Zum Inhalt der Seite

Vergessene Erinnerungen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Verschwunden

Es war früher morgen als Phil das Frühstück vorbereitete. Fröhlich summte er, während er Tablett für Tablett auf den Wagen stellte und ihn danach in den Aufzug schob; dann schloß er die Türe und rannte vergnügt die Treppe hinauf in den zweiten Stock. Während er den Servicewagen aus dem Aufzug holte, ging er nochmals die Liste durch: Alle außer Zimmer 204 und 209 wollten das Frühstück vor acht Uhr und er begann bei Miss Lina's Zimmer. Das 'Bitte nicht stören'-Schild hing immer noch an dem Türknauf, was ihn verwunderte. Trotzdem klopfte Phil kurz an und wartete auf ein Signal - doch es kam keins. Neugierig geworden, öffnete er ganz vorsichtig die Türe ein wenig, um mit einem Auge durch den so entstandenen Spalt zu blicken. Das Zimmer war leer, das Bett nicht angerührt. Nur die Bücher, die aufgeschlagen auf dem Tisch und Bett lagen, raschelten ein wenig vom Wind, der aus dem offenen Fenster wehte. Überrascht machte er die Türe ganz auf und schaute sich um: Alles war noch so wie gestern, selbst ihr Umhang trohnte noch auf dem Stuhl.

Erst jetzt wurde ihm klar, was nur sein kann: Lina Inverse war verschwunden.
 

Die Sonne trennte sich gerade vom Horizont, um in die Weite des blauen Himmels zu fahren, als die Schwarze Akademie außerhalb der Stadt die Notlage ausrief. Lina Inverse war verschwunden !

Während die Schüler auf die ansonsten überpünktliche Dozentin in der Akademie warteten, kamen mehr und mehr Gerüchte auf, daß Lina Inverse heute nicht an der Akademie war. Niemand hatte sie gesehen, weder Razel, der Gildenmeister, noch Wagor, der Vormund von Lina, wussten nicht, wo sie sich aufhielt. In dem kleinen Besprechungszimmer liefen beide ungeduldig wie hungrige Tiger hin und her, bis Wagor sich endlich aufraffte, die schlurfenden Geräusche zu unterbrechen.

"Ich kann hier nicht länger tatenlos warten!", verkündete er, "Ich werde sie jetzt suchen."

Razel nickte bloß.

"Und wie willst Du das machen ?" fragte er ihn.

"Sie hat doch immer ihre magieverstärkenden Talismane mit, darüber kann ich sie bestimmt lokalisieren."

Wagor setzte sich an den Tisch und nahm eine durchsichtige Kugel aus seiner Robe. Bevor er sie in die Tischmitte lag, bestimmte er Norden und platzierte sie. Dann konzentrierte er sich.

"Das wird nicht funktionieren.", sagte Razel lakonisch zu ihm, "so wie ich Lina kenne, wird sie einen Schutzzauber auf ihre Talismane gelegt haben, nachdem Du sie beim letzten Mal zurechtgewiesen hast."

Wagor erinnerte sich. Hätte er nicht geistesgegenwärtig einen Schutzschild gemacht, würd er heute nur noch Asche sein. Er grummelte vor sich hin und seufzte resigniert.

"Du hast recht, Razel", meinte dieser, doch bevor er in sich zusammensackte, hatte er einen Geistesblitz, "Aber die Bücher haben sowas nicht !"

Jedes Buch, was sich mit Golems oder Schwarzer Magie befasst, muß eine Signatur haben. Nicht nur, um Diebstahl vorzubeugen, sondern auch, um illegale Forschung zu unterbinden. Es gab eine Gruppierung unter den Zauberern, die sich selbst 'Die Sucher der Wahrheit'(*) nannte und sich die Aufgabe gesetzt hat, die Forschungen zu überwachen, damit sich das Unglück von Letitidus(**) nicht wiederholen kann.

Sofort versuchte er es nochmal, und schaffte es.

"Sie ist in der 'Schlummernden Wolke'", jubelte Wagor und stürmte los.

Razel ließ sich von seinem Eifer anstecken und folgte ihm auf fliegendem Fuße.
 

