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AX-4

von

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05
 

Crawford sah gelangweilt auf seine Armbanduhr. Es gab nichtmal einen Plan, den er im Kopf nochmal hätte durchgehen können. Zugang verschaffen und dann systematisch alles von hinten nach vorn durchkämmen, fertig. Mehr war zu ihrem Auftrag nicht dazu. So wie er auf die Uhr schaute, sauste draußen der Zug an ihm vorbei. Quasi auf die Sekunde genau. Gute, japanische Pünktlichkeit.

„Okay, und los!“, rief der Soldat neben ihm ins Funkgerät. Der Eisenbahnwagen, in dem sie sich selber befanden, wurde von einer Trieb-Lok geschoben, die sich auf Befehl in Bewegung setzte. Sie ratterten vom Nebengleis auf die Hauptschienen, nahmen die Verfolgung auf und wurden rasch schneller. Bis sie ihn eingeholt hatten, würden sie auch weit genug draußen in der menschenverlassenen Pampa sein, um keine Zeugen zu riskieren. Denn das Abstellgleis, auf dem sie Position bezogen hatten, lag immerhin noch in der Nähe eines Bahnhofs. Sie würden von hinten an den Zug andocken und hinüberklettern. Während der Fahrt. Das konnte spaßig werden.

Bei dem Zielobjekt handelte es sich um einen Gefangenentransport. Er war nicht schnell unterwegs, aber schwer bewacht. Das Gefährt kam vor ihnen langsam wieder in Sicht. Ein recht unscheinbarer, auf unmodern getrimmter Personenzug. Von außen sollte man ihm nicht ansehen, was er tatsächlich transportierte. Das bruchsichere Fensterglas und die verstärkten Türen fielen von außen gar nicht auf und auch das militärische Personal ließ sich bei der Durchfahrt durch die Bahnhöfe nicht blicken. Crawford konnte jetzt schon ganz genau orakeln, wie viele bewaffnete Wachleute ihnen da drin begegnen würden. Aber auf den Gefangenen, den sie suchten, fand er nach wie vor keine Hinweise. Das machte ihn langsam stutzig. Je näher ein Geschehen rückte, desto klarer und detaillierter konnte er es für gewöhnlich vorhersehen. Und sie waren immerhin schon kurz davor, diesen fraglichen Zug zu kapern. Es würde sich nur noch um Minuten handeln, nicht mehr um Stunden oder Tage.

Es gab einen leichten Ruck, als sie von hinten auf den Gefangenen-Zug auffuhren, die Prellpuffer der Kupplung den Stoß auffingen und die Kupplung automatisch verriegelte. Sie hatten angekoppelt.

„Mit wieviel Widerstand ist zu rechnen?“, wollte der Gruppenführer von ihm wissen.

„Hinter der ersten Tür sind drei bewaffnete Zugbegleiter, hinter der zweiten Tür nochmal drei, die durch eure Schüsse in Alarmbereitschaft versetzt werden und euch schon erwarten werden. Dann sehen wir weiter.“

Ein Nicken. Die ersten Soldaten kletterten sofort vom Wagon auf den anderen Zug hinüber und stürmten ihn. Alles passierte bei voller Fahrt. Sie würden sich nicht die Mühe machen, den Zug anzuhalten. Fast augenblicklich fielen Schüsse.

Crawford ließ sich Zeit. Er hatte keine Lust, sich an dem Gemetzel zu beteiligen. Er war einer der letzten, der auf den vorderen Zug hinüberkraxelte. Stattdessen suchte er angestrengt weiter nach der Zielperson. Wieso sah er sie noch nicht?

„Der Wagon ist sauber. Wir rücken vor in den nächsten“, meldete der Truppenführer seiner Einheit.

Crawford schüttelte den Kopf. „Wir brechen die Mission ab und ziehen uns zurück. Die Zielperson ist nicht hier.“

„Aber nach unseren Informationen ist der Gefangene im dritten Wagon!?“

„Ja, die transportieren im dritten Wagon einen Gefangenen“, hielt Crawford belehrend dagegen. „Aber nicht den, den wir suchen.“

Vor ihnen wurde Fluchen laut, vermischt mit neuerlichen Schüssen. „Der Pisser hat uns abgekoppelt!“, schrie jemand. Tatsächlich nahm ihr Wagen spürbar an Fahrt ab, nun wo er nicht mehr gezogen wurde. Die Wachleute aus dem nächsten Wagon hatten wirklich schnell reagiert, alle Achtung.

