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Via Inquisitoris: Wiener Blut

Mord in Grinzing
von

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Verdacht

Der Wächter führte Lady Sarah in die Vorhalle der Villa, die wohl aus dem 19. Jahrhundert stammte: „Gehen Sie einfach dort geradeaus. Das Büro von Herrn Bauer befindet sich im Anbau. Ich muss wieder an das Tor.“

„Danke.“ Sie war ein wenig überrascht, dass ihr der Hausherr nicht entgegenkam. Immerhin war er ein Vampir und sollte wissen, was der Besuch des Inquisitors bedeutete. Aber nun gut, vielleicht wollte er vor seinem menschlichen Personal seine eingeübten Sitten nicht ändern. So ging sie allein weiter.

„Was machen Sie denn hier?“

Die scharf gestellte Frage ließ sie den Kopf wenden. Wie sie erwartet hatte, stand dort ein Mensch, genauer gesagt, ein Mann, gut zwei Köpfe größer als sie und auch breiter. Er trug Jeans und ein ärmelloses T-Shirt, das seine muskulösen Oberarme samt den Tätowierungen darauf zeigte. Dennoch war die Vampirin überzeugt, mit ihm fertig werden zu können, falls er auf dumme Ideen kam: „Ich bin auf dem Weg zu Herrn Bauer. Sie sind das also schon einmal nicht.“ Er sollte sie trotz ihres schlechten Deutschs verstehen.

„Stimmt. Hat er Sie eingeladen?“

„In der Tat.“ Sie musterte ihn. Irgendwie machte er sie nervös, was nicht nur an dem Schlagring an seiner rechten Hand lag. Er war sehr angriffslustig: „Und was sind Sie? Der zweite Wachhund?“

Er schoss auf sie los, mit einer Vorfreude, die ihr sehr missfiel. Aber bevor sie ihm zeigen konnte, dass er sie unterschätzt hatte, donnerte jemand: „Johnny!“

Der Mann erstarrte und wandte sich um: „Herr Bauer?“

„Hör auf meinen Gast zu belästigen. – Bitte, meine Dame…“

Sarah betrachtete den Hausherrn ein wenig interessiert. Ja, er war ein Vampir. Er schien um die Dreißig zu sein, aber das war natürlich nur das Alter der Verwandlung. Ungewöhnlich für einen Artgenossen war er wie ein Mensch der jetzigen Epoche angezogen, wenn auch der Anzug aus sehr teurem Stoff bestand. Lord John hätte das Tuch zu schätzen gewusst, da war sie sicher. Immerhin kaufte ihr Adoptivvater seit Jahrhunderten in der Savile Row. Die grauen Augen ihres Gegenübers musterten sie mit der gleichen Neugier. Sie bemerkte, dass sich Johnny zurückzog und meinte höflich: „Danke. - Herr Bauer, nehme ich an?“

Er nickte unmerklich: „Und mit wem habe ich das Vergnügen? Nun, wohl weniger, wenn man bedenkt, für wen Sie arbeiten.“

Das durfte sie nicht beleidigen, war doch wohl kein Vampir der Erde begeistert, den Inquisitor im Haus zu haben: „Sagen Sie Sarah.“ Sie würde Inspektor Cuillin bitten, dieses Johnny-Monster zu überprüfen. Dieser war hochgradig aggressiv und hatte auf sie nicht sonderlich intelligent gewirkt – beides zusammen beste Voraussetzungen, um Vorstrafen erhalten zu haben.

„Dann sollten wir wohl höflicherweise englisch sprechen.“ Er wechselte bereits geübt die Sprache, auch, wenn sein Dialekt verriet, dass er die Aussprache wohl bereits im 16. Jahrhundert gelernt hatte: „Ich muss zugeben, dass ich mit einem solchen Besuch nicht gerechnet habe. Obwohl ich es wohl hätte tun sollen.“ Er schloss seine Arbeitszimmertür hinter ihnen: „Bitte, setzen Sie sich.“ Er deutete auf den Sessel vor seinem fast vollkommen leeren Schreibtisch.

