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Unmasked

Kunikida/Dazai
von

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Mein Name ist Kunikida Doppo. Ich bin ein Realist, der nach Idealen strebt und ich arbeite für die Armed Detective Agency – eine Detektei, die Fälle übernimmt, die die Polizei nicht bewältigen kann. Ich rücke meine Brille zurecht, betrachte mein Spiegelbild und stelle sicher, dass meine Weste und der Hemdkragen perfekt sitzen.

 

 

Perfekt in dem Sinne, dass kein einziger Knick oder eine Falte zu sehen sind. Ein anständiger Mann achtet auf sein Äußeres und pflegt sich. Das ist auch etwas, das in meinem kleinen Notizbuch, das ich täglich mit mir führe, niedergeschrieben habe. Es gibt Ideale auf dieser Welt, die das Leben in einer Gesellschaft erleichtern und sie sind die Grundsäulen des menschlichen Charakters.

 

 

Zufrieden nicke ich meinem Spiegelbild zu und beuge mich zu meinen Schuhen, welche ich so zuschnüre, wie man es lediglich aus bearbeiteten Bildern kennt. Der Knoten muss perfekt sein. Die Schlaufe ordentlich gezogen, damit sich auch im Laufe eines hastigen Tages nichts verzieht. Allein der Gedanke inmitten einer Mission meine Schuhe erneut zuschnüren zu müssen, lässt es mir eiskalt den Rücken herunter laufen. Immerhin bin ich ein Profi.

 

 

Mein Ideal, mein Leitfaden für mein alltägliches Leben, beschreibt ethische und moralische Werte, an die ich mein Handeln orientiere. Dieses kleine, unscheinbare Notizbuch beschreibt die Funktionen der Welt, in der ich lebe und die Art von Gedanken, die ich hege. Meine Ideale streben Vollkommenheit an und verfolgen ein Ziel, einen Richtwert und würden von den allermeisten Menschen, die einen Blick in mein Buch werfen, als geradezu utopisch bezeichnet werden.

 

 

Die Menschheit hat im Laufe ihrer Geschichte Gesetzeswerke zustande gebracht, die das Leben in einer Gesellschaft fundamental bestimmen. Das Gesetz muss beschützt werden.

 

 

Die Werte eines Menschen werden anerzogen und werden von klein auf geprägt. Meine Auffassungen sind in vielerlei Hinsicht schwarz und weiß, es gibt kein grau. Gut und Böse. Mitmenschen zu schaden ist schlecht. Ihnen zu helfen ist gut. Das soziale Leben eines Menschen wird bestimmt von Kontrasten. Verbrechen und Gesetz. Schuld und Sühne. Hass und Liebe. Schwarz und Weiß. Tag und Nacht. Licht bringt zwangsläufig auch Finsternis mit sich. Je heller ein Licht ist, desto größer wird der Schatten, das es wirft. Es gibt keine gleichwertige Verteilung, eine Seite dominiert stets und daher habe ich meinen Leitfaden, der mir dabei hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Mein Ideal ist ein Wegweiser. Mein Ideal ist meine persönliche Prophezeiung.

 

 

Meine Werte wurden geprägt von meinen Lebensumständen und Erfahrungen. Meine Gefühle und mein Unterbewusstsein sind wie ein Schleifstein, die meine Werte und Auffassungen schärfen. Der Wunsch nach Gerechtigkeit hat schon immer etwas mit Bedürfnissen zu tun gehabt, diese unterscheide ich in natürlichen und individuellen Bedürfnissen. Das Bedürfnis nach Sicherheit, Nahrung, Wasser, grundlegende Dinge, die das Leben erst möglich machen. Doch es sind die individuellen Bedürfnisse, die eine Gesellschaft verderben und das Schlechte in den Menschen hervorholt. Macht, Ruhm, Reichtum und Status. Die Sehnsucht nach Luxus und die aus dieser resultierende Bereitschaft, Opfer in Kauf zu nehmen und Mitmenschen zu verletzen.

