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Libertalia

von

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Der letzte Abend

Der dritte Abend auf Libertalia brach für die Rothaarpiratenbande an. Sie hatten die Tage damit verbracht am feinen Sandstrand zu entspannen oder die kulinarischen Besonderheiten der Insel zu verköstigen. Da es an diesem Ort scheinbar keine Schätze zu finden gab, begnügten sie sich damit die Idylle der Insel zu genießen. Jedenfalls die meisten von ihnen.
 

Die junge Piratin verbrachte ihre Zeit damit von Ort zu Ort zu rennen, mit Leuten ins Gespräch zu kommen und einen Weg in das Sperrgebiet zu finden. Sie war zu besessen von dem Gedanken diesem zweifelhaften Paradies auf den Grund zu gehen.
 

Den Offizieren entging ebenfalls nicht, dass etwas Merkwürdiges vor sich ging. Spätestens als am dritten Tag die meisten Schiffe, welche am Hafen ankerten, davongesegelt waren. Auf Nachfrage hieß es, man wollte die Familie auf dem nächsten Festland besuchen gehen. Dies wäre nicht zu auffällig gewesen, wenn am Ende des Tages nicht schier alle Frauen und Kinder die Stadt verlassen hätten.
 

Auch die Kneipe war am Abend nur noch halb so gut gefüllt. Nachdenklich saß Kiara auf einem Hocker am Tresen und hielt die umliegenden Plätze für ihre Kameraden frei. Trübselig nippte sie an ihrem Grog, der zu sehr nach Zuhause schmeckte.
 

„Na, heute erfolgreich gewesen?“, erklang die muntere Stimme des rothaarigen Kapitäns hinter ihr. Der ungerührte Blick, den er zurückbekam, beantwortete seine Frage.
 

„Warum willst du dem Kerl eigentlich so unbedingt begegnen?“, fragte Yasopp und nahm auf der nächstgelegenen freien Bank Platz, da sich Kapitän und Vize die beiden Hocker an der Bar sicherten. Die restlichen drei Piraten ihrer Libertalia-Sondereinheit gesellten sich ebenfalls zum Meisterschützen. „Willst du ein Autogramm von ihm haben, oder was?“
 

Kiara zog argwöhnisch die Stirn in Falten. „Darum geht es doch gar nicht.“
 

„Weeßte, manchmal is‘ es besser, wenn man seine Idole nich‘ trifft“, meinte Beanie und verteilte die bestellten Getränke. „Ick hab‘ mal echt stark für so ‘nen Sänger jeschwärmt. Als ick die Jelegenheit hatte, ihm mal Hallo zu sajen, zeigte der sich als richtijes Arschloch!“
 

Snakes neigte den Kopf musternd zur Seite. „Vielleicht hatte er auch einfach nur einen schlechten Tag?“
 

„Nee, nee, Freundchen. Dit Verhalten hast’e nich‘ nur wennje schlecht jelaunt bis‘, dit sag ick dir.“
 

„Ich nehme an, ihr habt euch also einfach damit abgefunden, dass das hier alles eine miese Falle sein könnte?“, wandte Kiara kritisch ein.
 

„Und wenn schon“, winkte Shanks ab. „Wenn sich jemand mit uns anlegen will, dann soll er nur kommen.“
 

„Morgen fahren wir eh zurück nach Sabaody“, informierte Beckman. „Der Beschichtungsprozess soll schließlich nur drei Tage dauern. Wir sollten die anderen nicht länger warten lassen.“
 

„Also heute oder nie“, murmelte Kiara und stürzte den Rest der grünen Flüssigkeit ihre Kehle hinunter.
 

Die Gespräche in der Bar verstummten, als die Tür der Gaststätte aufflog und zwölf mächtig wichtig aussehende Piraten hineinstolzierten. Eilig wurde ein großer Tisch in der Ecke freigeräumt und einige weitere Gruppen verließen fluchtartig das Wirtshaus. Kiara erkannte einige Gesichter von den Portraits aus dem Rathaus wieder. Wenn diese Gründer also wahrhaftig existierten-! Sie reckte ihren Kopf und versuchte einen blonden Haarschopf in der Gruppe auszumachen. Zu ihrem Entsetzen entdeckte sie ihn, inklusive dazugehörigem Piraten. Das Gesicht war älter als auf dem Gemälde, ein paar graue Strähnen woben sich mit in den Pferdeschwanz und sein blauer Mantel war abgetragen und matt. Aber er war es, ohne Zweifel. Kiara kauerte sich zermürbt auf ihren Hocker nieder.
 