Hatte er ihn zunächst noch frei geräumt, ehe er ihr entgegenkam? An einem Regal an der Wand erkannte sie Ordner, auf denen „Rechnungen“, „Bauvorhaben“ und anderes stand. Sie folgte der höflichen Einladung, meinte jedoch sachlich: „Ein blutleerer Toter auf dem Grundstück eines Vampirs…?“

„Ich gebe zu, ich habe nicht erwartet, dass der Inquisitor so gut und schnell informiert ist.“ Und er war heilfroh gewesen, die Polizei erst einmal vom Hals zu haben. Jetzt saß vor ihm das Schlimmere, nun, wenn man davon absah, dass der Kadash höchstpersönlich hier aufkreuzen würde. Keine Aussicht, die ihm zusagte. Er ertappte sich bei dem plötzlichen Gedanken die menschliche Polizei tatsächlich zu vermissen: „Was wollen Sie wissen, teure Sarah?“

„Der Tote war Ihr Nachbar. Kannten Sie ihn?“

„Ja.“

„Wissen Sie, woran er starb?“

„Nein.“

Sarah hob etwas die Brauen. Das war eine mühsame Unterhaltung und sie verstand, warum der Inspektor ihn verschlossen genannt hatte: „Und wohl auch nicht, wie er auf Ihr Grundstück kam? Über die Mauer?“

„Nein. – Ich habe nichts mit seinem Tod zu tun, das können Sie weitergeben. Ich meine, wer wäre so dumm, sich den von ihm Ermordeten in den Garten zu legen?“

„Nun, vielleicht um von sich ablenken?“

„Sarah, Ihnen muss doch klar sein, dass keiner von uns in der Lage ist, einen Menschen komplett leer zu trinken. Das schaffen nur diese Gebissenen….Moment!“ Er starrte sie plötzlich sichtlich erschreckt an: „Das ist es?“

„Was?“ fragte sie betont zurück. Dumm war er anscheinend nicht.

„Sie sind hier, weil der Verdacht besteht, ich hätte Gebissene erschaffen?“

„Ich bin hier, weil ein blutleerer Toter auf Ihrem Grund gefunden wurde“, erklärte sie unparteiisch. Anscheinend war ihm klar, dass der Vorwurf, Gebissene erschaffen zu haben, bei Beweis mit einem Todesurteil geahndet wurde. „Sie kannten Walter Meinhardt also. Riefen Sie darum die Polizei? Um unauffällig zu bleiben?“

„Nein. Meine…meine Mitarbeiter fanden ihn und hatten bereits die menschliche Polizei informiert, ehe sie mir Bescheid gaben. Sonst hätte ich ihn über die Mauer zurückbefördert.“ Seiner Tonlage nach bedauerte er die voreilige Entscheidung seiner Männer nur zu sehr.

Das hätte ihm die Polizei kaum vom Hals gehalten, wenn sie Kenneth Cuillin auch nur andeutungsweise kannte: „Hatten Sie Streit?“

„Nein, im Gegenteil.“ Er sah auf den Tisch, als er sich unbehaglich den Hals rieb: „Nun, ich muss wohl offen sein. Sie kennen das Problem sicher: wenn wir unauffällig bleiben wollen, müssen wir immer wieder umziehen oder uns anders von bekannten Menschen fernhalten, damit ihnen nicht deutlich wird, dass wir nicht altern.“

Sie nickte wortlos. Auch Lord John übertrat diese Regel nie. Oft genug war er dann anschließend für seinen eigenen Sohn gehalten worden. Und sie selbst achtete natürlich auch darauf.

„So halte ich mich von…von meinen momentanen Geschäftspartnern immer mehr fern. Das erledigte Meinhardt für mich.“

„Für die zehntausend Euro jeden Monat? Eine ganz nette Summe….“

Für einen Moment schien er sprachlos: „Ja, woher auch immer Sie das wissen. Ich hatte mir alle Mühe gegeben, dass das nicht nachverfolgt werden kann. Wie Sie wissen, können wir Menschen beeinflussen. Die Regel der Unauffälligkeit. - Meinhardt erledigte dafür alles, was mit der Baufirma zu tun hat…und mit der anderen Firma.“

„Ich dachte, Sie sind Bauunternehmer.“ Das hatte ihr zumindest Inspektor Cuillin erzählt und auch die Ordner an der Wand deuteten darauf hin.

