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Fate

A next generation story.
von

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Fate ends

Dominique befand sich in einer Schockstarre, in der nichts Zugang zu ihrem Kopf fand. Sie wollte es auch gar nicht wahrhaben, konnte aber nicht aufhören die Wahrheit vor sich hinzumurmeln.

„John Blotts ist Fate“, wiederholte sie immer wieder vor sich hin, während ihre Augen starr auf einen Punkt in der Ferne gerichtet waren. „John Blotts ist Fate.“

Es hatte keinen Zweck es immer wieder vor sich her zu sagen. Es änderte nichts an dieser Tatsache. Langsam drang die bittere Wahrheit immer tiefer in ihren Kopf ein, setzte sich dort fest wie ein Parasit und drückte ihr den Sauerstoff zum Denken ab.

Sie musste sich bewegen, musste zurück zu den anderen und ihnen die Wahrheit mitteilen, doch sie war völlig versteinert. Warum musste das ausgerechnet ihr passieren? Warum hatte sie sich nur ausgerechnet in den Bösewicht der Geschichte verlieben müssen?

Dominique bemerkte erst jetzt, dass ihr bereits seit einigen Minuten die Tränen über ihr Gesicht liefen. Sie schluchzte auf. Sie musste falsch liegen. Er konnte es nicht sein. Er hatte ihr doch Mut gemacht, sie aufgemuntert. Ohne ihn würde sie gar nicht hier in der Winkelgasse stehen und dem Geheimnis auf die Spur gekommen sein. Nur wenige Minuten zuvor hatte ihr Mister Blotts ihren Verdacht bestätigt. John Blotts war nicht sein leiblicher Sohn. Er hatte den Jungen eines Tages hungrig und zerlumpt auf der Straße aufgelesen und ihn in seine Obhut genommen. Er hatte Monate damit verbracht herauszufinden wer die Eltern des Jungen waren bis er Erfolg hatte. Der Todesser Thorfinn Rowle und seine Frau Freya hatte einen Sohn gehabt, den sie im Keller ihres Hauses eingesperrt hatte, weil er ein Squib war und somit eine Schande für die Familie darstellte.

Er hatte die beiden in Askaban ausfindig gemacht und ihnen erzählt, dass er ihren Sohn gefunden hatte. Doch Rowle hatte nur gehöhnt, dass dieser Muggel nicht sein Sohn sei und er ruhig verrotten könne. Ihm wäre es gleichgültig. Mister Blotts entschied sich den Jungen als seinen eigenen Sohn aufzunehmen und versuchte ihm ein möglichst gutes Leben zu ermöglich. Doch er hatte immer gespürt, dass John unglücklich gewesen und sich von allem zurückgezogen hatte.

Es hatte sein altes Herz sehr erfreut, als John nach seinen zahlreichen Reisen endlich entschieden hatte einen Job zu finden und eine Stelle in Hogwarts bekommen hatte.

„Warum sie das denn alles wissen wolle?“, hatte der alte Mister Blotts sie gefragt, doch sie hatte es nicht übers Herz gebracht ihm zu sagen, welcher Verdacht sie zu seiner Haustürschwelle geführt hatte. Sie hatte sich für all die Informationen bedankt und war dann die Winkelgasse heruntergelaufen bevor der Schock sie eingeholt und versteinert hatte.

Dominique konnte nicht aufhören zu weinen, denn sie wusste, dass sie nicht falsch lag. Er hatte es selbst gesagt, als er sie darauf hingewiesen hatte, dass sie an der falschen Stelle suchte. Er war es gewesen, der die Notiz mit dem Wort Squib hatte verschwinden lassen. Er war immer in ihrer Nähe gewesen, hatte darauf gelauert, ob sie auf die richtige Spur kam. Hatte Lysander töten lassen, als er der Wahrheit zu dicht gekommen war. Und nun stand sie mit ebendieser Wahrheit hier und etwas in ihr zerbrach, denn sie mochte den Bibliothekar wirklich sehr. Er hatte sie so gesehen wie sie wirklich war und ihr den Mut gegeben zu sich selbst zu stehen. Und in all der Zeit hatte er dafür gesorgt, dass sich ihre Freunde gegenseitig umbrachten und sie hatte nichts anderes getan als ihn sich nackt vorzustellen und sich zu fragen, wie es sich anfühlen würde ihn zu küssen. Sie hatte auf ihren Abschluss warten wollen und ihn dann noch einmal richtig nach einem Date fragen wollen.

Dominique kam sich so betrogen und belogen vor. Sie ballte die Hände zu Fäusten und biss sich auf die Lippen. Es hatte keinen Zweck ihrer Fantasie nachzuweinen. Ihre Freunde brauchten sie jetzt.

Ein ohrenbetäubender Knall lenkte ihre Aufmerksamkeit in Richtung Nordosten von wo Rauchschwaden aufstiegen. Dominique keuchte auf. Es hatte längst angefangen. Sie musste sich beeilen, wenn sie noch das Schlimmste verhindern wollte. Sie disapparierte. Sie hatte nicht lange nachdenken müssen, was ihr Ziel war. Dort wo ihre Reise nach Hogwarts begonnen hatte, würde der Kampf der Schachfiguren enden. Kings Cross.
 

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Lorcan war herangerauscht gekommen, als er gesehen hatte, wie Louis in den Abgrund stürzte. Mit einer Hand hatte er den besten Freund seines Bruders noch zu fassen bekommen. Das Gewicht des Weasley hatte ihn nach vorne gerissen, sodass er selbst fast kopfüber im Abgrund hing, doch er war nicht bereit loszulassen. Er packte mit seiner zweiten Hand zu und schmiss sich mit seiner gesamten Körpermasse nach hinten. Es gelang ihm Stück für Stück Louis wieder über die Kante zu ziehen.

Erleichtert darüber rechtzeitig gekommen zu sein atmete Lorcan wieder auf. Louis starrte ihn mit offenem Mund an. Annie hatte ihm gesagt, dass er anders als sein Bruder nicht als tot galt, sondern dass sein Schicksal ungewiss gewesen war, da es keine Zeuge gegeben hatte, die bezeugen konnten was geschehen war. Er war nicht einmal selbst zu hundert Prozent sicher was passiert war, aber er würde später noch Zeit dafür haben das aufzuarbeiten.

„Lysander?“, fragte Louis ihn und klammerte sich an ihn fest. „Lysander du lebst!“

Lorcan spürte den Stich in seinem Herzen. Die offene, blutende Wunde, die sich nie wieder schließen würde. Das schwarze Loch, das immer noch drohte ihn völlig zu verschlingen.

