Chapitre 2
Liliane hatte nichts von Arthenas Ausstrahlung. Sie trug die Haare zu keinem Zopf geflochten, sondern kurz, schielte über den Rand einer Brille und zog elektrisches Licht der schummrigen Kerzendämmerung vor. Außerdem hielt die junge Frau direkt nach dem Hohen Priester die größte Macht über Soldats in den Händen.
Am Tag nach dem Attentat war sie schon früh in Rémi Grépauls Büro im obersten Stockwerk des Hochhauses und stand mit einer Tasse Kaffee in der Hand am Fenster. Der ältere Mann saß am Schreibtisch und hatte verschiedene Zeitungen vor sich ausgebreitet. Sein kunstvoller Gehstock lehnte an der Seite des Eichenholztisches.
"Der Verräter in unseren Reihen muss schnellstmöglichst eleminiert werden.", bemerkte er fast beiläufig ohne den Blick in Richtung Fenster zu wenden.
Liliane wandte sich zu ihm. "Verräter? Vielleicht nur eine Eskapade der Gegner von Grand Retour. Wir sollten die Verursacher bald entdeckt haben."
"Sie wissen, was ich glaube. Soldats steht an einem Wendepunkt. Arthenas Versuch der Grand Retour ist gescheitert, aber dennoch müssen wir uns entscheiden ob wir zu den alten Werten zurückkehren, oder uns weiterentwickeln. Soldats waren bisher immer im Schatten, noch nie hat es jemand gewagt uns zu entblößen. Wer auch immer die Verantwortung dafür trägt, er hat Hochverrat begangen."
"Grand Retour ist nicht gescheitert, Rémi.", korrigierte Liliane sanft. "Noir war nur der erste Schritt in diese Richtung. Zur Vollendung verlangt es nicht nur die zwei Schwerter, sondern auch Sangres und Ángels Dornen."
Grépaul verzog die Lippen zu einem Lächeln: "Ich beginne Ihre Pläne zu verstehen, Liliane. Grand Retour wird vollendet werden und Soldats wird wieder erstarken."
Egal zu welcher Tageszeit, der Pariser Flughafen war immer überfüllt. Dennoch hatte Ángel keine Schwierigkeiten Sangre in der Menschenmasse zu entdecken, die sich schon am frühen Morgen vor den Schaltern und in den Hallen drängte.
Alexandras rotgefärbte Haare stachen wie ein Leuchtfeuer aus den blonden oder dunkelhaarigen Köpfen heraus. Sie fielen ihr offen in leichten Locken über die Schultern bis knapp unter die Brust hinab. Rens kohlrabenschwarzer Wuschelkopf und Liams kurze braune Haare folgten dem Leuchtfeuer und zogen auch die kleinen Handkoffer hinter sich her. Keiner der drei Profikiller zeigte sich sonderlich überrascht davon, dass Ángel das Empfangskomitee darstellte.
"Buenas dias! Comó tu vas, muchacho?", grinste Ren zur Begrüßung und erwiderte den festen Händedruck des Südamerikaners. Er war erstaunlich gut gelaunt dafür, dass man seinen chinesischen Pass einmal mehr nur nach unzähligen Kontrollen akzeptiert hatte.
Ángel ignorierte das eigenwillige Spanisch des Asiaten. Sein Blick wandte sich Liam und Alexandra zu, die beide abgespannt wirkten.
"Du willst uns sicher sagen, dass draußen ein silberner Mercedes steht, der uns zu einem herzhaften Frühstück in ein kleines Café fahren wird.", vermutete die junge Frau und blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Ihre graugrünen Augen funkelten frech, auch wenn die dunklen Ringe darunter von einer schlaflosen Nacht zeugten.
Liam interessierte sich in diesem Moment viel mehr für eine Gruppe englischer Geschäftsleute, die sich lautstark über die französische Küche ausließen. Er stach jeden von ihnen aus, wenn es um den korrekten Krawattenknoten ging. Ángel entging nicht, dass der Engländer sein Aussehen noch immer mit peniblen Perfektionismus pflegte.
"Der Mercedes ist leider schwarz, außerdem geht die Fahrt direkt zu Grépauls Büro. Aber wir werden unterwegs sicher einen kleinen Halt bei McDonalds machen können um das schwarze Loch im Bauch des Chinesen ein klein wenig zu stopfen."
Ohne auf Rens sarkastischen Konter zu warten ging Ángel voran zum Parkplatz. Sangre folgte ihm, ihr Handgepäck hinter sich herziehend. Wie immer war es ihnen durch ausreichend Bestechungsgelder gelungen die Waffen an Board des Flugzeuges mitzunehmen ohne große Scherereien zu bekommen.
Mireille hatte sich zum Frühstück in das Restaurant an der Straßenecke gesetzt und studierte gleichzeitig die Morgenzeitung. Kirika war in der Wohnung zurückgeblieben und lernte kryptisch anmutende japanische Schriftzeichen, die sie für eine anstehende Prüfung in einer Woche benötigen würde.
Natürlich war die Zeitung voll mit Berichten, Hintergrundreportagen und Interviews zu dem gestrigen Attentat. Die Redaktion schien innerhalb einer Nacht mehr als nur einen angeblichen Fachmann für Les Soldats gefunden zu haben, der aber auch nichts weiter als Vermutungen von sich geben konnte. Die Organisation hatte sich in den letzten Jahrhunderten wirklich meisterhaft darauf verstanden nichts von sich preiszugeben.
