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Die Chroniken der Vier Jahreszeiten

Winters Passion
von

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Sommersonnenwende II

Wie sich das Wintervolk durch die Palastflure führen ließ, ihre Blicke kühl, dass sie den Meter dicken Eisschollen, die sich wie eine Mauer um den Boden ihres Reiches ausbreiteten, alle Ehre machten - ruhten zwei Augen unablässig auf den fein gewebten Teppichboden.

War Winso nie ein Winterbewohner, dem die sagenumwobene Beherrschung seiner Kräfte zuteil geworden war, so hatte er doch stets seinen Cousin als Vorbild. Ihn nicht zu enttäuschen, trieb den ungewollten Mischling dazu an, immer weiter an seinem guten Willen festzuhalten. Sich weiterhin zu bemühen - unablässig dem Gerede der anderen.

Nicht dieses Mal. Nicht mit diesem seltsamen Gefühl in der Brust. Als wollte sein Innerstes den Körper verlassen. Er konnte es nicht abstellen. Aber wieso? In vibrierenden Schwingungen kämpfte das Leuchten gegen die Unterdrückung des Widerstands. Es wollte ausbrechen. Nicht, wie die Male zuvor, an denen er stets ein Rettungsseil vor sich hatte. Diesmal gab es nur den Boden zu seinen Füßen, dessen bunte Farbenpracht ihn zu verschlingen drohte.
 

Wie, in Mutter Erdes Namen, sollte er es ignorieren?
 

Seit Winso in die Seelenspiegel der jungen Sommerprinzessin geblickt hatte, bekam er das Bild nicht mehr aus seinem Kopf. Ehrliche, von Wärme durchströmte Augen. Die ihn mit Wissen angesehen hatten. Einem Wissen, vor dem er sich fürchtete seit er aus dem Wiesenalter entwachsen war. Sie hatte einen durchdringenden Blick, als könnte sie durch seine Seele blicken. Dabei wollte er nicht so angesehen werden. Nie waren ihm solche Blicke zuteil geworden. Er war der Mischbastard, der es nicht wert war angesehen zu werden. Dessen Existenz eine notwendige Last war, vor denen seine Landsleute die Augen verschossen. Aber sie. Das zarte, liebliche Geschöpf, das einen Duft nach frischer Sommerluft mit sich zog - sie hatte ihn angesehen und ihr Leuchten hatte den Körper erstrahlen lassen. Er wusste gar nicht, wie schön so ein Leuchten sein konnte. Winso kniff die Augen zusammen. Ihr Blick war bedeutungslos für ihn, das musste er sich einfach einreden. Das war keine Wärme, die er gespürt hatte. Es war Mitleid. Alles andere ergab keinen Sinn. Wenn er ihren Blicken auswich, konnte er sich gewiss sein, sich nicht länger davon mitreißen zu lassen.

Zu seinem Glück lief Prinzessin Myoso voran, den Blick auf Königin Cycla gerichtet, die hoch erhobenen Hauptes neben ihr herlief. Beide Blüten konnten unterschiedlicher nicht sein und dennoch liefen sie in Gleichschritt als wäre der letzte Zwist ihrer Reiche ausradiert worden. Besonders die Prinzessin des Sommers schien den stillen Konflikt einfach zu ignorieren: "Ich freue mich, den Segen des Winters von dir zu hören, Königin Cycla. Vater erzählte mir von deiner wundervollen Stimme."

"Dass sich König Gingko daran noch erinnern kann", die Winterkönigin faltete die Hände vor ihrem Schoß. Ohne die Prinzessin anzusehen, wusste der Mischling, dass sie lächelte. Wie ein Sonnenstrahl, der sich durch die Wolkendecke eines trüben Herbsttages kämpft, dachte Winso. Er biss sich auf die Lippen.

"Ruhig", hauchte ihm eine Stimme ins Ohr. Winso öffnete die Augen. Der kalte Lufthauch war unverkennbar Tyledions Werk. Nur ein Mitglied der Königsfamilie war in der Lage, zu seinem Volk zu sprechen, ohne dass die Worte seine Lippen verließen oder einen unerwünschten Zuhörer erreichen konnten.

Allmählich beruhigte er sich. Die Anspannung sank, er atmete in gleichmäßigen Zügen und dankte im Geiste seinem Cousin, der ihn wieder einmal vor Unheil bewahrt hatte.
 

