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Sherlock Holmes - Das verschwundene Haus in Sussex

von

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In Sussex

Holmes hatte sich inzwischen seine Pfeife angezündet, während er Whitmores Schilderungen folgte.

„Ich nehme an, Sie und Mr. Harryman trafen sich daraufhin regelmäßig zum Schach spielen?“

Whitmore nickte aufgeregt.

„Ja und das fast zwei Monate lang. Mindestens einmal die Woche. In den letzten Zweien, sogar öfter, da sich Mr. Harryman wohl zu langweilen schien.“

„Und war heute irgendetwas anders?“, wollte der Detektiv wissen.

Whitmore überlegte einen Moment.

„Jetzt, wo Sie es sagen... ja, das würde ich durchaus so bezeichnen. Mr. Harrymans Butler, dieser Samuel stürmte plötzlich in die Lounge und unterbrach unsere Partie. Er meinte, dass ein dringendes Telegramm für seinen Herrn eingetroffen sei. Dieser verließ die Lounge kurz, vermutlich um es zu lesen. Als er zurück kam, entschuldigte er sich vielmals. Es ginge um einen dringenden Geschäftstermin und er müsste unsere Zusammenkunft beenden. Nur ungern gab ich eine laufende Partie auf,vor allem da ich das Gefühl verspürte, gewinnen zu können. Doch man konnte nichts tun, Geschäft war Geschäft. Also verabschiedete ich mich von meinem Nachbarn und ließ mich von seinem Butler zurück kutschieren, Jedoch geschah alles dermaßen hastig, dass ich meine Medikamentendose bei ihm vergaß. Natürlich konnte ich nicht eine Woche oder dergleichen warten und beschloss, noch am selben Tag zu seinem Anwesen zu marschieren. Ich stapfte den Fluss entlang, bis ich endlich angekommen war. Und dann... traf mich der Schock. Der Zaun stand da, wo er immer stand. Doch das Haus... war selbst bis zu den Grundmauern verschwunden. Als hätte es sich in Luft aufgelöst.“

Weder Holmes noch ich konnten uns einen Reim darauf machen.

„Und... anschließend?“, wagte ich zu fragen.

James Whitmore schluckte.

„Anschließend bin ich zurück marschiert. Vor meinem Haus traf ich auf Freddy, ich hatte ganz vergessen, dass ich Waren bei ihm bestellt hatte. Ich beschloss, mir sein Fahrrad zu borgen und den mühsamen Weg nach Brighton auf mich zu nehmen. Dort nahm ich dann den ersten Zug nach London, was mich schließlich zu Ihnen führte.“

Holmes stieß eine große Menge Rauch aus und schien sich in seinen Gedankenpalast zurückgezogen zu haben.

„Konnte man Ihnen denn in Brighton etwas über diesen Mr. Harryman sagen?“, hakte ich nach.

Doch unser Klient verneinte.

„Vor meiner Abfahrt besuchte ich noch schnell das Rathaus, doch auch dort war dieser Name unbekannt. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als den berühmten Sherlock Holmes um Hilfe zu bitten. Sie... stehen mir in dieser Sache doch bei, oder?“

Der Meisterdetektiv antwortete nicht sofort. Erst als er mit seinen Überlegungen geendet hatte.

„Einige Angaben fehlen mir noch. Sie erwähnten, dass Mr. Harryman Sie stets mit der Kutsche abholen kam. Führte er Sie da stets selbst ins Innere und zog er die Vorhänge bei jeder dieser Gelegenheiten zu?“, hakte er nach.

Whitmore bestätigte es ihm.

„Ja. Wie erwähnt, Mr. Harryman vertrug die Sonne ganz und gar nicht.“

Holmes nickte.

„Und Ihre Besuche in jenem Anwesen? Waren Sie stets mit Ihrem Gastgeber alleine? Was war mit diesem Butler, Samuel? Oder der erwähnten Köchin?“, fuhr er fort.

Whitmore musste nicht lange überlegen.

„Die Köchin habe ich nie zu Gesicht bekommen. Sie verweilte wohl länger bei ihrer Familie in London. Und dieser Butler... der war irgendwie auch nie im Haus wenn wir Schach spielten. Entweder war er einkaufen oder kümmerte sich um andere Angelegenheiten.“

Holmes schien dies zu reichen.

