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AX-4

von

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02
 

Auf dem Weg nach draußen schloss sich Farfarello ihnen wieder an, der hier die Stellung gehalten hatte, um ihnen den Rückzug zu sichern. „Erfolgreich?“, wollte er wissen, da er im Besitz seiner Kollegen keine Gegenstände oder ähnliches entdecken konnte, die er als die gesuchte Waffe hätte ansehen können.

„Noch nicht“, meinte Crawford, während er konzentriert den Gang vor sich hinunter stierte. Immer wenn er diese starren Augen hatte, orakelte er. Er versuchte Sicherheitstruppen vorherzusehen, die ihren Weg kreuzen könnten. „Pass auf!“, machte er plötzlich erschrocken und sprang zur Seite, ohne noch spezifizieren zu können, wen seiner drei Kameraden er überhaupt angesprochen hatte.

Neben Schuldig erschien eine Öffnung. Ein anderthalb Meter breites Stück der Wand drehte sich um eine senkrechte Mittelachse wie eine Drehtür, erfasste den Telepathen schneller als der reagieren konnte, und hatte ihn auch schon verschluckt. Einen Moment später war da wieder nichts als massive, lückenlose Wand, nur ohne Schuldig davor.

Farfarello fluchte und rannte hin, um die Wand zu untersuchen. „Habt ihr auch das Kind gesehen?“, wollte er aufgekratzt wissen.

„Da war kein Kind!“, hielt Nagi dagegen.

 

Schuldig fühlte sich am Arm gepackt und geradewegs durch die Wand gezerrt. Mit einem Floppen sprang die Tür in ihre Verschluss-Stellung zurück und verriegelte hörbar. Von dem rigerosen, seitwärts-abwärts-gerichteten Ziehen aus dem Gleichgewicht gebracht, stolperte er über seine eigenen Füße und kam etwas ungelenk auf dem Boden zu sitzen, so daß er nichtmal mehr reflexartig seine Pistole aus dem Achselholster ziehen konnte. Das hier war ein Raum, nicht größer als eine Besenkammer, aber gut genug beleuchtet, daß man seine Umgebung noch erkannte. Schuldig schaute in ein Paar rubinroter Augen in einem ebenmäßigen, puppenhaften Gesicht. Ein Mädchen mit langen, schwarzen Haaren, die vom Seitenscheitel zu beiden Seiten herunter wallten, hockte ihm gegenüber. Sie hatte ihn wohl hier rein gezerrt, wurde ihm klar. Das Mädchen war ziemlich süß. Allerdings hatte kein Mensch solche Augen oder so uncharakteristische Gesichtszüge ohne die geringsten Hautfältchen oder Poren. Er konnte sich ein stutziges „Was bist DU denn?“ nicht verkneifen und runzelte die Stirn.

„Du musst mir helfen!“

Schuldigs nach oben gezogene Augenbrauen rutschten wieder nach unten und zogen sich unwillig zusammen. „Wegen dir bin ich aber nicht hier. Ich hab andere Probleme. Lass mich hier raus!“

„Du suchst AX-4!“

„Wie kommst du darauf?“

„Was solltest du sonst hier wollen? Diese komplette Forschungsstation wurde nur zu diesem einen Zweck gebaut. Hier gibt es nichts anderes.“

„Tja, aber die Station ist schlecht bewacht, wie mir scheint. AX-4 ist weg“, gab Schuldig zurück, raffte sich vom Boden auf und widmete sich nebenbei schon der Drehwand, um zu sehen, wie er hier am besten wieder rauskommen sollte.

Ich bin AX-4!“, machte das Mädchen ihm ungeduldig klar und erreichte damit, daß der Telepath wieder zu ihr herumfuhr und sie ungläubig von oben bis unten und zurück musterte.

„Sag das nochmal!“

„Ich bin AX-4! Und ich muss aus diesem Labor raus! Sofort!“

„Das musst du mir nochmal genauer erklären ...“

„Jetzt nicht! Die Wachleute werden dich finden, wenn du zu lange hierbleibst. Du bist meine einzige Chance, aus diesem Labor raus zu kommen!“

„Ich dachte, du bist ´ne Waffe!“, hielt Schuldig uneinsichtig dagegen. Wenn die sich den Weg nicht selber frei räumen konnte, wer dann? Aber vielleicht brauchte sie ja einfach bloß jemanden, um sich draußen zurecht zu finden, weil sie die Forschungsstation noch nie verlassen hatte?