„Da ist er, dein mächtiger Pirat“, murmelte Beckman zu ihr gebeugt.
 

Der ältere Pirat mit dem Dreispitz besah sich die beschauliche Runde mit musterndem Blick. Dann griff er nach einer Flasche und schlug sie dem nächstbesten Gast mit voller Wucht über den Schädel. Das Klirren war so laut, dass es einem Mark und Bein erschüttern ließ. Der Mann fiel bewusstlos von seinem Stuhl in die Scherben.
 

„Was ist eine Kneipe ohne Schlägerei? Und ihr wollt Piraten sein, dass ich nicht lache!“, donnerte Henry Avery und ließ den übergebliebenen Flaschenhals zu den restlichen Bruchstücken fallen.
 

Unbeeindruckt beobachtete die Rothaarbande das Spektakel. Sie fühlten sich weder angestachelt noch berufen irgendjemandem aufs Maul zu hauen, besonders nicht, wenn sie so verschroben dazu aufgefordert wurden. Der Kapitän ging sogar so weit, den Gründern kaum Beachtung zu schenken und frönte stattdessen ungeniert seinem Alkohol.
 

Andere Gäste versenkten ungelenk und angespannt die Blicke in ihre Getränke, während der Großteil der Piraten auf die Tische hämmerte und Stimmung machte.
 

„Na los! Wer traut sich gegen den großen Schwertmeister Guybrush Threepwood anzutreten?!“, stachelte das Oberhaupt die klägliche Runde an. Er schob den blonden Piraten nach vorne und setzte sich mit seinen zehn anderen Kumpanen an den extra für sie freigemachten Tisch. Der sogenannte Schwertmeister wirkte wenig motiviert, zog jedoch trotzdem den Säbel hervor.
 

Yasopp sah die junge Piratin vielsagend an. „Deine Chance“, meinte er leise.
 

„Auf gar keinen Fall“, lehnte sie ab und drehte sich ebenfalls wieder zum Tresen. Auf so ein Spiel konnte sie gut und gerne verzichten. Das war nicht das Treffen, was sie wollte.
 

Ein junger, aufgepumpter Pirat sprang mit gezückter Klinge dem angepriesenem Schwertmeister entgegen. Eindrucksvoll fuchtelte er mit der Schneide umher, ehe er einen gewaltigen Satz nach vorne und seinen ersten Angriff machte.
 

Kiara hob einen frischen Krug an und vergrub fast ihr ganzes Gesicht darin, um den Alkohol zu ihrem Mund zu bringen. Kaum hatte sie etwa fünf Schlucke gemacht und den Behälter mit einem hölzernen Klonk wieder auf dem Tresen abgesetzt, knallte auch der eben noch so engagierte junge Pirat mit einem dumpfen Knall direkt hinter ihr auf den Boden.
 

Einige ansässigen Piraten jubelten, applaudierten und schoben sich Geldsäckchen über den Tisch während der fast-ohnmächtige Titelanwärter aus der Fechtzone geschliffen wurde.
 

„Gar nicht schlecht“, kommentierte Shanks neben ihr, der entspannt mit dem Rücken am Tresen lehnte und zumindest den Kampf verfolgte hatte. Kiara fiel auf, dass er dabei seine Hand nicht unweit von seinem Schwert ruhen ließ.
 

„Ein weiterer Sieg für Threepwood!“, donnerte Avery über den Applaus. „Wer ist als nächstes dran?!“
 

„Na los! Wer traut sich? Wer ist Manns genug?“, stimmte nun auch Averys rechte Hand Thomas Tew mit ein.
 