„Also gut, ich werde Ihren Fall übernehmen, Mr. Whitmore.“

Dies schien genau das gewesen zu sein, was unser Klient hören wollte. Schnell erhob er sich und schüttelte meinem Freund dankbar die Hand.

„Allerdings!“, sagte Holmes nun in einem erhöhten Tonfall.

„Ich habe das ungute Gefühl, dass Zeit bei diesem Fall eine äußerst sensible Rolle spielen dürfte. Darum möchte ich Sie bitten, dass wir gleich morgen früh den ersten Zug zurück nach Brighton nehmen und uns dieses Grundstück genauer ansehen. Watson, alter Freund, wären Sie so nett uns zu begleiten?“, fragte er, den letzten Satz an mich gewandt.

Ich besaß keinerlei Einwände. Vor allem da das Mysterium eines verschwundenen Hauses auch mich über aller Maßen interessierte.

Nachdem ich Holmes bestätigte, dass meine Praxis am Wochenende ohnehin geschlossen war, war alles weitere ausgemacht. Mr. Whitmore genoss Kost und Logis der Baker Street, bevor es am kommenden Tag zurück in den Süden Sussex' ging.
 

Der Zug hielt am frühen Vormittag am Bahnhof von Brighton und ich genoss die frische Luft, die mir in Nase und Poren drang. Es war ein völlig anderes Gefühl als der Dunst, der uns in London so sehr bekannt vor. Auch Holmes schien dies nicht zu entgehen.

„Mr. Whitmore, ich möchte Sie bitten eine Droschke für uns zu organisieren. Ich möchte mir erst das Grundstück bzw. das verschwundene Haus dieses Mr. Harryman ansehen und dann bei Ihnen beratschlagen.“, wies er seinen Klienten an.

Dieser besaß freilich keinerlei Einwände.

„Lassen Sie sich ruhig Zeit. Ich und Watson würden gerne noch dem Rathaus einen Besuch abstatten.“, führte er weiter aus und ich sah ihn fragend an.

„Wozu sollte das gut sein? Mr. Whitmore hat doch selbst schon Erkundigen bezüglich dieses Harrymans angestellt.“, erinnerte ich ihn.

Holmes hingegen schien meinen Einwand zu ignorieren.

„Verabreden wir uns doch wieder hier, Mr. Whitmore. Sagen wir in einer Stunde.“, sagte der Detektiv und ließ unseren Klienten stehen.

Ich eilte ihm hinterher und zusammen erkundigten wir uns bei einem Einwohner, wo wir denn das Rathaus der Stadt finden mochten.

Wenig später standen wir davor und betraten es gegen die Mittagszeit. Zum Glück schien es noch nicht geschlossen zu haben und wir erblickten einen älteren Mann und eine ältere Frau hinter dem Schalter.

Sofort machten wir uns bemerkbar und wie immer überließ ich meinem Freund das Gespräch.

„Guten Tag, mein Name ist Sherlock Holmes und dies ist mein treuer Gefährte, Dr. Watson. Ich würde gerne einige Erkundigen zum Umland von Brighton anstellen, wenn es Ihre Zeit erlaubt.“, begann er.

Die Frau lachte auf.

„Ich versichere Ihnen, Victor hat jede Menge Zeit. Ich ordne hier die Akten und mache sauber, während sich nur die Ergebnisse der Pferderennen in der Zeitung ansieht. Als ob dieser Alte je etwas gewinnen würde.“

Ich räusperte mich.

„Ich... nehme an, Sie beide sind verheiratet?“, fragte ich, da sich beide Personen wie ein Ehepaar stritten.

Doch die erstarrten Blicke der beiden ließen anderes vermuten.

„Ich? Mit DER? Sie müssten wohl zu Scherzen aufgelegt sein!“, beschwerte ich der Mann namens Victor.

Auch die Frau schien sich beleidigt zu fühlen. Bevor dieses Thema noch weiter vertieft werden konnte, schaltete sich Holmes ein.

„Jedenfalls... ich wollte fragen, ob sich im Umland von Brighton viele abgelegene Grundstücke befinden.“, fuhr er fort.

Victor musterte ihn kurz.

