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Die Chroniken der Vier Jahreszeiten

Winters Passion
von

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Sommer I

Vorbei am Gelächter, den Tänzen, den freudigen Gesängen. Den Hügel hinunter, weg von den Sommerlingen, die sich paarweise eingefunden hatten und sich immerzu im Kreise drehten; den Sommeranfang bejubelnd, ihr Beisammensein besangen. So viel Freude, so viel Glückseligkeit. Da gab es keinen Platz für finstere Gedanken, Sorgen und Ängste.

Weiter ging es über die weiten Wiesen, weiter über die Schlafplätze, die für die Jüngsten bestimmt waren und dort nach Vollendung der Sommersonnenwende zu ruhen hatten. Weiter, immer weiter, bis er schließlich zu einem Bach gelangte. Flaches Gewässer, das seit Sommerbeginn zu schrumpfen begonnen hatte, aber noch genug Wasser zur Erfrischung bereit stellte. Auf halbem Weg kam der Mischling ins straucheln, rutschte über ein feuchtes Stück Erde und landete auf Knien neben dem plätschernden Bach. Außer Atem zerrte er an seinen Handschuhen, dass sie achtlos zu Boden fielen und tränkte die bemalten Finger in die kühlende Nässe. Hektisch rieb er beide Hände aneinander, schrubbte die Farbe von seiner Haut, bevor er sich die Tropfen ins Gesicht klatschte. Er betete, die Farbe möge ihm endlich aus dem Antlitz weichen. Was war das, dass Hiemes' Hand ihn immerzu strafte? Das bunte Pulver, das ihn wieder einmal als einzigen von seinen Vettern unterschied - und ihm so schwer von der Haut abgehen wollte als triebe es seinen Spott mit dem jungen Burschen.
 

Das eigene Spiegelbild vor Augen ließ die Faust auf die Wasseroberfläche schlagen. Er verabscheute sich, seine Herkunft und alles, was ihm Schlechtes eingebracht hatte. Sein Spiegelbild vereinte die Dinge, die er gut in seinem Inneren zu verstecken wusste.

Einmal tief eingeatmet, den Geist sortiert.

Winso wartete, bis sich das Gewässer beruhigt hatte und fuhr mit seiner Arbeit fort. Wenn er die Farbe nicht bald abbekäme, müsste er mit dieser Schmach heimkehren. Noch dazu die Blicke der Winterlinge, wenn sie erst einmal bemerkten, dass Winsos Haut keinen natürlichen Eisschutz zustande brachte. Er konnte froh sein, dass man ihm den Abend über keine Beachtung geschenkt hatte. Konnte es doch etwas Gutes mit sich bringen, der Schandfleck des Reiches zu sein, um den sich keiner scherte. Aber das würde nicht für Lange sein. Sobald jemand die Mahle bemerkte, würde das Gerede beginnen. Der junge Mischling wollte unter keinen Umständen Ärger bereiten, der die Königsfamilie in ein schlechtes Licht rückte. Besonders seinem Cousin wollte er keine Schande sein, war dieser den ganzen Abend bemüht gewesen, Winsos Gefühle im Zaum zu halten. Nein, er durfte Tyledion nicht enttäuschen! Das hatte er sich damals geschworen und er würde sich auch heute zusammennehmen.
 

Mit den Nägeln kratzte er sich das Orange von den Wangen, dass seine Mühen langsam Früchte trugen. Der letzte Farbfleck, ein gerader Strich, der ihm über die Schläfe ging - nur noch diese eine Stelle und er war sie endlich losgeworden.

Er blinzelte als die Wasserspiegelung einen zweiten Schatten entstehen ließ. Das Flimmern der Schröpflinge offenbarte nur langsam die Schattengestalt. Schließlich stand sie genau hinter ihm, dass er ihren Atem ausmachen konnte. Sein Körper erstarrte.

"Winso", hörte er sie sagen. Das Gesicht dieses weiblichen Sommerlings - sie hatte neben der Königsfamilie gestanden. Die Schwester des Sommerkönigs. Ihre zittrige Stimme jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Winso erhob sich.

