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Mondlicht

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Kapitel 9

Diese Geschichte bleibt übrigens OotP- u. HBP-Spoiler-frei
 

Mondlicht

Kapitel 9
 

Ich wusste nicht genau, was es war, das mich weckte. Mein Gefühl sagte mir jedoch, dass ich noch nicht allzu lange geschlafen hatte. Als ich langsam meine Augen aufschlug, um mich umzusehen und mich anschließend auf die andere Seite drehte, um weiterzuschlafen, fiel mein Blick auf Potter. Er saß in Boxershorts an seinem Schreibtisch im schwachen Licht seines Zauberstabes und schrieb irgendetwas mit seiner Adlerfeder auf ein Stück Pergament. Ich musterte ihn verschlafen und stellte fest, dass er noch weitaus dünner war, als es in seinen Sachen den Anschein hatte.
 

- Er sollte mehr essen. - , dachte ich verschlafen und dann fiel mir ein, dass ich ihn genau damit ja schon am Anfang des Schuljahres aufgezogen hatte. Seltsam, dass er bei den Mengen, die er in Hogwarts verdrückte, nicht längst durch die Schule rollte. Meine Gedanken brauchten etwas, um wieder in Schwung zu kommen und deshalb registrierte ich zuerst auch nicht, dass ich mir im Geist unbewusst einige Notizen zu seinem Körperbau machte.
 

Etwas mehr auf den Rippen hätte ihm zwar sicher nicht geschadet, aber er war trotzdem nicht zu mager. Seine Taille war im Vergleich zu seinen Schultern erstaunlich schmal und gab ihm einen leichten femininen Touch, ohne ihn jedoch allzu weiblich erscheinen zu lassen. Unter seine Haut, die von Natur aus etwas gebräunt war, im Moment jedoch etwas blass wirkte, zeichneten sich Dank des Quidditch-Trainings wohlgeformte Muskeln ab. An der Stelle, an der ich jedoch bei seinen schlanken Beinen ankam, brach ich meinen Gedankengang hastig ab.
 

"Was machst du da?", nuschelte ich. Anscheinend war meine Stimme weit weniger munter, als ich. Erst jetzt bemerkte ich, dass er an vielen Stellen blaue Flecken hatte. Er musste sich ja ordentlich gegen die Todesser gewehrt haben. Was hatte mein Vater gesagt? > ".... hat mich gebissen, das kleine Biest...." < Ja, das passte zu ihm. Harry Potter ließ sich nicht einfach ohne Gegenwehr entführen. Unbewusst stahl sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen.
 

Er blickte über seine Schulter. "Oh, habe ich dich geweckt?" Lag es an mir und daran, dass ich noch ein wenig schlaftrunken war, oder klang seine Stimme wirklich ungewöhnlich sanft?
 

Energisch blinzelte ich die Müdigkeit fort und setzte mich auf. "Was machst du da?", wiederholte ich, dieses Mal mit mehr Nachdruck.
 

"Ich mache Hausaufgaben..... Ich konnte nicht schlafen", fügte er nach kurzer Pause hinzu.
 

Stirnrunzelnd blickte ich auf sein improvisiertes Bett. Hm, da hätte ich wahrscheinlich auch nicht schlafen können. Dieses Kopfkissen verursachte sicherlich schlimme Nackenschmerzen und die Decken sahen aus, als würden sie unangenehm auf der Haut kratzen. Als ich Potter wieder anblickte, wurde mir bewusst, wie sehr er Schlaf brauchte.
 

Seine hellgrünen Augen waren seltsam dunkel und stumpf und unter ihnen lagen deutlich sichtbare Augenringe. Sein Körper schrie förmlich nach dem Schlaf, der ihm nicht vergönnt war. Seufzend schlug ich die Bettdecke zurück. "Komm schon her."
 

Seine Augen weiteten sich überrascht und er starrte mich an. "Was?"
 

"Es ist natürlich deine Entscheidung, ob du Schlaf brauchst oder nicht, aber ich sage dir Potter: Du siehst wirklich fertig aus. Wenn du mir nicht allzu nah auf die Pelle rückst, ist es okay, wenn wir uns heute dein Bett teilen. Danach müssen wir allerdings eine andere Lösung finden."
 

Er musterte mich eine Weile, dann das Bett und schließlich schien seine Müdigkeit zu siegen. Er legte die Feder beiseite, rollte das Pergament ein, schraubte das Tintenfass zu und kam zu mir herüber. Ich rutschte an die Wand, um ihm nicht näher kommen zu müssen, als unbedingt nötig und er legte sich zögernd an den äußeren Rand des Bettes. Er holte sich einen Zipfel des Kopfkissen heran, zog die Decke über seinen Körper und schloss wortlos die Augen. Aber auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln.
 

Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren, auch noch, nachdem mir regelmäßige Atemzüge verrieten, dass er eingeschlafen war. Als ich schließlich selbst die Augen schloss und wieder in einen tiefen Schlummer driftete, begleitete mich dieses Lächeln durch meine wirren Träume.
 

Normalerweise erinnerte ich mich kaum an meine Träume, aber dieses Mal war es aus irgendeinem Grund anders. Mir war ständig, als würde ich beobachtet und in beinahe jedem Traum war ich auf der Flucht vor irgendetwas. Doch ich erinnerte mich auch an eine merkwürdige Wärme, die mich die ganze Zeit begleitete. Jemand war an meiner Seite, jemand, der mein Schicksal teilte, dem ich vertrauen konnte und der mich beschützte. Ich sah nicht mehr von ihm, als einen Schatten, und doch war es seltsam beruhigend, zu wissen, dass er da war.
 

Als ich wieder aufwachte, fühlte ich mich ungewöhnlich zufrieden, und ich wusste nicht, warum. Ich war im Schlaf ein Stück von der Wand in die Mitte des Bettes gerückt. Meine rechte Körperhälfte war ungewöhnlich warm und auf meiner Schulter lastete ein ungewohntes Gewicht. Nachdem ich die Augen geöffnet hatte, war mir schnell klar, woher das kam.
 

Auch Potter war in die Mitte des Bettes gerückt und lag jetzt an meine Seite geschmiegt, ein Arm über meinem Bauch. Seinen Kopf hatte er an meine Schulter gebettet und ich hatte den Eindruck, dass sein Lächeln breiter geworden war. Das war aber noch nicht alles. Zu meiner allergrößten Verwunderung hatte ich meinen Arm um ihn gelegt und drückte ihn an mich.....
 

