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Der Fluch der Vogelscheuche

von

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Da stand sie, inmitten eines weitläufigen grünen Feldes. Ein wenig schief, ein wenig zerfleddert. Die Vogelscheuche. An ihr führte ein schmaler Weg vorbei und verband ein Dorf mit einer kleinen Stadt. Manche Leute ignorierten die Vogelscheuche, manche grüßten sie sogar und wieder andere machten sich über sie lustig. Niemand wusste wer sie dort aufgestellt hatte. Und so befand sich die Vogelscheuche still und einsam am Wegesrand.
 

An einem warmen Frühlingsmorgen, spazierte ein junges Mädchen mit einem leeren Korb in der Hand, den Pfad aus dem Dorf entlang, um etwas auf dem Markt in der Stadt zu kaufen. Fröhlich summend lief sie an der Vogelscheuche vorbei und beobachtete, wie zwei kleine Kinder gemeinsam auf dem Feld spielten.

„Sag mal, ist die Vogelscheuche eigentlich ein Mann oder eine Frau?“, fragte das kleine Mädchen den Jungen.

„Was ist das denn für eine doofe Frage! Man sieht doch das sie männlich ist! Sieh nur wie grimmig sie schaut! Jetzt hast du sie wütend gemacht, ha, ha!“, machte der Junge sich lauthals über das kleine Mädchen lustig.

„Du bist echt gemein! Die schaut immer so böse!“, beschwerte sie sich und rannte hinter dem lachenden Jungen her.

Das Mädchen musste bei dem Anblick der Beiden leise kichern und lief weiter in Richtung Stadt.
 

Am späten Abend kehrte sie mit einem gefüllten Korb zurück. Ein rötlich schimmernder Himmel erstreckte sich am Horizont.

„Guten Abend liebe Vogelscheuche, ich hoffe du hattest einen schönen Tag“, grüßte das Mädchen freundlich auf dem Heimweg.

„Ich wünsche dir ebenfalls einen angenehmen Abend, junge Dame.“

Überrascht drehte sie sich um und erblickte einen vornehm gekleideten jungen Mann, mit herzlichem Lächeln.

„Oh, guten Abend! Verzeihen Sie, ich habe Sie gar nicht bemerkt mein Herr“, grüßte sie ihn ebenso höflich, mit ein klein wenig Verwunderung.

„Du bist freundlich zu ihr, obwohl es sich nur um eine einfache Vogelscheuche handelt?“, fragte er sie. Seine Stimme hatte etwas Angenehmes und Beruhigendes. Und sogleich fühlte das Mädchen sich in seiner Gesellschaft wohl.

„Aber ja! Sie stand schon lange vor meiner Geburt an diesem Ort. Sie ist mein bester Freund.“, antwortete sie ihm freudig.

„Na da bin ich aber froh. Kennst du denn die Legende?“, fragte er geheimnisvoll.

Voller Erwartung legte sie den Kopf etwas schräg.

„Welche Legende?“

Der junge Mann stand Angesicht zu Angesicht der Vogelscheuche gegenüber und blickte diese einen Moment lang schweigend an, ehe er weitersprach.

„Einst wurde ein Mann für dessen schwere Sünden bestraft. Er war dazu verdammt, niemals in Frieden ruhen zu dürfen und sollte ein ewiges Leben als Vogelscheuche fristen.“

Ergriffen fasste sie sich ans Herz.

„Welch traurige Geschichte. Was waren es für Sünden die er begangen hat?“

Ohne auf ihre Frage einzugehen, sah er sie bloß kühl und gelassen an.

„Würdest du der Vogelscheuche drei Wünsche erfüllen? Sie vor allem Übel bewahren und vor dem Bösen beschützen? Ihr Gesellschaft leisten, damit sie sich nie mehr einsam fühlen muss? Und zu guter Letzt, wirst du ihr ein neues glückliches Leben schenken?“

„Natürlich! Ich werde sie beschützen und zu jeder Zeit bei ihr sein. Die Vogelscheuche wird ein ebenso friedvolles Leben führen, wie ich es tue!“, versprach sie ohne zu zögern.

