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Mein Weg zu Dir

von

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Mimi

Als ich im Krankenhaus ankomme, laufe ich direkt meiner Mutter in die Arme. Die Fahrt hierher war der blanke Horror! Ich habe mir die ganze Zeit über die schlimmsten Dinge vorgestellt.

»Mimi, oh mein Gott. Wie gut, dass du da bist.« Sie schließt mich kurz in ihre Arme und begutachtet mich dann eingehend. »Wie siehst du denn aus? Kommst du gerade aus einem Stripclub?«

Wow. Ich dachte, sie meint meine verlaufene Schminke, weil ich im Taxi ununterbrochen geweint habe. Aber tatsächlich meint sie mein Outfit.

»Ich war feiern, Mom«, sage ich genervt und wische ihre Hände von mir. »Ist doch jetzt auch völlig egal. Wie geht es Dad? Wo ist er? Was hat er?«

Und wieso bist du hier? Aber das verkneife ich mir lieber.

Meine Mutter seufzt und nimmt mich an die Hand. Sie führt mich zu einer kleinen Sitzreihe im Wartebereich. Nachdem wir uns hingesetzt haben, sieht sie mich vielsagend an.

»Dein Vater hatte einen Nervenzusammenbruch und hat sich komplett zulaufen lassen. Alkoholvergiftung. Aber er kommt durch. Es ist also nichts Ernstes.«

Nichts Ernstes?

Nichts Ernstes?

»Wie kannst du behaupten, das wäre nichts? Ich bitte dich, Mom«, fauche ich sie an und bin gleichzeitig fassungslos, dass sie den Zustand meines Vaters - ihres Noch-Ehemannes - so herunterspielt. »Ich habe Dad heute Abend gesehen. Er war völlig am Ende. Deinetwegen. Es ist ein Wunder, dass ihm nichts Schlimmeres zugestoßen ist.«

Ich bin so wütend, dass ich kotzen könnte. Das zweite Mal an diesem Abend. Meine Mutter sieht mich nur verwirrt an.

»Meinetwegen?«

»Ja, deinetwegen«, sage ich genervt und fahre mir durchs Haar. »Du hast ihm doch nichts von deiner Schwangerschaft gesagt. Das konnte ich dann übernehmen. Stattdessen machst du ihm falsche Hoffnungen und lädst ihn zu diesem bescheuerten Abendessen in irgendein Restaurant ein. Mal im Ernst, Mom. Was hast du dir nur dabei gedacht?«

»Du hast es ihm gesagt? Das mit meiner Schwangerschaft?«, entgegnet Mom und ich nicke irritiert.

»Ja, natürlich habe ich das. Was hätte ich denn sonst tun sollen? Zusehen, wie du ihm ein zweites Mal das Herz brichst?«

Doch meine Mutter schüttelt nur enttäuscht den Kopf. Was ist denn jetzt los?

»Oh, Mimi … Liebes. Wie konntest du nur? Ich hätte es ihm schon schonend beigebracht, das kannst du mir glauben. Ich wollte ihn mit der Einladung nicht verletzen oder ihm neue Hoffnungen machen. Ich wollte das ausnahmsweise mal klären, wie Erwachsene das tun, ohne Streit, ohne Geschrei. Aber du musstest ja vorweg greifen.«

Moment. Entgeistert und mit offenem Mund sehe ich sie an. Was will sie mir denn damit sagen?

»Denkst du etwa, ich bin Schuld, dass er jetzt hier liegt?« Ungläubig lachend zeige ich mit dem Finger auf mich. Ich weiß gar nicht, wie ich darauf reagieren soll. »Bin ich hier jetzt die Schuldige, in diesem ganzen Szenario?«

»Oh, Mimi«, sagt sie und greift nach meiner Hand, um sie zu drücken. »Ich bin dir nicht böse. Ich weiß ja, wie du bist. Du handelst immer erst, bevor du nachdenkst. Wahrscheinlich hätte ihn die Neuigkeit so oder so getroffen.«

Ach, was? Das ist das, was ich schon die ganze Zeit versuche, zu sagen.