Es war zwar äußerst merkwürdig, aber durchaus etwas, an das ich mich beim Aufwachen gewöhnen könnte. Beängstigend. Ich ließ meine Augen wieder zufallen und erlaubte mir, das Gefühl seines warmen Körper an meinem zu genießen. Es war wie die verbotene Frucht im Paradies und ich würde für ihren Genuss sicherlich bestraft werden, doch das zählte in diesem Moment nicht.
 

Einen flüchtigen Augenblick wunderte ich mich darüber, wie perfekt sich sein Körper an meinen schmiegte, wie perfekt wir zusammen zu passen schienen. Dieses friedliche und vertraute Beieinander würde ich sicher nicht noch einmal erleben, und vielleicht war das der Grund, weshalb ich versuchte, jede einzelne Sekunde zu genießen. Sie in meinem Gedächtnis zu verwahren für die Ewigkeit.
 

Harry war bestimmt nicht begeistert, wenn er aufwachte und uns in dieser Situation fand, denn wer wollte sich schon gerne mit seinem Erzfeind in dieser Position wiederfinden? Doch für mich bedeuteten diese Augenblicke so unendlich viel. Es war, als wäre eine Tür in meinem Herzen aufgestoßen worden und die Gefühle, die ich über Jahre hinweg unterdrückt hatte, quollen hervor. Sie waren so ungewohnt und fremd und gleichzeitig so intensiv und tiefgehend, dass ich sie nicht mit Worten beschreiben konnte.
 

Es tat seltsam weh, zum ersten Mal bewusst zu realisieren, dass ich so starke Gefühle für ihn empfand, doch es war eine süße Qual. Später würde ich diese Gedanken wahrscheinlich darauf schieben, dass ich mich im Halbschlaf befunden hatte und deshalb nicht zurechnungsfähig gewesen war. Doch ich würde mich selbst belügen. Selten hatte ich mich so wach und lebendig gefühlt, wie in diesem Augenblick.
 

Plötzlich begann Harry sich zu bewegen und ich flüchtete mich in die einzige Alternative, die mir auf die Schnelle einfiel: Ich stellte mich schlafend. Tat, als bemerke ich nicht, wie Potter neben mir erwachte und ich spürte, dass er sich unvermittelt versteifte und seinen Kopf ruckartig anhob. Er hatte wohl gerade registriert, in welcher Lage er sich befand. Ich konnte nicht leugnen, dass ich gespannt war, wie er reagieren würde.
 

Eigentlich rechnete ich ja damit, dass er aus meinen Armen und dem Bett floh, doch was er tatsächlich tat, erstaunte mich über alle Maßen. Er ließ seinen Kopf mit einem leisen Seufzen auf meine Schulter zurücksinken und drückte sich wieder sanft und entspannt gegen mich. Seine Finger bewegten sich kurz und zögernd über meine Haut und er seufzte erneut.
 

Merlin sei Dank lag er an meiner rechten Seite, sonst hätte er an meinem rasenden Herzschlag sofort erkannt, dass ich wach war. - Müde. Er ist einfach noch müde und schert sich deshalb nicht darum. Ja, das muss es sein... - Nun wäre es an mir, zu "erwachen", doch ich konnte mich nicht bewegen. Konnte es nicht über mich bringen, unser Beieinander zu stören und ihn aus meiner Umarmung zu vertreiben.
 

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis er sich schließlich streckte und vorsichtig aus dem Bett krabbelte, um mich nicht zu wecken. Ich wusste nur, dass es war eindeutig zu wenig gewesen war! Die Enttäuschung, die sich in mir ausbreitete, nachdem er das Zimmer verlassen hatte, konnte ich nicht einfach leugnen.
 

Ich wartete, bis ich ihn im Haus herumwerkeln hörte, bevor auch ich mich aus dem Bett bequemte. Mit dem Aufstehen schien auch gleichzeitig meine Herzenstür zuzufallen, und ich stellte erleichtert fest, dass mein Verstand nicht mehr mit so vielen, überflüssigen Gefühlen überschwemmt wurde.
 

ooOoOoo
 

Gedankenverloren stocherte ich in meinen Cornflakes herum. Es war so merkwürdig gewesen, aufzuwachen und zu spüren, ich war nicht allein. Ich meine, natürlich konnte man nicht davon sprechen, dass ich in Hogwarts alleine war, wenn ich aufwachte, aber das war etwas anderes.
 

Ich hatte mich so seltsam sicher und geborgen gefühlt, wie nie zuvor in meinem Leben. Entsprechend groß war der Schreck, als ich feststellte, dass es Draco war, an den ich mich so zufrieden kuschelte. Doch er schien zu schlafen und in einem Anflug leichter Geistesverwirrung hatte ich mich entschlossen, die friedliche Situation einfach auszunutzen und hatte meinen Kopf zurück an seine Schulter gelehnt.
 

Es war schon komisch. Ich hatte mir nie zuvor ernsthaft Gedanken gemacht, wie es wohl wäre, wenn man demjenigen, den man liebte, so nahe war, wie ich Malfoy heute beim Aufwachen. Doch mir war sofort klar gewesen, dass es sich genau so anfühlen musste. Danach sehnte ich mich. Mit Malfoy fühlte es sich merkwürdig richtig an. Und seine Haut war so weich.....
 

Etwas von dem Gefühl dieser Momente war in meinem Herzen zurückgeblieben. Ich ertappte mich dabei, mich in seine Arme zurückzuwünschen und fühlte, wie mir prompt das Blut in die Wangen stieg. Nein, so etwas sollte ich nicht denken. Wenn ich mich meinen Gefühlen hingab, würde ich verletzt werden. Malfoy würde mir mit Sicherheit weh tun. Warum sollte er meine Gefühl für ihn verstehen, geschweige denn, sie erwidern?
 

Ich sah auf, als ich das Scharren eines Stuhls über den Küchenboden hörte und sah, wie sich Malfoy zu mir an den Tisch setzte. Er wirkte hier völlig fehl am Platz. Dieser schlichte Holzstuhl in einer einfachen Muggelküche passte nicht zu seiner aristokratischen Ausstrahlung. Er saß mir ruhig gegenüber und als ich ihn betrachtete, wurde mir klar, warum er als der ungekrönte Prinz von Slytherin bezeichnet und auch so behandelt wurde.
 

