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Eine Nacht in Sendai

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Eine Nacht in Sendai

Takashi hatte sich geirrt.

Adam bereute nicht, ihn nach Sendai begleitet zu haben.

Adam bereute, ihn nicht davon abgehalten zu haben, überhaupt zu fliegen.

Dem Blick nach zu urteilen, mit dem Takashi zum Fernseher starrte, bereute er es auch.

 

Adam griff nach der nächsten Satsuma.

Es war seine sechste.

Der süße Geschmack der Mandarinen war längst überall. Er klebte auf seiner Zunge und in seinem Rachen. Alles roch nach dem Zeug. Der Karton mit den verbliebenen Früchten. Die Decke des Kotatsu. Die Dekorationen auf dem Hausaltar. Seine Nase kribbelte, als hätte er sich zumindest eine der Früchte statt in den Mund in die oberen Atemwege geschoben. Wenn er seine Hände bewegte, wurde es schlimmer.

Eigentlich konnte Adam keine Satsumas mehr sehen.

Uneigentlich beobachtete Takashis Mutter ihn wie ein Luchs.

Unter ihren wachsamen Augen drückte er seinen Daumennagel unter die ledrige Schale der Frucht. Langsam zupfte er ein Stückchen ab, das kaum länger war als seine Fingerkuppe. Er hob die Hand gerade weit genug, um den Schalenschnipsel auf das Häufchen fallen zu lassen, das sich vor ihm auftürmte. Routiniert wiederholte er den Vorgang.

Einmal.

Und noch einmal.

Keiner von ihnen blinzelte.

Adam hatte von Japanerinnen gelesen, die ihre zukünftigen Schwiegerkinder danach bewerteten, wie sie Satsumas pellten. Den Wahrheitsgehalt dieser Information hatte er nicht geprüft, aber er musste es auch nicht. Der steilen Zornesfalte nach zu urteilen, die sich durch Mrs. Shiroganes Stirn furchte, fiel er gerade durch.

Lässig schnippte er ein weiteres Schalenstückchen auf den Berg aus Zitrusfruchtleichen vor sich.

Die Zornesfalte wurde, wenn das möglich war, noch tiefer. Mrs. Shiroganes Lippen waren kaum mehr als ein blutleerer Strich. Der Dutt, zu dem sie ihre grauen Haare hochgebunden hatte, und ihr ätzender, satsumafarbener Pullover betonten ihre Mimik nur noch.

Mit einem dünnen Lächeln schälte Adam weiter und schwieg.

Er wusste, dass der ganze Tisch das Satsuma-Drama beobachtete.

Es gab schlicht nicht viel mehr zu beobachten als das Satsuma-Drama - und das war nicht seine Schuld. Es war auch nicht die Schuld von Shiros Cousine Himari-chan. Im Gegensatz zu ihrer Tante interessierte sich die Achtjährige für ihn. Für ihn und für das Lichterfest, das er mit Takashi gefeiert hatte, und für die Weltraumstation, auf der Adam in etwas mehr als einem Jahr arbeiten würde.

Ihre Frage, wie man Weltraumpilot:in wurde, war offenbar eine Frage zu viel gewesen.

Noch bevor Adam seine Antwort hätte ausformulieren können, hatte Mrs. Shirogane nach der Fernbedienung gegriffen und die Lautstärke so hochgedreht, dass vermutlich noch die Nachbarn etwas davon hatten. Seitdem beherrschten niedliche japanische Idols, die sich durch japanische Toshikoshi Soba, französischen Foie gras und deutsche Marzipanschweinchen fraßen, das Abendprogramm.

Die und das Satsuma-Drama.

Adam löste ein Scheibchen aus der Frucht und steckte es sich in den Mund. Sein Magen knurrte, aber er hätte nicht sagen können, ob vor Hunger oder Ekel. Er kaute extra langsam.

In seinem Augenwinkel warf er einen Blick zu Himari-chan, doch die Achtjährige hatte den Wink mit der Fernbedienung verstanden. Mittlerweile hatte sie sich hinter ihrem Handy verkrochen und löste Matheaufgaben, die zumindest für ihn verdächtig nach Pokémon aussahen. Mit routinierten Bewegungen wischte sie über den Bildschirm, die Lippen aufeinander gepresst und mit mehr Konzentration, als für ein Taubsi nötig gewesen wäre.

Er schluckte missmutig.

Auf seiner anderen Seite starrte Takashi auf den Fernseher; auf quietschende Idols, quietschende Kommentatoren und quietschende Texteinblendungen. Seine Hände verkrampften sich so fest in der grauen Kotatsudecke, dass seine Fingerknöchel weiß hervor traten. Sein Atem ging betont gleichmäßig. Durch die Nase ein. Sechs Sekunden halten. Durch den Mund aus. Sechs Sekunden halten.

Durch die Nase ein.

Sechs Sekunden halten ...

Adam kannte den Rhythmus. Er kannte auch das Mantra, dass ihn begleitete.

Geduld führt zu Konzentration.

Im Fernsehen wechselte der Programmpunkt. Das japanischen Idol wich einem englischen Youtuber und der süße, dänische Kuchen einem ganzen Berg eingelegten Gemüses. Adam blickte zurück zu seiner Satsuma. Sein Magen knurrte. Er schluckte.

