Zum Inhalt der Seite

Behind the Scenes

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Act 3 Scene 11: Finale Act 3

Noch immer fertig mit der Welt saß Saeko im Ledersessel, starrte ihre kleine Schwester, die die inzwischen schlafende Natsuki auf dem Schoß liegen hatte, fassungslos an. Sie konnte nicht so ganz glauben, was Hiromi ihr da erzählt hatte, aber als sie die Verbände an den Handgelenken des Yukigumi-Stars gesehen hatte, ebenso wie die Schürfwunden an deren Schienbeine, Hiromi hatte eines der Hosenbeine hochgekrempelt, bestand für sie kein Zweifel mehr. Asako drehte völlig durch, aber wieso ging sie so auf Natsuki los? Dann aber war die Frage selbsterklärend. Der Tsukigumi-Star hatte ihr Versprechen einfach nur eingelöst, auch wenn Saeko dabei nicht geglaubt hatte, dass Asako dabei mit solcher Brutalität vorging. Das klang so ganz und gar nicht nach der Frau mit den Rehaugen, in die sie sich damals verliebt hatte und noch immer verliebt war.

„Du kannst sie so nicht weitermachen lassen“, sagte Hiromi mit einem leicht gedämpften Ton. Sie wollte Natsuki wohl nicht wecken.

„Ich weis, aber was soll ich tun?“

Saeko wusste nicht weiter. Asako würde sie nicht anhören wenn sie schon nicht auf Yuuhi gehört hatte. Ihre Schwester wusste das.

„Das weis ich doch auch nicht, aber du kannst doch nicht zulassen, dass sie andere so terrorisiert.“

„Denkst du, das weis ich nicht? Ich arbeite da schon zwei Jahre dran.“

Seufzend warf Saeko den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und lies, wie sie es so oft tat, die letzten Jahre Revue passieren. Auch wenn sie nie wirklich da gewesen war, sie hatte versucht Asako zu unterstützen, indirekt, aber dabei hatte sie nur zugesehen wie ihre geliebte Freundin wie ein Lemming dem Abgrund entgegen lief. Sie hatte gehofft, dass spätestens Osa es schaffte sie am Kragen zu packen und sie zurück zu zerren, vergeblich. Saeko war eine von zwei Personen, die von dem Streit der zwei besten Freunde wusste, wenn auch nur von Gaichi. Zu gern wäre sie zu Asako gefahren, aber seit sie sich vor so vielen Jahren völlig betrunken gestritten hatten war der Tsukigumi-Star für sie unzugänglich. Und gerade jetzt könnte sie wohl eher gegen eine Wand reden und würde damit mehr erreichen.

„Und du hast nichts erreichen können?“

Die ehemalige Tod-Darstellerin schüttelte den Kopf.

„Ich glaube, ich habe es eher noch schlimmer gemacht. Du siehst ja, was passiert ist.“

Saeko stand auf, ging zu Hiromi und kniete sich vor sie, strich Natsuki eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Es war traurig, dass es so weit hatte kommen müssen. Dieser Frau verdankte sie viel, hasste sie für so viel mehr, aber das hatte sie nicht verdient. Keiner hatte das. Alleine würde sie das nicht wieder gut machen können.

„Und wenn du dich mal mit den anderen zusammensetzt? Wenn du alleine nichts erreichen kannst, dann vielleicht zusammen.“

Die ehemalige Tsukigumi-Schauspielerin stockte kurz. Mit den anderen... Sie hatte immer mit dem ein oder anderen geredet, kleine Gefallen, so wie sie es halt immer getan hatte, aber war es so klug sich mit allen ab zu sprechen? Dann aber verlangten Kriesenzeiten harte Maßnahmen. Saeko stand auf.

„Wahrscheinlich hast du Recht. Ich werde mal mit Osa, Gaichi, Kiri und Yuuhi reden.“

„Du solltest Kimu und Shio noch dazuholen.“

„Wieso?“, fragte sie verwirrt.

„Die zwei standen Sena so nahe wie niemand anderes sonst in den letzten zwei Jahren. Zumindest nach dem, was man sich erzählt. Die zwei könnten vielleicht ein paar gute Ideen haben.“

Und da sah man mal wieder, dass sie zu einer Familie gehörten. Manchmal hatte Hiromi weitaus mehr Grips als man ihr auf den ersten Blick zutraute. Saeko hatte etwas gegen Shio und insbesondere gegen Kimu, doch sie würde sich wohl zusammenreisen müssen.

„Ich seh mal, was ich tun kann. Ach und Hiromi...“

„Hm?“

„Danke. Aber ich muss dich noch um einen Gefallen bitten.“

„Der da wäre?“

Saeko nickte zu Natsuki.

„Kümmer dich um sie. Sie sieht zwar nicht so aus, aber sie braucht jemanden, der bei ihr bleibt. Zumindest solange bis es ihr besser geht.“

Hiromi sah sie ein paar Sekunden an, nickte dann nur.
 

„Dass Asako durchdreht wissen wir doch schon lange. Die Frage ist eher, was tun wir dagegen?“ Gaichi lies sich neben Osa auf die Couch fallen, schwenkte etwas das Wasserglas mit der aufgelösten Tablette in der Hand und rieb sich die Schläfen. Es war wenige Tage nach der Elisabeth-Premiere und Saeko hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt um die ganze Truppe für einige Stunden in einen Raum zu bekommen. Sie waren in Saeko's Wohnung, das hieß Saeko selbst, Gaichi, Osa, Kiriyan und Kimu. Yuuhi verspätete sich etwas und der ehemalige Tsukigumi-Star war sich nicht einmal sicher, ob Shio überhaupt vor hatte zu kommen. Sie hatte einige Male versucht die Hoshigumi-Schauspielerin an zu rufen, musste sich dann aber damit begnügen über Hiromi und Chigi eine Nachricht zu schicken. Eine Rückmeldung hatte sie nicht bekommen. Kimu stand auf genügend Sicherheitsabstand zu Saeko und Gaichi neben dem Sessel, auf dem sich Kiriyan niedergelassen hatte, Osa und Gaichi saßen auf der Couch und Saeko hatte sich auf dem weichen Hocker, der eigentlich als Fußstütze diente, gesetzt.