»Aber du hättest dich wirklich nicht einmischen dürfen. Ich hätte das schon mit ihm geklärt. Und du hättest ihn danach nicht allein lassen dürfen. Du hättest mich anrufen können. Du weißt, dein Vater ist gerade psychisch sehr labil.«

Ich beiße mir auf die Unterlippe. Genau das habe ich mir auch schon den ganzen Abend über vorgeworfen. Aber es jetzt noch mal ausgerechnet von meiner Mutter zu hören, ist doppelt so schlimm und trägt nicht gerade dazu bei, dass ich mich besser fühle.

»Mom«, sage ich eindringlich und sehe ihr mit Nachdruck in die Augen. »Er hatte Rosen für dich besorgt. Verstehst du? Gott verdammte, beschissene Rosen! Das sind die Blumen der Liebe.« Anscheinend muss ich mit ihr reden, wie mit einem Kleinkind, damit sie mich und meine Beweggründe versteht. Ich habe ihm diese Neuigkeit ja nicht zum Spaß erzählt. Ich wollte ihn nur vor einer weiteren Enttäuschung bewahren.

Mom seufzt und verdreht die Augen darüber, als wäre das ein Witz. Sie nimmt das überhaupt nicht Ernst.

Sie kotzt mich gerade so an, mit ihrer gleichgültigen Art.

»Unsere Trennung war endgültig. Und dein Vater weiß das.« Wie, um diese These zu untermauern, legt sie eine Hand auf ihren noch flachen Bauch. Natürlich. Nun gab es kein Zurück mehr. Das war mir klar und heute war der Tag, an dem es auch Dad ein für alle mal bewusst wurde. Aber eben erst heute.

Ich weiß selbst wie es ist, die ganze Zeit über diesen kleinen Funken Hoffnung in sich zu tragen, der alle Zweifel in den Hintergrund stellt und einen nicht mehr rational denken lässt. Erst, wenn einem vor Augen geführt wird, wie aussichtslos diese Hoffnung ist, begreift man es. Erst, wenn das Herz wirklich am Boden liegt, weiß man, dass man keine Chance mehr hat.

»Weißt du was?«, sage ich, winke ab und stehe auf. »Lass uns in Zukunft einfach in Ruhe.«

»Mimi! Sag mal, wie redest du denn mit mir?«, weist sie mich sofort zurecht, als wäre ich völlig von Sinnen. Aber ich habe noch nie in meinem ganzen Leben so klar gesehen.

»Doch, ich meine es Ernst, Mom.«

Sie zischt verächtlich. »Du weißt ja gar nicht, was du da redest. Mal ehrlich, wie viel hast du getrunken? Denkst du, ich merke nicht, dass du nach Alkohol und Zigarettenrauch riechst?«

»Pfft, na und wenn schon«, sage ich und verschränke bockig wie ein kleines Kind die Arme vor der Brust.

»So habe ich dich nicht erzogen, Mimi Tachikawa«, entrüstet sich meine Mutter und steht von ihrem Stuhl auf. Nun sehen auch die anderen Leute im Wartebereich zu uns rüber, während wir uns gegenüberstehen und uns anfunkeln wie zwei uralte Erzfeinde.

»Nein, da hast du recht. Das mit dem Alkohol trinken habe ich von Dad«, erwidere ich giftig und verenge die Augen zu Schlitzen. »Aber vielleicht trinken wir ja auch nur, weil wir deine Nähe und dein Gerede nicht mehr ertragen können.«

Bäm! Das hat gesessen.

Meiner Mutter entgleiten sämtliche Gesichtszüge, was mir einen kurzen Moment des Triumphs verschafft. Bis sie blinzelt und die altbekannte Härte zurückkehrt.

»Okay. Wahrscheinlich habe ich das verdient«, sagt sie und versucht, die Fassung zu wahren. Das Letzte, was sie will, ist eine Szene in der Öffentlichkeit. Dafür kenne ich sie zu gut. »Aber glaub mir, du wirst es noch bereuen, mich so verurteilt zu haben.«

»Ja, na klar«, sage ich gelangweilt, gehe an ihr vorbei und lasse sie eiskalt stehen. Ich habe für heute genug von ihr.

»Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, Mimi«, ruft sie mir hinterher, aber diesmal ignoriere ich sie gekonnt.

