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Nameless

You deserve to die
von

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Kapitel 2
 

Ungeschickt stolperte ich über einen Stuhl, als ich versuchte aufzustehen. Es dauerte einen Moment, bevor sich nicht mehr alles drehte und ich zur Tür gehen konnte. Mittlerweile war es dunkel geworden. In der Wohnung duftete es nach gebratenem Fisch und Gemüse. Erst da merkte ich, was für einen Hunger ich hatte. Als ich die Küche betrat stand der Junge mit Schürze am Herd und kochte. Wie war sein Name noch gleich? Mein Kopf fühlte sich furchtbar schwer an und es wollte mir nicht einfallen.

„Ren…?“

Und tatsächlich drehte er sich um und lächelte mich an.

„Na, bist du endlich von den Toten auferstanden? Du hast den ganzen Tag verschlafen. Der Boss war ziemlich sauer, als du nicht zu deiner Schicht erschienen bist. Ich habe ihm gesagt, dass du krank bist. Schließlich muss er ja nicht alles wissen.“

Ren zwinkerte mir zu und füllte das Essen auf zwei Teller. Bevor ich mich versah stand auch schon alles auf dem Tisch und Ren ließ sich seufzend auf einem Stuhl fallen.

„Ich bin für dich eingesprungen und hab ihm gesagt, dass du spätestens übermorgen wieder fit bist. Solange übernehme ich deine Schichten. Also iss alles auf, damit du schnell wieder auf die Beine kommst. Ich hoffe es schmeckt dir! Guten Apettit!“

Ich starrte auf das Essen vor mir. Ren sprach so schnell, dass ich mir nicht einmal die Hälfte merken konnte. Was erwartete er auch anderes von mir. Ich nickte nur abwesend und begann zu essen.

„Das ist wirklich gut. Danke.“

„Sch, nichts zu danken. Wenn du willst ist in der Pfanne noch ein Nachschlag.“

Schweigend aß ich meinen Teller leer und hing dabei meinen eigenen Gedanken nach. Auch die zweite Portion und den Nachtisch aß ich ohne Protest, obwohl ich mich nicht mehr hungrig fühlte und das Salz auf meiner Lippe brannte. Doch das störte mich nicht weiter. Denn seit ich aufgestanden war erschien immer wieder dieses Bild vor meinem inneren Auge. Es wollte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ich schob den Teller von mir weg und lehnte mich zurück.

„Danke noch mal.“, sagte ich und blickte ihn an.

Es war das erste Mal, dass ich Ren wirklich ansah. Lange Wimpern über dunklen, mandelförmigen Augen. Eine zierliche Nase, volle Lippen. Sein dunkles Haar war zerzaust und hing ihm leicht ins Gesicht. Insgesamt sah er sehr feminin aus. Ich würde schätzen, dass er gerade mal 16 war.

„Deine Lippe ist ja aufgeplatzt. Hat dich jemand geschlagen?“

Ich beugte mich über den Tisch um die Stelle genauer zu begutachten. Doch bevor es dazu kam stand er auf und begann den Tisch abzuräumen.

„Ist nichts schlimmes. Ich bin mal wieder gestürzt und hab mir die Lippe an einer Tischkante aufgeschlagen.“

Er wich meinen Blicken aus. Ren log, das war offensichtlich. Genaugenommen ging mich das aber auch nichts an und so hakte ich nicht weiter nach.

„Ich hab dir ein paar Sachen aufs Bett gelegt. Sie werden dir wahrscheinlich nicht passen, aber besser als nichts. Deine Sachen hab ich gewaschen. Aber die Blutflecken gehen nicht mehr raus. Und du könntest auch eine Dusche vertragen. Zweite Tür links.“

Lächelnd deutete Ren auf den Flur bevor er sich wieder dem Abwasch zuwand.

Ein schwaches Nicken war meine einzige Antwort.

Ich fühlte mich wie in einem wirren Traum. Alles wirkte so irreal. Außerdem war ich müde und mein Körper schmerzte immer noch an jeder erdenklichen Stelle.

Auf dem Weg zur Dusche wunderte ich mich über Ren. Er kümmerte sich wirklich gut um mich. Aber wieso? Und warum musste er dafür so viel reden?

Ich versuchte mich immer mehr zu isolieren und wollte für mich sein.

Langsam ging ich ins Bad. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Schließlich war es das erste Mal, an das ich mich erinnern konnte, dass ich mein Gesicht sah. Oder eher, dass was zu erkennen war. Mein rechtes Auge war leicht geschwollen, meine Lippe an mehreren Stellen aufgeplatzt. Am Kinn klebte ein großes Pflaster und um meinen Kopf wand sich ein weißer Verband. Trotzdem war eine erschreckende Ähnlichkeit zwischen mir und dem Mädchen auf dem Foto zu erkennen.

Mein Spiegelbild irritierte mich. Ich erkannte mich nicht wieder. Mein eigener Körper war mir fremd.

Das warme Wasser brannte auf meiner Haut. Doch ich genoss es und stellte es noch etwas wärmer. Wie lange ich einfach so dastand weiß ich nicht.