„Ne, würd ich jetzt nicht sagen. Vielleicht gerade mal ein Dutzend. Abgelegenheit mag für manche ja schön und gut sein. Aber die meisten merken irgendwann, dass sie ihnen doch der Kontakt fehlt, oder sie zu lange für ihre Einkäufe brauchen.“, erklärte er.

Holmes schien sich so etwas bereits gedacht zu haben.

„Eine andere Frage. Wie viele Arztpraxen haben Sie hier in Brighton und wie viele Krankenhäuser?“

Nun schien Victor einen Moment überlegten zu müssen.

„Wir haben nur ein Krankenhaus hier, brauchen aber auch nicht mehr. Praxen haben wir so um die 5 oder 6.“, erwiderte er.

Holmes nickte bedächtig.

„Wissen Sie zufällig, ob es vor etwa zwei Monaten einen medizinischen Notfall gab? Wurde vielleicht jemand ins Krankenhaus eingeliefert, per Krankentransport? Oder musste einer der Ärzte vielleicht ausrücken?“, hakte er nach.

Dieser Frage schien für Victor noch schwerer zu sein, denn er zuckte mit den Schultern.

„Das weiß ich jetzt ehrlich nicht. Zumindest stand nichts davon in der Zeitung.“, musste er zugeben.

Holmes schien mit der Antwort unzufrieden zu sein, akzeptierte sie aber.

„Vielen Dank wir wollen Sie nun nicht weiter stören.“, sagte er und schritt auf dem Ausgang zu.

Ich eilte ihm nach.

„Was sollte das denn? Sie haben ihn nicht einmal zu diesem seltsamen Mr. Harryman befragt!“, bemängelte ich.

Holmes schien sich dessen natürlich bewusst zu sein.

„Wie Sie bereits sagten, das hat Mr. Whitmore bereits für uns erledigt. Ohne jeden Erfolg.“, erinnerte er mich.

Dies genügte mir als Antwort jedoch nur schwerlich.

„Und was unternehmen wir nun?“, wollte ich erfahren.

Holmes wies auf unseren Klienten, der uns bereits entgegenkam.

„Wie ich vorhin sagte, nun sehen wir uns dieses ominöse Grundstück mal etwas genauer an.“
 

Bereits eine Stunde später hatte uns die Kutsche vor das Anwesen jenes neuen, oder besser gesagt kurzweiligen Nachbarn Mr. Whitmores gebracht. Unser Klient stieg sofort aus, als wolle er sich davon überzeugen, dass er sich alles doch nicht eingebildet hatte und das Haus wirklich verschwunden hat. Wir hatten einige Mühe ihm zu folgen. Wir ließen den Grundstückszaun hinter uns und begaben uns zu der kahlen Fläche, wo noch vor kurzem ein Haus gestanden haben soll.

„Sehen Sie doch! Der Kiesweg ist da wie immer! Und der Zaun ebenso! Doch das Gebäude... es ist verschwunden!“, sagte Whitmore so aufgeregt, dass ich ihn bitten musste, sich zu beruhigen.

Holmes kniete sich an der kahlen Stelle nieder und betrachtete den Boden.

„Wie ich es mir gedacht habe.“, murmelte er.

Er konnte ihm wie so oft nur schwer folgen.

„Was meinen Sie? Haben Sie Überreste der Mauern gefunden?“, wollte ich wissen.

Holmes verdrehte die Augen.

„Watson, ich bitte Sie! Dieses Thema hatten wir längst abgeschlossen. Hier wurde kein Gebäude abgerissen. Die Spuren, allein vom Abriss selbst, bis hin zum Abtransport wären für Wochen sichtbar gewesen. Selbst den enormen Lärm hätte unser Klient in seinem Anwesen den Fluss hinauf hören müssen.“, belehrte mich mein Freund einmal wieder.

Ich wollte mich verteidigen, fand aber nicht die passenden Worte.

„Nein, dieses Feld hier wurde lange nicht mehr umgegraben. Hier befand sich nie Geröll, das hätte beseitigt werden müssen. Was eindeutig belegt... dass auf dieser Stelle niemals ein Haus gestanden hat!“, legte sich der Meisterdetektiv fest.

James Whitmore reagierte empört.