„Auch. Aber das ist nur die…die Tarnung. Hören Sie, das hat nichts mit Vampiren oder Gebissenen zu tun. Das geht nur Menschen an.“

Er wollte sich verteidigen, das war ihr klar – und am liebsten sie wegschicken, aber das traute er sich wohl nicht. Sie sollte ihn vielleicht beruhigen: „Herr Bauer, Sie stehen unter Verdacht, gegen grundlegendste Regeln unseres Volkes verstoßen zu haben. Verbrechen gegen Menschen kann und wird der Kadash nicht ahnden.“

„Schön. Ich…“ Er atmete tief durch: „Sagt Ihnen der Begriff Syndikat etwas?“

„Mafia?“ Und da hatte der angeblich so nette Meinhardt mitgemacht?

Er wiegte den Kopf: „Nennen wir es Syndikat, das klingt neutraler. Ich bin bei so etwas Mitglied.“

„Darum auch die Wachen und die Mauer?“

„Das geht den Kadash nichts an“, erwiderte Georg Bauer prompt

„So ist es. Allerdings ist da eine blutleere Leiche. Und noch dazu eine, die für Sie arbeitete.“ Sachlich bleiben, ermahnte sich Sarah, die irgendwie plötzlich realisierte, dass sie hier einem Gangsterboss gegenübersaß – und er das, was er ihr sagte, wohl nie einem Menschen erzählen würde: „Also schön, Meinhardt sollte für Sie die Regel der Unauffälligkeit wahren und sowohl Ihre Baufirma, die wohl als Scheingeschäft dient, als auch Ihre wahre Firma in der Öffentlichkeit wahrnehmen.“

„Ja. Ich habe mich stets bemüht, die Regel der Unauffälligkeit zu wahren, seit ich mit meinem Meister nach Wien kam.“

„Ich vermute, Ihr Meister hat sich bereits zurückgezogen.“

„Ja. Nach dem Türkenkrieg. Er hatte genug dieser Auseinandersetzungen und Pestzeiten durchstanden. Er wollte sich in die Steiermark zurückziehen, falls Sie wissen…“

„Ein Bundesland Österreichs, in den Alpen.“

Bauer unterließ es doch noch, sie darauf hinzuweisen, dass es in Österreich relativ schwierig sei, eine Gegend ohne Alpen zu finden. Er war wirklich nicht scharf darauf, dass der Inquisitor höchstpersönlich hier auftauchte. Über den gingen solche Sagen um…. „Ja. Und da Sie das wohl wissen wollen, aber nicht fragen…Mein Meister stammte aus Spanien, kam dann mit Karl nach Wien. Karl dem Fünften, dem spanischen König und deutschen Kaiser, einem Habsburger.“

„Er wurde 1500 in Brüssel geboren, ja.“ Er brauchte sie nicht für dumm halten: „Aber, um wieder auf die Leiche zurückzukommen: war Meinhardt bewusst, dass er für ein Syndikat arbeiten sollte?“

Der österreichische Vampir zeigte im Lächeln die Fangzähne: „Sie meinen, dass hätte sein soziales Gewissen beschwert? Aber sicher hätte es das. Er wusste nur nicht, was man so alles handeln kann. Er hielt es für Arzneimittel. Nun, sind es in gewisser Hinsicht ja auch.“

Also handelte er mit Drogen. Sarah bedauerte in diesem Moment aufrichtig, dass der Kadash nicht auch Verbrechen an Menschen ahnden durfte, die nicht gebissen wurden. Und dies ja auch nur, weil die Schaffung solcher unglücklicher Wesen als Nachahmung, ja, Beleidigung der wahren Vampire galt. Und Bauer hatte keinen Menschen direkt auf dem Gewissen. Es war ärgerlich, unmoralisch, aber ging keinen Vampir etwas an. Und wer, wenn nicht der Inquisitor selbst, sollte die Regeln aufrechterhalten? „Dafür bekam er die Zehntausend.“

„Ja. – Und zusätzlich, kurz vor seiner Ermordung, um genau zu sein, noch einmal Vierzigtausend in bar, für einen besonderen Auftrag.“

„Das haben Sie gegenüber der menschlichen Polizei nicht erwähnt.“ In ihrer Stimme lag keine Frage, wusste sie doch, was er angegeben hatte.

