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Gestern, heute und für immer

Midnight x Mt. Lady
von

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Drei Wochen zogen ins Land. Es war später Vormittag, als Nemuri in den Flur Richtung Lehrerzimmer bog. Sie trug einen ganzen Stapel Klausuren unter dem Arm, welche ihre Klasse soeben in der letzten Doppelstunde geschrieben hatte. Na hoffentlich hatten ihre Schüler ausreichend gelernt, sodass die Noten nicht all zu schlecht ausfallen würden. Einerseits wäre ihr das lieber, da gute Klausuren schneller zu korrigieren waren, andererseits gönnte die Lehrerin ihren Schülern gute Noten und Erfolg zweifelsohne auch. Vielleicht würde sie schon heute nach Unterrichtsschluss mit der Korrektur beginnen. Zumindest dachte sie darüber nach dies zu tun, sollte ihr sonst nichts dazwischenkommen.

Um diese Uhrzeit war im Schulgebäude angenehm wenig los. Die meisten Schüler hatten sich inzwischen auf den Weg zur Cafeteria gemacht, um sich ein Mittagessen zu gönnen und die Pause zu nutzen, um mit Klassenkameraden zu plaudern, ehe die Mittagspause beendet wäre und der heutige Unterricht fortgesetzt werden würde.

Für Nemuri stand in den kommenden zwei Schulstunden auf dem Plan, ihre eigene Klasse in Kunstgeschichte zu unterrichten, ein Fach, welches ihr selbst und auch den Schülern meist Freude bereitete. Doch vor dem nächsten Unterricht, wollte auch sie ihre Pause genießen und rasch etwas essen, nachdem sie die Klausuren ins Lehrerzimmer gebracht hätte.

Vielleicht ließen sich einige Kollegen auch zu einer gemeinsamen Mittagspause rekrutieren. Nicht nur die Schüler unterhielten sich in ihrer Freizeit gern.

Als Midnight die Tür zum Lehrerzimmer öffnete und den Raum betrat, entdeckte sie Ektoplasma, welcher an seinem Schreibtisch saß und durch den Finanzteil der Tageszeitung blätterte. Eraser Head lungerte in seinem Schlafsack auf dem Boden herum und befand sich im Halbschlaf, während Nr. 13 am Fenster stand und interessiert in einer Zeitschrift blätterte. Mic stand hinter der jungen Lehrerin und überflog den Artikel ebenfalls. Seine Mimik spiegelte Überraschung und einen gewissen Unglauben wieder.

„Hallo zusammen!“, grüßte Nemuri in die Runde, ehe sie die Klausuren auf ihrem eigenen Schreibtisch ablud und sich dann zu Thirteen und Mic gesellte. Was auch immer die beiden da gerade für eine Zeitschrift ansahen, der Artikel schien interessant zu sein, wenn man ihren Mienen Glauben schenken konnte. Dies wiederum machte auch die Lehrerin neugierig.

„Was lest ihr beiden da? Ihr starrt die Zeitschrift ja an wie ein Weltwunder.“ Die Dunkelhaarige stieg über den am Boden dösenden Eraser hinweg und blieb schließlich neben ihren beiden Kollegen stehen.

„Hallo Midnight.“, begrüßte Thirteen die Ältere freundlich, wirkte seltsamerweise aber auch etwas nervös. „Ach, eigentlich nichts besonderes. Wir blättern bloß ein wenig durch die Artikel.“

Die Heldin im Astronautenkostüm klappte die Zeitung etwas mehr zu.

„Genau, gar nichts besonderes. Vollkommen uninteressant.“, stimmte ihr blonder Kollege praktisch sofort zu, doch auch seiner Stimme war anzuhören, dass irgendetwas mit dem zuletzt gelesenen Artikel sein musste.

„Klar, was auch sonst?“, kam es ironisch von Midnight. „So sehr wie ihr euch bemüht den Artikel als nichts besonderes abzustempeln, aber gleichzeitig so seltsam nervös klingt, stimmt hier doch irgendetwas nicht.“ Noch ehe ihre Kollegin reagieren konnte, hatte Nemuri ihr die Zeitung abgenommen.

„Les es nicht.“, kam es wenig motiviert und monoton von Eraser, von dem sie eigentlich gedacht hatte, dass er lediglich vor sich hindösen würde.

Das Verhalten der anderen Lehrer war wirklich suspekt und trug nicht gerade zu ihrer Glaubwürdigkeit bei. Der Artikel in der Zeitschrift wiederum, wurde dadurch nur noch spannender.

Nemuri ignorierte, was ihre Kollegen zuvor gesagt hatten, drehte sich mit der Zeitschrift etwas weg, damit niemand ihr diese so schnell wieder abnehmen konnte, und begann damit den Artikel, um den es gehen musste, zu überfliegen.

Sie blinzelte. Ein Interview mit Mt. Lady. Aber was sollte denn bitte mit dem Artikel sein, dass die anderen Lehrer versucht hatten, sie davon abzuhalten, das Interview zu lesen? Das Verhalten ihrer Kollegen ergab keinen Sinn.

Midnight begann damit das Interview zu überfliegen, während es im Lehrerzimmer seltsam still geworden war. Alle Anwesenden schienen die Luft anzuhalten.

»Ein exklusives Interview mit Mt. Lady. Lesen Sie hier, was Sie schon immer über die junge Profiheldin wissen wollten.«, lautete der Titel des Interviews.

Neben dem Artikel befand sich ein Foto der jungen Blondine, welche gut gelaunt und motiviert in die Kamera lächelte. Wieder fand Nemuri, dass die Heldenmaske der Jüngeren ihre Gesichtszüge etwas verfremdete, doch gleichzeitig gab das Heldenkostüm ihr auch etwas Offizielles.

»Sie haben nun vor ein paar Wochen Ihre eigene Agentur in der Stadt eröffnet. Haben Sie sich inzwischen gut eingelebt?«, lautete die erste Frage des Interviews.

»Aber ja, das habe ich. Diese Stadt ist immerhin meine Heimat. Hinzu kommt, dass die anderen Profihelden hier wirklich nett sind und meine Fans mich gleich von Anfang an so lieb unterstützt haben. An dieser Stelle: vielen Dank dafür! Ihr seid einfach die Besten!«

»Das ist schön zu hören. Sie sind noch sehr jung und haben sich direkt selbständig gemacht, ohne zuvor in einer anderen Agentur als Sidekick gearbeitet zu haben. Bringt die Selbständigkeit nicht manchmal auch Komplikationen mit sich?«, lautete die nächste Frage.

Überrascht zog Nemuri eine Augenbraue hoch. Sie war davon ausgegangen, dass Yu in einer anderen Stadt mit Sicherheit zuvor als Sidekick gearbeitet hatte, doch das war scheinbar nicht der Fall. Wer um alles in der Welt machte sich denn direkt selbständig, ohne zuvor wenigstens ein paar Jahre lang Erfahrung gesammelt zu haben?

