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Echo

von

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Der Friedhof

Sehen Sie, an einem Ort der Ruhe kann vieles passieren und manch wunderliche Dinge finden sich dort. Es gibt nicht viele, die es sehen, obwohl es direkt vor ihnen geschieht. Nur manchmal aus den Augenwinkel heraus betrachtet, bemerken sie es. Ganz wie ein kurzes Zucken auf einer glatten Wasseroberfläche, es ist nur ein kleiner Impuls, doch die Wellen breiten sich aus - ohne Wirkung?

Und dann ist es vorbei und schon vergessen – lässt kaum einen Menschen mit verwirrtem Kopfschütteln zurück.

Auch Sie sind schon so oft vorbei gegangen und haben all diese kleinen staunenswerten Begebenheiten um sich herum nicht bemerkt.

Oder nur als unwichtige Täuschung abgetan?

Und genau deswegen – und weil es eine verlorene Geschichte ist, die sich ihrem Ende entgegen neigt – will ich heute Ihren Blick auf eben so ein kleines Zucken lenken.

Ein Riss in der Realität zwischen uns und jenen, die nicht sind.

So geschieht es hier, auf dem Friedhof Motu jeder Zeit, bis zum Heutigen Tage.
 

Nun folgen Sie mir zu dem Dreisprung, da wo meine schönen violetten Vinca stehen. Und, immer grün, die Beete ihr eigen nennen. Da wo der Weg sich vor Ihnen gabelt – wie's oft im Leben ist.

Da steht DER Stein, dessen Geschick wir heute bestaunen. Alt und verwittert liegt er hier bloß, schwärzlich angelaufen von der Zeit, mit verschlungenen Geheimnissen. Gleich einer Efeuranke, die empor kriechend ihre nagenden Zähne in seinen mürben Sandstein schlägt.

Er war schon lange vor mir hier und stets ein guter Unterhalter, wenn auch schauerlich mit seinen morbiden Prophezeiungen. Doch stets hatte er Recht behalten, soweit ich zu beurteilen vermag, ob gleich ich kein Studierter bin, wie jener dort liegende Mann.

Ich kümmre mich nur um die Beete.
 

Der hoch geehrte Professor Doktor, war ein geschätzter Psychologe, doch das war auch sein Verderb.

In den Archiven der Stadtbibliothek, zwischen all dem Staub und Spinnweben, flüsterte es mir vergilbtes Papier und streng riechende Druckerschwärze zu.

Faszinierend treffend hatte der gute Dr. phil. Anastasius Birger nur Erfolge zu verzeichnen – fast war es unheimlich wie viel er wusste... .

Doch sehen Sie selbst, ich muss Sie nun verlassen. Hier, die Bank wird Ihnen ein netter Ort zum Verweilen sein, nun geben Sie Acht auf jene, die das Ruhebett des Dr. phil. A. Birger überschreiten in Achtlosigkeit denkend, es wäre nur ein gewöhnlicher Stein.
 

Ein mintfarbener Damenschal, von der leichten Sommerbrise getragen, tänzelte über den Friedhofsweg hinweg, zog Lachen und Geklapper von hohen Sandaletten, wie empörtes Rufen, nach sich.

„Nein halt, bleib hier!“, eben so lieblich wie singendes Vogelgezwitscher ertönte die Stimme einer jungen Frau, die eilig dem Schal nachjagte. Ihre Freundin im gelben Sommerkleid lief lachend mit aller Ruhe, die diese Welt aufzubieten hatte, nach.

Ein verwitterter Stein zwischen einer Weggabelung hielt das Tuch im luftigen Spiel auf. Von Efeu überwuchert waren wenige Zahlen und Zeichen zu erkennen. Fast wie ein Grenz- oder Meilenstein wirkte er, Flechten und Moos saugten sich an ihm fest, gleich einem Kraken aus den dunkelsten Ritzen der Tiefsee und gleichermaßen tiefe Abgründe hatte der hier Ruhende schon erblickt.

Doch die junge Frau mit dem kupfernen Lockenhaar ahnte nichts davon, kniete nur nieder vor dem Stein, um ihr Tuch an sich zu nehmen. Kurz zuckte etwas in ihrem Antlitz, als habe sie etwas Ungewöhnliches bemerkt. Doch als die Stimme ihrer Freundin neben ihr klang: „Da hast du aber Glück gehabt.“, stand sie auf und gab den Blick auf die Steinoberfläche frei.
 

Die schöne Ingrid Lötenhein,

kam im Dunkeln immer Heim.

Ein netter Kerl in stiller Nacht,

hat sie doch nicht nach Haus gebracht.
 

„Ach früher oder später hätte ich es bekommen! Ich bekomme immer alles, was ich will.“, meinte Ingrid mit gewinnendem Lächeln und klopfte Staub von dem grünen Stoff, bevor sie diesen um ihren dünnen, blassen Hals schlang.

