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Falte die Flügel auf und Flieg

von

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Am nächsten Tag stand ich ganz früh auf. Mein Kopf schmerzte noch immer. Ich erinnerte mich an die jüngsten Ereignisse des vorigen Abends. Doch ich wollte nicht darüber nachdenken.

Ich hätte am liebsten heute erneut die Schule geschwänzt. Dann hätte ich genügend Zeit für mein Küken. Allerdings war dies keine so gute Idee. Noch einmal würde Prof. Longwood nicht so friedlich zu uns kommen. Er wollte mich heute in der Schule sehen, soviel stand fest.

So blieb mir nichts anderes übrig als vor der Schule mich um meinen Schützling zu kümmern. Ich schlang also schnell mein Frühstück runter und machte mich auf dem Weg zum Horst.

An einem geeigneten Platz machte ich Halt. Ich setzte mich wieder in einen Baum und wartete. Der Kleine brauchte ja auch was zum Essen. "Sie an! Heute gibt’s Wachtel.", dachte ich mir als ich mein Opfer im Blick hatte. Kurz darauf war das Vögelchen auch schon tot. Nun schnurstracks zum Küken. Lahnend erwartete mich der Kleine auch schon. Ich machte die Wachtel zurecht und gab ihm auch gleich schon mal die Organe und ein gerupftes Flügelchen. Er schlang alles ganz artig hinunter.

Den Rest verstaute ich wieder sorgfältig.

Allzu lang konnte ich nicht wegbleiben. Der Kleine brauchte Nahrung, sonst verhungerte er mir noch. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als trotzallem mindestens eine Stunde zu schwänzen. Während ich mich auf dem Weg zur Schule befand, entschied ich, dass ich die letzte Stunde vor der Mittagsstunde schwänzen werde, um zu meinem kleinen Schützling zurück zu kehren.

Der Unterricht war extrem langweilig. Ich musste die ganze Zeit an meinen kleinen Bussard denken. Fieberhaft suchte ich in Gedanken nach einem Namen. Doch da gab’s noch ein kleines Problem, welches ich erst noch lösen musste: Ich wusste nicht mal ob ich ein männliches oder ein weibliches Tier adoptiert hatte. War es überhaupt möglich dies heraus zu finden?

Bis jetzt sahen für mich alle Bussarde gleich aus. Ich hatte noch keine markanten Unterschiede feststellen können. In der Pause zwischen zwei Unterrichtsstunden begab ich mich also in die Schulbibliothek. In der kurzen Zeit blieb mir nichts anderes übrig, als das nächst mögliche Greifvogelbuch zu schnappen und zu hoffen, dass da was drin stand, was mir weiterhelfen würde.

Die nächste Stunde hatte ich bei Prof. Longwood. Er wollte mit mir nach dieser Stunde noch einmal reden. Wir gingen in sein Büro, um ungestört zu sein.

"So, Pavek, erzähl mal!", meinte er kurz nachdem wir uns gesetzt hatten. "Was soll ich ihnen erzählen?", fragte ich ihn. "Zum Beispiel was du gestern gemacht hast, nachdem du dich verlaufen hast!" "Ich hab den Weg nach Hause gesucht.", meinte ich. "Und dass hat den ganzen Tag gedauert?", Prof. Longwood war erstaunt. "Äh, anscheinend schon." Ihm schien meine Antwort nicht zu gefallen. Er sah mich skeptisch an. "Pavek. Ich kann dich nicht zum Reden zwingen. Aber ich vermute mal, dass du ein Problem hast. Wenn dies der Fall ist, so würde ich dir gerne helfen. Ich kann dir aber nicht helfen, wenn du nicht mit mir darüber redest." Ich schwieg.

Nach einer Zeit sprach Prof. Longwood wieder, diesmal ernster: "Na gut. Du willst es nicht anders. Du kommst nun wieder regelmäßig zum Unterricht! Desweitern wirst du morgen Nachmittag bei mir Nachsitzen. Sollte ich dich noch mal beim Schwänzen erwischen, so muss ich dich der Schule verweisen!" Er legte eine Pause ein und meinte dann mit Nachdruck: "Dann kannst du das Studium an den Nagel hängen und den Ornithologen auch." In diesem Moment fragte ich mich nur: "Woher weiß er, dass ich mal Ornithologe werden will?"

"Du kannst gehen." Das ließ ich mir nicht dreimal sagen.

Trotz Prof Longwoods Drohung schwänzte ich die Stunde vor der Mittagspause, um zu meinem Küken zu kommen. Ich beeilte mich. Der Kleine erwartete mich auch schon sehnsüchtig. Während ich ihm die Reste der Wachtel verfütterte, überlegte ich mir wie ich sowohl bei ihm sein konnte, aber auch nicht den Unterricht missen würde. Ich konnte ihn ja schlecht mitnehmen. Tiere, v.a. junge hungrige Greifvogelküken gehörten nicht in die Schule. Er würde durch sein ständiges lahnen auffallen. Lahnen nennt man übrigens den Bettelruf nach Futter.