Der blonde Gründer machte eine ausladende Geste mit seinem Schwert und sah erwartungsvoll in die Runde. „Ihr könnt es jedenfalls gerne versuchen, aber ein jeder hat vor meiner Schwertkunst kapituliert!“
 

„Das war ja auch leicht, dein Atem hat sie paralysiert“, erwiderte Kiara automatisch. Und erstarrte.
 

„Eine Herausforderin!“, grölte es vom Tisch der Gründer und spöttische Pfiffe mischten sich zum allgemeinen Gelächter der Stammgäste.
 

Kiara schloss die Augen und biss sich auf die Unterlippe um jegliche Flüche, die sich auf ihrer Zunge sammelten zu unterdrücken. Langsam wandte sie sich zum Gründer und atmete tief durch, bevor sie die Lider wieder öffnete und ihn langsam ansah.
 

„Hey, das ist doch die Kleine, die ständig nach dir gefragt hat!“, schallte es laut aus der Gründer-Fankurve.
 

Die Augenbrauen des Blonden wanderten interessiert nach oben. Auch ihre Kameraden sahen sie aufmerksam und mit großen Augen an.
 

„Das war keine Absicht“, nuschelte sie schüchtern.
 

Buh-Rufe hallten durch die Räumlichkeiten. "Große Klappe, nichts dahinter!"
 

"Zeig dem Frauenzimmer wo's langgeht, Threepwood!", kam es vom Tisch der Gründer.
 

Um ehrlich zu sein, hätte sich Kiara am liebsten mit dem ganzen anderen unzivilisierten Pack auf einmal angelegt, als mit dem einem Mann, der sie scheinbar tatsächlich erwartungsvoll ansah.
 

„Hey.“ Der Kapitän stupste sie sanft von der Seite an. Sein Lächeln war aufmunternd aber irgendwie beruhigend. „Zeig ihm, wo der Hammer hängt.“
 

Mit einem schweren Seufzen erhob sich Kiara von ihrem Hocker und trat hervor. So hatte sie sich das ganz und gar nicht vorgestellt. Mit Verwunderung musste sie feststellen, dass ihr Gegner sie ebenfalls aufmunternd anlächelte. Ein Feuer schien in seinen Augen, welches beim vorherigen Kampf komplett gefehlt hatte. Er wollte das hier.
 

Kiara umschloss den Griff ihres Säbels und zog es mit einer vollendeten Drehung um die eigene Achse aus der Halterung. Der Schwung verlieh dem darauffolgenden Aneinanderprallen der Klingen besonders viel Kraft. Das laute Klirren der Metalle ließ die Rufe des Publikums verstummen. Eine gebannte Stille legte sich über die Kneipe, als hätte sich ein Theatervorhang zur Eröffnung des ersten Aktes gelüftet. Der blonde Pirat trat in eine ordentliche Fechthaltung.
 

„Meine Klinge ist überall in der Karibik bekannt“, ließ Kiara möglichst ruhig verlauten. In Wahrheit schlug ihr bereits jetzt das Herz vor Aufregung bis in den Hals. Nach all der Zeit traf sie endlich auf jemanden, der ihre Beleidigungen zu schätzen wissen würde, statt sie nur dafür zu belächeln. Jemand, dem sie schon lange ihre Fähigkeiten beweisen wollte.
 

Überrascht zögerte ihr Gegner für den Hauch eines Momentes, doch dann zeigte sich ein wissendes Grinsen auf seinen Lippen. „Zu schade, dass dich hingegen überhaupt niemand kennt.“
 

Erneut prallten ihre Klingen aneinander, doch dieses Mal deutlich rhythmischer. Er vollführte eine Serie an Angriffen und trieb sie in einem Kreis durch die Fechtzone. Sie parierte jeden Schlag mit Leichtigkeit, als handelte es sich um eine einstudierte Choreografie.
 

„Ich sehe, du wurdest von Smirk unterrichtet“, stellte der Blonde fest, das Schwert für den Moment an ihrer Klinge ruhend. Die Schneiden wetzten aneinander, dass sich von dem Geräusch jedem Anwesenden die Nackenhaare aufstellten.
 

