Think Twice Destiny~
Es war schon seltsam gewesen. Ein leichter Windhauch, ein kleiner Wink des Schicksals, leichter Regen, der alles abwusch, was nicht seligrein war. Kein Wort… Stille. Wieso war sie hier? Was hatte sie dazu getrieben, erneut diesen Ort voller schrecklichen und wohltuenden Erinnerungen aufzusuchen? Was war es, das sie suchte? Noch heute Morgen schien das Schicksal einen anderen Pfad für sie einzuschlagen…
Noch während die ersten Sonnenstrahlen auf ihrer blassen Haut ein leichtes Wohlgefühl hinterließen, sangen draußen vor ihrem Haus nicht nur Vögel ihr erstes Lied, nein, das ganze Dorf schien in feierlicher Stimmung vereint. Langsam rutschte ihr eine Strähne ihres offenen Haares über das Gesicht. Das kribbelnde Kitzeln, das es hinterließ, als es sie an ihrer Nase entlangfuhr, entnahm ihr ein leises Seufzen, gefolgt von einem Zusammenziehen der Gesichtsmuskeln. Doch noch hatte sie nicht das Bedürfnis, ihre Augen zu öffnen.
Wieso auch, immerhin war sie so lange Zeit von ihrem Zuhause getrennt gewesen. Der letzte Auftrag war wirklich nicht das gewesen, was sie sich erhofft hatte. Und sie wusste zwar nicht, was es mit diesem Fest auf sich hatte, doch eines war sicher; Sie wollte im Moment einfach nur dem friedlichen Treiben lauschen, anstatt sich in die freudigen Vorbereitungen zu werfen. Die Wogen der Lieder, der Hauch des Windes und die warmen Sonnenstrahlen… dies hier musste einfach das Paradies sein. Langsam begann sie, sich zu strecken, ihre müden Glieder knacksten zum Teil einfach nur verständnislos. Leicht runzelte sie die Stirn. Nach dem ersten Blinzeln war ihr klar, dass sie nun so oder so keinen Schlaf mehr finden würde, also versuchte sie einfach, sich vom Elan der anderen anstecken zu lassen. Und doch schien dieser Tag etwas Seltsames mit sich zu bringen. Egal wie schön oder gut er auch zu sein schien… er hielt etwas verborgen. Langsam zog sie ihr Nachtgewand aus und ihre Kleidung an. Für einen kurzen Moment hielt sie inne und betrachtete sich von oben herab. War sie weiblich? Begehrenswert? War sie wirklich eine Frau? Manchmal wusste sie es nicht. In ihren Augen war sie weder besonders weiblich, noch sonderlich burschikos. Sie war eben sie. Ihre Arbeit, ihre Verpflichtung. Und so war es schon immer gewesen.
Sie beschloss, sich ihr Gesicht im kalten Wasser des Flusses zu waschen. Sie hatte noch nicht einmal ganz das Haus verlassen, da konnte sie schon die ersten Blicke auf sich ruhen spüren. Es war seltsam. Die Männer schienen sie erwartungsvoll anzusehen, die Frauen eher neidisch. Überall hingen kleine Papierleuchten und bunte, von Kindern gebastelte Dekorationen. Eine Art Bühne schien auf einem Stück Wiese aufgebaut worden zu sein, und überall erklangen Lieder. Schon beängstigend, bedachte man doch, dass sie hier immerhin das Oberhaupt war, und doch von nichts eine Ahnung zu haben schien. Nicht einmal von ihrem eigenen Schicksal.
Man sagt, es sei erbarmungslos und schlage genau dann zu, wenn man nicht damit rechnete. Und erneut bewahrheitete sich diese Aussage…
„Sheena? Wie geht es dir?“
Seltsam, dass jemand das fragte. Wieso sollte jemand nach all dieser fröhlichen und ausgelassenen Stimmung zu ihr an den Fluss in die Einsamkeit kommen, um sie nach ihrem Wohl zu fragen? Eine alte Freundin stand vor ihr und blickte mit besorgten Augen in ihr Gesicht.
„Wieso? Was soll denn schon sein? Mir geht es gut, immerhin konnte ich letzte Nacht das erste Mal seit langem wieder stressfrei schlafen und bin heute von guter Laune geweckt worden.“
Ungläubig blickte die Gefährtin ihrer Vergangenheit sie an. Etwas in ihrem Blick beunruhigte Sheena zutiefst. Irgendetwas schien hier nicht zu stimmen… „Nun ja… ich hatte eben nicht damit gerechnet. Du bist doch sonst immer so eigen und aufsässig. Ich konnte mir eben einfach nicht denken, dass du dich tatsächlich einfach so der Tradition beugst.“
Was genau meinte sie, "der Tradition beugen"? Die Wäsche im Fluss? Das morgendliche Aufstehen? Nein, jetzt wurde sie wirklich albern. Aber doch konnte sie nicht umhin, ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend zu verspüren.
„Was genau meinst du damit?“ Ein leichter Wind spielte mit ihren noch immer offenen Haaren. Es gab Zeiten, da empfand sie es als unnötig, ihre Haare hochzubinden, was nur verständlich war, denn immerhin waren sie ihr jetzt nicht dank irgendwelcher Streitigkeiten im Wege. Doch dieses Gefühl gerade in diesem Moment einen Fehler zu machen, nur weil sie ihre Existenz an ihrem Heimatort lebte, wollte einfach nicht von ihr weichen. Es stimmte einfach nicht….