Ach, halt doch einfach den Mund.

Ich gehe zur Anmeldung und frage, auf welchem Zimmer mein Vater liegt und ob ich zu ihm kann. Die Schwester führt mich hin und weist mich noch mal darauf hin, nicht all zu lang zu bleiben, da er noch Ruhe braucht. Als ich den Raum betrete, wird mir sofort mulmig zu mute. Ein weißes, steriles Zimmer … das piepende Geräusch der medizinischen Geräte, das als einziges den Raum erfüllt. Und mein Vater, wie er an einer Infusion hängend, auf dem Bett liegt.

»Dad«, sage ich zaghaft und er dreht den Kopf in meine Richtung.

»Mimi, Liebling«, sagt er und seine Augen werden bei meinem Anblick feucht. Ich eile zu ihm, setze mich auf die Bettkante und nehme seine Hand in meine.

»Oh, Dad. Es tut mir so, so Leid«, sage ich voller Bedauern, während er nur den Kopf schüttelt.

»Nein, Schatz. Du kannst am aller wenigsten etwas dafür.« Seine Stimme ist rau und angeschlagen. Wahrscheinlich haben sie ihm den Magen ausgepumpt. Mir schießen die Tränen in die Augen.

»Doch«, widerspreche ich ihm und senke den Blick, damit er nicht sieht, wie sehr ich mich dafür schäme, was passiert ist. »Es tut mir so Leid, dass ich mich in eure Angelegenheiten eingemischt habe. Hätte ich das nicht getan, würdest du jetzt nicht hier liegen.«

Schwach greift er nach meiner Hand und zieht sie an seine trockenen Lippen, um einen sanften Kuss darauf zu hauchen.

»Doch, Mimi. Ich wäre genau da, wo ich jetzt bin. Nur ein paar Stunden später. Du hast mir einiges erspart, weil ich durch dich nicht zu diesem Treffen gegangen bin. Und es tut mir Leid, was ich vorhin zu dir gesagt habe. Das war nicht so gemeint.«

Dad ist so stark! Ich fasse nicht, dass er sich gerade bei mir entschuldigt. Egal, wie kaputt er im Moment ist oder wie schlecht es ihm geht und was er alles getan hat, um sich selbst zu schaden. Er ist und bleibt mein größtes Vorbild.

»Soll ich wieder bei dir einziehen?«, schlage ich vor. »Ich könnte mich dann viel besser um dich kümmern. Es würde mir besser gehen, wenn du in Zukunft nicht mehr so viel alleine wärst.«

Dad schenkt mir ein sanftes Lächeln und schüttelt sofort den Kopf. »Es ist nicht deine Aufgabe, dich um mich zu kümmern.«

»Aber es macht mir nichts aus …«

»Mimi«, unterbricht er mich und legt eine Hand an meine Wange. »Du hast in den letzten Monaten so sehr unter unserer Trennung leiden müssen. Du hast das alles wortlos ertragen, als deine Mutter noch bei uns gewohnt hat. Und danach, als sie weg war, bist du länger als nötig noch bei mir geblieben und hast dich um alles gekümmert, weil ich es nicht konnte. Dass du ausgezogen bist, war die beste Entscheidung, die du seitdem für dich selbst getroffen hast. Du brauchst dein eigenes Leben, Kleines. Und ich brauche meines zurück.«

Angestrengt presse ich die Lippen aufeinander, um nicht gleich wieder losheulen zu müssen. Dass er mich nicht bittet, für ihn zurück zu kommen, beweist, wie sehr er mich liebt. Und ich liebe ihn. Ich wäre, ohne mit der Wimper zu zucken, sofort wieder bei ihm eingezogen. Hätte mich um den Haushalt gekümmert. Hätte ihm dabei geholfen, wieder auf die Beine zu kommen und sich einen neuen Job zu suchen. Aber Dad hat recht. Ich muss auf eigenen Füßen stehen, genauso wie er. Und nur, weil wir getrennt leben, heißt das nicht, dass wir nicht füreinander da sein können.

»Okay«, lächle ich zufrieden. »Dann lass mich dich wenigstens aus dem Krankenhaus abholen, wenn du entlassen wirst.«

»Das kann ich dir gerade noch so erlauben«, lacht Dad und greift sich danach sofort mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Kehle.