 

 

Ethische Maßstäbe, wie jene, die in meinem Notizbuch niedergeschrieben sind, helfen mir die Linie zwischen gut und böse strukturell und perfekt zu ziehen und mich in dem sozialen Konstrukt ihrer Gesellschaft zurechtzufinden. Ideale spiegeln eine Vorstellung wider, die gerecht ist und sich den moralischen Gedanken eines Menschen anpasst, somit ist es gut und richtig, dass ich mich an diesen Sätzen und Wörtern, die ich niedergeschrieben habe, orientiere. Ohne mein Ideal bin ich hilflos und aufgeschmissen. Ich fürchte die Welt, wenn ich ihr zwangsläufig nackt und ohne Verhüllung entgegentreten muss. Die Realität, diese Wirklichkeit in der ich lebe, ist in vielerlei Hinsicht ungerecht und deshalb kämpfe ich dagegen an.

 

 

Als Detektiv helfe ich Menschen und kämpfe gegen das Verbrechen. Menschen, die anderen wissentlich schaden, sind schlecht und müssen bestraft und erzogen werden. So einfach ist das. Das möchte ich glauben, denn ich fürchte die harte Realität und verstecke mich daher hinter meinem Ideal.

 

 

Jahrelang bin ich meinem Leitfaden gefolgt. Bis zu dem Tag, als Dazai Osamu ein Teil des Detektivbüros wurde und all meine Ideale mit Füßen trat.

 

 
 

Ein verantwortungsvoller Mann kommt gut gekleidet, pünktlich und mit wachem Geist zur Arbeit.“
 

 

 

Pflichtgefühl, Arbeitsmoral und der tiefe Wunsch nach Verantwortung, um sich selbst zu verbessern. Ideale einer sozialen Gesellschaft. Eine absolute Selbstverständlichkeit und grundlegende Sozialkompetenzen, die ausnahmslos jeder Mensch haben muss. Dazai ist das genaue Gegenteil. Mit zerknittertem Mantel tritt er in das Detektivbüro, nicht nur eine halbe Stunde zu spät – schließlich habe ich akribisch genau auf meine Armbanduhr geachtet und diese Verspätung notiert – sondern mit Drogen berauscht und geistig verwirrt. Wirre Wörter aus seinem Mund. Schrilles Lachen. Verdrehte Augen und zuckende Bewegungen. Ein unangenehmer Zeitgenosse.

 

 

Unsere erste Begegnung ist alles andere als ideal und ich weiß, dass mein Leben und mein Arbeitsplatz sich ab nun verändern werden. Mein Ideal wird konfrontiert mit der harschen Realität. Meine moralischen Werte werden tagtäglich aufs Neue herausgefordert. Mein Entschluss ruhig, gelassen und souverän mit aufkommenden Problemen umzugehen, meine Wut und mein aufbrausendes Temperament hinter mir zu lassen, gerät ins Wanken. Denn kein normaler Mensch kann bei Dazai ruhig bleiben.

 

 

Dieser verdammte Taugenichts schläft auf der Arbeit und macht seinen Kollegen nichts als Kummer und trotz allem besteht Fukuzawa darauf, dass er ein wertvolles Mitglied unserer Detektei ist. Ich kann ihn nicht ausstehen, diesen faulen Brünetten, der inmitten eines hastigen Arbeitstages auf der Coach schläft und den Stoffbezug vollsabbert. Was denkt sich dieser Kerl überhaupt? Diesem Kerl zu vertrauen empfinde ich als unmöglich, also habe ich es zu meinem persönlichen Ziel gemacht, ihn auf Vordermann zu bringen und genaustens zu beobachten. Ihn für jeden Fehler, den er begeht, zu bestrafen und ihm Recht und Ordnung ins Blut übergehen zu lassen.

 

 

Als Dazais Vorgesetzter und zugeordneter Partner bleibe ich auch bei wichtigen Missionen an der Seite dieses gar nutzlosen Kerls. Anstatt Zeugenbefragungen ernst zu nehmen, flirtet er mit diesen und verschwindet während eines Auftrags, nur um am Ende mit seinem Intellekt einen Fall zu lösen und Menschen vor Schaden zu bewahren. Dazais Art Probleme zu lösen, bringt in erster Instanz meist noch mehr Probleme mit sich und ich hasse es, wenn dieser auf eigene Faust ermittelt, sich in Schwierigkeiten bringt und von mir erwartet, gerettet zu werden, nur um am Ende selbst mit seinen Fähigkeiten allen anderen die Show zu stehlen.