„Das weis ich ja nicht“, meinte Saeko und sah zu Gaichi. „Desshalb hab ich euch ja hergerufen. Ich bin absolut ratlos. Aber sie kann so einfach nicht weitermachen.“

„Warum reden wir nicht einfach alle zusammen mal mit ihr?“, fragte Kiriyan und sah in die Runde. Kimu warf sich kurz darauf ein.

„Selbst wenn alle zusammen auf sie einreden wird das nichts bringen.“ Die Yukigumi-Darstellerin fuhr sich durch die Haare. „Wenn sie nicht selbst denkt, dass es richtig ist, wird sie es nicht tun. Dazu ist sie zu stur.“

Es klingelte an der Tür und Saeko stand auf. Das würde dann wohl Yuuhi sein, doch an der Tür fand sie nicht nur Yuuhi vor.

„Ich hab unterwegs mal noch jemanden eingesammelt“, sagte die Soragumi-Vice und sah über die Schulter zu Shio, die sich höflich verbeugte.

„Chigi sagte mir, dass es wichtig ist. Ich konnte nur leider nicht früher.“

„Schon gut. Kommt rein. Die anderen sind schon da.“
 

Zuerst war Shio sich nicht so sicher gewesen, ob es eine gute Idee war dem 'Meeting', wie Chigi es so schön ausgedrückt hatte, bei zu wohnen. Die letzten Wochen waren für sie die absolute Hölle gewesen, denn der Tsukigumi-Top-Star hatte ihre Drohung mit Bravour wahr gemacht. Es lief nichts so wie es sollte, sie musste ständig Überstunden machen, schlief dementsprechend wenig und konnte kaum Zeit mit ihrer Freundin verbringen. Und egal was schief lief, das ganze trug jedes Mal aufs neue Sena's Handschrift. Als sie einen ziemlich bedrückenden Anruf von Chigi bekommen hatte, in dem sie meinte, dass sich Sena's Freunde trafen um weitere Schritte zu planen und dass sie daran teilnehmen sollte, hatte sie zunächst gezögert. Sie hatte mit der Tsukigumi-Schaustellerin abschliesen wollen, hätte sie am liebsten aus ihrem Leben gestrichen, aber sie merkte nur zu deutlich, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war. Dazu hatte sie die andere zu tief in ihr Leben gelassen, also hatte sie Yuuhi eine Nachricht geschickt, ob sie nicht zusammen zu Ayaki fahren konnten. Zwar war es dem Soragumi-Vice sichtlich unangenehm, aber sie hatte zugestimmt.

Die blonde Schauspielerin trat in die Wohnung ein und hob erst einmal eine Augenbraue. Die Wohnung hatte fast erschreckende Ähnlichkeit mit der von Sena, hatte dann aber wieder einen völlig eigenen Touch. Der Tsukigumi-Star führte sie ins Wohnzimmer und neben den Glaswindspielen fielen der Hoshigumi zuerst die vielen Bilder auf, die überall standen. Sie sah dabei zu, wie Yuuhi zu Kiriya ging und Saeko sich auf den kleinen Hocker fallen lies und ging selbst zu den Bildern, sah sich eins nach dem anderen an. Die meisten davon zeigten Sena, Kiriyan, Osa, Yuuhi und viele mit Gaichi und Saeko waren dabei. Ihr fiel ein Bild ins Auge, auf dem alle Sechs gemeinsam zu sehen waren, wohl irgendwann im Herbst geschossen, denn sie saßen in buntem Laub und lachten. Saeko stand neben Kiriyan, hatte einen Arm um Sena gelegt, daneben Gaichi und schließlich Osa und Yuuhi, wobei Osa der Soragumi-Vice in die Wange kniff. Merkwürdig. Sena wirkte so anders auf diesem Foto als sie sie kennen gelernt hatte. Ihre Kleidung war eher üppig, bunt und willkürlich zusammengemischt, dennoch wirkte sie so unbeschwert und unschuldig. Anders als die sehr durchdachte und immer verführerisch wirkende Frau, die momentan auf der Bühne zu sehen war. Apropos Unschuld, da war noch ein weiteres Bild, dass Shio sofort ins Auge fiel, wohl, weil es fast gänzlich weis war. Es zeigte Sena. Die junge Frau lag auf einem Bett, nackt auf der Seite, das Bettlaken nur bis knapp über die Hüfte gezogen und den Kopf im Kissen vergraben, wobei die Arme locker vor ihr lagen. Sie schien zu schlafen, wirkte aber beinahe hindrapiert. Wenn sie nicht wüsste, dass Asako sich nie freiwillig so hätte fotografieren lassen, dann hätte sie geglaubt, dass es zu einem Shooting gehört hätte, denn auch wenn die junge Frau dort sichtlich nichts an hatte war ausser ein bisschen nackter Haut nichts zu sehen. Die Blonde sah zu Saeko. Ob sie diesen Schnappschuss wohl gemacht hatte? Sie warf einen weiteren Blick über die Bilder. Es waren viele Einzelfotos von Sena dabei. Saeko schien ein Gefühl dafür zu haben die schönsten Seiten des Tsukigumi-Stars ein zu fangen. Schon merkwürdig und beinahe traurig, dass Saeko nicht bei Sena war, denn sie war sich sicher, dass der ehemalige Top Star und Sena wunderbar zusammen waren.
 