Bauer zuckte ein wenig die Schultern: „Natürlich nicht. Wie gesagt, ich habe es ihm bezahlt um die Regel der Unauffälligkeit zu wahren. Das kann ich ja schlecht gegenüber diesem Inspektor Andrassy oder gegenüber Interpol erwähnen.“

Sie überlegte kurz: „Denken Sie sich eine andere Begründung aus. Wenn Sie Meinhardt nämlich nicht ermordeten, war es ein Mord von einem Menschen an einem Menschen.“

Georg Bauer nickte langsam, erfahren darin, im Gesagten eine andere Bedeutung zu suchen: „Und das würde dann den Kadash nicht mehr interessieren, meinen Sie, meine Teure? Da haben Sie wohl Recht. Ich werde mir etwas überlegen, ehe ich diesen…Cuillin, glaube ich, hieß er, von Interpol anrufe. Ich werde natürlich nichts tun, was meiner Tarnung schadet. Zu allem.“

„Das verlangt niemand.“ Sie sah sich allerdings auch außerstande Inspektor Cuillin von dem Drogenhandel zu benachrichtigen. Das hatte sie nur in ihrer Eigenschaft als Kadash von Vampir zu Vampir erfahren – und das konnte sie doch unmöglich einem Menschen weiterberichten. Allerdings würde nun Georg Bauer zumindest seine Beziehung zu Meinhardt offen legen. Und das wiederum würde bedeuten, dass der Inspektor den finanziellen Hintergrund durchleuchten konnte und würde, wenn sie ihn auch nur einigermaßen richtig einschätzte. Umgekehrt ließ sich eigentlich der Schluss ziehen, dass es bei dem Mord um Geld gegangen war – oder um einen Irrtum innerhalb des Syndikats. „Könnte es sein, dass gar nicht Meinhardt getötet werden sollte - sondern Sie?“

„Nein. Ich habe auch bereits daran gedacht, sehe aber keinen Grund. Und zunächst vermutete ich eine Warnung an mich, aber…nun, glauben Sie mir, Sarah, ich habe meine lieben, menschlichen Kollegen bereits diesbezüglich überprüft. Es war nach meinem Wissen eine Maßnahme gegen Meinhardt. Nicht gegen mich.“

Eine „Maßnahme“ nannte er einen Mord. Wiederum fühlte sie das Bedauern, ihn nicht zur Rechenschaft ziehen zu dürfen. Aber ein Vampir blieb eben auch nach seiner Umwandlung der, der er im Grunde seines Herzens zuvor gewesen war, ein guter Grund, warum der Hohe Rat vor übereilten Wandlungen warnte. Und Bauer war irgendwann im 16. Jahrhundert von seinem Meister umgewandelt worden...hm. Ob sie mit dem reden sollte? Aber er hatte sich zurückgezogen, also sollte sie sich das als letzte Option aufbewahren. „Gut. Dann möchte ich Sie nur noch bitten, mir den Ort zu zeigen, an dem die Leiche gefunden wurde.“

„Natürlich.“ Er atmete sichtbar auf, die Mitarbeiterin des Inquisitors loswerden zu können: „Aber ich muss die menschlichen Berichte bestätigen. Da ist kein Blut.“
 

Auch Sarah konnte keines in der Dunkelheit erkennen, als sie an dem Fundort stand. Da war kein einziger Tropfen Blut – und das wäre keinem Vampir, schon gar nicht bei Nacht, entgangen. Zweige waren gebrochen, Büsche niedergedrückt. Sie sah zu der zweieinhalb Meter hohen Mauer auf. Für einen Vampir wäre es kein Problem einen toten Menschen dort hinüber zu werfen. Aber auch zwei menschliche Männer wären doch wohl in der Lage….Hm. Sie sollte mit Inspektor Cuillin reden, ob er und seine Kollegen nicht zuviel Respekt vor der Höhe hatten. So ganz genau konnte sie sich nicht mehr erinnern, wie kräftig Menschen waren. Und – wo war nur das ganze Blut des Opfers abgeblieben? Hoffentlich hatte er in der Gerichtsmedizin etwas herausgebracht.
 

Auf dem Weg zurück zur Haltestelle und in der Straßenbahn, als die Lichter an ihr vorbei glitten, dachte sie noch einmal nach, nur bedingt über den Mord.