Definitiv Ekel.

»Ich habe vorhin mit Kobayashi-san gesprochen«, warf Takashis Vater unvermittelt ein. Er sprach gerade laut genug, um ihn nicht ignorieren zu können, aber zu leise, um nicht halb vom Fernseher übertönt zu werden. In seiner Stimme schwang ein seltsamer Unterton mit. »Er wird sich zusammen mit seiner Familie den ersten Sonnenaufgang von Burg Aoba aus anschauen und hat mich gefragt, ob wir ihn nicht begleiten möchten.«

Burg Aoba war das alte Schloss Sendais, von dem eigentlich nichts mehr stand. Adam kannte es von Bildern, die Takashi ihm gezeigt hatte. Kobayashi-san sagte ihm dagegen nichts.

Neben ihm atmete Takashi ein. Er hielt zu lange inne.

»Wir könnten ihn begleiten«, sagte er langsam. Adams Nackenhaare stellten sich auf. Er kannte diesen Tonfall. Er hörte ihn bei jedem Telefonat, das Takashi mit seinen Eltern führte. Bei. Jedem. Verdammten. Telefonat.

Mr. Shiroganes Miene hellte sich auf, so wie sich die Miene von Iverson aufhellte, wenn jemand dumm genug war, auf die Frage mit »Haben Sie am Wochenende schon etwas vor, Lieutenant?« mit »Nein« zu antworten.

Adam atmete ein und zählte bis sechs. Langsam atmete er aus.

»Oh, ich bin mir sicher, dass ihn das sehr freuen würde. Ich habe gehört, dass seine Tochter über Neujahr aus Tokio zu besuch kommt. Du erinnerst dich doch noch an Megumi-chan?«

Adam atmete ein. Würde sein Bullshit-Sensor klingeln, man würde ihn noch drei Stockwerke tiefer hören - und das nicht wegen der dünnen Wände. In seinem Augenwinkel schielte er zu Takashi. Takashi erwiderte seinen Blick. Er wirkte blass und elend und wütend.

Nein.

Er zählte bis sechs und atmete aus.

Er würde jetzt nicht nach Megumi-chan fragen. Es war egal, wer Megumi war. Es war auch egal, ob Takashi sich noch an sie erinnerte.

Betont langsam richtete er seinen Blick auf den Satsuma-Karton vor sich und atmete ein.

Es ging hier nicht um Megumi.

Er zählte bis sechs.

Der Karton war weiß mit einem roten Streifen und einer Schar oranger Früchte, die um einen Schriftzug tanzten, den Adam weder lesen konnte noch lesen wollte.

Es ging auch nicht um Sakura oder Hitomi oder Akemi oder wen auch immer der Alte als nächstes aus dem Hut zaubern würde, wenn Takashi jetzt »Nein« sagte.

Er atmete aus.

Das Bild von lachenden Satsumas brannte sich in seine Netzhaut. Obwohl er sich nicht rührte - obwohl sich niemand rührte - wurde der Geruch schlimmer.

»Megumi-chan?«, hörte er Takashi fragen.

Er zählte. Eins. Zwei.

Verdammte Scheiße. Geduld konnte ihn mal.

Adam ließ die Satsuma fallen.

»Takashi?« Demonstrativ drehte er sich zu seinem Freund und hob die Stimme. »Haben wir eigentlich noch Sojamilch?«

Takashi blinzelte.

»Soja … milch?«

Adam seufzte und erwiderte Takashis Blick, so wie er ihn immer erwiderte, wenn Iverson mit einer Last-Minute-Nachtschicht um die Ecke kam.

»Ja, du weißt schon. Für morgen früh?«

Takashi blinzelte erneut.

Es war seine Mutter, die antwortete. »Ich bin mir sicher, wir haben noch normale Milch.«

»Ich bin laktoseintolerant.«

Adam blinzelte nicht.

Er konnte seinem Freund förmlich beim Reboot von takashi.exe zusehen. Erst runzelte er die Stirn, dann zog er die Augenbrauen zusammen. Schließlich formten sich seine Lippen zu einem tonlosen »Huh?«

»Hat die Garrison dagegen keine Tabletten, Wlaigt-san?«

»Keine, die auch etwas gegen das Fehlen von Melonengeschmack tut«, erwiderte er.

Sein Freund blinzelte noch einmal - dann zog er die Augenbrauen hoch. Erkenntnis funkelte in seinen Augen. Endlich. Er war wieder online.

»Ich weiß nicht, ob wir noch irgendeinen Laden finden, der offen hat«, antwortete Takashi, ohne den Blick von Adam abzuwenden. »Aber wir könnten es versuchen.«

»Takashi«, mischte sich Mr. Shirogane wieder in das Gespräch ein. »Ihr wollt doch nicht wirklich jetzt noch für eine Packung Sojamilch in den Conbini?«

Takashi nickte, so als sei ihm irgendein wichtiger Aufsatz eingefallen, den er unbedingt noch schreiben musste und den er ganz sicher nicht »Netflix’n’Chill« nennen würde.