Crawford zuckte nur mit den Schultern. „Lasst sie entkommen und sag dem Fahrer unserer Trieb-Lok, er soll uns in den nächsten Güterbahnhof schieben.“

„Du machst es dir einfach, Oracle. Takatori wird nicht begeistert sein.“

„Er wird auch nicht begeistert sein, wenn wir noch mehr Männer opfern und die Zielperson trotzdem nicht finden. Mach dir lieber Gedanken darum, wie wir die Leichen hier loswerden. Jemand wird sie sicher vermissen.“

 

 

Als Nagi ins Büro kam, spielte Takatori drinnen schon wieder Zimmer-Golf mit seinem elenden Golfschläger. „Guten Tag, Chef“, grüßte der Junge möglichst neutral.

„Du bist zu spät“, erwiderte der missgelaunt.

„Seit wann sind Sie denn mal pünktlich? Damit rechnet ja keiner!“, hielt Nagi zynisch dagegen.

„Nicht frech werden, Freundchen! Tu lieber deinen Job!“

„Keine Sorge. Es wird alles zu Ihrer Zufriedenheit erledigt werden“, versicherte Nagi ihm und dachte insgeheim daran, wie Schuldig diese Aussage wohl wieder gewertet hätte. Dabei ließ er sich auf dem Sofa in der Sitzecke nieder, welches für Besucher wie ihn vorgesehen war. Es war ungewohnt, allein hier zu sein und sich selber mit Takatori herumschlagen zu müssen.

Takatori verschwand hinter seinem Schreibtisch und zog eine Schublade auf, um eine Akte heraus zu holen, die er autoritär auf die Tischplatte klatschte. „Es geht um einen gewissen Hoshite Ieyoshi, drüben in Sapporo“, kam er sofort zur Sache.

Nagi streckte stoisch die Hand nach der Akte aus, die sich daraufhin in die Luft erhob und ihm im Ganzen entgegenflog. Telekinese war schon eine nützliche Fähigkeit. Er überlegte, welche Fragen sein Ziehvater Crawford jetzt wohl stellen würde. „Sollte ich den Herrn kennen?“, wollte er wissen und blätterte. In der Akte kam außer ein paar Fotos von einem Friedhof nicht viel zum Vorschein.

„Nein. Nur ein Firmenbesitzer, das ist alles.“

„Ich nehme an, ich soll ihn beseitigen. Ist er Ihnen im Weg? “

„Er ist bereits tot“, klärte Takatori ihn auf und deutete auf die Akte in Nagis Händen. „Er hat aber ein Geheimnis mit ins Grab genommen, und zwar wortwörtlich. Er wurde mit einer rätselhaften Kerze beerdigt.“

„Eine Kerze?“, machte Nagi ungläubig.

„Mein Gott, du wirst doch wissen, was eine Kerze ist!? Ein Wachs-Klumpen mit Docht! Wird für gewöhnlich angezündet um nette Stimmung zu machen!“

Der junge Hacker schluckte Takatoris Beleidigung kommentarlos herunter. Natürlich wusste er, was eine Kerze war. Aber was sollte an einer Kerze so mysteriös sein?

„Bring mir diese Kerze, die da mit ihm zusammen begraben wurde.“

Auch dazu sagte Nagi nichts. Jetzt wurde er also schon zum Grabschänder degradiert. Was für eine Verschwendung seiner Talente. Aber egal. Vergnügungssteuerpflichtig war sein Job ja ohnehin noch nie gewesen. „Was ist so besonders an dieser Kerze?“, hakte er lediglich noch nach. Er hoffte, daß die nicht mit eingeäschert worden war, sondern erst nachträglich zur Urne hinzu gepackt wurde, sonst konnte das eine lustige Angelegenheit werden.