Bauer hatte zugegeben, mit Drogen zu handeln. Das war allerdings eindeutig eine Sache, die den Kadash nichts anzugehen hatte. Vampire mischten sich nie in zwischenmenschliche Angelegenheiten ein, das verhinderte schon die Regel der Unauffälligkeit. Dennoch konnte sie sich nur schwer damit abfinden und sie stellte fest, dass auch wohl sie im Grunde ihres Herzens das viktorianische Mädchen von einst geblieben war, das an Gerechtigkeit glaubte. Nun, wenn Bauer der Mörder Meinhardts war, würde sie ihn mit gewisser Freude töten…

Sie zuckte zusammen. War es schon soweit mit ihr gekommen, dass sie Freude am Mord hatte? Dann wäre sie kein Deut besser als Bauer oder Ikol.

Das Amt des Ermittlers und Richters und Henkers in Personalunion barg in der Tat seine Tücken. Wenn sie wieder in Canberra war, sollte sie Wombat fragen, was man gegen diese tun könnte. Meditieren?

Vielleicht gab es auch einen anderen Weg für sie, Bauer aufzuhalten?

Sie überlegte noch immer, als sie in das Hotel zurückkam. Um mit ihren unschönen Gedanken nicht ganz allein zu sein, setzte sie sich in die Hotelbar und bestellte einen Johannisbeerspritzer, Wasser gemischt mit Johannisbeersaft. Es sah so blutähnlich aus, dass sie es gern trank.
 

Sie betrachtete gedankenverloren die anderen Hotelgäste, die meist noch vor ihr in der Halle an den Tischen beim Abendessen saßen. Eine Gruppe Männer fiel ihr auf, alle im Anzug, vermutlich Seminarteilnehmer oder wie man das heutzutage nannte. Einige passten in ihr Beuteschema. Einer hatte wohl ihren Blick bemerkt und sah aus der Unterhaltung auf.

Er lächelte sie etwas an und sie senkte eilig den Kopf. Noch benötigte sie kein Blut und da wäre es töricht, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Der Mann um die Dreißig lächelte selbstbewusst. Diese hübsche junge Dame hatte ihn angesehen und guckte jetzt weg? Immer das Gleiche. Die Beute fürchtete eben ihren Jäger.

Die Unbekannte blickte ihn erneut an und er erkannte plötzlich in ihren Augen etwas wie ein Aufleuchten. Mit jähem Unbehagen widmete er sich wieder seinen Kollegen, ohne freilich unterdrücken zu können, dass sich die Härchen auf seinen Unterarmen aufgestellt hatten. Er wusste nicht, wie nahe er an der Wahrheit war: die Beute fürchtete unbewusst den Jäger.
 

„Guten Abend, Lady Sarah, so in Gedanken?“ sprach sie eine vertraute Stimme an.

„Inspektor! Ich hatte Sie gar nicht gesehen. – Bitte, setzen Sie sich.“

„Danke.“ Er hatte ebenfalls einen Spritzer in der Hand, allerdings mit Rotwein: „Haben Sie mit Bauer sprechen können?“ fragte er, als er Platz genommen hatte.

„Ja. Sie haben Recht, er ist nicht allzu kooperativ. Immerhin ließ er mich die Stelle ansehen, an der der Tote gefunden wurde.“ Sie warf einen raschen Blick um sich, aber die anderen Gäste saßen zu weit weg. „Und ich frage mich, ob ihn nicht zwei Männer mit Schwung über die Mauer hätten befördern können.“

„Vermutlich. Aber die Wiener Polizei und meine Wenigkeit gehen eher von einem Einzeltäter aus. Gleich zwei Männer, die auf diesen Gutewicht böse waren?“

„Da wäre noch etwas…“ Sie zögerte, da sie die richtige Formulierung suchte, ehe sie meinte: „Bauer deutete ein Mordmotiv an. Ich empfahl ihm, sich an Sie zu wenden.“

„Danke. Auch, wenn ich neugierig wäre, warum er das Ihnen erzählte und nicht mir. Aber ich bin mir langsam sicher, dass mein Eindruck richtig ist. Sie sind keine Journalistin oder zumindest nicht nur.“

Das hatte kommen müssen, dachte sie resigniert. Er war zu klug, ein zu guter Ermittler. Schade, dann müsste sie diese Bekanntschaft beenden. Die Regel der Unauffälligkeit galt für den Inquisitor sicher noch viel strenger als für jeden anderen Vampir, bei denen doch einige mit Menschen befreundet gewesen waren, nicht zuletzt ihr Adoptivvater mit Thomas, ehe dieser zu seinem Schüler und damit auch zu einem Vampir wurde.