„Ich hab ja versucht es ihr aus zu reden, aber sie hört einfach nicht“, sagte Yuuhi und kratzte sich an der Wange. „Momentan ist es leichter mit einem Eisblock zu reden als mit ihr.“

„Ja und dann wirft sie einen in den nächstbesten Pool, nicht wahr?“ Kiriyan schubste ihre Freundin leicht in die Seite, welche daraufhin nur missgelaunt brummte.

„Wie lange willst du mir das noch vorhalten? Sie ist nunmal verdammt stark, auch wenn sie nicht so aussieht.“

„Ich find es trotzdem wichtig.“

„Eine Sache versteh ich trotzdem nicht“, warf Osa zwischen die beiden streitenden/flirtenden jungen Frauen und lehnte sich zurück. „Worum geht es ihr? Ich dachte immer, dass es nur um das Elisabeth-Stück ging, aber das hat sie doch jetzt. Wieso ist sie immer noch so?“

Kimu sah zu Osa, fuhr sich einmal durch die Haare und seufzte.

„Es ist nicht das Stück an sich, sondern die Rolle. Die Rolle vom Tod hat sich tief in ihren Kopf gefressen. Sie hat kaum von was anderem geredet.“

„Aber selbst dann sollte sie doch endlich zufrieden sein.“

Saeko seufzte einmal schwer, rieb sich mit den Fingerspitzen den Nacken während sie einen Blick in die Runde diskutierender Frauen warf. Ihr Blick blieb jedoch an der blonden Otokoyaku hängen, die eines ihrer Bilder in den Fingern hielt. Sie hatte diese Bilder überall, denn besonders wenn es um Asako ging hatte sie immer eine Kamera dabei gehabt. Hier und da hatte sie sich einige Schnappschüsse ausgedrückt, wobei dort einige besonders schöne dabei waren für die die Fans wohl töten würden, geschweigedenn die ganzen Liebchen, die so auf Asako standen. Das, was Shio in dem Augenblick in den Händen hatte war eines ihrer Lieblingsbilder von sich mit ihrer süßen Freudin. Es war aufgenommen wurden kurz nach der Premiere hinter der Bühne, genauer gesagt von Kiriyan, die sich einen Spaß daraus gemacht hatte eine Digitalkamera auf das alte Stativ der Attrape zu stellen und damit in der Gegend zu fotografieren. Dabei waren einige Bilder von Yuuhi im Rudolph-Kostüm, einige von einer ziemlich hinüber aussehenden, halb geschminkten Gaichi, aber auch ein besonderes dabei herausgekommen in den Abschlusskostümen der Tod-Darstellerin und ihrer Elisabeth. Sie hatten sich in dem Moment sehr unbeobachtet gefühlt, besonders, da alle anderen Schauspielerinnen schon am feiern gewesen waren, und hatten sich in eine Ecke verzogen, dabei noch immer in den Kostümen des Abschlusstanzes, die sie für die Gala hatten tragen wollen anstelle der Standartkostüme. Asako hatte ihre Hände auf die Schultern der Tod-Darstellerin gelegt, Saeko selbst hatte die Arme um die Taille der anderen geschlungen und die zwei waren nur einige Milimeter voneinander entfernt voneinander gewesen. Es war der Moment gewesen, in dem sie Asako angesehen hatte, dass sie tatsächlich glaubte Elisabeth zu sein, dass sie daran glaubte, dass sie selbst wahrlich der Tod war, die sie so lange begehrt hatte und sie für immer lieben würde. Es spiegelte sich im Gesichtsausdruck der Jüngeren auf eben diesem Foto wieder.

„Ich hab mal eine Frage.“ Shio riss sie aus den Erinnerungen und Saeko sah wieder auf. „Wisst ihr überhaupt, wieso Asako diese Rolle unbedingt wollte?“

Osa hob nur verwirrt eine Augenbraue. „Damit sie Natsuki eins auswischen kann. Die zwei haben sich noch nie gemocht und immerhin hat sie ihr vor zwei Jahren schon das Stück geklaut.“

Shio schüttelte den Kopf.

„Das war nur ein Teil.“

Dann schaltete sich auch Yuuhi ein.

„Sie wollte Saeko näher sein.“ Sie sah zu der ehemaligen Tod-Darstellerin. „Sie hat fest daran geglaubt, dass du zurückkommst, wenn sie es schafft diese Rolle ebenso gut zu spielen wie du.“

„Richtig. Und da wären wir schon beim Problem des ganzen.“

„Dass da wäre?“

Saeko schluckte einmal und übernahm die Antwort für Shio.

„Sie glaubt tatsächlich der Tod zu sein. Und ich glaube wir sind schuld.“

„Was?“ Kiriyan sah etwas erschrocken auf. „Wieso? Wir haben nichts falsches gemacht.“

„Haben wir auch nicht. Wir wollten ihr ja helfen“, sagte Osa und fuhr sich einmal durch die Haare. „Aber in ihren Augen haben wir sie verraten. Asako war noch nie der Typ, der gut mit Streit umgehen konnte. Sie glaubt, dass wir sie allein gelassen haben.“

„Und was hat das mit dem Tod zu tun?“

„Denk doch mal nach Kiriya“, sagte Gaichi und Shio trat zu der kleinen Truppe, hatte das Bild noch immer in der Hand. „Asako hat mir immer vorgehalten, dass der Tod ihr ganzes Ziel wäre und dass sie gewillt war dafür zu töten wenn sie müsste. Sie will diese Rolle mit allen Mitteln festhalten und wenn das hieß, dass sie diese Rolle auch in ihrer Freizeit umsetzen müsste, dann ist es nur logisch, dass sie so handelt.“

Selbst Kiriyan hatte es in dem Moment wohl verstanden.