Beide benutzten Ray Wing, damit sie schneller beim Hotel sind, und damit sie sich nicht durch die Menge an Menschen quetschten mussten. Einige schauten zu ihnen hoch, es war nicht alltäglich, daß ein Zauberer über die Stadt flog; ein paar Touristen riefen ihnen bewundernde Ausrufe nach.

Razel folgte Wagor, der sich hier in Saillune besser auskannte als er selbst. Unzählige Minuten später standen sie auf der Schwelle zum Hotel und eilig pressten sie sich gemeinsam durch die plötzlich zu klein geratene Türe. Die Hotelbesitzerin - eine recht große Frau mit langen, blonden Haaren und saphirblauen Augen - verbarg ihr Kichern hinter ihrer Hand und räusperte sich kurz, als beide außer Atem an der Theke standen.

"Was kann ich für Sie machen, Eure Spektabilität ?", fragte sie demütig den Höherrangigen.

"Miss, keine Zeit für Formalitäten, in welchem Zimmer ist Lina Inverse ?"

"Sie ist leider nicht da..." begann sie, doch wurde sie rüde unterbrochen.

"Welches Zimmer ????", Razel lehnte sich ein wenig vor und schaffte es, die ihm eigentlich größere Frau kleiner zu machen, als er selbst ist.

"Zimmer 212", flüsterte sie kleinlaut und deutete vage Richtung Treppe.

Beide entschwanden Richtung Treppenhaus und in Sekundenschnelle standen sie vor besagter Tür. Sie schauten sich gegenseitig an und Wagor versuchte leise die Tür zu öffnen - sie war verschlossen.

"Ähm... Entschuldigung!" klang hinter ihnen leise eine Stimme, sie fuhren gleichzeitig herum.

Außer Atem, diese zwei Onkel eingeholt zu haben, holte Phil den Schlüssel hervor.

"Ich mache Ihnen auf." proklamierte er und machte es.

Razel öffnete die Tür.

Anstatt heillosem Chaos, verbrannten Wänden und ein von Kampfspuren zerfetzter Boden, wie sie erwarteten, fanden sie ein recht idyllisches Zimmer vor:

Die Sonne strahlte gerade durch das Fenster und warf einen kleinen Lichtkorridor über den Tisch auf den Boden. Der Tisch war bedeckt von geschlossenen Büchern, die - aufeinandergestapelt - den Tisch in der Mitte ein wenig durchdrückten. Das Bett war frisch bezogen und der Nachttopf entleert.

Einzig der Stuhl fiel ins Auge, da er durch Lina's Umhang beinahe einem Thron gleichte.

"Was zum...", Razel und Wagor waren sprachlos.

"Ich hab nur ein bisschen das Zimmer aufgeräumt", vier Augen schauten ihn böse an, "aber es ist wirklich nichts kaputt oder so! Ich wollte nur das Bett machen und hab die Bücher auf den Tisch getan."

Wagor atmete tief ein und beugte sich zu ihm runter.

"Wann hast Du Miss Lina zum letzten Mal gesehen ?" fragte er.

"Gestern abend...", nuschelte Phil.

"Erzähl uns alles von gestern abend", forderte Razel auf, "und erwähne alles, auch wenn es Dir unwichtig erscheint."

Das machte er auch; jede Kleinigkeit, von seinem Fingerschnitt vom Schneiden der Möhren für das Frühstück bis zu dem Zeitpunkt, als er die Lache in der Nacht gehört hat.

Bei letzterem schauten sich Razel und Wagor fragend an und verließend dankend mit den Büchern und Lina's Sachen das Hotel.
 

Wieder zurück in der Akademie, entschlossen sie sich, den Unterricht für heute ausfallen zu lassen. Während Razel unter den Studenten das Gerücht verbreitete, daß Lina Inverse sehr krank sei und deswegen heute nicht da ist, brachte Wagor die Sachen von Lina in ihr Arbeitszimmer - nicht ohne einen neidischen Blick auf die Talismane zu werfen. Zehn Minuten später trafen sie sich wieder im Besprechungsraum.

"Das darf doch wohl nicht wahr sein!", wimmerte Wagor, "was sollen wir jetzt tun ?"