„Das werde ich sehen, wenn ich sie habe.“

„Sie wissen nichtmal, warum Sie diese Kerze überhaupt haben wollen?“

„Ich weiß jedenfalls, daß es dich nichts angeht!“, zischte Takatori gereizt. „Jetzt zieh schon Leine, du Grünschnabel! Ein bisschen plötzlich! Hinter der Kerze sind noch andere Leute her! Du hast nicht den ganzen Monat Zeit!“

Nagi ließ sich nicht hetzen. Er dachte nach, während er weiter die Fotos und Notizen aus der Akte studierte. Schließlich wollte er nichts übersehen, bevor er die Mission antrat. Noch dazu alleine. Eine Kerze also. Es gab verschiedene Möglichkeiten, was es damit auf sich haben könnte. Auf der Kerze könnte ein Text geschrieben stehen. Oder das Wachs hatte eine dubiose chemische Zusammensetzung. Aber das würde er wohl vor Ort feststellen müssen. Was zur Hölle war in letzter Zeit nur mit ihrem Boss Takatori los? Der erteilte neuerdings nur noch so kryptische Aufträge, ohne selber zu wissen, warum, und ohne Informationen zu den Zielpersonen und Zielobjekten geben zu können. Wusste er wirklich nichts, oder wollte er nur nichts verraten? Vertraute er seiner Spezialeinheit Schwarz etwa nicht mehr? Nagi kam das sehr eigenartig vor.

 

 

Farfarello ließ unauffällig den Blick schweifen. Man wusste ja nie, wem man in so dubiosen Kneipen über den Weg lief. Hier war es schummrig und schmierig. Nicht gerade gehobenes Ambiente. Und der Whisky, an dem er bisweilen nippte, schmeckte auch irgendwie gepanscht. Ihm Gegenüber saß ein Kerl, der so durchschnittlich war, daß selbst sein billiger Anzug von der Stange nicht darüber hinwegtäuschen konnte. Mittlere Größe, stabile Statur, Allerwelts-Haarschnitt, eckige Brillenfassung aus dem Supermarkt. So ein Typ, den man sah und sofort wieder vergaß. Das war grundsätzlich nicht schlecht, wenn man in diesem Gewerbe arbeitete. Aber sehr erfolgreich war er offensichtlich nicht, sonst hätten zumindest eine teure Armbanduhr oder ein goldenes Kettchen ihn verraten. Farfarello achtete auf solche Details an seinem Gegenüber. Akimura hier war kein ernstzunehmender Krimineller. Nur ein kleiner Gauner, der Yakuza spielen wollte.

Farfarello stellte sein Whiskyglas zur Seite und griff stattdessen nach der winzigen Phiole, die ihm von seinem durchschnittlichen Geschäftspartner herübergeschoben worden war. Er kippte das Glasbehälterchen, so daß die Flüssigkeit darin herum schwappte. Dann hielt er sie gegen das trübe Dämmerlicht der Deckenlampe. Keine Ahnung, was er erwartet hatte, aber definitiv nichts so Unspektakuläres. Das da drin hätte gut und gern Leitungswasser sein können.

„Ich versichere dir, daß es wirken wird“, warf Akimura ein, dem Farfarellos Argwohn wohl nicht entgangen war.

„Möchte ich dir auch geraten haben. Was muss ich damit beachten?“

„Nun ...“, begann sein Lieferant etwas verunsichert. „Es sind klassische Tuberkulose-Bakterien in Nährlösung. Normalerweise ist es recht schwer, sich damit anzustecken. Nur bei jedem zehnten bricht nach einer Infektion die Krankheit auch tatsächlich aus, und zwar vorrangig bei Leuten, die sowieso ein geschwächtes Immunsystem haben. Aber das Zeug hier ist so hochkonzentriert, daß ein Immunsystem in unseren Breitengraden damit garantiert überfordert sein wird. Tödlich verläuft die Krankheit, wenn die Diagnose zu spät gestellt wird. Und dafür stehen die Chancen recht gut. Ich meine, wer rechnet hierzulande bei einem Husten schon gleich mit TBC?“, erzählte der Kerl weiter. „Also hast du zwar keine Garantie, aber zumindest recht gute Chancen, dein Opfer damit um die Ecke zu bringen. Da die Ansteckungsmöglichkeiten für TBC quasi grenzenlos sind, wird kein Mensch drauf kommen, daß es Mord war.“

Farfarello nickte und drehte die Phiole weiter im Licht. „Interessant, aber das wollte ich nicht wissen.“

„Achso, ja ... was es zu beachten gibt ...“, erinnerte sich Akimura. „Natürlich darfst du das Zeug nicht selber einatmen oder anderweitig mit den Schleimhäuten in Kontakt bringen. Trag lieber Handschuhe und Mundschutz, wenn du irgendwas damit präparierst. Am besten schüttest du es in irgendein Getränk, das nicht kochend heiß ist. In Europa hat man sich früher ganz gerne mal an Frischmilch von infizierten Kühen angesteckt. Einer der Gründe, warum Milch inzwischen pasteurisiert wird.“

„Klingt machbar“, urteilte Farfarello nüchtern.