Ein lautes Klopfen ließ mich zusammenfahren.

„Kira! Ist alles ok? Du bist schon fast eine Stunde unter er Dusche!“

Ren klang besorgt, das war deutlich zu hören. Trotzdem zögerte ich einen Moment.

„Ja, alles ok.“

Es war das erste Mal, dass er mich bei meinem Namen genannt hatte. Es fühlte sich seltsam an. Ich stellte das Wasser schnell ab und trocknete mich vorsichtig ab. Die Dusche hatte mir gut getan und ich konnte endlich wieder klar denken. Und jetzt musste ich unbedingt mit Ren sprechen.

Wir hatten es uns auf dem Sofa gemütlich gemacht. Die Sporthose war viel zu kurz und das Shirt passte mir mehr schlecht als recht. Ich setzte mehr Hoffnung in Ren, als ich vielleicht sollte. Trotzdem war er so ziemlich der einzige Anhaltspunkt, den ich hatte.

„Es gibt eigentlich gar nicht so viel zu erzählen. Vor einigen Tagen wurde hier ne Bewerbung abgegeben. Deine Bewerbung. Ich hab sie durchgesehen und du schienst in Ordnung zu sein. Da wir eh einen Kellner brauchten hab ich dich dann eingestellt. Am Tag danach haben wir kurz telefoniert und alle Details geklärt. Du bist kurz darauf eingezogen. Ich war total erstaunt, als der Boss meinte, dass ich nach dir sehen soll. Komischerweise hab ich nämlich gar nicht mitbekommen, dass du schon eingezogen warst. Jemand anders musste dir den Wohnungsschlüssel gegeben haben. Na ja, als du nicht aufs Klopfen reagiert hast, dachte ich, dass du vielleicht schon schläfst. Oder einfach deine Ruhe haben willst. Als ich dich dann heute morgen für deine Schicht wecken wollte, hab ich dich bewusstlos auf dem Fußboden gefunden. Mehr weiß ich auch nicht. Tut mir Leid, dass ich nicht mehr helfen kann.“

Ren blickte mich entschuldigend an.

„Unsinn, du hast schon mehr für mich getan, als nötig. Du hast auf jeden Fall was gut bei mir. Aber sag mal, die Bewerbung, die ich angeblich hier abgegeben habe. Kann ich die vielleicht sehen?“

Er war einen kurzen, prüfenden Blick auf die Uhr und schüttelte dann leicht den Kopf.

„Jetzt ist schlecht. Der Boss ist gerade da. Und er hasst es, wenn er gestört wird. Da kann er ganz unangenehm werden. Aber ich kann nach meiner Schicht mal reinschauen. Und bring ich sie dir heut abend vorbei.“

Ich war etwas enttäuscht und nickte nur. Trotzdem war es ein Lichtblick. Schließlich war in der Bewerbung ein Lebenslauf. Ein Beweis meiner Vergangenheit. Ich würde endlich wissen, wer ich war.

„Ich bin um drei Uhr wieder hier. Versuch vorher noch etwas zu schlafen. Ich leg dir die Sachen dann einfach ins Zimmer.“

„Meinst du um drei Uhr morgens?! Musst du gar nicht in die Schule?“

Ren lachte nur, während er sich einen langen Mantel überzog und die Schnallen seiner Stiefel zumachte.

„Dahin gehe ich schon lange nicht mehr. Gute Nacht.“

Und schon war er aus der Tür verschwunden.

Ich ließ mich im Schlafzimmer wieder aufs Bett fallen und starrte auf das Foto. Als das Bild anfing vor meinen Augen zu verschwimmen legte ich es zur Seite und nahm mir meinen Ausweis vor. Plötzlich setzte ich mich kerzengerade auf. Ich war so blöd gewesen! Auf der Rückseite, vom Ausweis, war eine Adresse abgedruckt. Sehr wahrscheinlich meine Adresse. Das ich nicht früher daran gedacht hatte!

Es dauerte keine Minute und ich war wieder in meinen alten Sachen drin. Das Adrenalin, das durch meine Adern schoss, betäubte meine Schmerzen. Ich schnappte mir den Schlüssel, stieg in meine Schuhe und verließ die Wohnung.

Es war keine besonders nette Gegend. Ich musste durch eine dunkle Gasse, bevor ich auf die Hauptstrasse kam. Dort entdeckte ich eine Tankstelle, wo ich nach dem Weg fragen konnte. Eine halbe Stunde später stand ich vor dem Straßenschild. Es war ein seltsames Gefühl, seiner Vergangenheit nachzujagen. Doch mir blieb nichts anderes übrig, um herauszufinden, wer ich war. Ich musste wissen, wo ich gelebt hatte. Und ob vielleicht noch jemand dort lebte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  ReinaDoreen
2007-10-31T13:34:51+00:00 31.10.2007 14:34
Das Gefühl nicht zu wissen wer man ist und woher man kommt muss furchtbar sein. Ob Kira auf der Spur nach sich selbst weiterkommmt, wenn er die Adresse aufsucht, die auf dem Ausweis steht?
Und weshalb sieht Ren aus als wäre er verprügelt worden?
Reni


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