 

 

Ich hasse es, wenn Dazai zu einem vereinbarten Termin nicht erscheint und mir die Drecksarbeit überlässt, nur um am Ende den Fall mit einem Fingerschnippen zu lösen und unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Seine Art an Fälle zu gehen ist unkonventionell und unprofessionell. Trotzdem muss ich mir eingestehen, dass Dazai trotz seiner inkompetenten Arbeitsweise Fälle löst, die mich selbst überfordern. Dass dieser Taugenichts ein wichtiges Organ unseres Detektivbüros werden würde, damit hätte ich niemals gerechnet. Mein Ideal, meine moralische Vorstellung dessen, wie ein Detektiv zu sein hat, wird von diesem wankelmütigen Vagabunden in den Schatten gestellt und ich immer wieder eines Besseren belehrt.

 

 

Dazai erzählt nichts über sich. Sein Lebenslauf ist absolut sauber und ich werde das Gefühl nicht los, dass diese Nervensäge etwas verheimlicht. Ein Grund mehr, auf der Hut zu sein und ihn genaustens zu beobachten. Ich beobachte ihn. Dazai setzt ein falsches Lächeln auf und sagt selten das, was er wirklich denkt. Er bemüht sich darum, eine Rolle zu spielen. Die Rolle des charmanten Exzentrikers, der alle zum Lachen bringt und mit seinen Fähigkeiten glänzt.

 

 

Ich bin hin und hergerissen. Dazais Fähigkeiten als Detektiv sind unangefochten und er kann vieles, was niemand anderes kann, vor allem was die Beschaffung von Informationen und das Durchschauen von Gegnern angeht. Er macht Dummheiten und bringt sich selbst regelmäßig in Gefahr, es ist so, als würde er auf sein eigenes Leben keinen Cent geben. Solange er einen Fall lösen kann, sind ihm alle Mittel recht und das ist etwas, das mir Bauchschmerzen bereitet.

 

 

Denn auch Sachschäden und der Ruf der Detektei sind Dazai so ziemlich egal. Seine Kollegen (allen voran mich) vor Klienten zu blamieren, ist für diesen Taugenichts absolut in Ordnung. Seine mangelnde Ernsthaftigkeit ist ein Problem und immer wieder habe ich das Problem, dass ich mir nicht sicher sein kann, ob die Worte aus dem Mund des Brünetten nun ernst gemeint sind oder nicht. Ab und zu kommen tatsächlich hilfreiche Tipps aus seinem Mund, die ich in meinem Ideal niederschreibe und mich zum Nachdenken anregen. Doch dann macht sich dieser Kerl einen Jux aus mir und legt mich nach Strich und Faden rein. Das sind Momente, wo ich meine aufkommende Wut nicht mehr zurückhalten kann und diesen unverschämten Kerl erwürgen will und es sogar tue, weil ich urplötzlich die Kontrolle über mich selbst verliere.

 

 

Dazai schafft etwas, was kaum ein anderer zuvor geschafft hat: mich dazu zu bringen, mein eigenes Ideal zu verraten und Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen. Auf eigenartige Art und Weise fühlt es sich gut an, wenn ich hin und wieder nicht mein Ideal um Hilfe konsultiere, sondern etwas tue, wonach mir gerade der Sinn steht. Dazai durchbricht meinen idealen Tagesablauf und was als rein berufliche Zusammenarbeit beginnt, geht langsam aber sicher auch auf unser Privatleben über.

 

 
 

Ein anständiger Mann ist stets ehrlich und offen, begegnet seinem Gegenüber mit Respekt und sticht mit seiner Verlässlichkeit hervor. Er ist aufmerksam und bemerkt auch die kleinsten Veränderungen und nimmt diese ernst, ermutigt seinen Gegenüber dazu, seinen eigenen Wert zu erkennen.“
 

 

 

Als wir das erste Mal miteinander trinken gehen, bemerke ich schnell, dass Dazai gedanklich wo anders ist. Er ist ungewöhnlich ruhig und aufmerksam, hört mir zu und zeigt seine ernste Seite und wir sprachen wie Erwachsene über unseren Job und unsere letzten Missionen. Es sind Momente wie diese, in denen ich Dazai von einer anderen Seite kennenlerne. Dazai ist weder schwarz noch weiß, er ist ein bunter Farbmisch, der selbst nicht weiß, was er vom Leben will und verzweifelt auf der Suche nach etwas ist, das ihm so etwas wie Lebensfreude schenkt. Das Konstrukt von gut und böse existiert für ihn nicht und das ist etwas, was ich ebenso abschreckend als auch faszinierend empfinde.

