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Meeressturm

von

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Jagd

Die Zuschauer bekommen, wonach sie sich verzehren. Auf eine Art wusste ich schon immer, dass es so geschehen wird, seit Titania Creed die Worte verlesen hat. Und doch habe ich gefürchtet, dass Snow es verhindern würde, diese unmöglicheste aller Regeländerungen, die Änderung von der Essenz dessen, wofür die Hungerspiele immerhin schon 74 Jahre lang stehen. Diesen Wink einer Hoffnung, die nicht sein darf.

Wir sitzen allesamt im großen Festsaal, Mentoren, Betreuerinnen und Sponsoren, als es so weit ist. Jeder Distrikt für sich und doch gemeinsam, nur die Kapitoler sind ein störender Fremdkörper in unserer Mitte. Die Hymne Panems hallt durch die Arena und lässt sämtliche Tribute in Schockstarre verfallen. Ich halte Ambers Hand, aber es ist schwer zu sagen, wer von uns fester drückt. Ihre Aufregung ist mindestens so groß wie meine, auch wenn ihr Gesicht grimmig wie eh und je bleibt; eine Maske der Gleichgültigkeit.

Zwei Tribute aus demselben Distrikt dürfen gemeinsam siegen. Claudius Templesmith verkündet es pünktlich auf die Sekunde nach Ablauf der Abstimmungszeit. Zum ersten Mal, seit wir im Kapitol sind, breiten sich Ambers Lippen zu einem ehrlichen Lächeln aus. Eine Woge aus Freude brandet durch den Saal, zufriedenes Nicken, vereinzeltes Klatschen oder gar ein begeistertes Pfeifen.

Überschwänglich zieht Amber mich in ihre kräftigen Arme und ergriffen von der plötzlichen Fröhlichkeit zucken auch meine Mundwinkel wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen in die Höhe. Was hier geschieht, ist besonders, das ist klar. Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass die Vorstellung in mir aufsteigt, wie es wäre, wenn Edy und Cordelia noch leben würden. Wenn sie doch nur ein wenig mehr Glück gehabt hätten ...

Leute drängen nach vorne, zu den Plätzen von Distrikt Zwei und Zwölf und bedrängen die Mentoren mit Glückwünschen, die Sponsoren zücken bereits ihre kleinen Plastikkarten, mit denen sie hier alles bezahlen. Haymitch wird von Titania Creed mit einer schwer beringten Hand auf die Schulter geklopft und es scheint ganz, als wenn sie diese Chance alleine für ihren Verdienst hält.

Es dauert keine fünf Minuten und unter den Anwesenden haben sich zwei harte Fronten gebildet. Distrikt Zwei gegen Zwölf. Karrieros gegen Außenseiter. Verbissene Einzelkämpfer gegen tragisches Liebespaar.

Die anderen Tribute allerdings, die alleine kämpfen, scheinen nun vollends abgeschrieben. Eine Mentorin aus Distrikt Fünf stürmt mit klappernden Absätzen aus dem Raum, ihre Hände zu Fäusten geballt. Ihr Partner hingegen, ein älterer Sieger mit schütterem Haar, hat es irgendwie geschafft, sich an Haymitchs Seite zu drängen und versucht dort, Aufmerksamkeit zu erringen – mit mäßigem Erfolg.

 

Die kommenden Stunden und Tage wird Caesar Flickerman nicht müde, die Symbolik des Ganzen zu betonen. In der gesamten Stadt gibt es bloß dieses eine Thema, wie auch Cece verkniffen berichtet. Sie hat Katniss den Tod von Cordelia immer noch nicht verziehen. Überhaupt scheint sie die Einzige zu sein, die für das Liebesdrama nur ein Achselzucken übrig hat.

„Irgendwann findet auch ein blindes Huhn ein Korn“, sagt sie schlicht. „Netter Plan, das muss man Abernathy lassen. Möchte nur wissen, wie er die Spielmacher überzeugen konnte, da mitzumachen. Aber es zeigt vor allem eins: Nächstes Jahr müssen wir etwas Besseres in petto haben!“

Und damit stürmt sie davon, fest entschlossen, einen Plan zu erarbeiten, der dieses Drama noch in den Schatten stellen wird. Wenn ich nur an das Jubeljubiläum denke, ziehen sich all meine Innereien schmerzhaft zusammen.

An mir fliegen die Tage nach der Regeländerung wie in einem Fiebertraum vorbei. Während man sich im Kapitol daran ergötzt, wie Katniss und Peeta zueinander zurückfinden und fortan einen Großteil ihrer Zeit in einer kleinen Höhle am Fluss verbringen, lerne ich, mit offenen Augen zu schlafen. Im übertragenen Sinn. In einem Moment starre ich auf den Fernseher, der Katniss beim Jagen zeigt, im nächsten Augenblick ist es Abend und die Spielmacher kündigen ein Festmahl für den kommenden Tag an.

Haymitch fängt bei dieser Gelegenheit wieder an, zu trinken, bis Finnick ihm das Glas aus der Hand schlägt und ihn anschreit, dass er die Spiele bis zum bitteren Ende ertragen muss. Jeder von uns geht mit der Anspannung anders um und Haymitch ist da keine Ausnahme. Gezwungenermaßen nüchtern, sucht er Streit, mit Finnick, mit Amber, mit Enobaria und sogar mit Brutus. Irgendwann schreiten die Friedenswächter ein, die sich immer in den Schatten des Saals herumdrücken, und ziehen die beiden auseinander. Am Ende kann ich nicht einmal mehr sagen, weshalb sie überhaupt gestritten haben. Die einzig bleibende Erkenntnis ist, dass Haymitch einen erstaunlich festen rechten Haken hat, der Brutus als violetter Fleck am Kinn in Erinnerung bleibt.