„Lysander ist tot“, gab er barsch zurück und befreite sich aus dem Griff des Weasley. Er wollte jetzt nicht über den Tod seines Bruders sprechen. Er wollte nicht einmal daran denken.

Er würde Lysanders Plan ausführen. Das war seine Mission. Für nichts anderes war er hier.

Lorcan rappelte sich wieder auf und besah sich die Lage. Die Straße war völlig aufgerissen und alles lag in Schutt und Asche. Er sah Ryan Flint, der seine Schwester in den Armen hielt, während er laut um Adrian klagte. Ein weiterer Zwilling, der seine andere Hälfte verloren hatte. Lorcan wand sich ab bevor ihn sein eigener Schmerz überrollen konnte. Er musste sich zwingen die Situation sachlich und distanziert zu betrachten. Eigentlich seine große Stärke, doch es fiel ihm schwer sich zusammenzureißen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Ein Stück weiter abseits standen Rose und Scorpius eng umschlungen. Er nahm das gelassen hin. Er hatte schon immer geahnt, dass Rose tiefere Gefühle für den Malfoy gehegt hatte und dass das der Grundstein für ihren Wahnsinn gewesen war. Es war ja nicht so gewesen, als ob er mit ihr zusammen gewesen wäre. Eine körperliche Beziehung, die auf der einen Seite aus Verzweiflung und auf der anderen Seite aus wissenschaftlicher Neugierde bestanden hatte, hätte sowieso nie funktioniert.

Molly und Adam hatten sich gemeinsam mit Alice in Sicherheit bringen können. Mehr Personen konnte er nicht entdecken. Lysander hatte ihm immer vorgeworfen, dass er sich nicht für die Menschen interessierte. Das wollte er ändern, denn er wusste, dass sein Bruder Recht gehabt hatte. Der einzelne Mensch zählte mehr als jedes wissenschaftliche Experiment, das er durchführen konnte.

Lorcan griff nach der Kette aus Butterbierkorken. Das letzte Geschenk seines Bruders. Der Portschlüssel, der ihn vor dem sicheren Tod bewahrt hatte und ihm jetzt die Chance gab das Andenken seines Bruders weiterzutragen und seinen letzten Wunsch zu erfüllen.

Lorcan würde nach Hause zurückkehren, aber vorher musste er noch einem gewissen Puppenspieler in den Arsch treten und er wusste schon genau, wo er den finden würde.
 

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James erwachte hustend und keuchend. Alles um ihn herum war voller aufgewirbelten Staub. Er konnte nichts erkennen. Vorsichtig richtete er sich auf, während er mit seinem Zauberstab Licht herauf beschwor um seine Umgebung in Augenschein zu nehmen. Er schien völlig alleine zu sein.

Rose war nach ihrem Sieg scheinbar gegangen ohne ihn um die Ecke zu bringen, was ihn zumindest teilweise erleichterte. Doch die zerstörten Häuser und die aufgerissene Straße dämpfte seine Stimmung sofort wieder. Er hatte scheinbar einiges verpasst nachdem Rose ihn geschockt hatte. Und was er sah gefiel ihm ganz und gar nicht. Er beschloss dem Weg des Kraters zu folgen, der glücklicherweise für ihn kurz vor seinen Füßen endete, um auf dieser Weise den Verursacher des Kraters aufzuspüren und mit ihm seinen nächsten Gegner. Er würde sich davor hüten, dass ihm noch einmal der gleiche Fehler unterlief wie im Duell gegen Rose. Er durfte sich nicht durch seine Trauer manipulieren lassen. Wenn er angreifbar war, konnte er niemand damit helfen.

Der Krater führte ihn direkt zurück zum Kings Cross Bahnhof, der nun nur noch einer eingestürzten Ruine glich. Auf dem Platz vor dem Bahnhof war ein Feuerring, indem die Erwachsenen gefangen waren. Viele von ihnen waren schon zu Boden gegangen, weil das Feuer ihnen den Sauerstoff abschnitt. James rannte darauf zu, behielt aber trotzdem die Augen auf, denn er war sich sicher, dass eine der schwarzen Schachfiguren in der Nähe darauf lauerte, dass er unvorsichtig war. Aber er musste etwas unternehmen. Er konnte nicht auch noch seine Eltern verlieren.

Doch kaum erreichte er den Feuerring schoss von rechts ein grüner Blitz auf ihn zu. James sprang beiseite, wusste er doch, dass sein Schutzschild zu schwach war, um den Fluch zu blocken.

Aus dem Schatten der Kings Cross Ruine trat Liam. Doch nicht der ehemalige Slytherin fesselte sein Blick, sondern die Körper, die zu seinen Füßen lagen.

Roxanne und Fred.

Der Zorn schoss ihm sofort durch alle Glieder und beflügelte ihn. Er brauchte nur wenige Schritte, um auf gleicher Höhe mit Liam zu sein. Er warf sich mit seinem ganzen Körper auf den Pucey und brachte ihn damit aus den Gleichgewicht, der mit diesem Angriff nicht gerechnet hatte. Er konnte einen Faustschlag im Gesicht von Liam platzieren bevor der Slytherin sich wieder gefangen hatte und sein Bein anzog um James in die Weichteile zu treten. James rollte sich mit schmerzverzogener Miene von seinem Gegner herunter, kam dann aber wieder schnell auf die Beine. Liam war auch längst wieder auf den Beinen und holte zum Schlag aus. James duckte sich unter dem Schlag hindurch und donnerte wie ein Bulle mit dem Kopf voran in den Bauch seines Gegners. Liam röchelte und konnte nicht zu einem sofortigen Gegenangriff ansetzen, was der Potter ausnutzte, um ihm einen Kinnhaken zu versetzen, der Liam zu Boden schleuderte. Alles in ihm brüllte und er ließ seinen inneren Löwen heraus, der die Schlange zu seinen Füßen zerstampfte.

James trat mehrfach mit voller Stärke zu und genoss es beinahe als sich Liam vor Schmerzen krümmte. Doch er war unachtsam, denn der Slytherin hatte immer noch einen Zauberstab in der Hand. Plötzlich traf James ein Fluch in die Magengrube und er keuchte vor Schmerzen auf. Er erinnerte sich an seinen eigenen Zauberstab, den er immer noch fest in der Faust hielt und er schleuderte den einzigen Zauber zurück, der ihm in diesen Augenblick angemessen erschien.