"Ich", hauchte sie, ihr tiefstes Verlangen unterdrückend. Ihre linke Hand streckte sie nach dem Mischling aus. Dieser schüttelte vehement mit dem Kopf. Der Anblick, der sich ihm bot, zerfraß ihn von innen. Die trüben Augen, die nach seinen Blicken suchten - sie waren voller Trauer und Mitleid. Winso konnte sie nicht länger ertragen.

"Winso, bitte...ich-" Doch er schlug ihre Hand von sich. In seinem Blick setzte er die letzten Reserven an Emotionslosigkeit, die er noch aufbringen konnte. Stampfend kehrte er ihr den Rücken zu und lief in Richtung Feierlichkeiten.

Trauer und Hilflosigkeit blieben am Ufer des Baches zurück.
 

Am anderen Ende flitzten die nackten Beine der Sommerprinzessin über den saftigen Rasen ihres Landes. Über die Klatschmohnwiese hangelten sich die Stiele um ihre Waden, während sich der Duft in Myosos Kleidern verfing. Es kümmerte sie nicht, dass die Pollen schwarze Flecke auf ihren Armen hinterließen oder die feuchte Erde ihre Füße beschmutzte, dass sie leicht ins rutschen geriet. Sie rannte einfach weiter. Den kleinen Widerständen zum Trotze, denen sie ihr Verlangen nach Aufmerksamkeit nicht grollte. Mit einem Lächeln - obwohl sie es am liebsten vor Freude hinausposaunt hätte, wenn sie denn nicht Gefahr gelaufen wäre, entdeckt zu werden - stürmte sie voran.
 

Dass sie sich einfach davon gestohlen hatte - sie, die Sommerprinzessin - daran wäre zur letzten Sommersonnenwende nicht einmal zu denken gewesen. Doch sie musste die Gelegenheit nutzen. Der Moment, in dem ihre Anwesenheit keine Notwendigkeit mehr darstellte. Sie bot sich ihr erst kurz vor Sonnenaufgang. Wenn die Feierlichkeiten sich dem Ende neigten, ihre Pflichten als älteste Königstochter beendet waren, erst dann war es der Sommerprinzessin möglich, sich frei in ihrem Reich zu bewegen - ihrem sehnlichsten Wunsch nachzugehen.
 

Vom stillen Wind getragen, der sanft ihre Haare hin und her wiegte, rannte sie über die nächste Wiese, vorbei an den Obstbaumplantagen und den Glockenblumen-Feldern, dessen Blätter Myosos Ankunft mit einem fröhlichen Rascheln huldigten. Hätte sie die Zeit, wäre die Prinzessin stehen geblieben, hätte den zarten Blüten ob ihrer jüngsten Auferstehung etwas vorgesungen. Die Zeit im Nacken, die sich mit der ersten Morgenröte verabschiedete, eilte sie einfach an ihnen vorbei und versprach im Geiste, sich nachher um sie zu kümmern.

Schließlich gelangte sie in jene Tiefen des Sommerreiches, die nur von den wenigsten aufgesucht wurden. Kurz vor den Hügeln, auf denen die Grenzen des Herbstreiches zu erblicken waren, gab es nur wenig von Mutter Naturs Schönheit zu entdecken. Dort, wo sich das Gras kaum mehr grün färbte, ragten ein dutzend Buchen in über vierzig Meter Höhe empor und spendeten an besonders heißen Tagen den nötigen Schatten.

Myoso wurde nicht langsamer. Selbst als sie dem letzten Sommerling nahe der Glockenblumen den Rücken gekehrt hatte, trugen sie die unsichtbaren Flügel der Vorfreude. Umringt von Dunkelheit, da sich kein Schröpfling hierher zu wagen traute, lief sie mit offenen Augen durch die Nacht. War ihr im Sommerreich jeder Winkel, jedes Fleckchen Erde wohl bekannt, dass sie sich einfach von ihrem Gefühl leiten ließ, der sie in einem einzigen Moment der Überraschung in die Arme Tyledions trug, der nahe der hintersten Buche auf sie gewartet hatte. Wie ein Wirbel drehte er die leichtfüßige Sommerprinzessin, dass sie sich an seine Schultern krallte und den kühlen Lufthauch um seine Aura genoss. Fest presste sich ihr Körper an seinen, woraufhin er Myoso zurück auf den Boden stellte. Ihr Gesicht drückte sich an seine Brust, dass sie einzig dem wachsenden Leuchten seines Innersten zusehen wollte, das sich seit ihrer Ankunft aus seiner Eisesstarre gelöst hatte. Wie ein Knoten war die Zurückhaltung geplatzt, dass Tyledions Leuchten eine ganz eigene Wärme schuf. Kein Bild liebte die Sommerprinzessin mehr als dieses.