 

 

Ist dies der Grund, warum Fukuzawa darauf besteht, dass Dazai und ich zusammenarbeiten? Dazai durchbricht mein gewohntes Denkmuster und lässt mich Dinge sehen und erfahren, die mir zuwider sind und mich doch als Menschen wachsen lassen. Etwas in Dazai verändert mich und mit jedem weiteren Arbeitstag lerne ich, mich selbst und meine eigenen Fehler zu verzeihen. Ich lerne, mit unangenehmen und unvorhersehbaren Situationen umzugehen und mein Drang nach Perfektionismus wird durch Dazais verschrobene Art geschwächt. Plötzlich ist es gar nicht mehr so schlimm, wenn etwas nicht so klappt, wie es soll, da ich durch Dazais Hilfe andere Wege finde, Probleme zu lösen. Dazai öffnet Türen, die mir verschlossen bleiben.

 

 

Wir arbeiten seit exakt 14 Monaten und drei Tagen zusammen, als Dazai mal wieder unpünktlich zur Arbeit kommt. Vom Regen klatschnass hinterlässt er Fußspuren am Boden, sein Mantel klebt an ihm und er gibt ein klägliches Bild ab. Wie kann ein erwachsener Mann so zur Arbeit erscheinen? Am liebsten würde ich ihn ausschimpfen und ihm sagen, dass er sich gefälligst seine nassen Sachen ausziehen soll, bevor er den Marmorboden in der Detektei verdreckt, da erkenne ich etwas an Dazais Aussehen, das merklich anders ist.

 

 

Die ungekämmten Haare, tja, an die habe ich mich gewohnt. Sein ständiges Zuspätkommen, tja, auch das habe ich mehr oder weniger hingenommen. Zumindest macht er einen guten Job. Da kneife ich das ein oder andere Auge zu. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig. Der Verband, der scheinbar seinen ganzen Körper umwickelt und ihm eine mysteriöse Aura verleiht, an den habe ich mich schon längst gewöhnt und aufgehört den Sinn dahinter zu hinterfragen. Immerhin hat Dazai mehr als einmal voller Stolz verkündet, dass das andere Geschlecht durch diese Mitleidstour magisch angezogen werden würde und ja, selbst ich muss zugeben, dass Verbände Geschichten erzählen und das Interesse wecken, unabhängig des Geschlechts.

 

 

Heute ist etwas anders. Nach 14 Monaten und drei Tagen ist dieser Verband leicht verrutscht und dadurch, dass er vom Regen von oben bis unten komplett durchnässt ist, sehe ich etwas, das Dazai vermutlich zu verheimlichen versucht. Narben. Wunden. Frische Wunden, die sich in sein Fleisch schneiden. Blut. Sein Verband ist blutgetränkt. An beiden Armen blitzen rote Flecken hindurch. Ich überlege, ob ich ihn darauf ansprechen soll und entscheide mich dagegen. Der Verband verbirgt also etwas, das Dazai auf keinen Fall mit irgendjemanden teilen möchte. Einmal mehr bin ich hin und hergerissen.

 

 
 

Die Geheimnisse anderer gegen ihren Willen offenzulegen, ist in höchstem Maße anmaßend und verachtungswürdig. Geheimnisse müssen respektiert werden. Das Herumschnüffeln in dem Privatleben der eigenen Kollegen ist nicht nur unprofessionell, sondern zerrüttet das Vertrauensverhältnis und macht das zukünftige Zusammenarbeiten unmöglich.“
 

 

 

Ich habe meine eigenen moralischen Auffassungen in der Sekunde verraten, als ich das Blut an den Armen meines Kollegen erkannt habe und die Gleichung sich löste. Dazais makabren Witze über Selbstmord und seine Selbstlosigkeit während unserer Missionen, seine Bereitschaft sich selbst in Gefahr zu bringen und verletzt zu werden, all das hat einen ernsten Hintergrund. Unentwegt grübele ich über Dazais Beweggründe und in mir baut sich ein schlechtes Gewissen auf, denn ich habe etwas gesehen, das nicht für meine Augen bestimmt gewesen ist. Dazai ist eine verlorene Seele auf der Suche nach einem Sinn im Leben.