»Im Großen und Ganzen ist es recht unproblematisch eine eigene Agentur zu führen. Das war immerhin auch schon seit Ewigkeiten mein Traum. Und wenn ich doch mal nicht weiter weiß, speziell was das Organisatorische betrifft, kann ich mich an Kamui Woods wenden. Er war so nett und hat mir angeboten, das ich ihn im Notfall fragen kann. Er ist immerhin schon seit einigen Jahren Profiheld und hat entsprechende Erfahrung sammeln können.«

»Sie haben also seit Ihrem Debüt Kontakt zu ihm?«, hakte der Interviewer noch einmal nach.

»Ja, genau so ist es.«, bestätigte Mt. Lady.

»Dann ist an den Gerüchten also etwas Wahres dran? Das Kamui und Sie ein Paar sind?«

»Kein Kommentar.«, wich die Blondine aus.

Erneut zog Midnight interessiert eine Augenbraue hoch. Anstatt eine klare Antwort zu geben, wich Yu der Frage aus. Tat sie das, weil sie ganz einfach nicht antworten WOLLTE, auch um ihr Privatleben zu schützen, oder aber beantwortete sie die Frage nicht so direkt, um die Neugier der Medien und der Stadtbewohner nur noch zusätzlich anzufachen? Das sie die Aufmerksamkeit der Menge genoss wie keine Andere, hatte die junge Heldin in den vergangenen Wochen bereits mehr als einmal gezeigt.

Und was war mit Kamui Woods? Die Kleine hatte ihm neulich den Auftritt gestohlen und trotz allem hatten sie nun scheinbar regelmäßig Kontakt und er hatte ihr sogar seine Hilfe angeboten, sollte die eigene Agentur die junge Heldin gerade anfangs doch etwas überfordern. Wirklich interessant. Vielleicht war an den Gerüchten also wirklich etwas dran?

»Aber genug davon, etwas ganz anderes dürfte unsere Leser ebenfalls interessieren: jeder hat irgendeinen Lieblingshelden, zu dem er aufsieht. Ist es wahr, das Midnight so etwas wie Ihr großes Vorbild ist?«

»Midnight? Oh, nein, nein, das stimmt so nicht ganz. Es stimmt schon, dass sie sich einen gewissen (zweifelhaften) Ruf aufgebaut hat, aber sie ist nie über den Rang eines Sidekicks hinausgekommen und die Blüte ihrer Jugend hat sie inzwischen auch bereits hinter sich gelassen. Vielleicht trete ich als junge Heldin gewissermaßen in ihre Fußstapfen, aber ich löse sie viel mehr ab und werde meinen ganz eigenen Weg gehen. Wenn wir von Vorbildern sprechen, dann würde ich eher Hawks als ein Vorbild bezeichnen. Er ist auch noch so jung und bereits seit einer ganzen Weile selbständig. Außerdem schätze ich auch Edge Shot und Kamui Woods als erfahrene Profihelden sehr...«

Der Griff um die Zeitung verstärkte sich und zerknickte das Papier. Nemuri glaubte sich verlesen zu haben. Bitte was?!

„Dieses dumme Gör nennt mich allen Ernstes ALT?!“, blaffte sie verärgert. Die anwesenden Kollegen zuckten kurz zusammen und tauschten Blicke aus.

„Genau aus dem Grund solltest du den Artikel nicht lesen.“, murrte Aizawa vom Boden aus, ehe er die Augen wieder schloss und versuchte weiterzuschlafen.

„Du bist nicht alt, das weißt du genau und alle anderen wissen es auch.“, versuchte Mic seine Kollegin zu beruhigen, wusste er doch, wie empfindlich sie darauf reagierte, als alt bezeichnet zu werden. 30 zu werden hatte Nemuri zu schaffen gemacht, als aus der 30 eine 31 geworden war, war sie darüber auch nicht unbedingt erfreut gewesen.

„Mt. Lady ist da ein wenig übers Ziel hinausgeschossen.“, versuchte auch Nr. 13 zu beschwichtigen. „Vielleicht hat sie es gar nicht so gemeint, oder aber sie hat es nie so gesagt und die Presse hat ihr die Aussage in den Mund gelegt. Was in die Zeitung gedruckt wird, darauf hat Mt. Lady letztlich immerhin keinen Einfluss.“

Einerseits hoffte Nemuri, dass an der Überlegung ihrer Kollegin wirklich etwas Wahres dran war, andererseits änderte das nichts daran, dass sie in diesem Artikel nicht gerade gut weggekommen war.

Dann musste sie wieder an die Vergangenheit denken. Das letzte Treffen mit Yu vor deren Tür und wie sie damals reagiert hatte. Sollte die Blondine immer noch etwas gegen sie haben, würde sie das nicht wundern und äußerst temperamentvoll und direkt war die Kleine auch damals schon gewesen.

Im Fragebogen der UA, hatte Yu Midnight zwar noch als ihr Vorbild bezeichnet, aber das hatte sich ganz eindeutig geändert. Woran das lag, konnte die Dunkelhaarige sich ziemlich genau denken. Und wenn die Blondine weiterhin nicht gut auf sie zu sprechen war, dann traute sie ihr so eine Aussage in einem Interview durchaus zu.

Dieser verdammte Grünschnabel! Nemuri war so verärgert, nachdem sie den Artikel gelesen hatte, dass sie nicht übel Lust hatte, die Blondine am Kragen zu packen und zu schütteln.
 

Erneut vergingen zwei Wochen. Normalerweise arbeitete die junge Frau inzwischen seit Jahren als Lehrerin, dennoch konnte es vorkommen, von Fernsehsendern eingeladen zu werden.

Am heutigen Abend stand einer dieser Fernsehauftritte bevor, bloß dass das heutige Live-Interview sich von den Interviews unterscheiden würde, die sie bisher gegeben hatte.

Die Dunkelhaarige saß bereits im Fernsehstudio hinter einem Tisch und konnte die Angestellten dabei beobachten, wie letzte Vorbereitungen getroffen wurden. Die Position einiger Kameras und Lampen wurde noch verändert, während Personal des Fernsehsenders geschäftig durch das Studio flitzte.

Nemuri war nicht wirklich aufgeregt, denn sie war nicht zum ersten Mal als Gast in einem Fernsehstudio, dennoch würde der heutige Abend sich von bisherigen Interviews unterscheiden und sie wusste auch schon ganz genau woran das lag.

Die Tür des Studios wurde geöffnet und herein kam ein weiterer Angestellter des Studios, den Grund für die Annahme, dass es heute stressig werden könnte, im Schlepptau.