Das Entsetzen Liams als der grüne Blitz in seinen Brustkorb fuhr würde James niemals vergessen können. Trotzdem musste er der Sache ein Ende machen. Als das Licht in den Augen seines Gegners erlosch, erlosch auch der Feuerkreis, der die Erwachsenen gefangen gehalten hatte.

James hatte es geschafft sie zu retten, doch der Preis dafür war zu groß gewesen. Der Puppenspieler hatte es geschafft und ihn zu Mörder gemacht. Erschöpft sank er zu Boden.
 

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Rose klammerte sich an Scorpius fest, da sie immer noch fürchtete im nächsten Augenblick in den Nebel zurückgezogen zu werden. Sie war unheimlich glücklich und zeitgleich unheimlich traurig. Zu viele Emotionen kämpften in ihr, aber alles was jetzt zählte war, dass sie aufgewacht war und Scorpius bei ihr war. Er strahlte sie an und ließ sie fast vergessen, wo sie sich befand.

Die Kämpfe schienen verebbt zu sein. Als sich die zwei aus ihrer Umarmung lösten, sahen sie, dass alles still dalag. Nur ein paar Meter von ihnen entfernt waren Jane und Ryan Flint, die einander festhielten und nur noch still vor sich hin trauerten. Es schien nicht mehr so, als ob die beiden noch einmal nach ihren Zauberstäben greifen würde. Ein Stück davon entfernt waren Molly, Adam, Alice und Louis. Rose wand den Blick ab. Zu sehr schmerzten die Erinnerungen daran, was sie ihren beiden Freunden angetan hatte. Besonders Alice. Sie würde ihr nie wieder in die Augen blicken können. Scorpius spürte ihren Schmerz und hob ihr Kinn hoch, damit sie ihn ansehen musste.

„Wir stehen das gemeinsam durch“, versicherte er ihr und küsste sie dann.

Ihr schossen die Tränen in die Augen, da sie nicht begreifen konnte, wie er nach alldem zu ihr halten konnte. Sie sogar lieben konnte. Sie war eine Mörderin. Sie hatte grausame Dinge getan und diese auch noch genossen. Sie war widerwärtig.

Scorpius hielt sie einfach nur in seinen Armen bis all ihre Tränen versiegt waren. Der Schmerz blieb und obwohl sie sich in seinen Armen geborgen und sicher fühlte, wusste sie, dass es nie wieder gut werden würde. Nichts auf der Welt konnte reparieren, was in ihr zerstört worden war. Sie konnte nicht einmal daran glauben, dass sie jemals wieder zu ihrer Familie zurückkehren konnte. Für ihre grausamen Taten gab es nur ein Ort, an den sie noch gehen konnte: Askaban.

In Scorpius‘ Armen wurde ihr zum ersten Mal nach langer Zeit bewusst, wie sehr sie ihre Eltern vermissten. Wie sehr sie ihr Zuhause vermisste. Und wie schlimm der Verlust von Hugo war. Nie wieder würde er sie aufziehen. Nie wieder würde sie gemeinsam gegen ihre Eltern intrigieren, um neue Sachen zu bekommen, die sie unbedingt wollten. Nie wieder würde sie im Garten sitzen und zusammen Karten spielen. Nie wieder würde sie ihren Bruder wiedersehen und die einzige Person, die sie dafür im Augenblick verantwortlich machen konnte, war sie selbst.

Doch das stimmte nicht ganz. Es gab noch jemand, der zur Verantwortung gezogen werden konnte. Der Puppenspieler. Um diesen Alptraum endgültig zu beenden, musste er besiegt werden.

„Wir müssen gehen“, wisperte Rose Scorpius ins Ohr. Er zog sie noch enger an sich, als wäre er nicht bereit sie jemals wieder loszulassen, da er fürchtete, dass sie ihm wie ein Traum entschwinden würde. Aber Rose wollte nicht mehr in ihrem Alptraum gefangen bleiben. Angst davor zu haben, dass der Nebel zurückkehrte. Sie wollte wirklich frei sein, auch wenn es nur für einen Augenblick war, und sie dann für den Rest ihres Lebens hinter Gitter verbringen würde. Noch ein letztes Mal wollte Rose einfach nur sie selbst sein. Das Mädchen, das furchtbar tollpatschig, aber eine überaus begnadete Duellantin war. Das Mädchen, das keine Ahnung von der Welt und doch so viel Wissen über diese hatte. Das Mädchen, das hoffnungslos in Scorpius verliebt gewesen war. Doch Rose brauchte sich nichts vormachen: Dieses Ich würde sie nie wieder zurückbekommen.

„Wir müssen den Puppenspieler töten“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Scorpius.

Der schüttelte vehement den Kopf. „Nein, niemand soll mehr getötet werden. Wir werden ihn besiegen und ihn in seinem eigenen Spiel schlagen, aber wir werden ihn nicht töten.

Rose schnaubte und löste sich aus der Umarmung. „Er hat uns alle als seine Schachfiguren benutzt. Ich habe wegen ihm Hugo getötet! Er verdient es zu sterben!“

Scorpius hielt sie fest bevor sie noch mehr Abstand zwischen sie bringen konnte.

„Wenn du ihn tötest, dann würde er einfach mit allem davonkommen und nie für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Er verdient vielleicht den Tod, aber wer sind wir, dass wir darüber urteilen dürfen. Wir sind immer noch nicht mehr als Kinder. Wir machen nicht die Gesetze, wir treffen nicht die Entscheidungen darüber, wer lebt oder wer stirbt. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir sollten nicht einmal kämpfen. Wir sollten in der Schule sitzen, über Hausaufgaben stöhnen und uns mit unseren Eltern streiten, weil wir den neusten Besen haben wollen. Lass ihn nicht gewinnen!“

Verbittert gab Rose zurück: „Er hat doch längst gewonnen. Wie sollen wir je wieder in der Schule sitzen? Wie sollen wir je wieder ein normales Leben führen?“

Rose sah, dass Scorpius darauf keine Antwort hatte, aber immer noch hatte er ihre Hand in seiner Hand und hielt sie davon ab loszutraben, um sich sofort an den Puppenspieler zu rächen.

„Weil wir zusammen sind. Weil wir leben. Deswegen hat er nicht gewonnen.“

Seine Antwort war schlicht und trieb Rose die Tränen in die Augen.
 

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Alice starrte entsetzt auf die Szene, die sich vor ihr ausbreitete. Der Boden war aufgerissen und hatte Adrian Flint verschlungen. Louis war ebenfalls abgestürzt, doch seine Rettung kam so völlig überraschend aus dem Nichts, dass sie ihren Augen gar nicht trauen konnte oder wollte.