Der Thronerbe des Winterreiches war währenddessen ruhig hinter seiner Mutter hergelaufen. In seinen Augen spiegelten sich keinerlei Gefühle wider. Starr blickten sie geradeaus, verströmten jene unverkennbare Aura, die eines Winterlings würdig war, dass es Winso mit Stolz erfüllte, diesen Prinzen seinen Cousin nennen zu dürfen. Trotz der Abwesenheit ihres Königs, verlieh die Präsenz seiner beiden Vertreter ihrer kleinen Gruppe eine einzigartige Würde, die hunderte Winterlinge nicht zu ersetzen vermochten. Es war Tyledions Ausstrahlung, welche die klügsten Köpfe des Reiches überzeugt hatte, ihn zur Sommersonnenwende zu begleiten. Statt an die Jahrhunderte lange Feindschaft zu erinnern, hatte Tyledion an die Vernunft appelliert. Weniger emotional denn rational waren seine Argumente - ein künftiger König durch und durch.

Festen Schrittes folgte Winso dem Beispiel seines Cousins - und allmählich kehrte sein Optimismus zu ihm zurück.
 

Als sie das Ende des Flures erreichten, kamen ihnen vor den weit offen stehenden Toren ein dutzend Wiesenkinder entgegen. Ihre großen, blauen Augen sahen mit einer Mischung aus Neugier und Scheu zu der Winterkönigin und ihrem Sohn. Die kleinen, zarten Hände hielten Armgeflechte und Kränze, die sich krampfhaft um ihre Finger schlossen. Prinzessin Myoso kniete sich zu den Jüngsten und strich einem Jüngling über sein Haar. "Nur keine Angst", sagte sie, dass der Klang ihrer Stimme in Winso widerhallte, "sie freuen sich über eure Steckarbeiten genauso sehr wie die anderen."

"Aber", murmelte eines der Wiesenkinder und sah betreten zur Seite, "aber sie gucken so streng."

"Weißt du, warum sie das tun?", die Prinzessin hob das Kinn des kleinen Goldlöckchens an, dass sie sich in die Augen sahen. Das Wiesenkind schüttelte den Kopf.

"Während wir unsere Liebe und Zuneigung nach außen tragen, um einen wunderschönen Sommer zu schaffen, müssen die Bewohner des Winterreiches ihre Gefühle verschließen, damit wir alle einen friedvollen Winter erleben dürfen."

"Und sie dürfen nicht einmal hüpfen und tanzen, singen oder jubeln?"

"Wenn ihre Kräfte von Emotionen geleitet werden, würde es einen kalten, harten Winter geben. Voller Stürme und Schneeschauer. Die Keimlinge würden unter ihrem Gewicht ersticken, das Eis die Äste zersplittern."

"Also gucken die Bewohner des Winters nur so streng, weil sie es müssen?"

Prinzessin Myoso nickte. "Sie tun das für uns alle." Sie lächelte. Daraufhin lächelte das Wiesenkind zurück. Die anderen taten es ihm gleich und gemeinsam schritten sie zu den Winterlingen. Eines nach dem anderen überreichten es den Neuankömmlingen seine Präsente. Sogar Königin Cycla beugte sich hinunter, um sich von einem der Kinder den Kopfschmuck anlegen zu lassen. Vorsichtig steckte dieses den Kranz auf ihre Haarpracht, dass die gezackte Eiskrone in Grashalme und Blumengestecke eingebettet wurde. Wie in Trance ließ sich der Mischling sein Armgeflecht umlegen und erwiderte das scheue Lächeln vor sich.
 

Die Worte der Sommerprinzessin beschäftigten ihn. Dass sie so viel über das Winterreich wusste, war erstaunlich. Er kannte keine einzige Geschichte von den Nachbarreichen. Lediglich Anekdoten aus dem Krieg, die von den Gelehrten erzählt wurden, um mit jenen siegreichen Schlachten zu prahlen, welche von der Stärke und Macht ihres Reiches berichteten.
 

Gerne hätte er noch länger ihrer Stimme gelauscht. Ihr Klang ließ ihn alles glauben.