 

 

Ich entscheide mich dazu, dass ich Dazai nicht ansprechen werde, aber weiterhin ein wachendes Auge über diesen haben werde. Dazais Laune verschlechtert sich und ich bemerke schnell, dass die makabren Witze über Selbstmordmethoden immer weniger werden. Ein scheinbar schleichender Prozess, der selbst mir entgangen wäre, hätte ich die frischen Wunden nicht gesehen. Dazai ist mit Ernst bei der Arbeit und erscheint pünktlich zum Arbeitsbeginn. Diese Wandlung notiere ich in meinem Notizbuch. 14 Monate und sieben Tage später lösen wir einen Cold Case allein durch Dazais hilfreiche Strategie und Pläne. Ein winzig kleines Detail, das mir entgangen ist, fiel ihm mit nur einem Blick auf.

 

 

Ein Monat vergeht und nach 15 Monaten und zwei Tagen erscheint Dazai nicht zur Arbeit. Es ist Montag und seit Freitag habe ich nichts mehr von ihm gehört. Nun, sein Privatleben geht mich nichts an und es gehört sich nicht, herumzuschnüffeln. Soll dieser Taugenichts in seiner Freizeit tun und lassen, was er will, solange er der Detektei mit seinem Verhalten nicht schadet.

 

 

Mehrere Textnachrichten und einige laute Sprachnachrichten später, antwortet dieser mit einem lachenden Smiley in unserer Nachrichtengruppe.

 

 

 

Dazai Osamu

Hey, ich steck in der Klemme! :D

 

 

 

Kunikida Doppo

Was hast du angestellt? Wo bist du?!

 

 

 

Ich werde hellhörig, denn dass der Brünette erst gar nicht zur Arbeit erscheint, ist mir komplett neu. Zuspätkommen? Das ist ja nun wirklich nichts Neues, aber sich nicht einmal vorher krankzumelden und sich nicht zu melden, da kann ich nicht anders, als ein bisschen besorgt zu sein. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich.

 

 

 

Dazai Osamu

Hör zu, das ist total witzig... ich wollte mich umbringen und war so nah dran! Aber jetzt stecke ich fest. Wortwörtlich! Haha.

 

 

 

Im Gruppenchat werden fleißig Smileys verschickt. Ein unschuldiges „Glückwunsch“ von Kenji, der nicht weiß, dass Dazais Selbstmordversuche ein Schrei nach Hilfe und Aufmerksamkeit sind.

 

 

Keine Lust, frag wen anders“, kommt es von Ranpo, der mich mit vielsagenden Blicken durchbohrt. Ich weiß genau, dass Ranpo von mir erwartet, nach ihm zu suchen. Der Schwarzhaarige zeigt es nicht, aber in Wirklichkeit macht er sich Sorgen. Vermutlich hat er Dazai schon längst durchschaut und weiß um die Bedeutung der weißen Baumwollverbände an seinen Armen. Ein Geheimnis, das keiner von uns beiden ausplaudert.

 

 

Schreib nochmal, wenn du kurz vorm Abkratzen bist, dann komme ich“, ist Yosanos Antwort, mit einem teuflischen Smiley.

 

 

Tanizaki betrachtet mich. Unsere Blicke treffen sich für einen Moment.

 

 

„Was sollen wir tun? Ihm helfen? Ich... ich bin ungern mit Dazai-san allein“, erklärt der Rothaarige verlegen und wird im nächsten Moment von seiner kleinen „Schwester“ mit Küssen und lauten Liebesbeurkundungen überhäuft. Dass ihr geliebter „Bruder“ jemand anderem mehr Aufmerksamkeit schenkt als ihr, ist in ihren Augen ein Unding. Ich bin genervt. Schon wieder bringt Dazai nicht nur meinen idealen Tagesplan durcheinander, sondern macht vermutlich auch noch Zivilisten Ärger und schädigt den guten Ruf unserer Detektei.

 

 

Ein genervtes Stöhnen entweicht meiner Kehle. Ich gebe Fukuzawa Bescheid und mache mich auf die Suche nach Dazai. Dazais Antworten sind brüchig und nicht gerade aussagekräftig. Als dieser nicht mehr reagiert, mache ich mir Sorgen um meinen Kollegen, denn das Bild der frischen Verletzungen kann ich noch immer nicht abschütteln. Immer wieder tauchen diese Wunden vor meinem geistigen Auge auf. Es steht mir nicht zu, mich in Dazais Leben einzumischen und dennoch habe ich das Gefühl, etwas tun zu müssen. Schließlich bin ich der einzige, der von Dazais Geheimnis weiß, obgleich dieser so erpicht darauf ist, seine Probleme mit niemanden zu teilen. Es ist eigenartig. Einerseits will Dazai niemanden zur Last fallen, doch andererseits schickt er ihnen Nachrichten wie diese, wenn er mal wieder in der Klemme steckt.