Ähnlich wie Louis hatte sie für einen Augenblick das Gefühl einen Geist zu sehen, der sich vor ihr materialisiert hatte. Würde sie ihre Hand jetzt nach ihm ausstrecken würde sie einfach durch ihn durch gleiten. Im nächsten Augenblick schallte ihr Kopf sie einen Dummkopf.

Lysander war tot. Der einzige von dem niemand etwas gehört oder gesehen hatte war Lorcan gewesen. Die Ähnlichkeit der Zwillinge war ihr bis zu diesem Moment nicht bewusst gewesen. Irgendwie hatten sich die zwei immer wie ganz unterschiedliche Menschen angefühlt. Sie waren auch keine eineiige Zwillinge, doch in dieser einen Sekunde hätte sie nicht sagen können wer vor ihr aufgetaucht war. Lorcan fühlte sich wie Lysander an. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als ihren Freund wieder zu sehen. Wahrscheinlich kam ihr Lorcan deswegen vor als wäre er ein wiederauferstandener Lysander.

„Trüge mich meine Augen oder ist Lorcan gerade auf unsere Seite zurückgekehrt?“, unterbrach Adam mit schockierter Stimme Alices Gedankengang. Sie riss sich wieder zusammen.

Molly hatte sich von Adam gelöst und hatte ihm gar nicht richtig zugehört, da ihr Blick an Jane und Ryan hängen geblieben war. Ohne auf den leisen Protest Adams zu hören, ging sie raschen Schrittes auf die zwei zu. Alice beobachtete verblüfft wie einfach es für Molly zu sein schien denjenigen Trost zu schenken, die vor wenigen Sekunden noch versucht hatten, sie zu töten. Alice dagegen empfand immer noch Abscheu den Flint-Geschwistern gegenüber und sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass es ihnen doch zu Recht geschehen war. Dass sie es verdient hatten nach all den durch sie getöteten Opfern dafür bestraft zu werden.

Alice atmete tief ein. Ihr Atem rasselte ein wenig, Wer war sie schon, dass sie entscheiden durfte, wer was verdient hatte. Ihr Blick blieb plötzlich an zwei anderen Gestalten hängen, die sich ebenfalls auf dem Schlachtfeld befanden, dass nun völlig still dalag.

Ihr Herz machte einen Satz, als sie die Szene vor ihr wahrnahm. Sie wollte die Faust in die Luft recken und laut „Endlich!“ schreien, als sie Scorpius und Rose eng umschlungen sah. Gerade beugte sich der Blonde herunter um Rose zu küssen.

Und plötzlich wurde ihr bewusst was das für den Kampf bedeutete. Es traf sie mit einem solchen Schlag, das sie die Luft anhielt. Begeistert drehte sie sich zu Adam um, der immer noch skeptisch dabei zusah, wie Molly aufmunternde und tröstende Worte an Jane und Ryan spendete. Lorcan hatte sich ebenfalls zu ihnen umgedreht. Ihm musste das gleiche durch den Kopf gegangen sein.

Er sah in ihre Augen und lächelte siegessicher. Dieses Lächeln reichte um Alice endgültig zu überzeugen. Der Staub hatte sich auf dem Schlachtfeld mitten im Herzen Londons gelegt. Es war vorbei. Auf dem schwarzen Schachbrett konnte kaum noch jemand stehen. Ryan und Jane hatten aufgegeben. Rose und Lorcan schienen aus dem Nebel befreit. Albus und Claire hatten schon Wochen zuvor den schwarzen Schachfiguren den Rücken gekehrt. Fred war nur noch ein Hauch seines früheren Selbst nachdem Lily getötet worden war. Adrian war tot. Vier weitere schwarze Schachfiguren waren bereits vor dieser Schlacht gefallen. Wenn sie richtig zählte waren es damit nur noch drei schwarze Schachfiguren: Liam, Nathan und Fate.

Von einer Sekunde zur anderen Sekunde stand James neben ihnen. Er wand sich an Molly und blickte ihr fest in die Augen. „Fred ist tot“, brach es aus ihm heraus. Alice konnte hören wie er versuchte seine Trauer zu verbergen, doch als Molly ihn in die Arme nahm, war es um ihn geschehen und er weinte hemmungslos an der Schulter seiner besten Freundin.

Alice sah betreten weg, fühlte sich als würde sie den intimen Moment der Trauer der beiden stören. Gerade war sie noch so siegessicher gewesen, aber ihr wurde bewusst, dass bereits genug Menschen gestorben waren. Egal was als nächstes geschehen würde, egal ob der Sieg schon so nah zu sein schien, sie alle hatten dafür einen furchtbaren Preis gezahlt und soviel verloren.
 

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Dominique fand sich in einer so bizarren Szenerie wieder, dass sie sich sicher war, dass sie beim Apparieren eingeschlafen sein musste und sich in einem Traum wieder gefunden hatte. Wenn das alles hier ein Traum war, dachte sie, dann war John Blotts sicher nicht Fate. Doch auch wenn sie die Wahrheit noch so sehr verdrängen wollte, wusste sie, dass sie sich nicht einem Traum befand. Die Krater in den Straßen Londons, der zerstörte Bahnhof und die bewusstlosen Erwachsenen, die sich davor befanden, sprachen eine ganz andere, sehr eindeutige Sprache. Doch nicht das irritierte Dominique so sehr, dass sie für eine Sekunde der felsenhaften Überzeugung war, dass das hier nicht real sein konnte. Nein, vielmehr verdutzte sie die Tatsache, dass Scorpius gerade ihre Cousine geküsst hatte, die zwar weinte, aber zeitgleich dabei so verdammt glücklich aussah. Irgendwie musste sie da etwas Entscheidendes verpasst haben. Und es versetzte ihr ein Stich ins Herzen, denn sie würde gleich gegen die Person vorgehen müssen für die solche Gefühle empfand.

Also drehte sich Dominique abrupt auf den Absatz um und wand sich in die andere Richtung. Dort stand ein heulender James – das war schon mal kein gutes Anzeichen –, der von Molly im Arm gehalten wurde, während daneben Alice und Adam irgendwie sehr undefinierbaren Gesichtsausdrucke hatten. Auf dem Boden knieten Jane und Ryan, die ebenfalls weinten – immer noch ein schlechtes Zeichen –, doch am meisten überraschte sie der kühle Blick von Lorcan, der sie musterte. Zu seinen Füßen hockte ihr Bruder, der nur noch ein kläglicher Haufen Selbstmitleid zu sein schien. Lorcans Blick hielt sie gefangen und sie konnte nicht ihre Augen abwenden. Wie Lysander es immer getan hatte, so las auch Lorcan alles in ihrem Gesicht ab.