Im ersten Schuljahr mochte er ja vielleicht noch ein unreifer Bengel gewesen sein, der sich hinter seiner Herkunft und seinem Vater versteckte und es liebte, anderen gemeine Streiche zu spielen oder sie zu beleidigen. Nicht, dass er die letzte Angewohnheit abgelegt hätte, aber er war erwachsener geworden. Seine kindliche Boshaftigkeit war etwas gewichen, das ich nicht genau bestimmen konnte. Eine Aura von Macht und Autorität vielleicht, die die Aufmerksamkeit der Menschen in seiner Umgebung erregte und sie dazu brachte, ihm von Anfang an Respekt zu zollen.
 

Er musterte mich mit undefinierbarem Blick und starrte schließlich meine Schüssel Cornflakes angewidert an. "Potter, was, beim Barte des Merlin, ist *das*?"
 

Ich folgte seinem Blick und betrachtete den inzwischen recht matschigen Inhalt meiner Schüssel. "Das, Malfoy, sind Cornflakes mit Milch und man kann das Zeug sogar essen. Ist fast so etwas wie Müsli und das kennst du ja wohl aus Hogwarts. Hast du Hunger? Möchtest du es mal probieren?"
 

Er bedachte mich mit einem Blick, als hätte ich ihn gefragt, ob er nicht ein paar lebende Flubberwürmer essen wolle. Ich runzelte die Stirn und versuchte ärgerlich zu werden, aber es wollte nicht recht klappen. "Es tut mir leid, dass ich Hochwohlgeboren kein Fünf-Gänge-Menü anbieten kann, aber wenn du etwas anderes außer einer Schüssel Cornflakes haben willst, musst du schon aufstehen und es dir selber machen. Ich werde jedenfalls nicht deinen Diener spielen."
 

"Vielleicht ist mir der Appetit bei deinem Anblick auch vergangen", gab er zurück und funkelte mich an, doch nicht nur mir und meinem Ton schien an diesem Morgen der rechte Biss zu fehlen. Unser Streit artete in etwas aus, das man beinahe als Necken bezeichnen konnte.
 

Irritiert stand ich auf, füllte eine Schüssel mit Cornflakes, gab einen guten Schuss Milch dazu und stellte sie ihm samt Löffel auf den Tisch. "Entweder isst du das jetzt oder du hungerst. Ist mir doch egal. Nur, weil du mir geholfen hast, bedeutet das nicht, dass ich nun dein Sklave bin."
 

"Aber du bist mir etwas schuldig." Seine Augen bekamen einen lauernden Ausdruck, den ich nicht einordnen konnte.
 

Ich nickte. "Richtig. So ungern ich es auch zugeben, ich stehe in deiner Schuld. Aber vielleicht kannst du dich trotzdem dazu herablassen, Muggel-Essen zu dir zu nehmen." Dann wandte ich mich scheinbar gleichgültig meiner eigenen Schüssel zu und beobachtete unauffällig, wie Malfoy sein Essen argwöhnisch beäugte, bevor er sich schließlich doch dazu durchrang, es zu probieren.
 

Er verzog das Gesicht. "Potter, wenn du nur solch labbriges Zeug zu dir nimmst, ist mir klar, warum du so ein Zwerg geblieben bist."
 

"Wahre Größe kommt von innen!"
 

"Eine ziemlich abgedroschene Phrase findest du nicht? Zwerg bleibt Zwerg. Punkt." Wieder dieses Halblächeln, das mir die Knie weich werden ließ. Ob man irgendwo lernen konnte, so zu lächeln?
 

"Tja", antwortete ich gedehnt. "Nur, dass der besagte Zwerg dich bisher immer im Quidditch besiegt hat. Peinlich, oder Malfoy?" Ich grinste zwar, fühlte aber, dass es mir schnell verging, als ich merkte, dass er zornig wurde. Ich war wohl etwas zu weit gegangen. Er starrte mich wieder durchdringend an und mit einem Mal fiel mir auf, dass ich zwar eine meiner Hosen anhatte, aber, ohne darauf zu achten, nach einem seiner Pullover gegriffen hatte. Oh Schreck, hoffentlich fasste er das nicht falsch auf!
 

Doch bevor er zu einer Erwiderung ansetzen konnte, fiel mein Blick auf seinen linken Unterarm. Der Pullover war etwas hochgerutscht und seltsamerweise zeichnete sich dort ein unförmiger Schatten ab. "Was ist das?" Ich deutete auf seinen Arm und als Malfoy selbst hinsah, erbleichte er schlagartig.
 

Er zog seinen Ärmel darüber und fauchte ungehalten: "Das geht dich nichts an, Potter! Steck deine Nase gefälligst in die Angelegenheiten anderer Leute!"
 

Ich blinzelte überrascht und aß schweigend weiter. Ich wartete geduldig, bis er seine Portion heruntergewürgt hatte und spülte unser Geschirr dann ab. In meinem Rücken fühlte ich seinen Blick brennen.
 

"Wo ist eigentlich dein Muggel-Anhang?"
 

Tja, das hatte ich mich auch schon gefragt. Ich zuckte mit den Schultern. "Weiß nicht genau. Vermutlich sind sie zu den Eltern von meinem Onkel gefahren. Das machen sie immer zu Weihnachten."
 

"Ist ihnen gar nicht aufgefallen, dass du nicht da bist?"
 

"Sie wussten doch, dass dieser Todesser mich mitgenommen hat. Sie dachten, er bringt mich in irgend so eine Herberge, in der elternlose, schulpflichtige Zauberer ihre Ferien verbringen können."
 

"So etwas gibt es doch gar nicht", erwiderte Malfoy in einem Ton, als könne er nicht glauben, wie unglaublich dumm meine Verwandten waren. Ausnahmsweise stimmte ich ihm zu. Ich konnte es auch kaum fassen. Ich zuckte erneut mit den Schultern.
 

"Willst du mir sagen, sie haben es nicht einmal überprüft, wohin sie ihren Neffen geben?"
 

Ich schüttelte den Kopf. "Nein." Es klang bitterer, als es sollte. "Dieser Todesser hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, überzeugend zu lügen." Ich stellte das saubere Geschirr mit etwas mehr Kraft als nötig zurück in den Schrank, wo es hingehörte. Als ich mich umwandte, begegnete ich Malfoys nachdenklichem Blick.
 

"Was?", fragte ich gereizt. Ich hatte mehr erzählt, als gut war. Jetzt würde er sich seine Gedanken dazu machen und wahrscheinlich die richtigen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Dabei war ich bisher immer froh gewesen, dass Malfoy nichts von meiner familiären Situation wusste. Jetzt hatte er noch etwas, über das er spotten konnte.
 