 

 

Es wird bereits dunkel, als ich mich dazu entscheide, meinen Nachhauseweg anzutreten und die Suche aufzugeben. Dieser Taugenichts macht sich doch nur einen Spaß daraus, mich zu verhöhnen! Stundenlang bin ich durch Yokohama gelaufen, habe alle Plätze, an denen er sich sonst befindet, abgesucht. Mein kompletter Tagesplan ist durcheinander und nichts von dem, was ich heute schaffen wollte, kann ich von meiner Liste streichen. Grummelnd ziehe ich mein Ideal hervor, blättere darin und notiere mir folgende Zeilen:

 

 

• 𝓓𝓪𝔃𝓪𝓲 𝓱𝓪𝓽 𝓶𝓲𝓬𝓱 𝓻𝓮𝓲𝓷𝓰𝓮𝓵𝓮𝓰𝓽 𝓾𝓷𝓭 𝓶𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓲𝓮 𝓰𝓪𝓷𝔃𝓮 𝓢𝓽𝓪𝓭𝓽 𝓷𝓪𝓬𝓱 𝓲𝓱𝓶 𝓪𝓫𝓼𝓾𝓬𝓱𝓮𝓷 𝓵𝓪𝓼𝓼𝓮𝓷

• 𝓓𝓲𝓮 𝓢𝓾𝓬𝓱𝓮 𝔀𝓪𝓻 𝓮𝓻𝓯𝓸𝓵𝓰𝓵𝓸𝓼 𝓘𝓬𝓱 𝓭𝓪𝓻𝓯 𝓶𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓪𝓿𝓸𝓷 𝓷𝓲𝓬𝓱𝓽 𝓪̈𝓻𝓰𝓮𝓻𝓷 𝓵𝓪𝓼𝓼𝓮𝓷.

 

 

𝓐𝓱, 𝔀𝓲𝓮 𝓼𝓮𝓱𝓻 𝓲𝓬𝓱 𝓶𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓪𝓷𝓪𝓬𝓱 𝓼𝓮𝓱𝓷𝓮, 𝓲𝓱𝓶 𝓮𝓲𝓷𝓮 𝓻𝓮𝓲𝓷𝔃𝓾𝔀𝓾̈𝓻𝓰𝓮𝓷 𝓾𝓷𝓭 𝓲𝓱𝓷 𝓯𝓾̈𝓻 𝓼𝓮𝓲𝓷 𝓴𝓲𝓷𝓭𝓲𝓼𝓬𝓱𝓮𝓼, 𝓾𝓷𝓪𝓷𝓰𝓮𝓫𝓻𝓪𝓬𝓱𝓽𝓮𝓼 𝓥𝓮𝓻𝓱𝓪𝓵𝓽𝓮𝓷 𝔃𝓾 𝓼𝓬𝓱𝓮𝓵𝓽𝓮𝓷! 𝓩𝓪̈𝓱𝓵𝓮 𝓫𝓲𝓼 𝓩𝓮𝓱𝓷. 𝓑𝓵𝓮𝓲𝓫𝓮 𝓻𝓾𝓱𝓲𝓰.

 

 

Plötzlich eine Nachricht von dem Brünetten. Nicht in unserer Gruppe, sondern nur an mich gerichtet. Ich hoffe für diesen Taugenichts, dass er sich seine Worte gut überlegt hat und sich aufrichtig für den Ärger, den er mir einmal mehr gemacht hat, entschuldigt! In mir brodelt Zorn und Zähne knirschend öffne ich die Textnachricht.

 

 

Abgestürzt“, ist alles, was in dieser Nachricht steht. Verwirrt. Ich bin verwirrt und verstehe diesen Kerl nicht. Ist er in Gefahr? Der Zorn, der mir bis eben noch ins Gesicht geschrieben stand, verschwindet urplötzlich und ich fühle ein Unbehagen in mir aufkommen.

