hauses und leise raschelndem Robenstoff etwa.

Die Glocken waren verstummt, das bedeutete, dass die Stadtwachen die Gefahr auf zwei Beinen getötet oder aus den Augen verloren hatten. Insgeheim hoffte Malik auf Ersteres.
 

Ein Schatten schien über das müde Gesicht des Mannes zu huschen, als sich wenige Atemzüge später etwas über seinem Kopf tat: ungleichmäßig voreinander gesetzte Stiefeltritte und das kaum vernehmbare Scheppern einer langen Waffe, die gegen eine Gürtelschnalle schabte. Der Mann stieß sich von dem Türrahmen in seinem breiten Rücken ab und trat ein, zwei Schritte weit in den abgeriegelten Vorgarten mit den vielen Sitzkissen am Boden hinaus. Den Kopf mit den etwas zerstrubbelten, kurzen Haaren hob Malik nach wie vor prüfend dem Holzgitter über sich entgegen, seine dunklen Augen suchten argwöhnisch.

Und sie fanden auch: Eine, in der Dunkelheit der Nacht kaum übersehbare, große Gestalt in weiß setzte ihre Füße vor das bewachsene Gitter und schnaubte leise verärgert, als sie erkannte, dass die Dachluke versperrt worden war. Der 25-jährige kam nicht umhin seine Lippen zu einem überlegenen Grinsen zu kräuseln.

„Altaïr.“ stellte Malik trocken und den Kopf schräg legend fest, als er seine Stimme sogleich erhob und damit die vorherrschende Stille brach. Hätte er zwei Arme gehabt, so hätte er sie nun abwartend vor seiner Brust verschränkt... in seinem Zustand konnte er sich jedoch nur seine rechte Hand in die Hüfte stemmen.

„Malik, mach auf.“ brummte der Meisterassa-, nein, der Novize am Dach.

„Bist du verletzt?“ fragte der Rafik daraufhin nur kühl anstatt Anstalten zu machen seinen Bruder herein, in den schützenden Garten, zu lassen.

„Was spielt das für eine Rolle?“

„Bist du es oder nicht?“

Altaïr zögerte auf dieses spöttische Drängen hin eine Weile, schnappte dann jedoch ein pikiertes „Nein.“. Malik kannte den Anderen gut genug, um zu wissen, dass der Adler log, weil es ihm sein übertriebener Stolz stets so abverlangte. Jeder noch so taube Mensch hätte an Altaïr's viel zu lauter Gangart eben hören können, dass er humpelte. Und außerdem... der dumme Assassine mochte zwar ein Meister im Vorgaukeln einer ausdruckslosen Mimik sein, doch seine raue Stimme mit dem westlichen Akzent, die hatte er hin und wieder nicht so ganz unter Kontrolle.

„Fein, dann halte mich nicht länger auf und verschwinde.“

„Wie bitte?“

„Mein Büro ist nachts geschlossen, Novize.“

Schweigen.

Wieder schmunzelte der junge Kartograf seines bitteren Triumphes wegen finster und er wendete sich halb ab, als er die obligatorische Grußform seiner Bruderschaft halbherzig von sich gab „Friede sei mit dir.“.

Hoffentlich verreckte dieser hinkende Hund im nächsten Drecksloch!
 

„Malik!“ Altaïr war nun auf die Knie gegangen, um sich zu dem Holzgitterdach hinunterbeugen und durch es hindurch spähen zu können. Seine stechend goldbraunen Augen waren auf den Rücken des Anderen gerichtet, Malik konnte den verärgerten, unangenehmen Blick des weiß Gekleideten förmlich in seinem Nacken spüren. Es stellte ihm dort die kleinen Härchen auf.

„Willst du nicht... von meiner Mission hören?“ nuschelte der Adler etwa ein bisschen?

„Ich habe bereits genug davon gehört.“ gab Malik Altaïr schnippisch zurück „So wie wohl jeder andere Stadtbewohner auch. Du trampelst durch Jerusalem wie ein plumpes Kamel. Nein, eher wie eine Horde Kamele! Geh und berichte deinem Meister von deinem glorreichen Erfolg, ich bin mit dir soweit fertig.“.

Wieder diese drückende Stille.

Der Rafik schüttelte sein Haupt mit verächtlicher Miene in seinem Gesicht und verschwand wieder im Innenbereich des Assassinenbüros. Es war vielleicht grausam seinen beleidigt schnaufenden Bruder um diese Uhrzeit - und wo er doch offensichtlich verwundet sein musste und Probleme mit dem Sprechen hatte - am Dach zurückzulassen. Doch, Allah oder Gott vergib ihm, es tat Malik nicht leid. Kein Bisschen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2013-02-24T10:36:33+00:00 24.02.2013 11:36
Sehr sehr gut geschrieben *^* Ich suchte gleich die anderen durch!
Von:  Glimmerharp
2013-02-12T11:22:41+00:00 12.02.2013 12:22
Malik du olle zicke...
Der arme muss da oben schmerzen leiden...

Lg
Glimmer
Antwort von:  Crevan
12.02.2013 13:03
Noch gehts ihm ja relativ gut... ;P *g*


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