»Er wird unleidlich, wenn seine Verdauung gestört ist, Otou-san. Außerdem möchte Himari-chan sicher auch eine.«

Über ihrem Handyspiel äugte Himari vom einen zum anderen. Adam konnte der Rechnung, die hinter ihrer Stirn ablief, förmlich dabei zusehen, wie sie sich löste. Nach einem kurzen Blickaustausch mit ihrer Mutter nickte sie.

»Ich mag die mit Anko-Geschmack lieber.«

 

 
 

* * *

 

Fünf Minuten später schloss sich die rettende Fahrstuhltür hinter ihnen. Einen Moment lang schwiegen sie beide und sahen der Anzeigetafel beim Leuchten zu. Adam hatte sich seit Jahren nicht mehr so frei gefühlt - und das, obwohl er viel zu viel Zeit in viel zu engen Flugsimulatoren verbrachte, die deutlich größer waren als die Fahrstuhlkabine.

Adam atmete durch. (Und nein, er zählte nicht bis sechs.)

Er war frei. Sie waren frei.

Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Adam verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief.

»Ich werde also unleidlich, wenn meine Verdauung gestört ist?«, fragte er und warf Takashi einen herausfordernden Blick zu.

Sein Freund zuckte mit den Achseln und grinste verräterisch.

»Also mochtest du den Fisch doch, den sie letztens in der Kantine hatten?« In Takashis Augen funkelte es. »Ich dachte, das mit dem Umgehauen meintest du anders.«

»Takashi? Urgh.«

»Nächsten Freitag haben sie den sicher wieder«, antwortete Takashi und tätschelte Adam die Schulter, fast so, als wolle er ihn trösten. Sein Tonfall verriet ihn, natürlich.

»Das sagst du nur, weil du an dem Tag auf Dienstreise warst, um mit irgendwelchen Schülern Videospiele zu zocken, dir von einem von ihnen die Karre klauen zu lassen und die Reste vom Abendbrot zu essen, die ich dir eingepackt hab.«

»Jep.« Takashis Grinsen wurde noch breiter. »Aber davon mal abgesehen - laktoseintolerant? Du? Seit wann?«

Adam warf einen Blick auf sein Handy. Kurz vor halb elf.

»Sechs Minuten. Vielleicht auch schon sieben.« Er steckte das Handy in seine Tasche und lehnte sich zurück, bis er mit dem Kopf gegen die Fahrstuhlwand stieß. Seufzend starrte ins Neonlicht. Er wusste nicht, was schlimmer war. Der verdammte Fisch oder Takashis Eltern.

...

Okay, nein. Der Punkt ging an Takashis Eltern. Den Fisch hatte er wenigstens wieder hochwürgen können.

Er schnaubte.

»Ich wusste ja, dass die Beiden keinen Eltern-des-Jahres-Award gewinnen würden, aber ernsthaft? Wenn ich noch mehr Zeit in dieser Wohnung verbringen muss, werde ich etwas aus dem Fenster werfen. Und ich weiß nicht, ob das der Fernseher oder deine Mutter sein wird.«

Den Blick Richtung Fahrstuhldecke gerichtet, konnte Adam Takashis Reaktion nicht sehen, aber er hörte ihn schlucken.

»Meine Mutter?«

Adam senkte den Blick und zuckte mit den Achseln. »Sie saß näher beim Fenster.«

»Adam.«

»Was?«

Takashi sah ihn einfach nur an. Die Nachricht war auch so eindeutig genug: Du bist keine vierzehn und meine Mutter ist kein Dienstwagen.

»Schon gut. Ich werde sie nicht aus dem Fenster werfen. Versprochen. Ich würde es nur gerne tun. Und ich bin mir sicher, sie sieht das ähnlich. Sie kriegt mich nur nicht hoch.«

Takashi öffnete den Mund. Für einen Moment wichen sie dem Blick des jeweils Anderen aus. Schließlich sackte sein Freund in sich zusammen.

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte er leise. »Eigentlich dachte ich, ich hätte ihr das mit den Meeresfrüchten gesagt.«

»Hast du. Das mit dem Schwein auch. Mindestens drei Mal. Und es ist nun wirklich nicht so kompliziert, dass sie sich das nicht hätte merken können. Ich bin mir sicher, hättest du ihr gesagt, ich hätte eine Nussallergie, sie hätte mir einen Kuchen gebacken.«

Der Fahrstuhl hielt mit einem Jingle im Erdgeschoss. Die Melodie übertönte Takashis Antwort, die sich verdächtig nach »So schlimm ist sie nicht« anhörte.

»Wir könnten es ausprobieren. Ich mag Nüsse.«

»Es tut mir leid.«

Adam starrte ein letztes Mal ins Neonlicht. Seufzend legte er ihm einen Arm um die Schulter.

»Takashi.«

»Sie ist meine Mutter.«

»Ich weiß.« Sachte bugsierte er seinen Freund aus dem Fahrstuhl. »Tut mir leid. Ich weiß, sie ist kompliziert. Vermutlich war sie schon kompliziert, bevor du darüber nachgedacht hast, ob sich der Follikelsprung lohnt.«

Jetzt erwiderte Takashi seinen Blick doch, wenn auch nur, um ihn entgeistert anzustarren. »Meinen-«

Adam lächelte dünn.