„Japp. Als ich anfing, meinte er, es hätte jemals nur einen Schüler gegeben, der schlechter war als ich. Und der hieß Threepwood.“ Dieses Mal versuchte Kiara die Offensive zu ergreifen und stieß den Säbel für einen tiefen Coupé hervor. Er konterte schneller, als sie gucken konnte und zwang sie zurück in die Verteidigung.
 

„Zu schade, dass du hingegen immer noch mit dem Schwert herumfuchtelst, wie mit einem Staubwedel.“ Sein Verstand war scharf und stand seiner Fechtkunst in nichts nach.
 

Kiara lachte gekünstelt auf. „Oho! Ich feudele, ich feudele.“
 

Als sich ein amüsiertes Lächeln in den Mundwinkeln ihres Gegners ausbreitete, konnte sie ebenfalls nicht anders, als tatsächlich herzlich zu grinsen. Sie hatte nicht gedacht, dass ihr dieser unerwartete Kampf so viel Spaß bereiten würde.
 

Der nächste seiner Angriffe sauste in Wadenhöhe auf sie zu. Die Bewegung vorausahnend sprang Kiara über die Klinge und parierte gerade rechtzeitig den nächsten Hieb, welcher auf ihren Hals abzielte. Dass sie kurz ins Wanken kam, versuchte sie sich nicht anmerken zu lassen.
 

„Hey, willst du hören, wie ich drei Männer zugleich besiegte?“, fragte sie, das Grinsen etwas zittrig, während sie sich mit aller Kraft gegen seinen Schwertarm drückte.
 

Threepwood gähnte ausgiebig und hielt sich die freie Hand vor den Mund. „Willst du mich mit deinem Geschwafel ermüden?“ Er stieß sie von sich, doch verringerte sogleich erneut ihren Abstand mit wenigen Schritten. Wollte er ihre Beinarbeit testen? Das konnte er haben.
 

„Niemand wird mich je verlieren sehen“, verkündete der blonde Pirat, während er Kiara ähnlich einem ausladenden Walzer über die großzügige freie Fläche führte. Jeder Schritt wurde mit einem Aneinander-Klirren der Klingen begleitet und bot keine Gelegenheit für eine Atempause, geschweige denn Raum für Fehltritte.
 

Spöttisch lachte Kiara auf und sprang auf den nächstgelegenen Tisch, während das herannahende Schwert sie nur um Zentimeter verfehlte. „Du kannst so schnell davonlaufen?“
 

Eilig nahmen Yasopp und Lou ihre Getränke in die Hände, als Kiara vorbei an Kerzen und Geschirr zum anderen Ende wich, denn ihr Gegner folgte ihr motiviert auf die höhere Ebene. Erneut trafen sich ihre Klingen auf Augenhöhe. Das war ihr deutlich zu nah, wenn sie Pech hatte könnte der nächste Hieb ihr die Nase abschneiden.
 

Die junge Piratin riskierte einen Blick zur Seite und zeigte ablenkend an die gegenüberliegende Wand. „Sieh nur, hinter dir!“
 

Unbeeindruckt schüttelte Threepwood den Kopf. „Ja, ja, ich weiß. Ein Dreiköpfiger-Affe.“
 

Die Ablenkung war ihr zwar nicht geglückt, trotzdem konnte Kiara die Chance nutzen und sich mit einem weiteren Sprung vom Tisch wieder etwas Entfernung aufbauen. Egal, wohin sie auswich, der blonde Pirat war ihr stets auf den Fersen. Ihre wilde Jagd trieb sie rüber auf den Tresen. Das Schellen ihrer Klingen war taktvoll wie ein einstudiertes Lied. Beim nächsten Hieb ging die Hälfte der Alkoholvitrine zu Bruch. Kiara taumelte auf der schmalen Planke und trat ungelenk auf einen Vorhang, der halb über der Theke drapiert lag. Plötzlich verlor die Piratin den Halt, als das Stück Stoff ruckartig unter ihren Füßen weggezogen wurde. Mit einem Schrei landete sie in der restlichen Alkoholvitrine und stürzte mitsamt Brettern und Flaschen zu Boden. Die Gäste johlten ungehalten und klatschten amüsiert Beifall. Die Piraten der Rothaarbande sprangen hingegen alarmiert auf und auch Guybrush wandte sich entrüstet dem Störenfried zu. Gelassen ließ Thomas Tew den roten Vorhang aus seinen Händen gleiten und hob achselzuckend die Hände.
 

