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Im Mondlicht

Türchen Nr. 17
von

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Es war eine helle Nacht. Ein fahler Mond zierte das Firmament und die fernen Lichter der Stadt strahlten wie tausend funkelnde Sterne. Der süße Geruch nach Astern lag in der klirrend kalten Luft und erinnerte ihn unerbittlich daran, dass der Winter in Koka Einzug hielt.

Im Zelt hinter ihm stieß Jeno ein leises Schnarchen aus. Es war das einzige Geräusch im Lager. Yonas Zelt lag dunkel und ruhig und so führte ihn sein Weg automatisch fort von ihm, hinaus in die finstere Nacht.

Um ihn her reckten schneeweiße Astern ihre Köpfe empor und formten Hunderte leuchtende Punkte in der Dunkelheit. Jeaha ignorierte ihre kühle Schönheit und schritt weiter über die pechschwarze Wiese.

In Nächten wie dieser fühlte er sich dem Mond sehr nah. Es war, als bräuchte es nur einen kleinen Sprung, einen winzigen Stoß mit seinem Drachenbein, um ihn mit der bloßen Hand zu berühren.

Noch vor kurzer Zeit hätte er dem Bedürfnis gewiss nachgegeben, hätte sich in die Luft erhoben und versucht das Unmögliche zu vollbringen. Er hätte den Hauch der Freiheit in seinem Gesicht gespürt und die Lichter der Stadt gesehen, die klein und immer kleiner geworden wären, bis sie schließlich verblasst wären. Doch heute genügte ihm ein Blick hinauf in den endlosen Himmel.

 

«Jaeha-kun», durchbrach eine sanfte Stimme die Stille «kannst du nicht schlafen?» Das Gras raschelte, als Gija neben ihn trat.

«Das Mondlicht hat mich aufgeweckt», entgegnete er, den Blick nach wie vor nach oben gerichtet, «Und was hat dich wachgehalten?»

Einen Augenblick lang schwieg der weiße Drache und Jaeha war schon fast versucht, seine Gedanken erneut schweifen zu lassen, da schien sein Gegenüber es sich doch noch zu überlegen.«Es sind die Blumen», murmelte er so leise, als hätte er Angst, eine von ihnen aufzuwecken, «Sie riechen so stark, dass ich nicht schlafen kann.»

Betont langsam löste Jaeha seinen Blick vom Himmel und drehte sich zu Gija um. «Die Blumen?», fragte er.

Gija nickte. Im kühlen Mondlicht strahlte er heller, als es die Astern taten. Sein silbernes Haar fiel ihm ins Gesicht und seine weiße Kleidung rauschte, wann immer sich ein Windstoß in ihr verfing. «Das wundert mich», entgegnete Jaeha, «Wo du doch selber eine halbe Aster bist.»

Einen Atemzug lang starrte Gija ihn mit großen, blauen Augen an. «Ich bin keine Aster!», platzte es dann aus ihm heraus. Er hob seinen Drachenarm und machte sich größer, etwas, was er immer tat, wenn man erfolgreich einen wunden Punkt getroffen hatte.

Jeaha schenkte ihm ein Lächeln. «Nicht so laut, sonst weckst du Yona-chan auf», erinnerte er ihn.

Und tatsächlich schienen seine Worte Wirkung zu haben, denn Gija ließ seinen Arm wieder sinken und warf einen vorsichtigen Blick zu den Zelten zurück. Noch lagen sie im Dunkeln. «Ich bin trotzdem keine Aster», murrte er, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sein letzter Protest tatsächlich niemanden aufgeweckt hatte.

Jaeha lächelte weiter. «Aber du musst zugeben, dass es schon gewisse Ähnlichkeiten gibt», stichelte er.

Gija funkelte ihn an. «Das ist nicht wahr», beharrte er, «Astern sind kleine, struppige Blumen. Ich bin keine kleine, struppige Blume.»

Jaeha hob die Hand, um sie Gija sanft auf den Kopf zu legen. «Also ... weißt du ... », begann er, während seine Fingerspitzen durch das silbrige Weiß fuhren. Wie erwartet kam er nicht weit, dann wurde sein Arm je zur Seite geschlagen.

«Ich bin nicht klein!», beharrte Gija, sichtlich bemüht, sein Temperament im Zaum zu halten. Vermutlich war das Jaehas Glück, denn hätte Gija seinen anderen Arm benutzt, er hätte seinen eine ganze Weile nicht mehr verwenden können.

Jaeha lächelte stur weiter. «Ganz ruhig», versuchte er sein Gegenüber zu beschwichtigen, «So habe ich es doch gar nicht gemeint. Natürlich bist du keine kleine, struppige Blume. Nur sind sie das auch nicht. Oder wenigstens nicht nur.»