Ich erinnere mich nicht, ob ich es selber sehe oder ob Finnick mir lediglich davon erzählt, doch Thresh tötet Clove bei dem Festmahl am Füllhorn. Vermutlich habe ich zugesehen, zumindest drängt sich des Nachts ein Bild von Cato in meine Träume, dessen Hände verzweifelt versuchen, Cloves zertrümmerten Schädel zu richten, ihr Name ein bebendes Wispern auf seinen Lippen. Er ist zu spät, sie ist längst fort. Ob er traurig über den Verlust seiner zusätzlichen Chance oder wirklich um sie ist, kann ich nicht sagen.

Es sollte mich mit grimmiger Freude erfüllen, dass er nun einen Teil des Schmerzes kennt, wie eine gerechte Strafe für das, was er Edy angetan hat, doch da ist nur dumpfe Leere in meinem Herzen. Nicht einmal Cato hat das verdient.

Auf einen Schlag ist Distrikt Zwölf alleine mit der Aussicht auf das Überleben beider Tribute. Im Festsaal bleibt es dennoch bei zwei Fronten. Diejenigen, die inständig hoffen, dass Katniss und Peeta in die Geschichte eingehen und jene, die alle offen wissen lassen, dass es nur einen Sieger geben kann. Der Fairness halber, flüstern sie. Als ob es je Gerechtigkeit in den Hungerspielen gegeben hätte.

Chaff veranlasst Threshs Tat am Folgetag dazu, eine Champagnerdusche auf einem der vornehmen Holztischchen zu nehmen und im Alkoholrausch so ziemlich alles hinauszuschreien, was er je unschmeichelhaftes über Distrikt Zwei gedacht hat. „Jetzt zeigen wir euch elenden Kapitolshuren die wahre Macht von Distrikt Elf!“, grölt er trotz Seeders Bemühungen, ihn zum Schweigen zu bringen.

Was sie nicht schafft, gelingt den Friedenswächtern mühelos. Der erste Schlag trifft Chaff aus dem Nichts und mit einem lauten Krachen des Tisches geht er zu Boden. Im Saal ist es so still wie schon lange nicht mehr, während die Soldaten in den weißen Rüstungen den gefallenen Mentor umringen. Finnick tritt vor mich und versperrt mir den Blick, Floogs legt im gleichen Atemzug einen Arm um meine Schultern, leise Worte murmelnd, denen ich doch nicht wirklich zuhöre. Stöhnen und ein Lachen, das fast an Wahnsinn grenzt, dröhnen durch den Saal.

„Ihr könnt es nicht aufhalten“, lallt Chaff schadenfroh, dann verstummt er und lässt nur noch Raum für das Klatschen von Gummi auf Haut.

Schlagstöcke, flüstern die Stimmen in mir. Meine Hände zittern unkontrolliert, aber ich kann mich dem Grauen nicht entziehen, egal was Finnick und Floogs versuchen. Als die Friedenswächter Chaffs schlaffen Körper fortziehen, hinterlässt er eine blutrote Schleifspur auf dem polierten Marmorboden, die sich ebenso in meine Träume frisst wie Cloves zerplatzte Schädeldecke und Cordelias entstelltes Gesicht.

Die Liebesgeschichte von Katniss und Peeta indes erblüht weiter, während Cato Jagd auf Thresh macht. Ich komme zu dem Schluss, dass ihm doch mehr an Clove gelegen hat, als man ahnen konnte. Thresh ist jedoch gerissen. Fast zwei ganze Tage vergehen, bis die Spielmacher schließlich in ihre Trickkiste greifen und einen gewaltigen Sturm entfesseln, der die beiden Tribute zusammentreibt.

Seeder sitzt alleine in der hintersten Ecke des Festsaals, ihre Hände um das Mentorentablet geschlungen. Von Chaff fehlt seit dem Zwischenfall mit den Friedenswächtern jede Spur. Aber egal, ob er da wäre oder nicht – wir alle ahnen, dass die Spielmacher Thresh nicht entkommen lassen werden, ganz gleich, wie viele Sponsoren er hat. Distrikt Elf hat sich selber zum Tode verurteilt.

Ausgestattet mit einer glänzenden Ganzkörperrüstung vom Festmahl ist Cato Thresh schlichtweg überlegen. Thresh ist zwar kräftig, doch er hat nie von Grund auf die Techniken des Schwertkampfes gelernt. Blind schlägt er auf Cato ein, der sich meisterlich darauf versteht, ihn auszuspielen. In einem Ring aus Sturm und Blitzen rammt der Karriero aus Zwei schlussendlich sein Schwert bis zum Heft in Threshs Schulter und zwingt ihn so zu Boden.

Sein Tod kommt nicht schnell, sondern langsam, genau berechnet. Cato hat perverse Freude, seinen Feind leiden zu lassen. Er hat eines von Cloves Messern dabei, wahrscheinlich nur zu diesem Zweck. „Mit den besten Grüßen von Clove“, flüstert er Thresh zu, bevor er es endlich beendet. Ich übergebe mich zu Ceces Entsetzen auf den weißen Marmorboden.

Das übliche Interview mit den Verwandten und Mentoren des gefallenen Tributs bleibt nach Threshs Tod aus, ein Umstand, über den Caesar Flickerman kein Wort verliert. Der endgültige Beweis von Distrikt Elfs Unmut findet sich allerdings auf unserem Frühstückstisch. Eher gesagt wird er deutlich an dem, was fehlt. Die paar Früchte, die uns serviert werden, haben schon bessere Tage gesehen, wie schrumpelige Haut und Druckstellen zeigen. Cece rümpft angewidert die Nase, aber für uns ist es immer noch mehr als zuhause.

Unsere Betreuerin lässt leider nicht länger ihren Reader herumliegen, doch ich kann mir denken, dass die Lage in Distrikt Elf schlimm ist. Seeder ertränkt ihre Niederlage am nächsten Tag in dem Alkohol, den Chaff so liebt und ich kann sehen, wie es Haymitch in den Fingern juckt, sich bei seiner alten Freundin dazuzusetzen. Warnend lässt Amber die Knöchel knacken und das Thema hat sich erledigt.

Nur vier Tribute verbleiben, aber das große Finale, der Kampf wie letztes Jahr bei Riven, bleibt aus. Keine Falle der Spielmacher, die den Tributen den Weg abschneidet und sie zurück zum Füllhorn zwingt, kein weiteres Festmahl, das Spannung erzeugen soll. Die Ruhe vor dem Sturm, wie Finnick immer wieder murmelt. Ich zweifle, ob das Unwetter nicht längst um uns herum tobt und wir nur in seinem Auge sind, abgeschnitten von Regen, Wind und peitschenden Wellen.

Schließlich nimmt das Mädchen aus Distrikt fünf sich selber aus dem Spiel, als sie von den giftigen Beeren isst, die Peeta unwissentlich gesammelt hat. Der Tod ist beinahe friedlich im Vergleich zu dem grausamen Mord an Thresh. Ihr letzter Blick gilt dem blauen Himmel und ich meine, so etwas wie Erleichterung in den Gesichtern ihrer Mentoren zu erkennen.

 

Erst am nächsten Tag werden wir für das Finale zusammengerufen. Haymitch zittert ganz ohne Alkohol und stillschweigend nehmen die anderen ihn und Effie Trinket, der vor Aufregung die Stimme ausnahmsweise wegbleibt, in ihre Mitte.

Sogar Chaff erscheint wieder im Festsaal. In der kurzen Zeit scheint er abgemagert zu sein, die sonst so kräftigen Muskeln sehen aus, als hätte jemand die Luft herausgelassen. Seine dunkle Haut wirkt wächsern und seine Augen liegen tief in ihren Höhlen. Der Anblick lässt mir Galle die Kehle emporsteigen. Ich ahne, an welchem Ort er die letzten Tage verbracht hat.

Wie schon bei der Eröffnung der Spiele nehmen auch hier wieder der Präsident und seine gesamte Entourage teil. Im vorderen Bereich des Festsaals ist eine Lounge für sie aufgebaut worden, von der aus sie bequem auf uns andere herabblicken und gleichzeitig die große Leinwand bestens im Blick haben. Nur die hochrangigsten Sponsoren dürfen bei ihnen sitzen. Natürlich ist Titania Creed an der Seite Snows.

In der Arena scheint indes alles ruhig. Cato durchstreift den Wald, auf der Suche nach Katniss und Peeta, die immer noch in ihrer Höhle ausharren. Doch nicht mehr für Lange, denn auch ihnen ist klar, dass die Spiele enden müssen. Sie sind zu zweit, Cato alleine. Besser werden die Chancen nicht.

Aber die Überraschung, die uns von den Spielmachern geboten wird, kann auf den letzten Metern noch einmal alles verändern. Den Ausgang der Hungerspiele wird sie in jedem Fall beschleunigen. Eine alte Bekannte präsentiert sie höchstpersönlich im Studio von Caesar Flickerman – Dr. Gaia Gaul.

Finnick ergreift meine Hand, drückt sie einmal kurz. In seinen Augen flackert ein ähnliches Grauen, wie in meinem Magen rumort angesichts von Dr. Gauls Mutationen, die der Moderator mit Staunen lobt – und die mir so schrecklich bekannt sind. Es scheint ewig her zu sein, dass ich in der Dunkelheit des Labors Edy in die kalten Augen blickte, im Gesicht einer riesigen Wolfsbestie. Nur, dass es nicht länger bloß Edy ist. Sie alle sind da, 21 tote Tribute, jedem eine Mutation gewidmet.

Egal wie fest ich die Lider zupresse, mir die Hände auf die Ohren drücke, ich höre ihr schauriges Heulen, das geifernde Lechzen nach Blut. Die Meute jagt, das Finale hat begonnen.

 

Die Spielmacher kennen kein Erbarmen. Sie hetzen die Wolfsmutationen auf Catos Fersen, immer nur eine Wolfslänge hinter ihm. Es erinnert mich an die großen Schleppnetze, mit denen auf der See ganze Fischschwärme zusammengetrieben wurden, wie wir in der Schule gelernt haben. Früher, bevor die Katastrophen kamen und die Meere beinahe verkümmerten.

Wie die Fische windet Cato sich, springt über Wurzeln und Erdlöcher; versucht, dem Pack zu entkommen. Und wie die Fische geradewegs im Netz enden, läuft auch er in die Falle – auf Katniss und Peeta zu. Die Spielmacher haben ihn genau da, wo sie ihn haben wollen.

Haymitch ballt die Hände zu Fäusten. „Komm schon, Kleine, lauf weiter“, flüstert er immer wieder. „Andere Richtung, verdammt!“

Aber seine beiden Tribute warten lieber im offenen Grün zwischen Waldrand und Füllhorn, ungeschützt. Nervös gleiten ihre Blicke über die dichten Bäume. Bestimmt rechnen sie damit, dass Cato sich anschleicht, doch sie sind das Versteckspiel leid. Sie wollen mindestens genauso sehr wie ich, dass es endet.

Sein Mentorentablet ignoriert Haymitch. In dieser Situation ist es ohnehin zu nichts mehr zunutze. Nur die Tribute können noch über ihr Schicksal entscheiden. Das scheint auch Effie Trinket zu wissen, denn selbst sie hat ihre Hände wenig grazil ineinander verkrampft und ihre violetten Lippen beten pausenlos ein ähnliches Mantra wie das Haymitchs herunter, nur dass sie Peeta anfleht, seine Liebste zu beschützen.

Schließlich werden wir Zeugen, wie Cato die letzte Baumgrenze durchbricht. Panisch keuchend prescht er nur eine Armlänge entfernt an Katniss und Peeta vorbei – und ignoriert sie komplett. Für einen Sekundenbruchteil scheinen die Mutationen langsamer zu werden und wie in Zeitlupe zeigen die Kameras Katniss‘ und Peetas Verwirrung, gefolgt von Schock und Panik, sobald die ersten Bestien aus dem Wald hervorspringen.

Sie rennen, rennen so schnell wie mein eigener Atem in der Brust rast. Zum Füllhorn, dem Ort, wo alles beginnt und endet.

„Ich bin nicht in den Spielen, ich bin nicht in den Spielen“, stolpern mir die Worte hilflos aus dem Mund. „Ich muss nicht rennen, ich bin sicher. Ich bin sicher.“

Meine Lungen kämpfen wie damals, nachdem die Bäume in der Arena zum Leben erwachten und drohten, mich zu verschlingen; sie versuchen viel zu schnell, sämtliche Luft der Welt in sich einzusaugen. Aber kein Luftzug schafft es gegen die Enge in meiner Brust an. Hektisch atme ich ein und aus, doch es ist, als wäre aller Sauerstoff aus dem Raum gewichen. Panisch greife ich mir an den Hals. Erst mein rasender Puls erinnert mich daran, dass ich lebe und nicht etwa qualvoll in der Arena ersticke.

„Annie, wir sind in Sicherheit. Die Mutationen sind nicht hier“, flüstert Amber neben mir. „Alles wird gut.“

Ich zwinge mich, die Augen zu schließen, und gleite zurück in die viel zu weichen Sofakissen. Über das Keuchen meines eigenen Atems verblasst das Geheul der Wölfe langsam zu einem monotonen Hintergrundgeräusch. Zitternd presse ich die Hand ans Schlüsselbein, in Gedanken dabei, dass ich längst überlebt habe. Doch egal was ich auch versuche, da stellt sich kein Gefühl von Sicherheit ein. Nicht nach allem, was das Kapitol uns angetan hat – antut.

So verharre ich in selbstgewählter Dunkelheit, konzentriert auf jeden einzelnen Atemzug. Um mich herum ist lauter Geflüster, die dröhnende Tonübertragung aus der Arena und irgendwo, ganz entfernt, höre ich sogar das Klirren von Eiswürfeln in Gläsern, hier und da ein Lachen.

In Distrikt Vier hingegen wäre es an diesem Punkt totenstill, erinnere ich mich. Alle würden stumm dastehen und darauf warten, dass es vorbei ist, während der Sommerwind durch die engen Gassen fährt. Hand in Hand mit Isla würde ich es durchstehen. Die Erinnerung an meine liebe Freundin beruhigt mich etwas. Ich sehe ihr wettergegerbtes Gesicht vor mir; die feinen Falten, von ihrem sanftmütigen Lächeln für immer auf die Haut gezeichnet. Bald schon werde ich sie wiedersehen. An diese Hoffnung klammere ich mich. Dann werden wir wirklich in Sicherheit sein. Zuhause.

Als ich die Augen wieder öffne, haben alle drei Tribute das Füllhorn erklettert. Die geifernde Meute kratzt tiefe Furchen in das goldene Metall, aber zunächst scheinen sie in Sicherheit. Vorerst – denn sobald mein Blick zur Spitze des Horns weiterwandert, sehe ich, welches Drama sich dort abspielt.

Peetas Bein ist eine einzige blutige Wunde und Cato hält ihn im Schwitzkasten, eine unbewegliche Katniss sich gegenüber, den Pfeil an der Sehne. Wenn sie schießt, dann werden beide fallen, mehrere Meter hinab zu den Mutationen.

Effie Trinket schluchzt inzwischen unerbittlich, den Blick abgewendet. Mit starrer Miene streicht Haymitch über ihr Knie, doch er sieht nicht fort. Mir scheint, als wolle er sagen „Schieß endlich“, so verkrampft, wie sein Kiefer ist. Dann hätte er immer noch eine Siegerin, selbst wenn es eine verschwendete Chance wäre.

Enobaria denkt offenbar das Gleiche, denn sie stöhnt genervt auf. „Bring ihn doch einfach um, Junge, worauf wartest du?“

Aber Cato tut es nicht. Wertvolle Sekunden verstreichen, Zeit, die Peeta nutzt, um einen Plan zu finden. Selbst Caesar Flickerman entgeht zuerst, was er da macht, als er ein blutiges X auf den Handrücken des Karrieros malt. Der Moderator holt hörbar Luft, da hat Katniss‘ Pfeil schon sein Ziel getroffen.

„So ein Idiot!“, brüllt Enobaria fassungslos. Ihre Faust kracht auf ein kleines Tischchen nieder und es würde mich nicht wundern, wenn in der Tischplatte nun ein Loch klafft.

Auch sie ist zur Machtlosigkeit verdammt. Catos Griff um Peetas Oberkörper löst sich und dann verliert er den Halt, rudert hilflos mit den Armen. Er schreit nicht noch einmal, ehe er vor den Mutationen aufschlägt.

Ich verberge den Kopf zwischen den Knien, Hände auf die Ohren gepresst. Dieses Ende will ich nicht mitansehen. Stunden um Stunden, so kommt es mir vor, sitze ich da und warte auf den erlösenden Kanonenschlag und nur noch mehr Schreie sind die Antwort. Irgendwann öffne ich die Augen doch wieder, aus Furcht, dass alles längst vorbei ist und man mich vergessen hat.

Natürlich ist dem nicht so. Der Festsaal ist nach wie vor rappelvoll. Unendliche Müdigkeit steht in den Gesichtern der Zuschauer geschrieben. Aus der Arena ist weiterhin das Jaulen der Wolfsbestien zu hören, auch wenn wir nur Katniss und Peeta sehen, die inzwischen im Dunklen auf dem Füllhorn dicht beieinanderliegen. Offenbar wurde der Tageszyklus etwas beschleunigt.

Trotzdem dauert Catos Martyrium die halbe Nacht an. Seine Rüstung verhindert, dass die Mutationen ihn schnell töten, und die Spielmacher haben zu viel Spaß an diesem Leid, um es zu beenden. An Schlaf ist nicht zu denken, selbst wenn der Ausgang der Spiele längst festzustehen scheint.

Ein schmaler Streif Sonnenlicht zeichnet sich bereits am grauen Himmel ab, als Katniss schließlich einen Pfeil an den Bogen legt und zur Spitze des Füllhorns kriecht. Es gibt nur eine Stelle, die Catos Rüstung nicht schützt. Sein Gesicht.

Stumm visiert sie ihn an und wenig später findet das Geschoss sein Ziel. Einen Wimpernschlag darauf verkündet die Kanone den Tod des letzten Tributs – Catos Ende. Letztlich war er schon immer ein Opfer der Spiele, ein gebrochener Junge, lange bevor sie ihn von seinem Leid erlöste.

Enobaria flucht nur leise und wirft dann einen unergründlichen Blick zu Haymitch. Neid? Hass? Ich vermag nicht, es zu sagen.

Innerlich leer starre ich auf die Leinwand. Die Mutationen verschwinden und von ihrem Angriff bleibt nichts zurück, bis auf die zerfetzten Überreste eines Jungen, der sich freiwillig für diesen Irrsinn gemeldet hat. Der wirklich glaubte, er könne das überleben. Hätte ich etwas gegessen, würde ich mich übergeben, aber so steigt nur der bittere Geschmack von Galle auf.

Kaum ist die letzte Mutation im Wald verschwunden, erhebt sich die Sonne rasend schnell über die Baumwipfel. Schweigend beobachten wir, wie Katniss und Peeta zögerlich vom Füllhorn rutschen, sich argwöhnisch umsehen, leise Worte der Verwunderung austauschen. Effie schluchzt erneut in ein spitzenbesetztes Taschentuch.

Unvermittelt trifft mich die Erkenntnis: Nur noch Distrikt Zwölf ist am Leben! Sie haben gesiegt! Mein Blick huscht zu Haymitch, der tief vornübergebeugt dasitzt, die Hände so fest ineinander verschlungen, dass die Knöchel weiß hervortreten. Jede Faser seines Körpers bebt vor Anspannung. Dass er gerade zwei Sieger geschaffen hat, scheint er noch gar nicht begriffen zu haben. Sein Blick ruht nicht auf den überlebenden Tributen, sondern auf Snow. Mit zusammengekniffenen Augen mustert er den Präsidenten, der das Geschehen in der Arena gelassen verfolgt.

Die Siegesfanfaren lassen auf sich warten, obwohl Catos Leiche von einem Hovercraft abgeholt wird und langsam dämmert auch mir, dass etwas nicht stimmt. Ein Knacken ertönt und dann hören wir Claudius Templesmith über Lautsprecher verkünden, dass die Regeländerung aufgehoben ist. Ein eingehendes Studium des Regelwerks hat gezeigt, dass nur ein Sieger erlaubt ist. Selbst unter Snows Gefolgsleuten wagt es keiner, dieser letzten Enthüllung der Spielmacher – dem wahren Finale – zu applaudieren.

Verwirrte Blicke werden ausgetauscht, leise murmelnd wenden sich die Mentoren ihren Sitznachbarn zu. Auch Amber und Finnick sehen einander grimmig an.

„Hast du etwas anderes erwartet?“, fragt Amber bitter.

Finnick schüttelt den Kopf. „Gehofft.“

„Aber ... aber das können sie doch nicht wirklich machen“, presse ich hervor. „Die beiden sind aus einem Distrikt! Man tötet seinen Partner nicht! Das ...“

„... ist eine ungeschriebene Regel?“ Amber reibt sich die Schläfen. „Ja, aber was das Kapitol von ‚Regeln‘ hält, sehen wir ja gerade.“

Nur Haymitch bleibt reglos. Erschöpft schließt er die Augen, eine Hand auf Effie Trinkets gelegt, deren Lippen ein entsetztes O bilden. Wenigstens sie ist genauso schockiert wie alle von uns.

Meine zitternde Hand vor den Mund gepresst, beobachte ich, wie Katniss‘ Finger an der Bogensehne sich verkrampfen, ihn ein letztes Mal spannen. Für eine Sekunde glaube ich, dass sie Peeta erschießen wird, der gerade sein eigenes Messer fortwirft. Doch sie tut es nicht, wirft stattdessen ebenfalls den Bogen zu Boden.

Natürlich nicht. Sie hat ihr Leben für ihn riskiert, obwohl er oftmals nur ein Hindernis dargestellt hat. Und er hat bis zuletzt für sie gekämpft. Unweigerlich überlege ich, was meine Reaktion gewesen wäre, hätte es diese Chance vor vier Jahren gegeben. Es gibt nur eine Antwort. Ich hätte mich geopfert. Für Pon.

„Jetzt tu es“, höre ich Haymitch kaum merklich seufzen. „Beende diesen Wahnsinn.“ Seine Stimme scheint von weit weg zu kommen, so leise ist sie. Er klingt unendlich müde, aber sein Blick ist wieder mit brennender Intensität auf Snow fixiert.

Der Präsident zeigt keine Regung, sondern lässt nur seine diamantharten Augen durch den Saal wandern. Bei unserem Tisch angelangt hebt er sein Glas in Haymitchs Richtung, als wolle er ihm zuprosten. Auf einen Sieg für Distrikt Zwölf – wenn entweder Peeta oder Katniss erstmal tot ist.

Mit einigen Sekunden Verspätung erreicht die Erkenntnis aus Claudius Templesmith‘ Ankündigung auch noch die letzten Mentoren und Betreuerinnen im Saal. Wütende Rufe werden laut. Leute springen auf und aus dem Halbdunkel heraus schreit jemand: „Das ist Betrug, ihr habt eure eigenen Regeln selber geändert! Fickt euch doch!“

Johanna. Nur sie ist so offen in ihrem Zorn. Und dann ist da noch Chaff, der lacht und ein Glas voller bernsteinfarbener Flüssigkeit zu Boden schmeißt, wo es in abertausende Scherben zerspringt. „Bewundert das allmächtige Kapitol“, grölt er.

Immer mehr Rufe werden laut und übertönen sogar jene wie Enobaria, die höhnisch verkündet, dass ihre Tribute sich getötet hätten, wie es sich gehört. Indes fleht Peeta Katniss darum an, ihn zu töten und das Spiel zu beenden. Friedenswächter treten vor, ihre Schlagstöcke fest im Griff, und bilden eine Phalanx um Snows Entourage. Eine stumme Drohung, deren Wirkung sofort eintritt. Die lauten Schreie nach einer erneuten Regeländerung ersterben, nicht aber die leise gezischten Bemerkungen. Das hitzige Summen im Saal erinnert an das Jägerwespennest, Momente bevor es Cordelias Leben ausgelöscht hat.

Ein Gefühl, wie kurz vor der Explosion einer Bombe ergreift mich. Was jetzt passiert hätte ich allerdings niemals kommen sehen. Auf einmal hat Katniss die Nachtriegel in der Hand, die Peeta tags zuvor unwissentlich gesammelt hat. Energisch gibt sie ihm eine Handvoll. Der ganze Saal hält den Atem an.

Vertrau mir.

Ich wage nicht, zu blinzeln. Grimmig blickt Katniss Peeta an.

„Auf drei?“

Er zögert einen Moment, dann nickt er.

Wenn sie beide sterben, gibt es keinen strahlenden Sieger. In 73 Jahren ist das nie vorgekommen. Am Ende gab es immer jemand Überlebenden, egal ob die Spielmacher unzufrieden mit dieser Person waren, so wie mit mir. Das wütende Brummen im Saal nimmt zu. Sollten gleich zwei Kanonen ertönen, hat das Kapitol genauso verloren wie die Distrikte.

„Oh nein, nein, nein ...“, haucht Effie Trinket. „Das dürft ihr nicht!“

Mit einem Ausdruck unendlichen Bedauerns streicht Peeta eine Haarsträhne aus Katniss Gesicht. Er liebt sie, das erkenne ich daran, wie er immerzu nur sie ansieht. Aus zornigem Summen wird bleierne Stille, als die beiden Tribute dem Tod entgegentreten.

Unwillkürlich greife ich nach Finnicks Hand, muss mich vergewissern, dass er noch da ist. Schmerzhaft fest drückt er zu, doch ich halte ihn nur umso doller. Katniss und Peeta schlucken die Beeren und mein Herz steht still.

Neben mir rinnt Haymitch eine stumme Träne über die Wange. Selbst Snow sitzt kerzengerade da, eine Hand zur Faust geballt. Unerwartet zerreißt die panische Stimme von Claudius Templesmith erneut die Stille:

„Stopp, stopp! Meine Damen und Herren, es ist mir eine Freude, Ihnen die Sieger der 74. Hungerspiele präsentieren zu dürfen, Katniss Everdeen und Peeta Mellark!“

Auf seine Worte folgen Raketen und Applaus explodiert um mich herum. Ich habe nicht einmal gemerkt, dass ich weine, doch die Tränen laufen mir sturzbachartig über die Wangen. Durch den Tränenschleier sehe ich, wie Peeta und Katniss hastig die Beeren ausspucken und ans Ufer stürzen, um sich den Mund auszuspülen.

Die übrigen Mentoren brechen in Jubelschreie aus. Niemand scheint wirklich fassen zu können, was gerade passiert ist. Haymitch ist bleich wie ein Gespenst und sieht aus, als würde er mehr denn je einen Drink brauchen. Schon klopfen Gratulanten ihm begeistert auf die Schultern.

„Auf Distrikt Zwölf!“, werden Schreie laut, in die eine völlig ekstatische Effie Trinket einstimmt.

Snows Augen sind kalt, als auch er sich erhebt, um zu applaudieren. Keine Regung verrät seine Gefühle, doch ich könnte schwören, dass der Hass in seinem Inneren brennt. Das hier ist nicht, was das Kapitol wollte.

Bebenden Herzens sitze ich da, während alles um mich herum in Feierstimmung versinkt. Doch ich kann das Gefühl nicht abschütteln, dass diese Jagd noch längst nicht vorbei ist.

 
 

***

 

Die Tage, an denen das Herz am dunkelsten ist, sind jene, an denen die Sonne umso heller scheint. Als versuche sie, uns an die Schönheit der Dinge zu erinnern, die von der Trauer im Inneren verschleiert werden.

Ich hätte trotz allem Regen, Blitze und Donner bevorzugt. Vielleicht würden die Leute dann begreifen, dass wir nicht zwei Sieger feiern, sondern 22 Tribute beerdigen. Aber die Sonne scheint erbarmungslos, wie schon ein Jahr zuvor, als der Zug in den Bahnhof von Distrikt Vier einfährt. Drückende Hitze liegt über dem Bahnsteig und ein staubiger Wind fährt uns entgegen, kaum, dass sich die Türen öffnen.

Noch in der Nacht nach dem Finale informierten die Friedenswächter uns, dass wir gleich am Morgen zurückfahren würden. Keine Siegesfeier und keine weiteren Partys. Auch wenn ich darüber nicht traurig bin, fühlt es sich nicht verdient an, zurückzukehren.

Eine stumme Masse empfängt uns, Menschen mit glasigem Blick, ein schwarzes Meer an Trauer. Vorne an Riven, die ich nur an ihrem roten Haar wiedererkenne. Sie blickt uns mit gerecktem Kopf entgegen, doch tiefe Schatten liegen unter ihren Augen und ich sehe den Riss in ihrer Seele, der sich in ihnen spiegelt. Diese Spiele haben jeden von uns verändert.

Alle Anwesenden neigen beschämt die Köpfe, während wir nacheinander aussteigen. Die Stille ist so durchdringend, dass ich das Summen der Insekten in der Luft höre. Hinter Riven erspähe ich Isla, in ihrer feinsten Kleidung. Sie lächelt nicht, doch es liegt Sanftheit in ihren Zügen. Egal was die Leute denken, ich laufe die paar Schritte auf sie zu und auf halber Strecke fängt sie mich auf.

Isla riecht nach Sonne, Wärme und Geborgenheit. Ich spüre die Kraft in ihrer Umarmung und wie sie mir einen mütterlichen Kuss auf die Stirn gibt. Es ist nur ein Moment, in dem ich die Augen schließe und mich wieder wie ein Kind fühle. Wir sprechen kein Wort. Dafür ist später Zeit. Es reicht, dass Isla an meiner Seite bleibt. Nur Mags fehlt, wie ich mit einem Stich im Herzen registriere.

Ein Trupp Friedenswächter öffnet die Türen zu dem letzten Waggon unseres Zuges und ich erinnere mich plötzlich wieder an den schrecklichen Spitznamen, den wir ihm früher gegeben haben. Der Eiswagen. Runtergekühlt auf eisige Temperaturen werden die toten Tribute darin aufbewahrt, wie tiefgekühlter Fisch.

Die Männer tragen die beiden schlichten Holzsärge hinaus auf den Bahnsteig. Aus der Menge ist leises Schluchzen zu hören. Ich wage es nicht, hinzusehen. Wie festgeklebt hängt mein Blick an den Särgen. Zaghafter Applaus für unsere heldenhaften, aber auch toten Tribute kommt auf. Jetzt kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie bahnen sich leise ihren Weg die Wangen hinab und ich schmecke Salz auf den Lippen.

Wir folgen den Friedenswächtern aus dem Bahnhof. Anstatt bunter Wimpel zur Feier des Tages sind schwarze Girlanden über die Straßen gespannt. Aus den Fenstern der umliegenden Gebäude werfen die Bürger Blumen in Richtung der Särge. Eine letzte Ehrung, bevor alle versuchen, die Hungerspiele für ein weiteres Jahr zu vergessen.

Unterdrücktes Schluchzen und das Klappern von Ceces Absätzen untermalen die Prozession zum Friedhof. Nur Freunde und Familie der Tribute begleiten uns hierhin. Isla bleibt ein paar Schritte zurück, um auf uns zu warten. Das gleiche Podest wie in jedem Jahr wartet auf uns, geschmückt mit den Bildern der Toten, davor zwei schwarze Gruben in der Erde und der Eimer Meersalz.

Zum ersten Mal, seit meinem Sieg, fühle ich nicht nur Trauer, sondern Hass. Auf Snow, der uns jedes Jahr diese Grausamkeit zumutet. Nicht einmal im Tod haben wir die Kontrolle. Unsere Tribute werden beerdigt, wie das Kapitol es will, nicht, wie sie es sich gewünscht hätten. Beerdigt unter weißen Rosen.

Bürgermeister Southshore hält die gleiche Rede wie in jedem Jahr, gibt seiner Trauer nicht einmal den Anschein, echt zu sein. Nur die Namen sind anders. Nicht Pon, nicht Eric. Edy und Cordelia. Während ich ihm zuhöre, schweifen meine Gedanken ab, in die übrigen Distrikte. Ist es dort überall dasselbe? Und was ist mit Zwölf, wo zum ersten Mal überhaupt kein Sarg in die Erde gelassen wird?

Katniss und Peeta können nichts dafür, aber ich spüre eine tiefe Ungerechtigkeit in mir brodeln. Pon hätte damals auch gewinnen sollen. Doch die Regeln haben nur einen Sieger vorgesehen. Bis Katniss sie einfach gebrochen hat. Hätte ich nur diese Kraft besessen ...

Erst, als Amber mir einen sachten Stoß in die Seite verpasst, bemerke ich, dass die Särge der Tribute bereits herabgelassen werden und die Rede geendet hat. Nacheinander streuen wir eine Handvoll Salz in die Gräber.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: irish_shamrock
2021-10-30T17:28:06+00:00 30.10.2021 19:28
Meine liebe Coronet,

ich bin wahrhaftig und tatsächlich und vor allem vom letzten Absatz sehr ergriffen.
Noch mal das Sterben, das ganze Grauen und dieses fulminante Finale der 74. Hungerspiele zu erleben - wenngleich aus Annies Sicht - hat mir Schauer über den Rücken gejagt und Tränen in die Augen getrieben.
Wie so oft muss ich wiederholt betonen, wie großartig du schreibst und dass es jedes Mal ein wahres Erlebnis ist, deinen Ideen und deren Umsetzung zuzusehen.
Großes Kino - wirklich.
Und nicht minder ... wortreich als das Original.
Bei S. Collins jagte bereits ein Feuerwerk das nächste, doch bei dir wird hinter die Kulissen geblickt. Welche Fäden werden bzw wurden wie verknüpft. Wie kam es zu den Regeländerungen beim/zum großen Finale. Wie hatte Snow Finnick zwingen können, sich zu verkaufen?! ...

Für deine weiteren Schreibideen wünsche ich dir viel Inspiration, Geduld und dass dir die Musen weiterhin derart auf die Pelle rücken ;) ...

Auch wenn ich nicht weiß, ob dieses Kapitel tatsächlich das letzte in dieser Geschichte ist (da du nichts dergleichen hier angegeben hast, hoffe ich einfach auf 1, 2 weitere Kapitel), wünsche ich dir und treuen Fans noch ganz viel Freude am Schreiben, Lesen und Inspirationensammeln und Ideenwälzen ❤ ...

Alles Liebe,
irish C:

PS: am Handy tippen ist voll doof
PPS: Es wird definitiv eine Story zu Band 2 fällig!!!
Antwort von:  Coronet
31.10.2021 18:19
Liebe irish,

ich kann nur sagen - Vielen, vielen, vielen Dank für diesen lieben Kommentar und all deine netten Worte hier und auch in den vergangenen Wochen/Monaten, das bedeutet mir sehr viel, gerade weil mir die letzten Kapitel nicht unbedingt leicht gefallen sind. Es freut mich sehr, dass dich die Geschichte auch aus diesem anderen Blickwinkel ergreifen konnte, auch wenn der Ausgang längst feststeht. Und natürlich ehrt es mich, dass du Annies und Finnicks Reise so fleißig bis zu diesem Zeitpunkt verfolgt hast und mich immer wieder an deinen Gedanken teilhaben lässt, das ist ja auch nicht selbstverständlich.

Tatsächlich ist dies noch lange nicht das Ende ihrer Geschichte und auch nicht dieser im Besonderen. Schon seit geraumer Zeit warten einige Kapitel zu den 75. Hungerspielen und auch der Rebellion darauf, das Licht der Welt zu erblicken (sogar das Ende ist schon geschrieben). Wenn du also noch Lust hast, dann kannst du dich noch weiter mit den beiden auf Reisen begeben.

In dem Sinne nehme ich deine Wünsche für viele weitere Inspiration und Geduld auf jeden Fall dankend auf und hoffe, dass sie mir bei dieser Geschichte noch weiter nützlich sein werden ❤

Ganz liebe Grüße
Coro


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