„Dann hau mal raus, wer Fate ist!“, sagte er dann völlig unvermittelt. Alle Augenpaare wanden sich ihm verblüfft zu, um dann seinen Augen zu folgen, die immer noch völlig fixiert auf ihrem Gesicht ruhten. So viel Aufmerksamkeit hatte sie nicht mehr bekommen seit sie am Tag der Hochzeit ihrer Schwester eine Tortenschlacht veranstaltet hatte. Sie fühlte sich geschmeichelt.

„Du weißt wer Fate ist?!“ Rose war herangerauscht gekommen und Dominique, die ihre Cousine immer gern aufgezogen hatte und wusste, was passierte, wenn man sie zu sehr reizte, trat vorsichtshalber einen Schritt zurück.

Der Augenblick der Wahrheit war gekommen. Ihr Augenblick, in dem sie es allen beweisen konnte. Auf den sie solange gewartet hatte und doch hatte sie einen dicken Kloß in ihrem Hals. Wenn sie jetzt seinen Namen aussprach, dann war es wirklich vorbei. Sie hatte das Schicksal besiegt, aber ihr Herz würde für immer gebrochen sein. Dominique atmete tief durch. Sie konnte die anderen nicht im Stich lassen, nur weil sie zögerte und nicht wahrhaben wollte, was sie gerade herausgefunden hatte. Nein, so war sie nicht. Sie ließ ihre Freunde nicht im Stich. Es war Zeit.

„Es ist John Blotts, der Bibliothekar: Er ist ein Squib. Seine Eltern waren Todesser, die ihn dafür gequält haben. Er hasst die Magie. Er …“ Ihre Stimme brach ab. Der Kloß wollte sich nicht runterschlucken lassen. Es war zu spät ihre Worte jetzt zurückzunehmen. Alle sahen sie an. Die Blicke waren dankbar und zuversichtsvoll.

„Also müssen wir ihn erledigen? Ihn, Liam und Nathan? Dann ist das alles hier vorbei?“

Alice sah hoffnungsvoll aus. Ihr ganzes Martyrium schien endlich ein Ende zu nehmen.

„Liam ist tot“, warf James ein, während er sich versuchte die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. „Ich hab ihn getötet. Ich bin durchgedreht als ich Fred und Roxanne da liegen gesehen habe. Ich …“

Das Entsetzen über seine Tat stand James ins Gesicht geschrieben. Er bereute was er getan hatte. Dominique konnte kaum ertragen, wie sehr er litt bei dem Gedanken, dass er jemand anders getötet hatte. Sie hatten alle genug durchgemacht. Es musste jetzt einfach aufhören. Wenn Dominique ihn richtig verstanden hatte, waren Fred und Roxanne auch getötet worden. Der Gedanke an ihre beste Freundin schnürte ihr die Kehle zu. Sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann sie das letzte Mal mit ihr gesprochen hatte und jetzt war ihre Freundin tot. Dass war das, was sie gebraucht hatte, um sich endgültig zu entscheiden. John Blotts musste für seine Taten büßen.

„Nathan ist auch raus aus der Sache“, fügte Scorpius hinzu. „Er ist geflohen.“

„Worauf warten wir dann noch?!“, entfuhr es Rose, die begierig darauf zu sein schien alle ihre Fehler auszulöschen, indem sie Fate zur Strecke brachte.

Lorcan schüttelte den Kopf. „Rose, wir können nichts tun. Wir sind schwarze Schachfiguren. Wir können nicht gegen unseren eigenen König vorgehen.“

Enttäuschung breitete sich in Roses Gesicht aus. Sie biss sich auf die Lippe, um nicht laut los zu schreien, weil die Welt so verdammt ungerecht war.

Dominique grinste. „James, Molly, Adam und Alice, ich denke wir haben ein Rendezvous mit einem gewissen Mr. Blotts. Wir sollten ihn nicht warten lassen.“

„Aber wo ist er?“, wollte Alice wissen. Sie konnte ja schlecht die ganze Stadt nach ihm absuchen in der Hoffnung, dass er ihnen ins Netz ging.

Jetzt war es an Lorcan zu grinsen. Er deutet auf das höchste Stockwerk des Great Northern Hotel gegenüber vom Kings Cross Bahnhof. „Da oben. Da wo er die beste Aussicht hat.“

Und so fielen alle Puzzlestücke an ihren Platz. Entschlossen marschierten sie auf das Hotel zu.
 

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Er sah mit Entsetzen, wie ihm die Kontrolle entglitt. Eben hatte er noch eben gefeiert wie Liam die Straßen aufgesprengt hatte und hatte mit Vergnügen beobachtet, wie der Feuerkreis die Luft in den Lungen der Erwachsenen abschnürte. In seinem Kopf hatte er sich bereits ausgemalt wie Harry Potter zu Boden sank, sich an die Kehle griff, noch ein letztes Mal röchelte und dann krepierte. Er war so kurz vor dem Sieg gewesen. Er hatte Harry Potter doch schon schachmatt gesetzt gehabt.

Dann war James aufgetaucht und hatte seinen Läufer, Liam, außer Gefecht gesetzt. Er hatte zu seiner Königin gegriffen, doch Rose ließ sich nicht mehr bewegen. Verzweifelt hatte er zu Nathan gegriffen, doch auch der Turm ließ sich nicht mehr bewegen. Er war verraten geworden. Nie hätte er diesem heuchlerischen Hausmeister glauben dürfen. Für eine Sekunde hatte er wirklich daran geglaubt, dass er jemand gefunden hatte, der sein Ziel geteilt hatte, der genau wie er die Magie auslöschen wollte. Doch er hatte sich geirrt. Die weißen Figuren standen nun fast direkt an seiner Figur. Auch seine drei verbliebenen Bauern Adrian, Jane und Ryan ließen sich nicht mehr bewegen.

Er stürzte auf das Fenster zu, griff nach seinem magischen Fernglas und zischte wütend, als er die Szene vor sich sah. Alle verbliebenen Schachfiguren standen versammelt vor dem zerstörten Bahnhofsgebäude. Er fluchte. Warf einen Blick auf das Schachbrett auf dem er ihre Gegenstücke hatte, doch es brachte ihm nichts. Weiß hatte gerade seinen Zug gemacht. Zum ersten Mal hatte er die weiße Königin auf dem Schachbrett bewegt. Er hatte sie verschonen wollen und schalte sich nun selbst einen Narr. Was hatte er gedacht würde passieren, wenn er die mächtigste weiße Figur bewegte?!