„Vielen Dank für das Autogramm!“, redete der Mitarbeiter gerade enthusiastisch auf die Person ein, welcher er nun einen Sitzplatz zuwies. Er deutete dabei auf den Platz genau neben der Lehrerin. „Setzen Sie sich doch bitte. Wir gehen dann bald auf Sendung.“

„Keine Ursache, das hab ich doch gern gemacht.“, plauderte der andere Gast des heutigen Abends munter mit dem Angestellten und blieb schließlich genau neben ihr stehen.

„Kann ich vielleicht noch etwas zu trinken bekommen?“, bat die Blondine.

„Natürlich. Ich bringe gleich noch Wasser vorbei.“, versicherte der Mitarbeiter. „Für Sie natürlich auch, Midnight. Entschuldigen Sie, dass hier nicht schon längst Getränke stehen, aber ich fürchte, hier geht es heute etwas drunter und drüber.“

Die Lehrerin winkte ab. „Halb so wild. Innerhalb von 5 Minuten ist außerdem noch nie jemand verdurstet.“

Der Angestellte lief eiligst los, um sich um die Getränke zu kümmern, während Yu noch vor dem ihr zugewiesenen Platz stehen blieb und die andere Heldin musterte.

Auch Nemuri ignorierte die Mitarbeiter des Studios, welche noch mit der Organisation der Sendung beschäftigt waren vorerst und blickte hoch zu der Profiheldin. Blaue und rötliche Augen trafen sich. Ein merkwürdiges Gefühl überkam sie.

8 Jahre lang hatten sie sich nicht gesehen und nun stand die Blondine wieder vor ihr. Aus der Jugendlichen von damals war eine junge Erwachsene geworden. Gesichtszüge und Frisur hatten sich kaum verändert, allerdings unterstrichen die Dominomaske und das Heldenkostüm der Jüngeren, dass sie inzwischen keine Schülerin mehr war, sondern erfolgreich ihren eigenen Weg eingeschlagen hatte. Ein seltsames Gefühl Yu nach all den Jahren so plötzlich wiederzusehen.

Obwohl Takeyama sich insgesamt kaum verändert hatte, so bemerkte Nemuri eine Änderung dennoch sofort. Damals, als sie mit der Blondine ausgegangen war und sie noch für eine junge Studentin gehalten hatte, hatten deren rötliche Augen ihr warm und freundlich entgegengesehen. Die Kleine hatte zu ihr aufgesehen. An der ungewöhnlichen Augenfarbe der jungen Frau hatte sich nichts geändert, dafür jedoch an ihrem Blick. Kühl und arrogant blickte Yu auf sie herab.
 

„So sieht man sich also wieder.“, begrüßte die Jüngere sie, ehe sie neben ihr Platz nahm.

Unerwartet begannen Nemuris Emotionen Ping-Pong zu spielen, obwohl sie sich so lange nicht mehr gesehen hatten und sie lange Jahre noch nicht einmal mehr einen Gedanken an die damalige Jugendliche verschwendet hatte.

Sie hatte die Karriere der Profiheldin nach deren Debüt interessiert verfolgt und sich wirklich für sie gefreut. Ja, sie hatte sogar gehofft, ihr noch einmal zu begegnen, um vielleicht ein paar friedlichere Worte wechseln zu können, als bei ihrer letzten Begegnung, dann jedoch hatte sie neulich das Interview in der Zeitschrift gelesen und hätte der Kleinen am liebsten den Hals für diese Dreistigkeit umgedreht.

Nun, wo sie sich wieder gegenüberstanden und musterten, war die Arroganz in Yus Blick nicht zu übersehen. Auch wenn sie sich äußerlich nicht sehr stark verändert hatte, charakterlich schien sie dafür sehr wohl einen Wandel durchgemacht zu haben. Nicht unbedingt zum Positiven, wagte Nemuri zu behaupten.

„Sieh an wer Karriere gemacht hat. Ein ungewohnter Anblick, dich in einem Heldenkostüm zu sehen.“, begrüßte nun wiederum Nemuri die Jüngere, wobei auch ihre Stimme nicht gerade wie die Freundlichkeit in Person klang.

„Ich hatte nicht vor mir Steine in den Weg legen zu lassen. Von niemandem.“, kam es kühl von der Jüngeren.

„Niemand hatte vor deiner Karriere im Weg zu stehen. Das solltest du eigentlich wissen.“

„Was das betrifft, ist dein Erinnerungsvermögen wohl getrübt.“

Warnend funkelte Midnight die Profiheldin an, beschloss ihren Ärger jedoch noch einmal herunter zu schlucken. Des lieben Friedens Willen. Vielleicht auch, weil das Fernsehteam in unmittelbarer Nähe war und natürlich auch, weil sie tief in ihrem Inneren nach wie vor der Meinung war, dass sie das Problem damals anders und vor allen Dingen professioneller hätte lösen sollen.

„Du hast dich kaum verändert. Täusche ich mich, oder bist du in den letzten Jahren fast nicht mehr gewachsen?“ Einerseits stichelte Nemuri nun doch selbst etwas, andererseits hatte sie das problematischste Thema gewechselt.

Kurz zuckte Yus Mimik missfallend. „1,62m sind vielleicht nicht die Welt, aber dafür habe ich ja meine Quirk.“ Sie musterte die Lehrerin nun genauer, kaum das sie neben ihr saß. „Dir sieht man die vergangenen Jahre dafür ziemlich deutlich an. Du Ärmste. Die Schüler zu unterrichten muss stressig sein.“, stellte die Blondine fest und klang mitleidig, ihr Blick war jedoch unverkennbar provokant.

Midnight glaubte sich verhört zu haben. Hatte dieses kleine Biest sie eben etwa schon wieder als alt bezeichnet?! So eine Unverschämtheit!

„Ich hör ja wohl nicht recht! Wen nennst du hier alt?!“, blaffte sie Yu an.

Unbeeindruckt blinzelte diese ihr entgegen. „Du hörst nicht recht? Dabei habe ich doch gar nicht so leise gesprochen. Aber keine Sorge, heutzutage gibt es auch Hörgeräte, die man gar nicht mehr sieht.“

Diese...diese verdammte, kleine...! Die Lehrerin stemmte die Hände auf den Tisch und sprang auf.

„Ich geb dir gleich Hörgeräte! Bei dir hackt's wohl!“, fuhr sie die junge Frau an.

Ihr Aufbrausen zog die Aufmerksamkeit der Fernsehmitarbeiter auf sich. Bis eben hatten die beiden Frauen in Zimmerlautstärke einige Worte gewechselt und waren nicht weiter beachtet worden, da alle hier beschäftigt waren, als Nemuri nun jedoch die Stimme erhob, wanderten schlagartig alle Blicke zu den beiden Heldinnen.

„Ist alles in Ordnung?“, wollte einer der Mitarbeiter fragend wissen.