 

 

Hart schluckend wähle ich Dazais Handynummer, innerlich flehend, dass dieser rangeht. Erst beim dritten Versuch hebt dieser ab, doch antwortet nicht. Mein Geduldsfaden reißt und ich verliere einmal mehr die Kontrolle, vor lauter Sorge brülle ich geradezu in den Hörer und verlange von dem Brünetten, mir auf der Stelle zu sagen, wo er sich aufhält. Dazai antwortet nicht, aber ich glaube, ein leises Schluchzen wahrgenommen zu haben. Scharf atme ich ein und ermahne mich, wieder zur Ruhe zu kommen, denke an dein Ideal. Dazai ist abgestürzt. Wie tief ist der Sturz gewesen? Welche Verletzungen sind möglich? Geben Hintergrundgeräusche irgendetwas über Dazais Standort preis? Erneut lausche ich dem Hörer.

 

 

„Hilf mir“, kommt es flüsternd von der anderen Seite und mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen. Dazai zeigt niemals Angst und läuft mit offenen Armen ins gegnerische Feuer, ohne Rücksicht auf Verluste oder sein eigenes Leben. Dass dieser sonst immer lachende Kerl, der nichts und niemanden ernst nimmt, nun Tränen vergießt und hilflos und allein seinem Ende entgegen sieht, lässt selbst mir das Blut in den Adern gefrieren. Dazai Osamu ist ein Ärgernis, das nur dafür lebt, meinen Tagesplan durcheinander zu bringen.

 

 

Tu, was getan werden muss. Wenn es in deiner Macht steht, ein Leben zu retten, dann zögere nicht.“

 

 

„Dazai“, ist alles was ich hervorbringe. Jetzt bemerke ich erst, dass ich meinen Atem angehalten habe. Mein Herz rast. Dazai braucht Hilfe. Ihm diese Hilfe zu verweigern, ist nicht ideal. Auch wenn ich diesen wankelmütigen Kerl nicht gut leiden kann und er mir ordentlich auf den Zeiger geht, würde ich es mir niemals verzeihen können, würde er sterben, vor allem wenn ich die Möglichkeit habe, ihn zu retten.

 

 

„Wo bist du“, frage ich und hoffe auf eine eindeutige Antwort.

 

 

„Es tut mir leid“, wimmert Dazai und ich bin mir sicher, dass er eine Kopfverletzung erlitten haben muss, die es ihn unmöglich macht, geradeaus zu denken.

 

 

„Wo bist du?!“, wiederhole ich lauter.

 

 

„Aokigahara“, flüstert Dazai und in mir keimt Entsetzen.

 

 

Aokigahara ist ein Wald, der am sich Fuße des Fuji befindet. An der Nordseite des Berges und westlich des Saiko-Sees und nordöstlich des Shōji-Sees. Ein Touristengebiet mit wunderschöner Flora und Fauna und Höhlen, die von Mythen umgeben sind. Die Narusawa-Eishöhle, die ganzjährig Stalaktiten aus Eis beherbergt und ein malerisches Bild erzeugt und als Naturdenkmal verstanden wird. Auch die Fugaku-Windhöhle, in der glitzernde Eisformationen betrachtet werden können und in der es kein Echo gibt, gehört zu den beliebten Touristenspots. Wer einen Fuß in diese Höhle setzt, macht sich auf in eine andere Welt, so heißt es in der Bevölkerung und ich würde dieses Urteil niemals anzweifeln, sofern ich es nicht widerlegen kann. Die Drachenpalasthöhle, in dessen Tiefen sich ein Schrein zu Ehren Toyotama-hime no mikoto befindet und die aufgrund ihrer Einsturzgefahr für Besucher streng untersagt ist.

 

 

Das sind lediglich die berühmtesten Höhlen, doch der Wald beherbergt viel mehr Geheimnisse. Unterhalb der Wurzelwerke der Bäume soll es zig verschiedene Höhleneingänge geben, in denen die Geister der Verstorbenen, die in diesem Wald vor Jahrhunderten ausgesetzt und zum Sterben zurückgelassen wurden, hausen. Verirrte Seelen, die nie Frieden finden konnten. Menschen, die bis zum heutigen Tage zwischen dem Diesseits und der Nachwelt wandern und niemals einen Ausweg finden werden. Mythen, die diesen Wald betreffen, gibt es viele. Der Wald ist gerade mal 1200 Jahre alt und doch ist er eine Berühmtheit.