Betont langsam ließ er sich auf den Boden sinken und streckte die Hand nach einer der kleinen weißen Blüten aus. «Siehst du, wie das Mondlicht sie zum Leuchten bringt?», fragte er und wartete geduldig, bis Gija sich neben ihn auf den kalten Boden kniete. «Die meisten Blumen, egal wie schön sie sind, ziehen sich nachts zusammen, um ihre Schönheit zu bewahren. Diese hier dagegen sind stark genug, um auch der kältesten Herbstnacht mit hoch erhobenem Haupt zu trotzen. Deshalb erinnern sie mich an dich.»

Blaue Augen musterten ihn neugierig. «Dann findest du mich stark?», fragte Gija argwöhnisch.

Jaeha nickte. «Wir alle halten dich für stark», erklärte er.

Vorsichtig streckte Gija die Hand nach einer der weißen Blüten aus. «Das wusste ich nicht», entgegnete er. Ob er damit das Lob oder die Blume meinte, war schwer einzuschätzen.

Für einen Moment schwiegen sie beide. Gija, weil er die Aster musterte und er, weil er damit beschäftigt war, ihm dabei zuzusehen. Kälte kroch sein menschliches Bein hinauf und erinnerte ihn ein weiteres Mal daran, dass der Winter nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Bald würde der erste Schnee fallen und Koka in ein einzigartiges weißes Kunstwerk verwandeln. Fast so einzigartig wie ...
 

Neugierig beobachtete er, wie Gijas blasse Finger über die kleinen weißen Blätter fuhren. «Sie riecht trotzdem ziemlich stark», murmelte er, wenn auch deutlich sanfter als zuvor.

Erneut legte sich ein Lächeln auf Jaehas Lippen. «Weißt du»,erklärte er, «vielleicht ist das ja noch etwas, was ihr zwei gemeinsam habt.»

Gijas Kopf schoss nach oben. «Was soll das heißen?», entfuhr es ihm. Vergessen waren die guten Vorsätze, leise zu sein, vergessen ihre Freunde, die schlafend in den Zelten lagen.

Jaeha beugte sich ihm entgegen.

«He! Was machst du da?», fragte Gija weiter und zauberte so ein breiteres Grinsen in Jaehas Gesicht.

«Ich überprüfe das», erklärte er knapp. Seine Hände legten sich auf Gijas Schultern, kühle Seide spannte sich unter seinen Fingerspitzen. Er beugte sich nach vorne, konzentrierte sich auf seine Nase und ... stürzte.
 

«Geh runter von mir!», forderte Gija und zappelte unter ihm. Jaeha versuchte sich zur Seite zu rollen, doch er kam nicht weit. Kaum hatte er sich nach links geneigt, war ihm ein Bein im Weg, kaum versuchte er es nach rechts, kam ihm Gijas Drachenklaue ganz eindeutig zu nahe.

«Lieg ruhig!» blaffte er den Weißen Drachen an, doch der dachte gar nicht daran.

«Du bist zu schwer!», motzte er zurück.

Jaeha rollte sich erneut nach links, traf dieses Mal auf keinen Widerstand und landete rücklings auf der Wiese. Kälte schoss in seinen Rücken und er schnappte automatisch nach Luft. Die eisige Winterluft schoss in seine Lungen, dann traf ihn etwas Schweres und Jaeha stieß sie ruckartig wieder aus.

Verärgert schaute er zu Gija auf. «Und was soll das jetzt werden?», fragte er den jungen Mann über sich.

Dieser funkelte zurück. «Du hast mich umgeworfen», beschwerte er sich.

«Du hast dich in die falsche Richtung gerollt!», schoss Jaeha zurück.

«Das ist nicht wahr!», beharrte Gija und funkelte ihn verärgert an.

Jaeha starrte zu ihm hinauf. Ihm war kalt, der Boden war hart und trotzdem schaffte er es nicht, sich zu rühren. Gija war schwer, aber warm und brachte seine Haut auf eine Art zum Prickeln, die er nicht kannte.

«Wolltest du etwa auf mir landen?» fragte er schließlich zurück. Gija starrte ihn an. Seine Wangen färbten sich rot, dann öffnete er den Mund, bereit, sich ein weiteres Mal zu verteidigen. «Ich ...», begann er, doch weiter kam er nicht.

 

Es knirschte neben ihnen, und als Jaeha den Kopf in Richtung des Geräuschs umwand, sah er ein paar Schuhe. Schmucklos, braun ... Langsam hob er seinen Blick.

Yun stand vor ihnen, seinen schlanken Körper fest in eine Decke gehüllt, die Haare noch zerzaust von der vergangenen Nacht.

«Ich will gar nicht wissen, was ihr da treibt», erklärte er mit einem Gähnen, «Und jetzt holt Wasser, damit ich das Frühstück machen kann.»



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Akikou_Tsukishima
2022-06-03T10:07:40+00:00 03.06.2022 12:07
Das Ende ist echt böse.

Es wurde ja gerade interessant.

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