„Ich bedanke mich, junge Dame.“

Das Mädchen setzte ihren Heimweg fort, denn es war bereits sehr spät geworden. Sie wollte sich noch einmal umsehen und von dem seltsamen jungen Mann Abschied nehmen, doch da war er bereits verschwunden.

Zuhause angekommen, stellte sie ihren Korb ab und eilte rasch zu ihren Eltern.

„Mutter, Vater! Ich bin heute einem jungen Mann begegnet! Er trug sonderbare Kleidung und war außerordentlich schön. Die Legende über die Vogelscheuche erzählte er mir!“, berichtete sie begeistert.

„Ha, ha, ha! Mein liebes Kind, einen schönen jungen Mann habe ich hier noch nie gesehen, geschweige denn von irgendeiner Legende gehört. Es ist spät, du solltest schlafen gehen!“, schnaubte ihr Vater und schickte sie auf ihr Zimmer. Beleidigt machte sie sich bettfertig.
 

Am nächsten Morgen beauftragte sie ihre Mutter damit, einen Brief an ihre Tante in der Stadt zu überbringen. Sogleich zog das Mädchen sich an und machte sich zwei geflochtene Zöpfe. Nach dem Frühstück lief sie los. Auf halben Wege erblickte sie schon von weitem die Vogelscheuche und entdeckte, dass nicht weit entfernt von ihr, ein Jäger aus dem Dorf mit seinem Gewehr auf der Lauer lag. Er zielte direkt auf die Vogelscheuche. Sofort begriff sie wieso, als sie dicht hinter dieser ein Reh sah. Sie erschrak sobald der laute Schuss ertönte. Die Kugel durchbohrte die Vogelscheuche und traf das Reh. Zufrieden schritt der Jäger auf seinen Fang zu. Das Mädchen stellte sich schützend zwischen ihm und die Vogelscheuche.

„Wieso hast du auf die arme Vogelscheuche geschossen? Sieh nur was du getan hast!“ Dem Mädchen kamen die Tränen. Erstaunt und ein wenig verärgert, sah der Jäger sie an.

„Na hör mal meine Kleine! Das ist doch bloß ein alter Haufen Stroh! Wegen dem lasse ich mir nicht meine Beute entgehen!“

„Ich wünschte man würde auf dich schießen, damit du Mitleid mit der Vogelscheuche hast!“, schrie das Mädchen ihn an und rannte in die Stadt. Belustigt sah der Jäger ihr nach.
 

Am späten Nachmittag erspähte das Mädchen auf dem Heimweg, eine kleine Menschenmenge aus dem Dorf neben der Vogelscheuche. An ihren verängstigten Blicken erkannte sie, dass etwas Schlimmes vorgefallen sein musste. Beim näheren herantreten sah sie was es war. Dort lag derselbe Jäger vom Morgen leblos am Boden, mit einer blutigen Schusswunde mitten auf der Brust.

„Wurde er ermordet?“

„Das ist ja schrecklich!“ Tuschelten die Leute nervös.

Der Jäger wurde noch am selben Abend begraben.
 

Einige Tage später stellte das Mädchen sich zur Verfügung, um auf die zwei kleinen Geschwisterkinder aus dem Nachbarhaus aufzupassen, während sie im Freien spielten.

Nach einer Weile wehte stickiger Rauch zu ihr herüber und sie folgte panisch dem Geräusch von knisterndem Feuer. Kurz darauf war sie dazu gezwungen mitansehen zu müssen, wie die Vogelscheuche in Flammen lag. Um sie herum standen drei Jungen in ihrem Alter. Hass und Verabscheuung befanden sich in deren Augen.

„Oh nein! Was tut ihr da? Die Vogelscheuche wird verbrennen!“ Verzweifelt überlegte sie, was nun am besten zu unternehmen war.

„Pah! Dieses abscheuliche Stück Holz und Stroh wird dafür bezahlen, dass unser Onkel sein Leben lassen musste. Sein Mörder wurde nie gefasst, also ist diese Vogelscheuche verflucht!“, sprach einer der Jungen wütend.

„Das ist doch völliger Unsinn! Keiner Seele würde sie etwas zu leide tun!“ Hastig eilte sie ins Dorf, um Wasser aus dem Brunnen zu holen. Sie wollte retten, was noch zu retten war. Jedoch befand sich kein einziger Tropfen Wasser mehr in dem Brunnen.

„Aber… Wie kann das sein?“, fragte sie sich selbst mit rasendem Atem. Mit tränenüberfluteten Augen rannte sie zu der brennenden Vogelscheuche zurück.

„Ich wünschte man würde euch drei verbrennen, damit ihr das Gefühl kennt, wie sich die arme Vogelscheuche nun fühlen muss!“, schrie das Mädchen die letzten Worte an die Jungen gerichtet.

Irgendwann wurde das Feuer von den Dorfbewohnern gelöscht, um einen noch größeren Brand zu verhindern. Die Vogelscheuche hatte keinen Schaden erlitten. Sie stand weiterhin da, als sei nie etwas geschehen…
 

Aufgeregte Rufe weckten sie am nächsten Morgen. Etwas verschlafen lief sie hinaus, um herauszufinden was dort vor sich ging. Fast alle Dorfbewohner hatten sich vor einem niedergebrannten Haus versammelt. Jeder von ihnen sprach wild durcheinander.

„Hat das Haus in der Nacht gebrannt?“

„Keiner soll überlebt haben…“ In diesem Haus lebten die drei Jungen zusammen mit ihrem verstorbenen Onkel. Alle drei Brüder waren in den Flammen ums Leben gekommen…
 

Zwei Tage später ging das Mädchen wieder zum einkaufen in die Stadt. Am Rückweg legte sie bei der Vogelscheuche eine kleine Pause ein. Seufzend setzte sie sich neben diese auf das Feld und aß ein Brot.

„Ach, ich wünschte ich könnte für immer an deiner Seite bleiben und würde nicht länger von meinen faulen Eltern herumgeschickt werden…“ Als es dunkel und die Luft kühl wurde, beschloss sie nach Hause zu gehen.

„Gute Nacht liebe Vogelscheuche. Zuhause macht man sich bestimmt schon Sorgen um mich.“ Sie lief den Weg hinab zum Dorf, jedoch kam sie wieder bei der Vogelscheuche an.

„Nanu? Ich muss wohl sehr müde sein…“, murmelte sie und lief erneut den Weg entlang. Abermals führte jener sie zurück zur Vogelscheuche. Mit wackligen Beinen rannte sie noch etliche Male über den Pfad. Doch nahm es kein Ende. Erschöpft kam sie vor der Vogelscheuche zum Stehen und gab gezwungenermaßen auf.

„Oh bitte sage mir liebe Vogelscheuche, welchen Wunsch muss ich dir noch erfüllen? Womit soll ich dir helfen?“, fragte das Mädchen bitterlich und fror bei Einbruch der Nacht.

Plötzlich bewegten sich die Arme der Vogelscheuche in ihre Richtung. Es formten sich Hände an dessen Enden, eine Hand packte sie an der Schulter, die andere umschloss ohne Gnade ihren Hals. Sie wollte schreien, doch fehlte ihr jegliche Luft dafür. Sie war den Fängen der Vogelscheuche hilflos ausgeliefert. Dessen Mund öffnete sich auf einmal und spitze Zähne kamen zum Vorschein. Eine lange rissige Zunge, leckte dem Mädchen quer über das Gesicht. Unheimliche Laute ertönten. Rote Augen leuchteten auf. Angsterfüllt blickte sie diese an.

„Es ist ein neues unschuldiges Herz, nachdem meine unstillbare Gier verlangt, meine schöne Blume“, flüsterte eine Stimme dicht neben ihrem Ohr, welche sie nur zu gut noch in Erinnerung hatte. Ehe sie wusste wie ihr geschah, griff eine eiskalte Hand von hinten durch sie hindurch und entriss ihr das Herz…
 

Tage später spielten wieder die Kinder auf dem Feld. Die Sonne schien und es war warm.

„Bruder schau mal! Die Vogelscheuche ist ja doch eine Frau! Sie hat zwei Zöpfe und rosige Wangen!“ Sprachlos blickte der kleine Junge hinauf zu der Vogelscheuche.

Das junge Mädchen hat seit jenem Tag niemand mehr gesehen…



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