„Darf ich fragen, auf wen du es damit abgesehen hast?“

Die Antwort – sofern es tatsächlich eine gegeben hätte – musste warten, da in diesem Moment Farfarellos Handy vibrierte. Er angelte das summende Ding vom Tisch, warf einen abschätzenden Blick auf das Display und wägte sichtlich ab, ob er den störenden Anruf jetzt wirklich annehmen musste. Aber das war immerhin Crawford, da musste er schon rangehen. „Hey, was gibt´s?“, wollte er salopp wissen. „Schreit der Boss mal wieder nach uns?“

„Nein, ich wollte nur wissen, ob alles okay ist. Wie läuft deine Mission?“

„Du kennst mich doch“, hielt Farfarello verständnislos dagegen. Die Frage beantwortete er damit wohlweislich nicht.

„Wo bist du gerade?“, fragte Crawford skeptisch nach, dem die Spielunken-Geräusche im Hintergrund nicht entgingen. „Das klingt nicht, als wärst du mit einer Kampftruppe unterwegs!“

„Was geht´s dich an?“

„Wir sind auf Mission, Mann!“

„Und? Die Mission wird ja auch ausgeführt.“

„Von wem?“

„Meine Truppen sind vor Ort und kümmern sich um alles, was ihnen aufgetragen wurde. Meine persönliche Anwesenheit ist nicht notwendig. Also nutze ich meine Zeit besser. Es kommt immerhin selten genug vor, daß ihr mich mal raus lasst.“

„Takatori wird dich lynchen!“, hielt Crawford ihm sauer vor.

„Zur Kenntnis genommen. Dann schönen Abend noch.“ Statt auf weitere Einwände zu warten, legte er einfach auf und steckte das Handy weg, um nicht nochmal davon gestört zu werden. Ein genervtes Kopfschütteln.

„Probleme?“, vermutete Akimura.

„Nein, alles bestens. Was ich in meiner Freizeit treibe, geht meine Chefs nichts an. Und was sie in ihrer treiben, interessiert mich auch nicht. - So, wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, in ein nicht zu heißes Getränk kippen.“ Das kleine Glasfläschchen folgte dem Handy in Farfarellos Jackentasche.

Akimura flocht seine Finger zu verschlungenen Knoten. „Hast du das Geld vielleicht schon dabei?“

„Natürlich nicht! Was weiß ich denn, was du mir hier verkaufst!? Lama-Spucke? Das Geld bekommst du, wenn ich mich von der Wirkung überzeugt habe.“

„Aber ich könnte die Kohle wirklich brauchen. Komm schon, ich hab Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um zu erledigen, was du mir aufgetragen hast.“

„Willst du eine Kugel im Kopf als Vorschuss?“, schlug Farfarello düster vor und brachte den durchschnittlichen, kleinen Gangster damit zum Schweigen. „Du wirst dein Geld kriegen. ... Wenn die Ware geprüft und in Ordnung ist.“

„Und wann wird das sein?“

Farfarello verdrehte genervt sein eines, verbliebenes Auge. „Vielleicht morgen, vielleicht in einer Woche, vielleicht in zwei. Wer weiß das schon!? Es dauert so lange wie es eben dauert.“

„Das ist zu spät! So viel Zeit hab ich nicht mehr!“, jaulte Akimura auf.

„Weißt du, was das Schöne an diesem Problem ist? Es ist deins!“, kommentierte er gehässig. Sicher hätte er gelacht, wenn er in der Lage gewesen wäre, zu lachen. Aber Farfarello hatte noch nie gelacht. Also genoss er es einfach nur, den kleinen Jammerlappen zappeln zu lassen. Er stand mit einem verabschiedenden Nicken auf und zog in aller Ruhe von dannen. Wie in Japan üblich, bezahlte er seine Getränke beim Gehen an der Kasse neben der Tür, dann war er weg.