Indem er seine Arme behutsam um sie legte, führte er Myoso unter die hängenden Zweige der Buche, die sich seit Beginn des Sommers nicht mehr regten. Sie ließen sich nieder, ihre Körper stützte der kräftige Stamm, der von den Jahrhunderten gestärkt wurde.

Tyledion streifte sich die Handschuhe ab und legte sie auf den Boden. "Endlich", damit strich er mit den Fingern über ihren Arm. Sie hatte so unfassbar weiche Haut, die er auf jede erdenkliche Weise erkunden wollte. Den Kopf auf seine Schulter gelegt gab sie ein zufriedenes Seufzen von sich.

"Ich fürchte", begann sie verträumt ihre Gedanken auszusprechen, "wir haben etwas viel Aufmerksamkeit auf uns gezogen. Es war schwer, die Fassung zu wahren. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn du keine Handschuhe getragen hättest."

"Verzeih', ich musste es einfach tun", entgegnete er und sah zu ihr hinunter, "wenn mein Handeln nicht ganz uneigennützig gewesen war. Schließlich schien mir euer Generalssohn ganz erpicht gewesen zu sein, den ersten Tanz mit dir zu genießen."

"Bist du eifersüchtig?", kicherte Myoso, die sich ein derartiges Verhalten nicht vorstellen konnte. Nicht ihr Tyledion.

"Ich beneide jeden, der deine Nähe offenkundig ersuchen darf."

"Ach, Tyledion", sie strich ihm über den steifen Stoff seiner Uniform, "wenn es doch nur anders wäre." Ein Anflug von Traurigkeit packte sie. Sogleich fuhr er mit der Hand über ihren wallenden Schopf.

"Mein Versprechen", sagte er, "ich werde es halten. So wahr Mutter Erde über uns wacht. Ich brauche nur etwas Zeit. Ich bitte dich, gewähre sie mir. Der Augenblick muss gut durchdacht sein."
 

Seit einiger Zeit hatte der Winterprinz einen Plan, dessen Umsetzung ihm viel Geduld, Wissen und Training abverlangte.

Es lief darauf hinaus, dass er seinen Vater zum Duell um die Krone herausfordern musste. Wie es die Tradition des Wintervolkes verlangte, musste der künftige Thronerbe sein Können unter Beweis stellen. Erachtete ihn der Stab für würdig, bevor der König seinen Sohn besiegte, gehörte ihm mit sofortiger Wirkung die Regentschaft. Normalerweise kam ein Machtkampf unter den Königskindern einem Duell zuvor. Söhne bekriegten sich untereinander, was im Laufe der Geschichte zu unzähligen Tragödien geführt hatte. Als Einzelkind blieben dem Winterprinzen derartige Intrigen erspart, was ihn sein unmittelbares Recht auf eine Herausforderung gegen den König einräumte - wenn nicht sogar gänzlich erspart bliebe. Tyledions Pläne jedoch machten einen nahtlosen Übergang fast unmöglich. Nur wenn er seinen Vater besiegte, würde er in der Lage sein, Forderungen zu stellen. Forderungen, die ihm sonst niemand durchgehen ließe. Schließlich strebte er eine Vermählung mit der Sommerprinzessin an, die ihm König Asparagos aus freien Stücken niemals erlauben würde. Mit einem eindeutigen Sieg gegen seinen Vater konnte er ihm ein Ultimatum stellen, gegen das der Winterkönig nichts unternehmen könnte.

Sein Plan - so durchdacht er war - hatte nur einen Haken; und dieser war nicht zu unterschätzen. Ein Sieg gegen König Asparagos war zum derzeitigen Moment schwer zu realisieren, wenn nicht sogar ein Akt des Unmöglichen. Waren Tyledions Winterfähigkeiten eines königlichen Nachfahrens würdig, war ein Duell gegen seinen Vater nur mit viel Glück zu gewinnen. König Asparagos war ein harter Kämpfer, der einst gegen seinen noch härteren Vater bestanden hatte. Ihn mit klassischer Magie zu überlisten, wäre ein mehr als törichter Gedanke.