 

 

Aokigahara hat Bäume, die weit über 200 Jahre alt sind und ein Terrain, das schwer begehbar ist. Die hohe Luftfeuchtigkeit dort lässt Pilze gedeihen und Moos wuchern.

 

 

Aus welchem Grund sollte jemand wie Dazai zu diesem Wald gehen?

 

 

Mein Blick verfinstert sich.

 

 

Nein, ich will es nur nicht wahrhaben. Aokigahara mag ein beliebtes Touristenziel sein und mit einzigartiger Flora und Fauna begeistern, doch ein jeder kennt die Schreckensgeschichten und die traurige Wahrheit hinter der Beliebtheit des Waldes. Dieser Wald ist bekannt für seine Besucher, die mit dem Leben abgeschlossen haben und ihr Ende suchen. Ein Wald der Selbstmörder. Ein verfluchter Wald, in dem tausende Geister und Dämonen hausen. Verirrte Seelen, die nicht in das Jenseits gefunden haben und für immer und ewig in den Wäldern verzweifelt nach Erlösung suchen werden.

 

 

Dazai ist dort nicht als Tourist. Mein Herz klopft unaufhörlich und ich fühle mich schuldig. Was hätte ich tun können, um dies zu verhindern? Kann ich überhaupt irgendetwas tun? Dazai will keine Hilfe und ihm zu helfen, ist ein Ticket in den Untergang ohne Rückreise. Man kann nicht jeden retten. Manche Menschen können nicht gerettet werden. So ist das nun mal. Ich bin kein Superheld, sondern ein Privatdetektiv. Wenn Dazai unbedingt sterben will, soll er doch!

 

 

Bei diesen Gedanken dreht sich mein Magen wieder um und mein Kopf schmerzt. Ich suche nach einer Ausrede, um ihn in Stich zu lassen, doch der Gedanke ihn hängen zu lassen, setzt mir arg zu. Denn Dazai hat in seiner Not seine Hand nach mir ausgestreckt. Was für ein Mensch wäre ich, diesen Hilferuf zu ignorieren? Ich bin ein Realist, der nach Idealen strebt. Selbstmord ist keine Lösung. Mein Ideal ist meine Waffe und meine Lösung. Ich werde Dazai retten und ihm klarmachen, wie dumm seine Entscheidung allein in diesen Wald zu gehen, gewesen ist!

 

 

• 𝓓𝓪𝔃𝓪𝓲 𝓫𝓮𝓯𝓲𝓷𝓭𝓮𝓽 𝓼𝓲𝓬𝓱 𝓲𝓷 𝓐𝓸𝓴𝓲𝓰𝓪𝓱𝓪𝓻𝓪

• 𝓭𝓪𝓼 𝓲𝓼𝓽 𝓪𝓵𝓵𝓮𝓼 𝓪𝓷𝓭𝓮𝓻𝓮 𝓪𝓵𝓼 𝓲𝓭𝓮𝓪𝓵

 

 

𝓦𝓪𝓷𝓷 𝓷𝓾𝓻 𝔀𝓲𝓻𝓭 𝓮𝓻 𝓪𝓾𝓯𝓱𝓸̈𝓻𝓮𝓷, 𝓶𝓮𝓲𝓷 𝓛𝓮𝓫𝓮𝓷 𝓭𝓾𝓻𝓬𝓱𝓮𝓲𝓷𝓪𝓷𝓭𝓮𝓻 𝔃𝓾 𝓫𝓻𝓲𝓷𝓰𝓮𝓷? 𝓘𝓬𝓱 𝓫𝓲𝓷 𝓼𝓮𝓲𝓷 𝓟𝓪𝓻𝓽𝓷𝓮𝓻, 𝓼𝓸𝓶𝓲𝓽 𝓲𝓼𝓽 𝓮𝓼 𝓶𝓮𝓲𝓷𝓮 𝓟𝓯𝓵𝓲𝓬𝓱𝓽, 𝓲𝓱𝓷 𝔃𝓾 𝓻𝓮𝓽𝓽𝓮𝓷 𝓾𝓷𝓭 𝓲𝓱𝓶 𝓥𝓮𝓻𝓷𝓾𝓷𝓯𝓽 𝓮𝓲𝓷𝔃𝓾𝓹𝓻𝓾̈𝓰𝓮𝓵𝓷.

 

 

 

Sobald ich ihn gefunden habe, kann er sich auf eine Standpauke gefasst machen!



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