„Was genau wollen Sie damit andeuten? Dass ich lüge? Oder mir das alles nur eingebildet habe?“, konnte er es nicht fassen.

Holmes nickte kaum merklich

„So könnte man es sagen. Im Rathaus scheint der Name Harryman unbekannt zu sein. Hätte jemand dieses Namens ein Haus im Umland gekauft, wäre das definitiv dort vermerkt worden.“

Ich konnte seiner Logik folgen und musste ihm zweifelsfrei rechtgeben.

„Aber... ich lüge nicht! Ich schwöre es bei meiner verstorbenen Frau!“, schien Whitmore bereits am verzweifeln zu sein.

Holmes erhob sich und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Ganz ruhig, ich glaube Ihnen natürlich. Aber andere würden es sicherlich nicht. Immerhin ist die Existenz dieses Harrymans nicht nachweisbar. Selbst wenn Sie die Polizei zu seinem Anwesen führen sollten, Ihre Glaubwürdigkeit würde darunter leiden, da hier niemals ein Gebäude gestanden hat. Ja und... genau darauf haben es die Täter abgesehen. Ihre Glaubwürdigkeit.“, sagte der Detektiv nun.

Weder ich, noch unsere Klient konnten seinem Gedankengang folgen.

„Aber Holmes! Mr. Whitmore war eindeutig in diesem Haus! Und was ist mit dem Kiesweg und dem Zaun?“, wand ich ein.

Holmes tat nur eine abfällige Handbewegung

„Alles nur Trug und Schein. Einen Kiesweg kann man leicht roden, einen Zaun binnen weniger Stunden aufstellen. Das alles diente nur dazu, die Illusion glaubhafter zu machen. Mr. Whitmore sollte unter Eid aussagen, dass sich an dieser Stelle ein Haus befunden habe.“, erklärte er.

„Aber... wozu das alles?“, konnte ich mir noch keinen Reim darauf machen.

Holmes überlegte einen Moment.

„Ich bin mir noch nicht sicher. Es gibt ein Detail, das ich noch nicht verstehe und das mir fehlt. Mr. Whitmore, als Sie die Kutsche abholte, was tat dieser Samuel da? Hat er Ihnen beim Einsteigen geholfen, oder später beim Aussteigen?“

Unser Klient musste nicht lange überlegen.

„Nein, das hat stets Mr. Harryman übernommen. Wieso fragen Sie?“

Doch Holmes blieb ihm die Antwort schuldig. Er besprach etwas mit dem Kutscher und kehrte dann zu uns zurück.

„Für heute sollten wir bei Ihnen einkehren, Mr. Whitmore. Morgen möchte ich dann weitere Ermittlungen anstellen.“, verkündete er.

Wie immer ließ er sich keine weiteren Details entlocken. Also fuhren wir zum Anwesen unseres Klienten, wo wir uns erst einmal etwas ausruhten. Holmes warf mehrmals Blicke nach allen Seiten um.

„Mr. Whitmore, würden Sie sagen, dass sich Ihr Haus architektonisch von jenem unterscheidet, in das Sie Ihr vermeintlicher Nachbar eingeladen hat?“, fragte er schließlich.

Unseren Klienten schien die Frage erst zu irritieren.

„Ja... durchaus. Ich habe einen befreundeten Architekten damals gebeten, das Haus für mich anzufertigen. Da ich ein Pedant bin, wollte ich äußerst breite Gänge und Zimmer, um möglichst viel Platz für Regale zu haben, in die meine Alben, Briefe und der restliche Papierkram passen.“, verkündete er.

Holmes erbat sich den Wunsch, sich im Haus genauer umsehen zu dürfen, was ihm Mr. Whitmore natürlich gewährte. Während wir das Abendessen zubereiteten, schien mein Freund vor allem auf dem Dachboden beschäftigt zu sein.

Auch beim späteren Verzehr, erwähnte er nicht, was genau ihn so am Haus unseres Klienten interessierte. Immerhin war es nicht dieses Gebäude, welches ein Problem darstellte, sondern jenes dieses Mr. Harryman.

Am darauf folgenden Morgen war Holmes verschwunden Zumindest hatte er uns eine Nachricht hinterlassen, eine Seltenheit für den Detektiv.