„Wenn du mich mitnimmst, helfe ich dir, ohne eine Kugel im Kopf hier wieder weg zu kommen.“

Schuldig glotzte sie noch eine Weile ziemlich dumm an, weil er beim besten Willen nicht wusste, was er davon jetzt halten sollte. Irgendwann nickte er schließlich doch. „Okay!? ... Klingt nach einem guten Deal. Lass uns gehen“, entschied er. Wenn sie tatsächlich AX-4 war, musste er sie so oder so mitnehmen. Und eine große Wahl schien er ja auch nicht zu haben. Sie machte nicht den Eindruck, als würde sie ihn einfach von dannen ziehen lassen, wenn er auf ihren Vorschlag nicht einging. Was es nun genau mit dem seltsamen Mädchen auf sich hatte, konnte er draußen immer noch ergründen. Jetzt musste er erstmal zu Crawford zurückkommen.

„Gut!“, stimmte das Mädchen überglücklich zu und betätigte den unscheinbaren Öffnungsmechanismus neben sich.

„Aber ich bin nicht alleine. Ich geh nicht ohne meine drei Kollegen hier weg.“

Sie nickte einverstanden und ohne sich zurückhalten zu lassen.

 

Farfarello trat alarmiert einen Schritt zurück, als sich das dubiose Stück Wand erneut öffnete und rotierte. Er hatte Schuldig drinnen mit jemandem reden hören und anhand der ruhigen Tonlage vermutet, daß mit ihm nichts Schlimmes vor sich ging. Aber trotzdem legte er wenig Wert darauf, ihm da drin Gesellschaft zu leisten.

Diesmal blieb die Wand auf 90° geöffnet stehen, so daß der Gedankenleser in aller Ruhe herauskommen konnte. Er wirkte unversehrt und hatte eine junge Dame bei sich, die ihm kaum bis über die Schulter reichte. Ihr Gesicht war altersmäßig nicht zu schätzen, aber vom Körperbau her wirkte sie sexy und dadurch schon recht erwachsen.

„Ich hab AX-4 gefunden“, informierte er Crawford mit einem Grinsen. „Oder sie mich, das wäre ehrlicher.“

Crawford bedachte abschätzend die rubinroten Augen und das seltsam unindividuelle Gesicht, und beschloss, vorläufig keine weiteren Fragen zu stellen. Dafür würde ihnen später Zeit bleiben. Er wusste, daß Schuldig kein leichtgläubiger Mensch war. Wenn der sich einreden ließ, daß dieses Mädchen die Waffe AX-4 war, dann würde er Beweise oder mindestens gute Gründe dafür haben.

„Kommt, hauen wir endlich ab! Sie wird ohne Zicken mitkommen. Sie will sowieso dringend hier weg“, legte Schuldig noch nach.

Über Nagi schlug ein Projektil in die Wand ein, sirrte als Querschläger davon und ließ die ganze Bande schleunigst in die Gänge kommen. Sie waren entdeckt worden und standen unter Beschuss. Crawford fluchte. Wenn sie gesehen worden waren, brauchten sie jetzt auch kein Geheimnis mehr um sich zu machen. Jetzt hieß es, Knarre nehmen und mit Gewalt durchbrechen, um hier wieder raus zu kommen.

 

Schuldig fiel fast durch die Tür, die sich leichter öffnen ließ als gedacht, fand sich plötzlich im Freien wieder, und presste sich erstmal mit dem Rücken gegen die Hauswand, um sich schnell einen Überblick zu verschaffen, wo er überhaupt war. Immerhin draußen, das war ja schon mal die halbe Miete auf ihrer Flucht. „Schaffen wir es bis zu den Blechbüchsen da drüben?“, wollte er wissen und zeigte auf einige Frachtcontainer, wie sie sonst im Schiffsgüterverkehr genutzt wurden.