Tyledion musste ihn auf andere Weise besiegen - worin ihm niemand sonst das Wasser reichen könnte. Und der Winterprinz hatte einen Weg gefunden. Doch für diesen war er noch nicht vollends gewappnet, dass er weiter an sich arbeiten musste.
 

"Ich werde warten, solange es nötig ist", sagte Myoso, die ihn mit einem Lächeln anstrahlte, welches ihn glauben ließ, dass sie ihn mit seinen Worten nicht nur zu besänftigen versuchte. Behutsam drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn. Er wusste, wie schwer es ihr fiel, Stillschweigen zu wahren. Myoso war niemand, der Geheimnisse mit sich trug - schon gar nicht gegenüber ihrer Familie, die sie unter keinen Umständen verletzen wollte. Für Reue gab es jedoch keinen Platz. Ihre Zukunft war besiegelt. Sie hatte sich für ihn entschieden - und den daraus entstandenen Hindernissen. Die Prinzessin des Sommers glaubte fest daran, dass sie Verständnis erfahren würde, wenn der richtige Augenblick gekommen wäre. Ihr steter Glaube ließ einen Funken des Leuchtens aus ihrer Brust treten, der sich neben sie niederließ. Ein kleiner zarter Keimling kam zum Vorschein, dessen Blätter zaghaft den Boden berührten und schließlich seine Blüten nach allen Seiten ausstreckte. Das Gänseblümchen sog das Leuchten gänzlich in sich auf. Das Weiß seiner wimpernhaften Blüten war so klar, dass sich Myoso an ihrer Reinheit erfreute. Auch Tyledion blickte zu der unscheinbaren Blume hinunter. Mit der freien Hand griff er nach dem Stiel und knickte ihn vorsichtig ab. "Keine Sorge", sagte er und legte die Blüte auf die Innenfläche seiner Hand, "ihr wird nichts geschehen." Ein nebelartiges Gemisch bedeckte das Gänseblümchen, bevor es zu einer festen Eismasse heranwuchs, das sich um die Blüte legte.

"Das ist kein gewöhnliches Eis. Es kann nicht schmelzen, egal wie stark die Sonne darauf scheinen mag. Und der Blüte fügt sie keinen Schaden zu." Dabei zog er mit der anderen Hand einen Faden aus seinem Ärmel, den er mit dem Eis, das die Form einer ovalen Scheibe angenommen hatte, verband. Er überreichte Myoso den Anhänger. "Die Winterlinge unseres Volkes machen nur einmal in ihrem Leben dieses Geschenk."

"Das ist eine wundervolle Tradition", hauchte die Sommerprinzessin und legte sich die Kette um den Hals, das sie unter dem Stoff ihres Gewandes in Sicherheit war. Das Eis fühlte sich ungewohnt warm auf ihrer Haut an, dass sie schützend ihre Hand auf die Stelle legte und die Augen schloss.
 

Zur selben Zeit: Menschenerde, Winter-Territorium
 

Den Berg erklommen blickten die Meeres gleichen Seelenspiegel des Winterkönigs in die Mittagssonne der menschlichen Welt. Der meterhohe Schnee knackte unter seinen Stiefeln als wollten sie ihren jüngsten Unmut bekunden. König Asparagos schritt weiter, die Felsspalten entlang, dass er schließlich auf einen weitaus höheren Berg zulief. Wolkenschwaden bedeckten seine herrschaftliche Gestalt als er die Spitze erklomm.

"Mein König", brummte es aus den Tiefen des Schnees. Der Winterkönig sah hinauf.

"Wie geht es dir, alter Freund", begrüßte der Herrscher des Winters den ältesten Bergriesen auf Menschenerde.
 

Bergriesen - gewaltige Gesteinswesen, deren Seelen im tiefsten Inneren der Berge Zuhause waren.
 

"Unverändert, mein König", entgegnete der Bergriese und gab ein Schnauben von sich, "anfangs genoss ich den Sonnenschein - du weißt, wie viele Jahrhunderte ich keinen zu Gesicht bekommen habe. Doch es ist schwer geworden." Der Berg begann zu beben, dass die Schneedecke vor Aufregung ein Stück nach unten rutschte. "Der Druck lastet mir auf den Schultern, dass ich keine Ruhe mehr finden kann. Und der Pakt mit den Wesen - es wird von Jahr zu Jahr schwerer, ihn einzuhalten."