Nemuri und Yu warfen sich giftige Blicke zu, trafen jedoch die stille Übereinkunft hier im Studio erstmal kein großes Drama zu veranstalten.

„Alles bestens.“, murrten die beiden Frauen wie aus einem Mund.

Missfallend nahm Midnight wieder Platz, zwang sich zur Ruhe und musterte Yu aus dem Augenwinkel.

Die Andere war als Jugendliche einfach nur unglaublich süß gewesen, nun, als junge Erwachsene und in ihrem hautengen Heldenkostüm, sah die Blondine unverschämt gut aus, das ließ sich nicht abstreiten. Und sie mochte ihr Parfum, das konnte sie ebenfalls sagen. Leider nur hatte Takeyama sich charakterlich scheinbar stark verändert.

Aus dem schon damals sehr selbstbewussten, aber gleichzeitig auch anschmiegsamen und liebevollen Teenie war eine junge Frau geworden, die zwar ohne jeden Zweifel wirklich heiß war, aber leider gleichzeitig auch so unverschämt, dreist und arrogant, wie kaum eine Andere.

Und sie liebte die Aufmerksam der Medien und ihrer Fans, das war ebenfalls unstrittig. Seit ihrem Debüt schaffte diese kleine Tussi es praktisch täglich in die Zeitung, oder aber in die Nachrichten. Interviews und Fotos fanden sich in fast jeder Zeitschrift. Die Blondine liebte die Medien, und scheinbar liebten die Medien sie. Kein Wunder. Welcher normaldenkende Profiheld schenkte den Kameras denn bitte so viel Zeit und Aufmerksamkeit? Hatte dieser Grünschnabel denn sonst nichts zu tun?!

Nachdem die Getränke verteilt und alle auf ihren Plätzen waren, konnte das Interview schließlich beginnen.

„Willkommen bei Hero-TV! Unsere Themen heute sind der Wandel der Heldenkostüme mit der Zeit und die Frage, wie wichtig gutes Aussehen ist, um in der heutigen Zeit erfolgreiche Heldin zu sein. Und wer sollte darüber besser Bescheid wissen, als unsere Gäste des heutigen Abends.“, begann der Moderator der Sendung zu sprechen, ehe die Kamera den beiden Heldinnen zugewandt wurde.

„Liebe Zuschauer, begrüßen wir doch zuerst einmal unsere heutigen Gäste. Midnight, Sie haben sich in Ihrer Zeit als Sidekick einen Namen gemacht und waren gleichzeitig auch für Ihre Heldenkostüme bekannt. Heute unterrichten Sie in einer der besten Heldenschulen überhaupt. Und Mt. Lady, Sie haben erst kürzlich ihre eigene Agentur eröffnet, doch Fans und Medien lieben Sie bereits seit Ihrem ersten Auftritt.“

Die beiden Heldinnen nickten in Richtung Kamera und richteten einige Worte zur Begrüßung an das Publikum, welches die Sendung von Zuhause aus verfolgen würde, dann schwenkte die Kamera wieder zum Moderator der heutigen Sendung.

An der Wand hinter ihm wurde ein Bild eingeblendet, welches Midnight zu ihrer Zeit als Sidekick, in einem mehr als gewagten, luftigen Heldenkostüm zeigte.

Yu musterte das eingeblendete Bild und ihre Mundwinkel zuckten belustigt. Sie warf ihrer Sitznachbarin einen arroganten, fast schon spöttischen Blick zu.

Midnight wiederum nutzte die Tatsache, dass die Holzverkleidung des Tisches bis zum Boden reichte, um der Jüngeren als Warnung einen leichten Tritt gegen das Bein zu versetzen.

Die Blondine wiederum zögerte keine Sekunde und trat ihr zum Dank auf den Fuß. Beide Frauen warfen sich Todesblicke zu, machten jedoch gute Miene zum bösen Spiel, als die Kamera erneut umschwenkte und auf sie gerichtet wurde.

„Beginnen wir mit dem ersten Thema unserer heutigen Sendung, den Heldenkostümen. Und ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass Sie sich mit Ihren Kostümen damals einen echten Namen gemacht haben, Midnight...“, begann der Moderator.
 

Diese verdammte, eingebildete Tussi! Die Lehrerin war so wütend, dass sie der Blondine am liebsten den Hals umgedreht hätte.

Bei dem Streit vor der Sendung war es nicht geblieben, wäre ja auch zu schön gewesen. Nein, mitten während des Interviews hatte die Kleine wieder begonnen sie auf so dreiste Art und Weise zu provozieren, dass ein Wort schließlich das andere gegeben hatte. Das Publikum hatte folglich den hitzigen Streit der beiden Heldinnen live mitbekommen.

Irgendwann war Nemuri so verärgert gewesen, dass sie sämtliche guten Vorsätze vergessen und eins der hornähnlichen Enden der Dominomaske der Profiheldin gepackt hatte, um daran zu ziehen und ihren Worten etwas mehr Nachdruck zu verleihen. Yu wiederum hatte das zum Anlass genommen, ihr vor laufender Kamera ein einzelnes Haar auszureißen und jeden Zuschauer wissen zu lassen, dass es sich dabei um ein Graues gehandelt hätte. Die verdammte, kleine...!

Letztlich hatte der Fernsehsender das Live-Interview mit den beiden Heldinnen abgebrochen und stattdessen behelfsmäßig einen anderen Beitrag gezeigt. Vom Sender hatte es erstmal ein riesen Donnerwetter gegeben, ehe sie das Interview nach der kurzen Unterbrechung, mehr oder weniger friedlich, mit erzwungenem Waffenstillstand, zu Ende gebracht hatten.

Trotzdem war die Lehrerin noch auf 180. Wie hatte Yu es wagen können, sie vor laufender Kamera dermaßen zu blamieren?!

Und die Gelegenheit, um sich wieder zu beruhigen, hatte sich bislang leider auch nicht ergeben.

Nach dem Fernsehauftritt hatten die beiden Heldinnen das Gebäude zur gleichen Zeit verlassen und hatten den gleichen Weg eingeschlagen. Nemuri war überzeugt davon, dass die Jüngere sie nur in der Absicht, sie weiter zu provozieren, verfolgte.

Unter anderen Umständen hätte die kühle Abendluft vielleicht gutgetan, um wieder etwas runterzukühlen, doch allein die Anwesenheit der jüngeren Heldin, ließ sie köcheln.

„Sag mal, was dackelst du mir eigentlich die ganze Zeit über hinterher?!“, drehte die Dunkelhaarige sich schließlich zu der Kleineren um und blaffte diese gereizt an.

Unbeeindruckt musterte Yu sie auf ihre provokante Art. „Hältst du dich wirklich für so wichtig? Ich verfolge dich nicht und außerdem bist du es, die die ganze Zeit über neben mir herläuft.“

„Ich bin lediglich auf dem Weg zum Parkplatz. Auf deine Anwesenheit könnte ich dabei auch gut verzichten, Quälgeist.“ Nemuri warf ihrer aktuellen Begleitung keinen all zu freundlichen Blick zu.