Doch er kam nicht mehr dazu zu antworten. Wir hörten, wie ein Auto auf das Grundstück fuhr und ich erstarrte einen Augenblick vor Schreck. Oh verdammt! Wie sollte ich meine Anwesenheit erklären? Und noch viel wichtiger: Wie sollte ich Dracos Anwesenheit erklären? Jetzt hieß es schnell handeln. Ich hörte, die Stimme meines Onkels, die sich der Haustür nährte. Ich packte Malfoy am Arm und drängte ihn in eine Ecke, wo er nicht sofort zu sehen war. "Sag nichts, lass mich reden. Und *bitte*, egal wie seltsam es sich anhört, was ich erzähle, spiel mit!" Ich musste wohl sehr verzweifelt geklungen haben, denn er nickte einfach nur perplex und protestierte nicht.
 

Die Tür wurde geöffnet und kaum eine Minuten später stand Dudley in der Küche. Er musste seine Jacke und seine Schuhe förmlich von sich geworfen haben, um zum Kühlschrank zu kommen, denn anders ließ sich dieses rasche Auftauchen nicht erklären. Wir starrten uns einen Moment an, dann machte er kehrt und watschelte davon.
 

"Papa, Harry ist wieder da", hörte ich ihn empört rufen und wappnete mich für das Schlimmste. Sekunden später stand auch schon mein Onkel im Raum. Sein Gesicht war vor Zorn hochrot angelaufen und er schnaufte wütend, bevor er mich anfuhr: "Was willst du denn schon wieder hier?" Dabei machte er den Eindruck, als wolle er jeden Augenblick handgreiflich werden.
 

"Ich bin rausgeflogen", log ich.
 

"WAS?! Kann man dich denn nirgendwo hingeben, ohne dass du Schwierigkeiten machst?", brüllte er und meine Ohren klingelten leicht. Entsetzt trat ich einen Schritt zurück, als er sich an seinem Gürtel zu schaffen machte. "Es reicht. Dieses Mal hast du es zu weit getrieben. Ich werde dich ein für alle Mal Respekt lehren" Nie hatte ich ihn so wütend erlebt. Und nie war er mit einem Gürtel in der Hand auf mich zugetreten, so wie jetzt.
 

Und das Lächerlichste an dieser Situation waren meine Gedanken. Ich dachte nicht daran, was Onkel Vernon im Begriff war zu tun, sondern nur, dass Malfoy es nicht mitkriegen durfte. Meine Augen flogen zu Draco, der sich in genau diesem Augenblick dezent räusperte, um auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen.
 

"Wer bist du denn?", schnappte mein Onkel und bedachte ihn mit einem drohenden Blick. Draco zeigte sich davon aber wenig beeindruckt, sondern sah ihm einfach nur gelassen in die Augen. In diesem Moment schien seine Ausstrahlung zu wirken, denn ich merkte, wie die Wut meines Onkels langsam verrauchte.
 

"Das ist ein alter Schulfreund von mir", warf ich leise ein. Inzwischen waren auch Tante Petunia und Dudley in der Küche erschienen. Dudley sah neugierig von seinem Vater zu mir, als könne er es nicht erwarten, dass er mir endlich eine Lektion mit dem Gürtel erteilte. Hätte ich in diesem Moment meinen Zauberstab zur Hand gehabt, hätte ich ihm einen Fluch auf den Hals gejagt, an den er sich bis ans Ende seines Lebens erinnert hätte. Wie konnte man nur so widerlich sein?
 

"Von... von *dieser* Schule?", hakte Tante Petunia nach. Sie konnte es immer noch nicht über sich bringen, Hogwarts beim Namen zu nennen.
 

Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Von der Grundschule."
 

"Da hattest du Freunde?", höhnte Dudley und musterte Malfoy interessiert.
 

"Mein Name ist Draco Malfoy", stellte er sich vor und reichte meinem Onkel höflich die Hand. Sein Vater mochte ihm ja nicht viel über Ethik und Moral beigebracht haben, aber Manieren hatte er, das musste der Neid ihm lassen. Auch Onkel Vernon schien beeindruckt.
 

"Den Namen kennst doch sicher, oder Onkel? Sein Vater ist der Topmanager bei BMW, kassiert irre viel Geld und hat eine Menge Einfluss." Ich war von mir selbst überrascht, dass ich bei dieser Lüge nicht rot anlief.
 

Plötzlich schien Draco in der Achtung meines Onkels enorm zu steigen. "Ach ja? Tja dann... Herzlich willkommen in meinem Haus. Ich bin Vernon Dursley, das ist meine Frau Petunia und mein Sohn Dudley."
 

Verblüfft sah ich zu, wie Malfoy sie alle formvollendet begrüßte. Meiner Tante gab er sogar einen angedeuteten Handkuss, was diese kichern ließ, wie ein Schulmädchen. Er spielte seine Rolle wirklich ausgezeichnet. Nicht einmal ich konnte aus seiner Mimik oder Gestik herauslesen, was er dachte, obwohl ich ihn jetzt schon so lange kannte.
 

"Weiß du, es geht nicht immer so zu, wie gerade", sagte mein Onkel sichtlich verlegen.
 

"Natürlich nicht", erwiderte Draco diplomatisch und seine Stimme war vollkommen neutral.
 

Innerlich seufzte ich erleichtert. Die schlimmste Hürde war genommen. Ab sofort würde mein Onkel alles tun, um sich bei dem Sohn des vermeintlichen Topmanagers einzuschmeicheln, meine Tante war sowieso begeistert von Malfoy und Dudley... hm, Dudley sah ihn merkwürdig an, aber es war kein Blick der Abneigung ausdrückte.
 

Sofort nahmen ihn die drei in Beschlag und zwangen ihn, im Wohnzimmer Konversation zu betreiben. Malfoy spielte seine Rolle weiterhin perfekt, doch als Onkel Vernon von seinen Berichten über seine Firma dazu überging, Witze zu erzählen, die allenfalls als Schlaftablette taugten, bröckelte die Fassade langsam. Er warf mir einen Blick zu, der mir sagte, dass ich ihn schleunigst da raus holen sollte, sonst würde ein Unglück geschehen.
 