„Warum mischt du dich ein, Tew?“, blaffte der Blonde ihn an und hob drohend das Schwert in seine Richtung.
 

„Du hast lang genug mit ihr gespielt, jetzt gib ihr endlich den Rest“, tönte der hagere Mann unbeeindruckt.
 

Währenddessen waren Beanie und Snakes hinter den Tresen gesprungen, um Kiara aus dem Trümmerhaufen aufzuhelfen. Wirsch klopfte sie sich die Scherben aus dem Mantel und funkelte den Schummler ebenfalls boshaft an. Der Mistkerl war offenbar so niederträchtig, wie er aussah. Sein Blick traf auf ihren und er zeigte seine schwarzen, lückenhaften Zähne für ein hämisches Grinsen. Kiara knüppelte das Verlangen nieder, eine Flasche in seine Fresse zu schmeißen.
 

„Wirst du auf deine alten Tage etwa ungeduldig?“, höhnte Guybrush. Er steckte den Säbel weg und kam ebenfalls von der Theke runter. Schwungvoll öffnete er die Klappe durch die man sich Zutritt hinter die Bar verschaffte und holte die Piratin behutsam aus dem nassen, scharfkantigen Chaos heraus.
 

Der Rothaarige hingegen fixierte die Gründer weiterhin argwöhnisch. Es roch gehörig nach Ärger. Wenn sie vorhatten, irgendwelche weiteren Dummheiten zu begehen, müssten sie sich erst mit ihm anlegen. Seine Hand schloss sich fest um den Griff seines Schwertes. Er war jederzeit bereit es zu ziehen.
 

„Sag mal, Guybrush“, begann Avery langsam und erhob sich schwermütig von seinem Platz. Er hakte die Daumen in seine feuerrote Scherpe ein, welche mit Pistolen bestückt war. „Ist das nicht die Kleine, die unerlaubt in New Devon rumgeschlichen ist?“
 

Kiaras Herz rutschte ihr in die Hose. Sie war der festen Überzeugung gewesen auf ihrem Streifzug unentdeckt geblieben zu sein. Unsicher trat sie näher an ihren Kapitän. Averys Finger waren für ihren Geschmack zu nah an einer der Knarren und die warnenden Worte des Stadtschreibers hallten in ihren Ohren wider. Auch der Rest der Crew bäumte sich auf, für den Fall einer Eskalation gewappnet.
 

„N-nun. Das…“, stotterte sie, ohne Aussicht auf irgendwelche sinnvollen Ausflüchte.
 

„Ich hab‘ sie eingeladen“, warf der Blonde ohne mit der Wimper zu zucken ein.
 

„Du hast was?“, lachte Tew spöttisch auf. „Als ob! Du kriegst doch keinen hoch, wenn sie nicht rothaarig ist und Elaine heißt!“
 

Erneut brachen die Gäste in jubelndem Beifall aus. Lediglich die anderen Gründer am Tisch hielten sich bedeckter, als wussten sie nicht so genau, ob sie zustimmen sollten oder es lieber sein ließen. Eine unangenehme Stimmung legte sich über das Kneipenzimmer.
 

Ein müdes Lächeln formte sich auf Averys Lippen. „Guybrush, Guybrush“, tadelte er kopfschüttelnd. „Ich habe besseres von dir erwartet.“ Er beäugte die junge Piratin und das verschlagene Funkeln in seinen Augen gefiel ihr gar nicht. Aber er machte keine Anstalten ihr eine Kugel Blei durch den Kopf zu jagen. „Aber wenn sie extra zu deiner Belustigung gekommen ist.“ Er ließ sich jedes Wort auf der Zunge zergehen, ehe er in tiefes, donnerndes Gelächter ausbrach.
 