„Nur weil du es vielleicht gern so hättest, nehme ich bestimmt keinen Umweg. Die Bushaltestelle liegt nun mal auch in der Richtung.“, konterte Yu.

Dagegen war leider nichts einzuwenden. Nemuri wusste, dass es in der Tat eine Bushaltestelle in der Nähe des Parkplatzes, welcher sich etwa 500 Meter hinter dem Gebäude des Fernsehsenders befand, gab. Doch dieses Wissen allein reichte nicht aus, als das die Lehrerin gewillt wäre, es damit gut sein zu lassen. Nein, ganz bestimmt nicht. Bis vor kurzem hatte sie sich wirklich noch für die jüngere Heldin gefreut, das diese es geschafft hatte ihren Berufswunsch zu verwirklichen, doch seitdem Mt. Lady sie erst in dem Zeitungsartikel neulich und nun auch noch vor laufender Kamera, schlecht gemacht und alt genannt hatte, hatte sich Nemuris Einstellung gegenüber der anderen Heldin geändert. Kein Wunder, oder?

„Du nimmst den Bus?“, hakte sie nach, während sich auf ihre Lippen nun ihrerseits ein provokantes Grinsen stahl. „Hast du etwa immer noch keinen Führerschein? Mit Anfang zwanzig hatte ich mein eigenes Auto.“

Griesgrämig blickte die Blondine sie an. Hatte sie da etwa einen Nerv getroffen?

„Ich hatte andere Prioritäten.“, murrte sie vor sich hin. „Aber anders als du, habe ich inzwischen Karriere als Profiheldin gemacht. Den Führerschein kann ich jederzeit nachholen, du hingegen hast es nie über die Position eines kleinen Sidekicks gebracht und hast dich dann auch noch dazu entschieden, als Lehrerin in der Versenkung zu verschwinden. Für die Selbständigkeit hat es wohl nie gereicht, was?“

Schon wieder dieser arrogante Blick und Tonfall und die nächste Provokation.

„Bitte?! Sag das nochmal! Natürlich hätte ich mich selbständig machen können, wenn ich es gewollt hätte!“ Dank des unübersehbaren Größenunterschiedes der beiden Frauen, fiel es Nemuri leicht, ihr Gegenüber von oben herab anzusehen. „Was auch immer du in den letzten Jahren gemacht hast, dir hätte eine Zeit als Sidekick ganz eindeutig gut getan. So wie du dich den Medien an den Hals wirfst, um Aufmerksamkeit zu erlangen, ...sag mal, ist dir eigentlich nichts peinlich?“

Aus wütenden, rötlichen Augen funkelte Yu zu ihr hoch. „Die Medien lieben mich nun mal und ich bin so nett, ihnen das ein oder andere Interview oder Foto zu geben. Daran ist nichts verwerflich und schon gar nicht peinlich!“ Die junge Frau grinste sie provokant an. „Du bist doch nur eifersüchtig auf mich, weil die Medien das größere Interesse an mir haben. In deinem Alter bist du inzwischen doch so gut wie abgeschrieben.“

Die rechte Hand der Lehrerin schnellte vor und packte Yu am Kragen. „Suchst du Ärger?“, grollte sie.

„Willst du mir dro- VORSICHT!“
 

Gerade noch hatte die Blondine auf die Herausforderung eingehen wollen, als sie plötzlich vom Lichtkegel eines herannahenden Fahrzeugs erfasst wurden. Das Auto, ein silberner Geländewagen, war so plötzlich aus einer Seitenstraße geschossen, dass Fahrer und Heldinnen vollkommen überrumpelt waren.

Nemuri hatte das Gefühl, als würde die Zeit von einem Augenblick zum nächsten zähflüssig wie Honig verstreichen. Sie wirbelte zu dem Fahrzeug herum, hatte aktuell jedoch das Gefühl sich wie in Zeitlupe zu bewegen. Der Autofahrer riss überrascht die Augen auf, während der Beifahrer nicht minder erschrocken dreinblickte und dem Mann neben sich irgendetwas zuschrie. Der Fahrer riss eiligst am Lenkrad, um den Geländewagen in die Kurve zu lenken und ihn noch irgendwie an den Frauen vorbeischlittern zu lassen, doch der Abstand stimmte einfach nicht mehr.

Das Licht der Scheinwerfer blendete sie. Nemuri wollte zur Seite springen, doch ihre Schuhsohlen waren wie mit dem Asphalt verwachsen. Sie bewegte sich keinen Millimeter, während das Fahrzeug heranraste. Die Lehrerin fühlte sich wie ein Reh auf einer Landstraße. Ein Stich aus Panik und Adrenalin fuhr durch ihren Magen. Horror mischte sich bei der Erkenntnis dazu, dass sie dem in die Kurve schleudernden Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig würde ausweichen können.

All das geschah im Bruchteil einer Sekunde. Von jetzt auf gleich war ihr Zeitgefühl zurück, als sich jemand heftig gegen sie warf. Der Stoß riss sie aus ihrer Starre und sorgte dafür, dass die Geschehnisse um sie herum, sich nicht mehr anfühlten, als wäre sie in unfreiwilliger Zeitlupe gefangen.

Der Aufprall riss die Lehrerin von den Füßen. Das Fahrzeug musste sie getroffen haben...irgendwie aber auch wieder nicht. Sie hatte zumindest nicht das Gefühl, wirklich gegen das Auto geprallt zu sein.

Yu und sie wurden etwa zwei Meter weit weggeschleudert. Weit genug, um von dem schmalen Fußgängerweg abzukommen und die steile Böschung zum Flussufer herunterzurollen.

Ihre Welt drehte sich. Mal sah sie Gras, dann wieder die jüngere Profiheldin, welche mit ihr die Böschung herunterrollte.

Seltsamerweise hatte sie keine Schmerzen wegen des Zusammenpralls mit dem Auto. Dann, noch auf dem Weg nach unten, wurde Nemuri auch schlagartig klar, warum das so war. Yu hatte sich eben noch gegen sie geworfen. Die Jüngere musste den direkten Treffer für sie kassiert und sie, so gut es ging, beschützt haben, war im Anschluss gegen sie geschleudert worden und hatte sie dadurch mit sich die Böschung heruntergerissen.

Die Lehrerin bekam die Blondine, welche sie bei dem Sturz versehentlich schon mehrfach überrollt hatte, zu fassen, zog sie an sich und versuchte die Rutschpartie die Böschung herunter so gut es ging abzufangen.