"Hier entlang", damit führte Prinzessin Myoso ihre Gäste tiefer ins Reich des Sommers. Je weiter sie liefen umso intensiver breitete sich ein ihm vertrauter Duft aus. Die tief gelegene Sonne ließ ihn glitzernde Punkte sehen. Punkte, aus denen grelle Flecken wilde Farbspektren entstehen ließen. Prismen entfächerten sich tanzend vor seinen Lidern. Winso traute seinen Augen nicht. Vor ihm offenbarte sich der Lebensbaum des Sommers. Funkelnd hell erstrahlte das Licht der künftigen Generation. Goldene Knospen baumelten aus den Ästen. Millionen von winzigen Leuchtwesen wärmten die hilflosen Geschöpfe, spendeten den Schutz, den sie so dringend benötigten. Zwischen diesen hingen lange seidene Bänder, welche die Farben der vier Reiche repräsentierten. Eine Geste der heutigen Festlichkeit. Der seichte Frühlingswind ließ sie in seichte Schwingungen verfallen, dass Winso wie hypnotisiert darauf starrte. Er stellte sich vor, selbst eines dieser Bänder zu sein. Umringt von seinen Brüdern und Schwestern. Seelisch vereint. Dieser Gedanke war so klar, dass ihn erneut Unruhe packte - und Unruhe sich in Angst wandelte, die zur schmerzhaften Gewissheit wurde: Dieser Baum. Er kannte ihn. Sein Duft erinnerte an ein sicheres Zuhause - voller Liebe und Wärme. Es war Erleichterung und Schmerz zugleich als sie einfach weiter liefen. Dem Baum des Lebens den Rücken kehrend - seinem Baum des Lebens.

Ihr Ziel war ein anderes. Ein Hügel, auf dessen höchstem Punkt die Vertreter des Frühlings und des Herbstes auf sie warteten. Rot-goldene Töne kämpften gegen das Farbenspiel des Frühlings. Der Mischling wusste nicht, wohin er zuerst blicken sollte. Auf das Brautpaar des Herbstreiches oder doch auf das wilde Treiben der Frühlingsschar. Zusammen bildeten sie einen deformierten Halbmond auf dessen anderen Hälfte eine kraterähnliche Landschaft den Hügel einsacken ließ. Winso erwartete dort die Untertanen des Sommerreiches. Doch die Bewohner hatten sich vor dem Hügel versammelt. Die Knie den Boden berührend saßen sie dicht an dicht und warteten auf das Einläuten der Jahreszeit. Nur die Königs- als auch deren Zweigfamilie kam auf den Hügel gestiegen, um die Nachbarreiche willkommen zu heißen.

Erst jetzt bemerkte der Rest von ihnen das Erscheinen ihres kalten Nachbarn. Der Königin des Frühlings verschlug es kurz die Sprache. War sie zuvor noch in ein hitziges Gespräch mit ihrem ältesten Sohn vertieft, verstummte sie ob der unangekündigten Gäste. Hinter Königin Allilaea lugten zu beiden Seiten die Zwillingsprinzessinnen hervor und beäugten neugierig das Wintervolk - einschließlich Winso, dem sein braunes Haar eine gewisse Dazugehörigkeit verlieh. Die Zwillinge steckten die Köpfe zusammen und fingen an zu kichern, woraufhin die Königin ihnen einen giftigen Blick zuwarf, dass die beiden verstummten.
 

Die drückende Stille wurde erst unterbrochen als der Winterprinz seinen rechten Arm ausstreckte und seinen Gefolgsleuten zu verstehen gab, sich nicht von der Stelle zu rühren. Dann folgte er Königin Cycla, die zusammen mit der Sommerprinzessin auf das königliche Brautpaar zuschritt. Auch Königin Allilaea näherte sich dem jungen Herbstkönig und seiner Braut. Schließlich war das frisch vermählte Paar umringt von den führenden Herrschern der drei Reiche und ihren ältesten Kindern. Keiner der jetzigen Generation hatte diesen Anblick jemals erleben dürfen. Die Ausstrahlung, die jede einzelne Königsfamilie versprühte, war kaum zu greifen. Als sie einander die Hände reichten war dies mehr als der Auftakt einer lang gehegten Tradition. Dies war jedem bewusst.
 

"König Asteros", sprach die Königin des Winters und senkte ihr Haupt, "ich und mein Volk gratulieren dir zu deiner jüngsten Ernennung. Wir bedauern, die Glückwünsche nicht früher bekundet zu haben, hoffen jedoch, dass du sie dennoch annehmen wirst."

Auch der junge Herbstkönig neigte seinen Kopf: "Mich haben die Briefe des Königs erreicht. Weitere Glückwünsche zu erbitten, wäre eine Dreistigkeit meinerseits, die ich mir nicht anmaßen möchte."