Für eine Millisekunde dachte er daran alle Figuren vom Schachbrett zu fegen. Doch dann fasste er sich. Es war noch nicht vorbei. Die einzige Figur, die er noch bewegen konnte, war seine eigene. Schwarz war am Zug. Er musste etwas tun. Noch hatte sie ihn nicht schachmatt gesetzt. Noch konnte er entkommen.

Aber er wollte nicht fliehen! Er fluchte laut auf, sah wie sich die weißen Figuren geschlossen auf ihn zubewegten, wusste, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte, aber er weigerte sich das hinzunehmen. Er war das Schicksal. Er konnte nicht geschlagen werden. Er war verdammt noch mal das Schicksal! Niemand konnte sich ihm entziehen.

Er warf einen letzten Blick auf das Schachbrett. Er erinnerte sich genau an dem Tag, an dem er es auf einem magischen Schwarzmarkt entdeckt hatte. Er hatte von der ersten Sekunde an gespürt, dass er die Lösung zu all seinen Problemen in den Händen hielt. Er hatte stundenlang gefeilscht und es dann endlich sein Eigen nennen. Die vielen Experimente mit dem Schachbrett konnte er gar nicht mehr zählen, doch dann hatte er endlich verstanden, wie er die Schachfiguren nutzen konnte. Viele Wochen und Monate waren ins Land gezogen bis sein Plan ausgereift gewesen war. Alles, was er brauchte war eine Gelegenheit um jeder Schachfigur ein Haar zu stehlen und diese flatterte eines Tages unverhofft in das Geschäft seines Ziehvaters: Victoires und Teds Hochzeitseinladung. Natürlich war sie nicht für ihn bestimmt gewesen. Es tat ihm leid, als er in den Kaffee seines Ziehvaters Abführmittel schüttete. Es tat ihm weniger Leid bei seinen ‚Brüdern’, die ihn nie für voll genommen hatten. Er hätte sie vielleicht getötet, aber er wollte keine Aufmerksamkeit auf die Blotts-Familie lenken. Am Ende schickte ihn sein Vater als Vertretung auf die Hochzeit. Dort hatte er sich im Hintergrund gehalten und die Kinder genau beobachtet. Sie waren mit all ihren unsicheren Gefühlen perfekt gewesen. Im Durcheinander der Hochzeit war es ihm ein leichtes gewesen von jedem seiner Auserwählten eine Haarsträhne zu organisieren. Es war so leicht gewesen. So spielerisch einfach. Im Gefecht der Tortenschlacht hatte keiner ihm Aufmerksamkeit geschenkt. Doch er war schwach geworden bei ihrem Anblick. Sie hatte ihn so sehr an sich selbst erinnert. Wie sie versuchte alle Augen auf sich zu ziehen. Sie war atemberaubend gewesen. Er konnte nicht verstehen wie irgendjemand sie nicht ansehen konnte und doch schien es niemand zu tun. Sie war seine Schwachstelle gewesen, wurde ihm bitter bewusst. Er hatte für sie sein Ziel aus den Augen verloren. War unvorsichtig geworden. Er griff nach der weißen Königin, entfernte das blonde Haar und steckte es sich in die Jackentasche. Er gab der Königin einen leichten Kuss bevor er sie zurückstellte. Dann wand er sich vom Schachbrett ab und zog die Pistole aus seiner anderen Jackentasche.

Er würde nicht kampflos untergehen. Auch ein König konnte Figuren schlagen. Es war noch nicht zu Ende. Er entschied, wann es zu Ende ging, denn er war das Schicksal.
 

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Lorcan folgte den anderen, auch wenn er wusste, dass er nichts mehr unternehmen konnte. Ähnlich wie Rose wollte er nichts lieber als Fate selbst zu töten, doch er war nicht dumm. Rose tat es ihm gleich und blieb hinter den verbliebenen weißen Figuren. Zurückblieben nur Jane und Ryan, die einander immer noch festhielten und trauerten. Wahrscheinlich nicht nur um ihren gefallenen Bruder, sondern auch um sich selbst. Aus dem Nebel erwacht zu sein, durfte kein Zuckerschlecken gewesen sein. Noch einer machte keine Anstalten sich zu bewegen. Dominique hatte ihren Bruder nicht einmal adressiert. Sie wusste wohl genauso gut wie er, dass Louis nicht mehr kämpfen würde. Er hatte aufgegeben und war zu einer nutzlosen Schachfigur geworden.

Lorcan hasste es, dass er sich nicht gegen seinen eigenen König wehren konnte und damit genauso wie Louis zu einer nutzlosen Schachfiguren geworden war. Verärgert darüber, dass er jetzt ausgeschlossen wurde, dachte er für eine Sekunde darüber nach, was wäre, wenn er wieder zu einer schwarzen Schachfigur werden würde. Wie sehr er den Rausch genießen würde. Wie sehr er es bereits genossen hatte. Doch dann verflog der Gedanke und wurde vom Bild seines Bruders verdrängt. Lysander hatte ihn nicht am Leben gelassen, damit er es zum Fenster hinauswarf. Er hatte eine Aufgabe. Ihm waren Annies Worte klar im Gedächtnis geblieben. Er musste das Schachbrett zerstören. Damit war Fate ihn allen schutzlos ausgeliefert. Nur dann konnte er die Rache für seinen Bruder bekommen.

Ungeduldig schritt er zügiger heran, war fast gleich auf mit den weißen Schachfiguren, als Rose ihn zurückhielt.

„Hast du nicht gerade selbst gesagt, dass wir nichts tun können? Wo willst du also so schnell hin?“

Er schüttelte ihre Hand von seinem Arm ab und zwang sich mit dem neutralsten Gesichtsausdruck der Welt zu antworten. „Ich will zuschauen, du etwa nicht?“

Rose nickte und er drehte sich wieder um. Die anderen hatten das Gebäude fast erreicht, als ihnen John Blotts persönlich gegenüber trat. Was für ein dummer Schachzug!

Plötzlich knallte es. Blotts hatte eine Pistole und sie auf James gerichtet. Getroffen ging der Potter-Sprössling zu Boden, hatte aber sofort Molly an seiner Seite, die die Schusswunde sofort mit einem Zauberspruch behandelte. Adam und Dominique schützten die beiden mit Schutzzaubern.