Nemuri fühlte sich wie in einem Wirbel gefangen, bis sie endlich das untere Ende der Böschung erreicht hatten und nicht mehr weiter rutschten. Endlich hatte die Welt wieder aufgehört sich zu drehen. Dennoch schwirrte ihr der Kopf und ihr war noch etwas schwindelig.
 

Im Hintergrund hörte sie das leise Rauschen des Flusses. Nemuri kniff die Augen zusammen, hielt sie einen Moment lang geschlossen, ehe sie wieder blinzelte und sich orientierte.

Sie waren auf dem Grasstreifen knapp neben dem Fluss gelandet. Aufgrund fehlender Straßenbeleuchtung, lag die Böschung, welche sie gerade heruntergestürzt waren, wie ein dunkler Wall, bestehend aus Gras, Büschen und undefinierbaren Schatten, vor ihnen. Lediglich die Scheinwerfer des Fahrzeugs, welches den Unfall verursacht hatte, spendeten ein wenig Licht.

Sie spürte den warmen Körper der jüngeren Frau noch dicht an sich. Erst jetzt wurde sie sich der Tatsache bewusst, dass sie die Blondine immer noch an sich gedrückt hielt. Nemuri ließ die Andere wieder los und warf ihr einen alarmierten Blick zu. „Yu! Alles in Ordnung mit dir?“

„Urg..“, die Blondine wirkte noch vollkommen neben der Spur, blinzelte aber und stützte sich auf einen Arm, um sich in eine halbwegs sitzende Position zu bringen. „Mir ist noch ganz schwindelig von dem Absturz, aber es geht soweit.“

Immerhin. Die Antwort beruhigte die Lehrerin schon mal etwas.

„Und was ist mit dir? Hast du dich verletzt?“, wollte Yu schließlich vo ihr wissen.

Gedanklich sortierte Nemuri ihre Knochen, stellte jedoch fest, dass ihr glücklicherweise nichts weh tat. Das war gerade noch einmal gutgegangen. „Nein, ich bin nicht verletzt. Mit mir ist alles in Ordnung.“

Kurz herrschte Schweigen, dann blickten die beiden Frauen gleichzeitig hoch zu der Böschung, an deren oberen Ende nun zwei Gestalten erschienen waren. Scheinbar der Fahrer des Fahrzeugs und dessen Beifahrer.

„Hey! Hey, Sie! Sind sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen?! Sie hätten uns beinah überfahren!“, rief Nemuri den beiden Männern zu. Einerseits war sie noch ziemlich schockiert wegen des Unfalls, andererseits mischte sich inzwischen auch Wut über die Rücksichtslosigkeit des Fahrers zu dem Schreck. Zumindest der vorherige Streit mit der Blondine war für den Moment vollkommen vergessen.

Anstatt ihr zu antworten, tauschten die beiden Männer rasch einen Blick aus.

„Die beiden leben noch, ein Glück.“

„Das ist kein Glück mehr, wenn sie die Story erstmal der Polizei erzählt haben.“

„Schon, aber daran ist jetzt auch nichts mehr zu ändern. Wir sollten ihnen da rauf helfen.“

„Idiot! Die Tussis haben unsere Gesichter bestimmt nicht gesehen, dafür ist es hier zu dunkel!“, blaffte der Fahrer seinen Kollegen an.

„Mag sein, aber was willst du jetzt damit sagen?“

„Das wir abhauen sollten, du Intelligenzbestie!“

„Ja, aber...?“

„Los jetzt, beweg dich! Das ist die Chance einer Menge Ärger zu entgehen!“

Die Gestalt des Autofahrers verschwand vom oberen Rand der Böschung. Der Beifahrer stand noch einen Moment lang da und blickte verunsichert nach unten.

„Jetzt mach schon!“, forderte der Fahrer noch einmal nachdrücklich. Schließlich hatte er auch seinen Kumpel überzeugt sich abzuwenden. Der zweite Mann verschwand aus dem Blickfeld.

Kurze Zeit später war zu hören, wie Autotüren geschlossen wurden, dann entfernte das Fahrzeug sich auch schon zügig und ließ die beiden Heldinnen am Flussufer zurück.
 

Dadurch, dass sie jetzt noch nicht einmal mehr das Licht des Scheinwerfers hatten, war die Umgebung von jetzt auf gleich in Dunkelheit getaucht. Nemuri konnte Yus Umrisse nur noch schemenhaft erkennen. Doch die plötzliche Dunkelheit war es nicht, die sie störte. Viel mehr glaubte sie, ihren Augen nicht zu trauen. Diese beiden Chaoten, die den Unfall verursacht hatten, hatten nichts besseres zu tun, als ihr Heil in der Flucht zu suchen?!

„Das darf doch jetzt nicht wahr sein! Sowas ist Fahrerflucht!“, entrüstete sich neben ihr auch schon Yu.

„Diese verdammten...!“, grollte Nemuri und blickte die Böschung hoch, dorthin, wo gerade noch das Unfallfahrzeug und dessen Fahrer gestanden hatten. Nun lag die Umgebung wieder dunkel und verlassen da.

So gerne sie die Fahrer auch jetzt direkt zur Rechenschaft ziehen wollte, die Lehrerin wusste, dass sie sie so schnell nicht mehr einholen könnte. Außerdem gab es gerade wichtigeres. Die Böschung wieder heraufzuklettern, zum Beispiel.

Sie rappelte sich auf, prüfte noch einmal, ob sie sich auch wirklich schmerzfrei bewegen konnte und klopfte dann einige Grashalme von ihrem Heldenkostüm.

„Lass uns erstmal wieder die Böschung hoch. Oben angekommen, können wir immer noch die Polizei informieren.“

Die junge Profiheldin, die noch im Gras saß, blickte hoch zu ihr und nickte. „Gute Idee.“

Der Streit von eben war nach dem Unfall erstmal vergessen. Aktuell zickten die beiden Frauen sich noch nicht einmal an, zu tief saß der Schock wegen der beinahe-Katastrophe.

Gerade hatte Nemuri damit begonnen die steile Böschung wieder nach oben zu klettern, als sie nach den ersten zwei Metern einen unterdrückten Schmerzenslaut und ein dumpfes Geräusch hörte, als ihre derzeitige Begleitung wieder im Gras landete.

Sie hielt inne und wandte sich Yu zu. Die junge Frau saß im Gras und tastete vorsichtig ihren Fußknöchel ab. Nemuris Augen hatten sich inzwischen weit genug an die Dunkelheit gewöhnt, um zu erkennen, dass das Gesicht der Jüngeren schmerzverzerrt war.

„Was machst du denn? Bist du dir sicher, das alles in Ordnung ist?“, wollte sie wissen.

Obwohl sie sich eben erst noch heftig gestritten hatten, so war es jetzt viel mehr leichte Sorge, die aus ihr sprach.