»Was, hat Commander Valdez den Teil in eurem Biokurs übersprungen?«

Takashi starrte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Er öffnete den Mund, entschied sich dann aber offenbar, dass es besser war, einfach nur durchzuatmen. Adam konnte das alte Mantra förmlich hören.

Geduld führt zu Konzentration.

Offenbar konnte Geduld auch ihn mal.

»Lass meinen Follikelsprung da raus.«

»Alles was ich sagen will ... Sie ist alt genug, um selbst Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen. Die Aufgabe ist damit völlig außerhalb deiner Besoldungsstufe. Oder meiner.«

»Adam.«

»Ein bisschen eingelegtes Gemüse, eine Schale Reis und sechs Satsumas, Takashi. Sechs.«

Takashi schüttelte den Kopf. »Du bist furchtbar.«

Adam antwortete mit einem breiten Grinsen. »Furchtbar ist mein zweiter Vorname.«

»Ich weiß«. Takashi legte seinen Arm um Adams Taille. Mit einem leisen Lachen übernahm er die Führung und zog Adam in die kalte Nachtluft. »Also, sollen wir dich füttern?«

 

 
 

* * *

 

Eine halbe Stunde später hatten sie einen Conbini gefunden, der noch offen hatte. Der Laden hatte nicht nur ein trotz der späten Stunde gut gefülltes Kühlregal, sondern auch einen freundlichen Serviceroboter, der ihr Essen für sie heiß machte.

Und so verließen sie den Conbini mit einer heißen Bentobox, einer Schachtel voller ebenso heißem frittiertem Hühnchen und zwei Heißgetränken (Kaffee mit zu viel Zucker für Takashi und gerösteten Tee für Adam.) Die Sojamilch für Himari-chan und ein paar Onigiri, die sie ebenfalls mitgenommen hatten, hatte Adam sich noch im Laden in die Umhängetasche gestopft.

Die Luft, die sie umfing, war angenehm. Kühl zwar, aber klar und nicht so eisig wie bei Curtis in Calgary. Still war es auch. Vermutlich saßen die meisten Japaner gerade mit ihrer Familie vor dem Fernseher. Keine großen Parties. Keine Böller. Kein Lieutenant Mortimer, der sein Abendessen nach zu viel Punsch auf dem Sitz eines Flugsimulators ließ, zu dem er gar keinen Zutritt hätte haben sollen.

Adam schlürfte an seinem Tee und beobachtete Takashi dabei, wie er die Dampfwölkchen, die von seinem Becher aufstiegen, fortblies.

So ließ es sich aushalten.

Schweigend schlenderten sie die nächstbeste Straße hinab, nah genug nebeneinander, dass sich ihre Schultern sachte berührten.

»Dir ist nicht zu kalt, oder?«, fragte Takashi unvermittelt.

Adam riss seine Aufmerksamkeit von einer leuchtenden Ladenauslage, in jemand diverse Stoffe wie einen Regenbogen um eine Nähmaschine drapiert hatte, los. Er öffnete den Mund und überlegte dann erst über Takashis Frage. Noch hatte er Tee. Außerdem wartete eine kuschelig warme Bentobox auf ihn.

»Geht grad, warum?«

»Du erinnerst dich an deinen Ausflug nach Calgary, letztes Wochenende?«, fragte Takashi trocken.

»Uh ... zugegeben. Das war kalt.«

»Kalt? Ich habe mindestens fünf sehr verstörende Nachrichten bekommen, in denen du Stein und Bein geschworen hast, dass du gleich erfrierst.«

»Curtis Geschwister haben ja auch versucht, mich in einen Adam-förmigen Eiszapfen zu verwandeln! Mehrfach!«

»Das hast du mir auch geschrieben.« Takashi nahm einen einen großen Schluck von seinem Kaffee. »Also, hältst du es noch ein bisschen aus? Ich wollte dir etwas zeigen.«

Adam zog die Augenbrauen zusammen. Unheilschwangere Sätze wie ›Gehst du mit uns Eislaufen?‹ und ›Warst du schonmal beim Ice Tubing?‹ hallten in seinem Hinterkopf wieder. »Wie kalt wird es?«

»Nicht kälter als jetzt. Die schlechten Nachrichten: Du wirst dein Bento auf einer Parkbank essen müssen.«

»Und die guten?«

»Es ist eine alte Tradition, die ich sehr mag, und sieht jedes Jahr fantastisch aus. Außerdem befindet es sich außerhalb der Wohnung meiner Eltern.«

Adam blickte von Takashi über die Tüte mit dem Essen hin zu der Häuserfront, hinter der irgendwo der Wohnblock der Shiroganes liegen musste. Ein Elektrofachgeschäft mit Toastern und Küchenrobotern leuchtete ihm entgegen. Mrs. Shirogane hatte davon auch einen. Den und frischen Tintenfisch und Hummer für morgen.

Er verlagerte die Tüte mit dem Bento auf seine freie Schulter und reichte Takashi die Hand.

»Okay. Deal.«

Takashis Finger schlossen sich um die seinen. Sie waren so warm wie sein Lächeln.