Mir kam der Gedanke auf, einen zweiten Horst in der Nähe der Schule zubauen, damit ich nicht ganz so lang zu meinem Küken bräuchte und mir somit die Mittagspause an Zeit reichen würde. Da mir nichts Besseres einfiel setzte ich diesen nach der Schule in die Tat um. Ich suchte nach einem geeigneten Baum nahe dem Waldrand. Ich würde trotzdem noch knapp ne halbe Stunde für den Weg hier her brauchen. Aber außerhalb dem Schutz des Waldes wollte ich kein Horst bauen.

Müde, fertig und hungrig kam ich dann endlich bei meinem Bussard an. Er hatte bereits auf mich gewartet und sperrte weit den Schnabel auf. Der Kleine war anscheinend genauso hungrig wie ich. Ich gab ihm seinen Teil meiner soeben erlegten Beute. Den Rest aß ich selbst. Während wir so aßen, kramte ich das Greifvogelbuch aus meiner Tasche raus und blätterte darin rum. Die einzelnen Rassen waren sehr gut beschrieben. Aber das half mir alles nichts. Mein Bussard war noch zu klein um irgendetwas Konkretes sagen zu können. Ich konnte nicht mal sagen, welcher Bussard es nun war. Schließlich sind fast alle Küken am Anfang weiß. Was nun? Sollte ich warten, bis er groß genug ist? Sollte ich ihm einfach auf gut Glück einen Namen geben?

Es war bereits dunkel geworden. Das Küken hatte sich in meinem Shirt gekauert und schlief. Ich packte es vorsichtig zurück in den Horst. Nachdem ich mit dem Ast und einem getragenen Kleidungsstück das Nest zugedeckt hatte, machte ich mich auf den Nach-Hause-Weg.

Am Baumhaus angekommen schlich ich mich hinein. Auf Zehenspitzen tapste ich an meiner Mutter vorbei und in mein Zimmer. Ich hatte keine Nerven für eine Diskussion, wie sie gestern der Fall war. Ein Glück, meine Geschwister schliefen bereits. Sie konnten mich also nicht auffliegen lassen. Ich verkroch mich ebenfalls in mein Schlafgemach. Es dauerte keine fünf Minuten und ich war im Tiefschlaf.

Ein neuer Tag, neues Glück?

Wie auch immer, ich war bereits mit meinem Bussard auf dem Weg zum zweiten Horst. Dort angekommen gab’s erst mal Frühstück für den Kleinen. Er schlang sein Essen, als würde es nichts mehr geben. Ganz schön verfressen, das Kleine.
 

Der Unterricht war langweilig. Der Stoff zu simpel und doch gab es einige auf denen Gesichter die Fragezeichen nur so prangen. Nichts alldem ich konnte mir nicht erlauben, gedanklich abzuschweifen. Prof. Longwood beobachtete mich. Das würde ein langwieriger Tag werden. Noch dazu verbrachte ich den einzig freien Nachmittag mit ihm. Ätzend. Ich hätte so viel Zeit mit meinem Bussard verbringen können.

Die ersten beiden Stunden gingen allmählich vorbei. Zur Pause meldete ich mich bei dem Professor ab: "Ich würde gern das Buch wieder zurück in die Bibliothek bringen. Wäre das OK?" Er beäugte das Buch beiläufig, meinte dann: "Nur zu, solang du wieder rechtzeitig da bist. Verlauf dich nicht!" Den letzten Teil sagte er mit Nachdruck. Er meinte es tatsächlich ernst. Ich musste aufpassen, sonst flieg ich doch noch von der Schule.

Der Rest des Vormittag verlief weiterhin sehr ruhig. Zur Mittagspause meldete ich mich ebenfalls ab. Prof. Longwood war etwas erstaunt: "Wo willst du denn hin?" Ich zuckte mit den Schultern: "Nur so ein Bisschen die Gegend anschauen." "Das hast du wohl in den letzten 10 Jahren versäumt?" Longwood schaute noch ungläubiger, "warum jetzt auf einmal?" Ich schwieg. "Sei rechtzeitig wieder da", er gab überraschenderweise nach.

So schnell wie möglich begab ich mich zum Horst. Das Bussardküken lahnte erbärmlich. Ich kramte hastig den restlichen Teil des Frühstücks heraus. Dieses verfütterte ich an den Kleinen. Mehr Zeit hatte ich nicht. Ich musste zurück.