Nervös trat ich aus meiner Ecke, in der ich bisher gestanden hatte, und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Es fühlte sich ziemlich seltsam an, meinen Erzrivalen auf so vertraute und freundschaftliche Art zu berühren. "Uhm... wisst ihr, eigentlich ist er ja gekommen, um mich zu besuchen. Macht es euch etwas aus, wenn wir auf mein Zimmer gehen, um die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen? Wir haben uns eine Menge zu erzählen."
 

Mein Onkel sah aus, als hätte er mich am liebsten in den Schrank gesperrt, doch er lächelte gezwungen und sagte. "Natürlich nicht, Harry." Mein Name klang aus seinem Mund wie die Bezeichnung eines ganz besonders widerlichen Insekts.
 

"Wie lange bleibst du denn, Draco?", fragte Tante Petunia liebenswürdig.

Ich spürte, dass er keine Ahnung hatte, was er antworten sollte und erwiderte schnell: "Eigentlich wollte er über die ganzen Weihnachtsferien bleiben. Am letzten Tag wollten wir dann eigentlich gemeinsam zum Bahnhof King's Cross in London, damit ich zur Schule und er nach Hause fahren kann. Ich hoffe, das ist euch recht. Sonst muss er natürlich mit seinem Vater telefonieren und ihn bitten, ihn früher abzuholen."
 

Und musste beinahe lachen über den Eifer, mit dem mein Onkel widersprach. "Nein, nein. Selbstverständlich kann dein Freund bleiben, solange er will. Er ist in diesem Haus ein willkommener Gast." *Im Gegensatz zu dir*, fügte er aus böse zusammengekniffenen Schweinsäugelein hinzu, doch mir macht es nichts aus. Ich war daran gewöhnt und tat, als würde ich es nicht bemerken.

Malfoy verabschiedete sich höflich aus der Runde und schaffte es sogar, ein Angebot von Dudley, mit ihm einige neue Computerspiele auszuprobieren, diplomatisch abzulehnen, ohne dass dieser beleidigt war. Kaum, dass wir die Treppe hinauf gelaufen waren und mein Zimmer betreten hatten, fiel alle falsche Gelassenheit von ihm ab. "Bei Merlin, deine Verwandten sind hochgradig bescheuert, Potter!" Dann tat er etwas, das ich noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte: Er fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar und brachte es so total in Unordnung. Wow, damit sah er umwerfend aus. Bei dieser unerwarteten Erkenntnis blieb mir glatt der Mund offen stehen, doch Draco schien meinen gebannten Blick zum Glück nicht zu bemerken. "Dass du immer noch halbwegs bei Verstand bist, nachdem du hier aufgewachsen bist, wundert mich."
 

Ich lächelte. Da waren wir ausnahmsweise ganz und gar einer Meinung. Draco ließ sich auf mein Bett fallen, während ich mich auf dem Boden niederließ, den Rücken an meinen Schreibtisch gelehnt. Er murmelte etwas Abfälliges, das wie "Muggel!" klang, und setzte sich dann auf, um mich erneut eingehend zu mustern.
 

"Potter, ich weiß nicht, ob du mutig oder einfach nur dämlich bist. Wenn so ein Walross auf mich zugewalzt käme, hätte ich ihn in eine andere Dimension geflucht."
 

Ich begriff, dass er auf den Vorfall in der Küche anspielte. "Ich hatte keinen Zauberstab dabei", erklärte ich schulterzzuckend.
 

"Das solltest du aber. Wenn man von Verrückten umgeben ist, sollte man sich immer verteidigen können." Wie zum Beweis zog er seinen eigenen Zauberstab aus seiner- wahrscheinlich magisch vergrößerten- Hosentasche. "Ich verstehe sowieso nicht, warum du dir das alles gefallen lässt."
 

"Draco..." Argh, verdammt! Jetzt war mir schon wieder versehentlich sein Vorname herausgerutscht und Malfoy zog auch prompt eine Augenbraue fragend in die Höhe. In der Hoffnung, nicht rot anzulaufen, fuhr ich hastig fort: "Es gibt ein Zauberverbot für Minderjährige in den Ferien. Ich habe keine Lust, wegen meinem Onkel der Schule verwiesen zu werden."
 

Er runzelte die Stirn. "Daran habe ich nicht mehr gedacht", gestand er und ich blinzelte verblüfft. Draco Malfoy gab zu, dass er einen Fehler gemacht hatte? Und das auch noch in meiner Gegenwart? "Um Malfoy Manor liegt ein Bann, der uns vor aufdringlichen Überwachungszauberern aus dem Ministerium schützt. Deshalb kann ich auch in den Ferien nach Belieben zaubern."
 

Ich wunderte mich etwas über seine Offenheit mir gegenüber, aber gleichzeitig freute es mich auch. Vielleicht war die Mauer aus Eis, die uns trennte, doch dabei zu schmelzen? "So einen Bann wirst du hier aber nicht finden. Außerdem ist da noch der Familienschutzzauber. Ich kann hier nicht einfach weg."
 

"Dieser tolle Familienschutzzauber nutzt aber nichts, wenn sie dich freiwillig den Wölfen zum Fraß vorwerfen." Dasselbe hatte ich mir auch schon gedacht. Ich nickte und schlug die Augen nieder. Ich wollte nicht, dass Malfoy noch mehr von dem Verhältnis meiner Verwandten zu mir mitbekam, aber ich konnte ihn auch schlecht vor die Tür setzen. Wir mussten hier weg! So schnell wie möglich.
 

ooOoOoo
 

Mein Ersteindruck von Potters Familie bestätigte sich auch während des folgenden Tages. Sie behandelten mich zwar wie einen König, doch ich fühlte mich trotzdem abgestoßen von ihnen. Und das lag wirklich nicht nur daran, dass sie Muggel waren.
 

Ich hasste sie für die Art, wie sie mit Harry umgingen. Es sollte mir eigentlich egal sein, doch jedes Mal, wenn ich sah, wie sie ihn behandelten, spürte ich kalte Wut in mir aufsteigen. Das ging schon am Frühstückstisch los. Dieses Nilpferd, das sie ihren Duddy-Spatz nannten, hatte eine Portion auf dem Teller, die ein halbes Todesserbataillon satt machen würde und Potter bekam den kümmerlichen Rest. Dabei würde eine Diät seinem Cousin ganz sicher nicht schaden. Harry beklagte sich zwar nie, aber ich war mir sicher, dass er nie satt wurde. Deshalb sah vermutlich auch so halbverhungert aus...
 