Er hatte den Kutscher gebeten ihn möglichst früh abzuholen und nach Brighton zu kutschieren. Was Holmes dort wollte blieb uns ein Rätsel. Erst am Nachmittag kehrte er zurück und bat uns, unsere Sachen zu packen.

„Holmes, wo haben Sie gesteckt? Und wo scheuchen Sie uns wieder hin?“, fragte ich inzwischen etwas gereizt.

Die Frage schien meinen Freund aber zu wundern.

„Zum Haus von Mr. Harryman natürlich.“, entgegnete er.

Wenig später saßen wir in der Kutsche und fuhren zu unserem vermeintlichen Ziel. Es dauerte wie immer an die 20 Minuten, als wir unser Ziel endlich erreichten.

Holmes öffnete die Tür und trat als erstes hinaus. Ich und Mr. Whitmore folgten ihm.

Unserem Klienten fiel beinahe die Kinnlade herunter. Auch mein Gesichtsausdruck musste gesessen haben. Der Kiesweg und der Zaun hatten sich seit gestern nicht verändert. Anders sah es mit der kahlen Stelle aus. Diese war nämlich etwas anderem gewichen. Nämlich einem hellbraunen Haus.

„Mein Gott! Es... ist wieder da! Aber wie?“, verstand Whitmore die Welt nicht mehr.

Holmes räusperte sich.

„Ganz einfach. Es ist nie verschwunden.“, lautete seine einfache Antwort.

Ich war der erste, der verstand, was mein Freund meinte.

„Holmes! Vorhin in der Kutsche habe ich mir nicht viel dabei gedacht, als der Fluss aus meinem Sichtfeld verschwunden war. Ich nahm an, unser Kutscher hätte sich für eine Abkürzung entschieden. Aber diese große Eiche ganz dort hinten! Die war gestern definitiv noch nicht hier!“, fiel es mir auf.

Holmes nickte.

„Da haben Sie ganz recht, alter Freund. Extra eine Eiche zu pflanzen wäre vermutlich übertrieben gewesen. Mr. Whitmore ist in seinem Alter recht kurzsichtig und außerdem hat sein Nachbar seine Aufmerksamkeit stets auf das Haus gelenkt. Und vergessen Sie nicht den Vorhang, den dieser jedes Mal zugezogen hat. Unser Klient durfte auf keinen Fall Verdacht schöpfen. Er sollte stets glauben, dass sich Mr. Harrymans Anwesen den Fluss hinunter befände“, erklärte er.

Auch Whitmore schien nun klarer zu sein.

„Das ist also... der wahre Ort an den mich dieser Butler Samuel gebracht und dann wieder a geholt hat.“, stotterte er.

Holmes schüttelte den Kopf.

„Ich kann Ihnen versichern, dass es sich bei diesem Mann keinesfalls um einen Butler handelte. Zwar ist es nicht unüblich, dass ein Butler auch die Pflichten eines Kutschers übernimmt, vor allem wenn man so abgeschieden lebt, doch die Tatsache, dass er Ihnen weder beim Einsteigen, noch beim Aussteigen half und dies stets seinem Herrn überließ, wäre ein Unding für einen echten Butler. Er war seinem Herrn keineswegs unterstellt, sie waren eher gleichberechtigt. Gleichberechtigte Komplizen um genau zu sein.“, konkretisierte er.

Das wurde ja immer besser.

„Komplizen bei was, Holmes? Um Mr. Whitmore einen Streich zu spielen?“, wollte ich wissen.

Holmes' Blick aber blieb ernst.

„Ich fürchte hier geht es um weitaus mehr als einen Streich. Dieses Anwesen gehört einer alten Frau, Mrs. Aderline. Vor zwei Monaten rutschte sie in ihrem Eingangsbereich aus und brach sich ein Bein. Seither wird sie im Krankenhaus von Brighton behandelt. Ich habe sie heute aufgesucht und mir alles erzählen lassen. Selbst ihre Zofe verweilt derzeit bei ihr, um sie zu pflegen. Zudem sprach ich mit dem Arzt, der sie hier abgeholt und später behandelt hat. Er äußerte den Verdacht, jemand hätte den Unfall forciert. Er dachte wohl zuerst an die Zofe, doch Mrs. Aderline schien eine äußerst liebenswerte Frau zu sein, kaum auszudenken, dass ihr jemand Schaden wollte. Außer natürlich... jemand der dieses Haus dringend für die nächste Zeit brauchen würde.“, sprach er.

Ich schluckte.

„Mr. Harryman und sein Butler... oder Komplize Samuel!“, hörte ich mich sagen.

Holmes nickte.

„Ja, oder wie die beiden auch heißen mögen. Ich suchte eine Pension in Brighton auf und erfuhr, dass seit dem Unfall ein gewisser Mr. Anderson, so wie sein Sekretär Worthington dort gastieren. Ich nehme an, dabei handelt es sich um die gesuchten Personen. Immerhin konnten sie nicht die ganze Zeit im Haus leben. Was wäre, wenn die Zofe zurückgekommen wäre um Sachen für ihre Herrin zu holen? Da sie in der Nähe des Krankenhauses wohnten, konnten sie auch jederzeit sicher gehen, dass Mrs. Aderline noch eine Weile im Krankenhaus sein und sie ungestört operieren konnten.

„Aber... was hat dieser Harryman... Anderson oder wie auch immer damit bezweckt? Mich einfach zu sich einzuladen?“, fragte Whitmore nun.

Holmes brummte nur.

„Es ging weniger Sie einzuladen, als Sie aus Ihrem eigenen Haus zu haben, mein werter Mr. Whitmore. Wenn ich das so sagen darf... Sie legen nicht viel Wert auf Ihre Gesundheit. Weder nehmen Sie Spaziergänge auf sich, noch fahren Sie nach Brighton um einzukaufen. Das alles muss der junge Freddy für Sie erledigen, Ich nehme an, wenn Sie Beschwerden haben, muss auch ein Arzt aus Brighton extra zu Ihnen fahren.“

Mr. Whitmore war es sichtlich unangenehm. Doch Holmes hatte sein Verhalten komplett durchschaut.

„Und erinnern Sie sich! Dieser Samuel war während Ihren Schachpartien nie zugegen. Und zwar, weil er in Ihrem Haus zu tun hatte.“

Das ergab alles Sinn für mich, bis auf eines.

„Aber Holmes! Wenn es darum ging, Mr. Whitmore auszurauben, wieso diese umständliche Scharade? Warum nicht einfach bei ihm einbrechen und ihn bestehlen? Und selbst wenn er dadurch aufgewacht wäre, hätte man ihn immer noch knebeln können! Wozu extra einen Unfall inszenieren und sich zum falschen Nachbar machen?“, konfrontierte ich ihn.

Für Holmes schien die Antwort mal wieder eindeutig auszufallen.

„Weil Mr. Whitmore keinesfalls etwas ahnen durfte. Dann wäre der ganze Plan nämlich ruiniert gewesen. Er durfte nicht mitbekommen, dass er ausgeraubt wurde. Er hätte nämlich sofort die Polizei eingeschalten. Dasselbe gilt auch, wenn ihn die beiden Männer einfach ermordet hätten. Auch dann wäre ihr Plan gescheitert.“, erklärte er, sorgte dadurch aber für noch mehr Verwirrung bei uns.

Dann bedachte mein Freund seiner Taschenuhr eines Blickes.

Ich erkläre es Ihnen noch ausführlich, aber im Moment rennt uns die Zeit davon. Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass wir morgen früh um 8 Uhr wieder in London sind. Wenn nicht, geschieht eine Katastrophe!“, warnte der Detektiv.

Whitmore, der sich immer noch keinen Reim auf alles machen konnte, verstand aber den Ernst der Lage.

„Und... soll ich Sie begleiten?“, hakte er nach.

Holmes bejahte.

Es ist sogar von äußerster Wichtigkeit, dass Sie persönlich in London aufschlagen. Wir werden den Nachtzug zurück nach London nehmen, dort könnten wir etwas Schlaf in Anspruch nehmen. Ich habe Inspektor Lestrade bereits telegrafiert, er wird uns erwarten. Und jetzt steigen Sie schon ein, die Kutsche wird uns nach Brighton bringen. Und dann nichts wie zum Bahnhof!“, sagte mein Freund bestimmt.

Und so kam es, dass wir nur Stunden danach den Zug betraten und die Heimreise nach London bestritten.



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