„Müssen wir ja“, nickte Farfarello. „Zum Glück stehen die dort. Auf dem riesigen Parkplatz wären wir Freiwild, so ganz ohne jede Deckung.“

Schuldig und Farfarello rannten los. Crawford und Nagi hatten eine andere Route nach draußen gewählt, um sich und damit auch die Verfolger aufzuteilen. Sie bogen um die Ecke eines Containers. Beiden stockte der Atem, als sie sich unvermittelt einer ganzen Truppe Sicherheitsleute mit angelegten Waffen gegenübersahen. Schuldig erstarrte mitten in der Bewegung und hatte kaum noch Zeit, ein entsetztes Keuchen von sich zu geben. Ein „Nein!“ gellte in seinen Ohren.

 

... dann plötzlich nur noch Schwärze ...

 

Es ging erneut alles viel schneller als sein Verstand es erfassen konnte. Die völlige Dunkelheit, die über ihn hereinbrach und sich eng um ihn schlang, nahm ihm jegliche Orientierung. Im gleichen Moment zuckte er schon wieder zusammen, weil die Kugeln der Maschinengewehre um ihn herum wie Hagel auf ein Blech prasselten. Es war eher eine kurze Schwerelosigkeit, die ihm ein Gefühl des Fallens gab, welches gleich darauf von einem harten Aufschlag bestätigt wurde, den er mangels Bewegungsfreiheit nicht abfedern konnte. Er war nach hinten umgekippt.

Schuldig keuchte, völlig überfordert mit der ganzen Situation, noch bevor er seine Positionsänderung ganz realisiert hatte, und strampelte. Er war so eingepfercht, daß seine Ellbogen und Knie anstießen. Sein eigenes Ächzen klang in seinen Ohren unnatürlich dumpf. Und es machte ihn panisch, daß er nichts sehen konnte. Er lag im absoluten Dunkel auf dem Rücken, offenbar in einer Kiste, wie er beim Herumtasten bemerkte. Jedenfalls war er in alle Richtungen eng von Wänden umschlossen, massiv genug, um ihn auch vor den Gewehrsalven abzuschirmen. Was zur Hölle war das bitte? In was steckte er hier? Wo war er da reingeraten? War das eine Falle? Es war so furchtbar schnell gegangen. Aber wenn die Sicherheitsleute ihn derart bombensicher gefangen hätten, würden sie doch nicht mehr auf ihn schießen, oder? Ruhelos wanderten seine Hände weiter herum, auf der Suche nach einem Öffner oder Ausgang. Dabei zwang er sich, zumindest die letzten paar Augenblicke nochmal Revue passieren zu lassen. Er glaubte, daß er von etwas oder jemandem angesprungen worden war. Ja, von AX-4. Sie hatte sich ihm an den Hals geworfen, soviel hatte er noch mitbekommen. Um ihn mit ihrem eigenen Körper vor den Projektilen zu schützen. Von ihr war auch das gellende „Nein“ gewesen, das er gehört hatte. Aber wann genau war aus AX-4 die Metallkiste geworden, in der er jetzt steckte? Und vor allem, was war mit Farfarello? War der auch in so eingeengter Sicherheit?

Der Kugelhagel erstarb. Die Sicherheitsleute hörten auf, auf ihn zu ballern. Stattdessen gab es einige gequälte Aufschreie und würgende Geräusche, die Schuldig durch die Metallwände nur sehr gedämpft wahrnehmen konnte. Irgendjemand machte die smarten Burschen da draußen gerade gründlich platt.

Es folge eine Weile Ruhe. Mit gemischten Gefühlen lag der Gedankenleser da und konnte nicht viel mehr tun als zu warten, was als nächstes passierte. Was war das nur für eine kranke Mission hier? Jetzt war es ihm schon zum zweiten Mal passiert, daß er von den Ereignissen einfach gnadenlos überrollt worden war, weil alles viel zu schnell gegangen war, er die Kontrolle über die Situation verloren hatte und er nicht mehr Herr der Lage war. Das war unverzeihlich, wenn man in diesem Business arbeitete. Er erschrak tierisch, als es plötzlich an seinem Sicherheitsgefängnis klopfte.

„Eh, Schu', lebst du noch?“, rief jemand. Das war die Stimme von Farfarello. Schön, dann ging es dem also gut. Der war dem Kugelhagel irgendwie noch schnell genug entkommen, wie es aussah.