Ich konnte mir denken, warum er es stillschweigend über sich ergehen ließ. Er hatte Angst, zu viel über sich preiszugeben, so lange ich da war. Er fürchtete meinen Spott. Ich hatte mich des öfteren dabei ertappt, dass meine Finger in Richtung Zauberstab zuckten, wenn diese Muggel mit Potter sprachen. Diese offensichtliche Gefühlskälte und diese Abscheu hatte er nicht verdient. Nicht von diesen primitiven Muggeln. Sicher, ich sprach nicht viel anders zu ihm, doch das war überhaupt nicht zu vergleichen. Wir waren beinahe von Anfang an Rivalen gewesen, diese Leute hingegen waren seine letzten lebenden Verwandten. Sie sollten ihm mehr Achtung entgegenbringen. Vor allem, weil sie nicht viel mehr als einfache, schwache Muggel waren. Wertlos.
 

Überdies hatte ich den Eindruck, sie schienen den Begriff "Neffe" mit "Sklave" zu verwechseln. Tagsüber sah ich Potter kaum, weil er ständig irgendwelche Arbeiten zu erledigen hatte, während der Rest der Familie um mich herumscharwenzelte. Vor allem dieser Dudley schien sich einen Narren an mir gefressen zu haben. Ich hingegen konnte wirklich nicht behaupten, ihn besonders sympathisch zu finden. Im Gegenteil. Mein Magen begann schon zu rebellieren, wenn ich ihn aus zehn Metern Entfernung auf mich zuschwabbeln sah. Wie konnte man eigentlich so fett werden, ohne beim Schlafen vom eigenen Gewicht erdrückt zu werden?
 

Zudem schien er ernsthaft an mir interessiert zu sein. Beim Essen berührte sein Bein manchmal meines und ich hatte den Eindruck, als versuche er, mit mir zu füßeln. Jedes Mal hatte ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Unauffällig versuchte ich dann, meine Sitzposition so zu verändern, dass ich weit genug entfernt von Dudley saß und seine Berührungen nicht mehr ertragen musste.
 

Den restlichen Tag machte ich mir einen Spaß daraus, Potter beim Arbeiten zuzusehen und ihn aufzuziehen (vorausgesetzt, ich konnte seinen anhänglichen Verwandten entkommen), denn ich wusste, später in der Schule würde ich keine Gelegenheit mehr dazu haben. Schließlich wollte ich ja nicht zugeben, dass meine Weihnachtsferien in einem Muggelhaus verbracht hatte. Damit wäre mein Ruf vollkommen ruiniert.
 

Was mir jedoch Sorge machte, war mein linker Unterarm. Mein Vater hatte einen neu entwickelten, mächtigen Zauber darüber gesprochen, um das Dunkle Mal zu verdecken, doch inzwischen ließ die Wirkung rapide nach. Inzwischen war es wieder vollständig zu sehen und ich achtete darauf, immer Pullover mit langem Arm zu tragen- auch im Bett- denn Potter war der Letzte, dem ich dieses Geheimnis anvertrauen wollte. Wie würde er wohl reagieren, wenn er wüsste, dass er Nacht um Nacht mit einem Todesser in ein und demselben Zimmer schlief? Seine Verwandten hatten inzwischen ein Gästebett aufgetrieben, auf dem er schlafen konnte, aber er war mir immer noch beunruhigend nahe.
 

Wenn ich Nachts manchmal hochschreckte, und mich erst einmal orientieren musste, wo ich mich befand und vor allem, mit wem, ertappte ich mich, auf seinen ruhigen Atem zu lauschen und mich von ihm wieder in den Schlaf wiegen zu lassen. Es war verrückt. Eigentlich hätte ich erwartet, dass Potter und ich uns früher oder später an die Kehle gehen würden, doch je mehr Zeit ich mit ihm verbrachte, desto besser kam ich mit ihm zurecht... und desto stärker wurden meine Gefühle für ihn. Das war mir unheimlich. Es wurde Zeit, dass die Schule wieder anfing und wir in getrennten Schlafsälen schliefen.
 

Was mich jedoch noch viel mehr beunruhigte, als diese Sympathie für Potter, war, dass alles ruhig war. Normalerweise sollte das ein gutes Zeichen sein, aber in unserer derzeitigen Situation machte es mich nervös. Es fühlte sich an, wie die Ruhe vor dem Sturm und ich hoffte inständig, dass ich mich irrte. Dass nicht etwas wirklich Großes auf uns zukam.
 

Vielleicht waren wir auch nur deshalb noch nicht von Todessern umzingelt, weil sie uns nicht für so dumm hielten, uns an dem Ort zu verstecken, an dem sie zuerst nach uns suchen würden.
 

Was es auch war, das uns die Todesser bis jetzt vom Hals gehalten hatte, es hielt sicher nicht ewig. Der Familienschutzzauber hinderte sie zwar daran, Harry etwas anzutun, aber ich hatte ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Potter hatte mir erklärt, dass seine Verwandten auf alles allergisch reagierten, das auch nur im Entferntesten nach Zauberei roch. Wenn sich ein Dutzend Todesser mit erhobenen Zauberstäben vor dem Haus versammelt hatte und unsere Herausgabe forderte, würden diese Feiglinge sicherlich keine Sekunde zögern, uns mit reinem Gewissen vor die Tür zu setzen.
 

Nachdenklich trat ich ans Fenster. Vielleicht sollten wir langsam verschwinden. Wir waren schon zu lange hier.
 

ooOoOoo
 

Feindselig starrte ich das Stück Fleisch vor mir an, bevor ich mich endlich an die Arbeit machte. Wieso musste es zum Abendbrot unbedingt Koteletts geben? Und warum musste ausgerechnet ich sie zubereiten, während meine Tante mit dem Telefonhörer in der Hand daneben saß, mit einer Bekannten den neusten Klatsch austauschte und mich gleichzeitig scharf beobachtete? Das Leben konnte so ungerecht sein.
 

Ich sah ja ein, dass ich im Haushalt mithelfen musste. Schließlich lebte ich hier und ich war durchaus bereit, meinen Teil zu einem ordentlichen Haushalt beizutragen. Aber ich verstand nicht, warum ich allein dafür verantwortlich sein sollte. Seit meine Verwandtschaft beschlossen hatte, dass Malfoy jemand war, den man sich warm halten musste, hatte ich doppelt so viel zu tun. Denn erstens war der Rest der Familie damit beschäftigt, sich bei Malfoy einzuschmeicheln und zweitens wollte man mich von ihm fernhalten. Vielleicht hatten sie Angst, dass er unserem Haus den Rücken kehrte, sobald er herausfand, dass ich ein Zauberer war. Narren. Als ob er das nicht schon lange wusste.
 