Daraufhin sah der Winterkönig hinunter zu den Eisschollen, welche den Ozean eingebettet hatten. Seine wachsamen Augen erblickten die Wesen seines Herrschaftsgebiets, die in dieser Welt als Tiere bezeichnet wurden. König Asparagos sah zurück zu dem Bergriesen. "Es tut mir Leid, dass ich in meiner Geistergestalt nichts für dich tun kann. Aber ich verspreche dir, dass ich schon sehr bald etwas unternehmen werde."

"Danke, mein König."

"Majestät?"

Dabei klopfte es dreimal an die Tür des Beratungsraumes. Seine Augen wurden kühl. Er hasste nichts mehr als gestört zu werden - egal, wie dringlich es war.

"Du wirst gerufen?", fragte der Bergriese, der die Geräusche auf der anderen Seite nicht hören konnte, jedoch sehr genau wusste, warum die Laune seines Königs sank.

"Leider", sagte der Winterkönig, wobei ein leichtes Knurren seiner Stimme entfleuchte, "wir werden unser Gespräch verschieben müssen. Aber sorge dich nicht weiter, mein Freund, dir wird bald Linderung widerfahren."

"Ich weiß, auf dein Wort ist verlass", brummt der Bergriese und legte seine Seele zur Ruhe.
 

Der Winterkönig sog die kalte Luft seiner Wintermagie ein. Sein Geist fand zurück in dessen Körper, dass Asparagos die Augen öffnete und die Tür seines Beratungsraumes erblickte, hinter welcher sich der Störenfried befand.

"Komm' rein, Wächter Stipan", sprach er, ohne sich von seinem Platz zu erheben.
 

König Asparagos saß am Ende des Raumes, hinter einem schlichten Schreibtisch, der von Fichtenholz und Eiszapfen getragen wurde. In der Mitte des Zimmers befand sich eine große runde Tafel, die lediglich während diverser Beratungszwecke ihren Nutzen fand.
 

Vorsichtig öffnete sich die Tür. Der zweite Wächter des Winters lugte hervor, sichtlich verunsichert, ob der üblen Laune seines Königs, die er selbst zu verschulden hatte.

"Bitte verzeih' die Störung", Wächter Stipan tat eine tiefe Verbeugung als wollte er den Boden zu seinen Füßen küssen. Erst als König Asparagos mit seiner rechten Hand winkte, schloss der kleine, hagere Winterling die Tür und schritt auf seinen König zu.

"Ich bringe Kunde über die Sommersonnenwende, mein König."

"Ich wüsste nicht, was du mir erzählen könntest, um mein Interesse zu wecken", entgegnete der Winterkönig und sah seinem Gegenüber eiskalt in die Augen, "ich habe dir lediglich die Aufgabe übertragen, dafür zu sorgen, dass keiner meiner Untertanen außerhalb der Reihen tanzt."

"Das habe ich auch getan", nickte der Winterwächter mehrmals, "und du weißt, wie schwierig es für mich war, dieser Aufgabe nachzukommen. Als Monatswächter ist es mir streng verboten, meinen Platz am Tag der Sommersonnenwende zu verlassen, geschweige denn mich in die Feierlichkeiten unter zu mischen. Nur mit Mühe habe ich mich unbemerkt in das Sommerreich zurück schleichen können-"

"Deine Leidensgeschichte interessiert mich nicht, Wächter."

"Natürlich, natürlich", verneigte er sich hektisch, wobei er ein gezwungenes Lächeln aufsetzte und weiter erzählte, "während ich mich umgesehen habe - und das habe ich so gut es mir möglich war, das kannst du mir glauben - nun, da entdeckte ich etwas, von dem ich nie glaubte, es vorzufinden-"

"Komm' auf den Punkt", raunte König Asparagos, der allmählich die Geduld verlor, dass kleine Eiskristalle über das Fichtenholz in Richtung des Winterwächters wanderten. Der Wächter ging einen Schritt zurück.