Schuldig schnappte nach Luft, um sich wieder zu beruhigen. „Ja! Nichts passiert!“, rief er erleichtert zurück.

„Kriegst du noch genug Sauerstoff da drin?“

„Ja. Aber es ist scheiße dunkel und eng hier, Mann! Wie in einem Sarg! Holt mich hier endlich raus!“

„Schon dabei. Kann aber ne Weile dauern“, gab jemand anderes zurück. Das war Crawfords Stimme. „Wir müssen erstmal sehen, wie man das Ding aufkriegt.“

Alter Schwede! Schuldig atmete tief durch und versuchte sich wieder zu entkrampfen und zu entspannen. Alles gut, es war vorbei. „Komm schon, Mädchen. Du darfst mich jetzt wieder frei lassen“, murmelte er, in der irrwitzigen Annahme, AX-4 würde es hören und der Bitte auch tatsächlich nachkommen. Wider Erwarten tat sich über ihm wirklich ein kleines Guck-Loch auf, das schnell größer wurde und nach der langen Dunkelheit hier drin fürchterlich blendete. Schuldig brauchte einige Sekunden, bis sich seine Augen an das Licht gewöhnten. Die Metallwände um ihn herum schmolzen förmlich weg wie Kerzenwachs im Feuer, und gaben ihn wieder frei.

Crawford schaute ihn verdutzt an. „Was hast du gemacht?“

Statt zu antworten – mit einer Antwort rechnete sowieso keiner – glotzten sie alle miteinander ratlos auf das Mädchen, das bewusstlos neben Schuldig auf dem Boden lag. Sie war alles, was von dem ganzen Spuk noch übriggeblieben war.

„Also eines scheint schon mal zu stimmen: Ihre Form ändern kann sie“, attestierte Crawford.

„Wie ist das möglich? Das ... ich meine ... wie soll das biologisch möglich sein? Erklär mir das mal auf ner wissenschaftlich haltbaren Grundlage!“, hielt der Gedankenleser ungläubig dagegen und rappelte sich vom Boden auf. Wie sollte ein Mensch – ein organischer, lebender Körper – auf Befehl zu einem Metallspint werden? Und dann wieder zu einem lebenden Menschen?

„Später. Wir müssen hier weg, bevor die Verstärkung kommt. Nimm sie Huckepack und komm in die Gänge!“

Schuldig warf einen nachdenklichen Blick auf das Blutrinnsal, das an Farfarellos Arm herunterlief, bevor er der Aufforderung nachkam. Er hatte einen Streifschuss kassiert. Auch wenn der weißhaarige Kerl keinerlei Schmerzempfinden hatte, sollte er beim Tragen des Mädchens besser nicht helfen.

„Sie macht nichts mehr. Ist die kaputt?“, wollte Farfarello skeptisch wissen.

„Das klären wir auch später! Hauptsache, wir haben sie erstmal.“

Schon wieder fielen Schüsse. Nagi riss den drei Verfolgern mittels seiner telekinetischen Kräfte ihre Gewehre aus den Händen und ließ diese in der Luft schweben. Die Waffen richteten sich auf ihre Besitzer und leerten ihre Magazine restlos in deren Körper hinein. Dann ließ Nagi die fliegenden Maschinengewehre fallen und rannte.

 

AX-4 stieg aus dem Wagen aus und schaute fragend an der Fassade des Wolkenkratzers hinauf. Sie hatte so etwas noch nie live gesehen. Aber sie wusste dennoch, was das war. Die Funktion von Bürogebäuden war ihr geläufig. „Wohin gehen wir?“, fragte sie interessiert nach, als die vier Männer, denen sie sich angeschlossen hatte, ohne Umwege auf den Eingang zuhielten und Crawford schon allen voran darin verschwand. Als sie wieder aufgewacht war, hatte sie sich in einem Auto befunden. Wo die Kerle sie überhaupt hinbrachten, war noch gar nicht thematisiert worden.