„Und... was machen wir jetzt?“

Bei Saeko brannte auf einmal etwas durch und sie trat gegen den Tisch, woraufhin die anderen Frauen erschrocken einen Satz machten. Wie konnte sie nur? Der Tod war nicht Asako's Rolle. Nicht, dass sie nicht gut genug dafür war, sie war sogar weitaus besser, aber ihre Rolle würde immer Elisabeth bleiben.

„Saeko?“

„Ich versteh sie nicht. War ihr Elisabeth nicht gut genug? Ich dachte, dass sie diese Rolle so sehr geliebt hatte. Immerhin war sie meine Elisabeth.“

Verzweiflung schlug in ihrer Stimme durch, wobei die Tod-Darstellerin für einen Moment sogar vergaß, dass nicht nur ihre engsten Freunde anwesend waren.

„Und... warum geben wir ihr ihren Tod nicht einfach wieder?“, fragte Yuuhi mit einem Mal und die Truppe sah kollektiv zu ihr.

„Was?“ Osa blinzelte etwas verwirrt. „Was soll das heißen?“

„Nun...“ Yuuhi schien nach den richtigen Worten zu suchen und sah dabei zu Saeko. „Ich versuchs mal so. Asako wollte den Tod spielen um wieder Saeko näher zu sein, richtig? Sie glaubt, dass Natsuki ihr Saeko damals weggestohlen hat indem sie den Tod, also deine Rolle, übernommen hat. Da sie selbst entschieden hat wer Elisabeth spielt hat sie die Rolle noch immer im Hinterkopf. Indem sie also den Tod spielt denkt sie, dass du wieder zu ihr zurückkommst, also zu ihr als Elisabeth.“

„Und was genau willst du mir damit sagen?“

„...Hast du das Kostüm noch?“
 

Die Auftritte waren viel, viel zu schnell vorbei gegangen, wenn es nach ihrem Geschmack ging. Das Gefühl, als Tod auf der Bühne zu stehen, war einfach unvergleichlich gewesen, so erfüllend, wie sie es seit Jahren nichtmehr erlebt hatte. Und jetzt war es vorbei.

Einfach so.

Ganz so hinnehmen würde sie es dann doch nicht. Keinem war es erlaubt den Tod nach ihr zu spielen, und wenn es hieß, dass sie die Elisabeth-Geschichte Takarazuka's gänzlich beenden müsste, dann würde sie es so hinnehmen und einrichten. Noch hatte sie genug Zeit. Noch ein Special und eine weitere Saison und sie würde es beenden können. Takarazuka, ihre Kontakte, einfach alles zu ihrem alten Leben. Sie würde endlich gänzlich neu anfangen können, ein neues Theater, dem sie schon zugesagt hatte, neue Bekanntschaften. Doch tief im inneren wusste sie, dass es nicht ganz so einfach war. Takarazuka war ihr Leben und sie liebte dieses Theater wie nichts anderes. Ebensowenig wollte sie ihre Kontakte einfach so vergessen und beenden, doch was war davon überhaupt noch übrig? Sie war berüchtigt und gefürchtet, nicht geliebt, so wie es eigentlich sein sollte. Keiner von ihnen konnte es verstehen.

Asako saß noch eine ganze Weile in ihrem Wagen vor ihrer Wohnung, starrte durch die Frontscheibe nach drausen und sah zu, wie der Regen aus der dichten Wolkendecke herabrasselte und wie ab und an ein Blitz die stockfinstere Nacht durchschlug. Die Elisabeth-Saison Tsukigumis war beendet und auch der letzte Auftritt war mehr als grandios verlaufen. Die Schauspielerinnen hatten geglänzt wie selten zuvor und auch wenn hinter der Bühne alles drunter und drüber gegangen war, war es mit Abstand der beste Auftritt gewesen. Nachdem der Vorhang gefallen war und sich die Schauspielerinnen einigermaßen hergerichtet hatten um an einer Aftershowgala teil zu nehmen hatte die Tod-Darstellerin in ihren schwarzen Anzug umgezogen, ihre Haare an einer Seite nach hinten geflochten, wie es bei ihrer Tod-Perücke war, und war einfach nach Hause gefahren. Sie wollte an dieser Gala nicht teilnehmen, um nichts in der Welt, auch wenn es den Regeln widersprach. Sie wollte nicht hören, dass sie den Tod nichtmehr spielen würde, wollte nicht, dass man sie danach fragte, wie sie sich denn fühlte, jetzt, da das Stück beendet war. Doch noch immer fürchtete sie sich in ihre Wohnung zurück zu kehren. Asako wusste genau, dass dort keiner auf sie warten würde. Wieso auch? Sie hatte ja niemanden. Sonst hatte sie immer Shio als Trostpflaster gehabt, aber anders als von ihr erwartet war die Blonde nicht wieder gekommen, egal wie viele Steine sie der anderen in den Weg gelegt hatte um sie zur Rückkehr zu zwingen. Auch Kimu war nicht wieder aufgetaucht und aus sicherer Quelle wusste sie, dass Mizusu ihr unter die Arme griff, sodass die Yukigumi-Vice nicht die volle Breitseite abbekam und es somit bei weitem leichter hatte als Shio. Von ihrem alten Freundeskreis hatte sie auch seit Monaten kein Wort mehr gehört und selbst Kiriyan, die sie immerhin regelmäßig sah, hatte kein freundliches Wort mehr mit ihr gewechselt.

