Das bessere Licht
Yuriy fasste hinter den Duschvorhang nach dem Wasserhahn und drehte die Dusche auf. Der altersschwache Durchlauferhitzer über der Toilette gluckerte und zündete mit einigen bedenklich röchelnden Geräuschen. Er nickte zufrieden, zog sein T-Shirt über den Kopf und ließ es achtlos neben sich zu Boden fallen. Er würde es später aufheben, nahm er sich vor. Nach der Dusche. Er wollte sich gerade seiner Jogginghose entledigen, da klingelte es Sturm.
Natürlich war es Boris. Wer sollte es sonst sein?
„Yura“, Boris drängte grinsend an ihm vorbei in seine Wohnung, ohne ihn anzusehen. „Mariam ist eh nicht da und du wolltest lernen, richtig? Wunderbar, ich brauch nur mal kurz euer Badezimmer, ignorier mich einfach.“
„What the-?“, Yuriy, der ihm automatisch den Weg freigemacht hatte, sah ihm perplex hinterher. Der Rotschopf riss sich mit einem Kopfschütteln aus seinem Erstaunen und folgte seinem ehemaligen Teamkollegen die wenigen Schritte ins schmale Badezimmer. Er lehnte mit verschränkten Armen im den Türrahmen und hob eine Augenbraue, während er den anderen musterte. Der zog sich gerade seinen Hoodie über den Kopf und sah über die Schulter zu ihm.
„Will ich wissen, was das werden soll?“, fragte der Rothaarige mehr rhetorisch und verabschiedete sich von der Aussicht, bald zu duschen. Er griff erneut hinter den Duschvorhang und drehte das Wasser ab. „Du hast das bessere Licht!“, erklärte Boris grinsend und warf den Hoodie achtlos zu Yuriys T-Shirt auf den Fließenboden. Yuriys Mundwinkel zuckte verräterisch; er verbarg sein Amusement mit einem Kopfschütteln und setzte sich hinter dem Silberhaarigen auf den Wannenrand.
Boris hatte unterdessen sein Handy aus der Hosentasche gezogen und begonnen, sich in Pose zu werfen. Er verschränkte seine Arme, lockerte sie wieder, ließ sie herunterhängen, schien auch damit nicht zufrieden und hob schließlich seinen Arm über den Kopf. Er grinste zufrieden. Diese Pose schien ihm endlich zu passen und er hob sein Handy erneut.
Yuriy beobachtete das Schauspiel mit einer Mischung aus Amüsement und Faszination. Boris vertiefte sich inzwischen in den Bildschirm, wischte hin und her und tippte irgendetwas mit flinken Fingern. Sein Spiegelbild zeigte, dass Boris die Zungenspitze zwischen die Lippen geschoben hatte, wie immer, wenn er konzentriert über etwas nachdachte. Dann runzelte er die Stirn und wandte sich zu Yuriy um. „Du bist ja halbnackt“, stellte er fest und zeigte auf Yuriys nackten Oberkörper.
„Du bist ja gar nicht blind“, gab der Rotschopf beißend zurück.
Boris verdrehte die Augen und hielt ihm sein Smartphone unter die Nase. Auf dem Bild war tatsächlich auch er zu sehen, halbnackt und mit gelangweiltem Gesichtsausdruck. „Mao sagt, wenn ich das poste, explodiert das Fandom“, erklärte Boris mit überzeugtem Gesichtsausdruck. Yuriy platzte wider Willen ein Lachen heraus. Fandom? Was hatte Boris bitte geraucht? „Was?“, er wischte sich eine imaginäre Lachträne aus dem Augenwinkel. „Warum?“
„Die Fans thirsten nach uns“, erklärte Boris nicht ohne eine Spur Selbstgefälligkeit in der Stimme und blickte einen Moment nachdenklich in den Spiegel.
Yuriy verdrehte die Augen. „Ja, sicher“, gab er zurück.
Boris‘ Blick traf den von Yuriys Spiegelbild. „Darf ich es posten?“, fragte der Hellhaarige arglos. Yuriy ging nicht darauf ein, sondern verdrehte nur die Augen. „Du Bastard hast es sicher schon gepostet“, schlussfolgerte er und erkannte an Boris‘ Blick, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