»Okay. Deal.«

 

 
 

* * *

 

Takashi lotste ihn bis zur nächsten Kreuzung und zog ihn dort in eine enge Seitenstraße. Auf ihrem Weg passierten sie dunkle Bürokomplexe und kamen an einer Reihe Einfamilienhäuser vorbei, die zwischen all den Hochhäusern winzig wirkten. Sie nahmen sich sogar die Zeit, sich die kunstvollen Neujahrsdekorationen aus Bambus und Kiefernzweigen anzusehen, die die Bewohner vor ihrer Tür aufgestellt hatten.

Das erste, das Adam von Takashis Ziel sah, war das Licht. Warm, hell und einladend schien es bis in ihre Gasse. Kurz glaubte er, gleich in einer dieser typischen Einkaufsstraßen mit dutzenden Läden und strahlenden Reklametafeln zu landen. Stattdessen führte Takashi ihn in ein Winterwunderland.

Es waren Bäume.

Die Gasse mündete in eine Promenade, die zu beiden Seiten von riesigen, alten Bäumen gesäumt wurde. Tausende Lichter hingen an den Bäumen, als seien es Blätter, und ließen die Promenade erstrahlen.

»Oh.«

Takashi drückte seine Hand.

»Gefällt es dir?«

Statt sofort zu antworten, legte Adam den Kopf schief und schaute die Promenade hinab. Die Bäume standen in vier Reihen und schlossen die Straße in einem Tunnel aus Licht ein. Durch die inneren Baumreihen führte ein Fußweg. Im Sommer musste die Promenade eine grüne Oase sein, doch heute nacht hatte Adam das Gefühl, in einen Seitenarm der Milchstraße getreten zu sein. Zwischen den großen, gelben Leuchten flackerten immer wieder kleine Lämpchen in weiß und blau auf, fast so, als wären sie Sterne, die am Himmel funkelten.

Sie waren nicht die einzigen Besucher des Lichtspektakels. An anderen Abenden war die Promenade vermutlich berstend voll, doch heute Nacht dröhnte das Lichtermeer den Verkehr und die wenigen Spaziergänger, die sich vor die Tür begeben hatten, aus.

»Es ist ein bisschen, als wäre ich im Garten eines verdammt reichen Amerikaners gelandet«, entschied er schließlich. »Nur in geschmackvoll. Ohne die übertrieben christlichen Botschaften und ohne Lichter, die in allen Farben des Regenbogens blinken. Ja. Ja, ich mag’s. Du sagtest, das sei eine Tradition?«

»Ja. Das Hikari no Pageant«, antwortete Takashi ihm. »Es hat in den 1980ern als Weihnachtsdekoration angefangen. Seitdem schmücken sie jedes Jahr hier in der Jozenji-dori und im Kotodai Park die Zelkoven. Heute ist der letzte Tag.«

»Das ist die übrigen Tage bestimmt ein ziemlicher Publikumsmagnet, oder?«

»Oh ja, ziemlich. Wenn die Lichter abends angehen ist das immer ein Highlight. Da ist es hier berstend voll. Und zu Weihnachten fahren hier immer Weihnachtsmänner auf Motorrädern die Straße hoch und runter.« Takashi deutete die Straße hinunter und lächelte dabei. »Als Kind haben mich Himaris Eltern immer hierhin mitgenommen. Sie haben mir erzählt, dass die Sterne im Winter auf die Erde kommen um für uns zu leuchten.«

Adam nickte. Einen Moment lang beobachteten sie schweigend das Leuchten der großen, gelben Lichter und das Funkeln der kleinen LEDs im Hintergrund.

»Ich mag die Vorstellung«, sagte er schließlich.

“Ja?« Takashi lehnte den Kopf auf seine Schulter. Seine Haare kitzelten über Adams Ohr. »Deswegen wollte ich Astronaut werden. Um die Sterne zu besuchen. Kitschig, uh?«

“Ziemlich« Adam erwiderte die Geste. Er genoss es, wie Takashis warmer Atem über sein Gesicht strich. »Ich mag dich kitschig.«

“Hehe. Danke.« Sein Freund hob den Arm, um mit dem Kaffeebecher zwischen zwei Bäume zu deuten. Hinter ein paar Ziersträuchern konnte Adam eine Bank ausmachen. “Wie wäre es dann mit einem kitschigen Picknick unterm Sternenlicht?«

“Mit dir immer.«

 

 
 

* * *

 

Die Bentobox war immer noch warm, als Adam sie öffnete. Wer auch immer die Box angerichtet hatte, hatte sich Mühe gegeben. Der Tofu in seiner glänzenden Hülle aus Teriyakisauce war kunstvoll neben dem Reis drapiert. Verschiedene Gemüsesorten säumten den Rand der Box und die Karottenscheibchen hatten die Form von Schneeflocken.

Neben ihm raschelte Takashi mit dem frittierten Hühnchen. Adam hörte ihn “Itadakimasu!« murmeln und tat es ihm gleichen.

Für eine Weile aßen sie schweigend. Seine Finger rochen immer noch nach den Satsumas, doch mit jedem Bissen ließ sein Groll ein wenig nach. Statt auf die Gewissheit, an den Kotatsu der Shiroganes zurückkehren zu müssen, konzentrierte er sich auf Takashi und auf das Lichtermeer um sie herum.