Er lächelte etwas. „Sie widersprechen nicht einmal, aber Sie wissen, dass Ihr kleines Geheimnis bei mir in guten Händen ist.“ Nun, er war zwar Schotte, aber er würde auch den englischen Secret Service nicht verraten. Und sie war sicher eine gute Agentin. „Zu etwas anderem: wie Sie sich sicher erinnern, war ich noch in der Rechtsmedizin. Bis auf die Tatsache, dass einer der Ärzte fanatischer Anhänger der: „Es war ein Vampir“ -Theorie ist, haben sie einiges jetzt herausgefunden.“

Sarah entkam ein etwas gezwungenes Lächeln. Für was hielt er sie? Den Kadash? Oder was sonst? Jedenfalls schien er darüber schweigen zu wollen: „Natürlich. Eine blutleere Leiche, also war es ein Vampir.“

„Er stammt aus Rumänien“, entschuldigte Kenneth Cuillin den Arzt. Und da er sah, dass sie etwas irritiert war: „Rumänien, Transsylvanien, Dracula..“

„Oh, entschuldigen Sie. Ich war wohl gerade nicht mit den Gedanken da.“

„Sie fanden in den inneren Organen noch Blut, gerade in der Leber, und untersuchten mühsam die Rückstände. Meinhardt muss vor seinem Tod irrwitzige Kopfschmerzen gehabt haben. Oder sonstige Schmerzen. Seine Gelenke waren verdickt, das müsste auch recht wehgetan haben. Jedenfalls schluckte er eine Riesendosis Acetylsalicylsäure.“

„Aspirin oder ähnliches…..“ Sarah kannte das Mittel: „Das könnte erklären, warum er so blutleer war.“

Cuillin nickte beifällig: „Es verdünnt das Blut, ja. Wenn man die Verletzung im Oberschenkel genau betrachtet, kann man erkennen, dass die Hauptschlagader dort durchstoßen wurde, mit einem Stilett oder einem ähnlich schmalen Messer oder einer sehr dicken Stricknadel, meinte der Arzt. Entweder er setzte sich in etwas hinein und verblutete…aber warum stand er in diesem Fall nicht auf und ging, rief um Hilfe? Er besaß ein Handy. – Sie suchen jetzt, ob sie noch etwas von einem Schlafmittel finden.“

„Dann wäre es eindeutig Mord. Oder er wäre der erste Selbstmörder mit dieser eigenartige Methode.“

Kenneth Cuillin nickte: „Schon. Aber Acetylsalicylsäure hin oder her – das würde nie ausreichen, um jemanden so zu leeren, das haben mir die Ärzte bestätigt. Sarah, Sie haben doch Verbindungen. Könnten Sie da nach einem Tipp suchen?“

„Mehr als die Ärzte wissen? Das ist lieb, Inspektor, dass Sie mir soviel zutrauen, aber ich fürchte, auch ich habe meine Grenzen.“

„Versuchen Sie es.“ Das war die Chance, an die Datenbanken des Geheimdienstes zu kommen und er würde sie nutzen. Noch war Meinhardt der einzige Tote und, wenn es nach ihm ging, sollte es auch dabei bleiben.

„Ich werde es tun“, versprach Sarah: „Und Sie überprüfen doch bitte einmal diesen Johnny in Bauers Haus.“

„Johannes Roßer? Ist er Ihnen über den Weg gelaufen? Ich hoffe, er hat Ihnen nichts getan.“ Er klang besorgt.

„Nein. Bauer kam dazu. Aber er schien mir recht…aggressiv.“

„Ja. - Diverse Vorstrafen wegen Körperverletzung hat er schon einkassiert. Ich muss zugeben, auch das ist ein Punkt, der mir Bauer nicht sympathisch macht. Ich würde mich schon unwohl fühlen, wenn Roßer nur in meinem Viertel wohnen würde, von meinem Haus ganz zu schweigen.“

Lady Sarah nickte. Das entsprach ihrer Einschätzung. Aber als Vampir war Bauer sicher in der Lage, seinen nicht so lieben Johnny zu beeinflussen und zurück zu halten. „Der Abend ist schon fortgeschritten, Inspektor…“ deutete sie höflich an.