Pünktlich erreichte ich das Büro von Prof. Longwood. Ich klopfte. Der Professor bat mich herein. Er zeigte auf einen Stuhl, der neben einem Tischchen stand und ich setzte mich. "Ich hab dir da ein Buch hingelegt, welches dich interessieren könnte. Ich muss hier noch was erledigen.", er widmete sich daraufhin wieder seinen Unterlagen. Ich betrachtete das Buch. Es war unauffällig matt braun. Nicht besonders groß, etwa mausdick. Arabische Schriftzeichen schmückten den Einband und ein Falkenkopf war in Gold eingraviert. Schnell erkannte ich: Dies war kein Buch von Toninos. Der Autor Otto zu Hohenflug, klang nach einem Menschen. Der Titel des Buches lautete: „Von der Kunst, mit Vögeln zu jagen.“

Ok, ich muss wohl noch kurz einwerfen, dass Toninos und Menschen – obwohl wir so ziemlich dieselben Lebensgewohnheiten haben – generell nicht miteinander leben, sondern eher nebeneinander. So ist es sehr selten, dass sich ein menschlicher Gegenstand in Obhut eines Toninos befindet. Andersherum achten Toninos auch penibel genau darauf, dass keiner ihrer Gegenstände/Erfindungen oder ähnliches in Menschenhand gelangt. Ja, man kann sagen, wir sind da etwas eigen.

Aber nun zurück zum Buch. Ich hielt also diesen Schatz in den Händen. Ungläubig. Eine Weile verharrte ich so. Bis ich es wagte das Buch aufzuschlagen. Ich war so im Bann dieses Werkes, dass ich nicht einmal bemerkte, wie Prof. Longwood mich anscheinend eindringlich beobachtete.

Bemerkenswert – die Menschen fangen Greifvögel, um mit ihnen zu Jagen. Dabei bauen sie auf die Instinkte der Tiere auf.

"Interessant, nicht?" Schreckhaft zuckte ich zusammen. Prof. Longwood war neben mich getreten und schaute mir über die Schulter. Ich schaute ihn an. Mit leuchtenden Augen brachte ich nur ein kleines "Ja" heraus. In mir loderte nur eine Frage: "Woher hat er dieses Buch?" Doch ich traute mich nicht ihn zu fragen. Er entfernte sich wieder von mir. Ein Augenblick der Stille trat ein. Nun atmete er tief ein und teilte mir mit: "Wenn du willst, dann leihe ich dir das Buch. Sei aber vorsichtig damit." Ich spürte, wie mein Herz anfing zu toben. Ich war so aufgeregt – fast wie am ersten Schultag. Ob mir das Buch im Umgang mit dem Küken helfen kann?

Der Professor fragte mich nun, während er sich wieder an seinen Schreibtisch setzte: "Woher kommt auf einmal dein Interesse für Greifvögel?" Mir verschlug die Sprache. Weiß er von dem Küken? Nein, das kann nicht sein. "Ähm", ich zögerte, nach einer Antwort ringend, "nun … wir haben dieselben Jagdmethoden." "Was blöderes ist dir nicht eingefallen", dachte ich mir. Dem Professor gefiel meine Antwort anscheinend ebenso wenig. "Ich weiß nicht genau. Es war auf einmal da.", warf ich noch hinterher.

"Ich wollte schon lang mal wieder einen alten Freund besuchen. Er ist ein Meister, wenn es um Greifvögel geht. Hast du Lust mich zu begleiten?", schlug er mir plötzlich vor. Ich war … perplex. "Ja", die Freude und Aufregung ließ sich kaum unterdrücken. "Gut. In zwei Tagen. Da hast du keine Schule. Wir werden früh aufbrechen. Es ist ein langer Weg – selbst im Flug. Wir werden also mindestens einen Tag brauchen. Ich befürchte: länger.", erklärte Longwood. Als er sah, wie sich meine Miene verschlechterte, fragte er: "Was? Ist das ein Problem für dich?" "Nun ja …", ich überlegte einen Moment und antwortete dann: "Meine Mutter, wissen sie…" "Ich werde deine Mutter informieren. Keine Sorge sie wird zusagen.", unterbrach er mich. Es gab noch ein Problem: mein Küken! Bloß, wie erklär ich ihm das?

"Da ist noch was.", fing ich an. Mir blieb wohl nichts anderes übrig. Ich holte tief Luft, bevor ich ihm die ganze Story mit dem Küken anvertraute, warum ich mich für Greifvögel interessierte und selbst warum ich die Schule geschwänzt hatte. Als ich damit fertig war, war ich erleichtert. Endlich war es raus!

Einen Moment passierte gar nichts.

Aus heiterem Himmel fing der Professor dann lauthals an zu Lachen. Ich legte den Kopf schief und schaute ihn fragend an. Was gab es da zu lachen? So witzig war die Geschichte doch gar nicht? Es vergingen Minuten. Dann verstummte das Lachen. "Es tut mir Leid! Es ist nur… Die ganze Zeit hab ich versucht etwas aus dir heraus zu bekommen und auf einmal … wegen eines Ausflugs wohl bemerkt! … bröckelt deine Fassade. Zu komisch. … Und als du vorher "ein bisschen die Gegend" anschauen wolltest, bist du zu deinem Küken gegangen. Hab ich recht?" "Ja." Er japste noch immer nach Luft. Doch nun wurde er wieder ernst: "Du kannst dein Küken selbstverständlich mit nehmen."



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