"Les Soldats - Gefahr aus einer längst vergangenen Zeit?", murmelte Mireille den Titel eines Artikels vor sich hin. "Les Soldats sollen mehr Macht als die Mafia besitzen, sind brutaler bei der Durchsetzung ihrer Ziele als islamistische Terrorgruppen und haben sich bis gestern ganz im Schatten der Jahrhunderte verbergen können. Ein Insider aus der Unterwelt kommentierte mit einem leisen Schmunzeln: ,Die Polizei wird nichts gegen Soldats ausrichten können. Der Name ist zu alt um noch Angst vor der Entmachtung haben zu müssen. Er ist der letzte Rest, der von lebendiger Geschichte zumindest hier in der Unterwelt noch erhalten geblieben ist. Allerdings sind Les Soldats keine Terrorristen. Diese Anschläge haben sie nie und nimmer zu verantworten, ihre Profikiller sind nicht so dumm auch noch Unschuldige mit in den Tod zu reißen.' Tatsächlich bestätigen mehrere anonyme Quellen, dass nicht nur der gefürchtete Gentleman und Ángel Verbindungen zu Les Soldats haben, auch ein weiterer Name aus den Top Fünf der Auftragsmörder scheint in enger Beziehung mit ihnen zu stehen: Noir. Noir geriet Mitte des letzten Jahres durch die Ermordung einiger hochrangiger Staatsbeamter im Nahen Osten in die Schlagzeilen und lässt die Polizei auf der Suche nach Spuren noch immer im Dunkeln tappen."
Die Zeitung interessierte Alexandra herzlich wenig. Sie hatte während der Wartezeit am Flughafen von Gran Canaria schon die Times, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und einige andere Blätter studiert. Les Soldats wurde in allen Artikeln als eine Organisation dargestellt, die die Welt mit ihrer Gewaltherrschaft überziehen und ihre Ideologie durchsetzen wollte und nicht als das, was sie wirklich war: die vielleicht einzige Hoffnung auf ein stabiles Gleichgewicht zwischen den einzelnen Nationen und Religionen.
Die meisten übereifrigen Journalisten bezeichneten Les Soldats sogar noch als eine noch größere Gefahr als den internationalen Terrorismus. Der Vergleich mit Organisationen wie der baskischen ETA, der nordirischen IRA oder der deutschen RAF hinkten allerdings, ebenso wie die Gleichsetzung mit AlKaida schlicht und einfach lachhaft war.
"Welche Entscheidungen hat der Rat inzwischen getroffen?", wandte Alexandra sich schließlich an Ángel, der mit missmutigem Blick auf die Straße neben dem Café blickte. Ren und Liam hatten sich gegen ihn durchgesetzt und ein ausgiebiges Frühstück zwischen Flughafen und Grépauls Büro eingeschoben.
"Interpol wurde durch einige Formalitäten abgebremst, sämtliche Informanten der Unterwelt, die ein wenig zu laut gesungen haben wurden zum Schweigen gebracht und bis auf weiteres wird man die aktuelle Entwicklung abwarten. Der Schaden für Soldats sollte nicht zu stark sein, da wir nicht vollkommen aus dem Schatten gezerrt wurden."
Der Südamerikaner warf einen unauffälligen Blick auf seine Uhr. Sie waren schon über eine halbe Stunde bei Grépaul und Liliane überfällig, aber weder Ren noch Liam schienen ihr Frühstück schon beendet zu haben. Alexandra war schon nach wenigen Augenblicken fertig gewesen und hatte sich dann ohne rechtes Interesse die Pariser Morgenzeitung genommen.
An jedem Tisch des Cafés, der besetzt war, saß mindestens eine Person, die in die Lektüre der Zeitung vertieft war. Besonders auffallend war allerdings die junge blonde Frau an einem der Nebentische, deren Desinteresse dem von Alexandra glich.
Ángel beobachtete wie sie bezahlte und dann langsam davonschlenderte. Er schmunzelte und fragte sich wo sie ihre Freundin gelassen hatte. "Hasta lluego, Mireille Bouquet."
Es war Mike Dobbs anzusehen, dass er sich in seiner Haut nicht wohl fühlte. Labcaps bedrohliche Gestalt ragte hinter dem Schreibtisch im Halbschatten auf und flößte dem jungen Journalisten mehr als nur Respekt ein.
"Ich gebe Ihnen die Chance ihres Lebens, Dobbs.", sagte der Chef des Pariser BBC mit gefährlich ruhiger Stimme und verzog die Lippen zu einem Lächeln. "Sie bekommen so viel Geld wie sie brauchen und ein komplettes Team. Einzige Bedingung ist, dass sie mir innerhalb kürzester Zeit diese Organisation ans Licht zerren und ausschlachten. Interpol wird schon sehen was passiert, wenn sie sich mit mir anlegen."
In der Höhle unter dem Herrenhaus blickte der Hohe Priester von Soldats hinunter auf den Lavastrom. Das glühende Gestein wälzte sich durch den Tunnel, den es sich in den Jahrtausenden gegraben hatte in Richtung des Atlantiks davon.
Der Hohe Priester murmelte einige lateinische Verse und ließ eine weiße Rose in die Lava hinunterfallen bevor er sich abwandte und langsam davonging.
"Les Soldats war einstmals in der Wahrheit, jetzt findet es sich in der Lüge, die unsere heutige Welt bestimmt. Du bist dafür gestorben, dass wir zu unseren Wurzeln zurückkehren. Dieses Opfer wird nicht vergeblich gewesen, Arthena."
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Ich habe mich dazu entschlossen, die Kapitel ohne Titel zu lassen. Eigentlich wollte ich auch mehr Wörter in ein Kapitel schreiben, aber ich glaube es ist besser wenn ich es in dem jetzigen Rahmen belasse.
Vielleicht kann sich auch einmal jemand zu einem Kommentar hinreißen lassen? Ich fresse wirklich niemanden, der einen schreibt, wirklich!