Am liebsten wäre Lorcan stehen geblieben und hätte beobachtet welche Auswirkungen wohl eine Pistolenkugel auf einen Schutzzauber hatte, aber leider war er anderweitig vonnöten. Mit ein wenig Bedauern nutze er die Ablenkung und begann auf das Gebäude zu zu sprinten. Er hörte und spürte wie eine Kugel knapp an ihm vorbei flog, aber dann war er im Gebäude und in Sicherheit. Wie so oft ärgerte es ihn, dass er noch nicht apparieren konnte. Vor ihm lag Treppe um Treppe und natürlich hatte Blotts den Fahrstuhl bedacht. Der Strom war ausgeschaltet. Lorcan fluchte. Er konnte nicht stehen bleiben. Im selben Tempo jagte er die Treppen hoch und spürte den Schmerz in seiner Seite und seinen Beinen, doch er hielt nicht inne und dann hatte er das oberste Stockwerk erreicht. Blotts hatte die Tür zu seinem Zimmer offen stehen gelassen, als er es verlassen hatte, sodass er Lorcan nun die Suche ersparte. Er sprang förmlich in den Raum und da war es. Lysander hatte Recht behalten. Blotts hatte wirklich Schach gespielt. Viele Figuren waren bereits an die Seite des Schachbretts gestellt. Die meisten davon waren schwarze Figuren. Blotts hatte sich nicht mehr die Mühe gemacht die letzten schwarzen Figuren beiseite zu stellen. Lorcan griff nach seiner eigenen Figur. Er hätte nie gedacht, dass er ein Läufer gewesen war. Er hatte sich selbst als Springer oder Turm gesehen. Er konnte eben doch nicht alles richtig erraten. Das amüsierte ihn kurz.

Er nahm auch die drei Bauernfiguren sowie die beiden Türme von Nathan und Liam vom Schachbrett. Lorcan griff nach dem weißen Springer, der Louis’ Namen trug und nahm ihn ebenfalls herunter. Sein Bruder Lysander war natürlich ein Turm gewesen. Er hätte es sich ja denken können, dass sie nicht dieselbe Schachfigur darstellten.

Auf dem Schachbrett verblieben noch die Figuren von Harry, dem weißen König; Dominique, der weißen Königin; James und Scorpius, den weißen Läufern; Alice, der letzte verbliebene weiße Springer; Molly, dem zweiten weißen Turm und vier weiße Bauernfiguren. Weiß war definitiv hundertmal besser weggekommen, als John Blotts sich das sicher ausgemalt hatte. Lorcan betrachtete die weißen Bauernfiguren, sah den weißen Bauern, der am Ende des Schachbretts angelangt war, grinste, zog seinen Zauberstab heraus und statt das Schachbrett ein für alle mal in die Luft zu jagen tippte er die Bauernfigur an, die sich daraufhin in eine Dame verwandelte.

Lorcan konnte sich dem Zauber des Schachbrettes nicht entziehen, streckte seine Hand ein letztes Mal nach einer Figur aus und zog mit der Dame. Ein letzter Schachzug. Wollte er mal sehen, ob John Blotts darauf vorbereit gewesen war.
 

~~~
 

Roxanne wurde von einer Sekunde aus der anderen aus ihrem Fiebertraum gerissen. Plötzlich fühlte sie sich nicht mehr schwach. In ihr ging eine Wandlung durch, die sie nicht zuordnen konnte, die sie aber auch nicht in Frage stellen wollte. Sie hatte sich so elend gefühlt. Als sie jetzt endlich wieder zur Besinnung kam, wusste sie nicht einmal, wo sie sich gerade befand. Ihr Fiebertraum war ihr endlos vorgekommen und sie fühlte sich seltsam deplaziert. Als wäre sie aus Zeit und Raum gefallen. Orientierungslos blickte sie sich um. Sie war auf dem Dach eines Gebäudes. Dann sah sie Fred, der ausgestreckt neben ihr lag. Sie stürzte zu ihm, spürte seine kalte Haut unter ihren heißen Fingern, sah seine leere Augen und wusste, dass es zu spät war. Ihr Alptraum war wahr geworden. Heiße Tränen stiegen in ihre Augen auf. Dunkel erinnerte sie sich daran, dass Fred ihr zur Rettung gekommen war und gegen Liam gekämpft hatte, doch dann war sie wieder in ihren Fiebertraum zurück geglitten. Nur wenige Meter von Fred entfernt lag ein weiterer Körper, der sich nie wieder rühren würde. Liam lag ausgestreckt auf dem Boden. Sein Gesicht war verzerrt. Roxanne hätte ihn am liebsten selbst in Scheiden geschnitten für das was er ihr und vermutlich auch ihrem Bruder angetan hatte, doch jemand anders musste ihr zuvorgekommen sein. Egal wer ihr diesen Gefallen getan hatte, sie würde für immer in der Schuld dieser Person stehen. Neben Liam lag noch sein Zauberstab. Sie griff danach, da er ihr sicher ihren Zauberstab abgenommen hatte, als er sie entführt hatte.

Roxanne versuchte aufzustehen, doch sie konnte nicht. Ihre Füße waren nicht mal als solche zu erkennen, sondern waren nur noch zwei große blutige Fleischklumpen. Ihr ganzer Körper brannte und erinnerte sie daran, dass sie übersäht war mit offenen und blutenden Wunden, die dringest versorgt werden musste. Trotz all dieser Wunden, trotz der Hitze, die immer noch durch ihren Körper brannte, fühlte sie sich gut und stark genug um einen ganzen Wald auszureißen. Adrenalin pochte durch ihre Venen und sie robbte an den Rand des Daches. Sie musste wissen wo sie war und was geschehen war. Als sie hinunterblickte sah sie gegenüber von ihrem Gebäude die Ruine von Kings Cross. Natürlich sie erinnerte sich daran. Das war der Ort gewesen, an dem Liam sie gefoltert hatte. Ein weiteres Mal durchzuckte sie der Wunsch aus Liam Hackfleisch zu machen, doch sie würde nicht seine Leiche schänden, um sich diesen Wunsch zu erfüllen. Die Zeit konnte sie auch nicht zurückdrehen. Also schaute sie lieber weiter über den Dachrand. Neben Kings Cross sah sie eine riesige Gruppe. Von hier aus konnte sie keine einzelnen Gesichter ausmachen, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass es sich dabei um die Erwachsenen handelte, die wohl wieder handlungsunfähig gemacht worden waren. Welch grausames Spiel war es auch gewesen, dass sie egal was sie hätten unternehmen wollen, immer daran gehindert wurden, dass sie nicht in das Schachspiel eingreifen konnten. Fate war so perfide gewesen. Durch dieses Schachspiel hatte er sie schutzlos gemacht und ihre Eltern zum Nichthandeln verdammt. Roxanne hoffte, dass es ihren Eltern gut ging und sie unter den sich regenden Erwachsenen waren.

Roxanne griff nach dem Zauberstab. Ein paar Funken würden reichen, damit sie auf sich aufmerksam machen konnte, doch bevor sie den Zauberstab erhob, blieb ihr Blick an der Szene genau unter ihr hängen. Dort standen Dominique, Adam und Alice, während dahinter Molly über James kniete. Ein Stück abseits stand Scorpius schützend vor Rose. Und direkt vor ihnen allen war der Bibliothekar John Blotts, der eine Pistole in der Hand hielt. Roxanne war nicht dumm und zählte schnell eins und eins zusammen. Jetzt war ihr Moment gekommen. Sie hatte ihn seit Anbeginn der Zeit herbeigesehnt und konnte gar nicht fassen, dass er plötzlich zum Greifen nah war. Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht. Wenn sie schon nicht Liam zu Hackfleisch zermahlen konnte, dann konnte sie den wahren Verursacher zumindest zur Strecke bringen. Das lag ihr schließlich im Blut. Sie war zur Heldin geboren. Sie erhob Liams Zauberstab und feuerte den besten Fesselzauber aller Zeiten ab. Das sollte ihr erst einmal jemand nachmachen.
 