„Lasst uns verschwinden“, murmelte Kiara, deren Kopf so heiß und rot angelaufen war, dass sie ihrem Kapitän damit Konkurrenz machte. Sie knirschte mit den Zähnen, aber versuchte sich selbst zu belehren, dass es besser war, nur beleidigt, statt getötet zu werden.
 

„Ich bringe euch raus“, stimmte Guybrush zu. Bedacht legte er eine Hand auf Kiaras Schulter und drückte sie in Richtung der Gaststättentür. Je eher er die Situation auflösen konnte, desto besser.
 

Tew grinste hämisch und warf noch hinterher: „Gutes Gelingen noch mit der kleinen Piratenschlampe. Aber denk an unser Treffen nachher.“
 

Beinahe wäre die Piratin herumgewirbelt und dem schmierigen Gründeraffen an die Gurgel gesprungen, hätte Guybrush sie nicht fester gepackt und mit Nachdruck hinaus buchsiert. Sie stellte sich als ein solches Leichtgewicht heraus, er könnte sie sich ohne Probleme unter den Arm klemmen, sollte sie zu aufmüpfig werden und sich wehren. Glücklicherweise gab sie nach. Jedoch hörte er einige unverkennbare Flüche aus ihrem Mund zischen.
 

„Ignorier den Kerl, er ist es nicht wert“, riet Shanks, wenn auch mürrisch, der mit seiner Mannschaft ebenfalls die Chance nutzte und die Kneipe schnurstracks verließ.
 

„Das war erniedrigend!“, fauchte Kiara und wand sich ruckartig aus dem Griff an ihrer Schulter.
 

„Tut mir leid, dass du das hören musstest“, setzte Guybrush nach. „Irgendwas musste ich sagen, bevor Avery auf die Idee kommt, dich abzuknallen.“
 

Der Rote schnaufte wütend. „Das hätte er sich mal trauen sollen.“ Er war bereit gewesen, den Laden in Schutt und Asche zu legen, wenn sie ihr auch nur noch ein Haar gekrümmt hätten.
 

Die kühle Nachtluft peitschte in ihre Gesichter und zog an ihren Kleidern. Der Wind hatte sich gedreht und mit ihm die Atmosphäre des augenscheinlichen Paradieses. Die Straßen, die vorher noch warm und belebt waren, zeigten sich nun leer und karg. Es war zu ruhig.
 

„Ihr müsst noch heute Nacht Libertalia verlassen“, sprach Guybrush an die Piratencrew gewandt.
 

„Warum? Was ist hier los?“, fragte Yasopp skeptisch, dem die fehlenden Bewohner und Schiffe ebenfalls suspekt vorkamen.
 

„Eine Gruppe Rebellen hat einen Aufstand geplant. Sie werden heute Nacht die Stadt stürmen. Wer nicht daran beteiligt sein möchte sollte besser verschwinden“, erklärte er. „Ich werde schauen, ob ich noch irgendetwas verhindern kann.“
 

Kiara sah ihn fassungslos an. „Was gibt es da noch großartig zu verhindern? Willst du dich vor den wütenden Mob stellen und sie bitten doch lieber nach Hause zu gehen?“
 

Er schüttelte den Kopf. „Sie wollen ihre Schätze zurück. Vielleicht kann ich Avery überreden, die Schatzkammern zu öffnen, damit sich jeder seinen Anteil herausnehmen kann.“
 

„Pochst du ernsthaft auf Vernunft? Bei diesen Kakerlaken?! Den würde ich nicht mal so weit trauen, wie ich sie werfen kann!“
 

Guybrush legte erneut beschwichtigend die Hände an ihre Schultern um sie zu beruhigen. „Tue ich auch nicht.“
 

Sie sah ihn mit Nachdruck an, brachte aber zwischen den zusammengepressten Lippen kein Wort mehr hervor.
 

„Man baut nicht über zwölf Jahre eine Kolonie auf, ohne dabei das ein oder andere zu lernen. Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen. Ich bin schließlich Guybrush Threepwood, mächtiger Pirat.“ Achtsam fischte er aus einer seiner schier bodenlosen Manteltaschen ein Medaillon hervor. Er drückte es der Piratin in die Hand und schloss ihre Finger fest um das runde Edelmetall. „Unser Beleidigungsfechten hat mir viel Spaß gemacht. Behalt das hier als Dank.“ Etwas ungelenk richtete er ihr noch den Mantel und schmunzelte insgeheim über den Fakt, dass er genauso blau war wie der, den er seit über zwanzig Jahren trug. Er räusperte sich. „Hat mich gefreut dich getroffen zu haben, Kiara.“
 

Der Kapitän zog eine Augenbraue hoch.
 