 

 

Crawford marschierte ruhelos im Zimmer hin und her wie eine Patrouille. Nach Abschluss seiner Mission war er sofort zu Farfarellos Einsatzort aufgebrochen, auch in dem Wissen, daß Farfarello sich anderswo herumtrieb. Seine Einheit hatte allerdings auch ohne ihn kräftig aufgeräumt. Wo Farfarello hin war, hatte man ihm aber nicht sagen können. Also blieb ihm nichts anderes übrig als zu warten, bis der Kerl von selber wieder auf die Bildfläche trat. Nun hockte er zur Untätigkeit gezwungen im Schwarz-Hauptquartier. Wie er das hasste. Gerade wenn es um Farfarello ging. Der Kerl konnte jederzeit und überall ein Blutbad anrichten, wenn bei ihm eine Sicherung rausschnappte. Crawford überlegte, ob er inzwischen mal bei Nagi anrufen und fragen sollte, wie es bei ihm eigentlich so lief. Oder lieber eine bewaffnete Truppe, die loszog und Farfarello suchen ging. Aber die wären, sollten sie Farfarello tatsächlich finden, wohl kaum lebend zurückgekehrt. Zuviel Aufsehen. Er sollte Farfarello lieber noch eine gewisse Frist einräumen, freiwillig her zu kommen.

Die Tür öffnete sich mit dem üblichen Quietschen und ließ Crawford Haltung annehmen. Aber der Neuankömmling war nur Schuldig mit seiner Waffe Ayax. Wobei „nur“ an dieser Stelle ja ein unpassender Begriff war. Crawford freute sich natürlich außerordentlich, daß der Telepath wohlbehalten wieder zurück war. Dennoch wäre er in diesem Moment auch nicht böse darüber gewesen, wenn es Farfarello gewesen wäre. Mit einem halb fröhlichen, halb enttäuschten Seufzen ließ er sich auf das Sofa fallen, während er Schuldigs legeren Gruß erwiderte und ihm dabei zusah, wie er seine Pistole sicherte, das Magazin herausnahm und beides getrennt voneinander ablegte.

„Und? Hast du dieses ominöse Mädchen gefunden, das wir suchen sollten?“, erkundigte sich Schuldig beiläufig.

„Nein.“

„Ich auch nicht. ... Und Farfarello wohl auch nicht, wenn ich mir deine miesepetrige Laune so ansehe“, fügte der Telepath noch hinzu, ohne ihm ins Gesicht zu sehen.

„Farf‘ hat auf die Mission gepfiffen.“

Schuldig lachte schallend auf, was Crawfords Stimmung gleich noch etwas weiter in den Minusbereich fuhr. „Hätte mich auch sehr gewundert, wenn er brav mit seiner Truppe seiner Aufgabe nachgekommen wäre. Was hast du erwartet?“

„Ich weiß, was ihn erwartet, wenn er hier aufkreuzt!“, maulte Crawford.

„Ja? Was denn zum Beispiel?“, mischte sich eine Stimme aus dem Hintergrund ein, die beide erschrocken herumfahren und sogar Ayax in Lauerstellung gehen ließ. Da Schuldig die Tür beim Hereinkommen halb offengelassen hatte, war das typische Quietschen ausgeblieben, das Farfarello hätte verraten können. Darum stand er erstaunlich überraschend mitten im Zimmer.

Crawford fing sich als erster wieder. „Du!“, fluchte er anstelle einer Begrüßung und schnellte vom Sofa hoch. „Wo bist du gewesen, du Knallerbse!?“

Farfarello zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Meine Mission wurde doch erfüllt, oder nicht? Also was bläst du dich so auf?“

„Du weißt sehr genau, warum! Rennst einfach draußen rum! Ohne Aufsicht! Ohne jemandem zu sagen wo du bist! Lässt uns einfach in dem Glauben, daß ...“

„Ich bin es leid, ständig einen Aufpasser an der Backe zu haben! Ihr behandelt mich wie ein uneinsichtiges Kleinkind, das man an der Hand führt!“

„Ja, und du weißt selber, daß das notwendig ist! Hast du eine Ahnung, was losgehen würde, wenn du alleine draußen rumrennst und von der Polizei aufgegriffen wirst?“

„Glaubst du denn, ich würde mich einfach widerstandslos aufgreifen lassen?“, hielt Farfarello bockig dagegen.