"Beeil dich mal ein bisschen", ertönte plötzlich Dudleys nörgelnde Stimme hinter mir und als ich den Kopf wandte, um ihm einen bösen Blick über die Schulter zuzuwerfen, sah ich an seinem Gesichtsausdruck, dass er ziemlich hungrig war. Und das, obwohl er erst vor zwei Stunden seinen Kuchen verspeist und in seinem Zimmer sicherlich Berge an Süßigkeiten gebunkert hatte. Manchmal war ich ernsthaft erstaunt, dass ein einzelner Mensch so viel essen konnte, ohne zu platzen.
 

"Es dauert noch ein bisschen", antwortete ich ihm etwas grummelig und schlug härter auf das Kotelett als nötig. Heute war es sowieso nicht gut um meine Geduld bestellt und ich hatte jetzt wirklich nicht den Nerv, mich mit ihm auseinander zu setzen. Da kam mir so ein wehrloses Stück Fleisch gerade recht, um meine unterdrückte Wut auf meine liebe Verwandtschaft und meine ganze vertrackte Situation abzureagieren.
 

Tante Petunia hatte ihr Gespräch inzwischen beendet und begann, die Pfannen heraus zu räumen, in denen gleich das Abendbrot brutzeln würde.
 

"Ich bin aber hungrig", quengelte Dudley und schaute mir über die Schulter. Ungeduldig schob ich ihn wieder weg von mir, weil ich seine Nähe nicht ertragen konnte, und handelte mir dabei einen Schlag gegen meine Rippen ein.
 

Genervt rollte ich mit den Augen, drehte mich zu ihm um und begann mit unheilverkündender Stimme: "Abrakadabra....." Mein Cousin quiekte entsetzt auf und flüchtete aus der Küche, doch ich hatte keine Zeit, ihm nachzusehen und mich darüber zu freuen, denn ich musste mich unter der Pfanne wegducken, mit der meine Tante nach mir schlug. "Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst das nicht machen!", keifte sie mit ihrer hohen Stimme und nur mit einer schnellen Drehung und dem instinktiven Einziehen meines Kopfes entging ich einem erneuten Hieb.
 

Gerade als ich den Tisch als Sicherheit zwischen uns beide gebracht hatte, ertönte von der Küchentür her ein leises Klatschen. "Tolle Performance, Potter." Einen Moment war ich wie erstarrt und als ich mich dann endlich umdrehte, sah ich Malfoy lässig im Türrahmen lehnen, sein übliches, spöttisches Grinsen auf dem Gesicht. - Oh, klasse! Woher hat er nur das Talent, in den unpassendsten Momenten aufzutauchen? -
 

Meine Tante stellte die Pfanne peinlich berührt dorthin zurück, wo sie sie hergeholt hatte, doch Draco schenkte ihr überhaupt keine Beachtung. Stattdessen sah er mich mit plötzlich ernstem Blick an. "Wir müssen reden, Potter." Und als er spüre, dass ich etwas erwidern wollte, fügte er hinzu: "*Jetzt*!"
 

Nach einem Blick auf meine Tante, zuckte ich schließlich mit den Schultern und ging mit ihm hinauf in mein Zimmer. Als ich das Licht einschalten wollte, hielt er meine Hand fest und schüttelte den Kopf. Er bedeutete mir, mit ihm zum Fenster zu kommen und ich tat es stirnrunzelnd.
 

"Wir müssen hier weg", flüsterte er und seine Stimme klang angespannt. Ich folgte seinem Blick nach draußen, sah aber erst einmal gar nichts. Alles war stockfinster. Dann fiel mir auf, woher diese Dunkelheit kam. Die Laternen in der unmittelbaren Umgebung waren erloschen. Seltsam.
 

Er gestikulierte hinunter in unseren Vorgarten und mir blieb beinahe das Herz stehen, als ich dort einen eigenartig unförmigen Schatten erblickte, der durch die Dunkelheit glitt. "Was ist das?", fragte ich, denn so etwas Merkwürdiges hatte ich noch nie gesehen. Ich war mir nicht ganz sicher, wo bei dieser Kreatur vorne und hinten war, denn sie schien ein einziger langgestreckter Schatten zu sein, der sich in einer Mischung aus katzenartigem Schleichen und schlangenähnlichem Kriechen durch den Garten bewegte.
 

"Ein Sucher." Als ich ihn stirnrunzelnd ansah, erklärte Malfoy weiter. "Der hat nichts mit Quidditch zu tun. Sucher sind schwarz-magische Geschöpfe, die in ihrer eigenen Welt leben und hier normalerweise nichts zu suchen haben, aber mächtige Zauberer können sie beschwören und ihnen ihren Willen aufzwingen."
 

"Und warum sollten sie das tun?" In diesem Moment hob das Wesen seinen Kopf, der mir in der Dunkelheit recht eckig und unförmig erschien Ich konnte nicht genau sagen, was es tat, aber es sah so aus, als würde es... schnüffeln?
 

"Sucher sind die besten Bluthunde, die du dir vorstellen kannst. Kaum jemand ist ihnen bisher entkommen." Als sich das Geschöpf nun aufrichtete, erinnerte es mich in seiner nach vorne gebeugten Haltung entfernt an die Muggelbilder von Werwölfen, die auf ihren Hinterbeinen standen und beinahe menschlich anmuteten. Allerdings musste es einen ausgewachsenen Mann um mindestens zwei Köpfe überragen. Es war zu dunkel, um irgendetwas Genaues ausmachen zu können, aber die Arme des Geschöpfes erschienen mir seltsam. Selbst in der Dunkelheit konnte ich erkennen, dass es weder Hände noch Pfoten hatte. An ihrer Stelle befand sich etwas, das ich nicht genau definieren konnte. Etwas, das nur aus langen spitzen Klauen zu bestehen schien. Der Kopf bewegte sich suchend hin und her und nun war ich mir sicher, dass das Wesen eine Witterung aufnahm.

Ich schluckte und sah Draco an, weil ich den Anblick dieser Kreatur dort unten nicht mehr ertragen konnte. Sie machte mir Angst. Es war ähnlich wie bei den Dementoren. Nur dass das Gefühl dieses Mal ein anderes war. Keine Kälte, sondern Furcht. "Woher weißt du das?"
 