Mit einem kurzen Nicken verabschiedete sich Guybrush auch vom Rest der Bande. „Ich muss dann los. Gute Reise!“ Und mit diesen Worten drehte sich der mächtige Pirat auf den Absätzen um und eilte die menschenleeren Straßen von Libertalia hinab, bis er in die nächste Gasse abbog und verschwand.
 

Yasopp sah dem Blonden hinterher. Misstrauisch verschränkte er die Arme. „Du hast ihm deinen Namen doch nie verraten, oder? Woher weiß er, wie du heißt?“
 

Kiara griff das Medaillon fester in ihren Händen und sah ebenfalls zu dem Fleck an dem der Pirat gerade verschwunden war, als könnte er es sich vielleicht doch noch einmal anders überlegen und zurückkehren.
 

„Er weiß es, weil er mir den Namen gegeben hat.“
 

Eine gespannte Stille legte sich über die Gruppe. Die verblüffte, ungeteilte Aufmerksamkeit welche der Piratin zuteilwurde, war ihr sichtlich unangenehm. Offenbar erwartete man nach dieser überraschenden Enthüllung wenigstens noch den Ansatz einer Erklärung.
 

„Ich dachte, du wärst einfach nur sowas wie sein größter Fan!“, durchbrach Yasopp schließlich entrüstet das Schweigen.
 

Kiara rollte leicht mit den Augen. „Das habe ich wohl bemerkt.“ Natürlich hatte sie die Worte ‚Guybrush Threepwood‘ und ‚mein Vater‘ absichtlich niemals im selben Zusammenhang verwendet. Der eine war eine Person, die sie nur aus Erzählungen kannte – je nach Quelle egozentrisch aufgebauscht, oder welche die nicht ganz so glorreiche Wahrheiten offenbarten – und der andere, eine Person an die sie nur vage Erinnerungen hatte. Sie wollte diese Chance nutzen und sich ihr eigenes Bild von dem selbsternannten mächtigen Piraten machen. Und sie war immer noch unsicher, was sie von ihm halten sollte.
 

Vorsichtig lockerte sie den Griff ihrer Hand, in welche Guybrush das Medaillon gedrückt hatte. Etwas unbeholfen friemelte sie mit den Fingerspitzen am Verschluss um es zu öffnen. Das Innere verbarg ein winziges eingerahmte Foto, welches vor langer Zeit geschossen wurde. Es zeigte ein junges Paar am Tag ihrer Hochzeit. Die Braut strahlte ihr entgegen, die rötlichen Haare wehten im Wind und ihre zierliche Figur wurde vom blonden Bräutigam mit stolz geschwellter Brust an sich gedrückt. Kiara presste die Lippen zusammen. Ehe jemand anderes einen Blick auf das Bild werfen konnte, klappte sie den Anhänger wieder zu und vergrub ihn tief in ihrer Manteltasche.
 

„Von wegen ‚keine Sorgen‘ machen. Er weiß genau, dass ihn die Aktion ins Grab bringen kann. Mal wieder!“, zischte sie zwischen den Zähnen hindurch.
 

Ein ohrenbetäubender Knall aus der Stadtmitte riss sie aus ihren Gedanken. Es folgte lautes, angestacheltes Brüllen, welches den Lärm von zerschellendem Glas und den Krach allgemeiner Zerstörungswut beinahe gänzlich übertönte.
 

„Das dürfte der versprochene Aufstand sein“, murmelte Beckman, sein Blick konzentriert in der Richtung aus welcher die Furore erklangen gerichtet.
 

„Den Zutritt zur Schatzkammer werden sie sich wohl ganz alleine verschaffen“, pflichtete Yasopp bei.
 