Nein, eben nicht. Das war ja das Problem. Aber Crawford hatte keine Lust mehr, zu diskutieren. Man musste ja quasi dankbar sein, daß der Kerl überhaupt wieder zurückgekommen war, und das sogar noch zeitnah. Trotzdem packte er den weißhaarigen Iren mit einem unerbittlichen „Du wanderst sofort zurück in deine Zelle!“ am Kragen und wollte ihn zur Tür bugsieren.

Farfarello begann zeternd um sich zu schlagen und zu treten, um wieder los zu kommen. Er wollte durchaus nicht wieder mit einer Zwangsjacke in einer Gummizelle sitzen wie ein Freak, solange isoliert, vergessen und eingelagert bis er mal wieder für irgendeine von Takatoris Missionen gebraucht wurde.

Wider Erwarten ließ sich Crawford tatsächlich auf die Rangelei mit dem durchgedrehten Psycho ein und versuchte sich zu behaupten. Anders konnte man ihm kaum klarmachen, daß man der Boss war. Man musste ihn besiegen. Mit seinen hellseherischen Fähigkeiten fiel es ihm zunächst auch nicht schwer, Farfarellos Aktionen zu händeln. Bis aus dem sprichwörtlichen Nichts eine Messerklinge aufblitzte. Im gleichen Moment ging auch schon Ayax dazwischen, um die zwei zu trennen und den Kampf zu beenden.

 

„Dieser ... Dieser Mensch!“, maulte Crawford. „Ich fasse es nicht, daß die Knalltüte tatsächlich mit einem Messer auf mich losgeht!“, beschwerte er sich und steckte beleidigt den Zeigefinger durch ein Loch im Ärmel seiner Anzugjacke.

Schuldig winkte achtlos ab. „Das ist Farf‘. Du kennst ihn. Wenn bei ihm das Gehirn aussetzt, passiert sowas. Genau darum sperren wir ihn ja weg.“

Brad Crawford pflanzte sich ermattet auf sein Sofa. Der Hellseher und Schuldig hatten sich wieder in ihrem kleinen Schwarz-Hauptquartier eingefunden, um die Mission auszuwerten. Farfarello war schon längst in eine Zwangsjacke gestopft und in seine Zelle zurück gesperrt worden, bis er wieder klar im Kopf war. Den Kerl konnte man nicht alleine lassen. Dann neigte er zu Selbstverstümmelung und Selbstmord. Aber weder Crawford noch Schuldig hatten gerade die Nerven, auf ihn aufzupassen, bis er sich wieder eingekriegt hatte. „Na schön“, meinte er in einem Tonfall, der ganz klar einen Themenwechsel einleitete. Er kam wohl endlich zum Geschäftlichen, nachdem ihr Kollege wieder sicher verwahrt war. „Takatori hat uns auf drei Ziele gleichzeitig angesetzt, aber keiner von uns hat ein Mädchen gefunden“, fasste er zusammen.

„Ja. Es gab also einen Haufen sinnloser Leichen und keine Ergebnisse. Entweder hatte Takatoris Auftrag einen anderen Zweck, den er uns bloß nicht verraten wollte, oder er ist verdammt schlecht informiert.“

„Aus strategischer Sicht war es unnötig, die Einrichtung zu sprengen“, warf Ayax im Plauderton ein, als wüsste Schuldig nicht selbst, auf wessen Konto die sogenannten sinnlosen Leichen gingen.

„Ob das nötig war, entscheide immer noch ich! Du hast mir keine Moralpredigten zu halten, merk dir das!“, blaffte Schuldig sie gereizt an. Dabei warf er seine Jacke neben Crawford auf das Sofa, weil es hier keine Kleiderhaken gab.

„Hab ich was falsch gemacht? Warum bist du plötzlich wieder so garstig?“, fragte Ayax ruhig nach.

„Was heißt hier 'wieder'? Immer noch!“

„Während der Mission hast du ganz normal mit mir geredet. Und jetzt bist du plötzlich wieder ablehnend.“

„Weil ich Profi bin und mich zusammenreißen kann. Wir haben uns da drin mit Waffengewalt durch ein bewachtes Gebäude geschlagen. Da habe ich meine Wut auf dich natürlich ausgeblendet, weil ich andere Probleme hatte.“

„Und jetzt, wo die Mission vorbei ist, wirst du gleich noch ein zweites Mal auf mich wütend? Ohne neuen Anlass?“

Schuldig atmete genervt durch. „Du verstehst wirklich nichts von der menschlichen Psyche. Wie auch? Du hast ja nur ein paar Schaltkreise da oben drin, die Programme abspielen!“, nörgelte er und tippte sich dabei gegen die Stirn.

„Ist irgendwas passiert?“, mischte sich Crawford mit verschränkten Armen ein, weil er der Meinung war, sich den Streit jetzt lange genug angehört zu haben.

„Sie hat mich betrogen!“, zeterte Schuldig und zeigte vehement anklagend mit dem Finger auf die Waffe.

„Ich habe dich nicht betrogen“, hielt die dagegen, nach wie vor freundlich und die Ruhe in Person. Sie wirkte dabei in ihrem fehlenden Ärger sehr unauthentisch. Jeder normale Mensch, der unberechtigt des Betrugs angeklagt wurde, wäre definitiv emotionaler gewesen. Beleidigt oder sauer oder was auch immer. Es waren solche winzigen Kleinigkeiten, die sie dann doch verrieten, wenn man genau hinsah.

„Du bist verlogen und ... ach, scher dich zur Hölle!“

„Ich habe dich nie angelogen.“

„Du bist kein Mensch!“

„Ich habe auch nicht behauptet einer zu sein.“

„Du hast es mir aber vorgegaukelt!“, tobte Schuldig weiter.

„Du hattest ja kein Problem damit, daß ich dir das vorgaukle“, erklärte Ayax so seelenruhig wie ehedem. „Du wolltest es ja förmlich.“

„Ich hätte aber ein Problem damit gehabt, wenn ich gewusst hätte, daß du keiner bist!“

„Ich befolge Befehle und Wünsche. Du hast mir aufgetragen, eine Frau zu sein, also war ich für dich eine.“

„Ach, leck mich doch!“

Ayax zog die Augenbrauen hoch. „Ist das ein ernst gemeinter Befehl?“

„NEIN!!!!“

Crawford schloss die Augen und massierte sich den toten Punkt über der Nasenwurzel, während er diesem Rosenkrieg unbeteiligt weiter folgte. Konnten die beiden das nicht auf der telepathischen Ebene austragen, um ihre Umgebung nicht damit zu belästigen? Aber scheinbar passte sich Ayax bei der Wahl der Kommunikationsmittel ihrem Besitzer an, und für den war die verbale Methode wohl gerade einfacher.

„Welche Konsequenzen gedenkst du daraus jetzt zu ziehen?“, wollte Ayax wissen und ließ sich auch weiter nicht aus der Reserve locken.

Schuldig warf ihr einen düster-nachdenklichen Blick zu und sagte nichts. Er schien selber erstmal darüber grübeln zu müssen, was er denn nun tun wollte.

Plötzlich weiteten sich die Augen von Ayax ungläubig. „Ooooh nein! Vergiss es! Das wirst du lassen!“, verlangte sie drohend, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Wahrscheinlich hatte sie das tatsächlich. Sie war ja telepathisch mit Schuldig verbunden.

Crawford sah mit betont müdem Blick wieder auf, um zu erfahren, was los war.

„Warum nicht? Wenn es keinen anderen Weg gibt, dich los zu werden!?“, meinte der Telepath mit gehässigem Schmunzeln.

„Du hast keinen Grund, mich loszuwerden.“

„Ich brauche keinen Grund, dich loszuwerden! Ich wollte dich ja nicht mal haben! Du hast dich ungefragt an mich geheftet, ohne mir eine Wahl zu lassen!“

Ein heftiger Kopfschmerz explodierte in seinem Kopf und setzte ihn auf der Stelle außer Gefecht. Schuldigs Hände zuckten zu seinen Schläfen. Der Schmerz war so scharf, daß er die Augen nicht mehr aufbekam. Sein eigener Herzschlag dröhnte in seinen Ohren und störte sein Gleichgewichtsgefühl empfindlich. Mit einem gepressten Stöhnen brach er in die Knie, weil er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Dieser Druck in seinem Kopf zwang ihn zu Boden. Er hatte das Gefühl, daß sein Gehirn gerade langsam von einer Schrottpresse zermatscht wurde.

„Schuldig!“, entfuhr es Crawford erschrocken. Er sprang vom Sofa hoch und zog reflexartig seine Pistole.

Als Schuldig versuchte, die telepathische Verbindung zu Ayax irgendwie abzubrechen oder wenigstens zu dämpfen, kochte der Schmerz zur Strafe erst recht hoch und ließ seinen ganzen Körper krampfen, so daß er diesen Versuch sofort wieder unterließ. Er kippte aus seiner noch sitzenden Haltung endgültig um und rollte sich qualvoll ächzend auf der Seite zusammen.

„Lass ihn los!“, verlangte Crawford und legte auf Ayax an.

„Nimm die Knarre runter, sonst ist er tot!“, gab die Waffe finster drohend zurück. Wie zur Bestätigung jaulte Schuldig in diesem Moment besonders schmerzhaft auf und verdrehte sich in eine groteske Pose, als könne das das Stechen in seinem Kopf beenden. Natürlich tat es das nicht.

Crawford fluchte innerlich. Er hatte keinen Zweifel daran, daß AX-4 ihn wirklich umbringen konnte, wenn sie wollte. Er musste sie irgendwie ausschalten. AX-4 hatte in ihrer humanoiden Gestalt eine Schwäche. Eine kleine nur, aber sie war da. Omi hatte ihm verraten, wie man diese Waffe unschädlich machen konnte. Crawford glaubte in diesem Moment auch nicht, daß Omi ihn angelogen hatte. Die Frage war eher, welchen Effekt es auf Schuldig haben würde, der ja telepathisch mit ihr rückgekoppelt war. Würde er genauso Schaden nehmen? Und vor allen Dingen: war Crawford überhaupt so ein guter Schütze, die kleine Schwachstelle aus dieser Entfernung zu treffen? Er pflegte ja doch eher eine amerikanische Schusstechnik: möglichst viel Blei verteilen und darauf hoffen, daß schon irgendwas sein Ziel traf.

„Ich werde nicht zulassen, daß mein Besitzer sich von mir trennt, indem er mich zerstört. Wenn er mir schaden will, werde ich ihm die Handlungsfähigkeit nehmen.“

„Ja, und weiter?“, wollte Crawford aufgekratzt wissen. Diese akut umgeschlagene Situation überforderte ihn mehr als ihm lieb war. „Wer soll dir dann Anweisungen geben, wenn du keinen mündigen Besitzer mehr hast?“

„Ich HABE meine Anweisungen. Ihn brauche ich dafür nicht“, stellte Ayax stoisch klar, packte den vor Schmerzen wimmernden Telepathen am Kragen und stürzte sich mit ihm völlig unvermutet direkt aus dem offenen Fenster.

Crawford blieb die Luft weg. Panisch und keuchend stolperte er ebenfalls zum Fenster und schaute auf die Straße hinunter. Vier Stockwerke bis zum Fußweg. Und unten war nichts. Gar nichts. Ayax und Schuldig waren spurlos verschwunden, als wären sie nie hier gewesen. Die Waffe musste mit ihm bereits auf und davon sein. „Scheiße, ist das Biest schnell!“, fluchte Crawford, aber so sehr er sich auch die Augen aus dem Kopf stierte, die beiden blieben weg. Er fand sie nirgends wieder. Er machte sich keine Sorgen, daß Schuldig beim Sturz aus dem Fenster irgendwas passiert war. Die Waffe würde schon dafür gesorgt haben, daß er heil unten ankam. Aber Schuldig war jetzt allen Ernstes in der Gewalt dieser ausgetickten Maschine. Sie hatte ihn gekidnappt und verschleppt, Gott weiß wohin, und keiner konnte sagen, welche Pläne sie jetzt verfolgte. Schuldigs Ablehnung hatte offenbar ein Selbsterhaltungs-Programm in ihr initiiert. Nicht auszudenken, welche weiteren Schritte dieses Programm vorsehen mochte. Crawford musste die beiden schnellstmöglich wiederfinden!



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