Yu schwieg einige Augenblicke lang und untersuchte ihr Gelenk, ehe sie aufsah und zu der Lehrerin hochblickte. „Ich kann meinen rechten Fuß nicht belasten. Gerade, als ich noch nicht versucht habe aufzustehen, muss mein Körper noch so mit Adrenalin vollgepumpt gewesen sein, dass ich es im ersten Moment nicht bemerkt habe.“, gab sie zähneknirschend zu.

Nemuri musterte sie. Dem Tonfall und der Mimik der Blondine nach, fiel es dieser nicht gerade leicht, diese derzeitige Schwäche überhaupt erst zuzugeben.

Vorsichtig kletterte die Lehrerin das kurze Stück der Böschung, welches sie schon zurückgelegt hatte, wieder hinab. Sie gesellte sich zu der Profiheldin, kniete sich neben sie und musterte sie mit einem ernsten und gleichzeitig auch besorgten Blick.

Wäre Yu einfach nur grundlos mit dem Fuß umgeknickt, hätte sie sie vielleicht ungeschickt genannt und sie ein wenig geärgert, ehe sie ihr geholfen hätte, aber das war nicht der Fall. Die junge Frau war gerade von einem Auto angefahren worden. Höchst wahrscheinlich war sie nur in dem Ausmaß erwischt worden, weil sie sich gegen Nemuri geworfen hatte, in dem Versuch sie zu retten, anstatt selbst die Beine in die Hand zu nehmen und sich in Sicherheit zu bringen.

Das schlechte Gewissen begann an ihr zu nagen. Wäre sie gerade nicht vor Schreck erstarrt, wäre das hier vielleicht nicht passiert. Und trotz des vorherigen Streits hatte Yu keine Sekunde lang gezögert, um sich schützend vor sie zu werfen. Scheinbar hatte die Zeit allerdings nicht mehr gereicht, als das sie dazu gekommen war ihre Quirk noch zu aktivieren, denn dann hätte das Auto wohl kaum Schaden angerichtet.

„Meinst du, du hast dir den Fuß nur verstaucht, oder könnte er gebrochen sein?“, erkundigte die Ältere sich.

Angesprochene schüttelte ratlos den Kopf. „Woher soll ich das wissen? Ich kann dir nur sagen, dass ich nicht auftreten kann und das es weh tut.“

Vorsichtig wollte nun auch die Lehrerin den Knöchel abtasten, doch bei der kleinsten Berührung zuckte die Profiheldin zusammen, griff sofort nach der Hand der Größeren und entfernte diese umgehend von der Verletzung.

„Lass das!“, zischte die Blondine, wobei der übel gelaunte Tonfall aktuell mehr auf die Schmerzen zurückzuführen war.

Nemuri sparte sich einen Kommentar diesbezüglich. Wenn es nicht möglich war, den Fußknöchel der Anderen zu untersuchen, ohne ihr dabei weh zu tun, ließ sie es lieber bleiben.

„Hast du dir bei dem Zusammenprall sonst noch was getan? Ich meine, bis auf deinen Fuß?“, wollte sie wissen.

Yu zögerte. „...Meine Rippen auf der rechten Seite tun weh.“, gab sie schließlich zu.

„Wie schlimm?“, hakte Nemuri nach. Das Auto schien die junge Frau wirklich richtig erwischt zu haben, was ihr Sorge bereitete. Um Yu nicht zusätzlich zu beunruhigen, versuchte sie sich eben jene Sorge jedoch nicht anmerken zu lassen.

Anstelle einer Antwort, sah die Blondine schräg zur Seite und wich ihrem Blick aus.

„Yu!“, mahnte die Lehrerin noch einmal und forderte eine Antwort auf ihre Frage ein.

„Ziemlich, sonst hätte ich es gar nicht erst erwähnt.“, murrte Mt. Lady vor sich hin. Über ihre Verletzungen zu sprechen gefiel ihr ganz offensichtlich gar nicht. „Ich kann atmen, aber besser möglichst flach.“

Das klang nicht unbedingt gut. Zwar so, als hätte es auch noch schlimmer kommen können, aber geprellt oder gebrochen könnte die ein oder andere Rippe dennoch sein.

Nemuri seufzte. „Also wirklich. Warum muss ich dir das alles erst aus der Nase ziehen, anstatt das du ganz einfach zugibst, dass du dich bei dem Unfall eben verletzt hast?“

Im Gras sitzend, funkelte die Profiheldin sie abwehrend aus roten Augen an. „Weil ich ganz sicher keine Lust habe, das Klischee des weinerlichen Blondchens zu erfüllen. Ich bin Heldin und damit nicht aus Zucker.“, stellte die junge Frau klar.

„Was für ein Schwachsinn. Auch Profis dürfen Schmerzen ruhig zugeben. Verletzt zu werden ist in unserem Beruf leider ein alltägliches Risiko, aber genau so gehört es auch dazu, Verletzungen zuzugeben und sich vernünftig darum zu kümmern.“, belehrte Nemuri die Berufsanfängerin, allerdings ohne tadelnd dabei zu klingen.

Yu blieb ihr eine Antwort schuldig und starrte stattdessen viel lieber den Rasen an, so als hätte sie dort gerade etwas sehr interessantes entdeckt.

Die Lehrerin zog den Reißverschluss ihrer Tasche auf, kramte ihr Handy daraus hervor und prüfte kurz, ob dieses den Zusammenstoß überlebt hatte. So, wie es schien, war das Handy unbeschadet. Ein Glück.

„Versuch am besten gar nicht nochmal aufzustehen und bleib ganz ruhig hier sitzen, oder liegen, wenn du dich so wohler fühlst. Ich ruf einen Krankenwagen.“
 

Kaum hatte sie das ausgesprochen, konnte sie beobachten, wie Yu erschrocken die Augen aufriss.

„Was?! Nein, untersteh dich! Keinen Krankenwagen!“, rief sie entsetzt aus.

Nemuri, die gerade die Nummer hatte eintippen wollen, hielt inne und blickte die Jüngere erstaunt an. „Dann erklär mir doch mal, wie du sonst die Böschung wieder hochkommen willst, wenn du nicht laufen kannst. Außerdem bist du verletzt, das muss sich ein Arzt ansehen.“

„Unsinn, ich komm hier schon irgendwie wieder hoch, dauert bloß etwas. Die Bushaltestelle ist auch ganz in der Nähe und von der Haltestelle, an der ich aussteigen muss, ist es nur noch ein Katzensprung bis zu meiner Wohnung.“

Nun war es die Lehrerin, die die Jüngere ungläubig musterte. „So ein Quatsch, du bist wohl verrückt!“, widersprach sie entschieden. „Selbst wenn du es irgendwie die Böschung hoch schaffst, willst du dann den restlichen Weg auf einem Bein hüpfen? Und deine Verletzungen muss sowieso ein Arzt unter die Lupe nehmen.“

„Ich lasse mir ganz einfach Zeit. Im Bus selbst muss ich bloß sitzen und Zuhause bin ich ganz gut in der Lage, mir zur Not selbst ein paar Verbände anzulegen. Vergiss den Krankenwagen und den Arzt.“, beharrte Yu darauf keinen Rettungswagen zu rufen.

