Musik wird oft als störend empfunden, da sie mit Geräusch verbunden.
(Wilhelm Busch)
Lucy
Lied:
Herbert Grönemeyer
Musik nur, wenn sie laut ist
Sie sitzt den ganzen Tag auf ihrer Fensterbank,
lässt ihre Beine baumeln zur Musik.
Entspannt schließt Lucy die Augen. Vollkommene Stille umgibt sie, wie sie auf ihrer Fensterbank sitzt, und die Sonnenstrahlen tauchen die Welt hinter ihren geschlossenen Augenliedern in ein helles Orangerot.
Ihr rechtes Bein baumelt sanft über die Kante des Fensterbretts, wippt auf und ab im Takt der hämmernden Bässe, die die Wohnung erzittern lassen.
Der Lärm aus ihrem Zimmer macht alle Nachbarn krank,
sie ist beseelt, lächelt vergnügt.
Ihre Eltern waren arbeiten, wie immer. Sie arbeiteten beide den ganzen Tag, um die Behandlungen für Lucy bezahlen zu können.
Lucy fühlt sich nicht einsam.
Anfangs hatte sie sich verlassen gefühlt, doch die Schwingungen der Musik geben ihr neue Kraft, erinnern sie daran, dass alles halb so schlimm ist.
Manchmal beschweren die Nachbarn sich bei ihren Eltern über den Lärm, aber eher selten.
Sie weiß nicht, dass der Schnee lautlos auf die Erde fällt,
merkt nichts vom Klopfen an der Wand.
Lucy spürt nur die dröhnenden Bässe, die Sonne auf ihrem Gesicht und lächelt glücklich vor sich hin.
Die Nachbarin, eine ältere Dame, klopft energisch gegen die Wand, doch Lucy hört sie nicht.
Draußen sinken federleicht die ersten Schneeflocken zu Boden, direkt vor Lucys Nase. Aber das Mädchen hat die Augen fest geschlossen und bemerkt nichts von dem weißen Treiben vor der Fensterscheibe.
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist,
das ist alles, was sie hört.
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist,
wenn sie ihr in den Magen fährt.
Früher war Lucy in einem Chor gewesen. Ihre Singstimme war wunderschön gewesen, doch jetzt kann sie nicht mehr singen.
Die Vibrationen der lauten Musik sind das einzige, was Lucy noch hat. Sie spürt, wie die Bässe sie durchdringen und erfüllen und fast glaubt sie, den Klang des Liedes zu hören.
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist,
wenn der Boden unter den Füßen bebt,
dann vergisst sie, dass sie taub ist.
Lucy hört ihre Musik immer laut, so laut, dass der Boden davon bebt. Die Bässe vibrieren unter ihren Füßen, lassen sie erzittern und geben ihr das Gefühl, die Musik wirklich zu hören.
Früher hat sie viel Musik gehört.
Jetzt ist ihre Welt still.
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist,
das ist alles, was sie hört.
Lucy lächelte glücklich. Die Nachbarin hat inzwischen aufgegeben, der Schnee rieselt immer noch lautlos zu Boden.
Lucy wartet. Bald würden ihre Eltern wiederkommen.
Und dann war sie nicht mehr allein.