Langsam lies Asako ihre Finger übers Lenkrad gleiten, wobei ihr Blick an ihrem Ring hängen blieb. Keiner würde ihr das nehmen. Dieses Kribbeln, dass sie immer bekam, wenn sie sich ihrer Rolle hingab wenn sie nicht auf der Bühne stand. Sie brauchte dieses Gefühl wenn sie schon sonst nichts hatte. Erneut sah sie nach drausen. So bald würde es woh nicht aufhören zu regnen, wesshalb sie sich entschied einfach aus zu steigen und in die Wohnung zu gehen. Es war schrecklich warm, dennoch behielt sie die lange Jacke an, als sie leicht durchnässt durch die Tür trat. Die Mühe das Licht an zu machen machte sie sich gar nicht, denn obwohl es stockduster war fand sie sich zurecht. Sie kannte sich immerhin besser in ihrer eigenen Wohnung aus als jeder andere, wesshalb es für sie auch kein Problem war das nächstbeste Glas zu finden und es mit einem Schluck Wasser zu füllen. Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer zog sie die silberne Taschenuhr unter ihrem Hemd heraus, die sie dicht an ihrem Herzen getragen hatte, blickte stumm auf das leicht reflektierende, angelaufene Silber als sie am Fenster stand. Lautstark prasselte der Regen gegen die Scheibe, durchbrach damit die Stille und hallte in ihren Ohren wieder. Saeko hatte sie nicht gesehen. Sie war nicht zum Auftritt gekommen, zu keinem. Sie hatte nicht sehen können, wie wundervoll sie als Tod gewesen war und wie viel Gefühl sie in diese Rolle gesteckt hatte. Asako nahm einen Schluck aus dem Glas und lies dabei die Uhr fallen, die um ihren Hals hängen blieb und sie anschließend auf die Flüssigkeit starrte. Ihr war nach etwas sehr viel stärkerem, aber sie hatte sich geschworen sich nicht mehr zu betrinken, egal wie verführerisch die Situation war. Stattdessen fühlte sie, wie die Einsamkeit, die Dunkelheit abermals in ihre Glieder kroch und sie trotz der Hitze frösteln lies. Sie kannte dieses Gefühl nur zu gut, hatte es in den vergangenen Wochen schon viel zu oft gehabt. Sie konnte sich entsinnen noch sehr jung gewesen zu sein als sie das Gefühl kennen gelernt hatte, damals in der Schule. Sie war immer sehr zurückhaltend gewesen in der Zeit, einsam und hatte immerzu alles in sich hinein gefressen, hatte viel geweint und sich ihrer Verzweiflung hingegeben. Die ganzen Schickanierungen und das Gelächter, dass sie sich immer eher männlich verhalten hatte. Damals hatte sie irgendwann Osa kennen gelernt und ihre Einsamkeit war Geschichte gewesen. Zumindest für eine Weile. Seit Saeko weg war hatte sie eine neue Art dieser Leere erkannt. Dieses klaffende Loch, dass ihr Tod in ihrem Herzen hinterlassen hatte, war einfach mit nichts zu füllen gewesen. Weder mit den Liebhabern, noch mit Arbeit, noch die Rolle, auf die sie so lange hingearbeitet hatte. Sie hasste ihr ganzes Leben. Das alles wollte sie nie sein. Sie hatte damals nie das Bedürfnis gehabt Top Star zu werden, wollte einfach nur an der Seite ihrer Freunde sein, wollte mit ihnen lachen und sich irgendwann verlieben, aus Takarazuka aussteigen und sich ein eigenes Leben aufbauen. Jetzt trat sie einfach nur auf der Stelle. Sie war unfähig sich neuen Personen zu zu wenden, irgendwelche Gnade zu zeigen oder los zu lassen. In ihrer Einsamkeit merkte sie immer wieder, dass sie sich in ein Netz verfangen hatte, dass sie sich selbst gestrickt hatte, hatte damit die Menschen eingebüst, die ihr am meisten bedeuteten. Irgendwann würde sie sich wohl daran aufhängen. Asako lächelte etwas. Ob es wohl so einfach war? Man starb und man befand sich in den Armen der Person, die man liebte? Sie schüttelte den Kopf. Wunschdenken, schon wieder.

Sie schreckte auf, als das Gewitter mit lautem Krachen über sie hinwegzog. Sie hoffte nur, dass es bald vorbei war, denn zwar liebte sie den Regen, aber den Donner konnte sie gar nicht vertragen. Sie sah hinaus in die stockdunkle Nacht, sah dabei zu, wie der Regen hinunter fiel. Damals hatte sie sich bei diesen Temperaturen gerne nach drausen gestellt und sich am warmen Wasser erfreut, aber das war schon eine Ewigkeit her. Der Top Star umklammerte ihr Glas etwas fester, biss die Zähne aufeinander. Irgendwas war anders als sonst. Es zog sich kalt ihren Rücken nach oben und sie hatte dieses bedrückende Gefühl schon wieder als ob ihr etwas im Nacken sitzen würde. Sie besah ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe, besah sich die Frisur, die sich sich gemacht hatte und die etwas an die Frisur ihrer Tod-Figur erinnerte und das noch immer vorhandene Make-Up. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht es zu entfernen. Wieso auch? Etwas anderes zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Eine dunkle Umrandung, die in ihrer Wohnung zu sein schien. Wegen der Dunkelheit konnte sie nicht erkennen, was es war. Ein Blitz erhellte für einen Augenblick die Umgebung und was sie dann sah lies ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie erkannte eindeutig den Tod da in der Fensterscheibe, sanfte, silber-schwarze Haare, ein tiefschwarzer Mantel... es bestand einfach kein zweifel, dass das ihr Tod war. Erschrocken lies die Otokoyaku ihr Glas fallen, dass klirrend auf dem Boden aufschlug, und drehte sich herum um sicher zu gehen, dass es nicht nur ein Hirngespinst ihrer Fantasie war. Doch da stand sie. Der Tod in seiner vollen Schönheit, wie er stumm zu ihr hinüber sah und ihr Herz höher schlagen lies. Das konnte doch einfach nicht sein, oder? Es war unmöglich, dass diese ünmenschlich schöne Gestalt einfach hier in ihrer Wohnung stand. Asako fuhr sich durch die Haare, zumindest die, die nicht zurückgeflochten waren. Verlies sie langsam der Verstand? Klar, sie hatte sich oft in ihren Tagträumen verloren, hatte sich eingebildet darin zu sein, aber es war noch nie so real gewesen.