Es waren mehr Menschen unterwegs, als Adam zunächst angenommen hatte. Mehr als ein Hund war noch mit seinen Besitzern Gassi und witterte neugierig in Takashis Richtung, wenn er sie passierte. Über das Katzenpärchen, das mit seinem Herrchen an ihnen vorbei stolzierte, grinsten sie beide. Immerhin: Zu Hause taten ihre Katzen mit Curtis möglicherweise gerade das gleiche. Hoffentlich vor Iversons Nase.

Die meisten anderen Passanten waren … Pärchen. Zwei Rentner, die an ihnen vorbei schlenderten. Eltern, die ihren Kindern das Hikari no Pageant zeigten. Zwei junge Frauen, die Händchen haltend und kichernd an ihnen vorbei zogen. Die beiden trugen farblich aufeinander abgestimmte Kimono und Pride-Pins an ihren Taschen. Adam winkte ihnen zu und die Beiden winkten grinsend zurück.

Irgendwo zwischen dem Verkehrslärm der Hauptstraßen, das durch die Straßenfluchten zu ihnen drang, begann eine Glocke zu läuten. Es war ein rhythmisches Geräusch, fast so, als schlüge man einen Gong, in das nach und nach weitere Glocken einstimmten.

Neben ihm horchte auch Takashi auf.

“Noch eine Stunde«, murmelte er.

»Was ist das? Irgendein Tempel?«

Takashi nickte. »Zum Jahreswechsel läuten die buddhistischen Tempel in ganz Japan ihre Glocken um die Begierden der Menschen zu vertreiben. Sie fangen gegen dreiundzwanzig Uhr an. Der letzte Schlag ist dann um Mitternacht.«

»Die Begierden der Menschen, uh?«, fragte Adam und griff nach dem letzten Streifen Tofu. Die Marinade glänzte im Licht der Beleuchtung. »Das ist sicher ein ziemliches Spektakel, oder?«

»Oh ja. Nach Mitternacht gehen viele Japaner zum nächsten Schrein oder Tempel um dort zu beten. Der Tempel bei uns in der Nachbarschaft macht da ein richtiges Festival daraus, mit Mochi-Schlagen und Fressbuden. Und-«

Im Licht des Hikari no Pageant konnte Adam nicht sehen, wie sein Freund blass wurde, aber konnte es hören. Takashi öffnete den Mund, aber die Schlussfolgerung blieb ihm offenbar im Halse stecken.

»Deine Eltern wollen dort auch hin, oder?«

Takashi nickte. Mit klammen Fingern ließ er seine leere Hühnchenbox sinken.

»Wenn wir uns ein bisschen beeilen, können wir sie noch begleiten.«

»Willst du das denn?«

Sein Freund starrte auf den Karton in seinen Händen.

»Gibt es Alternativen?«, fragte er und steckte sich den Tofustreifen in den Mund.

»Meine Eltern werden sauer sein, wenn wir sie nicht begleiten.«

Adam warf dem letzten Karottenflöckchen in seiner Bentobox einen missmutigen Blick zu. »Das werden sie doch so oder so.«

Takashi öffnete den Mund und schloss ihn dann doch wieder. Er schluckte. »Ich weiß.«

»Sie wollten dich an Megumi verkaufen.«

»Ich weiß.«

»Also? Gibt es Alternativen?«

Statt ihm sofort zu antworten, schaute Takashi einem Pudel hinterher, der mit Frauchen an ihnen vorbei tänzelte. Erst nachdem die beiden im Schatten einer Statue verschwunden waren, fuhr er fort. »Es gibt da einen Shinto-Schrein hier in der Nähe. Den mag ich eigentlich lieber.«

Adam nickte bedächtig. Er warf dem Karottenflöckchen einen langen Blick zu, bevor er es schließlich mit den Stäbchen griff und in seinen Mund beförderte.

»Okay«, sagte er kauend. Umsichtig legte er seine Stäbchen in die Box und schluckte. Er wechselte in den Missionsmodus. »Gibt es irgendwelche besonderen Gründe?«

»Der Schrein ist näher«, antwortete Takashi ihm. »Und … ich bin einfach kein Buddhist. Und …«

Adam nickte und wartete.

Einen Moment lang friemelte Takashi einfach nur mit dem Karton in seinen Händen. Schließlich murmelte er: »Die ganze Nachbarschaft geht zu diesem Tempel.«

»Megumi-chan?«

»Und diverse Mädchen, mit denen ich zur Mittelschule gegangen bin.«

Vor seinem inneren Auge tauchte das alte Foto von Takashi und seinen Klassenkameraden auf, das sein Freund ihm vor Monaten einmal gezeigt hatte. Es war unwahrscheinlich, dass viele von ihnen je so ein Interesse seinem Freund gehabt hatten. Es war noch unwahrscheinlicher, dass das Interesse geblieben war, seit dem Takashi in die Staaten gezogen war, um seine Ausbildung an der Galaxy Garrison aufzunehmen.

Leider war es eine ziemlich große Klasse.