„Tsz – was du nicht sagst und wenns auf einen Baum geweht worden wäre, was dann? Hä? Mit den Stöckelschuhen hätte ich dich gerne klettern sehen.“, meinte die Frau im gelben Kleid und ging mit Ingrid weiter den Weg entlang. Ihre heiter zwitschernden Stimmen entfernten sich allmählich. Doch ein paar Fetzen behielt der Wind bei dem sonderbaren Stein.

„Ach das ist kein Problem. Ich würde einfach so einen süßen Typen wie Michael fragen!“

„Uh! Meinst du diesen Leckerbissen den Ben mitgebracht hatte - ist er nicht heute auf der Party?“

„Genau den – mal sehen wie weit ich bei ihm komme, er hat so was verruchtes an sich...“
 

Der Vogelgesang verklang und ein dicklicher Mann mit schütterem Haar störte alle Ruhe mit seinem aufgebrachten Grollen. Telefonierend ging er über den Friedhof und seine platten Schritte führten ihn zu dem bewachsenen Stein. Ächzend ließ er seine beleibte Gestalt darauf nieder sacken.
 

Der Banker Erik Meinzer,

war im Leben ein schrecklicher Geizer.

Und als er auf der Straße einen Penny fand,

hat der Tod noch ihm gedankt.
 

„Keinen Heller bekommt der von uns – hören sie! Wir sind nicht die Wohlfahrt Mister Happer, merken sie sich das! Ohne genügende Rücklagen bekommt Niemand was von uns und nun beweisen sie endlich Kompetenz und machen sie sich wieder an die Arbeit!!“ Sein Gesicht war rot wie ein Hummer und Schweiß stand Mister Meinzer auf der Stirn. Seine dicken Finger quetschten das Mobiltelefon, während er mit feuchter Aussprache seinen Ärger nach außen trug. Er wischte durch sein Gesicht und richtete sich wieder auf, als er das Gespräch beendete.

„Also wirklich..“, murmelte er immer wieder und schüttelte den Kopf, als er seinen Weg fortsetzte.
 

Schatten zogen sich in die Länge und eine Kirchenuhr schlug 14 Mal als erneut der Schauplatz sich belebte. Unter langsamen, zaghaften Schritten knirschte der Kies und eine alte Frau mit Blumen in ihrer Tasche und einer Broschüre vor den Augen, schritt den Weg entlang.

Wie im stummen Gebet bewegten sich ihre Lippen und ihre runzligen Brauen hatten sich nachdenklich zusammen gezogen.

Sie stützte sich an dem scheinbaren Meilenstein ab und legte ihre Broschüre auf ihn. Strich das glänzende Papier glatt und verengte die Augen.
 

Maria Schindler sehr betagt,

hat sich selten was gewagt.

Doch für ein Projekt faste sie Mut,

nur leider sank ihr Ruderboot.
 

„Hier können sie nicht bleiben Lady!“, meinte ein Mann in orangeroter Sicherheitsweste, der einen Stapel Leitkegel unter dem Arm trug. Die Alte erschrak und zerknitterte ihre Broschüre als sie sich umsah. „Sie sind mir aber einer, eine alte Frau so zu erschrecken!“, ihre hohe Stimme erinnerte an eine Sirene.

„Das tut mir Leid Madame, aber ich muss sie bitten zu gehen. Ich fahre hier gleich mit dem Bagger lang.“ Er lächelte ihr zu und begann die Kegel zu verteilen um die Wege abzusperren.

„Bagger, am Nachmittag!?“, fragte sie empört. „Gut, dass mein Emil das nicht mehr erleben muss!“

Verlegen grinste der Bauarbeiter. „Nun ja – wenigstens ist es nicht Totensonntag, nicht? Die Arbeit muss eben getan werden, und Friedhofswege verlegen sich nicht von alleine.“
 

Bauarbeiter Henry Parker

war ein schlechter Baggerfahrer.

Ein Stein, der ihm im Wege stand,

brachte ihn in Todes Hand.
 

Die alte Frau rückte ihre Brille zurecht und steckte ihre Broschüre weg.

„Nun nun, da werden sie wohl recht haben. Warum will die Friedhofsverwaltung das denn machen?“ Sie ging ein paar trippelnde Schritte auf den Weg und sah sich um, als sehe sie erst jetzt die Schönheit des Ortes. Trauerweiden und schöne Beete, alles sah so friedvoll aus.

„Ach sehen sie – es werden die abgelaufenen Gräber weg gemacht. Auch dieser hier kommt gleich weg!“ Er tätschelte den Grabstein, als wäre er ein alter Hund.