"Ich habe darüber in einem Buch gelesen, das mir Vater zu Weihnachten geschenkt hat." Sein Blick war immer noch fest auf den Vorgarten fixiert und seine Augen verfolgten jede Bewegung des Suchers. "Weißt du, was er da unten macht?"
 

Ich schüttelte den Kopf und wollte es ehrlich gesagt auch gar nicht wissen. Am liebsten wäre es mir, diese Kreatur würde einfach wieder dorthin verschwinden, wo sie hergekommen war. Das war natürliches bloßes Wunschdenken. Wer uns den Sucher geschickt hatte, war klar. Voldemort oder einer seiner hochrangigen Todesser. Unsere Jäger. Und sie würden ihren Bluthund mit Sicherheit nicht zurückpfeifen, bevor sie ihre Beute erlegt hatten.
 

"Er sucht eine Lücke im Familienschutzzauber."
 

"A-aber nicht einmal Voldemort kann ihn überwinden. Willst du mir sagen, dass dieser Sucher mächtiger ist als Voldemort?"
 

Er schnaubte. "Natürlich nicht. Aber die Zauber dieser Welt sind dafür geschaffen, Wesen dieser Welt zu schützen oder fernzuhalten. Kreaturen, die aus anderen Welten stammen, wie unser Freund da unten, sind nur bedingt beeinflusst. Natürlich ist der Familienschutzzauber zu mächtig, als dass der Sucher einfach ins Haus spazieren könnte, aber kein Zauber ist perfekt und er wird eine Lücke darin finden."
 

"Und dann?" Verdammt, meine Stimme klang eindeutig ängstlicher, als beabsichtigt.
 

Dracos silberne Augen bohrten sich in meine. "Das kommt auf seinen Auftrag an. Seine Krallen sind scharf genug, um mühelos durch menschliche Haut zu gleiten und der Beute tödliche Verletzungen beizubringen. Andererseits ist es ihm aber auch möglich, über seine Klauen ein Gift abzusondern, das das Opfer für einige Stunden betäubt. So oder so. Das Ende wird für uns dasselbe sein."
 

Wir verstummten. Mein rasender Herzschlag kündigte eine herannahende Panikattacke an. - Ganz ruhig bleiben Harry. Einatmen und ausatmen. Genau so. Ganz ruhig. Du steckst nicht das erste Mal in einer scheinbar ausweglosen Situation. Und du bist nicht allein.... - Die Stille lastete schwer zwischen uns, bevor ich atemlos flüsterte: "Dann sollten wir schleunigst von hier verschwinden."
 

Und prompt wollte ich meine Worte natürlich in die Tat umsetzen. Ich wollte einfach nur von hier verschwinden, Abstand zwischen mich und diese Bedrohung bringen. Hier half kein Patronus, um mir meine Angst zu nehmen, wie bei den Dementoren, und ich wusste auch nicht, wie ich dieses Geschöpf bekämpfen sollte. Also blieb als letzte Variante nur noch das Davonlaufen übrig. Es würde natürlich in einer kopflosen Flucht enden, das war mir klar. Malfoy schien zu ahnen, was in mir vorging, denn noch bevor ich mich abwenden konnte, erwiderte er mit fester Stimme, die mich zum Einhalten ermahnte: "Ja, das sollten wir, aber wir können nicht einfach rausspazieren. Wir würden dem Sucher direkt in die Arme laufen."
 

"Und wenn wir meinen Tarnumhang benutzen?"
 

Draco schüttelte den Kopf. "Der Sucher ist kein Wesen, das sich mit seinen Augen orientiert. Genau genommen ist man sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt Augen hat. Zweifellos kann er Hell und Dunkel unterscheiden, aber mehr weiß keiner. Sicher ist jedoch, dass er sich am Geruch orientiert und den können wir schlecht überdecken."
 

Bedeutete das etwa, dass wir hier gefangen waren, dem Sucher den ersten Schritt überlassen mussten und uns sozusagen auf dem silbernen Tablett servierten?! Wieder zog sich mein Herz panisch zusammen und die Art, wie ich meine Augen aufriss war unmissverständlich. Ich schämte mich aber nicht, meine Angst in Gegenwart von Draco so deutlich zu zeigen. Wir saßen in einem Boot. Wenn er nicht ebenso viel Angst hatte, wie ich, dann wollte ich verflucht sein. Auch ein Malfoy war schließlich nur ein Mensch.
 

Sein Blick wurde für einen Moment sanft und als er mir beruhigend die Hand auf den Oberarm legte, spürte ich, dass er tatsächlich ein wenig zitterte. "Wir warten, bis er einen Weg ins Haus gefunden hat. Unser Geruch ist hier überall und er wird erst einmal verwirrt sein. Diesen Augenblick können wir nutzen, um zu flüchten, aber wir müssen uns beeilen. Sucher sind nicht dumm und sie sind schnell."
 

Das war so typisch für Draco. Selbst in solchen Situationen bewahrte er einen kühlen Kopf, während ich schon längst in mein Verderben gerannt wäre. In diesem Augenblick war ich so unglaublich dankbar, ihn an meiner Seite zu haben, aber ich schaffte es nicht, es ihm zu sagen. Allerdings war mir bei seinem Plan auch etwas unwohl zumute.
 

"Das heißt im Klartext, wir gehen jetzt runter, essen, gehen wieder hinauf, beobachten diese Kreatur und wenn alle schlafen, suchen wir uns einen relativ sicheren Platz im Haus und warten. Richtig?"
 

"Richtig", erwiderte er mit hochgezogener Augenbraue. "Wenn du einen besseren Plan hast, wäre ich erfreut, ihn zu hören." Er muss wohl an meinem Gesichtsausdruck erkannt haben, dass ich nicht besonders angetan von seiner Idee war. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er in meinem Gesicht lesen konnte, wie in einem Buch. Das Unfaire daran war, dass es umgekehrt nicht genauso funktionierte.
 

Ich seufzte. "Also gut. Es klingt nicht gerade nach einem wasserdichten Plan, aber ich habe leider keinen anderen Vorschlag. Machen wir es also auf deine Art." Das versprach eine nervenaufreibende Nacht zu werden.
 

To be continued...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2005-10-09T14:48:11+00:00 09.10.2005 16:48
Erster. Klass FF. Das Kapitel ist auch super.

Gruß

Serenity


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