Adam verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Okay. Hast du noch andere Gründe? Vorzugsweise unverfänglichere?«

»Sie haben die Torii letztes Jahr frisch gestrichen und ich wollte eigentlich meinen letzten Glücksbringer erneuern. Oh und die Fressbuden sind besser?«

Sie warfen einen gemeinschaftlichen Blick auf den Karton in Takashis Händen. Nur ein paar Krümel wiesen noch darauf hin, dass das Ding einmal voll gewesen war.

Takashi zuckte mit den Achseln.

»Sie haben Rote-Bohnen-Suppe mit Mochi.«

Rote-Bohnen-Suppe mit …

Ungläubig schüttelte Adam den Kopf.

»Okay«, sagte er schließlich. »Ich lass mir eine Ausrede einfallen und du navigierst mich?«

»Bist du dir sicher?«

»Wir können auch zurück gehen.«

Das ›Denkst du, deine Eltern erinnern sich noch an Aiko und Makoto oder wie auch immer die anderen Mädels hießen?‹, das ihm auf der Zunge lag, sprach Adam nicht aus, aber er musste das auch nicht. Die Antwort spiegelte sich auch so in Takashis Augen.

»Biegen Sie jetzt links ab.«

 

 
 

* * *

 

Sie folgten der Promenade, bis diese in eine größere Straße mündete. Das Hikari no Pageant endete dort. Der dahinterliegenden Nishi Park lag, abgesehen von den Straßenlaternen, die die Fußwege säumten, im Dunkeln.

Es gab nicht viel zu navigieren (die meisten Anweisungen liefen auf ›Bleiben sie auf der vorgegebenen Route‹ hinaus), aber Takashi nahm seine Aufgabe als Stadtführer ernst. Pflichtbewusst erläuterte er jede Statue, an der sie vorbeikamen, und stellte die Läden und Restaurants vor, die er früher gerne besucht hatte. Adam derweil gab brav den neugierigen Touri, der interessierte Fragen stellte und seinen Stadtführer zu zunehmend seltsameren Selfies überredete.

Als sie schließlich am Schrein ankam hatten sie nicht nur einen neuen vollen Fotoordner auf Adams Handy, sondern auch Pläne für diverse Restaurantbesuche im neuen Jahr.

Sie waren nicht die einzigen, die sich bereits jetzt auf den Weg zum Schrein gemacht hatten. Vor dem Eingangs-Torii hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Diverse Besucher standen in kleinen Grüppchen beieinander, die meisten von ihnen zweifelsohne Familien. Direkt beim Torii konnte Adam sogar das alte Rentnerpärchen von vorhin ausmachen.

Die Stimmung war andächtig. Wer sich unterhielt, tat es leise. Der Rest lauschte still den Glocken.

Takashi und Adam taten es ihnen gleich. Schweigend reihten sie sich hinter den anderen Wartenden ein. Schulter an Schulter und Handrücken an Handrücken genossen sie die Präsenz des Anderen.

Kein Stress. Keine fordernden Eltern. Kein viel zu lauter Fernseher. Keine verfickten Satsumas. Nur sie beide, die Nähe zwischen ihnen und die unausgegorenen Ideen, die ihnen durch die Köpfe spukten.

Wenn es nach Adam ging, konnte es so bleiben.

Wie Takashi es prophezeit hatte, ertönten die letzten Glockenschläge um Mitternacht. Irgendwo in der Ferne gingen Böller hoch. Die Gespräche um sie herum wurden lauter, als die ersten Besucher damit begannen, Neujahrswünsche auszusprechen.

Adam warf Takashi einen Blick zu und zog die Augenbraue hoch.

»Frohes Neues?«, sagte er leise.

Sein Freund nickte. »Frohes Neues. Und … danke.«

»Für dich immer.« Adam griff nach Takashis Hand und drückte diese kurz. Er schenkte ihm ein Lächeln. »Was passiert als nächstes?«

»Wir betreten den Schrein, reinigen uns und beten. Und danach schauen wir uns die Stände an.«

Adam nickte, stockte dann aber.

»Bist du dir sicher?«, fragte er nach kurzem Zögern. »Dass das okay ist, meine ich? Du weißt schon. Ich bin kein- Wie sagt man dazu? Shintoist?«

»Musst du auch nicht. Sind hier sicher viele nicht. Solang du dich respektvoll verhältst, ist alles in Butter.«

»Ich und respektvoll. Uh-huh«, Adam nickte bedeutungsschwanger. Jeder, der ihn schon mal an einem schlechten Tag im Flugsimulator erlebt hatte, wusste genau, wie respektvoll er sein konnte. Statt ihn zu schelten, zog Takashi nur die Augenbrauen hoch. Adam streckte ihm die Zunge raus. »Ne, krieg ich hin. Ich kann dich doch nicht von deiner Rote-Bohnen-Suppe abhalten.«

Takashi schnaubte. »Und den Mochi.«

Zur Antwort verdrehte Adam grinsend die Augen. »Und den Mochi.«

Wie die übrigen Besucher auch setzten sie sich in Bewegung. Es ging nur langsam voran, doch das half nur dabei, die Eindrücke noch besser in sich aufzunehmen. Noch bevor sie das Eingangs-Torii erreichten, konnte er die versprochenen Fressbuden riechen. Der Rauch von mindestens einem großen Holzkohlegrill drang zu ihnen herüber, begleitet von leichteren Aromen, die sich nur schwer zuordnen ließen. Suppe vielleicht, vielleicht auch irgendwas mit richtig viel Zucker.