„Die Verwaltung will hier Platz für noch eine große Wiese schaffen. Offenbar wollen die Leute immer mehr Bestattungen ohne Grab. Deswegen kommt dieser Weg, die Baumallee sowie die Gräber da hinten weg. Heute fangen wir erstmal mit dem Weg und den Steinen an. Nächste Woche wird dann gefällt.“

Die knochigen Hände der Alten fasten die Tasche fester und ungläubig sah sie den Mann an. Dann schaute sie mit traurigem Blick den Weg entlang und ging ohne ein weiteres Wort.

Henry Parker sah ihr nicht nach, sondern betrachtete den Grabstein, vor dem er stand. „Nun machen wir uns an die Arbeit, nicht?“ Er grinste, tätschelte den Stein erneut, als habe er etwas Witziges zu einem Freund gesagt und ging mit einem: „Ich mach es kurz und schmerzlos“, auf den Lippen.
 

Wieder kam der Mann, mit ungeheurem Krach der Maschine unter ihm. Vibrierend fuhr ihm der unebene Weg durch die Knochen. Die Frontscheibe war von Pollen und altem Staub dreckig und über den löchrigen Pfad rukelte das gelbe Monstrum.

Die Sonne stand mittlerweile hoch und die Hitze schien ihren Höhepunkt erreicht zu haben.

Erstickend dick hatte sich der Blütenduft von fernen Jasminbüschen angestaut.

Das Salz von Parkers Stirn brannte ihm in den Augen und das Licht blendete.

Mücken surrten stumm unter den dunklen Bäumen, die ihre Äste wie Arme ausstreckten. Schatten krochen über den Boden und plötzlicher Wind trieb den Staub, wie einen schmutzigen Nebel, vor sich her. Noch wusste Henry Parker nicht, dass es weder kurz noch schmerzlos sein würde... .

Ein ungeheures Krachen donnerte den Weg entlang, der gurgelnde Schrei und das Aufkreischen von splitterndem Stein ging fast unter. Dunkler Rauch füllte die Luft anstelle von Jasmin.
 

Ein lächelnder Mann mit erdiger Kleidung und altem Strohhut kam gemächlich den Weg entlang. Blieb vor dem Mann stehen, der mit blutigem Schaum vor dem Mund halb aus dem umgestürzten Bagger ragte, als wäre er nur halb dem Schlund eines Ungeheuers entkommen.

Der staubige Boden trank gierig den roten Nektar, als könnte er ihm Leben schenken.

Finger krampften sich im roten Staub und Augen, so weit wie nur Entsetzen es vermag, sahen hoch zu dem fröhlichen Mann, der sich in seiner Arbeitsschürze nieder kniete und nach einem Steinsplitter griff.

Seine schalkhaften Augen blickten zu der Parkbank neben dem Vincabeet hin und leise, als sei es nur ein unbestimmtes Geräusch, lag eine Stimme in der Friedhofsluft:
 

Nun habe ich Ihnen zu wenig versprochen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SchattenInk
2022-02-28T15:50:59+00:00 28.02.2022 16:50
So viele Fragen, da möchte ich dein Bild gar nicht zerstören. Na der Besucher ist der Leser. und du kannst ja schlecht was machen XD so war es zumindest gedacht. Die erste wird von ihrem Date nicht nachhause gebracht, was bedeuten sollte das er die getötet hat. Ob der Stein Unglück bringt - kann sein. Oder Vielleicht saht er nur die Zukunft voraus.
Den Psychiater hatte ich gewählt, als Jemanden der in die Seele der Menschen sieht und sie entsprechend einschätzt und über ein großes Wissen verfügt. ^^ es ist so lange her das ich nicht mehr genau weis warum ich keinen anderen Menschen gewählt haben, aber ein/e Wahrsager/Inn wäre mir zu...hm... plump oder offensichtlich.

Danke das du dir die Zeit genommen hast DQ. Ich finde deine Anmerkungen sehr aufschlussreich ^-^ es zeigt mir noch mal stärken und schwächen auf~
Von:  Dollface-Quinn
2022-02-28T05:50:02+00:00 28.02.2022 06:50
Es sterben also alle, die den Stein anfassen? Bis auf die erste, die nur keinen Erfolg bei ihrem Auserwählten haben wird? Sie berühren den Stein und alles wendet sich ins Unglück?

Die Figur des makaberen Friedhofgärtners finde ich toll. Aber der angesprochene Beobachter, ist das ein Geist, dass er derart unbeachtet bleibt und selbst auch nicht eingreift?

Die Geschichte hat schon was mystisches und merkwürdiges. Mir ist nur nicht richtig klar, wieso es der Grabstein eines Psychiaters ist. Waren die Leute dann seine Patienten? Ist der Beobachter eventuell der Geist des Verstorbenen? Frsgen über Fragen. XD


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