„Jetzt haluziniere ich schon.“

Verwirrt sah Asako auf die Scherben am Boden. Sie hatte doch gar nichts getrunken. Was zur Hölle war da in dem Wasser drin gewesen. Sie fasste sich an die Stirn, entschied sich zumindest die Scherben weg zu machen und das was auch immer da in dem Glas drin gewesen war auf zu wischen. Dass die Figur da immer noch auf der selben Stelle stand zeigte ihr nur, dass sie eindeutig durchdrehte. Zügigen Schrittes wollte sie an ihrer Haluzination vorbei, doch diese Packte sie am Oberarm und zog sie zurück. Abermals sackte Asako das Herz ein Stück in die Hose.

„Du haluzinierst nicht“, kam es fast hauchend, leise, doch bestimmt von der Person, dessen Krallen sich da in ihren Oberarm gebohrt hatten. Die Tsukigumi-Darstellerin fühlte, wie ihre Beine anfingen zu zittern und wie sich ihr Hals zuschnürte. Erst nachdem sie realisierte, dass sie den ungefähr einen halben Kopf größeren Tod anstarrte fand sie zumindest einigermaßen ihre Stimme wieder.

„Du kannst nicht da sein“, wimmerte sie fast, stolperte ein Stück zurück, wobei der Tod sie loslies und sich gänzlich zu ihr drehte. Asako fiel mehr oder minder gegen den Schrank, den sie mit einem Mal im Rücken hatte. Schwebenden Schrittes trat der Tod vor sie, legte ihr die bleiche Hand auf die Wange und strich mit den tiefschwarzen Fingernägeln über ihre Haut.

„Ich bin nur wegen dir gekommen, mein Engel“, hauchte die Person vor ihr und die Tsukigumi-Darstellerin rutschte wimmernd an der Schranktür ein paar Zentimeter hinab.

„Du kannst nicht da sein“, flüsterte sie unter der Berührung des Todes. „Was willst du?“

„Sch~“, hauchte die Schönheit vor ihr und legte die Hände an ihre Taille, zog sie ein wenig nach oben damit sie nicht gänzlich auf den Boden fiel. „Du musst vor mir keine Angst haben, Engel. Ich werde dir nicht wehtun.“ Asako fühlte, wie sich die Tränen in ihren Augenwinkeln bildeten. Sie konnte nicht sagen, was es war, dass sie da gerade empfand. Wut? Angst? Trauer? Freude? Das alles schien ihr so unwirklich. Doch als sie den heißen Atem des Todes auf ihrer Wange spürte, die Lippen, die ein Kribbeln auf ihrer Haut hinterliesen, wo der Herr des Hades ihre Träne weggeküsst hatte, hatte sie keinen Zweifel mehr daran, dass diese Gestalt tatsächlich da war.

„Mein süßer Engel“, hauchte die Gestalt auf ihre Lippen und lächelte dieses übersinnliche Lächeln, nach dem sie sich so sehr gesehnt hatte und spürte dabei, wie ihre Beine nachgaben. „Meine wunderschöne Elisabeth. Ich hab mich so nach dir gesehnt.“

Elisabeth? Wieso Elisabeth? Ihre Gedanken gingen mit einem Mal in so viele Richtungen, dass sie für einen Moment vergessen hatte zu atmen. War es nicht das, was sie immer haben wollte? Ihren Tod und sie als Elisabeth? Wieso aber störte es sie auf einmal so? Erst als der Tod die Hände unter ihre Jacke schob wurde ihre Aufmerksamkeit auf den Schattenprinzen gelenkt. Asako fühlte, wie sie zitterte, ebenso wie die Hände, die sich unter ihrer Jacke über ihre Schultern stahlen und die tiefschwarze Jacke hinunterstrichen, die achtlos auf dem Boden liegen blieb. Darunter trug sie nur das weiße Hemd, die Abbinde mal ausgenommen, und die silberne Uhr, die noch immer um ihren Hals hing. Die bleiche Gestalt vor ihr nahm ihre Hand, hob sie zu sich hinauf und betrachtete den Ring, der noch immer an ihrem Zeigefinger war.

„Den brauchst du nicht mehr, mein Engel. Das ist nicht deine Rolle.“

Asako sprach nicht, sah nur dabei zu, wie der Tod die Finger um den Ring legte und sanft daran zog. Dieser Ring war ihr alles. Ihre Rolle, alles was sie noch hatte hig daran. Sie wurde panisch, riss die Hand weg und stürzte am Tod vorbei Richtung Tür, drehte sich auf halbem Weg nochmals um.

„Niemand nimmt mir meine Rolle weg! Sie gehört mir! Ich lasse mir das nicht nehmen! Es ist alles was ich noch habe!“, rief sie hysterisch und stürzte aus der Tür.
 