»Hast du Schmerzen, Dad?«, frage ich gleich besorgt. »Soll ich einen Arzt holen?«

»Nein, nein, es geht schon. Es ist wahrlich keine Freude, wenn einem der Magen ausgepumpt wird und man vorher seine Speiseröhre mit hochprozentigen Alkohol lädiert hat.«

Ich lege eine mitfühlende Miene auf und stehe auf. »Dann lasse ich dich jetzt mal in Ruhe. Du bist sicher müde.«

Dankbar sieht mein Dad zu mir auf. »Es war schön, dich zu sehen. Ich bin froh, dass wir das geklärt haben.«

»Ich auch«, lächle ich und gehe rückwärts zur Tür. »Ruf mich an, sobald du nach Hause darfst. Ich besorge dir einen extra Premium Fahrservice nach Hause.«

Ich zwinkere ihm zu und er versucht, nicht mehr zu lachen. Dann verlasse ich das Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Ich bin so froh, dass ihm nichts passiert ist. Ich weiß wirklich nicht, was ich sonst ohne ihn gemacht hätte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Danke für eure vielen Kommentare :) Auch wenn ich nicht immer dazu komme, auf jeden zu antworten, lese ich sie doch alle und freue mich immer sehr über euer Feedback! :* Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Linchen-86
2022-07-17T18:07:13+00:00 17.07.2022 20:07
Es gibt 2 Personen die ich im deiner Geschichte nicht mag.
Weißt du wen ich meinen könnte?
Eine ist Mimis Mutter... Also, puh, die hat ja Nerven.
geht echt gar nicht...
Aber ich bin froh, dass Mimis Vater nicht mehr verletzt war, ich habe nämlich schon an ganz andere Dinge gedacht.

In dem Sinne, ich freu mich auf die nächsten:)
Von:  Hallostern2014
2022-07-10T20:20:27+00:00 10.07.2022 22:20
Mimis Mutter kann gleich mit Soras zur Sonne geschossen werden. 1..was geht es ihr an was sie Trägt. Mimi kann sowas halt tragen. Und 2. Nichts Ernstes? Wie spinnt. Der hätte ich eine gescheuert egal ob es meine Mutter ist. Ihr Papa tut mir so leid. Und Mimi noch mehr sie muss so viel ertragen 😥. Ihre Mutter ist echt das Letzte..ihn Ruhe alles erklären ist klar. Die hätte ihn danach mit seinen Gedanken alleine sitzen lassen. Und dann wäre er auch abgestürzt..Und Mimi die Schuld geben ist das letzte.

Go Mimi Go..gibt es deine Mutter. Die hat es verdient. Später werden wir ja eh sehen wer als letztes lacht.

😍 der schönste Teil dieses Kapitel. Ich finde es so toll das Mimis Dad sich entschuldigt. Und er ihr nochmal Mut zu gesprochen hat das sie alleine Wohnen soll. Ich finde es so toll das er ihr nochmal gesagt hat, dass sie nicht Schuld am allem ist. Sondern die Eltern bzw die Frau/Mutter.

So nun zum letzten Kapitel 🤣😍

Von:  Ariana
2022-07-10T20:18:41+00:00 10.07.2022 22:18
Wow! Mimis Mutter ist wirklich schrecklich. So verblendet. Es ist ja okay, wenn man sich gegen die Familie entscheidet und was neues aufbaut. Alles soweit in Ordnung. Aber wie sie es handhabt ist wirklich nicht gesund.
Und dann gibt sie Mimi die Schuld an der Misere? Wahnsinn… sie denkt wohl, sie sei eine heilige 😅

Das Gespräch zwischen Mimi und ihren Vater fand ich so toll. Er ist ein toller Vater und er reflektiert sein Verhalten. Er hat es auch super gesagt, dass Mimi sich für ihr Leben entscheiden soll und nicht für andere aufopfern. Daran sieht man, was für ein guter Mensch er doch eigentlich ist.
Ich muss sagen, dieses Kapitel war ein bisschen Balsam für meine Michi Seele. Mal sehen wie lange 🙈

❤️


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