~~~
 

Scorpius hatte sich beim ersten Schuss direkt vor Rose positioniert. Er sah wie James blutend am Boden lag und wollte am liebsten zu ihm stürmen, doch seine Priorität lag klar bei Rose, die er um nichts auf der Welt noch einmal verlieren wollte. Sie klammerte sich an ihn, wollte nicht, dass ihm etwas passierte und er fühlte sich wie im siebten Himmel. Nichts konnte ihm das jetzt mehr wegnehmen. Er war bereit Rose mit seinem Leben zu verteidigen.

Und dann war es plötzlich vorbei. Ein violetter Blitz sprang auf einmal von Himmel, traf John Blotts und riss ihn zu Boden. Sein ganzer Körper war mit Fesseln umschlingt.

Fassungslos sahen sie alle zum Himmel hoch und sahen Roxanne, die vergnügt auf dem Dach lag und ihnen zuwinkte, als gäbe es nichts selbstverständlicheres, als auf einem Dach zu liegen und Bösewichte von dort aus zu erledigen. Scorpius musste lachen und mit einem Mal waren sie umringt von den Erwachsenen, die aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht waren. Er fand sich in den Armen seines Vaters wieder, der – auch wenn er sie verstohlen wegwischte – Tränen in den Augen hatte. Er konnte es selbst nicht fassen. Nach so vielen Monaten der Qual war es vorbei. Er löste sich aus den Armen seines Vaters, drehte sich zu Rose um, denn für niemand anders hatte er im Moment Zeit. Sie sah ihn nicht an, sondern sah hinüber zu ihren Eltern, die genauso unsicher zu ihr herübersahen. Scorpius griff nach ihrer Hand und lächelte sie an. Rose sah ihn an und er konnte all ihre Gedanken auf ihrem Gesicht ausgebreitet lesen. Das liebte er an ihr. Er gab ihr einen schnellen Kuss.

„Keine Sorge. Es ist vorbei. Wir sind zusammen. Du schaffst das“, versicherte er ihr, als er sie hinüber zu ihren Eltern begleitete. Rose krallte sich in seinen Arm fest und er konnte spüren, wie sie versuchte sich mit ihrem Körper hinter seinen zu verstecken, doch dann waren sie schon bei Mr. Ron Weasley und seiner Frau Hermine angelangt. Ihm wurde klar, dass er gerade auch offiziell den Eltern seiner Freundin gegenüber trat. Deswegen blieb er abrupt stehen, als ihm bewusst wurde, dass er Rose gerade vor den Augen seines eigenen Vaters geküsst hatte. Dieser Gedanke war so abstrus, dass er fast lachen musste. Monatelang hatte er sich keinen Kopf um die Meinung seines Vaters gemacht, dass ihn dieser Gedanke völlig überraschte. Doch er konnte jetzt nicht darüber nachdenken, was sein Vater dachte oder was Roses Eltern von ihm hielten. Er musste Rose jetzt wie versprochen zur Seite stehen.

„Rose, Liebling“. Ihre Mutter trat sie zuerst auf sie zu und öffnete die Arme um ihr verloren geglaubtes Kind zu umarmen. Rose trat zögerlich hinter Scorpius hervor.

„Aber …“, flüsterte sie, doch ihre Mutter ließ keine Widerworte zu und zog sie in ihre Arme.

Scorpius trat ein Stück zurück und beobachtete frohen Herzens wie auch Roses Vater sie in seine Arme nahm und sie an sich drückte. Er sollte ihnen einen Augenblick für sich gönnen, dachte Scorpius und sah sich nach James um. Der wurde gerade von einer Menschenmenge abgeschirmt. Alle schienen ihn zeitgleich heilen zu wollen. Er musste grinsen, wusste er doch, dass James diese Form von Aufmerksamkeit liebte. Er sah Lorcan aus dem Hotel kommen und ein völlig zerstörtes Schachbrett vor sich halten. Die Figuren hatte er zerbrochen. Wenn das nicht Beweis genug dafür war, dass sie gewonnen hatten, wusste er auch nicht, was Beweis genug sein sollte. Doch dann kam Rose auf ihn zu gerannt, fiel ihm in die Armen und küsste ihn stürmisch. Leise lächelte Scorpius unter Roses Küssen.
 

Das war Beweis genug, dass sie das Schicksal bezwungen hatten.
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
So nun sind wir am letzten Kapitel angelangt. Hättet ihr erraten wer Fate ist? Oder hab ich euch damit noch völlig überrascht? Ich wusste es ja selbst erst in Kapitel 14/15 wer Fate sein würde und es hat wahnsinnig Spaß gemacht eine Geschichte zu schreiben, in der ich selbst nicht wusste, wer der Bösewicht war.
Jetzt kommt in den nächsten Tagen noch der Epilog und dann ist Fate nach 8 Jahren endlich beendet. Vielen Dank an die, die bis zum Schluss durchgehalten haben!
LG ChiaraAyumi Komplett anzeigen

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