„Asako“, rief Saeko ihr noch nach, stand für ein paar Sekunden stumm auf der Stelle als die Tür ins Schloss fiel. Verdammt sie war so nahe dran gewesen. War sie schon wieder zu schnell gewesen? Immerhin hatte sie Asako nicht verschrecken wollen. Wer war überhaupt auf diese hirnrissige Idee gekommen? Sie selbst hatte vergleichsweise wenig Mitspracherecht gehabt als es um die Abstimmung des Plans ging, aber sie hatte zugeben müssen, dass es alles war, was sie noch im Repertoir hatte. Sie hatte sich erneut in das Kostüm des Todes stecken lassen, wollte Asako damit konfrontieren und ihr zeigen, dass ihr Platz immer noch bei ihr war. Sie hatte sich von Shio ihren Ersatzschlüssel geben lassen, wobei die kleine Truppe unten in den Wagen wartete, denn der ehemalige Tsukigumi-Star hatte sich schon gedacht, dass Asako sicherlich versuchen würde ab zu hauen. Irgendwann hatte Saeko es doch geschafft sich aus ihrer Starre zu lösen und lief dem Top Star hinterher nach unten. Wenn es blos nicht so furchtbar regnen würde. Schnell war sie die Treppe hinuntergelaufen, rannte nach drausen um die Schauspielerin noch auf zu halten, aber weit und breit keine Spur. Sie lief zu dem Auto, dass vor der Haustür stand und klopfte dagegen. Gaichi stieg aus.

„Was ist passiert?“, fragte die Senka, hielt dabei den Regenschirm fest.

„Ist sie nicht hier vorbeigelaufen?“

„...Nein. Saeko was ist passiert?“

„Verflixt“, fluchte der ehemalige Top Star und sah bedrückt auf den Boden. Wo konnte sie hin sein? Wenn nicht runter dann vielleicht...

„Saeko?“

Die Tod Darstellerin fluchte abermals leise, griff in die silbernen Locken der Perücke und riss sie sich geradezu vom Kopf, lockerte die Haare darunter etwas auf ehe sie den Haarschopf der Senka in die Hand drückte, gefolgt von ihrem Mantel.

„Ich hab gleich gesagt, dass das eine dumme Idee ist“, sagte Saeko und lief erneut in Richtung des Hauses, stürzte dort die Treppen nach oben und sah sich dabei genau um. Es gab nur die zwei Wege. Entweder durch den Vorderausgang oder den Weg aufs Dach.
 

Asako hockte auf ihren Knien mitten im Regen, zitterte am ganzen Körper trotz des warmen Wassers und krallte sich in die Tascheuhr, die sie von ihrem Hals genommen hatte und fest zwischen ihren Fingern hielt. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Jetzt wollte man ihr auch noch dieses letzte Stück, an das sie sich klammerte, einfach wegnehmen. Doch was sollte sie tun? Flüchten? Das konnte sie nicht. Sie konnte nicht einfach aufhören. Asako legte den Kopf in den Nacken, starrte hinauf in den dunklen Himmel. Dass sie inzwischen klatschnass war störte sie nicht. Die Verzweiflung in ihr nahm überhand. Alles, was sie wollte, war doch nur ihre Freundin gewesen, ihr altes Leben, doch das alles konnte sie nicht ungeschehen machen. Ihr fehlte das ganze Rumgealbere mit Kiriyan, die Eifersuchtsanfälle, die Osa manchmal hatte. Sie vermisste es Yuuhi zu sagen, dass sie sich doch endlich Kiriyan nähern sollte, dass Gaichi sie immer wieder zurechtwies und verbesserte. Ihr sehnte sich danach, dass Kimu ständig um sie herum war und dass Shio jeden Morgen zum Kaffee vorbei kam und ständig in Kontakt mit ihr war. Asako schluchzte, lies den Kopf hängen und beugte sich vornüber. Am meisten fehlte ihr Saeko. Sie gierte nach der warme Haut der anderen, den sanften Berührungen, ihre Stimme, die Art, wie sie sich bewegte, wie sie sie aufheiterte. Sie verzehrte sich danach wie Saeko manchmal in schlechter Laune einfach nur dasaß und vor sich hin starrte, manchmal laut wurde und sie anschnauzte. Sie sehnte sich so sehr nach diesen seltenen Momenten, die sie miteinander geteilt hatten in denen sie sich einfach nur tief in die Augen sahen und sich ineinander verloren.
 

„Du hattest Recht. Der Sommerregen fühlt sich wirklich gut an.“
 

Nur langsam realisierte sie die Stimme neben sich, blickte auf die Seite und sah ein paar Stiefel, sah zögerlich nach oben und blieb schlussendlich beim Gesicht der Frau stehen, die sich neben sie gestellt hatte. Die Hände hielt sie vor sich, fing damit einige Regentropfen auf und sah mit in den Nacken gelegten Kopf in den Himmel. Fantasierte sie schon wieder? Fassungslos sah sie dabei zu, wie die Frau noch etwas den Regen zu genießen schien, anschliesend zu ihr sah und lächelte. Etwas in Asako brach in diesem Moment und sie sackte erneut etwas in sich zusammen, schluchzte und spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Sie merkte noch, wie die andere einen Schritt näher kam.

„Asako...“

„Es tut mir so leid“, wimmerte Asako leise und raffte sich auf, drückte den Kopf gegen den Bauch der anderen, krallte sich in den Hosenbund der anderen. „Es tut mir alles so leid. Bitte bitte verzeih mir.“

Kurz darauf fühlte sie die Hände der anderen auf ihrem Kopf und ihrem Nacken, hielt sich nur noch an der Kleidung der anderen fest, da sie sonst wohl zusammengebrochen wäre.

„Beruhige dich mein Engel“, sagte die Ältere und kniete sich vor sie und hielt sie glücklicherweise an den Schultern fest. Ihre Muskeln schienen sie mit einem Mal nicht mehr tragen zu wollen. Stattdessen krallte sie sich erneut in das kaputte Schmuckstück.