„Nun… dass du… na ja, du weißt schon.“ Sie seufzte, irgendetwas schien ihr schwer über die Lippen zu gehen. „Na ja, dass du dir heute Abend deinen Mann aussuchen wirst und… nun… deine Jungfräulichkeit verlierst.“
Schachmatt.
Sie war sprachlos. Kein Wort drang über ihre Lippen und kein Gedanke wagte sich in ihren Kopf. Eine einzige Stille. Nur das Rauschen des Windes schien sie zu trösten, oder sie zu verspotten. Dieses „Ritual“, diese uralte „Tradition“, war etwas, das sie schon vor ewiger Zeit vergessen hatte. Sie hatte nur ein einziges Mal davon gehört. Sie war noch ein kleines Mädchen gewesen, hatte all dem nicht viel Bedeutung zugewiesen. Wann immer ein neuer Anführer im Dorf gewählt wurde, gab es ein Fest. Und zwar genau ein Jahr nachdem dieser sein Amt betreten hatte. Während dieses Fests wird er als „voll“ anerkannt. Sollte das Oberhaupt zu diesem Zeitpunkt schon älter sein, ist es reine Formalität, denn ab einem gewissen Alter waren seltsamerweise alle Menschen in Mizuho verheiratet. Sollte es allerdings ein junges Mitglied des Dorfes sein, so war es noch rein, aber auch unerfahren. Und aus diesem Grund musste ihm oder ihr ein Begleiter an die Seite gestellt werden. Es war wie ein einfaches Auswahlprinzip. Im Laufe des nächtlichen Festes würden alle jungen Männer mit ihr sprechen. Und derjenige, den sie am ernsthaftesten empfand, sollte ihr Begleiter – ihr Mann werden. Um das Eheversprechen zu besiegeln, solle sie ihm in gleicher Nacht noch ihre Jungfräulichkeit schenken. Nun war ihr alles wieder klar. Alles kam auf einen Schlag zurück in ihr Bewusstsein, wie eine längst vergessene Geschichtsstunde, die einem zwar nicht bei der entscheidenden Arbeit, dafür aber zwei Wochen später bei einem sinnlosen Gespräch um Eindruck zu schinden wieder einfiel. Glasklar.
Genauso klar wie zwei andere Dinge. Zum Einen konnte sie eine solche Tradition nicht brechen, zum Anderen konnte sie das annehmen.
„Ist alles in Ordnung, Oberhaupt Sheena? Du bist so blass geworden.“
Sie war nervös. Etwas musste ihr einfallen. Und zwar schnell. Noch bevor sie wusste, was sie tat, war es auch schon geschehen.
„Natürlich, ich bin wahrscheinlich einfach noch ein bisschen fertig von meinem letzten Auftrag. Geh doch schon mal vor und kümmer dich mit den anderen um die Vorbereitungen. Ich komme bald nach.“ Sie lächelte schwach und machte keinen besonders glaubwürdigen Eindruck, doch was das Oberhaupt sagt, ist nun einmal Gesetz.
Und noch bevor sie sich versah, trugen sie ihre Beine auch schon durch den Wald. Weit, weit weg von dem Dorf, dem sie sich noch vor ein paar Minuten so nah gefühlt hatte. Ihre Gedanken drehten sich wie ein Wirbelsturm und waren auch genauso verheerend. Sollte sie wirklich die Tradition brechen? Oder war es einfach besser, sich ihr zu beugen, um als gutes Beispiel voranzugehen? Gab es denn jemanden, mit dem sie bereit gewesen wäre, ihr Leben zu verbringen? Auch wenn es nur Mittel zum Zweck wäre?
All diese Dinge ließen sie regelrecht über Stöcke, Steine, Wiesen und auch Felder, eine Brücke und Wege huschen, ohne dass diese überhaupt nur registrierte, wie weit sie sich schon von Mizuho entfernt hatte, wie lange sie schon ohne Pause lief. Und sie hatte genauso wenig die Tränen auf ihren Wangen, wie den Regen in ihrem ganzen Gesicht bemerkt.
Als sie zur Besinnung kam, war es bereits zu spät gewesen. Große, unüberwindbare Mauern ragten vor ihr auf, als wollten sie sie demütigen, sie einschüchtern. Der Regen hatte schon längst ihre Kleidung und ihre Haare durchnässt, die dicken schweren Wolken die Sonne verdeckt. Sie stand hilflos da und blickte in ein bekanntes Gesicht.
„Zelos…“, hauchte sie mit versagender Stimme, während sie ihn auf der anderen Seite des noch offenen Tores im Regen stehen sah…
Es war schon seltsam gewesen. Ein leichter Windhauch, ein kleiner Wink des Schicksals, leichter Regen, der alles abwusch, was nicht seligrein war. Kein Wort… Stille. Wieso war sie hier? Was hatte sie nur dazu getrieben, erneut diesen Ort voller schrecklichen und wohltuenden Erinnerungen erneut aufzusuchen? Was war es, das sie suchte? Noch heute Morgen schien das Schicksal einen anderen Pfad für sie einzuschlagen…