„Sind Sie müde? Natürlich. Sie kamen ja heute erst aus Australien. Verzeihen Sie, Lady Sarah, ich bin rücksichtslos. Treffen wir uns morgen um neun beim Frühstück. Und dann werden wir uns noch einmal Meinhardts Haus ansehen.“

„Danke. Gute Nacht, Inspektor.“ Sie stand auf. Schlafen musste sie nicht, aber es gab eine Menge, worüber sie nachdenken wollte. Aber zunächst einmal würde sie Frances in Edinburgh anrufen, ob die schottische Vampirin im Internet etwas zu dieser Blutleere finden konnte.
 

*************************
 

Ein Vampir als Drogenhändler könnte recht erfolgreich agieren, Sarahs moralische Bedenken hin oder her.

Im nächsten Kapitel kommt das ungleiche Ermittlerduo der Lösung näher, auch, wenn Sarah Urlaub macht...
 

bye
 

hotep



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Teilchenzoo
2010-01-11T14:06:29+00:00 11.01.2010 15:06
Es sieht wirklich so aus, als wäre dies ein Mord unter Menschen.

Kann es auch Bauer sein, der seine Schachfigur loswerden musste? Der hätte die Leiche nicht in seinen Garten gelegt und wäre als Vampir sicher zu einer "klügeren" Mordart fähig. Unter diesen Argumenten eher nicht.

Aber ... ein rivalisierender Vampir vielleicht? Einer, der selbst ein "Arzneimittel"-Syndikat führt, und nun den Gegner unter Aufsicht der Inquisition stellen will? Möglich ...

Der Gorilla wäre nicht clever genug für so ne offenbar ausgefeilte Mordtechnik. Noch andere Verdächtige ...?

Wie um alles in der Welt wurde Meinhardt umgebracht?? Wie blutet ein Mensch so aus? Geschächtet? Und dann blitzeblank gewaschen??

Lg neko
Von: abgemeldet
2010-01-08T13:38:28+00:00 08.01.2010 14:38
Warum darf der Kadash keine Verbrechen an Menschen anden? Wer außer ihm sollte es sonst tun? Schließlich können Menschen, die Tiere quälen, ebenfalls von ihren Artgenossen bestraft werden.

Im Moment sieht es allerdings so aus, als würde es sich doch mehr um einen Mord ausschließlich unter Menschen handeln. Oder es möchte doch jemand möchte Bauer etwas anhängen.

Ich hoffe, dass Sarah noch rechtzeitig herausfindet, dass Cuillin sie für eine Agentin des MI6 hält, wäre schade, wenn ihre Zusammenarbeit so schnell wieder beendet werden würde.

Wünsch dir ein schönes Wochenende
LG

Zwiebel
Von:  kiji-chan
2010-01-07T22:14:38+00:00 07.01.2010 23:14
Erste!
Das Kapitel war ja der Oberhammer!!

Der Mafia-Vampir mit seinem Gorilla und seinem Wachhund. Auf sowas muss man kommen.
Dieser Johny ist einfach so ein richtiger Gorilla. Ich versteh nicht, wozu ein Dracula einen Gorilla braucht. Image?

Und das mit den Arzneimitteln. *hust* so kann man es auch sagen.

Die Beute scheut den Jäger, nur leider dachte in unserem Falle die Beute, er wäre der Jäger. Nicht beim Jäger der Jäger.

Und Inspektor Cuillins Theorie, was Sarah ist... rofl. Ich liebe das Kapitel, es ist einfach GENIAAAAAL!!!

Kiji freut sich auf nächste Woche. Nyu <3


ncha!
Kiji
Von:  dice70391
2010-01-07T22:03:50+00:00 07.01.2010 23:03
...ja wie immer in solchen Fällen...Vampire sind nunmal aufgrund ihrer "erhöhten" Lebensdauer in fast allen Geschäftsbereichen erfolgreicher als Menschen es je sein könnten, weil sie viel langfristiger planen können...

naja trotzdem bleibt der eigentliche Mord weiter äußerst rätselhaft...

dice


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