„Dann gibt es für uns hier nichts weiter zu tun. Wir sollten aufbrechen“, beschloss der Kapitän bestimmt.
 

Zustimmendes Murren ging durch die Runde. Lediglich die junge Piratin sah unsicher zu ihm auf. Natürlich hatte er recht, aber – nein, sie konnte ihm nicht widersprechen. Die Bande setzte sich in Bewegung um Libertalia zu verlassen und zu ihrem geliehenen Schoner zurückzukehren. Während ihres Aufenthalts hatten sie einen ungefährlicheren Pfad gefunden, welcher sie um die Insel herumführte. Es sollte sich als gefährlich genug herausstellen, die Strömungen im Dunkeln zu durchqueren, da schien es unnötig den Schwierigkeitsgrad vorsätzlich noch einmal zu erhöhen, um überhaupt das Schiff zu erreichen. Im stockfinsteren Dschungel an Treibsandgruben vorbei zu manövrieren, konnten sie sich definitiv sparen.
 

Der Pfad um die Insel herum führte am höchsten Berg entlang. Er bot eine fantastische Aussicht auf den sternenklaren Himmel und dessen glitzernde Spiegelung im Meer. Die Atmosphäre war einladend genug, um den Kopf auf andere Gedanken zu bringen, sich einfach in dieser Weite zu verlieren – doch dann riskierte Kiara einen Blick zurück und der Anblick, welcher sich ihr bot, ging ihr durch Mark und Bein. Dort, in der Ferne, wo sie vor kaum einer Stunde noch gestanden hatten, erkannte sie lodernden Flammen und schwarze Rauchschwaden, welche aus der Stadt emporstoben. Erstarrt blieb sie stehen, unfähig sich abzuwenden. In den Fenstern der kürzlich noch so sauberen Fachwerkhäuser flackerte orangegelbes Feuer. Wo sie auch hinsah, alle Häuser waren hell erleuchtet. Noch nie hatte sie so etwas gesehen.
 

Eine Hand legte sich vertrauensvoll auf ihre Schulter. „Es sind halt immer noch Piraten“, sagte Shanks ruhig.
 

„Hätten wir uns mit ihnen angelegt, wäre es vielleicht nicht dazu kommen“, murmelte Kiara. Sie fühlte sich, als würde das Gewicht eines gigantischen Felsens auf ihre Brust drücken.
 

„Dazu hatten wir keinen Grund“, entgegnete er langsam. „Es ist nicht unsere Aufgabe, Leute zur Rechenschaft zu ziehen. Wir sind genauso Piraten wie sie.“
 

Kiara ließ den Blick sinken. Wie verquer konnte man eine Kolonie führen, sodass sie auf ein solches Handeln zurückgreifen mussten? Am Rande des Abhangs unter ihr erhoben sich die geschützten Mauern von New Devon. Noch hatten die brandschatzenden Piraten das Gründerviertel nicht erreicht.
 

„Er hat zumindest dafür gesorgt, dass ich nicht erschossen werde. Ich… will ihm eigentlich nichts schuldig sein.“
 

„Das bist du nicht.“ Shanks löste seine Hand von ihrer Schulter. „Komm weiter. Wir sollten das Schiff erreichen, bevor das Feuer auf die Bäume überschlägt.“ Er wollte sich umdrehen und ihren Weg fortsetzen, als er spürte, wie plötzlich etwas an seinem Hemd zog. Shanks sah hinab und bemerkte, dass Kiara sich an ihm festkrallte. Zwar brachte sie kein Wort mehr hervor, doch ihre Augen sprachen Bände, auch wenn sie ihn nicht direkt ansah. Er blies den Atem aus und seine Lippen spannten sich zu einem winzigen, nachgiebigen Lächeln. „Leute, was meint ihr? Das da unten sind doch zweifelsohne Piraten, oder nicht?“, ließ er zum Rest seiner Crew verlauten.
 

Die Männer nickten mehr oder weniger einstimmig und sahen ihren Kapitän aufmerksam an.
 

„Dann müssen wir doch nicht leer ausgehen. Schließlich gibt es hier noch einen Schatz, den man ihnen wegnehmen kann.“



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