"Wir informieren Dekan Amelia", meinte Razel, "das ist auch ihre beste Freundin, vielleicht weiss die mehr..."

Ein paar Minuten später - es ist schon eine Erleichterung mit Ray Wing über die Menschenmenge zu fliegen - standen sie vor der wohl größten weissen Akademie der Welt. Eilig traten sie ein und am Empfang verlangte Razel, in dringender Angelegenheit Dekan Amelia zu sprechen.

Anstatt zu warten folgten sie dem Empfangsherrn, obwohl sie wussten, daß es unhöflich war.

Zum Glück hatte Amelia gerade keine Klasse zu betreuen, so daß sie zusammen mit ihrem Vater im Vorgarten zu finden war.

"Euer Hoheit", Razel verbeugte sich kurz vor Prinz Phillionel, "Frau Dekan, wir müssen Sie in dringender Angelegenheit sprechen."

"Sicher, gehen wir in mein Arbeitszimmer", seufzte sie und wand sich kurz dem Prinz zu, "Tut mir leid, Vater, die Arbeit ruft. Wir sehen uns."

"Das ist meine Tochter", murmelte dieser stolz vor sich hin, als sich das Trio entfernte.
 

Im Arbeitszimmer nahm Amelia gerade Platz, als Razel, der Gildenmeister, förmlich platzte.

"Wisst Ihr, wo Lina Inverse ist ??"

Amelia, total verwirrt über diese spontane Frage, schaute sie beide erstaunt an.

"Äh... nein. Was ist denn los ?"

"Miss Lina ist verschwunden !" klagte Wagor seine Sorge.

"Wie? Sie ist verschwunden ?", Amelia war noch ratloser als vorher. Lina kann doch nicht einfach so verschwinden !!

"Mehr wissen wir auch nicht. Wir denken, sie ist entführt worden."

Schock ! Sie saß plötzlich aufrecht in ihrem Stuhl und starrte beide ungläubig an.

"Lina Inverse entführt? Das soll wohl ein schlechter Scherz sein !"

"Nein ist es nicht!", jammerte Wagor weinerlich, "nach unseren Informationen ist es eine Frau, etwa knapp 190cm groß."

"Da ihr eine sehr gute Freundin von Lina seid, wollten wir Euch zuerst fragen, bevor wir unsere Vermutung äußern", resümierte Razel und schaute Wagor erbost dieser Äußerung an.

"Also ich hab sie zum letzten Mal vorgestern gesprochen", meinte Amelia leicht aus der Fassung, "aber ich, Amelia Wil Tesla Saillune, der Gerechtigkeit Schwert und Wahrheit, werde es herausfinden und die Entführer ihrer gerechten Strafe zuführen und..."

Bevor sie noch weiter ausführen konnte, klopfte es an der Tür.

Amelia räusperte sich, stieg wieder vom Tisch und setzte sich hin.

"Ich bin in einer wichtigen Besprechung!", rief sie der Tür entgegen.

Doch entgegen dieser recht eindeutigen Aufforderung öffnete sich die Tür und eine Magd steckte den Kopf hinein. Freudestrahlend verkündete sie: "Eure große Schwester ist zurück."
 

______

(*) wird nur in Novelle erwähnt

Die 'Sucher der Wahrheit' gibt es wirklich, es ist eine Untergruppe der Schwarzmagier, die - soweit ich es verstanden hab - keine Zauberer in der Politik haben will.

(**) wird nur in Novelle erwähnt

Vor etwa 500 Jahren entstand ein Krieg, als ein König eine fürstliche Belohnung für denjenigen ausgesetzt hat, der ihn mit Unsterblichkeit segnete.
 

Die Idee mit der Signatur ist von mir.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Sorako
2004-12-29T23:29:59+00:00 30.12.2004 00:29
>> Freudestrahlend verkündete sie: "Eure große Schwester ist zurück."

"... OH MEIN GOTT!", brüllte Amelia schreckensbleich. "LAUFT UM EUER LEBEN!"

;-)

Cool, wie du die Romanfakten eingebaut hast. Die Sachen hätte ich ohne die Fußnoten aber wohl nicht gecheckt... ^^'''


Zurück