"So kann nur Ceanthos Sohn sprechen", entgegnete Königin Cycla und ließ sich zu einem flüchtigen Lächeln hinreißen, während ihr Blick zu den Vertretern des Herbstreiches und ihrem alten Herrscher huschte, bevor sie sich zu ihrer Linken wandte. Königin Allilaea räusperte sich. Als Repräsentantin des Frühlings war es ihre Aufgabe, das Ritual der Segnung einzuläuten. Die Zeit war gekommen. Sie öffnete ihren Mund, dass Nebelschwaden aus ihm entstiegen. Der Boden zu ihren Füßen begann die Feuchtigkeit aufzusaugen. Weiter blies die frische Frühlingsbrise, dass der Nebel bis zu ihren Knöcheln reichte. Leise hauchte die Königin des Frühlings die Klänge des Lebens - Sinnbild allem Anfangs. Weisheiten wurden bekundet. Weisheiten ihres ersten Vorfahren, dessen Sprache nicht mit Worten ausgedrückt werden konnte. An ihrer Stelle sprossen Schneeglöckchen aus dem Nebeldunst, wiegten sich hin und her, dass sie eine Melodie erklingen ließen, die von der Kraft des Frühlings geleitet wurde. Grünes Licht stieg aus den Klängen direkt zu dem Brautpaar, bildete einen Ring, der sich um die beiden legte. Nun war der Sommer an der Reihe. Myoso ließ von der Hand ihres Nachbarn Prinz Scilledos und zog aus dem Ärmel ihres Gewandes eine Flöte hervor. Gebaut aus den Schilfrohren des Reiches vereinte sich ihr Klang mit den Schwingungen der Schneeglöckchen als die Sommerprinzessin ihre Lippen anlegte und zu spielen begann. Geleitet von dem Vater aller Sommerkinder spielte sie wie es kein anderer vermochte. Die Töne hallten über den gesamten Hügel. Geführt von der Kraft ihres Vaters, König Gingko, der seine rechte Hand ausstreckte, um einen Faden aus Sonnenlicht zu spinnen, erschufen die Klänge der Flöte einen zweiten Ring, der mit dem Licht des Frühlings verschmolz. Ranken aus Efeu und Clematis verbanden die beiden Kräfte.

Als Letzte bewegte die Königin des Winters ihre Lippen. Aus einem zarten Hauch trat kühle Luft, die zu pfeifen begann. Aus dem Hauch wurden Töne, die mit jedem weiteren Ton aufklärten. Königin Cycla sang das Lied von Mutter Erde und dem Geschenk ihrer vier Söhne. Die Verehrung ihrer aller Mutter spiegelte sich in ihrem hohen Gesang wider, der den Fluss hinter den Palastmauern Wellen schlagen ließ. Der Gesang mündete in einer summenden Melodie, der ihren kalten Atem in Eiszapfen einfror. Aus ihren Spitzen ragte blaues Licht, das die Augen des Winterprinzen entsendet hatten. Tyledions Wintermagie ließ die Zapfen tanzen, dass sie sich zu Braut und Bräutigam bewegten, um schließlich als Ring eins mit seinen Brüdern zu werden.

Nur in diesem Moment strahlte das Licht der drei Jahreszeiten wie eine schützende Mauer um das königliche Brautpaar. Die Vereinigung von Gesängen und Klängen stärkte den Ring der Segnung, dass sein Licht über den Wolken noch sichtbar wäre. Der junge König Asteros berührte den Handrücken seiner Gemahlin. Demütig senkte sie ihr Haupt, legte die freie Hand auf Brusthöhe, dass ihr innerstes Leuchten durch die Haut hindurch schimmerte. Als hätten die Lichter nur auf dieses Zeichen gewartet bewegten sie sich aus ihrem Ring. Die junge Königin empfing die Segnung, sog die einzelnen Lichter in ihr Innerstes und schloss sie dankbar in sich ein.
 

Dieser Augenblick brannte sich tief in die Sommerprinzessin ein. Das Glück der beiden spiegelte sich in ihren Augen wider. Sie dachte an Tyledion, der sich still von der Gruppe abgewandt hatte und zu seinem künftigen Volk zurückgekehrt war. Wie gern wäre sie ihm nachgelaufen, hätte von ihren Empfindungen gesprochen, während er sie eng umschlungen hielte und ihren Worten lauschte. Myoso wusste, dass er ebenso dachte. Ihr letztes Treffen lag keine zwei Tage zurück als sie von ihren Sehnsüchten und Träumen gesprochen hatten. Darüber wie ihre Zukunft aussehen könnte, wenn sie sich nur etwas länger in Geduld übten. Ihr huschte ein Lächeln über die Lippen. Die Erinnerung an sein Versprechen ließ sie an die letzte Stunde vor dem nächsten Sonnenaufgang denken.



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