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Spiel ohne Limit

von

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Es gab ein regelrechtes Klatschen als Rin die Blätter auf den Tisch ihres Vorgesetzten schlagen ließ, welcher gerade dabei war, seine Brille gerade zu rücken.

"Frau Yamamori", begann er mit einem leichten Seufzer in der Stimme, "ich verstehe Ihr Problem nicht. Ihre Gehaltszettel wurden ordnungsgemäß bearbeitet." Rin sah das anders. Sie kniff die Augen zusammen und sah zu ihrem Gegenüber, der eine entspannte Haltung in seinem Sessel eingenommen hatte und die Hände vor dem Bauch zusammenfaltete.

"Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht zustimmen", entgegnete die junge Frau und deutete auf den obersten Abschnitt, "die aufgeführten Stunden passen nicht. Hier steht, ich hätte 79,5 Arbeitsstunden geleistet. Das ist völlig unmöglich." Sie verschränkte die Arme vor der Brust, "außerdem", ihre Mundwinkel begannen leicht zu zucken, "wurden meine Boni nicht verrechnet. Ich möchte, dass mein Lohnzettel einer zweiten Prüfung unterläuft." Der Blick Senjins machte sie nur noch rasender. Sie wusste, dass er sie nicht für voll nahm, egal wie ernst sie ihm in die Augen sah und auf jedes Argument kontern würde. Sein Blick erinnerte sie an ihre vorherigen Chefs, die jeden ihm Untergeordneten wie eine leere Hülle betrachteten - ein Objekt, das zu gehorchen und still zu sein hatte. Das leichte Lächeln auf seinen Lippen war ihr zuwider, ihre Haltung verkrampfte, während sie sich eine neue Strategie ausdachte. Anfangs hatte sie nur um ein höfliches Gespräch gebeten. Als der Gehaltszettel wenige Tage verspätet bei ihr eingetroffen und der Auszahlungsbetrag mehr als unzureichend war, wollte sie Aufklärung. Ihr Vorgesetzter schien jedoch keine Anstalten zu machen, ihr überhaupt richtig zuzuhören, geschweige denn ihrer Bitte auf Korrektur nachzukommen. Im Gegenteil: Allmählich schien sie zu glauben, dass die Unstimmigkeiten kein Fehler der Buchhaltung waren, sondern schlampige Arbeit, wenn nicht sogar Willkür.

"Ich will, dass meine Unterlagen überprüft werden", raunte sie, dass nicht mehr viel fehlte bis sie zu Knurren beginnen würde. Senjin schüttelte mit dem Kopf: "Ihre Stunden werden gemäß der Nutzung ihrer DuelDisc gemessen, sobald ein registriertes Duell gemeldet wird. Vielleicht haben Sie einfach nur eine falsche Wahrnehmung bezüglich Ihrer tatsächlichen Spielzeit."

Sicher nicht

Rin hatte sich die Stunden nicht notiert (was sie nun langsam zu bereuen begann), trotzdem wusste sie, dass die aufgeführten Stunden nicht stimmen konnten. Allein in den ersten zwei Wochen hatte sie die Hälfte des Tages nur mit Duellieren verbracht. Die meisten ihrer Duelle dauerten dreißig bis vierzig Minuten, je nach der Stärker ihrer Gegner. So viele Spieler, gegen die sie angetreten war und weniger als achtzig Stunden Spielzeit nach über vier Wochen? Sie brauchte dafür keine großen mathematischen Fähigkeiten um hier den ersten Schwindel zu entdecken.

"Und selbst wenn", sagte Rin und ließ ihren Blick noch arroganter wirken als sie es ohnehin mit ihrer herabblickenden Haltung tat, "mir fehlen sämtliche Extravergütungen, die mir laut meines Vertrages zustehen."

"Boni werden von der Buchhaltung nicht unbedingt sofort bearbeitet. Warten Sie einfach den nächsten Monat ab."

"Die Boni stehen mir aber jetzt zu", allmählich verlor sie die Geduld. Anders als ihr Gegenüber, der die junge Frau einfach nur abwimmeln wollte, reichte es ihr mit dem dummen Geschwafel.

"Wenn die Buchhaltung schon Schwierigkeiten hat, ein paar Subtraktionen durchzuführen, können wir es auch vereinfachen...in dem Sie mir einen angemessenen Lohn zahlen."

"Wie bitte?", Senjin beugte sich nach vorne, sein halbherziges Lächeln wich aus seinen Zügen.

"Sie haben mich schon verstanden. Mein bisheriger Vertrag läuft unter der Prämisse, dass ich als Duellantin der Amateurliga angestellt bin. Die Voraussetzungen haben sich geändert. Als Spielerin der dritten Profiliga steht mir ein dementsprechendes Gehalt zu."

"Wissen Sie, was sie da verlangen?", er starrte sie mit halb offenem Mund an, nicht sicher, ob er auflachen oder schreien sollte, "Sie wollen eine Gehaltserhöhung, obwohl Sie erst seit einem Monat bei uns angestellt sind? Mir ist noch niemand über den Weg gelaufen, der die Frechheit besitzt in mein Büro hereinzustürmen und mit einer Dreistigkeit Forderungen stellt, die völlig an den Haaren herbei gezogen sind."

"Das sehe ich anders", widersprach die junge Frau, "Ihr Vertrag besitzt keine Klausel, in der meine Konditionen unverändert bleiben, sollte ich in der DuelMonsters Liga aufsteigen. Ich fordere lediglich eine entsprechende Angleichung. Das ist nur fair." Dabei versuchte sie ein ebenso herablassendes Lächeln über die Lippen zu bringen.

"Das ist doch", setzte Senjin empört an und stockte im selbigen Moment, als aus der Freisprechanlage ein Piepen ertönte und daraufhin eine Frauenstimme zu sprechen begann: "Herr Senjin, ich soll Sie von Seto Kaiba daran erinnern, dass er Sie um elf zu sich zitiert hatte. Es ist jetzt fünf nach elf-"

"Ich verstehe", seine Stimme senkte sich, geradezu kapitulierend schloss er für einen Augenblick die Augen und drückte den Knopf der Freisprechanlage, dass sie mit einem weiteren Piepen ausgeschaltet wurde. Als sich seine Lider öffneten sah er Rin mit einer Mischung aus Belustigung und Provokation an.

"Nun, Frau Yamamori, es tut mir leid. Ich habe Wichtigeres zu erledigen als mich um Ihre kleinen Probleme zu kümmern."

Ich wüsste noch etwas anderes, dass klein ist

"Ich lasse mich nicht abwimmeln", Rin steckte die Hände in die Taschen ihres Trenchcoats und ballte diese zu Fäusten, "ich werde erst gehen, wenn Sie sich darum gekümmert haben."

"In meinem Büro kann ich Sie nicht allein lassen", er erhob sich von seinem Sessel, "Sie haben es gehört - ich muss zu einer Besprechung. Wenn Sie also nicht beabsichtigen mitzukommen, dann schlage ich vor, Sie wenden sich an das HR Service-Team."

Ich weiß ganz genau, dass du nur bluffst

"Das ist ein fabelhafter Vorschlag", sagte sie. Senjin hatte sie jedoch nicht verstanden, dass sie daraufhin ein falsches Lächeln aufsetzte: "Gerne komme ich mit." Daraufhin fiel Senjins Fassade, dass sämtliche Gesichtszüge sich absenkten und erste Furchen entstehen ließ. Nur langsam gewann er die Erkenntnis, dass sie ihn durchschaut hatte und versuchte Haltung zu bewahren: "Ihnen sollte bewusst sein, dass Sie so kurz davor stehen, Ihren Job zu verlieren. Wenn Ihnen Ihre Zukunft am Herzen liegt, sollten Sie so klug sein und jetzt gehen."

"Nein, danke", winkte Rin ab und verfolgte Senjins schleichenden Bewegungen, die auf die Tür zusteuerten, "ich werde mit Ihnen gehen." Wie ein Roboter und sein Schaffer liefen beide nebeneinander her. Rin begleitete Senjin in den Fahrstuhl, der sie in die fünfundvierzigste Etage beförderte, die einzig und allein dem Chef der Kaiba Corporation vorbestimmt war. Rin war noch nie zuvor so weit oben gewesen. Der Flur war im reinsten Weiß gehalten, lediglich eine Zimmerpflanze, die vor dem Empfangstresen platziert wurde, gab etwas Farbe in die triste Umgebung. Selbst seine Sekretärin hatte platinblondes Haar und trug einen weißen Anzug. Sie lächelte träge als sie Senjin begrüßte. Umso erstaunlicher war der Wandel ihres Gesichtes als sie Rin das erste Mal registrierte. Ihr bleiches Gesicht erhellte sich, ihr Mund öffnete sich leicht als wollte ihr ein Oh entfleuchen. Blinzelnd entgegnete Sie: "Möchten Sie einen Termin?" Rin schüttelte mit dem Kopf.

"Ich möchte nur hier stehen und warten." Die blonde Frau schien nicht zu wissen, wie sie darauf reagieren sollte. Hilfesuchend war ihr Blick in Richtung der Tür aus Milchglas gerichtet, die kein Geheimnis darüber preisgab, was sich hinter ihr verbarg - auch wenn es sich offensichtlich um das Chefbüro handelte.

"Also schön", entgegnete die Sekretärin mit leicht zittriger Stimme, "dann werde ich Sie, Herr Senjin, jetzt ankündigen." Daraufhin nutzte sie das Telefon der Freisprechanlage und setzte das Gesagte in die Tat um.

"Sie können jetzt hereingehen", nickte sie Senjin zu, dessen Hautton sich in den letzten Minuten stark dem der Tapete angepasst hatte, dass sich Rin ein Schmunzeln unterdrücken musste. Stattdessen lehnte sie sich an den Empfangstresen, verschränkte erneut die Arme vor der Brust und sah hinauf zur Decke.

"Entschuldigen Sie", das Flüstern der blonden Frau riss sie aus ihren Tagträumereien, "sind Sie nicht die Duellantin, die neu bei uns angefangen hat?"

"Das ist richtig", Rin bemühte sich aus der Rolle der selbstgefälligen Spielerin herauszukommen. Das Gespräch mit Senjin hatte sie so auf Hochtouren gebracht, dass sie nur schwer den richtigen Ton fand.

"Darf ich fragen, was der Grund für Ihre..Entscheidung ist hier stehen zu bleiben?"

"Ich fordere nur mein Recht ein", Rin drehte sich zu ihr um und grinste breit, obwohl ihr langsam der Magen zugeschnürt wurde. Sie wurde sich gewahr, in was für ein Spiel sie sich gerade hinein manövriert hatte. Die letzten Worte Senjins hallten in ihr Gedächtnis nach. Dass sie ihren Job verlieren könnte...daran hatte die junge Frau noch gar nicht gedacht. So wie sie sich bei ihren Duellen allein aufs Spielen konzentrierte, dachte Rin auch hierbei nur daran, ihren Anspruch geltend zu machen. Als sie diesen Job bekommen hatte, hatte sie sich fest vorgenommen, sich nichts mehr von anderen gefallen zu lassen. Jeder Job war bisher nur eine qualvolle Zeitfressmaschine gewesen, dass sie die Ungerechtigkeit in der Arbeitswelt schlichtweg ignoriert hatte. Jetzt, wo sie ihr freches Mundwerk in Duellen einsetzte, wollte sie diese Seite an ihr nicht wie eine schlechte Komödie aussehen lassen.

"Ich bewundere Ihre Kühnheit", murmelte die Sekretärin und setzte sich zurück an ihren Platz, "noch niemand hat sich hier unerlaubt aufgehalten. Schon allein aus Angst, den Unmut des Chefs auf sich zu ziehen."

"Das kann ich mir sehr gut denken." Rin hatte es oft erlebt. Die verängstigten Blicke der Angestellten, wenn sie auf Seto Kaiba trafen. Die meisten schienen zu glauben, dass schon direkter Augenkontakt gefährlich werden könnte. Zwar konnte sie verstehen, warum andere von ihm eingeschüchtert waren, aber gleich drei Liter Schweiß auszuscheiden war schlichtweg übertrieben. Man musste schon an seinen eigenen Kompetenzen zweifeln, wenn man um seinen Job fürchtete. Seto Kaiba war sicher ein strenger Arbeitgeber, aber bisher hatte er auf sie nicht den Eindruck erweckt als würde er es darauf abzielen, jemanden in die Mangel zu nehmen. Zu ihr hatte er sich doch auch nicht so verhalten, obwohl sie weit unter den meisten seiner Angestellten in der Hierarchie stand. Rin legte den Kopf schief: "Außerdem fällt es sowieso keinen auf, wenn ich hier bin." Die blonde Frau räusperte sich und sah geradezu entschuldigend zu Rin hinauf: "Es stimmt, dass die Glastür von außen keine Sicht zulässt. Von innen ist sie jedoch eine vollkommen normale Glastür." Rin versteifte. Was hatte sie gerade gesagt?

"Sie meinen", flüsterte nun auch Rin, "dass man mich theoretisch sehen könnte?"

"Seto Kaibas Schreibtisch ist so ausgelegt, dass er in Richtung Tür zeigt." Und Rin stand genau im Blickpunkt. Diese Art von Aufmerksamkeit hatte sie nicht einkalkuliert. Ungewollt drehte sich ihr Gesicht zur Tür. Wie sie ihn einschätzte, hatte er sie längst bemerkt. Dass es ihn nicht interessierte war eine andere Sache, jedoch machte es nicht ungeschehen, wie sie für ihn ausgesehen haben musste.

Was zum Henker interessiert dich das. Mach`dir mal lieber darüber Gedanken, wie du aus dieser Nummer wieder rauskommst.

Das Klingeln des Telefons ließ sie aufschrecken. Die filigranen Hände der Sekretärin nahmen den Anruf entgegen. Am Blick konnte Rin erkennen, mit wem sie sprach. Sie schluckte schwer.

"In Ordnung, Sir." Statt aufzulegen, nahm sie den Hörer von ihrem Ohr herunter zu ihren Lippen.

"Ich soll Sie fragen, ob Sie etwas Bestimmtes hier verloren haben."

"Das soll er ruhig seinen führenden Duellstatistiker fragen." Die blonde Frau zögerte, bevor sie Rins Worte in den Hörer murmelte. Es folgte langes Schweigen, dass Rin das Ticken der Wanduhr auffiel und sie für einen Moment erstaunt war, so ein relativ altmodisches Modell einer Uhr hier vorzufinden.

"Er sagte", hauchte die Sekretärin, dass sich Rin etwas zu ihr vorbeugen musste, um alles zu verstehen, "er sagte, ich soll nach Ihrer Argumentation fragen. Und dass Sie nur einen Versuch haben." Rin fasste sich an die Unterlippe.

"Sagen Sie ihm: Paragraph zwei der Vertragsbedingungen, Absatz...lassen Sie mich kurz überlegen...es müsste Absatz 6.5. sein. Ich denke, das sollte ihm genügen."

Ich hoffe es

Übelkeit machte sich in der jungen Frau breit. Von außen zuckte sie nicht einmal mit der Wimper. Innerlich tobte ein Sturm, bei dem sie diejenige war, die in einem Floß im offenen Meer schwamm und deren Zukunft von der Gnade des Donnergottes abhing. Mit jedem Ticken schnürte sich ihre Kehle enger zusammen. Dass die Sekretärin aufgelegt hatte, beunruhigte sich noch mehr. Die Stille machte sie wahnsinnig. Sie hoffte, bald die Gewissheit zu haben. Selbst wenn sie gefeuert würde, hoffte, sie auf ein schnelles Ende. Dies war die pure Folter für sie. Ihr Herzschlag setzte aus, sie wagte es nicht sich zu regen. Die Tür des Chefbüros öffnete sich, jemand trat aus dem Raum. Mechanisch drehte sich ihr Kopf zu der Person.

"Frau Yamamori", krächzte Senjin und lockerte den Knoten seiner Krawatte. Erwartungsvoll stellte sie sich vor ihm und blickte in seine blassen Augen.

"Ich werden Ihnen den neuen Vertrag morgen zum Unterschreiben zukommen lassen." Ohne eine Reaktion abzuwarten, wandte er sich von ihr ab und eilte zurück zum Fahrstuhl. Perplex sah sie dem Mann hinterher, der einen halben Kopf seiner Körpergröße eingebüßt hatte, seit er aus dem Büro getreten war. Am liebsten hätte sie ihr breitestes Siegerlächeln aufgesetzt, die Tür aus falschen Milchglas hinderte sie daran. Stattdessen verabschiedete sie sich von der Sekretärin, die sie mit aufgerissenen Augen betrachtete.
 

"Du bist bestimmt die erste in der Geschichte, die nach sechs Wochen eine Gehaltserhöhung bekommen hat", lachte Yamato auf und packte sich mit den Essstäbchen eine gedünstete Möhre. Rin schüttelte den Kopf und sah lächelnd auf die große Portion Reis mit Fleischbällchen.

"Wenn du mich nicht auf den Paragraphen hingewiesen hättest, wäre dieser Tag ganz anders ausgegangen." Sie wusste, dass sie kommentarlos gefeuert worden wäre. Ganz gleich, dass sie keine Probezeit besaß oder ihr Platz in den Top fünfzig gesichert war. Die Worte ihres Bosses waren eindeutig gewesen. Dieser eine Versuch sollte sie auf die Probe stellen. Ohne ein schlagfertiges Argument wäre sie als großmäuliges Gör abgestempelt worden. Nur weil Yamato neulich so aufmerksam ihren Vertrag durchgesehen hatte, wurde ihr bewusst, dass sie einen entscheidenden Trumpf im Ärmel hatte. Senjin hatte einen Formfehler in den Vertrag eingebaut. Vermutlich aus bloßem Desinteresse. Er hatte wohl nicht erwartet, dass ein Niemand binnen vier Wochen vom Amateur zum Profi aufsteigen konnte. Denn der Vertrag belief sich ausschließlich auf die Konditionen eines Amateurs. Jeder Satz wurde nicht mit dem Wort >Spieler< oder >Duellant< aufgeführt, sondern ausschließlich durch den Begriff >Amateur< ersetzt worden. Damit verlor der Vertrag nach Einzug in die dritte Profiliga ihre Gültigkeit. Mit einem genussvollen Lächeln nahm Rin die Fleischbällchen in den Mund. Sie spürte Erleichterung und Selbstgefälligkeit.

"Das hab ich doch gerne gemacht", lächelte ihr Yamato zu und beobachtete belustigt ihren Essensberg, "bist du dir sicher, dass du das alles schaffst?"

"Sicher", entgegnete Rin und schluckte den letzten Brocken hinunter, "ich muss genügend Energie zu mir nehmen, wenn ich beim Training nicht umkippen will."

"Stimmt, du wolltest wieder Sport treiben."

"Es läuft besser als ich gedacht habe." Rin war erstaunt gewesen, wie viel der damaligen Kendo-Trainingseinheiten ihr im Gedächtnis geblieben waren. Die Aufwärmübungen waren eine Mischung aus Konditionstraining und Dehnung der Muskeln gewesen. In ihrer ersten Stunde hatte sie bereits nach einer viertel Stunde das Gefühl gehabt, ihre Beine nicht mehr spüren zu können. Ihr damaliger Trainer war streng und fordernd gewesen. Er hatte alles aus seinen Schülern herausholen wollen und gleichzeitig die Schwachen aussortiert, die bereits nach drei Wochen Schweißes-Training die weiße Fahne geschwenkt hatten. Aus dreißig Schülern waren am Ende achtzehn übrig geblieben. Lumina und sie waren standhaft geblieben, während sie sich in den ersten Monaten jeden Abend Zuhause darüber ausgeheult hatten, keinen Muskel ihres Körpers mehr anwenden zu können.

"Ist lange her, dass ich meinem Körper so viel abverlangt habe, aber bei diesem Job zahlt es sich definitiv aus." Sie spürte bereits wie ihre Muskeln das Training aufnahmen. Auch ohne Shinai, dass ihre Arme zu Standfestigkeit erzogen hatte, waren die meisten Übungen machbar. Nebenher gönnte sie sich eine Auszeit und ließ es ruhiger angehen, in dem sie die Schwimmhalle der Kaiba Corporation aufsuchte - ihrem zweiten Zufluchtsort neben dem Café, bei dem sie DuelMonsters für einen Moment vergessen, oder zumindest ohne Ernsthaftigkeit entgegenblicken konnte. Ihr Blick ging verträumt auf den halb leeren Teller, bevor sie vorsichtig ihren Kopf hinauf zu Yamato anhob, der es verstand, sowohl sie als auch sein Essen gleichzeitig zu betrachten.

"Danke, dass du vorbeigekommen bist", lächelte sie ihm scheu zu, dass er sie wegen des plötzlichen Themenwechsels fragend ansah. Dann begannen kleine Fältchen um seine Mundwinkel zu entstehen. Wenn er sie mit diesem Blick ansah, schien jede Art von Kummer verdrängt.

"Ich sagte doch, dass ich jede Chance nutzen würde", er grinste sie an, "an meinem freien Tag würde ich nichts lieber tun als mit dir in der Innenstadt etwas zu essen." Seine Worte ließen einen Kloß in ihrem Hals entstehen. Er hatte wieder jene Stimmfarbe, bei der sie glaubte, er würde sie jeden Augenblick küssen wollen. Bisher hatten sie sich nur fünfmal gesehen und Rin bekam mittlerweile den Eindruck, er wartete darauf, dass sie den ersten Schritt machte. Er konnte nicht wissen, dass die junge Frau nicht der Typ war, der als erstes Initiative zeigte. Scheinbar wollte er nicht derjenige sein, der überstürzt handelte, sie sogar damit abschrecken könnte. Und vermutlich hätte er sogar recht behalten. Momentan war Rin so hin und her gerissen von dem was war und wie es mit ihrer derzeitigen Wunschvorstellung übereinstimmte. Einerseits wünschte sie, er würde sie küssen, andererseits merkte sie, dass Anbandelungen zurzeit nur verwirrend wären. Lumina hatte Recht, Rin dachte noch zu viel an die Vergangenheit.

Ihr Blick ging zur Seite, zu den Passanten, die nur unweit ihres Platzes durch die Stadt schlenderten - nichts Ungewöhnliches für einen Freitagnachmittag. Viele Gesichter verrieten, dass sie aus Nachbarstätten gekommen waren, um das Ereignis des Jahres nicht zu verpassen. Einige trugen DuelDiscs um ihre Handgelenke. Rin war sich sicher, dass viele davon nur eine Zurschaustellung waren und keinen wirklichen Duellanten auszeichneten. Aus purem Reflex ging ihre rechte Hand zu ihrem gegenüberliegenden Handgelenk. Das silberne Metall glühte durch die direkte Sonneneinstrahlung, ohne ihre Haut zu verbrennen.

"Rin Yamamori?", die fremde Stimme ließ sowohl sie als auch Yamato neben sich blicken. Ein junger Mann mit minzgrünem Haar sah zur ihr hinunter. Sein Blick war fest auf die junge Frau gerichtet, die sich in ihrem Stuhl zurücklehnte und die Mundwinkel nach unten verzog. Ihr Gegenüber schien sich nicht daran zu stören und fuhr fort: "Du bist doch die Duellantin, die Ghost Kotsuzuka in fünf Runden platt gemacht hat."

"Der Typ war so gruselig wie meine Oma, wenn sie um Mitternacht ihren Toilettengang verrichtet", Rin verschränkte die Arme und musterte den Kerl.

Seine Haare sind länger geworden und seine hundert Geschwister rennen ihm nicht mehr hinterher, aber er ist es ganz bestimmt. Esper Roba. Profiduellant der ersten Liga.

"Ein Typ aus der zweiten Profiliga" sagte er, "die meisten von ihnen nehmen ihren Mund ein wenig zu voll." Sein Blick wurde eindringlicher, "mich würde interessieren, ob du auch so jemand bist."

"Ist dir klar, dass du mich mitten beim Essen gestört hast?", ihre Augen verdunkelten sich, dass das Grün einer Mosslandschaft glich. Sie spürte den Blick Yamatos. Er hatte sich bisher aus dem Geschehen herausgehalten, sie wusste aber, dass er sofort eingreifen würde, sobald Rin etwas in diese Richtung andeutete.

"Ich denke", entgegnete Esper Roba und schwang sein Haar nach hinten, "wenn unser Duell vorbei ist, wird dein Essen noch warm genug sein."

"Kann schon sein", lächelte Rin zurück. Sie lenkte ihren Blick zurück zu dem Schwarzhaarigen.

"Es tut mir leid, ich kann die Herausforderung nicht ablehnen." Yamato winkte lediglich ab.

"Schon in Ordnung, so etwas habe ich eingeplant. Außerdem will ich dich nicht an deiner Arbeit hindern."

"Bleib´ruhig sitzen", ihr Lächeln wurde schief, "ich bin gleich wieder da."
 

"Meine spirituellen Führer sagen mir, dass ich diese Karte spielen soll - Gehirnkontrolle", zwei krallenartige Hände erschienen auf Esper Robas Spielseite. Er selbst fasste sich an die Schläfe als steuerte er mit seinen Gedanken die Zauberkarte. Rin verleierte die Augen.

"Bist du endlich fertig mit deiner Hokus Pokus Show?" Daraufhin lachte der Grünhaarige sie an.

Dabei sollte ich ihn auslachen

"Das war erst der Anfang. Mit dieser netten Karte, kann ich mir ein Monster auf deiner Spielfeldseite aussuchen. Eigentlich spielt es überhaupt keine Rolle, welches deiner Drachenkreaturen ich für mein großes Werk erwähle." Er zeigte mit dem Finger auf ihren Kaiser-Gleiter. Die Krallenhände packten ihren goldenen Drachen und zerrten ihn aus ihrer Spielfeldseite.

"Verabschiede dich von deinem Monster. Denn ich opfere deinen Kaiser-Gleiter und erwecke ihn! Jinzo." Aus dem Boden trat das Maschinenmonster aufs Feld. Mit verschränkten Armen und einer Größe von über drei Metern überagte er seinen Beschwörer, dass er fast gänzlich untertauchte. Lediglich sein siegessicheres Grinsen war für Rin noch überdeutlich zu erkennen. Sie biss sich auf die Lippen. Vor ihr zerplatzte ihre Fallenkarte und landete auf den Friedhof. Zwei weitere ihrer Fallenkarten, die sie in den Händen hielt, waren ebenfalls nutzlos geworden.

"Jetzt bekommt mein Jinzo noch ein hübsches Zubehör", Esper Roba streckte seinen Arm aus und präsentierte seine Zauberkarte Verstärker. Mit deren Hilfe würde er - trotz Jinzos Effekt - in der Lage sein, Fallenkarten zu spielen. Die Zauberkarte setzte Jinzo seinen Helm auf, dass dessen Spieler getrost fort fuhr: "Ich lege noch diese verdeckte Karte aufs Feld. So, und jetzt Jinzo greife ihr Kaiserseepferd an!" Eine schwarze Energiekugel entlud sich aus Jinzos Händen und landete auf ihr Seeungeheuer, das zu tausenden kleinen perlmuttfarbenen Kristallen zersprang und siebenhundert ihrer Lebenspunkte mit sich in den Abgrund riss. Rin biss die Zähne zusammen. Sie mochte das Maschinenmonster - eigentlich.

"Damit ist mein Zug beendet. Verabschiede dich schon mal von deinen restlichen Lebenspunkten."

"Ich ziehe", raunte die junge Frau und zog Ring der Zerstörung. Mit Ring der Verteidigung war es ein super Kombinationszug, aber mit Jinzo auf dem Feld hatte sie keine Chance, sie zu spielen. Sie musste sich etwas anderes einfallen lassen.

"Ich spiele Melodie des erwachenden Drachen. Wenn ich eine Karte abwerfe, kann ich ein Monster von meinem Deck auf die Hand nehmen." Damit landete Ring der Zerstörung auf dem Kartenfriedhof und ersetzte ihn durch ihren weißen Nachtdrachen. SIe musste schleunigst einen Weg finden, ihr Monster aufs Feld zu rufen.

Ich habe kein Monster, dass ich opfern könnte. Außerdem brauche ich für den Weißen zwei Monster als Tribut. Denk`nach. Jinzo hat eine Power von 2400 Punkten. Außerdem ist er mit Verstärker ausgerüstet, dass ich auf Esper Robas verdeckte Karte, was bestimmt eine Falle ist, aufpassen muss. Mal sehen

"Ich rufe meinen Blizzarddrachen aufs Feld. Seine besondere Fähigkeit erlaubt es mir, ein Monster meines Gegners zu bestimmen und dieses bis zum Ende seines Zuges nicht angreifen zu lassen."

"Du zögerst dein nahendes Ende nur hinaus", entgegnete der Grünhaarige und blickte zu dem Publikum, dass sich um den Marktplatz versammelt und einen Kreis um Rin und Esper Roba gebildet hatte.

"Damit ist mein Zug beendet."

"Das hätte ich mir denken können", feixte Esper Roba, "meine spirituellen Führer geben mir die Kraft, deinen lahmen Versuch zunichte zu machen." Er holte den Goblin Angriffstrupp aufs Feld. Eine Karte mit 2300 ATK und nur vier Sternen. Sein einziger Schwachpunkt: Der Goblin Angriffstrupp wechselte nach seinem Kampf in den Verteidigungsmodus.

"Wenn Jinzo dich nicht angreifen kann", lachte der Grünhaarige, "dann machen dich diese Kreaturen fertig." Mit Axt und Knüppeln bewaffnet griff der Trupp ihren Drachen an. Erneut gingen mit ihm sechshundert ihrer Lebenpunkte. Rins Punktestand lag bei tausend. Einen Angriff von Jinzo würde sie nicht überstehen. Er legte eine zweite Karte aufs Feld, bevor er die Runde an sie weitergab. Rin zog eine Karte.

Bingo

"Die Spielstunde ist vorbei", rief sie ihm zu, "jetzt wird ernst gemacht. Ich aktiviere diese Zauberkarte. Sie nennt sich antike Regeln. Mit ihrer Hilfe kann ich ein Monster der Stufe fünf oder höher aufs Feld rufen, ohne dafür ein Monster opfern zu müssen. Die Zeit ist gekommen. Erhebe dich weißer Nachtdrache!" Mit einem Kreischen formte sich aus diamantfarbenem Licht die gewaltige Kreatur. Es schwang seine Flügel und flog hinab zu seinem Gebieter, dass er nur knapp über ihrem Kopf schwebte.

"Dann decke ich meine verdeckte Karte auf", rief Esper Roba, dass die Fallenkarte Metallwandler zum Vorschein kam, "mit dieser Karte rüste ich meinen Jinzo aus. Er bekommt nicht nur zusätzliche dreihundert Lebenspunkte dazu. Nein, es kommt noch besser: Sobald du ihn angreifst, bekommt er noch die Hälfte der Lebenspunkte deines Nachtdrachen. Du siehst, er ist unbesiegbar."

"Wer sagt, dass ich es auf dein Metallhirn abgesehen habe?", Rins Augen begannen zu funkeln. Esper Roba kniff die Augen zusammen: "Was soll das heißen?"

"Hast du vergessen, dass du noch ein weiteres Monster auf dem Feld hast?"

"Na und", schüttelte er mit dem Kopf, "der Goblin-Angriffstrupp befindet sich im Verteidigungsmodus. Es wäre reine Zeitverschwendung ihn anzugreifen."

"Willst du darauf wetten?"

"Was zum Teufel hast du vor?"

Rin streckte ihre linke Hand aus. "Es wird Zeit meine verdeckte Karte ins Spiel zu bringen."

"Fallenkarten können nicht gespielt werden."

"Niemand sagt etwas von einer Fallenkarte", die Karte deckte sich auf, rotes flammenartiges Licht breitete sich aus, "mach`Bekanntschaft mit meinem Elfenmeteoreinschlag. Wie ich deinem Gesicht entnehmen kann, hast du keine Ahnung, was sie kann. Scheinbar kennst du dich mit der ersten DuelMonsters-Kartengeneration nicht so gut aus. Also verrat ich es dir: Elfenmeteoeinschlag erlaubt es mir, ein Monster in Verteidigungsposition anzugreifen und dem Gegner trotzdem die Differenz zwischen meinen Angriffs- und deinen Verteidigungspunkten abzuziehen."

"Nein", starrte er sie mit leeren Augen an.

"Mann muss nicht sonderlich viel rechnen, nicht wahr? Schließlich hat dein Goblin Angriffstrupp überhaupt keine Verteidigungspunkte." Rin wandte sich ihrem Drachen zu, der bereits ungeduldig seiner Attacke entgegen fieberte: "Weißer Nachtdrache, greif seine Trolle an - mit Diamantenblitzattacke!"

"Nicht so schnell", konterte Esper Roba, "du scheinst ebenfalls vergessen zu haben, dass ich noch eine zweite verdeckte Karte habe, "Angriff annulieren! Sie stoppt den Angriff deines weißen Nachtdrachen."

"Ach wirklich", grinste Rin und beobachtete den Weißen, wie er seine Lichtkugel freisetzte und auf den Angriffstrupp zielte.

"Jinzo ist nicht der einzige, der Fallenkarte unwirksam machen lässt", höhnte Rin und beobachtete wie die restlichen zweitausend Lebenspunkte von Esper Roba zerstört wurden. Dieser schien noch immer nicht zu fassen, dass seine Verteidigung nutzlos war. Mit aufgerissenen Augen blickte er von seinem Jinzo und ihrem Nachtdrachen hin und her bis beide das Spielfeld verließen. Das Duell war beendet. Rin blickte gelassen zu ihrem Gegner, während das Publikum um sie herum zu jubeln begann. Die meisten von ihnen kannten sie oder ihren Namen nicht. Für Rin spielte es keine Rolle, der Sieg war das einzige was zählte. Sie schwang ihren Pferdeschwanz nach hinten und entgegnete: "Deine Duellfähigkeiten entsprechen deinen hellseherischen Kräften. Sag´Bescheid, wenn du gelernt hast, die Zukunft vorauszusagen. Vielleicht hast du dann eine Chance gegen mich zu gewinnen." Damit wandte sie sich ab und stolzierte zurück zu ihrem Sitzplatz. Auf dem Weg riefen ihr ein paar der Leute Glückwünsche hinterher, einige fragten sogar nach einem Autogramm, womit die junge Frau konterte: "Erst wenn ich in den Top dreißig bin."

"Rin, das war-" suchte Yamato nach den richtigen Worten als sie sich auf ihrem Stuhl niederließ und sich dem Rest ihres Tellers widmete.

"Ja, ich weiß", versuchte Rin ein entschuldigendes Gesicht aufzusetzen, "das ist meine Art beim Duellieren. Ich hoffe, du findest mich jetzt nicht furchtbar."

"Ich wollte eher sagen, dass es ganz schön...scharf war." Rin wurde rot im Gesicht.

"Ich habe mich wie ein Großkotz benommen."

"Ein scharfer Großkotz." Daraufhin musste Rin lachen. Aus dieser Perspektive hatte sie es noch gar nicht betrachtet. Vielleicht sollte sie sich diese Mischung zunutze machen.



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