„Gut, daß du fragst“, entgegnete Schuldig. Er hatte langsam ein leicht mulmiges Gefühl, sowohl bei dem Gedanken an Takatoris Reaktion, als auch die Reaktion dieser Waffe, wenn sie gleich alles erfuhr. „Jetzt machst du mal mit unserem Boss Bekanntschaft. Er will dich gern kennenlernen.“

Das Mädchen nickte verstehend. „Will er mich verkaufen?“, hakte sie gelassen, aber ohne Umschweife, nach und ließ den sonst so vorlauten Telepathen damit schlucken. Sie konnte genau analysieren, was in ihm vorging. Sie wusste, daß er nichts Falsches sagen wollte. Daß er sie nicht verärgern oder gar verschrecken wollte. „Deshalb habt ihr mich doch aus dem Labor rausgeholt, oder? Euer Boss hat euch beauftragt“, fuhr sie selbst fort, um ihm den Eiertanz abzunehmen. „Und ich bin eine Waffe. Was soll er sonst mit mir wollen, außer Geld mit mir zu machen?“

„Du siehst das aber sehr nüchtern ...“, kam Schuldig nicht umhin zu bemerken. Er hatte mit einer stärkeren Emotion ihrerseits gerechnet, wenn sie davon erfuhr. Immerhin hatte er ihr nicht offenbart, daß sie eigentlich seine Gefangene war. „Ich weiß ehrlich gesagt noch gar nicht so genau, was er mit dir will. Vielleicht will er dich auch behalten und selber einsetzen.“

„Egal. Mich zu behalten oder meistbietend zu verkaufen, wird ihm alles beides nicht möglich sein“, klärte AX-4 ihn auf und marschierte schnurstracks durch die Tür ins Gebäude hinein. „Ich bin jetzt auf dich personalisiert. Ich kann von niemand anderem außer dir mehr eingesetzt werden.“

„Das ... ist gar nicht gut“, urteilte Schuldig mit einschlafendem Gesicht.

Crawford, der es trotz seines Vorsprungs ebenfalls gehört hatte, blieb alarmiert stehen und schaute zu den beiden zurück. Takatori hatte gesagt, daß AX-4 auf einen Menschen eingerichtet werden konnte, dann nur noch von demjenigen steuerbar war, und demzufolge nutzlos für ihn werden würde. „Was meinst du damit: personalisiert?“

„Um mich als Waffe bedienen zu können, muss ein Mensch eine mentale Brücke zu mir aufbauen. So kann ich seine Gehirnaktivitäten auslesen und damit seine Befehle entschlüsseln und umsetzen. In der Forschungseinrichtung bin ich eine telepathische Kopplung mit Mastermind eingegangen, um ihn vor den Gewehrkugeln schützen zu können. Dadurch bin ich jetzt an ihn gebunden. Die Verbindung zwischen uns steht immer noch und wird auch so bleiben. Ich gehöre ihm jetzt. Ich kann mich an niemand anderen mehr heften, denn sowas geht logischerweise nur mit einem einzigen Menschen. Ich kann nicht die Befehle mehrerer Leute gleichzeitig verarbeiten, weil die niemals deckungsgleich sind und ich deshalb nicht wüsste, auf wen ich hören soll.“

„Du ... gehörst ihm?“, betonte Crawford ungläubig.

„Das ist das treffendste Wort dafür, ja. Mastermind ist der einzige, der mich jetzt noch einsetzen kann. Ich bin an ihn gebunden.“

„Du, ähm ... Du kannst Schuldig zu mir sagen. 'Mastermind' ist nur ein Codename“, warf der Telepath überfordert von der Seite ein, wohl wissend, daß das gerade sein geringstes Problem war. Takatori würde ihn umbringen!

„Ich nehme wohl an, das lässt sich nicht rückgängig machen?“, fragte Crawford nach. Dabei kannte er die Antwort quasi schon.

AX-4 schüttelte bestätigend den Kopf. Die Personalisierung war endgültig. Die konnte man nicht wieder löschen, wenn sie einmal fixiert war. Jedenfalls nicht in einer Weise, daß sie hinterher noch als Waffe zu gebrauchen gewesen wäre.

Farfarello ließ einen Puh-Laut vernehmen. „Schon ´ne Idee, wie wir das dem Boss erklären sollen?“, wollte er wissen, als würde er Crawford unterstellen, nicht selber schon fieberhaft darüber nachzugrübeln.