"M-magie, mein König. Wintermagie, die nicht angebracht ist. Zumindest nicht im Sommerreich." Die Eiskristalle explodierten nacheinander, dass Wächter Stipan die Arme verschränkte - nur für den Fall, dass der Winterkönig seinen Unmut an ihm ausließe.

"Bist du sicher", König Asparagos klang unverändert, obwohl seine Seelenspiegel so dunkel wurden, dass sie kaum mehr als Blau zu erkennen waren.

"Sehr sicher, mein König", antwortete Wächter Stipan, der den Blicken des Winterkönigs auswich. Konnten die leeren Augen genauso angsteinflößend sein wie dessen Wintermagie.

"Weißt du auch, wer es war?"

"L-leider nicht, Majestät. Die Magie war sehr schwach. Es ist geradezu ein Wunder, dass ich sie entdeckt habe. Noch dazu im Geheimen-"

"Und dir ist nichts Verdächtiges aufgefallen?"

"Mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln war nichts Auffallendes zu erkennen gewesen. Jeder der Anwesenden ist zusammen mit der Königin und dem Prinzen heimgekehrt. Wenn du mich fragst-"

"Das genügt", König Asparagos' Stimme hallte durch den Raum. Die hagere Gestalt des Wächters erzitterte bei den Schwingungen, die seine Worte mit sich brachten.

Schweigen folgte. Der Winterkönig ging seinen Gedanken nach, die seinen Gegenüber nichts anzugehen hatten. Er wusste, er konnte sich Zeit nehmen. Wächter Stipan würde sich nicht einen Zentimetern von der Stelle bewegen, ehe der König es ihm erlaubte. Doch die Gegenwart dieses Wichts machte es ihm schwer, ruhig nachzudenken. Also erhob sich der König und zwang den Winterwächter zwei weitere Schritte auszuweichen. Nur, um genügend Distanz zu wahren, die von beider Vorteil war.

"Du", sprach König Asparagos zu dem Hageren, "wirst umgehend herausfinden, welcher meiner Untertanen sich erneut des Verrats schuldig gemacht hat."

"Wie du wünschst, mein König", senkte der Wächter sein Haupt, "es wird nicht leicht werden - immerhin gibt es noch meine Aufgaben als Monatswächter...a-also nicht, dass ich mich nicht deinen Befehlen beugen werde. Natürlich stehen meine Pflichten gegenüber der Krone über allem. Dessen kannst du dir sicher sein", er rieb sich die Hände und startete einen kläglichen Versuch, nicht verängstigt auszusehen, "ich bitte dich nur, dies zu berücksichtigen, sollte ich den Verräter ausfindig machen-"

"Sprich' schon aus, was du willst", König Asparagos sah den zweiten Wächter von oben herab an.

"Wenn du mich so fragst", sein Lächeln glich einer schmallippigen Fratze, "würde ich mich geehrt fühlen, wenn du mich kommenden Winter für die Wahl des ersten Winterwächters berücksichtigen würdest. Ich denke, die Jahre haben gezeigt, dass ich mich der Aufgabe als würdig erweise." Dabei sah er scheu zu dem Winterkönig hinauf, der ihn längst durchschaut hatte. Doch für's erste wollte er nur diese Unterhaltung hinter sich bringen.

"Ich werde darüber nachdenken", sagte der Winterkönig und deutete auf die Tür, "und jetzt geh' und stör' mich nicht länger."

"Danke, mein König", verbeugte sich Wächter Stipan, während er gleichzeitig rückwärts Richtung Tür schlich, "ich werde mich sofort ans Werk machen."



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Rina2015
2021-11-15T07:41:31+00:00 15.11.2021 08:41
Das ist wirklich eine sooooo unglaublich schöne fanfiction!!!! Sie ist mit Abstand meine Liebste!!!!! Mach genauso weiter!!!! 😊
Antwort von:  Lady_of_D
23.11.2021 10:13
Süß von dir 😊 danke
Also ich bin fleißig dabei - trotzdem wird es noch ein bisschen dauern, bin gerade im Stress🙈
Liebe Grüße
Antwort von:  Rina2015
23.11.2021 15:47
Gerne 😁😊
Oke...... Ich hoffe der Stress ist bald vorbei! Unabhängig vom nächsten Kapitel 😅🤣
Ich werde es mit Freude lesen.... Egal ob du es morgen, erst in einem monat oder sonst wann veröffentlichst!😊


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