Das Gelände des Schreins wurde von Nadelbäumen und einer Hecke aus Sträuchern umfasst und war kleiner, als Adam es erwartet hatte. Zwischen dem Eingangs-Torii und dem Hauptgebäude erstreckte sich etwas, das an normalen Tagen als Parkplatz für Angestellte und Besucher dienen mochte. Für das Neujahrsfest hatte man so viele Buden auf den Platz gequetscht, wie nur irgend möglich war. Zumindest eine davon bot - wie Adams Nase bereits erahnt hatte - verschiedene kross gegrillte Fleischspießchen an.

Ihr Weg führte sie über eine Brücke und vorbei an einem großen, überdachten Waschbecken. Das Wasser darin war eiskalt, aber es diente der rituellen Reinigung, also biss Adam die Zähne zusammen und wusch sich ganz nach Takashis Vorbild erst die linke und dann die rechte Hand und schließlich den Mund. Den Rest des Weges verbrachte er bibbernd, die Hände unter den Achseln eingeklemmt und mit Takashis Feixen im Ohr.

Das Hauptgebäude lag hinter einem weiteren Torii. Es war nach der traditionellen, japanischen Bauweise aus Holz, einstöckig und braun gestrichen. Der eigentliche Schrein lag im Zentrum des Gebäudes hinter einer Glasscheibe. Davor befand sich ein flacher Zaun, in dessen Mitte eine Spendenbox aufgestellt war. Vom Vordach hingen zwei dicke Seile, mit denen man daran befestigte Glocken zum Klingen bringen konnte.

Die beiden Eltern, die mit ihrem Kind hierher gekommen waren, beendeten ihr Gebet und verließen den Schrein in Richtung eines Nebengebäudes, in dem man Glücksbringer kaufen konnte. Das Pärchen, das vor Adam und Takashi in der Schlange stand, trat vor und läutete die Glocken.

Adam spürte Takashis Blick auf sich.

»Wir sind die nächsten«, hörte er seinen Freund sagen. »Ich kann alleine gehen oder du kannst mich begleiten. Beides okay. Wenn du das hier machst, kannst du dir etwas wünschen.«

Adam warf seinem Freund einen langen Blick zu. Er zog die Augenbrauen hoch.

»Denkst du, es ist klug, mir einen Wunsch zu gewähren?«

»Nein«, antwortete Takashi trocken. Er hielt ihm eine kleine, gelbe Münze hin. Das Ding hatte ein Loch in der Mitte. »Aber ich bin auch nicht der arme Tropf, der diesen Wunsch umsetzen muss. Also?«

»Läuten, Geld in die Box werfen und dann mache ich einfach das, was du machst?«

»Jep.«

Vor ihnen beendete das Pärchen seine Gebete.

Adam hielt ihm die Hand hin.

»Geh, sei großartig.« Takashi ließ die Münze in seine Hand fallen. »Und stell nichts an.«

Adam lachte nur.

Gemeinsam traten sie vor.

Adam hätte es nicht zugegeben, aber er fühlte sich nervös. Nicht, dass ihm irgendwer viel Beachtung schenkte - außer Takashi, natürlich. Das Pärchen von eben war mittlerweile zu einem Stand weitergezogen der gegrillte Maiskolben verkaufte und der Rentner hinter ihnen quatschte mit seinen Nachbarn.

Das Glockenseil fühlte sich rau unter seinen Händen an, während er es kräftig schüttelte, und die Münze flog beinahe zu weit, als er sie in die Spendenbox warf. Neben ihm verbeugte Takashi sich, klatschte zweimal und verbeugte sich nach einem Moment erneut.

Adam atmete noch einmal tief durch, dann tat er es ihm gleich. Zwei tiefe Verbeugungen und zweimal Klatschen, ein dummdreister Wunsch (der sich nur vielleicht mit ›Mach, dass wir irgendein offenes Hotel finden, bevor wir von Burg Aoba zurück sind‹ zusammenfasse ließ) und schließlich noch eine Verbeugung. In seinem Augenwinkel sah er Takashi lächeln. Er lächelte zurück.

Vermutlich ahnte sein Freund längst, was er sich da gerade gewünscht hatte, aber für den Moment war das egal. Sie hatten später noch genug Zeit um zu erörtern, ob Takashi ihn zu einer Nacht in einem Kapselhotel überreden konnte, oder ob sie sich nicht besser in dem Love Hotel einquartierten, das Adam während seiner letzten Klopause ergoogelt hatte.

Gemeinsam traten sie vom Schrein fort.

Während der Rentner ihren Platz einnahm, lehnte Adam sich zu Takashi hinüber. Leise flüsterte er: »Also Rote-Bohnen-Suppe?«

Seufzend schüttelte Takashi den Kopf. »Du bist furchtbar.«

»Und du willst Mochi.«

Statt ihm zu antworten, legte Takashi ihm einen Arm um die Schultern. Lachend zogen sie Richtung Stände davon.

 



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