 

„Nichtsnutze! Versager!“ Takatori holte mit dem Golfschläger aus und drosch ihn Schuldig mit solcher Wucht ins Gesicht, daß es diesen der Länge nach zu Boden schickte.

Crawford zog Luft durch die Zähne und eine seiner Hände zuckte Einhalt gebietend hoch, aber er bremste sich gerade noch rechtzeitig. Takatori sollte man lieber nicht dazwischenfunken, wenn er sauer war. Auch wenn Schuldig ihm echt leidtat. Es war immerhin nicht das erste Mal, daß der arme Kerl den Schläger ins Gesicht bekam. Ihr Boss Takatori nutzte dieses verdammte Ding oft und gern, um seinem Unwillen die nötige Würze zu verleihen.

Der schon etwas in die Jahre gekommene Mann mit den grauen Schläfen setzte stinksauer nach, holte erneut aus und wollte weiter auf den am Boden liegenden Telepathen einprügeln, aber da wurde sein Schlagwerkzeug mit einem harten Ruck gestoppt, der ihm wie ein Schock durch die Schultergelenke und den halben Rücken fuhr. Wütend sah er sich um.

AX-4 hatte das obere Ende des Golfschlägers mit einer Hand ergriffen und hielt fest. Mit einer erstaunlichen Kraft, die es Takatori unmöglich machte, ihr den Schläger wieder zu entreißen. „Tu das nochmal und du bist tot!“, drohte das Mädchen düster.

Der Gangsterboss gaffte sie perplex an, völlig entgeistert von so dreisten Drohungen. Keiner seiner Untergebenen hatte es jemals gewagt, solche Töne zu spucken, oder ihn auch nur so respektlos zu dutzen.

Unterdessen setzte sich Schuldig mit einem genervt-schmerzlichen Laut zumindest wieder auf und fuhr sich mit dem Handrücken über die getroffene Wange. „Schon okay. Lass gut sein, Kleine“, seufzte er dabei.

„Nein, lasse ich nicht“, entschied AX-4 böse. „Ich habe mich verpflichtet, dich zu schützen. Ich dulde nicht, daß dir jemand etwas antut. Sollte das jemand versuchen, wird derjenige nicht lebend davonkommen.“

„Lass den Mist! Das ist unser Boss!“

„Ist mir egal! Ich töte auch euren Boss, wenn es sein muss! Niemand legt Hand an meinen Meister!“

„Meister, ja?“, machte Schuldig, schlagartig amüsiert, und kämpfte sich wieder auf die Beine. So unpassend das auch gerade war, aber das gefiel ihm.

„Hinterhältige Brut!“, fluchte Takatori und zerrte aggressiv an seinem Golfschläger. Als AX-4 diesen daraufhin losließ, stolperte er von seinem eigenen Schwung getragen ein paar Schritte durch das Büro. Er tobte und wetterte noch aufgebrachter herum als vorher schon, aber da sich das sonderbare Mädchen mit verschränkten Armen vor Schuldig aufbaute wie ein Bodyguard, verpuffte sein Gewittersturm machtlos. An den elenden Telepathen kam er nicht mehr heran, um seine Wut an ihm abzureagieren. Und direkt an AX-4 wollte er sich lieber nicht versuchen. Er wusste, wenn auch nur die Hälfte der Gerüchte stimmte, würde er das tatsächlich nicht überleben. Und er kannte wesentlich mehr Gerüchte über diese Waffe als seine Spezialtruppe selbst.

„Hören Sie zu, Takatori, ich mache Ihnen einen Vorschlag“, mischte sich Crawford irgendwann aus dem Hintergrund ein, um dem ganzen Tumult endlich einen Riegel vor zu schieben. Der Boss war in dieser Laune einfach unerträglich. „AX-4 ist jetzt auf Mastermind geprägt. Was soll´s. Zu ändern ist es offenbar erstmal nicht mehr. Aber sie ist Ihnen immer noch von Nutzen. Mastermind untersteht schließlich Ihrem Befehl, also AX-4 automatisch mit. Wenn Sie mit AX-4 irgendwelche Pläne haben, dann sagen Sie ihm doch einfach Bescheid. Er wird halt nur mitgehen müssen, wenn Sie die Waffe irgendwo hin kommandieren wollen. Aber ansonsten gibt es damit keine Probleme. Sie steht Ihnen trotzdem voll zur Verfügung.“

„Und wenn ich sie verkaufen will!? Darf ich den Idioten dann etwa mitverkaufen, ja!?“

Schuldig schnappte sauer nach Luft, war aber klug genug, sie als tiefes Durchatmen wieder loszuwerden, statt etwas zu erwidern.

„Er hat das ja nicht mit Absicht gemacht!“, diskutierte Crawford weiter. „Die Waffe hat von selber entschieden, sich an ihn zu binden.“

„Seit wann treffen Waffen selber Entscheidungen!?“, jaulte Takatori hysterisch auf und fuchtelte schon wieder mit seinem Golfschläger herum.

„Die hier ist eben ...“

„RAUS!!! Alle! Raus aus meinem Büro! Ihr unnützes Ungeziefer!“, schrie der Boss. Er versuchte, den Stiel seines Schlägers zu verbiegen, um seiner Wut irgendein Ventil bieten zu können, aber natürlich hielt der massive Stahl ihm trotzig Stand. „Ihr hört von mir, wenn ich entschieden habe, wie es mit der Waffe weitergehen soll. Haut jetzt ab!“

 

Schuldig fuhr sich erneut mit den Fingerspitzen über das schmerzende Jochbein, während er durch die Gänge lief. „Dieser verdammte Penner“, maulte er dabei schlecht gelaunt vor sich hin. Das wurde garantiert ein satter, blauer Fleck. Takatori war echt ein Arschloch von einem Boss, selbst nach Gangster-Maßstäben. Wieso nur hatte er sich von Crawford breitschlagen lassen, sich in geschäftliche Beziehungen zu diesem Kerl mit hineinziehen zu lassen?

„Bist du in Ordnung?“, wollte AX-4 von ihm wissen.

„Ja-ja. Halb so wild.“

„Tut mir leid, daß ich nicht schneller reagiert habe. Nochmal wird er das nicht tun.“

„Was machen wir jetzt?“, hakte Farfarello in neutraler Tonlage nach.

„Feierabend!“

„Ich meine mit ihr!“, präzisierte er und deutete mit seinem verbliebenen, gelben Auge auf AX-4. Ihm wäre es ja am liebsten gewesen, sie wegzusperren. Aber da er nicht wusste, wie die anderen darüber dachten, behielt er diesen Vorschlag erstmal für sich.

„Ich werde sie wohl mit zu mir nach Hause nehmen“, legte Schuldig fest.

Crawford atmete nachdenklich durch. „Finde ich nicht gut.“

„Wieso nicht? Ist ja jetzt schließlich meine Waffe, wenn ich das richtig verstanden habe. Und ich habe den Verdacht, daß sie sich sowieso nicht von mir trennen lässt.“

AX-4 nickte bekräftigend. Das hatte er verdammt richtig erkannt.

„Schuldig, irgendwas stimmt mit ihr nicht!“, hielt Farfarello ihm vor, als stünde das Mädchen gar nicht daneben und würde alles hören.

„Natürlich nicht!“, meinte der Telepath in einem Tonfall, der an den Verstand seines Gegenübers appellierte. „Sie ist eine im Labor gezüchtete Waffe. Was erwartest du?“

„Von ihr gar nichts! Aber du, du könntest etwas vorsichtiger mit ihr sein. Du kennst sie nicht. Du vertraust ihr zu sehr, wie mir scheint.“

„Sie hat mich vor der Medi Tec Security und vor Takatori gerettet. Ich finde, ich habe keinen Grund, ihr nicht zu vertrauen.“

Alle Augen, auch die von Nagi, der sich aus der Debatte gänzlich heraushielt, richteten sich wartend auf Crawford. Der Hellseher seufzte innerlich und bedachte das Mädchen mit einem langen, abschätzenden Blick. Was blieb ihm schon übrig? Die Waffe hatte selber kundgetan, daß sie sich von ihrem 'Meister' nicht fernhalten lassen würde. „Nimm sie mit“, entschied er etwas unglücklich. „Aber nimm dich bitte ein bisschen in Acht, Kumpel. Wie Farf´ schon sagt: ein normaler Mensch ist sie nicht.“



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