Einen Moment lang musterte die Lehrerin sie. Die Kleine sah richtig entsetzt aus, kaum das die Worte Krankenwagen und Arzt gefallen waren.

„Hast du Angst vor der Behandlung? Die Ärzte wissen schon, was sie tun.“, versuchte die Dunkelhaarige ihre Gesprächspartnerin etwas zu beruhigen und legte ihr eine Hand auf die Schulter, um sie dazu zu bringen, sie wieder anzusehen.

„Kein Krankenwagen.“, widersprach die Blondine erneut. „Ich schaff das allein.“

„Das ist doch Wahnsinn. Hast du wirklich solche Angst vor der Behandlung?“, hakte Nemuri noch einmal nach und konnte es kaum glauben.

Die Profiheldin sah ziemlich unglücklich aus, kauerte sich noch etwas mehr zusammen und wirkte dadurch noch kleiner, als sie schon war. „Nicht vor der Behandlung, vor den Behandlungskosten.“, gab die Blondine schließlich zögernd zu.

Überrascht zog Nemuri eine Augenbraue hoch. „Vor den Behandlungskosten? Aber die zahlt doch die Versicherung.“, wunderte sie sich.

„Ich bin aber nicht krankenversichert!“, fuhr Yu sie plötzlich an. „Ich...ich hab neulich das Dach von meiner Agentur geschrottet und bin versehentlich auf ein Auto getreten. Natürlich musste das ein Ferrari sein. Ich bin hochverschuldet und spare alles, was unnötig ist, ein, um die Raten abzahlen zu können. Und so eine private Krankenversicherung ist für Profis nicht gerade günstig, weißt du?“ Das zuzugeben war ihr ganz offensichtlich nicht gerade leicht zu fallen. Nemuri konnte der Jüngeren ansehen, wie sehr die sonst so stolze Heldin sich schämte, überhaupt über ihre Schulden zu sprechen, doch jetzt, wo davon die Rede gewesen war, einen Krankenwagen zu rufen, hatte sie es wohl als unvermeidbar angesehen.

Eigentlich wäre ein solches Geständnis wunderbarer Nährboden, um die Blondine in einem Streit aufzuziehen und zu ärgern, aktuell tat die Kleine der Lehrerin allerdings viel eher leid. Die Tatsache, dass sie auf die Idee gekommen war, zu sparen, indem sie beispielsweise auf ihre Krankenversicherung verzichtete, was genau genommen so noch nicht einmal zulässig war, überraschte sie zudem.

„Und was ist, wenn die Behandlung umsonst wäre?“, wollte sie von der Jüngeren wissen.

„Ist sie aber nicht. Niemand arbeitet ohne Bezahlung.“, wehrte Yu reichlich skeptisch ab.

Nemuri seufzte, stand wieder auf, streckte sich kurz und beugte sich dann zu der am Boden sitzenden Profiheldin herunter.

„Na los, wir bringen dich jetzt zu jemandem, der sich deine Verletzungen mal ansieht.“, entschied sie. Sie steckte ihr Handy zurück in die Tasche, legte schließlich einen Arm um den Rücken der Kleineren, den anderen Arm schob sie unter deren Kniekehlen durch. Im nächsten Moment hatte die Lehrerin sie auch schon hochgehoben und drückte sie vorsichtig an sich, um ihr mehr Halt zu geben, wobei sie natürlich darauf geachtet hatte, dass es die linke Seite war, die gegen sie lehnte.

„H-heey!“ Im ersten Moment wirkte Yu vollkommen überrumpelt und blickte sie erschrocken und verständnislos zugleich an. Dann begann die junge Heldin sich im Griff der Größeren zu winden, in dem Versuch wieder heruntergelassen zu werden. Damit, dass Nemuri sie plötzlich spielend leicht hochhob, hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. „W-was machst du da?! Lass mich wieder runter!“, protestierte Yu. „Und überhaupt, ich hab dir doch gesagt, dass ein Arztbesuch für mich nicht in Frage kommt!“

Die Blondine wand sich in ihrem Griff, was Nemuri dazu veranlasste, sich ein wenig mehr zu ihr zu lehnen, sodass Yus Gesicht ihren Hals nun fast berührte.

„Hör auf so zu zappeln und schlaf jetzt.“, wies sie sie an, ehe die Dunkelhaarige ihre Quirk aktivierte. Ihr Hals war nur zum Teil von ihrem Heldenkostüm bedeckt, weshalb eine kleine Wolke des blassrosanen Nebels der nackten Haut entweichen konnte.

Zugegeben, Nemuri war sich nicht ganz sicher, wie gut ihre Quirk nun auf diese Frau, die in den letzten Jahren zu so einer arroganten Zicke geworden war, wirken würde, doch sie wurde positiv überrascht.

Kurz noch wehrte die Jüngere sich, dann hatte sie den Schlafnebel doch eingeatmet und sackte praktisch sofort schlafend in ihren Armen zusammen.

Für einen Moment musterte die Lehrerin die schlafende Frau. Das hatte besser funktioniert als erwartet. Normalerweise wirkte ihre Quirk auf andere Frauen nicht so gut, doch die junge Profiheldin war praktisch schon in dem Augenblick eingeschlafen, in dem sie einen einzigen Atemzug des Nebels eingeatmet hatte.

//...Das hat ja ziemlich gut funktioniert. Ich bin überrascht. Findest du mich am Ende doch nicht so alt und uninteressant, wie du die ganze Zeit über tust?//, dachte sie sich.

Schließlich machte sie sich daran, mit der Blondine in ihren Armen, die Böschung wieder hochzuklettern. Das Vorhaben entpuppte sich als gar nicht so leicht, doch nach einer Weile hatte sie es endlich geschafft.

Nemuri sah sich um. Wie verlassen die Straße, kurz hinter dem Fernsehsender doch war.

Sie könnte einerseits einfach zum Sender zurücklaufen, oder aber gleich per Handy einen Krankenwagen rufen, nun wo Yu schlief und es nicht mitbekam, doch das zu tun erschien ihr gemein, wo sie doch eine bessere Alternative kannte.

Sie griff noch einmal nach, um die Andere besser halten zu können, dann machte sie sich auf den Weg zum Parkplatz, auf welchem sie ihr Auto vorhin abgestellt hatte.

Die Polizei musste wegen der Fahrerflucht auf jeden Fall auch noch eingeschaltet werden, doch erst einmal wollte sie die Profiheldin, die ihre eben vermutlich noch das Leben gerettet hatte, versorgt wissen.



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