„Verzeih mir...“, schluchzte sie erneut, schaffte es nicht den Kopf zu heben. Stattdessen spürte sie, wie Saeko ihr durch die Haare fuhr und sah mit tränenverschwommenen Blick, wie sich eine ihrer Hände auf die ihre legte. Sie öffnete ihre Hände etwas, gab damit die Taschenuhr preis. Erneut brach sie in Tränen aus. „Ich hab sie kaputt gemacht. Dabei hab ich versprochen... ich...“ Saeko hielt ihr die geöffnete Hand hin und Asako stockte. Dann wollte sie die Uhr wohl zurück. Verständlich, wenn man bedachte, wie sie dieses eigentlich so wertvolle Schmuckstück behandelt hatte. Es stand für so viel und sie hatte es mit Füßen getreten. Gerade als sie der anderen die kaputte Uhr in die Hand legen wollte sprach Saeko erneut, wodurch sie zurückzuckte.

„Egal, was du mir jetzt gibst, ich werde es wegwerfen.“

Ein wenig verwirrt sah Asako auf, schaffte es wohl das erste Mal, Saeko mehr oder minder ins Gesicht zu sehen. Aufgrund des Regens klebten die Haare an ihrem Gesicht, ihre Schminke war entgültig verlaufen und ihre Kleidung durchnässt an ihrem Körper klebend. Sie sah sie ernst und doch mit einer so unbeschreiblichen Sanftheit an. Egal was sie ihr geben würde? Was sollte das heißen? Ihr Blick fiel auf die Uhr, doch damit verbunden auch auf den Ring an ihrem Finger. Wie in Trance drehte sie die Hand ein Stück, besah sich das von ihr so geliebte Schmuckstück ein wenig genauer. Das letzte bisschen Stolz, dass sie hatte, hing daran. Alles, was sie sich erarbeitet hatte, hing daran. Einfach alles. Sie hatte nur dadurch den Mut gefunden alles, was sie getan hatte durch zu ziehen. Gab sie ihn weg, dann würde sie die Arbeit von Jahren einfach wegwerfen. Aber Saeko würde ihr nicht vergeben wenn sie ihn weiter behielt. Es war wie die Kette, die sie auf der Stelle hielt.

Langsam, zögerlich zog sie den Ring von ihrem Finger, lies ihn in der Handfläche liegen und strich nochmals mit den Fingerspitzen darüber ehe sie den schwarz glitzernden Ring in der von Saeko platzierte. Erneut krallte sie sich in die Taschenuhr in ihrem Schoß. Sie hörte nur, wie Saeko wohl ausholte und den Ring über die nächsten Dächer warf, sich anschliesend wieder vor sie hockte.

„Saeko“, flüsterte Asako leise, woraufhin sie die Hand auf ihrer Wange hatte, die ihr zärtlich die herabfallenden Tränen wegwischten.

„Wein nicht, mein Engel.“

„Aber...“

„Wir haben alle unsere Fehler gemacht. Mein größter war einfach nicht zu sehen, wie sehr du leidest.“

Asako fühlte mit einem Mal die Arme der anderen um sich, wie sie auf den Körper der anderen gezogen wurde. Die Uhr fiel klirrend auf den harten Stein als Asako die Arme um den Hals ihrer Freundin warf, das Gesicht an ihrer Schulter vergrub.

„Du musst nicht mehr allein sein. Ich bin immer bei dir. Ich war es die ganze Zeit. Wir waren es alle.“
 

Saeko drückte die jüngere Otokoyaku fester an sich, hatte sie dadurch halb auf sich liegen, was sie aber weniger störte. Sie hatte furchtbare Angst gehabt in dem Moment, Angst, dass Asako sich für ihre Rolle und gegen alle entschied, denen sie so viel bedeutete.

„Ich liebe dich“, schluchte die jüngere, was Saeko für einen Augenblick kaum verstehen konnte. Dennoch lächelte sie und biss sich auf die Unterlippe. Die Worte waren nie vorher so befriedigend gewesen, so süßlich.

„Ich liebe dich mehr als alles andere“, flüsterte die Ältere ihr ins Ohr, schmiegte den Kopf an den ihren. Mit einem Mal war der ganze Stress der letzten Jahre von ihr abgefallen und obgleich völlig durchnässt fühlte sie sich so gut wie selten zuvor. Der Augenblick war nur für sie beide.
 

Nur langsam schaffte Asako es ihre Tränen versiegen zu lassen, lag schließlich nur noch in den Armen der anderen und genoss die Wärme der älteren Frau. Der Tod, Elisabeth, Engel, Liebling, Teufel, Göttin, Monster, Dämon, was auch immer, einfach alles weg. Die Nähe der anderen Frau war alles, was sie wollte und begehrte, alles was sie sein wollte.

„Geht besser?“, fragte Saeko mit sanfter Stimme, und Asako nickte etwas. Sie fühlte die andere gegen ihre Haut lächeln. „Dann sollten wir wohl wieder runter. Die anderen warten auf uns.“

Asako blinzelte etwas. Die... anderen? Wer sollt das bitte sein? Die junge Frau setzte sich noch etwas mühseelig und zitternd auf, sah in das noch immer lächelnde Gesicht der anderen.

Auf ihren verwirrten Gesichtsausdruck lächelte diese nur etwas breiter, strich Asako eine der nassen Haarsträhnen zurück. Die Jüngere lehnte sich gegen die Berührung, schloss dabei ein wenig die Augen.

„Saeko?“

„Hm?“

„... Wenn ich das nächste mal so etwas dummes machen sollte schlag mich“, flüsterte sie, vergrub die Finger im Kragen der anderen.

„Es wird kein nächstes Mal geben.“

Asako lächelte sachte, strich der Älteren über die Wange und hauchte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück