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Lincolns Geheimprojekt

von

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Familienbande

Kurz nach zehn Uhr vormittags öffnete Lola ihre Augen. Hoffnungsvoll sah sie sich nach ihre Schwester um. Die gestrigen Ereignisse waren noch gut in ihrem Gedächtnis verankert. Gestern wollte Lana nicht mehr mit ihr sprechen, doch heute wollte sie es nochmal versuchen. Aber leider war Lana nirgends in der Nähe zu sehen gewesen. Offensichtlich war sie früher aufgewacht als Lola und hatte geräuschlos das Weite gesucht. Ein Umstand, der ihr durchaus zu schaffen machte. Scheinbar war Lana immer noch wütend auf sie.

Traurig schlug sie sich die Decke von ihren Körper und erhob sich von ihren Bett. Wenn sie mit Lana sprechen möchte, würde sie wohl nach ihr suchen müssen. Ihren ersten Gedanken folgend, machte Lola sich sogleich auf den Weg zu Lincoln. Vielleicht war Lana dort und versuchte mit ihren ganz eigenen Charme Lincolns Gunst zurückzugewinnen. Doch als sie schließlich bei seinen Zimmer angekommen war, stieß sie auch hier auf gähnende Leere. Weder Lana noch Lincoln waren zusehen, doch seine Tür stand ausnahmsweise einen Spalt weit offen. Hatte er vergessen abzuschließen oder hatte er sie offengelassen, weil er jetzt nichts mehr hatte, was er verheimlichen konnte?
 

Kaum dachte sie an gestern Abend zurück, meldete sich ihr schlechtes Gewissen heftig zurück. Zögerlich öffnete sie die Tür. Vielleicht traf sie Lincoln in Inneren an. Der Drang sich in aller Form bei ihm zu entschuldigen war überwältigend. Aber sein Zimmer war leer. Weit und breit sah sie niemand. Auf seinen Schreibtisch befand sich ein einzelnes Blatt Papier und ein paar Zeichenstifte lagen daneben. Mit einen Mulmigen Gefühl trat sie näher an den Schreibtisch heran um einen kleinen Blick zu riskieren. Wenn sie es nicht anfassen würde konnte zum Glück kaum etwas passieren.

Was sie am Ende sah, war eine weitere Seite seines Comics, die sie bisher nicht gesehen hatte. Diesmal ging es um Rosemary Black und ihren Butler. Ihr Alter Ego stand mit verschränkten Händen vor einem großen Fenster und sah nachdenklich nach draußen. Vor ihr die Silhouette einer hell erleuchteten Stadt. Sie trug eine reich verziertes Kleid und ein silbernes Diadem. Im nächsten Bild zog das Geräusch einer sich öffnenden Tür ihre Aufmerksamkeit auf sich. Ihr Blick bewegte sich von Fenster weg und ruhte nun auf ihren Butler, der einen schwarzen Anzug trug und soeben eigetreten war.
 

» Wie ist es gelaufen « fragte sie diesen gerade heraus, ohne ein Wort der Begrüßung zu verlieren.

» Ausgezeichnet, Eure Hoheit. Die Redmoor-Sprösslinge haben unseren Köder bereitwillig geschluckt und verdächtigen Raven Heartvilia, hinter den Attentat auf Adrian Fernandes zu stecken. Alle Spuren, die zu uns führen könnten, wurden von mir aufs Sorgfältigste beseitigt « war seine Antwort gewesen.

Im Nächsten Abschnittt zeichnete sich ein Lächeln auf Rosemarys Gesicht ab, das aber im Bild darauf gleich wieder verschwunden war, da ihr Butler noch etwas hinzugefügt hatte:

» Allerdings gibt es auch eine schlechte Nachricht. Adrian Fernandes hat das Attentat leider überlebt «

» Das soll uns nicht weiter stören « meinte Rosemary selbstbewusst.

» Wichtig ist nur, dass Logans Misstrauen geweckt wurde. Heartvilia, Goldsmith, Redmoore und Santana. Wir können unmöglich zulassen, dass die vergessene Freundschaft dieser Familien erneut auflebt. Doch genug davon. Wie steht es mit unserem anderen Köder? «

» Das Santana Fräulein hat ihn geschluckt. Heute habe ich das im Postkasten gefunden «

Selbstzufrieden präsentierte Viktor eine Visitenkarte von Nightowl. Heute in fünf Tagen hole ich mir die großen vier zurück, war der Wortlaut der Karte gewesen. Erneut lächelte Rosemary zufrieden. Das nächste und letzte Bild zeigte schließlich eine große Malerei auf dem vier adelige Paare mit ihren vier kleinen Sprösslingen zu sehen waren. Die großen vier war der etwas irreführende Titel gewesen. Immerhin waren mehr als die genannten vier Leute darauf abgebildet gewesen. Doch es war unschwer zu erkennen, dass sich der Titel auf die vier Familien bezog, die dort zu sehen waren und offensichtlich gut befreundet zu sein schienen.
 

Traurig und verletzt lag Lolas Blick auf dem Blatt Papier. Lincolns Zeichnungen waren nach wie vor wirklich schön Anzusehen, doch der Umstand, dass am Ende sie die Böse war, tat ihr im Herzen weh. War der gestrige Vorfall daran schuld gewesen, oder hatte Lincoln von Anfang an mit den Gedanken gespielt, ihr Alter Ego als die Antagonisten zu verwenden? Beide Möglichkeiten schmerzten gleichermaßen, implizierten diese doch, dass sie von Anfang an Recht gehabt hatte. Von allen seinen Schwestern mochte Lincoln sie wohl am wenigsten. Und das gemeine daran war, dass sie es ihm nicht mal verübeln konnte. Es war mehr also offensichtlich, dass sie ihr Verhalten gründlich überdenken musste, wenn sie Lincolns Vertrauen wieder zurückgewinnen wollte. Fest nahm Lola sich vor, von heute an eine bessere kleine Schwester zu sein.
 

Nachdem Lola Lincolns Zimmer verlassen hatte, ging sie hinunter in die Küche. Ihr Vater stand bereits in dieser, bereitete das Essen für sich und ihre Geschwister vor. Dem Geruch nach zu urteilen, war heute Lincolns Lieblingsessen an der Reihe. Ein schmales Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Offensichtlich wurde auch ihr Vater von einem schlechten Gewissen geplagt und er versuchte nun, sich auf seine persönliche Art bei Lincoln zu entschuldigen.
 

„Hallo, Dad“, sagte Lola. Schnell drehte sich ihr Vater zu ihr um.

„Guten Morgen, Lola. Geht es dir wieder etwas besser?“, erkundigte sich Lynn Senior bei seiner kleinen Prinzessin. Als er gemerkt hatte, was er gestern angerichtet hatte und weil ihn seine Frau darum gebeten hatte, hatte er sich dazu entschlossen, Lincoln keine Straffe aufzubrummen. Doch er konnte nicht vergessen, wie sehr Lola und Lana unter der Eskalation gestern gelitten hatten.

„Ja… Ein wenig“, antwortete sie betrübt. Wie zu erkenn war, quälte sie weiterhin ein schlechtes Gewissen.

„Weißt du wo Lincoln steckt?“ Lola wollte endlich mit ihm reden, selbst dann wenn ihr etwas mulmig zu mute war.

„Tut mir Leid, Lola. Er hat heute in aller Früh das Haus verlassen, um sich mit Clyde zu treffen. Zudem hat er vorhin angerufen, und gemeint, dass er bei den McBrides zum Essen bleiben möchte…“

Lynn Senior unterbrach sich selbst, seufzte bedauernd und fügte hinzu: „Und nachdem, was ich gestern angerichtet habe, konnte ich unmöglich Neinsagern. Ich fürchte, er ist vor heute Abend kaum zurück, sofern er nicht auf die Idee kommen sollte, bei Clyde übernachten zu wollen.“

„Oh“, meinte Lola furchtbar betrübt. Lincoln ging ihr also aus dem Weg und natürlich hatte er sein Versprechen gebrochen. So sehr sie das verletzt, so gut verstand sie ihren Bruder auch.

„Und wo ist Lana?“, wollte Lola dann von ihm wissen. Mit ihr möchte sie sich ebenfalls aussprechen.

„In der Garage. Vanzilla ist gestern Abend nur mit Mühe angesprungen. Ich dachte schon, ich müsste zu Fuß nach Hause oder mit Kotaro mitfahren, als es dann doch noch klappte. Darum habe ich sie gebeten, ob sie sich ihn mal anschauen könnte? Wieder schlich sich ein schmales Lächeln auf Lolas Lippen. Das sah Lana ähnlich. Dinge zu reparieren war ihr liebstes Steckenpferd.

Gerade wollte sie sich bedanken, da meinte ihr Vater noch: „Komisch du bist schon die Zweite, die nach ihr fragt. Lori wollte auch mit ihr reden, schien aber kein Glück gehabt zu haben, da sie kaum war sie von der Garage zurück, resigniert in ihr Zimmer gegangen ist. Ist etwas zwischen euch dreien vorgefallen, von dem ich nichts weiß?“ Lynn Senior machte sich wirklich Sorgen um das Familienheil.

„Nun ja… Lana ist sauer auf mich“, gab Lola bereitwillig zu, „Aber das mit Lori überrascht mich.“ Als sie Lori alles erzählt hatten und diese sogleich mit einer Lösung angekommen war, hatte Lana sich so darüber gefreut, dass sie Lori vor Freude in die Arme gesprungen war. Warum also, war Lana plötzlich sauer auf Lori? Obwohl, wenn Lola genauer darüber nachdachte, nachdem sie Lori ins Bett geschickt hatte, wirkte Lana aus heiteren Himmel überraschend Distanziert. Immerhin hatte sie Lori am Ende nicht einmal eine gute Nacht gewünscht. Das war dann doch irgendwie seltsam.

„Verstehe… Wegen der Sache mit Lincolns Zeichnungen.“

Stumm nickte Lola mit ihrem Kopf und sagte dann: „Aber ich mache alles wieder gut. Fest versprochen. Also mach dir keine Sorgen, Dad.“

„Das ist die richtige Einstellung… Viel Glück“, antwortete ihr Vater stolz.

„Danke“, ergriff Lola das Wort und machte sich sodann entschlossen auf den Weg in die Garage. Nichts würde sie aufhalten, davon war sie überzeugt.
 

Als Lola schließlich dort angekommen war, sah sie ihre Schwester bereits, wie sie sich am Wagen zu schaffen machte. Die Motorhaube war geöffnet und Lana über den Motor gebeugt. Auf der Werkbank hinter ihr lagen ein paar Werkzeuge. In ihrer Rechten ein seltsames Stück Metall.

Nachdem sie und ihre Familie vor einiger Zeit einen großen Flohmarkt veranstaltet hatten, war darin tatsächlich wieder genug Platz für den Wagen. Es war fast schon beängstigend gewesen, wir gut sich der alte Ramsch am Ende verkauft hatte. Mit einem unguten Gefühl in Magen schritt Lola durch das geöffnete Tor. Lana hatte sie offensichtlich noch nicht bemerkt. Ob sie immer noch wütende auf sie war? Ganz bestimmt. Doch um die Dinge wieder ins Lot zu bringen war sie auf Lana angewiesen.
 

„Lana“, ergriff Lola furchtbar nervös das Wort. Verärgert drehte Lana sich um, suchte den Augenkontakt mit ihr. Lolas Stimme war die Letzte, die sie gerade hören wollte. Lanas wütender Blick schnürte ihr beinahe die Kehle zu, doch Lola schaffte es dennoch etwas zu sagen: „Kann ich…“

„Nein. Du kannst nicht!“, fiel ihr ihre Zwillingsschwester sogleich heftig ins Wort.

„Aber du weißt doch überhaupt nicht, was ich von dir möchte!“, antwortete Lola ebenso heftig. Natürlich weigerte Lana sich, ihr zuzuhören. Aber so einfach würde Lola sich keineswegs verschrecken lassen.

„Und ob ich das weiß! Ich will nicht mit dir reden… Weder mit dir, noch mit Lori. Ich dachte das hätte ich ihr vorhin klargemacht. Ich hasse auch beide… Also verzieh dich und lass mich in Frieden!“

Ängstlich und sichtbar verletzt wich Lola etwas zurück. Lanas explosiver Gefühlausbruch traf sie schwer. Verärgert drehte ihr Lana sodann den Rücken zu. Für sie war die Sache wohl damit erledigt, für Lola aber nicht. So sehr sie gerade das Weite suchen wollte, so sehr wollte sie auch bleiben und reden.

„Ich aber habe dich gern… Sehr sogar“, antwortete Lola eingeschüchtert. So leise, dass man sie nur schwer verstand. Krampfhaft ballte Lana ihre Hände zu Fäusten. Lolas nette Worte kamen überraschend.

„Hör zu… Ich kann verstehen, dass du sauer auf mich bist. Aber wieso stehst du auch mit Lori auf dem Kriegsfuß. Sie war gestern doch so nett zu uns? Sie hat nicht einmal mit uns geschimpft.“

„Weil sie mich mit dir zusammen in einem Topf geworfen hat… Zufrieden?“, erwiderte Lana lautstark. „Und jetzt verschwinde endlich. Ich hab zu tun.“

„Aber…“ Lola unterbrach sich selbst. Fast hätte sie wieder darauf bestanden, dass Lana genauso Schuld daran war, doch dann besann sie sich eines Besseren. Sie wollte die Sache in Ordnung bringen und nicht schlimmer machen.

„Aber was?“, erkundigte sich Lana gereizt. Warum war ihre Schwester immer noch hier?
 

Lola blieb ihr eine Antwort schuldig. Lana hatte deutlich gemacht, was sie von ihrer Gesellschaft hielt, doch aufgeben wollte sie nicht. Wie konnte sie erreichen, dass ihre Zwillingsschwester ihr zuhörte? Verbissen suchte Lola nach einer Lösung, doch es wollte ihr auf die Schnelle keine Idee kommen.

Ohne sich weiter um sie zu kümmern, ging Lana auf die Werkbank zu, um sich wieder ihrer Arbeit zu widmen. Scheinbar hatte Lola endlich aufgegeben. Zum Glück hatte der Motor von Vanzilla nichts Ernstes. Als ihr Vater heute Früh gemeint hatte, der Wagen würde nur noch schwer anspringen, hatte Lana zunächst etwas Schlimmeres befürchtet. Doch der Motor war in Ordnung. Zumindest so in Ordnung, wie ein über vierzigjähriger Motor sein konnte. Auch die Batterie war in einem guten Zustand, immerhin hatte Lana diese vor kurzem getauscht. Am Ende stellte sich heraus, dass nur die Zündkerze defekt gewesen war. Kurz bevor Lola in die Garage gekommen war, hatte Lana sie ausgebaut, weshalb sie diese noch in den Händen hielt. Lana legte die defekte Zündkerze auf die Werkbank und wollte gerade nach einer Schachtel greifen, in der sich eine Neue befand, – da schnappte Lola ihr eben diese vor der Nase weg.
 

Sichtbar verärgert suchte Lana erneut den Blick mit ihrer Schwester und meinte: „Gib das sofort zurück.“

Schnell ging Lola einen Schritt zurück, um aus Lanas unmittelbarer Reichweite zu kommen. Als Lola schließlich bemerkt hatte, was Lana in ihren Händen hielt und das etwas Ähnliches auf der Werkbank in einer Schachtel lag, hatte sie die rettende Idee. So musste Lana ihr einfach zuhören.

„Nein… Erst wenn du mir zugehört hast“, erwiderte Lola selbstbewusst. Eine wilde Hetzjagd durch die Garage entbrannte. Immer wieder um Vanzilla herum, lief Lana ihrer Schwester hinterher, doch so sehr sie sich auch anstrengte, die Zündkerze blieb außer Reichweite. Wütend auf ihrer Schwester gab Lana bald auf und sagte lautstark:

„Was willst du eigentlich von mir?“

„Mich bei dir entschuldigen. Ehrlich und von ganzem Herzen. Ich weiß, dass ich es übel verbockt habe. Genauso, wie ich weiß, dass ich es mir nicht nur mit Lincoln verscherzt habe, sondern auch mit dir. Darum möchte ich eine bessere kleine Schwester für dich und unseren Bruder sein.“

Verwundern über Lolas Worte, flaute ihr Ärger über sie etwas ab. Selten gab Lola zu, dass sie ein paar Minuten jünger als Lana war.

„Ich habe darüber nachgedacht, was Lori gestern gesagt hat und ich möchte Lincoln seinen Wunsch gerne erfüllen. Aber alleine habe ich nicht genug Geld. Bitte, Lana, lass uns zusammenlegen und das Kriegsbeil begraben... Ja?“

Stille Tränen sammelten sich in Lolas Augen. Hoffentlich würde Lana ihr verzeihen können?

„Ist das dein Ernst?“, erkundigte sich Lana perplex. Sie erkannte ihre Schwester kaum wieder.

Stumm nickte Lola mit ihren Kopf. Bereitwillig hielt sie Lana sodann die Zündkerze entgegen.

„Kannst du mir noch einmal verzeihen?“, fragte Lola vorsichtig optimistisch. Doch eine Antwort blieb zunächst aus. Alles was sie sah, war Lanas skeptischer Blick, der auf ihr haftete. Betroffen senkte sie ihren Kopf, ihre Augen waren traurig auf die Zündkerze gerichtet. Aus der Traum von der glücklichen Versöhnung.

„Ich verstehe… Entschuldigung, dass ich dich gestört habe... Ich lege das Ding zurück. Okay?“
 

Gerade wollte Lola einen Schritt nach vorne machen, als sich Lana überstürzt in ihre Arme warf. Überrumpelt von Lana fiel ihr die Zündkerze aus den Händen, geradewegs auf dem Boden. Im nächsten Moment drückte Lana sie fest an sich.

„Natürlich du Dummkopf“, meinte Lana mit zu tiefst gerührter Stimme. Lolas Charme und die Liebe zu ihrer Schwester hatte am Ende gesiegt. Doch ehe Lola etwas sagen konnte fügte Lana mit strenger Stimme hinzu:

„Aber das ist das letzte Mal… Hörst du?“ Ein Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. Froh über die Bereitschaft ihrer Schwester, ihr zu verzeihen, fiel Lola ein schwerer Stein vom Herzen.

„Danke“, sagte sie und erwiderte Lanas Umarmung mit großer Freunde. Bald aber lösten sich die Zwillinge peinlich berührt voneinander, als sie das vertraute klicken einer Handykamera hörten.

„Wahnsinn… Wie süß ist das denn?“, hörten sie Luans fröhliche Stimme.

„Das bekommt bestimmt Tonnenweise Klicks auf meiner Internetseite.“

„Untersteh dich, das zu veröffentlichen“, sagten Lola und Lana wie aus einem Mund und stürmten sogleich auf Luan zu. Lori hatte sie vorhin gebeten, nach dem Rechten zu sehen, als diese bei Lana abgeblitzt war. Dass die Zwillinge ihr aber, nach allem was gestern passiert war, das perfekte Bild für Geschwisterliebe liefern würden, hätte sie niemals erwartet.
 

Nachdem sie von Luna erfahren hatte, was zwischen Lincoln und den Zwillingen vorgefallen war, hatte Luan kaum ein Auge zubekommen. Schön, dass zumindest Lana und Lola wieder ein Herz und eine Seele waren. Hoffentlich würde auch Lincoln bald über seinen Verlust hinwegkommen und sich wieder mit den beiden vertragen.

Mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht ergriff Luan die Flucht vor der doppelten Bedrohung für das Heil ihres Handys. Unter keinen Umständen würde sie dieses Foto löschen. Während sie also versuchte, den Attacken der Zwillinge zu entkommen, ladete sie das Bild auf eine Virtuell Cloud. Gerade noch rechtzeitig, bevor sie Lana und Lola mit gemeinsamer Kraft zu Fall brachten und sich ihr Telefon schnappten. Keine Sekunde später war das Bild auch schon gelöscht, von Lola aus dem Speicher ihres Handys verbannt worden.
 

„Hast du das Bild gelöscht?“, fragte Lana, die mit aller Kraft versuchte, Luan am Boden zu halten. Unwissend darüber, dass ihr das nur gelangt, weil sich diese kaum werte.

„Ja“, antwortete Lola stolz.

„Bis du dir sicher?“, erkundigte Luan sich erheitert. Das breite Grinsen in ihrem Gesicht erzählte eindeutig, dass sie zu spät gewesen waren. Luans Cloud war mit einem Passwort geschützt, das weder sie noch Lana kannten. Alle Mühen waren also vergebens gewesen.

„Luan, du misse…“

„He, he, he… Immer langsam mit den jungen Pferden, Lana. Das Bild ist nur auf einer Cloud. Kein Grund also, mich gleich zu verfluchen…“ Ein amüsiertes Lachen war von Luan zu hören gewesen, bevor sie weitersprach:

„Ihr wisst doch, dass ich Nichts veröffentliche, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen.“

„Entschuldigung“, ergriff Lana das Wort. Im nächsten Moment ließ sie von ihr ab und half ihr auf die Beine. Wenig später hatte Lola Luan auch schon das Telefon zurückgegeben. Scheinbar hatten die Zwillinge ihre Niederlage akzeptiert.

„Danke“, antwortete Luan. Gut gelaunt öffnete sie ihre Cloud.

„Ihr könnt doch nicht ernsthaft wollen, dass ich das hier lösche“, fügte sie hinzu und präsentiert das Bild sogleich ihren Schwestern. Nach einem kurzen Blick erröteten beide gleichermaßen, vermieden es ab sofort, der jeweils anderen in die Augen zu sehen.

„Meinetwegen… Behalte es“, meint Lana unglaublich verlegen.

„Ja… Nur zu. Ich bin so gut getroffen“, fügte Lola ebenso verlegen hinzu.

„Punkt für die Geschwisterliebe“, sagte Luan stolz und suchte schnellst möglich das Weite. Es war immerhin wahrscheinlich, dass Lana und Lola ihre Meinung ändern und ihr wieder hinterherjagen würden.
 

Mit strahlenden Gesicht betrat Luan wenig später das Haus. Lori würde sich sicher über die Neuigkeiten freuen. Lana und Lola hingegen, blieben zurück um sich ihren Angelegenheiten zu widmen.

Normalerweise war die schmutzige Arbeit Lanas nichts für Lola, doch heute wollte sie ihr Gesellschaft leisten, selbst dann wenn sie kaum mehr tun konnte, als Lana etwas über die Schulter zu schauen. Ihre Stärken lagen dummerweise wo anders. Pünktlich zum Mittagsessen funktionierte Vanzilla wieder halbwegs zuverlässig, zumindest solange, bis sich die nächst Panne zeigen würde.
 

Lincoln hatte sich, nachdem er von Clyde zurückgekommen war, in sein Zimmer zurückgezogen. Eigentlich wollte er bei seinen Freund übernachten, da morgen ohnehin Schulfrei war und er durchaus ein wenig Abstand von seinen zahlreichen Schwestern brauchen könnte, doch Clyde hatte ihn erfolgreich ins Gewissen geredet. Die vielen Sitzungen bei Dr. Lopez bewirkten offensichtlich mehr als nur, dass Clyde seine Ängste in den Griff bekam. Bestimmt würde er später Psychologe werden wollen, so wie er sich heute ihm gegenüber verhalten hatte. Lola und Lana waren Lincoln dabei glücklicherweise nicht begegnet. Er war ohnehin noch stocksauer auf die beiden und zog es daher vor, ihnen – so gut es eben ging – aus dem Weg zu gehen. Ein paar seiner anderen Schwestern hatten ihn natürlich trotzdem gesehen, doch seltsamerweise schienen diesmal alle auf seiner Seite zu sein. Zumindest hatte ihm keine dazu geraten, sich doch bitte mit den Zwillingen auszusprechen; weder Lisa noch Luna. Selbst Luan und Lynn waren überraschend Wortkarg gewesen. Eine willkommene Abwechslung, ganz gleich was der Grund dafür sein mochte.

Ein weiterer Anlass weshalb er auf Clyde gehört hatte, war Ronnie Anne. Weil sie sich virtuell mit ihm treffen wollte hatte sie ihn vor kurzem angerufen. Darum hatte Lincoln sich schnell seinen Computer geschnappt, um nach seinen Mails zu sehen. Tatsächlich fand er gleich ihre Einladung, die vor kurzem eingetroffen war. Er klickte auf dem Link und erblickte bald Ronnie Annes Antlitz auf dem Bildschirm. Etwas verlegen lächelte sie ihm entgegen. Das ganze Freund und Freundinnen Ding schien sie noch nicht ganz verinnerlicht zu haben.
 

„Hallo, Lincoln… Schön, dass du Zeit hast“, sagte sie gut gelaunt, wenn auch etwas kleinlaut.

„Für dich immer“, antwortete Lincoln charmant.

„Du bist unverbesserlich“, erwiderte Ronnie Anne. Ihre Stimme wirkte plötzlich wieder etwas natürlicher. „Aber dein Angebot hilft mir sehr. Tante Frieder will mich und die anderen heute Abend zu einer ihrer Kunstausstellungen mitnehmen. Eigentlich keine große Sache, aber sie besteht darauf, dass ich in schicker Abendgarderobe mitkomme.“

„Wie jetzt… So richtig mit Kleid und so?“, erkundigte sich Lincoln neugierig.

„Du hast es erfasst… Doch wie du sicher weißt, bin ich kein großer Freund von peinlichen Mädchenkleidern. Ich wollte mich also eigentlich davor drücken, aber meine Großmutter hat dem einen Riegel vorgeschoben, indem sie mir damit droht, mir für die nächsten Wochen den Nachtisch zu streichen, sollte ich zuhause bleiben, und das würde ich bestimmt nicht überleben. Darum muss ich wohl oder übel mit. Charlotte hat mir also ein paar Kleider gegeben, die mir – ihrer Meinung nach – gut stehen. Dummerweise neigt auch sie dazu, mich gerne in peinliche Mädchenkleider stecken zu wollen, weshalb ich eine unabhängige zweite Meinung möchte. Und dann fielst du mir ein.“

„Echt… Du willst meine Meinung hören?“, fragte Lincoln überrascht und errötete sogleich etwas. Auch er würde seine frischgebackene Freundin gerne mal in einem hübschen Kleid sehen. Lincoln freute sich also riesig über Ronnie Annes Vorschlag.

„So sieht es aus“, sagte Ronnie Anne leicht verlegen. Auch ihre Wangen waren etwas dunklerer geworden.

„Warte hier… Okay? Ich bin gleich wieder da.“ Ronnie Anne verschwand für einen kurzen Moment aus dem Bildschirm, um nach dem ersten Kleid zu fassen. Sicher auf dem Kleiderbügel verstaut, hielt sie es sich vor ihre Brust und präsentierte sich ihren Freund. Ein kurzes, schwarzes Flamencokleid, rot gepunktet und mit Rüschen an Ärmel wie Saum umspielte ihren Körper.

„Was denkst du?“, erkundigte sich Ronnie Anne mit glühenden Wangen bei ihrem Freund. „Albern. Oder?“

Lincoln traute seinen Augen nicht. Seine Freundin sah wirklich süß aus. Aber sollte er ihr das wirklich sagen?

„Finde ich nicht. Meiner Meinung nach steht dir das Kleid hervorragend, doch für eine Kunstausstellung vielleicht die falsche Wahl. Solltest du dort allerdings tanzen wollen, bekommst du zehn von zehn Punkte von mir.“ Nervös wartete Lincoln auf ihre Antwort. Zwar hatte er mit keinem Wort erwähnt, wie süß er sie darin fand, doch bei Ronnie Anne wusste man nie, woran man war.
 

„Denkst du wirklich? Du veralberst mich doch nicht etwa, oder?“

„Keineswegs, Ronnie Anne. Das Kleid rockt, um es mit Lunas Worten zu sagen“, antwortete Lincoln. Nicht gerade die Reaktion, die er erwartet hatte, aber er war zufrieden damit.

„Und was hältst du davon?“, fragte Ronnie Anne und nahm sich sodann ein anderes Kleid. Ein schwarzes Ballkleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte war nun zu sehen. Es hatte einen dezenten Ausschnitt und war schön verziert mit hübschen Schnörkeln an Ärmel und Saum.

„Wo hast du das den her?“, erkundigte sich Lincoln leicht amüsiert. Das Kleid war hübsch keine Frage, aber Ronnie Anne wirkte darin glatt zehn Jahre älter.

„Es gehörte meiner Mom. Abuella hat es heute auf dem Dachboden gefunden und gewaschen“, antwortete sie bereitwillig. „Und… Was denkst du? Viel zu protzig oder?“

„Nicht unbedingt aber ich fürchte, da musst du noch ein bisschen Reinwachsen“, erklärte sich ihr Freund.

„Eine wirklich charmante Art mir zu sagen, es steht mir nicht“, sagte Ronnie Anne erheitert. Das Ganze machte mehr Spaß, als sie gedacht hätte.

„Oder liegt es vielleicht daran, dass ich darin so hammermäßig aussehe, dass du Angst davor hast, ein süßer Junge könnte sich auf der Veranstaltung in mich vergucken und mich verführen?“

„Okay… Du hast mich erwischt“, antwortete Lincoln humorvoll. Keiner von ihnen meinte ernst, was er gerade gesagt hatte, aber es war irgendwie unterhaltsam.

„Warte eines habe ich noch“, ergriff Ronnie Anne erneut das Wort. Ein breites Lächeln zierte ihre Lippen, als sie nach dem letzten Kleid von Charlottes engerer Auswahl fasste. Stolz präsentierte sie dieses ihren Freund. Ein kurzes, dunkelblaues Sommerkleid mit Unterrock, ausgestattet mit feinen Bändchen an den Ärmeln und einer schmalen, weißen Schleife um den Bauch. Seitlich gebunden würden so ihre Kurven besser zur Geltung kommen.

„Das sieht gleich viel besser aus“, kommentierte Lincoln begeistert. „Ich finde, dass solltest du nehmen… Das oder das Flamencokleid.“

„Ich fürchte nur, getanzt wird nicht, Lincoln“, meinte Ronnie Anne gut gelaunt. „Aber danke für deine ehrliche Meinung.“

„Immer wieder gerne“, schloss Lincoln das Gespräch vorerst.
 

Unschlüssig standen Lana und Lola vor der Zimmertür ihres Bruders. Natürlich hörten sie, dass Lincoln wieder mit Ronnie Anne chattete. Darum wollten sie warten, bis er fertig war. In ihren Händen hielt Lana das Zeichentablett, das Lincoln so gerne wollte. Dank einer Freundin Lolas, deren Eltern einen kleinen Laden in der Innerstadt ihr Eigen nennen durften, und indem Zeichenequipment angeboten wurde, hatten sie es kaufen können, obwohl heute alle Läden dicht waren. Demnach waren sie bis vor kurzem nicht zuhause gewesen. Als sie dann erfahren hatten, dass Lincoln zurück war, wollten sie sogleich mit ihm reden und sich in aller Form bei ihm entschuldigen. Auch deswegen zogen sie es vor, zu warten. Nicht, dass sie nochmal seinen Zorn auf sich lenkten, indem sie ihn unterbrechen würden, doch das Gespräch dauert schon überraschend lange und allmählich wurden die Zwillinge nervös. Je länger sie es aufschoben, umso schwerer schien es zu werden.
 

„He… Was macht ihr beiden Trauerklüse denn da?“, erkundigte sich Lynn, die vor kurzem die Treppe hochgekommen war, unsensibel wie immer bei ihren Schwestern.

„Wir möchten zu Lincoln, um uns… Nun ja. Zu entschuldigen. Aber er chattet gerade mit Ronnie Anne“, erklärte sich Lola.

„Deshalb warten wir hier“, fügte Lana hinzu.

„Da könnt ihr warten, bis ihr alt und grau werdet. Wenn Lincoln mit Ronnie Anne chattet hilft nur eines... Rohe Gewalt“, meinte Lynn überzeugt. Sie trat an beiden vorbei und ging geradewegs auf Lincolns Zimmertür zu. Ohne vorher zu klopfen öffnete sie diese, schritt hindurch und sagte sodann: „Lincoln“ Überrascht drehte sich ihr Bruder zur Tür.

„Lana und Lola wollen…“ Lynn unterbrach sich selbst, als sie Ronnie Anne auf dem Bildschirm sah. Vor kurzem hatte diese sich umgezogen, um sicherzugehen, dass ihr das Kleid wirklich stand. Eigentlich war sie ganz zufrieden damit, doch Lynn hätte sie niemals erwartet.

„Seit wann trägst du Kleider?“, kam es ihr im nächsten Augenblick über die Lippen.

„Hallo, Lynn“, sagte Ronnie Anne mit glühenden Wagen. Am liebsten hätte sie an Ort und Stelle die Verbindung unterbrochen, doch sie entschied sich anders.

„Tante Frieda will mich zu einer Kunstaustellung mitschleppen und verlangt angemessen Kleidung… Du verstehst? Darum habe ich Lincoln gebeten, mir bei der Auswahl zu helfen.“

„Und Lincoln ist dein Style-Berater, weshalb?“, erkundigte sich Lynn neugierig. Bald schon aber, zeichnete sich ein Ausdruck der Erkenntnis in ihrem Gesicht ab.

„Das ist nicht dein Ernst.“ Schneller als Lincoln und Ronnie Anne reagieren konnten, stürmte Lynn aus seinem Zimmer, hinaus auf den Flur.
 

„He, Leute… Lincoln hat eine Freundin“, hörten sie im nächsten Moment ihre Stimme durch das Haus hallen. Laut genug, damit es auch wirklich jeder hören würde.

„Du hast ihnen noch nichts davon erzählt?“, erkundigte sich Ronnie Anne erheitert.

„Ich wollte noch etwas warten“, war Lincoln knappe Antwort. Er wunderte sich gerade sehr darüber, dass seine Mutter scheinbar dichtgehalten hatte. Er hätte wetten können, die Nachricht war bereits bei allen seinen Schwestern angekommen. Offensichtlich hatte er sich geirrt.

„Ehrlicherweise muss ich gestehen, ich habe es auch noch niemandem erzählt“, ergriff Ronnie Anne verlegen das Wort. Bald darauf waren bereits eine Menge Füße auf den Flur zu hören.

„Viel Glück“ flüsterte sie ihren Freund noch zu, bevor die ersten Arme nach ihm griffen. Ein stummes Dankeschön konnte Ronnie Anne noch von seinen Lippen ablesen, gerade als ihn seine Schwestern langsam aus dem Zimmer zerrten.

„Dude, warum wissen wir nichts davon?“, wollte Luna sogleich von ihm wissen. Schneller als ihr lieb war, war Ronnie Anne alleine.

„Du kommst jetzt mit“ war noch zu hören gewesen, bevor Lincoln und seine Schwestern verschwunden waren. Einzig und alleine Lori blieb in Türrahmen zurück. Sie wollte nicht wissen, wann oder wie es dazu gekommen war, aber es war eine gute Gelegenheit. Selbstbewusst ging sie in das Zimmer ihres Bruders und setzte sich an den Tisch.

„Hallo, Ronnie Anne“, sagte Lori, noch bevor diese das Meeting schließen konnte.
 

Lincoln war bestimmt eine Weile lang verhindert und sie hatte erfahren, was sie wollte. Darum wollte Ronnie Anne den Chat eigentlich beenden, doch Lori hinderte sie daran. Überrascht widmete sie sich dem neuen Gesicht.

„He, Lori“, antwortete Ronnie Anne unschlüssig. War Lori sauer auf sie?

„Hübsches Kleid“, kommentierte Lori gefährlich emotionslos ihren neuen Look.

„Da… Danke“, meinte Ronnie Anne nervös. Ein paar Schweißperlen bildeten sich auf ihrem Gesicht.

„Ist es dir ernst?“, fragte Lori sie frei heraus. „Das mit dir und Lincoln meine ich.“

„Es ist mir ernst genug, um es zu versuchen“, antwortete Ronnie Anne etwas verärgert. War das nicht genau das, was sie immer wollte? Warum benahm Lori sich dann so feindselig?

„Nicht die Antwort, die ich gerne gehört hätte, aber gut genug. Ich hoffe, das ist keiner deiner blöden Scherze“, erwiderte Lori streng. Hinter sich hörte sie die Zwillinge tuscheln. Vermutlich waren Lana und Lola nur deshalb zurückgeblieben, um Lincoln keinen weiteren Grund zu liefern, wütend auf sie zu werden. So gerne sie und seine anderen Schwestern sich auch in sein Liebesleben einbinden wollten, so sehr hasste es Lincoln auch, wenn man ihm gut gemeinte Ratschläge erteilte. Immerhin waren sie alle Mädchen, kein Wunder also, dass sie dachten, ihre Tipps könnten Lincoln helfen, würden diese doch auch bei ihnen selbst funktionieren. Doch Lori ignorierte Lana und Lola gekonnt.

„Natürlich nicht!“, entgegnete Ronnie Anne lautstark. Diese gemeine Unterstellung wollte sie keineswegs auf sich sitzen lassen.
 

„Bist du dir sicher?“, antwortete Lori unbeeindruckt. „In den letzten Wochen hast du nämlich gerne mit seinen Gefühlen gespielt.“

Von jetzt auf gleich wurde Ronnie Anne ganz kleinlaut: „Woher…“

„Woher ich das weiß?“, fiel ihr Lori ins Wort. „Ich bin seine große Schwester. Und selbst wenn ich nur noch selten zuhause bin. Ich bin keineswegs blind. Lincoln redet mit keiner von uns gerne über sein Liebesleben, aber wenn es ihm dreckig genug geht, wird es ihm schon recht.“

„Hör zu Lori… Ich weiß, dass ich mich nicht gerade mit Ruhm bekleckert habe, aber ich habe mich bei Lincoln entschuldigt… Ganz ehrlich…“

„Das glaube ich dir aufs Wort. Sonst währet ihr jetzt wohl kaum zusammen“, fiel ihr Lori wieder ins Wort. „Aber das ändert wenig an deinem Verhalten. Lincoln mag dich wirklich sehr. Er steht übel auf dich, soviel steht fest. Doch er ist und bleibt mein kleiner Bruder und deutlich sensibler, als du denkst. Ich hoffe wirklich, du behandelst ihn so gut, wie er dich. Ohne Witz, das soll eine Warnung sein, Ronnie Anne. Als deine zukünftige Schwägerin kann ich dir dein Leben durchaus zur Hölle machen…“

„Ist das dein Ernst?“, fragte Ronnie Anne eingeschüchtert.

„Mein voller Ernst. Keine Einladung zu Weihnachten oder Thanksgiving. Kein Patentamt für eines meine elf Kinder und noch eine ganze Menge mehr. Sei also nett zu Lincoln… Verstanden?“ Ein schwer zu deutendes Lächeln legte sich über Loris Lippen. Hoffentlich war sie deutlich genug gewesen.
 

„Lincoln, wo willst du denn hin! Wir müssen doch noch shoppen gehen. So kannst du unmöglich auf dein erstes Date“, hörten sie Lenis Stimme von unten. Scheinbar hatte Lincoln sich loseisen können.

„Leni, es ist Sonntagabend. Kein Einkaufcenter der Welt hat noch geöffnet“, erwiderte Lincoln missmutig.

„Oh ja. Stimmt. Das habe ich glatt vergessen. Dann schneidere ich dir eben ein süßes Outfit“, antwortete Leni voller Tatendrang.

„Vergiss doch mal das Outfit“, zog nun Luna die Aufmerksamkeit auf sich. „Wir müssen noch ein paar gute Songs finden, die Ronnie Anne in die richtige Stimmung bringen.“

„Musik…. Das ich nicht lache. Humor ist das, was Mädchen wollen“, ergriff Luan das Wort.

„Lincoln, du musst schnell ein paar gute Witze lernen, sonst langweilst du Ronnie Anne zu Tode.“

„Coole Klamotten, romantische Musik, oder dumme Witze sind ja recht und schön, aber Intelligenz ist das was Mädchen schätzen“, gab auch Lisa ihren Senf dazu.

„Nein, liebste Schwester. Tiefschürfende Poesie und geheimnisvolle Melancholie sind der Schlüssel zum Herzen von uns Mädchen“, erklärte sich Lucy heute weniger emotionslos als üblich

„Wieso soll Lincoln sich verstellen. Ich würde mich auch so in ihn verlieben“, fügte Lilly unschuldig hinzu.

„Ihr habt doch alle keine Ahnung… Sportliche Kerle lassen Mädchen dahinschmelzen“, ergriff nun Lynn das Wort.

„Lincoln, ab sofort trainieren wir doppelt so hart. Ronnie Anne soll dich nicht für einen Schwächling halten.“

Lori und Ronnie Anne konnten sich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen. Die unterschiedlichen Meinungen von Leni und den anderen waren auch zu komisch gewesen.

„Mädchen, Mädchen. Ihr liegt alle falsch, überragende Kochkunst ist das A und O. Das hat bei eurer Mutter funktioniert und wird auch bei Ronnie Anne funktionier, so sehr wie sie immer von den Essen ihrer Großmutter schwärmt“, sprach nun Lynn Senior zu seinen Kindern. Selbst sein Vater ließ es sich nicht nehmen, seinen einzigen Sohn gute Ratschläge zu geben.

„Das ist eigentlich keine dumme Idee“, stimmte Luan überraschenderweise zu. Auch sie kochte durchaus gerne.

„Da hast du es, Lincoln. Ab morgen bekommst du persönlichen Kochunterricht von mir und Luan.“
 

„Schluss Jetzt!“, erhob Lincoln seine Stimme und plötzlich waren alle still. Er hatte sich lange genug von seiner Familie aufhalten lassen.

„Ich komme sehr gut alleine zurecht“, hörten Lori und Ronnie Anne Lincoln noch sagen, bevor sie seine wütenden Schritte auf der Treppe vernahmen. Offensichtlich war er auf den Weg nach oben.

„So leid es mir auch tut, Ronnie Anne. Ich denke, ich muss Schluss machen. War schön, sich mit dir zu unterhalten. Und vergiss nicht… Sei nett und alles kommt in Ordnung“, sagte Lori noch, bevor sie sich von Schreibtisch ihres Bruders erhob. Keine Sekunde später betrat Lincoln schon sein Zimmer.

„Na sowas, Lori. Was machst du denn hier?“, erkundigte sich Lincoln. Sein Ärger über seine Schwestern war so schnell verschwunden, wie er gekommen war, war ehrlicher Verwunderung gewichen. Tatsächlich hatte er sich gefragt, warum Lori ihm keine dummen Tipps gegeben hatte.

„Ich habe mich mit deiner neuen Freundin unterhalten und ihr ein paar gutgemeinte Ratschläge gegeben. Immerhin soll dein Liebesleben, doch so abwechslungsreich wie möglich sein.“

Lana, Lola und Ronnie Anne konnten ihren Ohren kaum trauen. Wie verlogen war das denn? Lincolns Wangen hingegen, erröteten etwas. Wie konnte er sich nur von Loris Unschuldsmiene derart zum Narren halten lassen?

Gerade wollte Lincoln etwas sagen, da fiel ihm seine ältere Schwester ins Wort: „Ich gehe ja schon... Viel Spaß noch ihr beiden.“
 

Kaum hatte sie das gesagt, verließ Lori gut gelaunt sein Zimmer. Zurück blieben Lana und Lola. Vielleicht sollten sie es jetzt versuchen, wo Ronnie Anne noch zusah?

„Lincoln“, vernahm er Lolas schüchterne Stimme von der Seite. Schnell wandte er seinen Blick nach rechts. Sogleich erblickte er die Zwillinge. Es war keineswegs so, als ob er ihnen schon verziehen hatte, doch ihre Gegenwart war unerwartete. Hatten sie gehört, worüber Ronnie Anne und Lori vorhin gesprochen hatten?

„Was... Ihr beiden auch?“

Stumm nickten Lana und Lola. Sofort sprang sein Beschützerinstinkt über die Strenge. Die Zwillinge waren deutlich zu jung für diese Art von Unterhaltung. Er hoffte inständig, dass keine Fragen von ihnen kommen würden.

„Du bist so verpeilt wie immer“, ergriff Ronnie Anne erheitert das Wort. Das Mienenspiel ihres Freundes war wirklich amüsant gewesen, doch sie wollte verhindern, dass sich Lincoln zum Narren machte.

„Lori und ich haben über etwas ganz anderes geredet. Also mach dir keine Sorgen.“ Sofort entspannten sich seine Gesichtszüge. Lana und Lola dagegen, runzelten verwirrt die Stirn. Im Gegensatz zu Lincoln und Ronnie Anne schienen sie nur Bahnhof zu verstehen. Ihre kindliche Unschuld war gerettet.

„Gott sei Dank.“ Erleichtert ließ sich Lincoln auf seinen Sessel fallen. Von Ärger war nichts zu sehen. Gute Bedingungen, um sich endlich zu entschuldigen. Gerade wollte Lola etwas sagen, da fragte Lincoln:

„Was versteckt ihr eigentlich hinter eurem Rücken?“ Er war schlicht weg zu müde, um sich über Lanas und Lolas Anwesenheit zu ärgern.

„Ein paar Geschenke für dich“, antwortete Lana verlegen und ging sodann wenige, unsichere Schritte nach vorne. Im Moment lief es wirklich gut für sie und Lola. Mit geschlossenen Augen überreichte sie Lincoln, das Zeichentablett.

„Hier bitte… Mir und Lola tut das von gestern so unendlich leid, da wollten wir uns aufrichtig bei dir entschuldigen.“ Mit zittrigen Händen und unter Ronnie Annes sprachloser Präsenz nahm er das Tablett entgegen.

„Woher habt ihr das und wieso wisst ihr überhaupt davon?“, wollte Lincoln von seinen Schwestern wissen. Heute war Sonntag. Selbst wenn sie genug Geld gehabt hätten, wie hatten sie es so schnell bekommen?

„Lori hat uns gestern davon erzählt“, beantwortete Lana schüchtern eine seiner Fragen.

„Und die Eltern meiner Freundin Ronda besitzen einen kleinen Laden in der Innenstadt, der Zeichenequipment verkauft. Ich und Lana haben sie darum gebeten, uns das Tablett ausnahmsweise zu verkaufen, selbst wenn sie geschlossen haben. Zu unserem Glück waren sie einverstanden… Darum, bitte. Kannst du uns noch mal verzeihen?“

Auch Lola überreichte Lincoln nun ein kleines Präsent. Eine Entschuldigungskarte, die Lana und Lola im Laufe des Tages gemeinsam entworfen und zusammengebastelt hatten. Gerührt nahm Lincoln diese entgegen.

„Wir entschuldigen uns so oft du willst, Lincoln. Hundertfach, tausendfach. Ganz egal wie oft. Nur bitte, fass dir ein Herz und vergib uns.“ Ein paar Tränen kullerten Lola und Lana über ihre Gesichter. Mit feuchten Augen lag Lincoln das Tablett, wie die Entschuldigungskarte zur Seite.

„Kommt her, ihr beiden.“ Zögerlich gingen Lana und Lola auf ihren Bruder zu. Im nächsten Augenblick umarmte er seine zwei kleinen Schwestern innig.

„Wieso ist es immer dasselbe mit euch? Im ersten Moment bringt ihr mich zur Weißglut und im nächsten bringt ihr mich glatt zum Heulen. Das ist echt nicht fair.“

„Hießt das?“, erkundigten sich Lola und Lana wie aus einem Mund bei ihrem Bruder.
 

„Ja… Entschuldigung akzeptiert“, sagte Lincoln und drückte die beiden sodann noch enger an sich.

„Du bist der beste Bruder der Welt, weißt du das?“, fragten Lana und Lola synchron. Ihre überglücklichen Stimmen waren Beweis genug dafür, dass endlich wieder alles in Ordnung gekommen war.

„Natürlich. Ich habe immerhin eine Trophäe, die das beweist“, meinte Lincoln gespielt selbstbewusst.

„Das ist zum niederknien, so süß seid ihr gerade. Ich klinke mich besser aus, bevor es zu kitschig wird“, zog Ronnie Anne die Aufmerksamkeit auf sich. Gemeinsam lachten die drei Geschwister über ihre Äußerung und trennten sich dann voneinander. Besser hätte es kaum laufen können.

„Gut gemacht, ihr beiden“, wandte sie sich an die Zwillinge, bevor sie sich wieder ihren Freund widmete: „Und natürlich vielen Dank für deine kompetente Beratung in Sachen Abendgarderobe.“

„Keine Ursache“, antwortete Lincoln mit gut gelaunter Stimme. „War nett mit dir zu reden und melde dich bald wieder, Ronnie Anne. Ich würde mich sehr darüber freuen.“

„Ganz bestimmt“, verabschiedete sich Ronnie Anne von Lincoln und seinen Schwestern. Kurz darauf hatte sie das Meeting beendet. Es wurde ohnehin höchste Zeit, dass sie sich fertig machte.

„Jetzt da wieder alles zwischen uns in Ordnung ist. Könntest du bitte Rosemarys Rolle in deiner Geschichte abändern. Ich möchte ungern die Böse sein“, ergriff Lola das Wort, kaum waren sie alleine.

„Woher…“, Lincoln unterbrach sich selbst, bevor er ungezwungen zu Lachen begann. Warum verließ er auch das Haus, ohne vorher abzuschließen?
 

„Lola, Rosemary war nie die Böse in meiner Geschichte. Sagt dir der Begriff Antiheld etwas?“

„Nicht wirklich“, antwortete Lola wahrheitsgemäß. Für einem kurzen Moment dachte sie tatsächlich, es von neuem verbockt zu haben. Sie war so froh über Lincolns Reaktion, dass sie Lanas anklagenden Blick einfach ignorierte. Solange sie es sich nicht mit Lincoln verscherzte, würde Lana ihr schon verzeihen können.

„Das sind Personen, die schwer zu rechtfertigende Dinge tun, aber dabei nur die besten Absichten im Sinn haben. Manchmal beginnen sie von alleine ihr Handeln zu hinterfragen und wechseln irgendwann auf die gute Seite, manchmal aber auch nicht. Was jedoch ständig bleibt, sind ihre guten Absichten. Rosemary war nie die Böse, alles was sie will ist ihre Familie und ihre Stadt in eine glorreiche Zukunft zu führen. Sie hat allerdings den falschen Berater dafür, doch mehr möchte ich nicht verraten. Und auch du, Lola bist nicht meine böse kleine Schwester, aber die Aufdringlichste und Charakterfesteste.“

„Ehrlich“, fragte Lola überglücklich. Stumm nickte Lincoln mit seinem Kopf. Das war Antwort genug.

„Und was ist mit mir?“, erkundigte sich Lana leicht eingeschnappt.

„Du bist das Mädchen, mit dem ich vor meinen Freunden angeben kann. Stehst auf der Überholspur und die beste Mechanikerin, Handwerkerin und Klempnerin, die ich kenne. Ich bin stolz auf euch beide und weiß nicht, wie ich mich bei euch revanchieren kann.“

„Ganz einfach... Du zeichnest deinen Comic zu Ende und zeigst ihn uns, sobald du damit fertig bist. Kannst du uns das Versprechen“, ergriff Lola das Wort. Endlich war wieder alles in Ordnung.

„Nichts leichter, als das“, antwortete Lincoln und schloss die Zwillinge erneut in die Arme. Ende gut alles gut.



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